Ernst CassirerAdolf LassonFriedrich Frederichs | ||||
(1837-1890) Drei Grundfragen des Idealismus [ 1 / 2 ]
Erster Artikel I. Beweis des Idealismus 1. Vorbemerkungen Um diesem Übelstand nach Kräften abzuhelfen, will ich hier versuchen, den Beweis des Idealismus so klar und präzise zu führen, daß mit Leichtigkeit und vollkommener Gewißheit entschieden werden kann, auf welcher Seite die Wahrheit liegt. Dabei werde ich jedes überflüssige Wort möglichst vermeiden, denn in solchen Fällen kommt es nicht auf die Menge Worte, sondern bloß auf das Gewicht der Gründe an. Unter der Außenwelt kann zweierlei verstanden werden:
2) Oder Außendinge, welche nicht selbst wahrgenommen werden, also von jenen faktisch wahrgenommenen durchaus verschieden und ansich unerkennbar sind, aber nach der Voraussetzung unsere Empfindungen bewirken.
2) in den Beweis, daß es auch keine unbekannte Außendinge als Ursachen unserer Empfindungen gibt. dasjenige sind, was wir als Körper außer uns wahrnehmen. α) Der experimentelle Beweis 1) Tatsache: Wenn wir mit einem Auge z. B. ein Haus betrachten und das Auge von der Seite mit dem Finger drücken, so wird dadurch das gesehene Haus zur Seite verschoben. Drückt man das Auge von der rechten Seite, so verschiebt sich das Haus nach rechts hin; drückt man das Auge von der linken Seite, so verschiebt sich das Haus nach links hin. Induktiver Schluß daraus: Dasjenige, was wir als ein Haus sehen, ist nichts anderes, als unsere eigenen Farbempfindungen. Unsere Farbenempfindungen scheinen uns selbst außer uns, im Raum zu liegen. 2) Tatsache: Wenn wir eine kleine Kugel mit gekreuzten Fingern berühren, so fühlen wir zwei Kugeln unter den Fingern. Induktiver Schluß daraus: Dasjenige, was wir als zwei Kugeln fühlen, ist nichts anderes, als unsere Tast- und Muskelempfindungen. Somit ist experimentell bewiesen, daß die Körper, die wir faktisch sehen und betasten, aus unseren Farben-, Tast- und Muskelempfindungen bestehen. Hier werden dem Leser sofort tausendfältige Einwendungen einfallen, tausend Gründe zum Beweis, daß das gesehene Haus und die betastete Kugel etwas von unseren Empfindungen durchaus Verschiedenes seien. Allein ich bitte Folgendes zu bedenken: Die Entscheidung darüber, welcher Schluß aus den Tatsachen der richtige sei, ist nur dann möglich, wenn man zu allererst die Tatsachen selbst genau, wie sie sind, konstatiert. Die genaue Konstatierung der Tatsachen lehrt aber, wie eben gezeigt worden, daß unsere Farben- und Tastempfindungen selbst dasjenige sind, was wir als Körper außer uns sehen und fühlen. Welche Schlüsse sich daraus ergeben, das werden wir weiter prüfen. (1) Nun läßt es sich noch ferner experimentell beweisen, daß in unserer Körperwahrnehmung gar nichts anderes als unsere Sinnesempfindungen gegeben und enthalten sein kann. Wenn wir äußere Gegenstände selbst wahrnehmen könnten, so müßten diejenigen unter denselben Gegenstände unserer unmittelbaren Wahrnehmung sein, welche uns am nächsten liegen und unsere Wahrnehmung unmittelbar bedingen. Die uns am nächsten liegenden und uns allein unmittelbar affizierenden äußeren Gegenstände sind nun unsere Nerven und unser Gehirn. Allein wir sind so weit entfernte, etwas von diesen nächstliegenden Gegenständen unmittelbar wahrzunehmen, daß wir vielmehr das Dasein derselben nur aus äußeren Erfahrungen erschließen können. Was wir unmittelbar wahrnehmen, sind nicht unsere Nerven und unser Gehirn, sondern Körper, welche außer unserem Leib liegen. Aber wirkliche außer unserem Leib liegende Gegenstände können nicht selbst wahrgenommen werden, weil zwischen denselben und unserer Wahrnehmung die Sinnesorgane in der Mitte stehen. Damit ist also experimentell bewiesen, daß was wir außer uns als Körper wahrnehmen, nicht wirkliche äußere Dinge, sondern nur unsere eigenen Sinnesempfindungen sein können. Nunmehr will ich den umgekehrten Beweis führen, daß wenn man aus den von uns wahrgenommenen Körpern all das abzieht oder abstrahiert, was unsere eigene Empfindung ist, in denselben gar nichts Wirkliches mehr übrig bleibt. Hier werde ich mir erlauben, eine kurze Stelle aus meinem Werk "Denken und Wirklichkeit" anzuführen, weil ich das dort gesagte nicht besser mit anderen Worten zu sagen weiß.
Durch das Vorhergehende ist der Beweis erbracht worden, daß dasjenige, was wir faktisch als eine Körperwelt wahrnehmen, aus nichts anderem als unseren Sinnesempfindungen besteht. Wenn man also eine wirkliche Außenwelt annimmt, so muß man darunter eine Welt ganz unbekannter, von den Körpern unserer Erfahrung verschiedener Gegenstände verstehen, von denen wir nicht wissen, was sie sind, noch wo sie sind, noch wie sie wirken. Damit wird aber die Frage aus dem Gebiet der Erfahrung in das Gebiet der Metaphysik verlegt. Die Frage, ob eine unbekannte Außenwelt existiere oder nicht, ist für die Erfahrung und die Naturwissenschaft vollkommen gleichgültig. Denn ob man diese Frage bejahen oder verneinen muß, die Tatsachen bleiben davon unberührt, werden dadurch in keiner Weise affiziert. So lange unsere Empfindungen nur in derselben Ordnung und nach denselben Gesetzen auftreten, wie jetzt, wahrgenommen, die Ursache der Empfindungen mag sein, welche sie will. Das ist es jedoch gerade, was man im Grunde nie einsieht. Man glaubt vielmehr immer, daß, wenn keine wirklichen Körper vorhanden wären, auch keine Körperwahrnehmung wie die unsere möglich gewesen wäre. Allein dieser Glaube wird, wie oben gezeigt wurde, durch die Tatsachen vollständig widerlegt. Man braucht nur zu bedenken, daß alles, was wir durch die fünf Sinne wahrnehmen, ja aus nichts anderem als unseren Sinneseindrücken besteht und bestehen kann, - so wird klar, daß, um unsere Körperwahrnehmung zu ermöglichen, es durchaus nicht nötig ist, daß wirkliche derselben entsprechende Körper vorhanden seien, sondern bloß, daß unsere Sinnesempfindungen genau in derselben Ordnung und Sukzession auftreten wie jetzt. In der Tat, wie könnten wir die Körper vermissen, so lange wir genau dieselben Sinneseindrücke haben, wie wenn wirkliche Körper vorhanden wären oder richtiger gesagt, wie bei unserer gewöhnlichen Körperwahrnehmung? Liefern doch Träume, Halluzinationen und Sinnestäuschungen den unwiderleglichen faktischen Beweis dafür, daß der Schein der Körperwahrnehmung in Abwesenheit wirklicher Körper sehr wohl möglich ist, daß also der Inhalt der Körperwahrnehmung stets derselbe ist, gleichviel ob wirkliche Körper außer uns vorhanden sind oder nicht. Die in den Träumen und Halluzinationen liegende Täuschung würde ja offenbar gar nicht möglich sein, wenn der Inhalt der Wahrnehmung bei denselben ein anderer wäre als im normalen und wachen Zustand des Geistes. Das ist also eine fundamentale und keinem Zweifel unterliegende Tatsache, daß unsere Körperwahrnehmung (objektiv) lediglich durch die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen bedingt ist. Diese Tatsache kann nicht mehr in Frage stehen, nachdem der doppelte, experimentelle und analytische, Beweis geliefert worden ist, daß unsere Sinnesempfindungen selbst dasjenige ist, was wir als Körper außer uns wahrnehmen. Im Streit zwischen dem Idealismus und dem Realismus kann es sich also nicht mehr um diesen Punkt handeln; der Streit dreht sich nunmehr um eine ganz andere Frage, nämlich die folgende:
als Ursachen unserer Empfindungen gibt. α) Der metaphysische Beweis Damit auch nur der Versuch gemacht werden kann, die obige Frage im Sinne des Realismus zu beantworten, muß man die vorausgesetzten unbekannten äußeren Dinge nach Analogie der Körper unserer Erfahrung denken. Denn wenn man diese Analogie als ungültig abweisen wollte, dann würde uns jeglicher Grund und Anlaß fehlen, von den vorausgesetzten Außendingen und deren Wirksamkeit überhaupt irgendetwas zu behaupten. Um aber beweisen zu können, daß die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen durch die Einwirkung von Körpern bestehe, muß man in erster Linie zeigen, wie es überhaupt zu denken ist, daß Körper auf ein empfindendes Wesen einwirken, Empfindungen hervorbringen können. Die Körper wirken durch Stoß und Druck, kann ein empfindendes Wesen gestoßen oder gedrückt werden? Man sieht, was auf den ersten Blick das Allernächste und Allereinfachste zu sein scheint, nämlich unsere Körperwahrnehmung oder die sie bedingende Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Empfindungen durch die Einwirkung von Körpern außer uns zu erklären, ist in der Tat das Unbegreiflichste von allem. Selbst zwischen Körpern ist die einfachste mechanische Wirkung durch Stoß und Druck nicht denkbar ohne eine Vermittlung, ohne eine Anpassung derselben aneinander, welche so weit entfernt ist, in ihrem individuellen Wesen selbst zu liegen, daß sie vielmehr ihrem Begriff widerspricht. (3) Noch weniger sind aus dem individuellen Wesen der Körper oder Körperatome solche Wirkungen zu erklären, wie sie die organische Natur bietet. Vollends aber, wenn es sich um die Frage handelt, wie ein Körper Empfindungen in uns oder wie umgekehrt ein Gefühl oder ein Willensentschluß in uns Bewegungen in den Körpern bewirken könne, wird es klar, daß das schlechterdings nicht denkbar und möglich ist ohne ein vermittelndes einheitliches Prinzip, welches die Welt der Körper (genauer der Außendinge, wenn nämlich solche existieren) und die der Geister, die ihrer Natur nach in keine unmittelbare Berührung kommen können, untereinander verbindet. Auch sehen wir ja faktisch, daß unsere Beziehungen zur Außenwelt durch einen sehr kunstvoll organisierten Leib vermittelt werden, was die Rolle eines einheitlich wirkenden Prinzips bei diesen Beziehungen außer Frage stellt. Dieses einheitliche Prinzip - man nenne dasselbe Kraft, Weltgeist oder wie auch immer - ist also dasjenige, was die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen unmittelbar bewirkt. Aber das Resultat, welches wir soeben auf dem Umweg der metaphysischen Betrachtung erreicht haben, wird auch durch direkte Induktion aus den Tatsachen festgestellt. Tatsache ist, wie bewiesen worden, daß wir den Inhalt unserer Sinnesempfindungen selbst als Körper außer uns wahrnehmen und daß unsere Körperwahrnehmung darum (objektiv) lediglich durch die Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Empfindungen bedingt ist. Dies impliziert aber offenbar, daß auch umgekehrt die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen ihrer Erkenntnis als Körper außer uns angepaßt und konform ist. Wir könnten doch offenbar den Inhalt unserer Empfindungen nicht als Körper außer uns erkennen, wenn dieselben nicht von Natur so organisiert wären, um dieser Erkenntnis faktisch zu entsprechen. Auf dieser Natureinrichtung der Empfindungen beruth dann auch die (empirische) Wahrheit und Gültigkeit unserer Körperwahrnehmung. Indessen so klar das im Allgemeinen ist, so will ich es doch an einem besonderen Fall erläutern. Es ist oben experimentell bewiesen worden, daß dasjenige, was wir als Körper außer uns sehen, unsere eigenen Farbempfindungen sind. Denn die gesehenen Gegenstände werden, wie erwähnt, durch den Druck des Fingers auf das Auge hin und her bewegt. Nun wird niemand behaupten, daß unsere Farbempfindungen selbst räumlich ausgedehnt seien, daß man dieselben mit dem Metermaß messen oder von einem Ort zum anderen schieben könnte. Wie könnten wir also unsere Farbenempfindungen als ausgedehnte Körper außer uns sehen, wenn dieselben nicht von Natur aus zu dieser Art Wahrnehmung geeignet wären? Man ist hier leicht versucht, diese Organisation der Gesichtsempfindungen durch die Struktur des Auges zu erklären. Aber ich bitte folgendes zu bedenken: Der Akt des Sehens kommt nicht im Auge zustande; die Struktur des Auges mag sein, was sie will, Tatsache ist, daß wir von innen nicht das Mindeste davon sehen und erkennen können. Die Struktur des Auges und die Vorgänge desselben kann man nur von außen erkennen, wenn man ein lebendes Auge mittels Augenspiegel beschaut oder ein herausgenommenes Auge in seine Teile zerlegt. Von innen ist uns nichts gegeben als unsere Farbempfindungen und die Tatsache, daß dieselben dazu geeignet sind, als Körper im Raum wahrgenommen zu werden, während andere Empfindungen, z. b. die des Schalls, dazu nicht geeignet sind. Die Versuche, unser Sehen durch die Struktur des Auges zu erklären, beruhen eben auf der Verkennung des Umstandes, daß wir nicht die Vorgänge im Auge, sondern die außerhalb des Auges liegenden Gegenstände selbst sehen oder richtiger - da wirkliche äußere Gegenstände nicht unmittelbar gesehen werden können - unsere eigenen Farbempfindungen als Körper außer uns sehen. Der Umstand, daß wir die gesehenen Körper auch betasten können, bedeutet ebenfalls, daß die Gesetze, nach welchen der Zusammenhang zwischen unseren Gesichts- und Tastempfindungen geregelt ist, durch die Rücksicht auf die Wahrnehmung der Empfindungen als Körper außer uns bedingt sind. Die Tatsache, daß wir den Inhalt unserer Sinnesempfindungen als eine Körperwelt wahrnehmen, impliziert also zwei innere Fakta, welche sich gegenseitig bedingen. Unsere Körperwahrnehmung ist lediglich durch die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen bedingt und eben darum ist auch umgekehrt die Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Empfindungen durch die Rücksicht auf die Wahrnehmung derselben als Körper bedingt. Nunmehr könnte ich es getrost dem Leser selbst überlassen, zu entscheiden, welcher Schluß sich aus diesen Fakten induktiv [vom Einzelnen zum Allgemeinen - wp] ergibt. Alle Induktion ist das Schließen aus dem beständigen Zusammenvorkommen von Tatsachen und Erscheinungen auf eine Verbindung derselben untereinander. Nun haben wir zwei innere Fakta konstatiert, welche sich gegenseitig mit Notwendigkeit bedingen. Also kann die Induktion aus diesen Fakten nichts anderes ergeben, als eine innere Verbindung derselben, d. h. einen einheitlichen Naturgrund, ein allgemein wirkendes Prinzip, das die Sinnesempfindungen jedes einzelnen Subjekts nicht nur, sondern auch die erkennenden Subjekte alle untereinander verbindet und die Gesetzmäßigkeit und Übereinstimmung ihrer Wahrnehmungen erzeugt. Denn wir nehmen alle in unseren Sinneseindrücken eine und dieselbe allen gemeinsame Außenwelt wahr. Dieses Prinzip ist also dasjenige, was in Wahrheit alle die Wirkungen hervorbringt, welche uns von Körpern herzurühren scheinen. Dagegen stehen die Tatsachen einem Schluß auf eine Vielheit von Außendingen als Ursachen unserer Empfindungen durchaus entgegen. Selbst wer annehmen möchte, daß äußere Dinge die Ursachen unserer Empfindungen sind, wird nicht behaupten, die äußeren Dinge seien auch Ursache davon, daß wir den Inhalt unserer Empfindungen selbst als eine Körperwelt außer uns wahrnehmen. Allein die Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Empfindungen ist, wie erwähnt worden, gerade dieser Erkenntnis angepaßt und konform, weil ja sonst die besagte erkenntnis faktisch unmöglich sein würde. also können viele äußere Dinge ebensowenig die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen bewirken, als sie unsere Wahrnehmung selbst bewirken oder anstatt unserer wahrnehmen können. So stehen nunmehr die folgenden drei Kardinalsätze des Idealismus fest:
2) Unsere Körperwahrnehmung ist (objektiv) lediglich durch die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Sinnesempfindungen bedingt. 3) Die Ordnung und Gesetzmäßigkeit unserer Empfindungen wird ihrerseits nicht durch viele äußere Dinge, sondern durch einen einheitlichen Naturgrund bewirkt, welcher die erkennenden Subjekte und deren Empfindungen untereinander verbindet. Durch die gegebene Begründung der obigen drei Sätze ist der Streit zwischen Idealismus und Realismus ein für allemal entschieden. Nachdem gezeigt worden ist, daß die Annahme einer wirklichen Außenwelt erstens nie bewiesen werden und zweitens zur Erklärung der Tatsachen der Erfahrung nichts beitragen kann, muß jedermann einsehen, daß diese Annahme eine müßige ist. Doch wird die wahre Einsicht trotz aller inneren Evidenz wenig einleuchten, wenn man nicht zeigt, wodurch dieselbe für das Bewußtsein verdeckt uns sozusagen maskiert wird. Maskiert wird hier die wahre Einsicht eben durch die Natur der Erkenntnis, um deren Erklärung es sich handelt. Der Inhalt unserer Sinnesempfindungen wird von uns selbst als eine Welt von Körpern, d. h. von Substanzen erkannt. Nun liegt es im Begriff einer Substanz, erstens, daß dieselbe unentstanden und unvergänglich ist. Die vorhandene Summe der Substanzen muß also unvermehrbar und unverminderbar sein. Eine Vielheit von Substanzen muß ferner, wenn anschaulich vorgestellt, im Raum (4) vorgestellt werden, mithin solchen Gesetzen untertan sein, nach welchen räumliche Elemente, wie Lage, Entfernung, Richtung, Geschwindigkeit, Masse u. a. das Bestimmende sind. Soll also unsere Körperwahrnehmung möglich sein, so müssen unsere Empfindungen in solcher Ordnung und Sukzession auftreten, daß sie uns ohne faktischen Widerspruch als eine Welt erscheinen, welche mechanischen und physikalischen Gesetzen untertan ist. Aber wir, die erkennenden Subjekte sind selbst innerlich nicht den mechanischen und physikalischen Gesetzen untertan; auf uns sind räumliche Bestimmungen, wie Figur, Masse, Entfernung usw. nicht anwendbar. Damit wir in die Gesetzmäßigkeit der erscheinenden räumlichen Welt aufgenommen und eingereiht werden können, müssen wir also in einer besonderen Verbindung mit einem besonderen Körper erscheinen, welcher unsere Beziehungen zur übrigen Körperwelt vermittelt. Diese Rolle spielt unser Leib, dessen Zusammenhang mit unseren inneren Zuständen nach besonderen, von den physikalischen verschiedenen Gesetzen geregelt ist, nach denen jede Affektion des Leibes eine Empfindung in uns, sowie auch umgekehrt ein Gefühl oder ein Willensentschluß in uns Bewegungen im Leib zur Folge hat, was alles mechanisch und physikalisch gar nicht erklärt werden kann. So muß es uns scheinen, daß wir die Körper zugleich unmittelbar wahrnehmen und aus deren Einwirkungen auf unseren Leib mittelbar erschließen. So kommt es, daß wir von der Körperwelt jederzeit so viel sehen, als die Sehkraft unserer Augen reicht und der Umfang unseres Sehfeldes faßt; soviel betasten, als unsere Hände greifen, so viel durchlaufen, als unsere Füße tragen können usw. Es muß uns scheinen, daß unsere Empfindungen nicht, wie es in Wahrheit der Fall ist, durch einen einheitlichen nicht wahrnehmbaren Naturgrund, sondern durch die vielen wahrgenommenen Körper bewirkt werden, deren Gruppierung um uns herum nach Zeit und Ort wechselt. Es müssen also in unserer Erfahrung Wirkungen eintreten können, die uns bei der Unkenntnis der Umstände oder der Naturgesetze in ihrem ganzen Umfang unerwartet und überraschend sind, jedoch bei näherer Untersuchung sich aus diesen erklären lassen. Das verbürgt die (empirische) Gültigkeit nicht allein der physikalischen Naturgesetze, sondern auch der Theorien, welche zur Erklärung derselben dienen, wenn diese Theorien - wie z. B. die mechanische Wärmetheorie - den Ergebnissen der Wahrnehmung und dem Begriff der Körper konform sind. Diese folgerichtige Organisation des Scheins ist es nun, was dessen für die Meisten unüberwindliche Gewalt ausmacht. Selbst diejenigen, welche einsehen, daß unsere Körperwahrnehmung ansich ein bloßer Schein ist, d. h. ohne direkte, innere Beziehung zu einer wirklichen Körperwelt steht, nehmen doch infolge davon gerne an, daß die Wirklichkeit diesem Schein entspreche, daß unsere Wahrnehmung, wie es ein Schriftsteller ausgedrückt hat, "durch einen Kunstgriff der Natur derart organisiert ist, um (äußeren) Objekten zu entsprechen." (5) Man bedenkt nicht, daß ohne diese folgerichtige Organisation des Scheins derselbe gar nicht möglich gewesen wäre, die Täuschung gar nicht entstehen und bestehen könnte, welche uns in unseren Sinnesempfindungen eine Welt von Körpern zeigt. Diese folgerichtige Organisation des Scheins ist so weit entfernt, eine notwendige Beziehung auf eine entsprechende wirkliche Außenwelt vorauszusetzen, daß sie dieselbe vielmehr, wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde, ausschließt. Die Voraussetzung, daß dem Schein die Wirklichkeit entspreche, daß jederzeit an dem Ort, wo uns ein Körper zu liegen scheint, ein wirkliches, obgleich unerkennbares Außending sich befinden und daß jede wahrgenommene Bewegung der scheinbaren Körper von einer nich wahrgenommenen Bewegung der wirklichen Außendinge begleitet werden müsse, ist ein gar kurioses Widerspiel der gewöhnlichen Anschauungsweise. Nach der gewöhnlichen Ansicht sind die wirklichen Außendinge und die Vorgänge in denselben die Ursachen unserer Wahrnehmungen; nach jener Voraussetzung dagegen müßten unsere Wahrnehmungen die eigentliche raison d'etre [Daseinsgrund - wp] der Außendinge und der Vorgänge in denselben sein. Danach müßte eine uns unbekannte Außenwelt existieren und hin und her bewegt werden lediglich aus purer Gewissenhaftigkeit, damit ja unsere Wahrnehmungen nicht ohne entsprechende Gegenstände in der Wirklichkeit bleiben, obgleich zwischen beiden keine direkte Beziehung besteht. Diese Annahme zu widerlegen, ist offenbar unnötig; dieselbe beweist bloß, daß selbst diejenigen, welche den natürlichen Schein zum Teil schon durchschaut haben, sich nicht immer von demselben zu befreien vermögen. Allerdings ist die Natur Meisterin in der Täuschung, aber das ist doch kein Grund, uns von ihr in alle Ewigkeit düpieren zu lassen. Wenn indessen unsere Körperwahrnehmung in dem Sinne ein bloßer Schein ist, daß derselben keine wirklichen im Raum existierenden Substanzen entsprechen, so ist sie doch nicht ein bloßer Schein in dem Sinne, daß ihr gar keine Objekte in der Wirklichkeit entsprächen. Unsere Wahrnehmung hat vielmehr wirkliche entsprechende Objekte, nämlich unsere Sinnesempfindungen. Einer der Hauptgründe des gewöhnlichen realistischen Glaubens ist die Neigung, nur Körperliches als real, unsere Empfindungen dagegen als etwas Unreales anzusehen. Man hält es für einerlei, ob etwas als Empfindung in uns oder bloß in unserer Vorstellung existiert. Nun sind die Sinnesempfindungen freilich nicht real im Sinne unseres Begriffs vom Realen; dieselben sind keine unbedingten und beharrlichen Dinge, keine Substanzen, - aber sie haben die gleiche Art der Realität, welche auch uns selbst und überhaupt allen Objekten der Erfahrung eigen ist, nämlich Realität als Phänomena, als empirische Objekte, welche von unserer bloßen Vorstellung derselben verschieden sind. Auch ein Schmerzgefühl in uns ist keine Substanz, aber wird deshalb jemand dasselben für unreal halten? Ist es etwa einerlei, ob wir einen Schmerz selbst fühlen oder bloß an einen solchen denken? Aber die gleiche Art und Natur von Realität, wie ein Schmerzgefühl, hat auch eine Empfindung der Farbe, des Tons, des Geschmacks und andere. Die Neigung, diese Art von Realität gleich nichts zu achten, hat eben denselben inneren Grund, kraft dessen wir auch in unseren Sinnesempfindungen eine Welt von Substanzen (von Körpern) erkennen, nämlich den, daß wir der Natur und dem Grundgesetz unseres Denkens gemäß nur die normale Art der Existenz, d. h. nur das Sein einer beharrlichen, sich selbst gleichen Substanz zu begreifen vermögen und zu allen bloßen Erscheinungen und Sukzessionen daher Substanzen als deren Träger hinzudenken. Daher kommt es, daß wir auch unser inneres Wesen, unser Ich unser Selbst als eine Substanz erkennen, wie wir die Empfindungen der äußeren Sinne (welche einen uns fremden Inhalt darbieten) als eine Welt uns fremder äußerer Substanzen erkennen. In Wahrheit ist aber weder in der inneren noch in der äußeren Erfahrung eine wirkliche Substanz anzutreffen, sondern bloß Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen und ähnliche Phänomene, welche stets kommen und gehen. Alles in der Welt der Erfahrung ist ein bloßes Schweben und Geschehen, obgleich allerdings der Inhalt der Erfahrung so organisiert ist, daß wir in demselben beharrliche Substanzen zu erkennen glauben. Es ist freilich unbegreiflich, daß die Natur systematisch auf Täuschung eingerichtet ist, daß wir mit Naturnotwendigkeit Dinge zu sehen, zu betasten und zu bewegen scheinen, welche in Wahrheit nicht so, wie wir sie vorstellen, existieren. Aber eine Unbekanntschaft mit dem Wesen der uns umgebenden Wirklichkeit zeigt sich eben in der Voraussetzung (welche den eigentlichen, tieferen Grund des Realismus bildet), daß die gegebene Wirklichkeit begreiflich sein müsse und daß dieselbe gar durch die Annahme von Dingen außer uns erklärt werden könne. Wie wenig dies der Fall ist, haben die vorhergehenden Erörterungen gezeigt. Durch die Annahme wirklicher Außendinge werden die Tatsachen nicht erklärt, sondern zur vorhandenen faktischen Unbegreiflichkeit eine neue ersonnene Unbegreiflichkeit hinzugefügt, welche außer ihrer Nutz- und Grundlosigkeit noch den schweren Nachteil hat, logische Widersprüche zu implizieren. In einem folgenden Artikel werde ich zeigen, daß die empirische Natur der Dinge überhaupt eine abnorme und darum keiner endgültigen Erklärung fähig ist.
1) Die oben angeführten zwei induktiven Schlüsse dienen bloß dazu, den wahren Tatbestand selbst zu konstatieren. 2) Außerdem ist es unmittelbar klar, daß die bloße Eigenschaft eines Dings, einen Raum zu erfüllen, keine reale Qualität ist. Denn dieselbe besagt bloß, daß etwas einen Raum erfülle, enthält aber keine Andeutung darüber, was dieses Raumerfüllende sei. 3) Daß das Gesetz des Stoßes eine innere Rücksicht oder Anpassung der Körper aneinander impliziert und daß alle innere Rücksicht und Verbindung der Körper untereinander ihrem Begriff widerspricht, kann ich hier natürlich nicht beweisen. Beide Beweise habe ich jedoch im 2. Band meines Werkes "Denken und Wirklichkeit" gegeben, den ersteren auf Seite 127 und 128, den letztern auf Seite 118 der 2. Auflage. 4) "Da Substanzen, d. h. selbstexistierende, unbedingte Wesen in keinem ursprünglichen Zusammenhang untereinander stehen und deren Verhältnisse also nach keiner Seite hin vorausbestimmt und unabänderlich festgesetzt sind, so muß eine Mehrheit von Substanzen in einem Medium vorgestellt werden, welches die Möglichkeit aller äußeren Verhältnisse zuläßt, als die Totalität aller möglichen Richtungen enthält" (Denken und Wirklichkeit II, Seite 20). Diese Eigenschaft des Raumes, die Totalität aller möglichen Richtungen zu enthalten, bewirkt, daß jeder Körper nach allen Seiten hin durch den Raum von anderen Dingen getrennt ist, was dessen Selbständigkeit denselben gegenüber begründet. Was die anderen geometrischen Eigenschaften des Raumes betrifft, so gehören dieselben zur Natureinrichtung, zur "Form" unserer Anschauung, welche nicht weiter erklärt werden kann. 5) HIPPOLYTE TAINE, De l'Intelligence I, 1870, Seite 413 - 414: "Ni la perception extérieure, ni les autres prises de connaissance ne sont des actions simples qui s'appliquent et se terminent á des objets différents d'elles-mêmes. Ce sont des simulacres, des fantômes, ou semblants de ces objets, des hallucinations le plus souvent vraies, et, par un artifice de la nature, arrangées de facon á correspondre aux objets." |