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Einleitung in die Metaphysik
Erstes Kapitel Nachweisung der gegebenen, und zugleich widersprechenden Grundbegriffe § 116. Außer der Kenntnis der Probleme soll auch noch eine Leichtigkeit gewonnen werdne, den langen Weg der Untersuchung, wodurch die Probleme gelöst werden, ohne Ermüdung zurückzulegen. Schon deshalb würde eine vorbereitende, mehrseitige Beschäftigung mit den metaphysischen Gegenständen anzuraten sein; wenn es auch nicht Pflicht wäre, die beschränkende Angewöhnung an die Vorstellungsarten eines einzigen Systems zu vermeiden.
Aber (so wendet man ein), wie können denn die Erfahrungsbegriffe wirklich gedacht und von Jedermann gedacht werden, die unmöglich sind, die sich widersprechen? - Es ist seltsam, daß ein solcher Einwurf ernsthaft vorgebracht werden kann von Männern, deren jeder vielmals seinen Gegner gesucht hat ad absurdum zu führen. Der Gegner könnte sagen: was ich wirklich denke, das muß denkbar, also kann es nicht absurd sein. Auf diese Weise wären alle Irrtümer gerechtfertigt. - Und wäre man denn verlegen um die Antwort, die einem solchen Gegner gebührt? Man würde ihn auf sein dunkles, verworrenes Denken aufmerksam machen, in welchem er die widerstreitenden Merkmale nicht gesondert, also nicht verglichen hatte; gleich einem Träumenden, der das Ungereimteste wirklich träumt, beim Aufwachen aber diese Wirklichkeit keineswegs für einen Beweis von der Denkbarkeit des Geträumten hält. Die erhobenen Zweifel waren von zweierlei Art. Die ersteren traten der Meinung entgegen, als ob wir durch die Sinne eine Kenntnis von der wahren Beschaffenheit der Dinge zu erlangen hoffen dürften. Die folgenden betrafen die Form der Erfahrung, und es wurde der Verdacht erregt, daß diese Form überhaupt nicht gegeben, sondern ersonnen ist. In Anbetracht des Ersten wird sich leicht der Zweifel in die Gewißheit verwandeln lassen, daß wir das Was der Dinge nicht erkennen, wenigstens nicht auf dem Weg einer, auch noch so weit fortgesetzten Erfahrung und Beobachtung. Dazu gehört nur eine bestimmtere Erneuerung der schon oben angedeuteten Reflexionen. Was hingegen die Formen der Erfahrung betrifft: so ist eben die Konsequenz, mit welcher oben die sämtlichen Formen zugleich angegriffen sind, das sicherste Heilmittel gegen diese Art des Zweifels. Man erträgt es allenfalls, die eine oder die andere Form, z. B. der Kausalität oder der Zweckmäßigkeit, ernsthaft unter Verdacht zu stellen: wer sich aber auf einen Augenblick überwinden wollte, sich alle seine einfachen Empfindungen als eine völlig formlose, chaotische Masse vorzustellen, den würde sehr bald die Notwendigkeit, ihnen die längst bekannten Formen von neuem beizulegen, von allen Seiten ergreifen; und es würde vom vorigen Zweifel nichts anderes als die sehr gerechte Verwunderung übrig bleiben: wie es möglich ist, so mannigfaltige Formen jeden Augenblick wirklich wahrzunehmen, die doch in der Tat weder für sich allein, noch in der Materie des Gegebenen können angetroffen werden. - Indem man nun diese, allerdings schwierige, aber die Grundlage der Metaphysik gar nicht berührende, vielmehr lediglich psychologische Frage noch auf lange hin beiseite setzt; indem man zugleich zur festen Anerkennung der Tatsache zurückkehrt, daß die Formen gegeben, und für jeden einzelnen sinnlichen Gegenstand auf eine ihm eigene, bestimmte Weise gegeben sind: findet man sich dadurch zuvörderst wieder auf den Standpunkt der gemeinen Weltansicht zurückversetzt; allein es wird sich zeigen, daß uns Begriffe durch die Erfahrung wirklich aufgedrängt werden, welche sich dennoch nicht denken lassen; daß wir das Gegebene nicht als ein solches behalten können, als welches es sich vorfindet, daß wir folglich, da das Gegebene sich nicht wegwerfen läßt, es im Denken umarbeiten, es einer notwendigen Veränderung unterwerfen müssen: welches eben die Absicht der Metaphysik ist.
Daraus hat sich erst eine Verwunderung, woher doch die spekulativen Begriffe stammen möchten? - und allmählich eine immer festere Behauptung gebildet, es gebe noch eine andere Quelle des Wissens, unabhängig von der Erfahrung, und was aus beiden kommt, das stimmt nicht durchgehend zusammen, sondern aus der Mischung sind allerlei Mißhelligkeiten entsprungen. Darauf hat man dann auch die hier im Folgenden anzugebenden Widersprüche gedeutet; ohne übrigens sich auf eine pünktliche Untersuchung einzulassen. Das Was der Dinge wird uns durch die Sinne nicht bekannt. Denn
Zweitens: die Mehrheit der Eigenschaften verträgt sich nicht mit der Einheit des Gegenstandes. Wer auf die Frage: was ist dieses Ding? antworten will, der antwortet durch die Summe seiner Kennzeichen; nach der Formel: dieses Ding ist a und b und c und d und e. Wollte man diese Antwort buchstäblich nehmen, so wäre sie ungereimt, denn die Rede war von einem, also nicht von vielem, das bloß in ine Summe sich zusammenfassen, aber zu keiner Einheit sich verschmelzen läßt. Aber man soll die Antwort so verstehen, das Ding sei der Besitzer jener Eigenschaften, und an denselben zu erkennen. Eben darum nun, weil man es erkennen muß an dem, was es hat, und nicht durch das, was es ist: sieht man sich gezwungen zu gestehen, daß das Ding selbst, der Besitzer jener Kennzeichen, unbekannt bleibt. Wäre es auch unbegreiflich wie wir Gestalt,Größe, Solidität der Körper, samt dem Vorher und Nachher der Ereignisse, erkennen mögen: steht dennoch alles in bestimmten räumlichen und zeitlichen Begrenzungen vor uns, die wir zwar wohl durch Abstraktion ganz hinwegheben, aber durch keine willkürliches Vorstellen so umwandeln können, daß uns jetzt andere und entgegengesetzte Begrenzungen statt der vorigen erschienen. Auch ist uns unmöglich, die Körper für bloße Oberflächen zu halten, denn sie erscheinen und als Etwas (das Erscheinende ist positiv bestimmt); unter einer Fläche aber verstehen wir eine bloße Grenze (die sich nur durch Negation denken läßt); so daß wir genötigt sind, das Etwas als ein Ausgedehntes, Solides, zwischen die Oberflächen hineinzudenken. Allein dieses Denken ist nicht einig mit sich selbst. Das Ausgedehnte soll sich dehnen durch viele , verschiedene, auseinander liegende Teile des Raums; hier erinnert schon der Ausdruck, daß Eins, welches sich dehnt, dasselbe sein soll mit dem Vielen, worin es durch die Dehnung zerreißt. Indem wir Materie denken, beginnen wir eine Teilung, die wir ins Unendliche fortsetzen müssen, weil jeder Teil noch als ein Ausgedehntes gedacht werden soll. Eine bestimmte Angabe dessen, was wir eigentlich gedacht haben, ist hier unmöglich; denn unsere Vorstellung der Materie ist jederzeit noch im Werden begriffen, sie wird niemals fertig. Wir begnügen uns also mit der allgemeinen Formel, und erklären die Materie für das, was immer noch weiter geteilt werden kann. Nun ist zwar offenbar, daß wir im Denken von der Einheit (dem Teilbaren) angefangen haben, und zum Vielen (den Teilen) allmählich fortgeschritten sind. Dennoch liegt es nicht im Begriff der Materie, daß das wirkliche Ding, der Körper, auch so aus einer zerfließenden Einheit erst erzeugt wird, sondern daß es vorhanden ist ohne eine Vermehrung der Teile; vorhanden als die Summe aller Teile, deren jeder für sich bestehen kann, unabhängig von den übrigen Teilen; welches gerade die Teilung selbst beweisen wird. Denn man kann teilen wo und wie vielfach man will; immer wird das Getrennte gerade dasselbe sein und bleiben, wie zuvor in der ihm völlig zufälligen Anhäufung. Dieses unabhängige Dasein aller materiellen Teile nun erreichen wir im Denken niemals, solange wir die Teile erst durch die Teilung aus dem Teilbaren hervorgehen lassen; wie es doch der Begriff des Ausgedehnten, des Raumerfüllenden mit sich bringt. Wir erreichen demnach niemals das, was unserer Meinung nach, an der Materie wahrhaft ist; denn wir kommen nicht zu allen Teilen, nie zu den letzten Teilen, weil wir die Unendlichkeit der aufgegebenen Teilung sonst überspringen müßten.
Wenn das wahr ist, und sich hier in die Anwendung der Geometrie nicht irgendein Mißverständnis einmischt: so haben wir nun in der Materie den doppelten, vollständigen Widerspruch: erstens, einer endlichen Größße, welche eine Menge unendlich vieler Teile ist; zweitens, eines Etwas, welches wir uns als ein Reales vorstellen, obgleich wir das wahrhaft für sich bestehende Reale (die letzten Teile) nie erreichen, vielmehr immer an der ihm zufälligen, nichtigen Form der Aggregation kleben bleiben, ja sogar aus dem vorausgesetzten Realen zu einem erscheinenden Etwas im Denken niemals zurückkehren können. - Ein endliches Reales meinten wir zu haben, indem wir Materie sahen und fühlten; die Unendlichkeit schiebt sich in das Endliche hinein, und doch kann sie den endlichen Umfang nicht vergrößern; die Realität weicht zurück, sie verliert sich im Unendlichkleinen, und wenn sie selbst da noch wäre, wir könnten sie ebensowenig als Grundlage des vor uns stehenden Realen gebrauchen, da wir wenig geneigt sind, diese Realität fahren zu lassen, und die Materie zum bloßen Schein zu erklären. Wenn nun auch die Philoosphen Recht hätten, welche der Materie eine endlose Füllen von Teilen ernsthaft zugestehen, sie selbst aber dagegen als bloße Erscheinung (einen beständigen, gesetzmäßigen Schein) erklärt haben: so wäre eben damit bewiesen, daß man den gemeinen Erfahrungsbegriff der Materie einer Veränderung im Denken hat unterwerfen müssen.
Dieselben Betrachtungen, wie vom Realen im Raum, gelten vom Geschehen in der Zeit. Zuerst: Wenn in Anbetracht der Zeit selbst, jemand fragt, wieviele Teile ein gegebenes Quantum derselben in sich faßt: wir würden darauf ebensowenig zu antworten wissen, als auf die Frage, wieviele auseinander liegende Stellen ein gegebenes Quantum des Raums in sich schließt? Die Geometer antworten, daß Zeit und Raum ins Unendliche teilbar sind. - Ferner, die Erfüllung der Zeit durch das Geschehen und durch die Dauer erfordert noch offenbarer, als beim Raum, daß auf das Erfüllende die Unterscheidung der unendlich vielen Zeitteilchen übertragen wird; denn der Raum gestattet dem Körper, der ihn erfüllt, leere Zwischenräume, aber ähnliche leere Zwischenzeiten würden die Vernichtung und das Wiederentsehen dessen bezeichnen, was in der Dauer und dem Geschehen begriffen ist. Was geschieht, nimmt die Zeit ein; es ist in derselben gleichsam ausgedehnt. Was geschehen ist, zeigt sich im Erfolg als ein endliches Quantum der Veränderung. Dieses Endliche soll die unendliche Menge dessen in sich fassen, was in allen Zeitteilchen nacheinander geschah. Das wirkliche Geschehen, aus dem sich der Erfolg zusammensetzt, zerfließt, wie klein wir es fassen mögen, immer wieder in ein Vorher, ein Nachher, eine Mitte zwischen beiden; es ist immer selbst schon Erfolg, also kein wirkliches Geschehen. Aus einfachen Veränderungen die ganze Veränderung zusammenzusetzen, verbietet man uns, wie aus einfachen Zeitpunkten die Zeit zu konstruieren. Unsere Vorstellung vom Geschehen also ist ein Wahn, denn je mehr wir sie zergliedern, desto deutlicher sehen wir, daß sie ihren eigentlichen Gegenstand nicht enthält, sondern vergebens sucht und nur darum sucht, damit Unendlich-Vieles in endliche Grenzen eingeschlossen wird. Wie das Unendlich-Kleine, so hat auch das Unendlich-Große in Zeit und Raum seine Schwierigkeiten. Zwar im Hinblick auf die Zeit und den Raum selbst sind dergleichen Schwierigkeiten nur eingebildet, und sie können höchstens entstehen, wenn man sich selbst die gemeine und richtige Vorstellungsart verdirbt, nach welcher Zeit und Raum, als leere Formen, bloß die Möglichkeit anzeigen, daß in beliebigen Distanzen ein Dasein und Geschehen angetroffen werden kann. Das Leere kann dieser Möglichkeit keine Grenzen setzen; daher müssen Zeit und Raum als unendliche Größen, jener von einer, dieser von drei Dimensionen, gedacht werden, jedoch mit gutem Bewußtsein, daß es Gedankendinge sind, die nur entstehen, indem wir jene Möglichkeit in ihrer ganzen Weite zu umfassen suchen; und die nichts mehr bedeuten, wenn abstrahiert wird von der Absicht, das Daseiende und das Geschehende in seinen gegebenen und denkbaren Grenzen aufzufassen. Aber von der Welt hat man die Frage aufgeworfen, ob sie endlich oder unendlich ist in Zeit und Raum?`Und hier kann es ebenso schwer scheinen, Grenzen anzunehmen, jenseits deren nur das Leere, also kein Begrenzendes, mehr läge, als die wirklich vorhandenen Ding, die wirklich geschehenden Ereignisse, in unendliche, also unbestimmbare Weiten hinaus zu verfolgen. Doch die Mißverständnisse, welche sich dahinter verstecken, sind weniger bedeutend; und liegen überdies außerhalb des Kreises des Gegebenen, also der metaphysischen Prinzipien, mit denen wir es hier allein zu tun haben.
In § 118 haben wir die Betrachtung der Dinge mit mehreren Merkmalen so weit geführt, daß der Begriff vom Ding selbst, als dem unbekannten Besitzer mehrerer Eigenschaften, zum Vorschein kam. Dahin treibt uns die zwar rätselhafte, aber dennoch unleugbare Form des Gegebenen, nach welcher die Materie desselben (die einfachen Empfindungen) nicht einzelnen, sondern in bestimmten Gruppen angetroffen wird. Denn obgleich gar kein Band, das die Merkmale zusammenhält, weder für sich allein, noch in und mit den Merkmalen wahrgenommen wird; so finden wir es dennoch unmöglich, das Gegebene so anzuschauen, als ob die Merkmale, aus ihren Gruppen heraustretend, andere neue Verbindungen eingingen, und dadurch neue sinnliche Dinge bildeten, in denen die Kennzeichen der gegenwärtigen Dinge untereinander vertauscht wären. Wir finden es schon schwer, von aller Gruppierung zu abstrahieren, und statt der Dinge die bloße Materie dessen, wodurch Dinge gegeben werden, uns vorzustellen; aber wenn wir vollends im willkürlichen Denken andere Komplexionen dieser Materie, als die bekannten und für gegeben gehaltenen, aussinnen wollen, dann empfinden wir den Widerstreit dieses willkürlichen Denkens mit der Anschauung; die letztere will sich jene ersonnenen Komplexionen nicht unterschieben lassen; wir finden uns gebunden, nur die bisherigen Komplexionen für gegeben gelten zu lassen, und das heißt ebensoviel wie: sie sind wirklich gegeben. Ohne uns nun weiter mit der Frage zu beschäftigen, wie sie gegeben sind; kommt es hier vor allem darauf an, sich zu besinnen, daß wir die Dinge nur durch ihre Merkmale kennen, daß aber die mehreren Merkmale nur zusammen ein Ding bezeichnen, daß wir also gar nicht von Dingen reden, und nichts davon wissen würden, wenn nicht die Merkmale in ihren Komplexionen vor uns lägen. Es muß demnach der obige Begriff des Dings, als des unbekannten Besitzers der mehreren Eigenschaften, sich doch wenigstens mit der Mehrheit der Merkmale vertragen; damit der Anfang und das Ende unserer Vorstellung von einem Ding nicht miteinander in Streit geraten. Nun ist es schon ein schlimmes Zeichen, daß, wie wir gesehen haben, dieselben Merkmale, vermögen deren wir wissen, daß ein Ding da ist, gar nicht angeben können, was dasselbe Ding ist. Dadurch schon entfernt sich das Ding, (welches Eins sein soll,) von den vielen Merkmalen. - Aber aus der Forderung, das Ding solle die vielen Merkmale besitzen, entwickelt sich gar ein Widerspruch. Das Besitzen oder Haben der Merkmale muß auf was für eine Weise auch immer doch am Ende dem Ding als etwas seiner Natur Eigentümliches, als eine Bestimmung seines Was, zugeschrieben werden: denn von ihm selbst wird gesagt, daß es jene Vielen habe und besitze. Dieses Besitzen ist ein ebenso vielfaches, und ebenso verschiedenes, als die Eigenschaften, welche besessen werden. Es ist folglich ebensowenig wie sie fähig, zur Antwort zu dienen auf die einfache Frage: was ist dieses Ding? Diese Frage erfordert eine einfache Antwort; sie stößt jede Vielheit aus, mit der man sie würde beseitigen wollen; jeder Umschweif ist hier entweder eine Unwahrheit, oder doch eine Verzögerung der rechten Auskunft über dasjenige, von dem eigentlich gesagt wird, daß es ist, und Eigenschaften hat, die es in sich vereinigt. Können wir nun das vielfache Besitzen der vielen Eigenschaften nicht auf einen einfachen Begriff zurückführen, der sich ohne allen Unterschied mehrerer Merkmale denken läßt; so ist der Begriff vom Ding, dem wir doch diesen vielfachen Besitz als seine wahre Qualität beilegen müssen, weil wir es durch die vielen Merkmale kennen lernten, ein widersprechender Begriff; der einer Umarbeitung im Denken entgegensieht, weil er, als aus dem Gegebenen stammend, nicht verworfen werden kann. Es folgt die Betrachtung des Kausalbegriffs in welcher gleich Anfangs verschiedene Grundgedanken gesondert werden müssen. - Es ist zwar gewiß, daß dieser Begriff nicht gegeben wird; er entsteht vielmehr in einem notwendigen Denken, wovon weiter unten ein Mehrers. Allein nichtsdestoweniger hat alle Kenntnis bestimmter Ursachen von bestimmten Wirkungen ihre Grundlage im Gegebenen; welche das bloße Auffinden einer Zeitfolge überschreitet. Die Zeitfolge ist nur Eine für Alles, was zugleich anfängt, geschieht, und aufhört; sie wiederholt sich niemals, denn es kann weder das Vergangene noch einmal gegenwärtig werden, noch verbinden sich jemals in einem folgenden Zeitpunkt alle Ereignisse genau so, wie in einem vorhergehenden. Aber die Erfahrung bringt und dahin, daß wir aus allem, was zugleich geschieht, einiges Vorhergehende herausheben, um es mit einigem Folgenden zu verbinden; und daß wir zwar alles übrige, gleichzeitig Vorhergehende, als für jenes bestimmte Folgende unbedeutend, und mit ihm nicht zusammenhängend ansehen, dagegen aber das herausgehobene Vorhergehende und Folgende als unzertrennlich betrachten. Noch mehr: diese herausgehobene Folge von Erscheinungen finden wir wieder; und erwarten sie wieder in der Zukunft; wir sehen die Regel der Folge an als eine bleibende, zum Wesen der Dinge gehörige, wie behaupten sogar, daß nichts Neues geschieht, indem eine solche Regel ihre Erscheinung wiederholt. - Fragen wir nun nach dem wahrgenomenen Band, welches die Unzertrennlichen zusammenhält, während es die zufälligen Nebenumstände zur Seite läßt: so vermissen wir freilich dessen Erscheinung; es ist weder für sich allein, noch in den Verbundenen sichtbar. Versuchen wir aber, statt des bisher angenommenen Bandes ein anderes unterzuschieben, - versuchen wir also, aus gewissen Vorzeichen andere Erfolge statt der bisherigen zu erwarten (als ob einerlei wäre, welche Ursachen man welchen Wirkungen zueignen will); - so finden wir uns auch hier genötigt, es beim Alten zu lassen. Denn die bisher beobachtete Stetigkeit in der Folge der Erscheinungen bleibt sich gleich; und die Möglichkeit eines verständigen und zweckmäßigen Handelns in der Welt beruth nach wie vor auf der Bedingung, daß wir diese Stetigkeit so genau wir nur möglich von allem zufälligen Zusammentreffen der Ereignisse zu unterscheiden und unsere Handlungsweise danach einzurichten uns bemühen. So müssen wir also auch hier das Band der Erscheinungen für ein gegebenes gelten lassen, wenn schon wir nicht begreifen, wie es gegeben sein kann. Eine andere Überlegung muß mit der vorigen verbunden werden. Ganz abgesehen von Vorzeichen und Erfolgen (wir wir einstweilen statt Ursachen und Wirkungen, der Vorsicht wegen sagen können,) entdeckt sich uns eine merkwürdige Form im Gegebenen, die Veränderung. So gewiß uns Komplexionen von Merkmalen, die wir Dinge nennen (§ 7), erscheinen: ebenso gewiß nehmen wir wahr,, daß aus diesen Komplexionen Merkmale verschwinden, andere, oft jenen entgegengesetzte, sich einfinden; so daß das Ding, nach seinen Merkmalen beurteilt, nicht mehr dasselbe ist, wie zuvor. Diese Veränderungen nun sind es eben, zu welchen wir Ursachen nicht bloß hinzudenken, sondern auch hinzusuchen; und nicht bloß suchen, sondern sehr häufig auch angedeutet finden durch die vorbemerkte Stetigkeit im Zusammenhang der Vorzeichen und Folgen. Hier muß zweierlei, leicht zu Verwechselndes, genau unterschieden werden. Erstens eine gewisse, weiter zu erläuternde, Notwendigkeit im Denken, vermöge deren wir die Ursache der Veränderung suchen, und voraussetzen, auch wenn sie unbekannt ist und bleibt. Zweitens jene gegebene Unzertrennlichkeit der Vorzeichen und Folgen. Es trifft nun häufig das Gegebene zusammen mit der Notwendigkeit im Denken; wir halten alsdann die gefundenen Vorzeichen für die gesuchten Ursachen, die Erfolge für die Wirkungen, und so schmilzt der gedachte Zusammenhang mit dem beobachteten in Eins. Häufig aber fehlt zu dieser Voraussetzung die entsprechende Erfahrung; dann bleibt nichtsdestoweniger jene in Kraft, und nach dieser wird fortdauernd in der Beobachtung geforscht. Jetzt werde aus dieser gesamten Exposition derjenige Begriff herausgehoben, an welchen sich die ganze Vorstellungsart lehnt. Es ist nicht der vom Zusammenhang der Vorzeichen und Erfolge; dieser wird vielmehr gedeutet auf den der Ursachen und Wirkungen. Es ist auch nicht der Begriff der Kausalität; dieser kommt erst hinzu, nachdem das Bedürfnis, Wirkungen aus Ursachen zu erklären, erregt ist. Sondern es ist der, mit dem Gegebenen sich unmittelbar aufdringende, Begriff der Veränderung. Indem die Veränderung angesehen wird als eine Wirkung, wird die Ursache in den stets begleitenden oder stets vorhergehenden Umständen gesucht. Daß nun der Begriff der Veränderung einen Widerspruch enthält, läßt sich zwar leicht zeigen: allein die damit zusammenhängenden Betrachtungen sind so wichtig, daß ihnen das ganze folgende Kapitel gewidmet werden soll. Zuvor ist noch von der Verbindung aller Vorstellungen im Ich zu reden. Die Form der Zweckmäßigkeit aber kann hier füglich übergangen werden, da alles, was darüber zu sagen ist, in einen ganz anderen Zusammenhang gehört. Unter den angegebenen skeptischen Vorstellungsarten scheint diejenige die schwächste zu sein, welche den gegebenen Zusammenhang der Vorstellungen im Bewußtsein leugnen will. Es ist zwar gewiß, daß Vorstellungen äußerer Dinge als solche nicht zugleich etwas Inneres darstellen; und daß unter den Merkmalen ihrer Gegenstände sich in der Regel nichts findet, was auf ihre Verbindung in unserem Innern hinweist. Allein unsere Vorstellungen selbst können wir uns von neuem vorstellen; wir können die Vorstellungen, die wir uns zuschreiben, von den vorgestellten Dingen unterscheiden; wir sind uns mannigfaltiger Tätigkeiten, welche auf dieselben Bezug haben, bewußt, als des Denkens, Wollens, der Aufregung unserer Gefühle, Begierden, Leidenschaften, durch die teils gegebenen, teils auch nur wiedererweckten Vorstellungen. Indem nun unser Inneres zum Schauplatz wird für so mancherlei auf demselben vorhergehende Veränderungen: haben wir von diesem Schauplatz wiederum eine Vorstellung, vermöge deren er nicht bloß die Form des Beisammenseins aller anderen Vorstellungen, sondern selbst ein realer Gegenstand ist; nämlich die Vorstellung Ich, mit welchem Wort das eigentümliche Selbstbewußtsein eines jeden sich ausspricht. Von der Realität dieses Ich besitzen wir eine so starke, unmittelbare Überzeugung, daß, wie mit Recht bemerkt wurde, dieselbe in der Beteuerungsformel: so wahr wie ich bin, zum Maßstab aller anderen Gewißheit und Überzeugung gemacht wird. Es kann sogar die nämliche Überzeugung noch sehr beträchtlich verstärkt, sie kann zum eigentlichen Mittelpunkt und Befestigungspunkt aller anderen Überzeugung erhoben werden. Dahin leiten gerade dieselben skeptischen Vorstellungsarten, welche oben entwickelt worden sind. Zuvörderst fasse man die skeptische Nachweisung, daß die Formen der Erfahrung im wahrhaft gegebenen nicht angetroffen werden, zusammen mit der Überlegung, daß wir dennoch in ihrer Auffassung gebunden sind, und daß ohne sie unsere ganze Erfahrung sich in einen, nichtsbedeutenden Schein verwandeln würde. Wenn nun die Formen zwar nicht gegeben, aber dennoch vorhanden sind: woher könnten sie ihren Ursprung nehmen?, als in unserem eigenen Inneren? - Hieraus entsteht die Ansicht, unser gesamtes Wissen beruhe zwar im Hinblick auf die einfachen sinnlichen Empfindungen auf etwas Äußerem, das heißt, auf etwas uns Fremdem, von uns Unabhängigen; allein es beruth ebenso sehr auf den formalen Bestimmungen (des Raums, der Zeit, der Begriffe von Substanz und Ursache usw.), welche wir selbst nach gewissen Gesetzen unseres Auffassens und Denkens an jener Materie des Gegebenen unwillkürlich erzeugen. Das Recht zu dieser Art des Auffassens und Denkens liegt in der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit derselben; aber weil eben diese Notwendigkeit gänzlich in uns selbst begründet ist, so kann man auch das auf diesem Weg entstandene Wissen gar nicht für eine Kenntnis wirklich außerhalb von uns vorhandener Gegenstände halten. Es ist deshalb keine Kenntnis von Dingen-ansich, sondern nur von Erscheinungen möglich. Was aber jenes Äußere, Fremde, von uns Unabhängige anlangt, von welchem die Materie des Gegebenen herrühren mag, so muß der Begriff desselben weiter nicht bestimmt werden, indem jeder Versuch, denselben im Nachdenken zu verfolgen, nur vergeblich ausfallen kann. So scharfsinnig nun auch diese Ansicht, und so nachdrücklich sie unterstützt ist durch die Autorität eines wahrhaft großen Denkers; so konnte doch nicht unbemerkt bleiben, daß es ihr an innerer Vollendung mangelt. Es ist nämlich schon zuviel gesagt, daß die Materie des Gegebenen von etwas Fremdem herrühren mag. Das Fremde ist keineswegs gegeben, es ist hinzugedacht auf eben die Weise, wie wir überhaupt zu dem, was geschieht, Ursachen hinzuzudenken pflegen. Es gehört also selbst zu den Vorstellungsarten, die wir nach den Gesetzen unseres Denkens bilden, und die keine von uns unabhängige Realität haben. Wir können überhaupt gar nicht aus unserem Vorstellungskreis herausgehen, wir haben gar keinen Gegenstand des Wissens als unsere Vorstellungen und uns selbst; und die ganze Anstrengungen unseres Denkens kann nur darauf gerichtet sein, daß uns der notwendige Zusammenhang des Selbstbewußtseins mit den Vorstellungen einer äußeren Welt in allen Punkten klar wird. Diese Behauptung des strengen Idealismus hebt demnach das Ich, als das einzige Reale hervor, dessen Vorstellung all das Übrige ist, was man für real gehalten hat oder noch halten wird. An die Stelle der Untersuchung über Dinge, deren Eigenschaften und Kräfte, setzt sie die Untersuchung, nach welchen Gesetzen des Anschauens und Denkens wir dazu kommen, Dinge und einen Zusammenhang derselben anzunehmen. Das Prinzip aber für diese Untersuchung ist der Begriff des Ich selbst, höchstens noch mit Beifügung der ursprünglich vorgefundenen Bestimmung, daß das Ich nicht bloß Sich, sondern auch alles Nicht-Ich, setzt, d. h. als real vorstellt. Wie fremdartig nun diese Betrachtung den vorhergehenden scheinen mag: so gehört sie dennoch ganz in die gleiche Reihe mit jenen. Das Ich, samt seinem Setzen des mannigfaltigen Nicht-Ich, ist ein unleugbar Gegebenes, d. h. vor allem Philosophieren Vorgefundenes; es ist ein Datum zur Untersuchung. Aber noch mehr: es ist auch ein Prinzip der Untersuchung in dem früher angegebenen Sinne. Denn dieser gegebene Begriff ist voll der härtesten Widersprüche; er kann demnach so, wie er vorgefunden wird, im Denken nicht bestehen; viel weniger ist er imstande, das System der Metaphysik, oder gar der ganzen Philosophie, nach der Absicht des Idealismus zu tragen. Ohne die Widersprüche hier ganz auseinanderzusetzen, welches zu weitläufig wäre, müssen wir als Probe Folgendes bemerken:
2) Wenn wir uns genau fragen, was oder wen wir eigentlich vorstellen, indem wir Uns selbst denken: so muß zuvörderst das Individuum vom reinen Ich geschieden werden. Das Individuum, - der Mensch mit allen seinen Bestimmungen, - erscheint als ein Ding unter der Zahl der übrigen Dinge, als ein Teil der Welt. Von der ganzen Welt aber ist gesagt worden, sie sei nur Erscheinung im Ich. Dieses letztere Ich, welches das Vorstellende ist zu sich selbst, dem Inidividuum, gerade so wie zur übrigen Welt; wie kennt es sich selbst? - Hier ist eine neue Unterscheidung nötig. Es kennt sich teils als vorstellend die Welt (zu welcher seine eigene Individualität mit gehört), teils aber als sich selbst vorstellend. Allein als die Welt vorstellend mag es eine vorstellende Kraft überhaupt sein; es ist jedoch insofern noch nicht wahrhaft Ich, welcher Begriff bloß das in sich zurückgehende Selbstbewußtsein bezeichnet. Das reine Selbstbewußtsein nun also, wen stellt es eigentlich vor? Das Ich stellt vor Sich, d. h. sein Ich, d. h. sein Sich vorstellen; d. h. sein Sich als Sich vorstellend vorstellen usw. Das alles läuft ins Unendliche. Man erkäre jedesamal das Sich durch sein Ich, und dieses Ich wiederum durch das Sich vorstelle, so wird man eine unendliche Reihe erhalten, aber nimmermehr eine Antwort auf die vorgelegte Frage, die sich vielmehr bei jedem Schritt wiederholt. Das Ich ist also ein Vorstellen ohne Vorgestelltes; ein offenbarer Widerspruch. Weit entfernt also, daß der Idealismus eine feste Grundlage für alles Wissen abgeben sollte, fehlt es ihm vielmehr selbst an der Grundlage. Er dient aber dazu, uns mit neuen Problemen bekannt zu machen, nämlich mit denen, die im Begriff des Ich liegen und an denselben geknüpft sind. Nachdem diese Ansicht einmal gefaßt wurde, wird es nicht nötig sein, in der gegenwärtigen Einleitung noch weiterhin, außer bei vorkommender Gelegenheit, den Idealismus zu erwähnen. Wie verführerisch derselbe aber für diejenigen habe sein müssen, welche die mannigfaltigen Schwierigkeiten realistischer Behauptungen wohl kannten: dies wird sich aus dem Folgenden immer mehr erhellen.
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