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Der Dingbegriff und die Sinnespsychologie
2. Das Realitätsproblem der Erkenntniskritik bzw. Metaphysik. Hier ist das Realitätsbewußtsein gegebene Voraussetzung, denn ohne es würde das Problem nicht auftauchen, andererseits aber sind seine Beschaffenheiten in keiner Weise maßgebend. KANT nun im besonderen hat sich für genetische Fragen kaum interessiert; seine gelegentlichen Bemerkungen über das "Angeboren" sein sind widerspruchsvoll; die Kategorien sind jedenfalls keine "eingepflanzten Anlagen zum Denken". (1) Physiologe war er gar nicht, und seine psychologischen Begriffe entnahm er bekanntlich anderen Autoren, besonders TETENS. Die mehr psychologisch gefaßte erste Redaktion der "Deduktion" hat er verworfen, und die einheitlichere zweite Fassung ist sicher als Verbesserung gemeint und nicht ein Zurückweichen in Bezug auf die Idealismus-Frage, wie es z. B. SCHOPENHAUER sonst für die Veränderungen der zweiten Auflage annimmt. Das Problem, das sich KANT gestellt hatte, lautet eben nicht: wie kommen wir dazu, einzelne Empfindungen in der Wahrnehmung zusammenzufassen (bzw. den Dingbegriff zu bilden); es ist durchaus kein Wahrnehmungsproblem (2). Das vorwissenschaftliche Ding gehört nicht in die reine Vernunft, und Erkenntnistheorie ist keine Theorie des Sehens. Auch so banal war KANTs Gedanke nicht, daß er feststellen wollte, daß wir vermöge unserer Organisation die Dinge anders auffassen, als etwa ein Löwe oder eine Molluske - oder ein Engel oder ein Marsbewohner; diese Art von Subjektivität ist nicht gemeint. Aber auch die seit DEMOKRIT diskutierte Subjektivität der Sinnesqualitäten ist nicht die Grundlage der Erkenntnisfrage, sonst müßte sie in den Prolegomena oder der "Kritik der reinen Vernunft" hervorgehoben sein; diese These stand etwa für GALILEI und seine Nachfolger im Vordergrund. Sondern die kritische Frage lautete: wie sind apriorische synthetische Urteile möglich (3); d. h. wie kommt objektiv gültige Erfahrung zustande; noch kürzer: wie ist sichere Wissenschaft möglich? Auch in der Logik steigt KANT nicht vom psychologischen Urteilen zu den logischen Begriffen auf, sondern nimmt diese als fertig gegeben, und zwar schon in geläuterter Form (z. B. die NEWTONschen Naturbegriffe). Was unsere Begriffe leisten, ist die Frage; wie sie zustande kommen, nicht. SCHOPENHAUER, HELMHOLTZ, F. A. LANGE u. a. haben den sogenannten "transzendentalen" Gedanken mißverstanden, bzw. in ein Wahrnehmungsproblem umgedeutet. Die Kategorien, auch die der Substanz, sind ihm Erfahrungsbedingung (conditiones sine qua non [Grundvoraussetzungen - wp]), aber nicht Daten der Psychophysik; und auch die "Anschauungsformen" Raum und Zeit sind nicht physiologisch gemeint und wollen nicht die Theorie des Sehens erläutern. Es wäre durchaus möglich, daß unsere Sinne uns nur "verworrene" und im groben Sinn subjektive Daten liefern und dennoch die Vernunft mit Recht Realitäten statuiert. KANT verneint dies, aber nicht wegen der Unzuverlässigkeit der Sinne, den mannigfachen Sinnestäuschungen und der Unsicherheit der Empfindung. Sondern weil nur das apriori Erkannte ihm allgemeine Gültigkeit garantiert; nur das "Ding-ansich", oder etwa das "Universum ansich" läßt er stehen. Die Wissenschaft ruht auf der psychophysischen Organisation; aber was diese in ihrer höchsten Funktion, dem vernünftigen Denken leistet, das ist die Frage. Auch die Naturwissenschaft benützt ja nur die sinnlichen Daten, um zu nur mehr logischen Begriffen fortzuschreiten; noch niemand hat ein Elektron gesehen. Welche Dignität diesen Begriffen zukommt, ist das Problem der Erkenntnis; und nicht, wie wir oder das genus homo sapiens es wohl anstellen mußten, sie zu gewinnen. Wir haben sie - und nun frägt es sich, was sie wert sind. Dies alles wird vielen Lesern und jedenfalls allen Kennern der Philosophie KANTs recht selbstverständlich erscheinen; es ist auch schon in vielen Werken über KANT mit diesen oder anderen Worten zu lesen und wird meist in den Vorlesungen so vorgetragen. Allein diese Feststellungen haben wieder ein ganz aktuelles Interesse erhalten, da ein anerkannter Vertreter der experimentellen Psychologie, dessen Auffassungen als typisch für eine ganze Richtung gelten dürfen, die entgegengesetzte Auffassung vertritt. ERICH JAENSCH betont schon im Titel seines Buches "Über die Wahrnehmung des Raumes" (4) die Anwendung auf die Erkenntnislehre. Den Hauptinhalt bilden Versuche zu folgenden Problemen: über das Wesen der Tiefenwahrnehmung, wobei die psychologischen Grundlagen der impressionistischen Malerei erörtert werden (5); dann über das Verhältnis der Querdisparation zur Aufmerksamkeitslokalisation; über die scheinbare Größe usw. und schließlich die psychologischen Grundlagen unseres Weltbildes. Nach Untersuchungen über das Kostersche Phänomen, ihrer Anwendung auf die Lehre von der scheinbaren Größe der Sehdinge und von der psychologischen Homogenität der drei Dimensionen des Sehraumes folgt im letzten Kapitel (Seite 449f) die Anwendung auf die Lehre vom Dingbegriff und vom Realitätsbewußtsein. JAENSCH beginnt mit einem Zitat aus CHRISTOPH SIGWARTs "bedeutender" Logik, Bd. 2, dritte Auflage, 1904, Seite 120, an welcher Stelle lediglich die Unveränderlichkeit der Gestalt betont ist; SIGWART sagt darin ausdrücklich: "besinnen wir uns, was uns zuerst bestimmt, irgendein Wahrgenommenes als Ding zu betrachten". Denn sein Programm für die Analyse des Dingbegriffs ist, "beim Nächstliegenden zu beginnen", dazu gehört diese Stelle. Schon am Anfang des § 72 hatte er gesagt, der Vorstellung des Dings liege eine räumliche und zeitliche Synthese zugrunde, sowie eine Synthese verschiedener Empfindungsinhalte; "und hieraus entspringt die Unterscheidung des einen Dings von einen verschiedenen Eigenschaften". JAENSCH fügt ergänzend hinzu, daß wir den Dingen nicht nur bestimmte Gestalten, sondern auch bestimmte Farben zuschreiben: Der Kreide die weiße, dem Schwefel die gelbe, der Kohle die schwarze Farbe. Das ist aber keine Ergänzung, sondern ein völliger Widerspruch zu SIGWART; denn die Farbe ist doch eine Eigenschaft. Er sagt zwar auch schon (Seite 122), "was als Einheitliches abgegrenzt werdne kann, ist zunächst entweder durch die Farbe oder durch Empfindungen des Tastsinns bestimmt, eine gesehene oder getastete Gestalt", übersieht also die Farbe nicht. Weiterhin, bei der Kontinuität der Vorgänge (Seite 129), aber sagt er: "wenn sich vor unseren Augen ein blaues Papier rötet ... so haftet die Einheit des Dings jetzt an der zeitlichen Kontinuität der Empfindungsvorgänge usw." und später (Seite 133) bei der Trennung des Bleibenden vom Veränderlichen: "beim Blatt, das sich verfärbt, bleibt die Form, die Farbe wechselt usw. Auch einen Hummer halten wir für dasselbe Ding, obwohl er sich beim Kochen rot färbt (6). SIGWART würde zweifellos auch Helligkeitsunterschiede und Beleuchtungsdifferenzen zu den Eigenschaften und nicht zum Dingbegriff gerechnet haben. Aber auch die logische Erklärung für die Beobachtungen des Physiologen E. HERING, zu denen JAENSCH dann fortschreitet, hat SIGWART schon an derselben Stelle gegeben. Er sagt (Seite 133)
SIGWART würde das HERINGsche Phänomen (meines Erachtens) so erklären: es handelt sich hier gar nicht um den Begriff des Dinges "Papier", sondern um den speziellen "blaues Papier". Dies ist das gewohnte Bild, denn wir sehen die Gegenstände meist bei Tagesbeleuchtung; dieses bestimmte Papier haben wir als blaues unter normalen Umständen festgestellt. Verändert nun dieses bestimmte blaue Ding, dasselbe Blatt Papier, unter normalen Umständen die Farbe, so halten wir doch zunächst das gewohnte Bild fest; wir sehen es zwar braun, beurteilen es aber gewohnheitsmäßig als blau. Es ist eine Urteilstäuschung; die Sinne lügen nicht, aber unser Urteil kann sich irren. Hier verleitet durch die Konstanz des eigentlichen Dings, des Blattes Papier, das als blau zu bezeichnen, eine schon eingewurzelte Assoziation ist; Zeit genug, um uns, wie SIGWART sagt, "nachher allmählich an das neue Bild zu gewöhnen", wird uns bei HERINGs, wie bei den analogen Versuchen JAENSCHs nicht gegeben; also bleibt die alte Verknüpfung bestehen. Die Physiologie erklärt das durch Selbststeuerungen, die Logik durch Urteile; beide können so niemals zusammenkommen. Logisch betrachtet, halten wir ein gewohntes, jetzt irriges Urteil fest; es gibt keine Sinnes-, sondern nur Urteilstäuschungen, denn die Sinne haben nicht den Begriff von richtig und falsch. SIGWARTs Satz wäre also angesichts solcher Beobachtungen nur dahin zu erweitern, daß wir nicht nur beim eigentliche Ding (hier dem Papier), sondern auch bei einer damit bereits fest assoziierten Eigenschaft (dem blau) das gewohnteste Bild solange festhalten, bis wir bei einer Verlängerung Zeit gefunden haben uns an die neue Färbung zu gewöhnen. Wenn sich z. B. blaues Lackmuspapier langsam rot färbt, während wir auf anderes achten, werden wir es erst dann richtig rot sehen, wenn wir genau aufmerken, bzw. es noch eine Weile für blau halten, während es schon schwachrosa ist. Die Perseveration erstreckt sich hier auch auf die Farbe und kann nur durch einen Akt der Aufmerksamkeit gestört werden. So etwa denke ich mir einen Zusatz zu SIGWART inbetreff der Gedächtnisfarben, wie ihn JAENSCH (Seite 453) verlangt (7). Damit ist gar nichts gegen HERINGs physiologische Erklärung gesagt, die hinwiederum der Logiker nicht beurteilen kann; nur gegen das Überspringen von einer Betrachtungsmethode zu einer ganz anderen, wie es schon in der Bezeichnung dieser Versuche als philosophisch wichtig zutrage tritt. Von der Selbststeuerung führt ihn kein Weg zu KANT. JAENSCH findet ihn mittels eines Zitates aus OTTO LIEBMANN (8), aus dessen Vorrede, das mit dem Satz vom "Medium" des menschlichen Bewußtseins als keine glückliche Fassung des kantischen Gedankens gelten kann. An anderen Stellen von LIEBMANNs Buch finden sich ganz anders klingende; z. B. die folgende (9):
Aber dieser nimmt auch die Berufung auf KANT in Anm. 2, derselben Seite 452 halb wieder zurück, indem er sagt, es handle sich bei ihm nicht um eine transzendentalphilosophische, sondern um eine naturphilosophische Untersuchung (10). Dann konnte ja aber die Hereinziehung KANTs und LIEBMANNs ganz fortfallen. Es bleibt also noch die Frage, ob die mitgeteilten Versuche für die Erkenntnisfrage überhaupt, von KANT abgesehen, oder für den Dingbegriff entscheidend sind. Aber auch dann muß bestehen bleiben, daß Erkenntnis ein Problem der Vernunft oder des logischen, wissenschaftlichen, möglichst vollkommenen Denkens ist; niemand nimmt an, daß die Sinne uns Erkenntnis ohne denkende Bearbeitung liefern. Daß wir die Welt nicht einfach sehen, wie sie ist, das lehrt schon die Tatsache der Verkehrtheit unserer Netzhautbilder und die sogenannten Sinnestäuschungen. Neue Beispiele und Verfeinerungen sind sehr interessant, ändern aber an der prinzipiellen Sachlage gar nichts; niemand sucht die Vernunft in unserem Sehorgan. Auch die Naturwissenschaft in ihren Begriffsbildungen nicht, sonst gäbes es neben der Physiologie gar keine Physik. Ihre Begriffe fallen nicht in unser sinnliches Bewußtsein, sondern sind Produkte unseres Nachdenkens und ob wir ein Recht haben, in ihnen mehr zu sehen, als subjektive und etwa denkökonomische Hilfsmittel, das kann niemals aus Vorgängen beim Sehen bewiesen oder geleugnet werden. Das wird vielleicht noch klarer an dem von JAENSCH im Anschluß an DILTHEY (Seite 468) eingeführten Gedanken "verschiedener Grade der Sinnfälligkeit", deren das Realitätsbewußtsein fähig ist; dieses kann bei pathologischen Fällen herabgesetzt oder gestört sein. Hier leuchtet wohl der Unterschied von Psychologie und Erkenntnis, Realitätsbewußtsein und metaphysischem Realitätsproblem unmittelbar ein. Ontologisch kann es doch nicht Grade der Realität geben; ein Ding, eine Außenwelt, eine Person existiert - oder sie existiert nicht. Tertium non datur. [ein Drittes ist nicht möglich - wp] Aber in unserer Auffassung kann es Grade geben; daher ja auch bei DILTHEY, der an dieser Stelle nur vom Zustandekommen des Realitätsbewußtseins spricht, der richtige Ausdruck: "Grade der Sinnfälligkeit". Das sind aber nicht Grade der objektiven Realität. Diese kann man leugnen, aber ihr eine gradmäßige abgestufte Qualität verleihen, das kann man nicht. Oder man hat eben von vornherein aus anderen Gründen sich für einen Idealismus bzw. Spiritualismus entschieden; dann gibt es von vornherein nur Realitätsbewußtsein verschiedener Grade. Aber die Welt "ansich" wird dadurch nicht verschieden "real". Allgemeingültige Vernunfterkenntnis kann nicht krank werden, auch die Logik ist doch wohl nichts Pathologisches; nur das einzelne Denken kann getrübt sein. Und wir können die Dinge mehr oder weniger deutlich sehen und dann mehr oder weniger richtig beurteilen; wie groß diese Schwankungen sind (11), lehren solche Versuche und die Psychopathologie. Aber die Leistungen des begrifflichen Denkens wollen gelten und über der Sphäre der einzelnen Bewußtseine ihr Recht behaupten - oder es verlieren. Die Entscheidung darüber haben nicht die Sinne, von denen sie ausgingen. Es bleibt noch zu untersuchen, ob für den Begriff des Dings hier wichtige Tatsachen vorliegen. SIGWART, den JAENSCH selbst "bedeutend" nennt, scheidet gerade hier genau Psychologie und Logik, was er sonst häufig durcheinandermengt.
Aber JAENSCH will vom Tastsinn nichts wissen. Er erledigt ihn in einer Anmerkung (Seite 460). "Es ist auch nicht angängig, die Wahrnehmung des Konstantbleibens der Größe etwa auf Erfahrungen von seiten des Tastsinnes zurückzuführen. Der Tastsinn stellt ein recht unzuverlässiges Größenkriterium (12) dar." Aber er genügt doch zu einem "populär unbestimmten" Dingbegriff, denn den hat auch der Blinde oder jeder von uns bei völliger Dunkelheit. Keinen logisch vollkommenen, aber einen für das Leben in und mit den Dingen genügenden. Der Blinde bewegt sich sicher in vertrauter Umgebung, und wir finden im Dunkeln das Schlüsselloch, wenn wir nüchtern sind. Die logische Bearbeitung aber fußt, wieder nicht auf dem Außergewöhnlichen oder Krankhaften, sondern auf den möglichst vollkommenen Angaben des vollsinnigen, gesunden Menschen unter normalen Verhältnissen. Da wird dann niemand seinen Dingbegriff darauf gründen, was er erlebt, wenn er "die Oberfläche einer Steinwand mit dem Blick überstreicht" oder zwischen dem Standort und der Wand hin und her wandert (JAENSCH, Seite 471), sondern er wird alle ihm verliehenen Sinne zu Hilfe nehmen und nicht einen ausschalten, wie es zu Versuchszwecken im psychologischen Laber von ihm verlangt wird. Wir erleben die Außenwelt nicht durch ein Funktionieren der Sinne, bei dem wir uns ihr gegenüber ruhend verhielten, sondern durch die Bewegung unseres Organismus im Raum und seinen Dingen (13). Der Säugling bildet den ersten sehr populären Dingbegriff nicht, indem sein Auge an rauhen Flächen hin und her wandert (14), sondern wenn er sein Näschen zum erstenmal an sein Fäustchen oder den Bettrand stößt; das dann erfolgende Schreien ist das Zeichen der vollzogenen Synthese. Und ebenso bleibt es ein sicheres Mittel, jemand von der empirischen Realität (nicht der metaphysischen) meiner Person zu überzeugen, wenn ich ihm eine kräftige Ohrfeige gebe. Hart im Raum stoßen sich die Sachen - und wir an ihnen. Auch der Blindgeborene wird an der empirischen Realität, die auch für KANT galt, nicht zweifeln, wenn er mit dem Kopf gegen die Mauer rennt und sich eine Beule holt; und anstatt nur mit den Augen daran auf und nieder zu fahren (15), überzeugen auch wir uns am sichersten von der Existenz einer Mauer, wenn wir unsere Körper damit in Berührung bringen. Es ist unser gesamter Organismus, der uns das naive und populäre Realitätsbewußtsein verschafft, das Leben, die Bewegung. Von da zu einem logisch befriedigenden Dingbegriff ist ein weiter Weg, den SIGWART skizziert und den man auch anders darstellen kann; aber auch in den ersten Anfängen bilden wir ihn nicht lediglich durch ein "Abtasten mit den Augen", sondern durch eine Synthese. Auch die Frage, wie wir dazu kommen, den Objekten eine Unveränderlichkeit der Gestalt zuzuschreiben, während sich doch ihre scheinbare Größe fortwährend ändert, liegt im praktischen Leben anders. Wr betrachten das Ding nicht grübelnd, wie bei experimentellen Versuchen, sondern wir hantieren damit; wir bewegen es und bringen es dann in die ursprüngliche Lage zurück, oder wir drehen es nach verschiedenen Seiten und wieder in die ursprüngliche. Ein Buch stellen wir nach dem Lesen wieder an die leere Stelle und es paßt hinein; der Schlüssel paßt immer ins Schlüsselloch, trotz aller Manipulationen damit; und ein Baustein an die durch Herausnehmen leergewordene Stelle. So kommen wir dazu, ihm eine konstante Größe zuzuschreiben, und wiederum nicht, indem wir unser Auge an ihm spazieren gehen lassen. So hat also von den Versuchen JAENSCHs der "populäre, unbestimmte" Dingbegriff des naiven Realismus nichts zu gewinnen und der logisch bearbeitete wissenschaftliche noch weniger. Wie man diesen feststellen kann, der dann zu den Begriffen Substanz, Atom usw. führt, mag man bei SIGWART nachlesen. Von physiologisch-psychologischen Experimenten, mögen sie noch so fein angestellt und beobachtet sein, hat weder Logik noch Erkenntnislehre einer Förderung ihrer Probleme zu erwarten; denn solche Versuche gehören nach der Unterscheidung am Anfang zum Realitätsbewußtsein (I) und nicht zum Dingbegriff und Realitätsproblem (II). ![]()
1) Die einschlägigen Stellen z. B. in den Kant-Kommentaren oder in meinem Konformismus, Bd. 1, 1910, Seite 143f. 2) zum Beispiel sehr klar bei OSWALD EWALD, Kants kritischer Idealismus, 1908, Seite 85f. 3) Bei KANTs Fassung: wie sind ... apriori möglich" kann man das Wort a priori irrtümlich zu "möglich" ziehen, statt zu "Urteile". 4) Leipzig 1911. - 6. Ergänzungsband der "Zeitschrift für Psychologie". - In des Autors neueren Veröffentlichungen bzw. Vorträgen (Münchner medizinische Wochenschrift 1912, siehe den Sitzungsbericht des Straßburger naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins und Bericht über den V. Kongreß für experimentelle Psychologie 1912, Seite 186) ist Neues zu dieser Anwendung nicht zu finden. 5) Die hier Seite 55f diskutierten physiologischen Beobachtungen zeigen u. a. deutlich, daß die Malerei die am meisten individuelle Kunst ist. 6) Bei der Kreide spricht man beim Zeichnen an einer Tafel auch von grüner, blauer und roter Kreide; beim Schwefel unterscheidet jedes Lehrbuch der Pharmazie gelben und roten Schwefel, daß Kohle auch als Brillant vorkommt, lehrt allerdings erst die chemische Analyse. 7) Die übrigen Beobachtungen HERINGs, wie JAENSCHs sorgfältige und physiologisch sehr interessante Versuche stehen bezüglich der philosophischen Anwendung durchaus auf gleicher Linie; es muß hierfür auf das Original verwiesen werden. Die logische Erklärung wäre überall die gleiche; den Saum des Kupferstichs sind wir gewöhnt, als weiß zu beurteile, das MACHsche Quadrat haben wir vorher als solches beurteilt usw. Es sind durchweg Gedächtnis- bzw. Gewöhnungserscheinungen. Wenn HERING meint (Seite 452), wir könnten "jene Erfahrungen gar nicht machen, wenn nicht von Anfang an die Regulierungsvorrichten und Selbststeuerungen tätig wären", so frägt es sich, was man unter Erfahrung versteht. Es ist eben nicht nötig, "die mit der Entfernung vom Fenster zunehmende Schattigkeit oder Abnahme der Beleuchtungsstärke ... mit einzurechnen", sondern es genügt die irgendwann einmal gemachte Erfahrung, daß Kupferstiche meist einen weißen Rand haben, um diesen auch weiß zu nennen, wenn wir richtiger grau sagen würden. Die Annahme, daß wir etwas tatsächlich Graues wirklich weiß sehen, wenn wir aufpassen, nicht nur irrtümlich so bezeichnen, würde im Grund die ganze Naturkausalität und die ganze Naturwissenschaft umwerfen. 8) OTTO LIEBMANN, Gedanken und Tatsachen, Bd. 1, Seite IV, 1899 9) LIEBMANN, a. a. O., Bd. 2, Seite 8, 1904. Die Unterstreichungen sind von mir. 10) Auf Seite 481 ist sie berufen, den Schlüssel zu jenem wichtigen Grenzproblem der Psychologie und Erkenntnislehre zu liefern. 11) Vgl. auch die Schwierigkeiten der Beschreibung für die Versuchspersonen (Seite 175, Anm. 3). 12) Es ist hier nicht die Frage, ob wir durch Tasten die Größe eines Dings richtig schätzen können, sondern ob es uns den Dingbegriff vermittelt. 13) vgl. mein "Konformismus", Bd. 1, 1910, Seite 23. 14) Wobei nach JAENSCH "seine Koordinatenachsen innerhalb der Sehdinge selbst liegen." (Seite 458) 15) JAENSCH, Seite 474: Das Durchwandern der Oberfläche des Objekts; die Wanderung des Blicks usw.; passim bei den Versuchen. |