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OSWALD WEIDENBACH
Der idealistische Begriff des Subjekts

"Für den Empiristen ist die Erfahrung sinnliche Wahrnehmung. Die Welt (die allerdings fehlerhafterweise zu Beginn einerUntersuchung schon als fertig vorausgesetzt wird) ist nach der empiristischen Theorie nichts anderes als eben die Ausgestaltung jener sinnlichen Wahrnehmung zu einer großen subjektiven Phantasmagorie. In den Nerven und Sinnesorganen haben wir den metaphysischen Mechanismus, dessen Produkte  Erfahrungen  sind."

"Die Idee ist der allgemeine Entwurf der Wirklichkeit, mögen wir uns nun mit religiöser Inbrunst in die tiefste Einheit des Seins versenken, damit sie uns zum lebendigen Gott wird, oder mögen wir sie als triviale Selbstverständlichkeit, ohne die es ja weder ein Denken noch Gegenstände geben kann, verschweigen: immer ist die Form, in der wir das Sein als Totalität  haben,  nur eine gefühlsmäßige, unbestimmte, im besten Fall symbolische."

"Das Prinzip der Persönlichkeit kann höchstens als eine der eigentlichen Grundlegung vorangehenden Propädeutik, als eine Erziehung zur Wahrhaftigkeit Geltung behalten. Die eigentlichen Rechte des Seins aber werden im Leben zwischen den Subjekten von ethischen, religiösen und rechtlichen Prinzipien gewahrt. In ihnen wird nicht nur die Erkenntnis, sondern auch der Wille, wie schlechthin alles, was das Subjekt konstituiert, der Idee als dem eigentlichen Sein unterworfen. In der Idee ist alle Einzelheit des Subjekts aufgehoben. Die Idee ist Macht und vernichtet mittels der  Arbeit  (in jeglicher Bedeutung) die Vereinzelung durch die Darlegung positiver Zusammenhänge."


Der Empirismus und der Idealismus sind typische Erscheinungen, fast könnte man sagen, es sind die zwei charakteristischen Temperamente, durch die das Erlebnis des Seins überhaupt vom Menschen beurteilt wird. Im Idealismus der Sinn für die strenge Zusammengehörigkeit alles Besonderen in der Einheit des Gesetzes, das Durchdrungensein aller Erscheinungen mit der Notwendigkeit des Logos, wenn anders sie Anspruch auf wirkliches Sein erheben wollen; im Empirismus das Gefühl für das Preisgegebensein des Menschen an Irrtum und Halbheit, für die Allmählichkeit allen Fortschreitens, für die Relativität aller endlich gefundenen Wahrheit.

Der Idealismus nimmt seine Orientierung vorwiegend an der Mathematik, der Empirismus an den Erscheinungen des organischen Lebens - und die Strenge der dort herrschenden Regel, wie die Unbestimmtheiten der hier mit dem Zufall ringenden Wissenschaft wirken als Paradigma für beide Wissenschaften in ihrer Beurteilung aller Gebiete nach, sodaß der eine den Versuch macht, auch in der Mathematik schließlich nur Empirisches, - dem andern, auch in der organischen Natur nur Apriorität erscheint.

Beide Anschauungen fassen gleich viel an Lebensinteresse in sich; den Empirismus ziert bescheidene Ehrlichkeit als Grundaffekt, ein Nicht-mehr-scheinen-wollen, oder in seinen höheren Formen jener ästhetische Sinn für das Individuelle und Individuellste, aus dem Verständigkeit und Gerechtigkeit gegen andere Menschen fließen; der Idealismus hat dagegen für sich das heroische Pathos, das den Menschen über sich selbst zu den fernsten und höchsten Zielen fortreissen will.

Der Empirismus ist fast immer die menschlich liebenswürdigere Form; es ist bezeichnend, wieviele Empiristen auch als pädagogische Schriftsteller tätig gewesen sind; während dem unerbittlichen Geist des Idealismus solche lapidaren, aber fast menschenfeindliche Sätze, wie etwa der Wahlspruch:  fiat justitia pereat mundus  [Die Welt mag untergehen, wenn nur die Gerechtigkeit siegt. - wp] entstammen.

Aber mit dieser sozusagen persönlichen Gleichwertigkeit beider Anschauungen ist noch nichts über ihren philosophischen Wert und Rang entschieden. Denn erst der philosophischen Frage des quid juris [was Rechtens ist - wp] gegenüber treten die Argumente in den Vordergrund, die eine Entscheidung über wahr und falsch ermöglichen.

Je mehr unsere beiden Parteien vor dieses Forum rücken, desto deutlicher wird, daß der Empirismus sich zum Subjekt bekennt, der Idealismus zum Sein. Sosehr ist dem Empirismus alles nur menschlich, daß er die Objekte bildet und ausstattet nach unserer Psyche. Die Ungewißheit unseres Wissens findet objektiv ihren Ausdruck in der Ungültigkeit des Kausalgesetzes; bloße Wahrscheinlichkeiten treten an die Stelle der Wahrheit; zufälliges assoziatives Beieinander statt gesetzmäßiger Zusammengehörigkeit soll den "Dingen" eignen.

Das ist alles richtig, sobald es sich nur um das Dasein handelt, d. h. um das Sein soweit es unser  Haben  ist. Aber über diese Frage nach dem psychologischen Besitz (dessen Eigentumsrechte doch letztlich illusorisch sind, sofern das Subjekt ein  focus imaginarius  [scharfgestelltes Bild - wp] ist) steht die eigentlich philosophische nach dem Wesen des Seins, noch der Art der reinen Objektivität an sich selbst. (1)

Diese Frage ist (dogmatisch) oft unglücklich beantwortet worden und das hat sie in Mißkredit gebracht. Hier aber handelt es sich zunächst nicht um die Antwort, sondern umd die Frage und den prinzipiellen Unterschied, der in der Frage des Empirismus und der der Philosophie, genauer der idealistischen Philosophie, liegt.

Dieser Unterschied ist vor allem ein Rangunterschied. Denn die Frage nach dem Haben setzt überall die Frage nach dem Sein als getan und irgendwie positiv erledigt voraus. Es ist unmöglich, von einer Ungewißheit zu reden, ohne nicht wenigstens die  Möglichkeit  einer Gewißheit anzuerkennen, es  gibt  keine Wahrscheinlichkeit, wenn es nicht überhaupt Wahrheit geben kann; es hat keinen Sinn, von den assoziativen Zufälligkeiten zu reden, wenn nicht als Maßstab die Notwendigkeit des Gesetzes als vorhanden angenommen wird. Das Haben setzt das Sein voraus. Deshalb ist die Philosophie, sofern sie das Sein zu ihrem Ziel macht, die voraussetzungslose Wissenschaft im Gegensatz zu allen andern (etwa dem Empirismus oder der Psychologie), denn sie allein handelt von den letzten Voraussetzungen selbst.

Nun ist aber das Sein (die absolute Wahrheit oder das vollkommenes Gesetz) nicht in der Form des  Da& seins vorhanden, sondern - vom Menschen und vom Haben aus gesehen - in der des Ansichseins, des Gefordertseins oder der  Möglichkeit.  KANT nennt die Art dieser Existenz die Idee und charakterisiert sie einfach und klar dadurch, daß sie die Voraussetzung aller anderen Existenz - also der Existenz der Erscheinungen in der Erfahrung sei. Jener Begriff der "Möglichkeit" aber ist schon von LEIBNIZ erkenntnistheoretisch in unserem Sinne verwertet worden.

Diesen Ausmachungen wäre nun eigentlich nichts hinzuzufügen. Aber das Innehalten der Erkenntnis ist schwerer als ihr einmales Begreifen. So viel erhellt unmittelbar, daß die Existenzart der Idee eine absonderliche und gefährdete ist. Denn einerseits ist sie das Erste und Wichtigste, andererseits aber das Fernste und Unbestimmteste. Die Idee ist die Voraussetzung allen Daseins und doch nirgends ein  Gegenstand  unserer Welt.

Das "Haben" droht das Ansichsein zu etwas Wesenlosen herabzusetzen. Aus der Praxis des Lebens, aus der Intensität des Herrschens über die Mannigfaltigkeit kraft deutlichen Wissens erwachsen ständig Feinde der Idee. Es sind dieselben Argumente, die mit besserem Recht im Namen einer Realpolitik die Utopie befehden. Die Gegnerschaft erwacht namentlich dann, wenn (wie wir es wollen) nun in Konsequenz des prinzipiellen Vorrangs des Seines das Subjekt von seiner maßgebenden Stelle endgültig weggewiesen werden soll. (2)

Es ist ein Nachgeben gegen diese Anklagen, wenn der Geist der idealistischen Philosophie, wie es etwa im dogmatischen Rationalismus geschieht, vorgibt, von der Idee ein ebensolches konkretes Wissen zu besitzen, wie von den Erscheinungen, die für uns durch die wissenschaftliche Arbeit bereits "Gegenstände" und "Dinge" geworden sind. Dieses Unterfangen hat seit jeher die "Liebhaber der Idee" dem Spott überliefert.

Dem gegenüber ist daran festzuhalten, daß ein Dasein, also ein  Haben  der Wirklichkeit erst dann vorliegt, wenn die Details der Erscheinung so völlig durchschaut sind, daß an ihnen nichts mehr verborgen, alogisch ist, so daß aus den Einzelhiten des unmittelbaren Erlebnisses Besonderheiten des Gesetzes geworden sind. Das Sein oder die Idee aber als die Totalität aller möglichen Erscheinungen ist als "erreicht" nur nach unendliche Fortschritt zu denken - besser: nach der Überwindung aller Schranken der Endlichkeit, d. h. also wenn wir etwa einen intuitiven Verstand besäßen (denn das zeitliche Vollendetsein ist selbst nur ein Surrogat für die zeitlos vollendete Einheit des Seins).

Aber nichtsdestoweniger bleibt diese Idee die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung. Die Objekte selbst, die in unserer Erfahrung zur Reife gelangen, erfordern zu ihrer eigenen absoluten Existenzmöglichkeit die Totalität aller Beziehungen, wie sie im Sein gefordert wird. Deshalb ist dieses Gefordertsein auch nicht so zu verstehen, als ob es seinen Grund in unserer menschlichen Natur habe, sondern es bedeutet einen  objektiven  Wert, eine Notwendigkeit in den Dingen selbst.

Die Opposition gegen die Macht der Ideen erwuchs, wie wir oben sagten, aus der Praxis des Lebens, aus dem Verkehr der Menschen untereinander, bei welchen die Selbständigkeit des Individuums oder ein kulturelles Gemeinschaftsbewußtsein den fortwährenden Hintergrund oder gleichsam die letzten Dinge bildet, von denen aus alles andere bestimmt wird. So stark wird durch das "Leben" der empiristische Widersache des idealistischen Gedankens, daß uns die  Ausdrucksmittel  der Philosophie als nicht genügend erscheinen, ihn auch mitten im Leben bekämpfen zu können. (3) (4)

Gegenüber dem Zweifel und dem theoretischen Skeptizismus genügt die idealistische Feststellung, daß ohne vorgesetztes objektives Sein keine einzige Erscheinung möglich ist - gegenüber der Verzweiflung aber, diesem schrecklichsten und gewalttätigsten Kind aus dem Schoß menschlicher Angelegenheiten, gewinnt derselbe uralte Gedanke eindringlichere Gestalt.

Diese Gestalt ist gegeben in aller wahrhaften Religiosität. Da es nun hier nicht unsere Absicht ist, über Theologie zu schreiben, so sei es erlaubt, unvermittelt einige Wort wiederzugeben, wie sie uns eben in einem Referat von WEINELs Buch (über NIETZSCHE, IBSEN und BJÖRNSON) vorliegen; es heißt dort: "den Sinn der Welt findet der Christ in der festen Gewißheit, daß ein heiliger Wille über und in der Welt wirkt. Er nennt ihn Gott. Gott ist nichts anderes als die Gewähr, daß eine höchste Sittlichkeit irgendwann möglich sein wird." Hier formt sich die Kantische "Idee" und weiter der Kantische Gedanke des transzendentalen a priori zum "heiligen Willen" und die Funktion der Idee, nämlich die Möglichkeit allen Einzeldaseins zu sein, wird zur "Gewähr", daß Sittlichkeit möglich, d. h. Daseiend werden kann. Gott garantiert die Realität menschlicher Sittlichkeit ebenso wie bei KANT allgemeiner die "Idee", die Realität menschlicher Erfahrung (menschlichen Habens) überhaupt.

In der religiösen Literatur nimmt die Beschreibung der Aufnahme Gottes in den menschlichen Willen einen breiten Raum ein. Dieser Umstand weist darauf hin, wie die Enthebung des Subjekts von seinem Primat von der Religion mitten auch im empirischen Leben durchzusetzen versucht wird, und das Subjekt-Individuum von vornherein als Fragment oder Derivat eines absoluten Ansich-Seins nicht nur erdacht, sondern auch erlebt wird.

Diese durch die Religion erhärtete idealistische Platzanweisung des Subjekts macht es nötig, daß vieles umgedacht oder nachträglich gerechtfertigt werden muß, was in der gewöhnlichen - das ist empiristischen - Denkweise selbstverständlich erscheint.

Was das Erste (das Umdenken) anlangt, so ist hierfür der Begriff der Erfahrung am meisten charakteristisch. Für den Empiristen ist die Erfahrung sinnliche Wahrnehmung. Die Welt (die allerdings fehlerhafterweise zu Beginn einer Untersuchung schon als fertig vorausgesetzt wird) ist nach der empiristischen Theorie nichts anderes als eben die Ausgestaltung jener sinnlichen Wahrnehmung zu einer großen subjektiven Phantasmagorie. In den Nerven und Sinnesorganen haben wir den metaphysischen Mechanismus, dessen Produkte "Erfahrungen" sind.

Hingegen ist Erfahrung im Sinne des Idealismus zu definieren als das Besonderswerden der allgemeinen Idee. Der Idealismus hat kein Rezept, welches angibt, wodurch Erfahrung hervorgebracht wird; er kann nicht im vorhinein das allgemeine Gepräge dessen feststellen, was immer Erfahrung sein wird. Wenn in Analogie zum Empirismus eine angeborene seelische Struktur angenommen wird, die (gleich den Sinnen bei der Wahrnehmung) der Erfahrung die Form diktiert, so sind das eben Verirrungen des Idealismus, die von nicht völliger Überwindung des Empirismus zeugen, Verirrungen, von denen zwar auch KANT nicht frei war, von denen er sich abe mehr und mehr zu befreien gesucht hat.

Die Erfahrung im Sinne des Idealismus ist die Ergänzung dessen, was an der Idee für uns noch mangelhaft war: das ist ihre Unbestimmtheit. Die Idee ist der allgemeine Entwurf der Wirklichkeit, mögen wir uns nun mit religiöser Inbrunst in die tiefste Einheit des Seins versenken, damit sie uns zum lebendigen Gott wird, oder mögen wir sie als triviale Selbstverständlichkeit, ohne die es ja weder ein Denken noch Gegenstände geben kann, verschweigen: immer ist die Form, in der wir das Sein als Totalität  haben,  nur eine gefühlsmäßige, unbestimmte, im besten Fall symbolische. Die Erfahrung erst ist es, die durch die Einzelheiten der Erscheinungen die Möglichkeit des Details hervorbringt; nichts anderes als das bedeutet Erfahrung im Sinne des Idealismus. Durch sie kann die ursprüngliche Einheit der Idee zum  Gesetz  werden, indem sie an den Erscheinungen unterscheidbare  Besonderheiten  gewinnt. Die Einheit ist ohne Vielheit für uns unbestimmt, die Vielheit ohne Einheit sinnlos; erst die von der Einheit durchdrungene Vielheit ist die Statuierung der Realität. (5) (6)

Was nun den zweiten Punkt anlangt, nämlich die idealistische Stellung zur "Selbstverständlichkeit" des Empirismus, so ist die Wendung zwischen beiden Anschauungen am besten am Begriff des Einzelnen zu zeigen.

Für den Empirismus ist die Einzelheit das Natürliche.

Sowohl die Dinge wie die einzelnen Subjekte sind voneinander getrennt. Dieser Zustand der Vereinzelung besteht nach Anschauung des Empirismus zu Recht, nur abstrakte Ähnlichkeiten (wie sie den aristotelischen Begriff des Begriffs bilden) führen als schmale und nur scheinbare Brücken von Individualität zu Individualität. Jede dieser Einzelheiten ist eine Selbständigkeit, und es ist nicht zu leugnen, daß diese Selbständigkeit für die Forschung den methodischen Vorteil festhält, jede Neuerscheinung in ihrer Eigenart würdigen zu wollen; enstanden aber ist diese Meinung wiederum aus der Substanzialisierung des Subjekts; denn für diese muß das fortwährende Sich-emanzipieren-wollen der Dinge die hervorragendste Eigenschaft der Dinge sein; in ihr zuckt der Rest der Objektivität auf; sie liegt an der Grenze der Unmöglichkeit der empiristischen Theorie, den verlorenen Weg zur Befreiung aus subjektiven Schranken anzeigend.

Den Vorteil, der eben der empiristischen Theorie nachgesagt wurde, wahrt sich der Idealismus (sofern er nicht Dogmatismus wird), obwohl er den Begriff der Einzelheit völlig umgestaltet. Im Idealismus ist das Einzelne nicht mehr verwegen genug, sein Existenzrecht auf ein Wahrgenommen-Werden zu gründen; unselbständig, weiß es sich vom Sein bedingt und fordert die Totalität des Seienden zu seiner Ergänzung. Das Einzelne verliert seine Isoliertheit und wird damit "Besonderheit".

Aber die Umwandlung der Einzelheit in Besonderheit ist de facto nicht ganz durchgeführt - wir müßten sonst die vollendete Kenntnis der Allgemeinheit besitzen (- die Umwandlung wird auch niemals absolut durchführbar sein, weil unsere Errungenschaften an Seiendem nur in der Form des Werdens, nicht in der zeitlosen und absoluten, gemacht werden können). Daher bleibt im Einzelnen ein Rest von Selbständigkeit (nur Dogmatismus könnte ihn ihm entziehen wollen.) Aber es ist darum nötig, zum empiristischen Begriff der Einzelheit zurückzukehren? Nein; denn auch dieser Rest, möge er der Gesetze spotten, die wir  haben,  fordert ansich das Gesetz. Seine Selbständigkeit ist nur relativ anderem Endlichen gegenüber, und nur, wenn man das, was am Endlichen negativ ist, positiv setzt, wird jene Selbständigkeit sanktioniert. -

Der Begriff der Einzelheit oder Besonderheit ist, in's Menschliche gewendet, der des Subjekts - und so kehren wir, indem wir ihn weiter verfolgen, zugleich zum Hauptthema zurück.

Wie schon vorhin bemerkt: auf dem Gebiet menschlicher Angelegenheiten gewinnen die erkenntnistheoretischen Argumente, wie ihre Gegnerschaft, weitere Ausdehnung und verstärkte Intensität.

Aus sekundärer Polemik gegen den Naturmechanismus oder den Pantheismus entstanden, wird das Ich-Subjekt unter der Form der "Persönlichkeit" zu strengen Für-sich-sein emporgehoben - und der Hymnus an die Persönlichkeit ist vieler Anschauungen letztes Ende.

Wenn anders aber dieser Begriff der Persönlichkeit ohne Erschleichung eines anderen Sinnes gedacht wird, bleibt er um seiner Herkunft willen an die Einzelheit als solche gebunden. Er ist daher nicht imstande, die Gefahren, die von jener herkommen, zu bannen. Und diese Gefahren, die von jener herkommen, zu bannen. Und diese Gefahren sind hier ungleich größer als innerhalb der Naturprobleme, denn während in diesen das Einzelsein schlimmstenfalls zum "Widerspruch" oder "Irrtum" wird, wird es im Menschlichen zum "Kampf" und zum "Bösen".

Das Prinzip der Persönlichkeit kann höchstens als eine der eigentlichen Grundlegung vorangehenden Propädeutik, als eine Erziehung zur Wahrhaftigkeit Geltung behalten. Die eigentlichen Rechte des Seins aber werden im Leben zwischen den Subjekten von ethischen, religiösen und rechtlichen Prinzipien gewahrt.

In ihnen wird nicht nur die Erkenntnis, sondern auch der Wille, wie schlechthin alles, was das Subjekt konstituiert, der Idee als dem eigentlichen Sein unterworfen. In der Idee ist alle Einzelheit des Subjekts aufgehoben. Die Idee ist Macht und vernichtet mittels der  Arbeit  (in jeglicher Bedeutung) die Vereinzelung durch die Darlegung positiver Zusammenhänge.

Diese Macht der Idee besteht auch, wenn unser Haben immer in Schranken geschlossen bliebe: Denn diese Schranken, auch nicht die  allgemein-menschlichen, sind letztlich begründbar, wie dann alles Endliche, in Sonderheit das Böse, unnotwendig ist; die Schranken haben mit der Idee nichts zu schaffen und die Vorstellungen von ihnen sind nur Namen für eine Regelmäßigkeit des Zufalls, nicht echte, d. h. konstitutive Begriffe.

Da nun aber imunmittelbaren Eindruck des Erlebten diese Negationen ebenso als Tatsächliches gewertet werden, wie irgendetwas positives, genügt die geringste Beimischung empirischer Denkweise, um bei ihrer Beurteilung ihre logische Qualität vergessen zu machen und sie als positive Wirklichkeiten zu setzen. (7)

So geschieht es, daß eine dem "gesunden Menschenverstand" nicht allzufern stehende Meinung irgendein Gebiet des Bloß-Individuellen mit Hilfe der Vorstellung der unübersteiglichen Grenzen aussondert, dem das absolute Für-sich-sein auch sub specie aeternitatis [im Licht der Ewigkeit - wp] bewahrt bleiben soll.

Und ein nicht unähnlicher Tadel trifft auch im Allgemeinen den Geist der Ethik. Ethik hat die Tendenz, sich  innerhalb  der großen Schranken zu halten, die nun einmal allem Irdischen zuteil geworden zu sein scheinen. Man könnte sagen: Ethik kämpft um das Leben, aber sie ringt nicht mit dem Tode.

Erst der Geist der Religion führt bis jenseits unseres Habens und unserer empirischen Habensmöglichkeit den Kampf für die Idee. Mit der Vernichtung des Todes will sie Ewigkeit, mit der Ewigkeit Zeitlosigkeit und mit dieser das Sein selbst erbeuten. Religion bestreitet nicht, wie Ethik, nur die Steigerung der Vereinzelung in der Feindschaft, sondern das Für-sich-sein überhaupt, wie es sich noch äußert im einfachen Anders-sein des Ichs vom Du. "Bruder" Vogel, "Schwester" Sonne nennt FRANZ von ASSISI die Geschöpfe; was er aber meinte, war, daß sie in ihres Wesens Grund nichts Unterschiedenes mehr sein dürften untereinander und von ihm selbst. Hier ist die Aufhebung des Subjekts in die Einheit des Seins lebendiger Ausdruck geworden.

So geht der Geist der Religion fern ab vom unmittelbaren Leben seine idealistischen Bahnen; so fern, daß das Ethos unserer "Arbeit", deren Begriff immer als Ziel ein Habenkönnen voraussetzt, nicht zu genügen scheint und die Vorstellung der Gnade und des Geschenks zuhilfe genommen wird, um die Aufhebung der allgemeinen Schranken des Menschen als ermöglicht zu denken; so fern, daß auch die menschliche Erkenntnisart nicht mehr auskömmlich zu sein scheint; so fern, daß auch etwas von der Grausamkeit jener IBSENschen Worte an ihm zu spüren ist: "Wer Gott schaut, der stirbt". -

Mögen diese extremen Formen des idealistischen Gedankens in der Religion anfechtbar, selbst verfehlt, sein: worauf es uns in erster Linie hier ankam, war zu zeigen, daß die grundlegende Tendenz des Idealismus, nämlich die Entsubstanzialisierung des einzelnen Subjekts, auch im Pantheon menschlichen Denkens und Fühlens im weitesten Sinne gebietet.

In der Tat, nicht nur bei einer letzten geistigen Rechenschaftslegung des Weltproblems, sondern auch bei den entscheidenden Tathandlungen der Menschen, die eine neue Bahn durch die Endlichkeit brachen, war es der Geist des Idealismus, nicht der des Empirismus, der führte, denn kein Weg ins Große ist möglich ohne das Einzelsein zu einem Schein herabzusetzen und somit aufzugeben.

Als letzte große Manifestation dieses idealistischen Denkens rechen wir KANT; heute aber danken wir dem Getreuen, der die Parole ausgab: "Zurück zu Kant!"
LITERATUR - Oswald Weidenbach, Der idealistische Begriff des Subjekts, Kant-Studien, Bd. 15, Berlin 1910
    Anmerkungen
    1) Was hat Psychologie im Grunde anderes mit Philosophie zu tun, als daß sie sämtliche Lehrstühle der Philosophie besetzt?
    2) Hier ist anzumerken, daß alle Formen des subjektiven Idealismus - und sie sind die meistverbreiteten - im Grund nicht wesentlich vom Empirismus verschieden sind. Sie teilen mit ihm die Ansicht, daß das Subjekt als die maßgebende Substanz anzusehen ist - und es ist keine Rettung der prinzipiellen Preisgabe des Gedankens des Seins, wenn nachträglich das von der empiristischen Grundanschauung getragene Weltbild dadurch vor dem Skeptizismus bewahrt werden soll, daß das Subjekt etwa in seiner "Organisation" oder sonstwie mit ethischer Kraft oder mit dem "unabweisbaren Bedürfnis" an eine Gesetztheit zu glauben, ausgestattet wird.
    3) Selbst in der idealistischen Philosophie werden vom praktischen Leben aus die kritische Gedanken ins Wanken gebracht. Wir finden einen Beweis hierfür in der z. B. auch von WINDELBAND vertretenen Ansicht, daß die Zeit unserer Handlungen wegen, unseres ethischen Interesses halber, eine ansichselbstseiende Realität sein müsse, während im Übrigen der kritische Grundgedanke KANTs festgehalten bleibt.
    4) Von den im Text zu erörternden Schwierigkeiten bleibt diejenige Richtung der idealistischen Philosophie am meisten verschont, welche ihre Schritte über den Kreis der Mathematik nur der Vollständigkeit des Systems wegen wagt. Hier in der Mathematik, im Reich des "Denkens der Götter", verlieren die Stimmungen ihre Schrecken, der ihnen sonst inmitten der gehäuften Schwierigkeiten der Wissenschaften anhaften. Deshalb gelang es in der Mathematik, den Begriff des Unendlichen zuerst der Vernunft dienstbar zu machen. Das Unendliche garantiert sozusagen das Fortgelten eines Gesetzes über sinnlich erfüllbare Bedingungen hinaus. Aber wenn aus der Stille jener Wissenschaft diese idealistische Erfassung des Unendlichkeitsgedankens hinausgetragen wird in den lebendigen Kampf der Forschung, wenn also der allgemeingültige Obersatz seine Ansprüche gegen die Unendlichkeit andringender Erfahrung zu verteidigen hat, so kann man mit der entstehenden Gefahr nicht einfach durch die Berufung auf das Kontinuitätsprinzip fertig werden. Und wieviel schwieriger wird vollends die Lage, wenn sich in Handlungen die Vernunft in der Form des Guten verteidigen soll gegen die Unendlickeit schwebender oder kaum erst geahnter Probleme.
    5) Vielleicht ist das Drängen auf Prüfung aller Erkenntnisse durch die Erfahrung die Formel, die am besten die Weite des Kantischen Denkens erfaßt. Gegen den Dogmatismus erfunden, verwirft sie nicht nur jedes Genug-sein-lassen an einer Endlichkeit, sondern predigt positiv ein Evangelium der Arbeit, zu deren Ziel ein unendliches Fortschreiten führt.
    6) Die Subjekte sind entsprechend dem Sinn der Erfahrung sozusagen ein Wurf ins Konkrete; sie sind eine Aufgabe, innerhalb gewisser Bedingungen (die man sich zusammengefaßt unter dem, was wir Körper nennen, denken kann) ein Maximum der Idee zu verwirklichen. Alle Entwicklung, alle Arbeit des Einzelnen hat diesen Sinn; in der Erziehung und den Tugendbegriffen wird er uns mit Bewußtsein vorgesetzt. Die Verwirklichung, die jedem zufällt, füllt oder vielmehr  ist  sein Wesen. Die gewöhnliche Unterscheidung eines Subjekts von anderen aber ist dargeboten durch den Umriß, durch den sich jedes Subjekt als ein Positivies vor dem Nichtseienden abhebt. Die Form dieser Silhouette wird gebildet durch die Linie, zu der sich die Irrtümer, das Versagen, die Unfähigkeit eines Individuums zusammenschließen - kurz eben durch die Punkte, an denen seine Vernunft aufhört, Macht zu haben über das Problem. Ansich steht jedem Subjekt der Weg zum Unendlichen offen, aber so wenig es begründbar ist, warum der einzelne Schranken hat, so wenig steht es doch - einfach tatsächliche - in unserer Kraft, sie zu überwinden, und der uralte Gedanke von der Gerechtigkeit des Todes kommt hier in den Sinn, der im Tod das Korrelat zur endlichen Beschränktheit der Individualität sieht. Er löscht die Fackeln, weil ihr Licht an ihrem Platz genügsam sichtbar gemacht hat, was von Sein an diesem Ort sichtbar gemacht werden konnte.
    7) Ist (wie auch KANT annimmt) der empirische Charakter berechenbar? - Sofern hier "berechenbar" irgendwie eine Notwendigkeit als zugrunde liegend involvieren will - sobald es also einen strengeren Sinn haben soll, als den eines Kunststücks oder einer geschickten Konjunktur, ist die Hypothese strikt zu verneinen. Denn es gibt keinen notwendigen Grund, weshalb ein Charakter nicht seine Schranken durchbrechen könnte (und oft treten solche unerwarteten Wendungen - in der religiösen Sprache Bekehrungen - auf). Gebe es einen solchen Grund, so liefe das darauf hinaus, die bloße Negation und also auch das Böse als notwendig verursacht zu denken. Dieser Gedanke aber würde selbst wiederum den Sinn des Bösen, der Endlichkeit usw. - kurz unseren ganzen positiven Weltaufbau zerstören.