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Zu Kants Lehre vom Ding ansich [1/3]
I. Dr. NAKASHIMAs Abhandlung über Kants Lehre vom Ding ansich hat, soviel mir bekannt ist, weder bei den deutschen noch bei den englischen und amerikanischen KANT-Forschern bislang Beachtung gefunden. Weder in den Jahresberichten des "Archivs für Geschichte der Philosophie" noch in irgeneiner anderen deutschen oder englischen philosophischen Zeitschrift habe ich eine Notiz darüber gefunden (3). Und doch verdient es die kleine Abhandlung keineswegs, so gänzlich ignoriert zu werden. Denn ihr Verfasser zeigt sich durchweg als ein klarer Kopf und ebenso scharfsinniger wie selbständiger Denker, der seinen KANT mit Verständnis gelesen und durchdacht hat. In klarer und anziehender Schreibweise gibt er uns eine auf umfassender Kenntnis der einschlägigen Literatur fußende, scharfsinnig und konsequent durchgeführt Darstellung seiner Auffassung der kantischen Lehre vom Ding-ansich, ihrer Natur, Bedeutung und Geschichte. Sind auch, wie die Besprechung sich bemühen wird zu zeigen, viele Annahmen des Verfassers nicht haltbar, so enthält die Abhandlung doch genug des Neuen und Instruktiven, um sich getrost den besten deutschen Doktor-Dissertationen an die Seite stellen zu können. Der Verfasser, der zur Zeit Dozent an der philosophischen Fakultät der Kaiserlichen Universität zu Tokio ist, hat seine Studien am Yale College, New Haven, gemacht und einige Semester auch in Deutschland studiert. Von Professor GEORGE T. LADD, einem hervorragenden Kenner der deutschen Philosophie (4), in dieselbe eingeführt, widmete er sich besonders dem Studium KANTs. Das Resultat dieses Studiums ist die vorliegende Abhandlung. Dr. NAKASHIMA ist meines Wissens der erste Japaner, der es unternommen hat, einen selbständigen wissenschaftlichen Beitrag zur okzidentalischen Philosophie zu liefern; und dieser kulturhistorisch bedeutsame Umstand mag es weiterhin rechtfertigen, daß hier der Besprechung seiner Schrift ein breiterer Raum gewidmet wird, als es sonst bei Dissertationen der Fall zu sein pflegt. Mit Herrn NAKASHIMA führt sich das aufstrebende Japan, das schon auf manch anderem Gebiet des Wissens recht achtungswerte Beweise seiner Leistungsfähigkeit gegeben hat, auch auf dem Gebiet der Philosophie, und zwar recht vorteilhaft, bei uns ein. NAKASHIMAs Abhandlung, zerfällt in zwei Hauptteile, einen systematischen und einen historischen, der die Entstehung der Unterscheidung der Phänomena und Noumena und des Begriff des Dings-ansich kurz darstellt. Im ersten Hauptteil untersucht der Verfasser 1. den Begriff des Dings ansich in der Ästhetik, 2. in der Analytik, 3. in der Dialektik, wobei er das Verhältnis der Vernunftideen zum Begriff des Dings-ansich besonders eingehend bespricht, 4. die Frage, ob der Begriff des Dings ansich verträglich ist mit der Subjektivität der Kategorien der Kausalität und Existenz. In Abschnitt 5 gibt er eine übersichtliche Zusammenfassung seiner Ansichten über obige Punkte, und im 6. und letzten Abschnitt bestimmt er das Wesen des kantischen Idealismus im Gegensatz zu demjenigen BERKELEYs. Einleitend (Seite 5) bemerkt der Verfasser, daß obwohl KANTs "Kritik der einen Vernunft" in erster Linie Erkenntnistheorie ist, doch die Lehre vom Sein so innig verknüpft ist mit der Lehre vom Wissen, daß zu einem richtigen Verständnis der kantischen Erkenntnistheorie eine genaue Kenntnis seiner Lehre vom Ding-ansich unentbehrlich ist. Sie gehört aber zugleich, wie jeder Leser der Kr. d. r. V. weiß, zu den schwierigsten und dunkelsten Punkte der kantischen Philosophie. Die schon ansich großen Schwierigkeiten, welche die Lehre dem Verständnis bereitet, werden noch erhöht durch die wechselnden Bezeichnungen, die KANT anwendet, wie "Ding ansich", "transzendentales Objekt" (5), Noumenon [Denkinhalt - wp]", "Objekt selbst"' (Seite 6). Das Resultat der Untersuchungen des Verfassers über die Stellung und Bedeutung des Begriffs des Dings-ansich in der transzendentalen Ästhetik ist nun folgendes. KANT nimmt die Existenz von Dingen-ansich durchaus an. Er betrachtet sie als die zweifellos vorhandenen aber unerkennbaren Korrelate der apriorisch bedingten sinnlichen Erscheinungen, denen sie zugrunde liegen. Sie sind die unbekannten Ursachen, die, indem sie das Subjekt affizieren, die Erscheinungen bedingen. Verfasser zitiert (nach MAX MÜLLERs englischer Übersetzung der Kr. d. r. V.) eine Anzahl Stellen der transzendentalen Ästhetik, besonders aus den "Allgemeinen Bemerkungen zur transzendentalen Ästhetik". Daß nun KANT "Dinge-ansich" wirklich annimmt, wird außer den von NAKASIHMA angeführten durch so viele Stellen der Kr. d. r. V. wie der Prolegomena bestätigt, daß eine Erörterung dieses Punktes füglich unterbleiben kann. Und auch daß er sie annimmt als den unbekannten Grund der Erscheinungen, kann angesichts der vielen Stellen, in denen sie als solcher bezeichnet werden, nicht bezweifelt werden. (ERDMANN, Seite 225, KEHRBACH, Seite 686) (6).
In der transzendentalen Analytik untersucht NAKASHIMA sodann das Verhältnis des Noumenon zum Ding-ansich. Das Noumenon in positiver Bedeutung als Gegenstand einer möglichen nicht-sinnlichen Anschauung ist zu unterscheiden vom Noumenon in negativer Bedeutung, als problematischer, limitativer, zugleich denknotwendiger Begriff, der das Feld der Sinnlichkeit einschränkt, ohne das Erkennen zu erweitern. Nach Ansicht des Verfassers ist nur das letztere identisch mit dem Ding-ansich der Ästhetik. Zugleich setzt er es gleich dem Begriff des transzendentalen Objekts. In Bezug auf den ersten Teil dieser Ansicht, das Verhältnis vom Ding-ansich und Noumenon anlangend, bin ich abweichender Ansicht. Allerdings will KANT in der transzendentalen Analytik, speziell im Abschnitt über Phänomena und Noumena, das Ding-ansich der Ästhetik zu einem Noumenon im negativen Sinn machen. Namentlich die Stelle (ERDMANN 228, KEHRBACH 236): "Unser Verstand bekommt nun auf diese Weise" etc. zeigt diese Tendenz. Ansich aber liegt kein Grund vor, warum das Ding ansich der Ästhetik nicht auch mit dem Noumenon im positiven Sinn zusammenpassen sollte. Der Begriff des "Dings-ansich" ist eben ein schillernder, der oft ein sehr realistisches Gepräge zeigt und an die Monade von LEIBNIZ erinnert (ERDMANN), bald zu einem bloßen Grenzbegriff verblaßt (7). In der transzendentalen Ästhetik tritt, wie NAKASHIMA selbst sagt, das Ding-ansich als eine selbstverständliche Annahme auf, ohne daß über seine Natur irgendetwas gesagt wurde. Nur daß es nicht Objekt unserer sinnlichen Anschauung ist, wird mit Nachdruck behauptet. In dieser Unbestimmtheit ist es aber sowohl mit dem Noumenon in positiver, wie mit dem in negativer Bedeutung vereinbar. Erst in der transzendentalen Analytik, wo KANT genauer auf die Möglichkeit einer Erkenntnis von Dingen-ansich eingeht und findet, daß auch der Verstand nur auf Erscheinungen geht, wird das Ding ansich als Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung beiseite geschoben und das Noumenon im negativen Sinn als alleinberechtigte Form des Dings ansich hingestellt. Die Sinnlichkeit läßt es dahingestellt, ob das Ding ansich Noumenon in positiver oder bloß negativer Bedeutung ist; der Verstand läßt es nur als Grenzbegriff gelten. (8) Daß diese engere Auffassung des Dings ansich mit der weiteren Auffassung der Ästhetik sich nicht ganz deckt,sagt auch NAKASHIMA selbst, Seite 23: "Diese Konzeption des Dings-ansich ist streng idealistisch und dem realistischen Postulat in der Ästhetik entgegengesetzt." Damit steht aber die Behauptung, daß "das Wort Noumenon, wenn es ohne Begrenzung gebraucht wird, umfassender ist als das Ding-ansich. Es kann ein Sinnesobjekt aber auch ein Gedankenobjekt sein. In der Analytik fährt KANT fort die Natur seiner Behauptung eines transzendentalen Objekts genauer zu bestimmen" - nämlich als Gedankenobjekt. In dem anderen Punkt, die Gleichsetzung von Noumenon, Ding-ansich und transzendentalen Objekt betreffend, stimme ich dem Verfasser völlig zu. NAKASHIMA führt, sich gegen LEHMANNs abweichende Meinung ("Kants Lehre vom Ding an sich", Seite 44-49) wendend, aus, daß nur eine Stelle in der Kr. d. r. V. für LEHMANNs Behauptung eines (nicht durchgehenden) Unterschiedes zwischen dem transzendentalen Objekt und dem Ding ansich angeführt werden kann. Sie findet sich in dem nur der ersten Ausgabe der Kritik angehörenden) Abschnitt des Kapitels über Phänomena und Noumena (ERDMANN 222-226 Anm., KEHRBACH 231-234). Auf sie begründet auch BÖHRINGER seine Behauptung, daß das transzendentale Objekt nicht mit dem Noumenon zusammenfällt (a. a. O. Seite 78). Beiden gegenüber ist zunächst zu bemerken, daß der fragliche Abschnitt, wenn er wirklich beweist, was er beweisen soll, nur in der ersten Ausgabe der Kritik enthalten, in der zweiten aber weggelassen und durch eine andere Bearbeitung ersetzt worden ist, in der der Begriff des von den sinnlichen Datis nicht absonderbaren transzendentalen Objekts verschwindet und nur noch von Noumenis die Rede ist, die Dinge-ansich sind. Auf der andere Seite enthält die Kritik, wie beide zugeben müssen, Stellen genug, in denen das transzendentale Objekt als Ding-ansich und Noumenon sich klar zu erkennen gibt. Für die ersten Gleichung: transzendentales Objekt = Ding ansich, führt BÖHRINGER Proleg. § 32 und die Stelle der Kr. d. r. V. (ERDMANN 539, KEHRBACH 403) an:
Man darf nicht einzelne Sätze des Abschnitts aus dem Gesamtzusammenhang herausgreifen und sich auf sie berufen. Um den Sinn der einzelnen Sätze richtig zu verstehen, muß man vielmehr den ganzen Abschnitt im Zusammenhang betrachten. Versuchen wir, uns auf diese Weise den Inhalt des Abschnitts verständlich zu machen. Als wichtigste Bedingung für das richtige Verständnis desselben ist vor allen Dingen festzuhalten, daß die ganze Betrachtung in ihm von dem Gegensatz von Phänomena und Noumena im positiven Verstand, als "Gegenstände des Verstandes und gleichwohl einer nichtsinnlichen Anschauung", ausgeht, der Begriff des Noumenon im negativen Sinn dagegen noch nicht aufgestellt ist, sondern vielmehr erst durch die Betrachtung selbst gewonnen wird. Aus der transzendentalen Ästhetik, welche lehrte, daß die sinnliche Anschauung uns die Dinge nur vorstellt, wie sie erscheinen, so argumentiert KANT, scheint zu folgen, daß der Verstand, d. h. eine nichtsinnliche Anschauung, sie uns zeigt, wie sie ansich sind; - als Gegenstände. Diese Annahme ist aber nicht richtig und soll im Folgenden zurückgewiesen werden. Richtig ist an ihr nur soviel, daß der Verstand "in der Tat" alle Vorstellungen auf irgendein Objekt bezieht und daher auch die Erscheinungen, die ja Vorstellungen sind, "auf ein Etwas als den Gegenstand der sinnlichen Anschauung bezieht". Der Verstand bezieht also die Erscheinungen auf ein Etwas, er legt ihnen ein Substrat unter und betrachtet dies als den den sinnlichen Erscheinungen zugrunde liegenden wahren Gegenstand. Ähnlich sagt KANT im Kapital über die Amphibolie der Reflexionsbegriffe (ERDMANN 248, KEHRBACH 258):
Im folgenden Absatz wird dann das transzendentale Objekt als "Substrat der Sinnlichkeit" von den Noumenis, "die nur der reine Verstand denken kann", also von Noumenis in positiver Bedeutung, unterschieden. Zur Annahme der letzteren hat, wie in ähnlicher Weise wie in den einleitenden Worten des ganzen Abschnittes dargelegt wird, der Begriff der Erscheinung geführt, aus dem folgt, daß ihr doch etwas entsprechen muß, indem "das Wort Erscheinung schon eine Beziehung auf etwas anzeigt, dessen unmittelbare Vorstellung (die Erscheinung) zwar sinnlich ist, was aber ansich, auch ohne diese Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit - Etwas, d. h. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß." KANT zeigt nun, daß diese Argumentation nur innerhalb gewisser Grenzen berechtigt ist, insofern der von der Sinnlichkeit unabhängige Gegenstand nur "das Denken von Etwas überhaupt, bei welchem ich von aller Form der Sinnlichkeit abstrahiere" (10), also nur "den Begriff von einem Noumenon, der aber gar nicht positiv ist", bedeutet, nicht aber einen wahren, von allen Phänomenen zu unterscheidenden Gegenstand.' Ein solcher würde ein Objekt einer nichtsinnlichen Anschauung sind und diese voraussetzen, während sich doch die Möglichkeit einer solcen gar nicht einsehen läßt und wir sie auf alle Fälle nicht haben. Hier haben wir nun die Parallele zu oben. Der von allen Phänomenen zu unterscheidende wahre Gegenstand entspricht dem von allen Datis der Sinnlichkeit abgesonderten (wahren) Objekt oben. Wie dieses nicht annehmbar ist und durch den allein zulässigen Begriff des transzendentalen Objekts ersetzt werden muß, so ist auch jenes nicht haltbar und durch den Begriff des Noumenon im negativen Verstand zu ersetzen. Auch der Schlußsatz des Absatzes beweist die Richtigkeit meiner Interpretation des nicht absonderbaren Objekts oben.
Aus der obigen Darlegung ergibt sich, daß das transzendentale Objekt in allen Stücken dem Noumenon im negativen Sinn entspricht und sich in nichts von ihm unterscheidet. Es bleibt nun der zweite Teil des Abschnitts, der anscheinend für die Unterscheidung von Noumenon und transzendentalen Objekt spricht und von LEHMANN besonders verwertet wird, zu betrachten übrig. KANT fährt fort:
Der folgende Teil der Abhandlung NAKASHIMAs behandelt das Verhältnis des Begriffs des Dings-ansich zu den Ideen der Vernunft, wie sie in der transzendentalen Dialektik entwickelt sind. NAKASHIMAs Untersuchungen hierüber gipfeln in folgendem Resultat. Unter Vernunft ist nach KANT ein Vermögen zu verstehen, das die Begriffe des Verstandes vereinheitlicht ("the faculty that unifies the concepts of the understanding" - Seite 29). Die drei Ideen, welche die Vernunft, dem Streben nach Einheit folgend, hervorbringt, sind
b) die kosmologische Idee. Die Vernunft fordert für die äußeren Erscheinungen einen einheitlichen (vereinheitlichenden, "unifying") Grund der Welt. Dieser Grund ist Substratum oder Substanz. (Seite 30) c) die theologische Idee, das theologische Ideal. Schließlich fordert die Vernunft als Ideal die absolute Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt in einem Wesen aller Wesen. Dieses Wesen ist Gott. (Seite 37, 38) Hiermit stellt NAKASHIMA eine ganz neue, von den bisherigen Annahmen bedeutend abweichende Ansicht über das Verhältnis der Ideen zu den Dingen ansich auf. Ich glaube doch nicht, daß sich diese kühne Theorie, in der der Verfasser sich mit G. CESCA begegnet, aus der Kr. d. r. V. genügend begründen läßt. Da der in Frage stehende Punkt von großer Bedeutung für das System KANTs ist, sei es mir vergönnt, mich etwas ausführlicher darüber zu verbreiten. Wenigstens über die psychologische Idee möchte ich etwas ausführlicher sein. In Bezug auf diese behauptet NAKASHIMA, daß, da die subjektive formale Einheit des Bewußtseins, die formale Bedingung der Erfahrung, die synthetische Einheit der Apperzeption (das "Ich denke") ist,
Nun muß man dem Verfasser zunächst allerdings zugestehen, daß KANTs Äußerungen über das Wesen und die Funktionen des Verstandes und der Vernunft, denen nach seiner Ansicht die psychologische Idee und der Begriff des Noumenon zugewiesen werden müssen, weder sehr klar noch sehr sicher sind. Mit Recht hebt NAKASHIMA Seite 25 das Fehlen einer formalen Definition der Vernunft, worüber auch schon SCHOPENHAUER klagte ("Welt als Wille und Vorstellung", Bd. 1, Seite 511f) Ebenso gibt KANT auch die verschiedensten Erklärungen des Verstandes, die denen der Vernunft oft recht nahe kommen. Wenn er der Vernunft im Allgemeinen die Bestimmung, Einheit in die Begriffe des Verstandes zu bringen, zuschreibt, wenn er sagt (ERDMANN 450, KEHRBACH 504):
Allein ein vergleichendes Durchgehen der hierher gehörigen Stellen zeigt doch, daß KANT der Vernunft noch eine wesentlich andere Aufgabe zuweist als die lediglich formale, eine Aufgabe, die sie zugleich von allem, was der Verstand leisten kann, scharf unterscheidet. Namentlich bedeutet die psychologische Idee etwas ganz anderes als die formale Einheit des "Ich denke". Schon die Stellen, die von der Bestimmung der Vernunfttätigkeit handeln gehen über die Grenze des rein Formalen hinaus. Zunächst ist die Tätigkeit der Vernunft nicht nur eine vereinheitlichende, wie sie ja auch der Verstand ausübt: Die Vereinheitlichung, welche die Vernunft zuwege bringt, ist eine solche ganz bestimmter Art. "Die Vernunft ist das Vermögen der Einheit der Verstandesregeln unter Prinzipien" und gibt den mannigfachen Erkenntnissen des Verstandes Einheit a priori durch Begriffe, "welche Vernunfteinheit heißen mag und von ganz anderer Art ist, als sie vom Verstand geleistet werden kann" (ERDMANN 287, KEHRBACH 267). Die Vernunft geht auf das Unbedingte und der Vernunftbegriff ist durch den Begriff des Unbedingten zu erklären (ERDMANN 269, 270; KEHRBACH 280). Sie schreibt dem Verstandesgebrauch die Richtung auf eine gewisse Einheit vor, "von der der Verstand keinen Begriff hat" (ERDMANN 272, KEHRBACH 283). Und um diese Einheit selbst zu denken, gibt sich die Vernunft einen Gegenstand! (ERDMANN 471, KEHRBACH 528). Weiter heißt es vom Vernunftbegriff oder der Vernunftidee, daß er die Einheit des Verstandes bis zum Unbedingten fortsetzt (in der oben zitierten Stelle ERDMANN 270, KEHRBACH 280), daß er es mit der unbedingten synthetischen Einheit aller Bedingungen überhaupt zu tun hat (ERDMANN 276, KEHRBACH 288), und man vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert, einen problematischen Begriff, aber keine Erkenntnis haben kann (ERDMANN 280, KEHRBACH 291). Die Vernunftidee geht auf protestierte systematische Einheit (ERDMANN 451, KEHRBACH 505), sie ist ein Analogon von einem Schema der Wirklichkeit (ERDMANN 462, KEHRBACH 518), ist ein heuristischer Begriff (ERDMANN 465, KEHRBACH 521) oder eine heuristische Fiktion (ERDMANN 527, KEHRBACH 587). Diese Bezeichnungen für die transzendentalen Ideen und ihr Organ scheinen doch neben dem lediglich formalen Gebrauch, den NAKASHIMA in der psychologischen Idee ihr zuweist, noch eine weitergehende Bestimmung der Vernunft anzudeuten. Die Ideen beziehen sich auf Objekte, wenngleich sie keine Erkenntnis von Objekten geben, sie sind nicht nur formal, sondern haben einen gegenständlichen Inhalt. Für eine heuristische Fiktion kann doch KANT den Vernunftbegriff nur ausgeben, wenn er (als psychologische Idee) mehr bedeutet, als lediglich die formale Einheit des Denkens, denn diese ist gar keine Fiktion, sondern vielmehr, wie KANT in der transzendentalen Analytik (ERDMANN 117, KEHRBACH 662, vgl. auch ERDMANN 605 Note, KEHRBACH 128 Note) sagt: Das oberste Prinzip allen Verstandesgebrauchs". Deutlicher noch sprechen sich folgende Stellen aus. Im Abschnitt "Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft" heißt es (ERDMANN 465, KEHRBACH 521) "Wenn man nun zeigen kann, daß, obgleich die dreierlei transzendentalen Ideen ... direkt auf keinen ... Gegenstand ... bezogen werden, dennoch alle Regeln des empirischen Gebrauchs der Vernunft unter Voraussetzung eines solchen Gegenstandes in der Idee auf systematische Einheit führen" ... Und in der "Disziplin der reinen Vernunft in Anbetracht der Hypothesen" lautet eine Stelle (ERDMANN 527, KEHRBACH 587):
Endlich, um noch eine Stelle aus der Kritik anzuführen. In der Schlußanmerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft (ERDMANN 401, KEHRBACH 450) lesen wir:
Daß speziell die psychologische Idee nicht, wie NAKASHIMA Seite 30 sagt, nur für die inneren Phänomene ein einheitliches Subjekt des Bewußtseins, nämlich die synthetische Einheit der Apperzeption, die logische Einheit, das logische Subjekt des Denkens, fordert, sondern sich geradezu auf das substanzielle und intelligible, freilich unerkennbare Seelensubjekt bezieht, beweisen zahlreich Stellen der Kritik, denen allerdings, wie nicht verschwiegen werden kann, auch einge gegenüberstehen, die NAKASHIMAs Ansicht zu enthalten scheinen. Un dem Sinn der psychologischen Idee richtig zu verstehen, muß man vor allen Dingen berücksichtigen, daß sie das Produkt eines Vernunftschlusses ist, der ebenso unaufgebbar wie - als Erkenntnis - unvollziehbar ist. (13) (ERDMANN 280, KEHRBACH 292)
Diese Hinweisungen, die sich leicht vermehren ließen, dürften wohl genügen, zu zeigen, daß KANT unter der psychologischen Idee etwas anderes versteht als NAKASHIMA annimmt, nicht die synthetische Apperzeption, das "Ich denke", sondern die Idee eines substanziellen einheitlichen Subjekts, der immateriellen Seele. NAKASHIMA hat sich wohl durch einige Stellen der Kritik, welche der Vernunft einen formalen Gebrauch zuweisen oder zuzuweisen scheinen, täuschen lassen. Allerdings gibt es Stellen, die für seine Ansicht zu sprechen scheinen. So zum Beispiel die Stelle:
"Der dialektische Schein in der rationalen Psychologie beruth auf der Verwechslung einer Idee der Vernunft (einer reinen Intelligenz) mit dem in allen Stücken unbestimmten Begriff eines denkenden Wesens überhaupt."
Kann ich mich nun auch aus den angeführten Gründen mit NAKASHIMAs Fassung der psychologischen Idee nicht einverstanden erklären, so muß ich doch anerkennen, daß seine abweichende Ansicht, die ja keineswegs gedankenlos aus der Luft gegriffen ist, insofern verdienstvoll ist, als sie die Unsicherheit und Unbestimmtheit der ganzen kantischen Unterscheidung von Verstand und Vernunft in ein recht helles Licht setzt, und uns nötigt, ihr noch mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden als bisher geschehen ist. Wenn der scharfsinnige Verfasser das "Ich denke" der Vernunft zuweisen will, so hat er jedenfalls seine guten Gründe dazu, und ich glaube, sie sind nicht schwer zu erraten. NAKASHIMA macht das "Ich denke" zu einer Idee der Vernunft, weil es ihm zu den Funktionen des Verstandes nicht recht zu passen scheint. Und in der Tat enthält das "Ich denke" so manches, das es vom Verstand trennt. Es ist kein Verstandesbegriff, wie Kausalität, Einheit etc., keine Kategorie; vielmehr betont KANT ausdrücklich, daß die Einheit, die a priori vor allen Begriffen der Verbindung vorausgeht, nicht etwa jene Kategorie der Einheit ist (ERDMANN 114, KEHRBACH 659 [§ 15 der Deduktion]) Die Einheit des "Ich denke", die aller Erkenntnis von Objekten zugrunde liegt, ist nicht selbst ein Objekt und scheint also nicht eine Erkenntnis des Verstandes sein zu können, den "Verstand ist, allgemein zu reden, das Vermögen der Erkenntnisse", und diese "bestehen in der bestimmten Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt" (§ 17 der Deduktion, ERDMANN 118, KEHRBACH 662). (16) Auch kann dem "Ich denke" nicht wie den sonstigen Verstandesbegriffen ein Gegenstand in der Anschauung gegeben werden. Das "Ich denke" dem Verstand zuzuweisen, begegnet also erheblichen Schwierigkeiten, und es kann daher geraten erscheinen, es der Vernunft zu überweisen. Das tut NAKASHIMA. Allein dem stehen die Äußerungen KANTs, aus denen hervorgeht, daß die Vernunftideen sich auf Dinge-ansich beziehen, entgegen. Schon der Umstand, daß die synthetische Einheit der Apperzeption in der transzendentalen Analytik ihre Stelle findet, muß uns hindern, sie als Idee der Vernunft zu fassen. Als solche hätte sie in der transzendentalen Dialektik, welche von der Vernunft handelt, ihren Platz haben müssen. Das "Ich denke" scheint somit weder beim Verstand noch bei der Vernunft recht untergebracht werden zu können. KANTs Verlegenheit, es zu plazieren, verrät deutlich die Stelle in den Paralogismuen der reinen Vernunft (ERDMANN 281, 282; KEHRBACH 293), wo er sagt:
"Verbindung ... ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter ist als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter die Einheit der Apperzeption zu bringen, welcher Grundsatz der oberste in der ganzen menschlichen Erkenntnis ist." (ERDMANN 117, KEHRBACH 661) § 17. "Der Grundsatz der synthetischen Einheit der Apperzeption ist das oberste Prinzip allen Verstandesgebrauchs" (ERDMANN 117, KEHRBACH 662) "Die erste reine Verstandeserkenntnis also, worauf sein ganzer übriger Gebrauch sich gründet ... ist nun der Grundsatz der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption." (ERDMANN 118, KEHRBACH 663) Die transzendente Ästhetik stellt den Begriff des Dings ansich als Korrelat der Erscheinungen auf, ohne ihn irgendwie positiv oder negativ näher zu bestimmen. Die transzendentale Analytik, welche die Verstandeserkenntnis behandelt, erklärt den Begriff nur als Noumenon im negativen Sinn für zulässig ("Grenzbegriff" - KUNO FISCHER, a. a. O., Bd. III, Seite 415, 417, 423, 425). Keine Erkenntnis desselben ist möglich. Die transzendentale Dialektik schließlich, die von der Vernunft handelt, bestimmt - problematisch - den vorher nur negativ bestimmten Begriff des Noumenon oder Ding-ansich als Vernunftidee, in unserem Fall als psychologische Idee, eines intelligiblen immateriellen Seelensubjekts. (20) Der Gegenstand der psychologischen Idee ist daher keineswegs ohne alle Beziehung zum Ding-ansich, er ist vielmehr ein Ding-ansich (K. FISCHER, a. a. O., Bd. III, Seite 430) und mittels der Idee versucht eben die Vernunft zu leisten, was der Verstand mittels der Kategorien nicht leisten kann, nämlich den ganz leeren Begriff des Dings-ansich zu einem Objekt zu verdichten. Der Raum gestattet mir nicht, mit gleicher Ausführlichkeit auch auf das von NAKASHIMA untersuchte Verhältnis des Dings ansich zur kosmologischen Idee und dem theologischen Ideal einzugehen. Als Gegenstand der kosmologischen Idee bezeichnet NAKASHIMA "the changeless substratum of all phenomena" (Seite 32), "the sum total of all external phenomena" (Seite 32), "the unifying ground for external phenomena" (Seite 30), d. h. "the category of Substance enlarged till it reaches the Unconditioned" (Seite 33), "the formal Unitiy of the world" (Seite 34). Und von diesem Inhalt behauptet er, daß er schlechterdings nichts zu tun hat mit dem Begriff des Dings-ansich (Seite 32, 33). Die angeführten Auslassungen des Verfassers scheinen mir darauf hinzudeuten, daß er die Substanz, das Substratum und beständige Korrelatum allen Daseins der Erscheinungen, allen Wechsels und aller Bewegung (ERDMANN 173, KEHRBACH 176), von der KANT im Beweis der ersten Analogie der Erfahrung soviel spricht, als den Inhalt der kosmologischen Idee faßt. Wäre das richtig, so hätte allerdings die kosmologische Idee faßt. Wäre das richtig, so hätte allerdings die kosmologische Idee mit dem Ding-ansich nichts zu tun. Denn die Substanz der ersten Analogie gehört allerdings, wie der Verfasser Seite 33 sehr richtig bemerkt, nicht zum Ding-ansich. KANT hat, wie der scharfsinnige Verfasser ganz richtig herausgefunden hat, eine dreifache Einteilung (NAKASHIMA unterscheidet sie als phenomena, substance und thing-in-itself Seite 33; ich sage mit FALCKENBERG Erscheinung, Erscheinung ansich, Ding-ansich, worüber weiter unten); und diese Einteilung übersehen zu haben, ist, wie er richtig bemerkt "für viele Kritiker KANTs eine Quelle ernsthafter Gedankenverwirrung" (Seite 33). Über diese wichtige Unterscheidung werden wir weiter unten noch mehr zu sagen haben; hier kommt es mir nur darauf an zu zeigen, daß Substanz oder Substratum zwar nicht identisch mit dem "Ding-ansich", aber auch nicht einfach als Gegenstand der kosmologischen Idee zu fassen ist. Dagegen spricht hier wie bei der psychologischen Idee zunächst schon der Umstand, daß die "Substanz" bereits in der transzendentalen Analytik behandelt und der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz express als einer der "synthetischen Grundsätze des reinen Verstandes" aufgestellt wird. In der transzendentalen Dialektik, wo die Vernunftideen entwickelt werden, gebraucht dagegen KANT den Ausdruck Substanz oder Substratum nicht. Er bezeichnet hier als Gegenstand der Vernunftidee "die absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinungen" (ERDMANN 276, KEHRBACH 288), "die unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung" (ERDMANN 301, KEHRBACH 339), "die absolute Totalität in der Synthesis der Erscheinungen" (ERDMANN 302, KEHRBACH 340); Ausdrücke, die durchaus nichts von einer unveränderlichen Substanz oder von einem beharrlichen Substrat der Erscheinungen enthalten. Durch Bezugnahme auf den letzteren Begriff kann man mithin nichts zu tun hat. Nichtsdestoweniger kann gar nicht geleugnet werden, daß nach einigen von KANT selbst gegebenen Erklärungen die kosmologischen Ideen auf dem Gebiet der Erscheinungen zu bleiben und an die Dinge ansich gar nicht heranzukommen scheinen. Wie schon oben bemerkt, sind KANT Äußerungen über die Vernunft und ihre Funktion nichts weniger wie klar und zusammenstimmend. Namentlich im Abschnitt, der "System der kosmologischen Ideen" überschrieben ist (1. Abschnitt: Die Antinomien der reinen Vernunft), läßt KANT die Vernunftideen nichts anderes als erweiterte Kategorien sein, die deren Geschäft in vergrößertem Maßstab fortsetzen, im Widerspruch mit anderen, oben zitierten Stellen, welche der Vernunft die Bestimmung der Noumena zuweisen (21). Aber mag es auch wahr sein, daß einige kosmologische Ideen, wie NAKASHIMA will, mit Dingen-ansich nichts zu tun haben, so gilt dies doch nicht von allen. Wir sollten es uns überhaupt abgewöhnen, nach KANTs Voranschreiten von der kosmologischen Idee zu sprechen (KANT selbst spricht im ersten Abschnitt der Antinomie der reinen Vernunft vom "System der kosmologischen Ideen"). Den Inhalt der kosmologischen Idee anzugeben, halte ich überhaupt für ein vergebliches Unternehmen. Er ist weder Substanz noch was KANT in den angegebenen Stellen als Inhalt ausgiebt. Wir sollten uns vielmehr stets gegenwärtig halten, daß, was KANT seiner Systematik zuliebe die kosmologische Idee zu nennen beliebt, im Grunde vier selbständige Ideen, bzw. Ideenpaare sind, die sehr verschieden geartet und sehr abweichenden Inhalts, nur mit größter Künstlichkeit unter einen Hut gebracht werden können. Schon in der transzendenten Analytik macht KANT die tiefgehende Unterscheidung von mathematischen und dynamischen Kategorien und Grundsätzen. An eben diese Unterscheidung knüpft er in diesem Antinomien-Hauptstück wieder an. Die beiden ersten kosmologischen Ideenpaare sind mathematisch und beziehen sich auf die "Welt" als das mathematische Ganze aller Erscheinungen, die beiden letzten sind dynamisch und beziehen sich auf die Natur oder das dynamische Ganze (ERDMANN 309, KEHRBACH 348). Die ersten beiden haben es, wie KANT ausdrücklich behauptet, nicht mit Noumenon zu tun, sondern beziehen sich auf Erscheinungen, treiben aber die Synthesis auf einen Grad, der alle Erfahrung übersteigt. Sie sind "Weltbegriffe" im engeren Sinne (ERDMANN 310, KEHRBACH 349). Von ihnen will KANT die beiden letzten als "Naturbegriffe" unterschieden wissen, eine Unterscheidung die "zwar für jetzt noch nicht von sonderlicher Erheblichkeit ist, aber im Fortgang wichtiger werden kann" (ebd.) und die wir trotzdem Kant hier (wie auch in den Prolegomenen § 50, ERDMANN) obige Behauptung über die Beziehung der kosmologischen Ideen auf Phänomene auf sämtliche kosmologische Ideen ausdehnt,' gut tun ein für alle Mal festzuhalten. In der Schlußanmerkung zur Auflösung der mathematisch transzendentalen Ideen (ERDMANN 580f, KEHRBACH 426), wie auch in der Schlußbemerkung zur ganzen Antinomie der reinen Vernunft (ERDMANN 409, KEHRBACH 450), lauten die Äußerungen KANTs ganz anders. Er erkennt hier an, daß die beiden dynamischen Ideen auf intelligible, außerhalb der Reihe der Erscheinungen stehende Bedingungen gehen und transzendent werden. Aus dieser verschiedenen Auffassung folgt, daß die sogenannten kosmologischen Ideen sowohl (horizontal) in die Breite auf die Gesamtheit der Erscheinungen, als auch (vertikal) in die Tiefe und hinter die Erscheinungen gehen. Ersteres tun die erste und zweite kosmologische Idee, die "Weltbegriffe im engeren Sinn", und alleinigen wirklich kosmologischen Ideen, die daher innerhalb der Erscheinungen bleiben, letzteres tun die dritte und vierte, die sich deshalb auf Noumena beziehen. Die Auflösung der vier Antinomien zeigt diesen Unterschied sehr klar und scharf. Die Auflösung der ersten Antinomie geschieht zugunsten der Antithesis (ERDMANN 375, KEHRBACH 421). Im Sinne eines regulativen Prinzips der Vernunftidee ist es zulässig, die Welt als unendlich in Raum und Zeit zu betrachten. Die Auflösung der zweiten Antinomie erfolgt im Sinne der Thesis (ERDMANN 378, KEHRBACH 424). Einfache letzte Bestandteile anzunehmen ist als regulatives Prinzip gestattet. Beide Ideen betreffen nur Erscheinungen; von den Dingen-ansich wird ausdrücklich gesagt, daß weder die Endlichkeit noch die Unendlichkeit sie etwas angeht (ERDMANN 365, 366; KEHRBACH 410, 411, 412). Anders verhält es sich mit der dritten Vernunftidee, der Idee der Freiheit. Hier korrigiert KANT die vorhin aufgestellte Behauptung, daß alle kosmologischen Ideen innerhalb der Erscheinungen bleiben. Auf die Unterscheidung zwischen dynamischen und mathematischen Ideen zurückkommend, sagt er (ERDMANN 380, KEHRBACH 426):
Auch von der vierten kosmologischen Idee, die wir mit dem theologischen Ideal zusammennehmen wollen, (24) kann man nicht behaupten, daß sie in gar keiner Beziehung zum Ding-ansich steht. Das schlechthin notwendige Wesen muß, wie die Auflösung zeigt, intelligibel gedacht werden (ERDMANN 398, 399; KEHRBACH 447). Und auch im transzendentalen Ideal wird die Vernunftidee von Gott, die "logical unity of Ideas", als welche NAKASHIMA (Seite 40) das Ideal bezeichnet, auf das Noumenon bezogen und erhält dadurch eben erst ihren eigentlichen Inhalt. Die Vernunft bestimmt durch die Idee des vollkommensten und schlechthin notwendigen Wesens den unbestimmten Begriff des Dings ansich. Gott ist ein Ding-ansich, zwar nicht in demselben Sinn wie die übrigen "Dinge ansich", aber doch insofern als er intelligibel, nicht Erscheinung ist. Die Tatsache nun, daß von den kosmologischen Ideen zwei auf Erscheinungen, zwei aber auf Noumena gehen, erklärt schließlich auch die Unsicherheit und Unbestimmtheit der Äußerungen Kants über die Vernunftideen.' Er kann weder bestimmt und durchgehend behaupten, daß sie auf Noumena gehen, weil dann die beiden ersten kosmologischen Ideen ausgeschlossen würden, noch, daß sie die Grenze der Erscheinungen nicht überschreiten, weil die psychologische, die dritte und vierte kosmologische und die theologische Idee dies ganz unzweifelhaft tun. Daher betonen die zahlreichen Stellen, in denen sich KANT über die Vernunftideen äußert, bald die eine, bald die andere Seite. Bald können sie von den Kategorien und allen auf Erscheinungen bezogenen Erkenntnisinhalten nicht scharf genug unterschieden werden und sind von ihnen spezifisch verschieden, bald dienen sie nur zur Erweiterung und Zusammenfassung derselben (25). Diese doppelte Seite der Vernunftidee zeigt in besonders klarer Weise eine Stelle der Prolegomena (§ 45):
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1) RIKIZO NAKASHIMA, Kant's doctrine of the "thing-in-itself", a thesis presented to the philosophical faculty of Yale University in connection with his application for the degree of Doctor of Philosophy, New Haven, Connecticut, 1889. 2) Der Aufsatz ist im Winter 1891/92 verfaßt worden. Mangel an Raum hat den Abdruck in dieser Zeitschrift bis jetzt verzögert. [der Verfasser] 3) Außer einer ganz kurzen Anzeige im Mind, Bd. 14, 1889, Seite 596. FRIEDRICH JODLs Jahresbericht über Erscheinungen der anglo-amerikanischen Literatur 1888 - 1889 (diese Zeitschrift, Bd. 99, Seite 257 - 271) erwähnt NAKASHIMAs Arbeit gar nicht. 4) LADDs verdienstvolle Übersetzung von LOTZEs "Grundzügen" habe ich in Bd. 95 dieser Zeitschrift, Seite 297 kurz besprochen. 5) Ich schreibe transzendent und transzendental im Anschluß an die englische Schreibweise, und möchte diese Schreibweise als die gefälligere obwohl etymologisch nicht richtige, zum Gebrauch empfehlen. 6) Ich zitiere die Kr. d. r. V. durchgehend nach den Ausgaben von ERDMANN und KEHRBACH. In Ermangelung der Originalausgaben halte ich diese Art des Zitierens für die zweckmäßigste (obwohl für mich mühevollste), weil nach KEHRBACHs Ausgabe die Ausgaben von ROSENKRANZ, HARTENSTEIN und KIRCHMANN, sowie die Originalausgaben A und B leicht verglichen werden können, während nach ERDMANN außer den Originalausgaben auch die Ausgabe von ADICKES, der wie ERDMANN die Originalpaginierung beifügt, leicht nachgesehen werden kann. 7) Mit Recht bemerkt VOLKELT ("Kants Erkenntnistheorie nach ihren Grundprinzipien analysiert", Seite 112), daß das Noumenon, welches mit den unbezweifelbar existierenden Ding ansich zusammenfällt, oft kaum zu unterscheiden ist von einem problematischen Noumenon in negativer Bedeutung, und daß KANT an einer Stelle beide sogar verwechselt. (ERDMANN 246, KEHRBACH 256) "Verstehen wir darunter nur Gegenstände einer nichtsinnlichen Anschauung, so müssen Noumena in dieser bloß negativen Bedeutung allerdings zugelassen werden." Zu vergleichen ist hiermit die Unterscheidung beider Arten Noumena auf ERDMANN 224 und KEHRBACH 685. Vgl. auch FALCKENBERG, Geschichte der neueren Philosophie, 1886, Seite 268. 8) Vgl. hierzu VOLKELT, a. a. O., Seite 89-90 und besonders Seite 91, ferner die lesenswerten Ausführungen in W. MÜNZ' "Die Grundlagen der kantischen Erkenntnistheorie", 1885, Seite 64, 65, 66, 75, 77; ebenso WINDELBAND, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. II, 1880, Seite 90f. 9) Wenn COHEN (a. a. O., Seite 520 und 615) KANT dem Noumenon den Wert eines Objekts absprechen läßt, so will er damit nicht sagen, daß das Noumenon verschieden ist vom transzendentalen Objekt. COHEN selbst brauch den Ausdruck transzendentales Objekt durchweg im Sinne des unbekannten Noumenons und Ding-ansich (vgl. Seite 506). Daß in der von ihm angeführten Stelle: "Der Begriff des Noumenon ist also nicht der Begriff von einem Objekt" (ERDMANN 247, KEHRBACH 257) "Objekt" im Sinne von "bestimmtes Objekt", "Erkenntnisobjekt", "Objekt der Erfahrung" zu verstehen ist, geht aus dem Zusammenhang, in dem sich die Stelle findet, hervor. Denn in der Folge führt KANT weiter aus, daß die Noumena nicht als "Gegenstände für unseren Verstand" behauptet, aber auch nicht schlechthin abgeleugnet werden können, daß der Verstand (vgl. das schon oben gegebene Zitat) sich einen Gegenstand ansich denkt, "aber nur als transzendentales Objekt" (im Gegensatz zu den bestimmten Objekten der Erfahrung), der die Ursache der Erscheinungen ist. "Wollen wir dieses Objekt Noumenon nennen, so steht uns dies frei." 10) Ich mache darauf aufmerksam, daß hier ausdrücklich gesagt wird, daß das Denken von Etwas überhaupt, welches oben als das transzendentale Objekt bezeichnet wurde, durch Abstraktion von aller Form der sinnlichen Anschauung entsteht. Mit dieser Erklärung würde die Stelle oben, daß das transzendentale Objekt sich nicht von den sinnlichen Daten absondern läßt, wollten wir sie in dem von uns abgewiesenen Sinn fassen, in einem vollen und unerklärlichen Widerspruch stehen. 11) Hiermit erledigt sich auch KOPPELMANNs gegen LOTZEs Ansicht der Gleichheit von Ding-ansich, transzendentalem Objekt und Noumenon gerichtet e Polemik, die sich auf diese Stelle stützt (diese Zeitschrift, Bd. 88, Seite 11) Ebenfalls ist VOLKELTs Ansicht (a. a. O., Seite 109), daß in der ersten Ausgabe der Kr. d. r. V. das Noumenon durchaus im Sinne eines Objekts einer nichtsinnlichen Anschauung zu nehmen ist, während das Noumenon im negativen Sinne erst der zweiten Ausgabe angehört, zu korrigieren. Nur die Formulierung des Terminus "Noumenon in negativer Bedeutung" gehört der zweiten Ausgabe an; der Sache nach ist das Noumenon in negativer Bedeutung durch den Satz: "Hieraus entspring nun der Begriff eines Noumenon, der aber gar nicht positiv ist", genugsam bezeichnet. 12) Vgl. KUNO FISCHER, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. III, 1882, Seite 428. "Wir sehen demnach, daß die Vernunft das Unbedingte oder das Ding-ansich ... vorstellen muß." - "So ist das Unbedingte kein Verstandesbegriff und kein Verstandesobjekt ..., sondern ein Vernunftbegriff". Derselbe, Bd. V, 1884, Seite 91: "Die Dinge ansich sind zwar keine Erkenntnisobjekte, aber notwendige Ideen." Vgl. auch ZELLER, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz, 1875, Seite 359, MONTGOMERY, "Die kantische Lehre widerlegt vom Standpunkt der Empirie", 1871, Seite 71, 72; CAIRD, A critical account of the philosophy of Kant, 1877, Seite 514, 522, 523 (die Synthesis der Vernunft ist transzendent) 525, 529 und öfter. - VOLKELT sagt zwar a. a. O., Seite 131: "So scheint denn zwischen den Ideen und dem Ding-ansich keinerlei Gemeinschaft zu bestehen", meint damit aber nur, daß KANT eine Anwendung der Ideen auf Dinge ansich verbietet, und spricht sich auch dahin aus, daß sie auf das Unbedingte, das Ding-ansich gehen (Seite 131, 133). Auch COHEN bezieht die Ideen auf das Ding-ansich (Seite 505, 512, 516 u. a.), wenngleich er das Unbedingte oder das Ding-ansich nur als das Ganze der Erfahrung, als Gegenstand gedacht, als Aufgabe und Grenzbegriff und als regulatives Zweckprinzip gelten lassen will. Indem aber der Abschluß der Zufälligkeit nach drei Richtungen hin erstrebt werden kann, gibt die Idee, als Prinzip des Obersatzes im Syllogismus, in der psychologischen, kosmologischen und theologischen Idee dem Unbedingten verschiedene Inhalte, geht also nicht nur auf das "Ganze" der Erfahrung als das Unbedingte überhaupt, sondern gestaltet es zu bestimmten Formen aus, denkt es als Objekte. Vgl. COHEN, "Kants Begründung der Ethik", Seite 36f. 13) KUNO FISCHER, Bd. III, Seite 437, 438, 440; ÜBERWEG-HEINZE, Bd. III, siebte Auflage, Seite 233, 260, 261; FALCKENBERG, a. a. O., Seite 287f. SCHOPENHAUER stellt in seiner "Kritik der kantischen Philosophie" (Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, Seite 510 die Sache drastisch so dar: "Die drei Kategorien der Relation geben drei allein mögliche Arten von Obersätzen zu Schlüssen, welche letztere demgemäß ebenfalls in drei Arten zerfallen, von welchen jede als ein Ei anzusehen ist, aus dem die Vernunft eine Idee brütet, nämlich aus der kategorischen Schlußart die Idee der Seele". - Vgl. auch Seite 576. 14) SCHOPENHAUER, a. a. O. Seite 580; CAIRD, a. a. O., Seite 537, 538, 660 und öfter; MONTGOMERY, a. a. O., Seite 72; ADICKES ("Kants Systematik als systembildender Faktor", 1887) hebt hervor, daß KANT in seinen von PÖLITZ herausgegebenen Vorlesungen über die Metaphysik, sowie in dem von BENNO ERDMANN veröffentlichten "Reflexionen Kants zur Kr. d. r. V." den Beweis, daß die Seele eine Substanz ist, eben aus dem Begriff "Ich denke" führt. - Was dort bewiesen ist, ist hier (unbeweisbare) Idee. Die Idee bezieht sich mithin auf die Ich-Substanz als Ding-ansich. 15) Auch VOLKELT faßt die psychologische Idee durchaus auf als die einfache Substanz als Ding ansich gehend, meint sogar, und nicht mit Unrecht, daß KANT sich durch die Ideen eine versteckte Erkenntnis der Dinge-ansich sichern wollte (a. a. O., Seite 134, 135, 137) - MONTGOMERY, Seite 190. 16) Hält man mit diesen Stellen, welche dartun, daß das "Ich denke" kein Begriff des Verstandes ist, solche zusammen, wie die folgenden, aus den Prolegomenen genommenen: "so wird der Verstand aus seinem Kreis getrieben, um ... teils sogar ... Noumena zu suchen" (§ 45, ERDMANN 90), oder: "der Verstand ist zu tadeln, "weil er das Substantiale des Dings als eine bloße Idee gleich einem gegebenen Gegenstand bestimmt zu erkennen verlangt" (§ 46) - Stellen, die zu beweisen scheinen, daß der Verstand auf das Noumenon geht, so muß man es allerdings erklärlich finden, daß NAKASHIMA das "Ich denke" zu einem Begriff der Vernunft machen und die Vernunftideen daher ganz vom Noumenon abtrennen, letzteres dagegen zu einem Begriff des Verstandes machen wollte. 17) Vgl. hierzu CAIRD a. a. O., Seite 537. - Es ist übrigens bemerkenswert, daß KANT, wo es sich um unzweifelhafte Vernunftideen handelt, sich auch dieses Ausdrucks oder des Ausdrucks transzendentale Idee bedient, während er hier wie vorher, ERDMANN 281, KEHRBACH 292 den Terminus "transzendentaler Begriff" setzt. 18) Daß diese und andere Ausdrücke in der Tat im Wesentlichen dasselbe besagen, will ich durch eine Zusammenstellung einer Anzahl Stellen der Kritik beweisen.
A) Also muß ein transzendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins' ... angetroffen werden. B) Diese ursprüngliche und transzendentale Bedingung' ist nun keine andere, als die transzendentale Apperzeption (ERDMANN 599, KEHRBACH 120). C) Dieses reine, ursprüngliche, unwandelbare Bewußtsein will ich die transzendentale Apperzeption nennen. - - - Die numerische Einheit dieser Apperzeption liegt a priori allen Begriffen zugrunde (ERDMANN 599, KEHRBACH 121). Folgerungen: 1. Transzendentale Apperzeption = ursprüngliche und transzendentale Bedingung = transzendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins. 2. Transzendentale Apperzeption = reines ursprünglich unwandelbares Bewußtsein. --- Ist numerische Einheit. 3. (aus 1 und 2) Reines ursprünglich unwandelbares Bewußtsein = transzendentaler Grund der Einheit des Bewußtseins = transzendentale Bedingung der numerischen Einheit. Stellen: D) Diese transzendentale Einheit der Apperzeption macht aus allen möglichen Erscheinungen ... einen Zusammenhang ... nach Gesetzen. Denn diese Einheit des Bewußtseins wäre unmöglich, wenn nicht das Gemüt in der Erkenntnis des Mannigfaltigen sich der Identität der Funktion bewußt werden könnte, wodurch sie dasselbe synthetisch in einer Erkenntnis verbindet (ERDMANN 600, KEHRBACH 121) Folgerung: 4. Transzendentale Einheit der Apperzeption = Identität der Funktion - numerische Einheit der Apperzeption = transzendentale Apperzeption = ursprüngliche Apperzeption = reines ursprüngliches unwandelbares Bewußtsein. Stellen: E) Also ist das ursprüngliche notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst zugleich ein Bewußtsein der Einheit der Synthesis. (ebd.) F) Alles empirische Bewußtsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein transzendentales (vor aller besonderen Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner selbst als die ursprüngliche Apperzeption (ERDMANN 605, Note; KEHRBACH 128, Note) Folgerung: 5. Transzendentales Bewußtsein = Bewußtsein meiner Selbst als die ursprüngliche Apperzeption = das ursprünglich notwendige Bewußtsein der Identität meiner selbst = Bewußtsein der Einheit der Synthese - Hieraus und aus 4 und 3. 6. Ursprünglich = transzendentales Bewußtsein = transzendental = ursprüngliche Apperzeption. Stellen: G) Es ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß die Vorstellung "Ich" in Bezug auf allen anderen ... das transzendentale Bewußtsein ist (ebd.) Folgerung: 7. Ich = transzendentales Bewußtsein = den Ausdrücken und 5 und 6. Stellen: H) Das stehende und bleibende Ich (der reinen Apperzeption) macht das Korrelatum all unserer Vorstellungen aus (ERDMANN 609, KEHRBACH 133). I) "Ich denke" - ... diese Vorstellung aber ist ein Aktus der Spontaneität. Ich nenne sie die reine Apperzeption oder auch die ursprüngliche Apperzeption, weil sie dasjenige Selbstbewußtsein ist, was, indem es die Vorstellung "Ich denke" hervorbringt ... die alle anderen muß begleiten können ... Ich nenne auch die Einheit derselben die transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins (ERDMANN 115, KEHRBACH 559). J) Dagegen bin ich mir meiner selbst in der transzendentalen Synthesis des Mannigfaltigen der Vorstellungen überhaupt, mithin in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption bewußt, nicht wie ... sondern nur daß ich bin (ERDMANN 130, KEHRBACH 676) Folgerung: 8. Ich denke = reine Apperzeption = ursprüngliche Apperzeption = stehendes und bleibendes Ich = transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins. - - - Hiernach = (5) transzendentales Bewußtsein = ursrpüngliches Bewußtsein (siehe 1, 2, 3, 4). 9. Transzendentale Synthesis des Mannigfaltigen = Synthese der ursprünglichen Einheit der Apperzeption = transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins (i) = ursprüngliche Apperzeption = Ich denke = 7. 6. = Bewußtsein, daß ich bin. Stellen (transzendentale Dialektik): K) In dem Vernunftschluß der ersten Klasse schließe ich vom transzendentalen Begriff des Subjekts der nichts Mannigfaltiges enthält (ERDMANN 281, KEHRBACH 292) L) Durch dieses Ich (die einfache und für sich selbst an Inhalt gänzlich leere Vorstellung Ich, wie sich aus dem unmittelbar vorhergehenden Satz erhellt) wird nun nichts weiter als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorstellt = X (ERDMANN 284, KEHRBACH 296) M) Hieraus folgt, daß der erste Vernunftschluß der transzendentalen Psychologie uns nur eine vermeintliche neue Einsicht aufheftet, indem er das beständige logische Subjekt des Denkens für die Erkenntnis des realen Subjekts der Inhärenz ausgibt (ERDMANN 615), KEHRBACH 299) Folgerung: 10. Transzendentales Subjekt der Gedanken = Ich = transzendentaler Begriff des Subjekts, der nichts Mannigfaltiges enthält = transzendentales Bewußtsein (7) = reine ursprüngliche Apperzeption (8) = synthetische Einheit der Apperzeption (9) 11) Das beständige logische Subjekt des Denkens = transzendentales Subjekt der Gedanken = Ich = Ich denke = synthetische Einheit der Apperzeption (10) = transzendentales Bewußtsein. Stellen: N) Allein dieses Ich ist so wenig Anschauung als Begriff von irgendeinem Gegenstand, sondern die bloße Form des Bewußtseins (ERDMANN 634, KEHRBACH 322). O) Man kann allen Schein darin setzen, daß die subjektive Bedingung des Denkens für die Erkenntnis des Objekts gehalten wird (ERDMANN 643, KEHRBACH 332). P) Weil ferner die einzige Bedingung, die alles Denken begleitet, das Ich in dem allgemeinen Satz Ich denke ist ... --- Sie ist aber nur die formale Bedingung, nämlich die logische Einheit eines jeden Gedankens (ERDMANN 643, 644; KEHRBACH 333, 334) Q) Folglich verwechsle ich die mögliche Abstraktion von meiner empirisch bestimten Existenz mit dem vermeinten Bewußtsein einer abgesondert möglichen Existenz meines denkendenn Selbst ... indem ich bloß die Einheit, welche allem Bestimmen als die bloße Form (ich schreibe "die bloße Form" statt des offenbar falschen "der bloßen Form" im Anschluß an E. WILLEs Verbesserungsvorschlag, Philosophische Monatshefte, Bd. 26, Seite 401) der Erkenntnis zugrunde liegt, in Gedanken habe (ERDMANN 297, Kehrbach 699). Folgerungen: 12. Bloße Form des Bewußtseins = Ich 13. Logische Einheit eines jeden Gedankens = formale Bedingung = subjektive Bedingung des Denkens = Ich (denke) = beständig logisches Subjekt des Denkens (11) = transzendentales Bewußtsein, synthetische Einheit der Apperzeption. 14. Die bloße Form der Erkenntnis = Einheit des Bewußtseins = bloß formales Subjekt = Ich = transzendentales Bewußtsein = Einheit der Apperzeption = synthetische Einheit der Apperzeption. 19) KUNO FISCHER, a. a. O., Seite 367: "Hier ist der höchste Punkt, bis zu welchem KANT in seiner Deduktion der reinen Verstandesbegriffe vordringt". Daß KANT der synthetischen Einheit der Apperzeption auch eine über das bloß Formale hinausgehende, inhaltlich-psychologische Deutung gibt, wozu namentlich die reproduktive Einbildungskraft Veranlassung gibt, soll dabei nicht geleugnet werden (VOLKELT, a. a. O., Seite 119, vgl. auch UEBERHORST, "Kants Lehre vom Verhältnis der Kategorien zur Erfahrung", Seite 25-35. 20) Vgl. WATSON, Kant and his English critics, 1881, Seite 297, 298. Zum Beweis dafür, daß KANT immer die Vernunftideen auf Dinge-ansich bezogen hat, sei auch noch eine Stelle aus den Rostocker Kanthandschriften (mitgeteilt von WILHELM DILTHEY; Brief an BECK vom 28. Januar 1792, Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 2, Seite 622) hier angeführt: "Nur nachdem ... gezeigt wurde, daß ... gleichwohl die Vernunft unvermeidlich auf das Unbedingte hinauszugehen antreibt, wo unser Denken transzendent wird, d. h. den Begriffen derselben als Ideen die objektive Realität gar nicht verschafft werden und also auch keine Erkenntnis der Objekte durch dieselbe stattfinden kann." - Ebenfalls mag eine Stelle aus der Kritik der Urteilskraft hier angeführt werden (Seite 33, Ausgabe von ERDMANN): "Der Verstand gibt durch die Möglichkeit seiner Gesetze a priori ... mithin zugleich Anzeige auf ein übersinnliches Subjekt, aber läßt dies gänzlich unbestimmt ... die Vernunft aber gibt ebendemselben durch ihr praktisches Gesetz a priori die Bestimmung." Die Vernunft ideen aber bahnen ja, wie KANT in der Kr. d. r. V. sagt, den Übergang an zu den moralischen Ideen. Sie erfüllen eine ganz ähnliche Mission, wie die Urteilskraft, die KANT in der Kr. d. r. V. ganz fortläßt und in der "Kritik der Urteilskraft" auch als regulatives Prinzip bezeichnet (z. B. Seite 34). Sie bereiten die praktische Bestimmung durch die praktische Vernunft. 21) ADICKES betont ("Kants Systematik als systembildender Faktor", 1887, Seite 96, 97) mit Recht, daß, wenn KANT behauptet, daß die Idee der absoluten Totalität nichts anderes als die Exposition der Erscheinungen betrifft, dies eine Inkonsequenz ist, da ja nach KANT die ganze Dialektik aus der Verwechslung der Erscheinungen mit Dingen-ansich herrührt und die Antinomien aus der Anwendung des Unendlichen auf Dinge-ansich resultieren. - Daß dieser Widerspruch aber "nur der Systematik zu verdanken" ist, glaube ich nicht. 22) Auch in der Kritik der praktischen Vernunft unterscheiden KANT scharf die dynamischen von den mathematischen Kategorien. Die letzteren sind transzendent. 23) Nach VOLKELT, a. a. O., Seite 119, ist KANT bestrebt, die transzendentale Apperzeption dem Ding-ansich anzunähern. Übrigens dürfte KANT mit dem regulativen Gebrauch der Vernunftideen hier ins Gedränge kommen. Er kann dem Vestand nicht zumuten, die Dinge in der Natur so zu betrachten, als ob sie durch Freiheit bewirkt werden. Dies beweist, daß die dritte Vernunftidee gar nicht kosmologisch, sondern psychologisch ist, Nur die menschlichen Handlungen sind so zu beurteilen. 24) Ich stimme ADICKES (Seite 107) vollständig bei, daß die vierte Antinomie eigentlich ganz überflüssig ist und zum transzendentalen Ideal gehört. Nur die Systematik, die 4 Antinomien erforderte, hat sie hervorgebracht. 25) COHEN scheint nur die eine Seite der Vernunfttätigkeit, die ich oben die formale nannte, gelten zu lassen. Doch vgl. Seite 522 und "Kants Begründung der Ethik", Seite 38f, wo von den transzendenten Objekten als Lösungsversuchen der Aufgabe des Dings-ansich durch die Vernunft die Rede ist. 26) In Übereinstimmung hiermit bemerkt WINDELBAND ("Geschichte der neueren Philosophie, Bd. II, Seite 103, daß die Möglichkeit, Dinge ansich anzunehmen, die am Schluß der transzendentalen Analytik gewonnen war, sich hier schon dahin spezialisiert, daß als diese Dinge ansich teils die intelligiblen Charaktere, teils die Gottheit betrachtet werden, die Anwendung bestimmter Kategorien auf das unbekannte Etwas, das dort Dinge ansich genannt wurde, hier als möglich betrachtet und damit die Auffassung von KANTs Inauguraldissertation wieder gestreift wird. |