cr-4cr-2F. H. JacobiW. FreytagKausalitätHume als Nominalist    
 
ALOIS RIEHL
Die Wirklichkeit der Außenwelt

Humes Kausalitätstheorie
Kritik des Kraftbegriffs
Über abstrakte Ideen
Persönliche Identität
Nur der Gebrauch, nicht der Inhalt gewisser Begriffe, ist ein allgemeiner.

Wohl gehören auch die weiteren Erörterungen des ersten Buches des  Treatise,  des Buches über den Verstand, nicht mehr zu den geschichtlichen Voraussetzungen KANTs, - in der "Untersuchung" werden sie nur noch berührt, nicht näher ausgeführt -, für eine, auch nur übersichtliche Darstellung der Philosophie HUMEs jedoch sind sie nicht zu entbehren.

HUME legt mit ihnen wahrhaft glänzende Proben seines höchst subtilen Denkens ab, auch muß man sie aus ihrem Zusammenhang heraus verstehen, um seinen sogenannten Skeptizismus richtig zu beurteilen. Immer wird die Kritik der gewöhnlichen Kausalitätsbegriffe, der Vorstellungen von  Kraft  und notwendiger Verknüpfung, HUMEs größte Leistung bleiben, wie sie auch vermöge ihres Einflusses auf KANT seine erfolgreichste war; man kennt aber HUME zu wenig, wenn man nur von dieser Kritik weiß. Man kennt ihn freilich auch dann erst zur Hälfte, wenn man, wie unser Plan vorschreibt, nur seine theoretische Philosophie berücksichtigt.

Er selbst hat auf seine Untersuchungen zur praktischen Philosophie nicht das geringere Gewicht gelegt, der Essay über die Prinzipien der Moral galt ihm für seine beste Schrift, und es scheint, daß auch KANT ihn zunächst mehr von dieser Seite aus gewürdigt hat. In der "Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahre 1765-1767" nennt KANT die Versuche HUMEs in der praktischen Weltweisheit neben jenen von SHAFTESBURY und HUTCHESON mit Auszeichnung und bemerkt, sie seien zwar unvollendet und mangelhaft, gleichwohl aber am weitesten in der Aufsuchung der Gründe aller Sittlichkeit.

Im vierten Teil des ersten Bandes des  Treatise  zeigt HUME unter der Überschrift: "von den skeptischen und anderen philosophischen Systemen" den Kampf der philosophischen Sekten und Systeme in ihren Lehren von der materiellen und der geistigen Welt. Vornehmlich ist es die Lehre BERKELEYs, deren Konsequenzen HUME im Sinne eines totalen Skeptizismus auffaßt, und das System SPINOZAs, das er nicht ohne Bosheit mit dem "Systeme der Theologen" zusammenbringt; auch Sätze von LEIBNIZ werden berührt.

Im Mittelpunkt der Erörterung aber steht der Begriff der  Substanz  in seiner Anwendung auf Körper und Geist. HUMEs Absicht dabei ist polemisch und dies allein verwehrt schon, hier eine Darlegung seiner eigenen Überzeugungen zu suchen. Auf die Frage, zu welcher Partei er selbst sich schlage in dem Streit der Sekten und Meinungen, den er vorführt, kann die Antwort nur lauten: zu keiner. Die Vernunft vermag die "Krankheit" der Skepsis nicht zu heilen. Wie aber die Vernunft die geistige Natur des Menschen nicht erschöpft, so erschöpft auch eine nur auf Begriffe gegründete Philosophie nicht die Philosophie überhaupt, und mit gutem Grund durfte sich HUME dagegen verwahren, selbst zu den Skeptikern gezählt zu werden, die alles in Zweifel ziehen.

Der totale Skeptizismus diente ihm nur als Verfahren, er gebrauchte ihn als Waffe zur Abwehr des Dogmatismus; das Positive seiner eigenen Lehre ist daraus nicht zu entnehmen. Dieses ist vielmehr in den früheren Teilen des  Treatise,  und den entsprechenden der "Untersuchung", zu finden und namentlich in dem Satze enthalten,  daß alle Erkenntnis von Tatsachen statt auf Vernunft, auf einem Naturprinzip beruhe. 

Und wir haben diesen Satz, wonach das Wirkliche als solches nicht aus Begriffen erkannt wird und die Überzeugung von ihm jeder Willkür des Denkens entzogen ist, als ausgemacht zu nehmen, wenn wir zu dem skeptischen Teile des  Treatise  übergehen. Für ihn wird in diesem Teile der indirekte Beweis erbracht, nachdem ihn HUME zuvor direkt nachgewiesen hatte. Nur scheinbar bleibt der Streit zwischen Skeptizismus und Dogmatismus in der Frage der Realität der Außenwelt ohne Entscheid, nur anscheinend erneuert sich beständig das Spiel und Widerspiel von Beweis und Widerlegung ohne dauernden Gewinn oder Verlust; in Wahrheit ist die Entscheidung bereits gefallen.

Nur aus Begriffen allein könnte sie niemals erfolgen; sie ist aber gegeben, sobald gezeigt ist, daß das Denken der Wirklichkeit untergeordnet ist, die Vernunft dem Leben. Die Überzeugung von Existenz und Tatsächlichkeit ist selbst eine Tatsache: die Impression des "Glaubens", kein Begriff, und es wäre widersinnig, Tatsachen einfacher Art erst noch beweisen zu wollen.

HUME will sagen:
    wenn Ihr Euch anschickt, das Dasein irgendeines Dinges rein aus Begriffen zu beweisen, so zeige ich Euch, daß es auf diesem Wege niemals bewiesen werden kann und Eure vorgeblichen Beweise falsch, oder mindestens ebenso starken Gegenbeweisen ausgesetzt sind. Ich zeige Euch, daß die Vernunft bei allen solchen Demonstrationen dialektisch ist. Ihr wollt mir Euren Erklärungen und Deduktionen über Eure Grunderfahrungen hinaus, und beweist in Wirklichkeit nichts mehr, weder für diese Erfahrungen noch gegen sie.
So haben wir es zu verstehen, wenn HUME seiner Widerlegung der Beweise für das Dasein der Körperwelt die Bemerkung voranschickt: wir können immer nur fragen, welche Gründe wir haben, an das Dasein der Körper zu glauben, vergebens aber würden wir fragen, ob es Körper gibt oder nicht; denn dies sei ein Punkt, den wir bei allen solchen Überlegungen als feststehend voraussetzen müssen. HUME zweifelt also gar nicht an der Realität der äußeren Dinge, er fragt nur, ob sie zu beweisen sei, und diese Frage allein, nicht die Realität selbst ist es, die er verneint.

Muß aber alles falsch, muß auch nur ungewiß sein, was sich nicht beweisen läßt. Unsere Begriffe sind nicht das Maß für wirkliche Existenz; Beweis dafür: weder das Sein der Außenwelt, noch ihr Nichtsein läßt sich aus bloßen Begriffen demonstrieren. Der Glaube an die Wirklichkeit der Dinge außer uns ist selbst von dem Range einer Wirklichkeit, er ist ein unmittelbares Erlebnis, früher daher, gründlicher und sicherer, als irgendeine Argumentation aus Begriffen, die dafür auch immer zu spät käme. So ist es die Lehre HUMEs.

Um die Grenzen der rein begrifflichen Erkenntnis zu finden, stehen uns zwei Wege offen, entweder unmittelbar zu untersuchen, was unsere Begriffe leisten, oder zu bestimmen, was sie nicht zu leisten vermögen, enweder die Macht oder die Ohnmacht der reinen Vernunft zu zeigen. Beide Wege führen, nur von entgegengesetzten Ausgangspunkten her, schießlich zu demselben Ziele.

HUME schlägt den zweiten ein. Auf die Frage, wie weit sich das Vermögen der Begriffe erstrecke, entgegnet er: nicht so weit, um das Dasein der Dinge außer uns zu beweisen, oder irgendeine Frage tatsächlicher Art von sich allein aus zu entscheiden; also wird das Dasein, welches zu leugnen widersinnig wäre, nicht aus bloßen Begriffen erkannt. Wer diesen Standpunkt dem "Skeptizismus" HUMEs gegenüber nicht einnimmt, muß zu dem folgenden, höchst seltsamen Ergebnis gelangen.

Nach HUME ist die Wirklichkeit der Außenwelt eingebildet; gegeben sind uns allein die Perzeptionen oder Vorstellungen in unserem Geiste. Nun sind unsere Vorstellungen unterbrochen; nirgends also gibt es dauernde Existenz. Das Schließen unserer Augen vernichtet Dinge, ihr Wiederaufschlagen schafft neue Objekte.

Besteht, wie BERKELEY lehrte, das Sein der Körper in ihrem Vorgestelltwerden, so ist auch das Sein der Geister, einschließlich unseres eigenen Seins, nur in der Vorstellung vorhanden. Ich kann das Dasein von Geistern nicht mehr behaupten, nachdem ich das Dasein der Körper verneint habe; der nämliche Grund, der mich bestimmte, von diesen die Existenz zu verneinen, zwingt mich, sie auch jenen abzusprechen. Soll gewiß nur sein, was beweisbar ist, so war meine eigene Existenz, während ich schlief, nicht gewiß, denn ich könnte sie nicht beweisen. Die Unterbrechung meiner Vorstellungen müßte meine Existenz selbst unterbrochen haben, und nicht bloß das Bewußtsein von meiner Existenz, und ebenso auch die Existenz aller übrigen Dinge.

Kurz, so oft ich nicht vorstelle, existiert nichts, weder in mir, noch außer mir, weder Geist noch Körper. "Bischof BERKELEY", spottet SIDNEY SMITH in seinen Vorlesungen über Moralphilosophie, "hat in einem Oktavbande diese Körperwelt um uns her zerstört und nichts ist seither wirklich gewesen als der Geist, den im Jahre 1737 dasselbe Schicksal von der Hand HUMEs traf, so daß bei solcher Zerstörungssucht nichts mehr zu zerstören übrig blieb."

Wer dies für das letzte Wort und die ernstliche Meinung HUMEs nehmen will, mag selber zusehen, wie er damit die Tatsache vereinbaren kann, daß derselbe HUME an zahlreichen Orten seines Werkes sehr bestimmte und positive Ansichten über die Existenz der Dinge äußert, und wo er über seine nächste, erkenntniskritische und psychologische Aufgabe hinausgeht, zu physiologischen Erklärungsgründen greift, so für die Gesetze der Assoziation und die Verstärkung, die das Bewußtsein einer Idee durch den Sinneseindruck erfährt, mit dem sie assoziiert ist.

Wie durfte HUME von einer Struktur der Körper reden, die unseren Sinnen verborgen bliebe, wenn er nicht an das Dasein der Körper, unabhängig von unseren sinnlichen Vorstellungen, glaubte, - wie die Moral auf Sympathie gründen, wenn ihm die Existenz von Wesen unsersgleichen wirklich zweifelhaft war? Auch der Nebenmensch gehört zu der Außenwelt des Menschen.

Wiederholt und in nachdrücklichen Worten hat HUME die Existenz wirkender Prinzipien in der Natur behauptet und immer nur ihre Erkennbarkeit bestritten; will man also nicht annehmen, er habe die Sprache nur gebraucht, seine wahre Meinung zu verbergen, was nur in der Diplomatie üblich sein soll, oder sich doch in den auffälligsten Widersprüchen ergangen, so bleibt nur übrig, den Sinn seines "Skeptizismus" anders aufzufassen, als in der bisher gewohnten Weise.

Nach bloßen Begriffen zu urteilen, bliebe es unentschieden, ob wirklich Dinge außer uns existieren oder nicht; dies ist aber kein Argument gegen die Wirklichkeit äußerer Dinge, sondern nur ein Beweis der Unzulänglichkeit bloßer Begriffe für reale Erkenntnis. HUME folgt einem Zuge der Natur selbst, wenn er mit seiner Philosophie der Sinne und des Wirklichen den Geist von leeren Spekulationen abruft zur Erfahrung des Tatsächlichen und Erfahrbaren; denn auch die Natur hat uns zum Handeln bestimmt und für die Geselligkeit, nicht zum Disputieren.

Jenseits unserer Impressionen ist kein Feld mehr für die sichere Erkenntnis von Tatsachen, denn die Impressionen der Sinne sind selbst für uns die letzten, oder, wenn man so will, ersten Tatsachen. "Fangen wir nicht von Erfahrungen an, oder gehen wir nicht nach Gesetzen des empirischen Zusammenhanges der Erscheinungen fort, so machen wir uns vergeblich Staat, das Dasein irgendeines Dinges erraten oder erforschen zu wollen", erklärte auch KANT.

Nur beziehungsweise, nur der Begriffsmetaphysik gegenüber sollte somit die Skepsis HUMEs gelten. Dies schließt natürlich nicht aus, daß auch der skeptische Teil seiner Philosophie Elemente seines Positivismus enthält. Wir zählen dazu die Auffassung, die HUME vom Probleme der  Substanz  und die Kritik, die er vom Begriffe der persönlichen Identität gibt. Mit LOCKE und im Gegensatz zu BERKELEY lehrte HUME die Unerkennbarkeit auch der geistigen Substanz, mit BERKELEY und gegen LOCKE ließ er den Unterschied der primären von den sekundären Qualitäten nicht gelten: die Unerkennbarkeit der körperlichen Substanz oder Materie ist bei ihm daher noch vollständiger, als bei LOCKE.

Den Streit über die persönliche Identität aber erklärte er für eine mehr grammatische als philosophische Kontroverse, in überraschender Übereinstimmung mit KANT, der in den "Paralogismen der reinen Vernunft" gleichfalls das  Ich  ein "Vorwort" nennt, "das die Vorstellungen ingesamt regiert. Durch dieses Ich, oder Er oder Es, was denkt", fährt KANT fort, "wird nichts weiter vorgestellt als ein transzendentales Subjekt der Gedanken, wovon wir abgesondert niemals den mindesten Begriff haben können."

Auch BERKELEYs Idealismus bildet eine Voraussetzung und in der Gestalt des Phänomenalismus einen Bestandteil der Lehre HUMEs. Es ist ohne Zweifel HUMEs wahre und eigentliche Meinung, daß uns das Wesen der Materie unbekannt und nur die Erscheinung von Etwas gegeben ist, das wir als Materie bezeichnen, aber dadurch nicht erkennen. Nur müssen wir, um HUME richtig zu verstehen, beides: den Idealismus der Dinge, welcher selbst dogmatisch ist, und den Phänomenalismus der Wahrnehmungen der Dinge, welcher kritisch ist, bestimmt unterscheiden.

Es ist nicht einerlei zu erklären: die Eindrücke der Sinne geben uns immer nur die Erscheinung der Dinge zu erkennen, und zu behaupten: die äußeren Dinge selbst sind nur ein Schein und außer unserer Vorstellung nicht vorhanden. Jene Erklärung läßt die Wirklichkeit der Dinge unangetastet, ja setzt sie voraus; diese Behauptung dagegen führt zu einem vollständigen Illusionismus auch der inneren Erfahrung. Ist nämlich der äußere Sinn nur ein Schein, so muß es auch der innere Sein; denn erst aus der Wechselwirkung beider Sinne geht das Bewußtsein unseres eigenen Daseins hervor. Jeder von uns würde sich demnach nur einbilden, zu sein.

Die Annahme der Wirklichkeit der Außenwelt, d.i. der Existenz von Dingen außer unserer Vorstellung und unabhängig von unserem Bewußtsein, scheint so einfach und selbstverständlich zu sein, wie sie natürlich und unvermeidlich ist. Versuchen wir aber, sie zu beweisen, so geraten wir mehr und mehr in Dunkelheiten hinein und finden uns in Widersprüche verstrickt, die die Kraft unseres Beweises aufheben müssen.

Zunächst ist die Frage der Existenz eine Frage tatsächlicher Art und als solche niemals rein aus Begriffen zu entscheiden. Dann aber erhebt sich gegen den Beweiss äußerer Existenz eine unüberwindliche Schwierigkeit in dem "Skeptizismus der Sinne". Mit diesem Ausdruck bezeichnet HUME nicht die Sinnestäuschungen, oder die gewöhnlichen Zweifelsgründe gegen das Zeugnis unserer Wahrnehmung; er versteht darunter den Widerstreit zwischen den Sinnen und der Vernunft. Soll diese das von der Vorstellung verschiedene und von ihr unabhängige Sein der Dinge beweisen können, so müßten uns die Objekte zweimal gegeben sein: in der Wahrnehmung und zugleich als Außendinge.

Nun sind für das sinnliche Bewußtsein seine Wahrnehmungen selbst seine Objekte, und Dinge und Vorstellungen der Dinge nicht zu trennen. Wie aber sollten Begriffe diese Trennung vornehmen, wie sie beweisen können, da ja Begriffe nach der Lehre HUMEs von den Eindrücken der Sinne abstammen? Ein zweifelloser Beweis für das Dasein der Außenwelt kann also niemals geführt werden. Statt aber daraus zu schließen: also ist das Dasein äußerer Dinge ungewiß, haben wir vielmehr zu schließen: also gehört der Glaube an ihr Dasein nicht zu jenen Erkenntnissen, die erst durch Beweise vermittelt werden müßten.
    Dieser Glaube ist unwillkürlich wie der Stoffwechsel in unserem Körper, unentbehrlich für unsere eigene Existenz wie das Atemholen; er ist mit einem Worte physiologisch verursacht, mag er immerhin logisch nicht zu begründen sein. Auf seine Gründe hin angesehen und als Erkenntnis aus Begriffen bewertet, müßte er zweifelhaft werden, ja er würde sich sogar selbst zerstören.
Wir behaupten ein Doppeltes von den Dingen, wenn wir sagen, daß sie außer uns existieren: wir schreiben ihnen damit eine kontinuierliche oder fortdauernde Existenz zu, auch in der Zeit, in der sie unseren Sinnen nicht gegenwärtig sind, und wir betrachten ihre Existenz als verschieden und unabhängig von unserem Geiste und seinen Wahrnehmungen. Beide Behauptungen, die in dem Bewußtsein äußerer Existenz vereinigt sind, hängen wechselseitig voneinander ab; jede läßt sich aus der anderen folgern, gleichviel von welcher wir ausgehen mögen; so folgt aus der kontinuierlichen Existenz, die wir einem Objekte zuschreiben, auch seine distinkte, d.i. von unserer Wahrnehmung unabhängige Existenz, und umgekehrt bringt die Annahme der letzteren die Vorstellung der ersten mit sich.

Der natürliche Gang des Bewußtseins äußerer Existenz führt jedoch nach HUME von der Annahme fortdauernder zur Vorstellung der unabhängigen Existenz der Körper. Sehen wir die Sonne heute, die wir gestern gesehen haben, so zweifeln wir nicht, daß es dieselbe Sonne ist, und behaupten daher, daß sie fortgefahren hat, zu existieren, daß sie dauernd vorhanden gewesen ist; da wir aber erwägen, daß unsere Wahrnehmung von ihr unterbrochen war, so folgern wir aus der Fortdauer ihrer Existenz im Gegensatz zu dieser Unterbrechung, daß ihr Sein an sich selbst unabhängig ist von unserer Wahrnehmung.

Sind es die Sinne, fragt HUME, ist es die Vernunft, oder die Einbildungskraft, die in uns diese Meinung von einer fortdauernden und unabhängigen Wirklichkeit der äußeren Dinge hervorbringen? - Von den Sinnen kann sie nicht herrühren: die einzigen Objekte der Sinne sind unsere Perzeptionen, unsere Wahrnehmungen selbst; diese aber haben so wenig dauerndes Bestehen, wie sie außer unserem Geiste, oder getrennt von ihm, existieren.

Kein Sinn gibt uns die Eindrücke, die er liefert, als Abbilder oder Wirkungen eines von ihnen verschiedenen Objektes zu erkennen; die Eindrücke selbst sind die Bestandteile des sinnlichen Objektes. SOllten die Sinnendinge außer unserem Geiste und gesondert von ihm erscheinen, so müßte unser Geist selbst in unmittelbarer Anschauung den übrigen sinnlichen Objekten wie ein anderes Objekt gegenüberstehen; nun erscheint wohl das Blatt, worauf ich schreibe, außerhalb meiner Hand, der Tisch außerhalb des Papiers, alle diese Dinge aber und überhaupt die sämtlichen Gegenstände meiner Umgebung sind nicht außer meinem Geiste, dessen Perzeptionen sie sind.

Es ist gewiß, die Sinne verschaffen uns keine Kenntnis von einem Objekte außer der Wahrnehmung und verschieden von ihr. Auch die Vernunft vermag nicht, diese unabhängige, von der Wahrnehmung abgesonderte Existenz der Dinge zu beweisen. Ihr Beweis müßte sich auf das Prinzip der Kausalität stützen, nun ist aber dieses Prinzip selbst aus reiner Vernunft nicht zu beweisen. Auch führt es uns immer nur von einer gegenwärtigen Impression zu einer abwesenden, und nie gelangen wir an seinem Leitfaden über den Umkreis unserer Impressionen hinaus, zu Dingen, die von diesen verschieden und getrennt sind.
    So bleibt als Quelle unserer Vorstellung von der kontinuierlichen und getrennten Existenz der Dinge nur die Einbildungskraft übrig. Ihre Eigenschaften sind es nach HUME, die in Konkurrenz mit gewissen Eigenschaften der Wahrnehmungen, oder der Objekte des sinnlichen Bewußtseins, diese Vorstellung erzeugen.
Eindrücke oder Wahrnehmungen, denen wir vor anderen die Bedeutung von Dingen zuerkennen, unterscheiden sich von diesen anderen durch die Beständigkeit, mit der sie sich in gleicher Weise wiederholen und durch einen gewissen Zusammenhang, den sie selbst noch bei ihren Veränderungen bewahren. Die Berge, Häuser, Bäume vor meinen Augen erscheinen immer wieder in der nämlichen Gestalt und Ordnung, auch nachdem ich sie kürzere oder längere Zeit aus dem Gesichte verloren habe. Das Holz in meinem Ofen ist während meiner Abwesenheit in Asche verwandelt worden; ich bin aber gewohnt, eine gleiche Veränderung in gleicher Zeit zu erwarten, mag ich gegenwärtig sein, oder nicht.

Diese beiden Umstände: die "Konstanz" und die "Kohärenz" gewisser Wahrnehmungen veranlassen die Einbildungskraft, diesen Wahrnehmungen selbst eine fortgesetzte Existenz zuzuschreiben. Wir haben, so erklärt dies HUME, die Neigung, sehr ähnliche Wahrnehmungen für eine und dieselbe, numerisch identische Wahrnehmung zu halten. Die Einbildungskraft gleitet leicht über die tatsächliche Unterbrechung hinweg und zwar um so leichter, je kürzer die Intervalle zwischen den gleichen Wahrnehmungen sind.

So erscheinen uns die Wahrnehmungen eines Hauses vor dem Schließen und die nach dem Wiederöffnen unserer Augen als eine und dieselbe Wahrnehmung und folglich als ein und das nämliche, kontinuierliche Objekt. Aus einem ähnlichen Grunde ergänzen wir auch durch die Einbildung die in der Wahrnehmung fehlenden Glieder eines Zusammenhangs. Einmal in Schwung geraten, fährt die Einbildungskraft, auch ohne neuen Antrieb, in ihrer Richtung fort.

Gewohnt, an Gleichförmigkeit in der Natur zu glauben, suchen wir, dem Zuge dieser Gewohnheit folgend, die Gleichförmigkeit noch vollkommener zu machen durch die Voraussetzung fortdauernder Existenz. Wenn uns die genaue Ähnlichkeit mehrerer Wahrnehmungen bestimmt, sie für identisch zu halten, so beseitigen wir ihre Unterbrechung, oder gehen über diese hinweg, indem wir uns einbilden, die Wahrnehmung selbst habe kontinuierlich bestanden und mit dieser ihrer fortdauernden Existenz die Intermittenzen unseres Bewußtseins ausgefüllt.

Und die gleiche Voraussetzung kontinuierlicher Existenz ist in vielen Fällen das einzige Mittel, einander widersprechende Beobachtungen zu vereinigen. So werden wir durch die Natur unserer Einbildungskraft dahin gebracht, die Welt der äußeren Dinge als beharrlich aufzufassen, und dasselbe Vermögen bestimmt uns auch, die Lücken unserer Beobachtung durch Einschaltung der gewöhnlichen Ursachen zu ergänzen und so den Zusammenhang unserer Wahrnehmungen zu einem wirklich gleichförmigen oder gesetzlichen zu machen, während er ohne diese Einschaltung willkürlich und abgerissen erscheinen müßte, sofern sehr häufig eine Wirkung auftreten würde ohne vorangegangene Ursache.

Die Neigung, Gleichheit mit Identität zu verwechseln und eine kontinuierliche Existenz der sinnlichen Objekte zu ersinnen, wird in ihrer Wirkung durch die lebhaften Eindrücke des Gedächtnisses und der Gewohnheit verstärkt, und darum halten wir diese Existenz nicht für eingebildet; wir glauben an sie.

Prüfen wir diesen Glauben auf seinen Erkenntniswert, so wird er erschüttert, ohne daß wir vermöchten, ihn durch anderweitige Gründe zu befestigen. Zwischen den Eigenschaften der Konstanz oder der Gleichheit und des Zusammenhanges gewisser Wahrnehmungen, und ihrer Identität und Fortdauer besteht keine notwendige Verknüpfung. Keine Wahrnehmung ist nach der Unterbrechung numerisch dieselbe. Die Neigung also, ähnliche Perzeptionen für identische zu nehmen, ist irreleitend und die Vorstellung kontinuierlicher Existenz im Grunde ebenso falsch, wie jene Identität gleicher Perzeptionen, woraus sie gefolgert wird.

Und schließt auch die Annahme, eine Perzeption könne unabhängig vom Geiste existieren, bei unserer Unbekanntschaft mit dem Wesen des Geistes, keinen eigentlichen Widerspruch in sich ein, so wird sie dafür durch augenscheinliche Erfahrungen widerlegt, die uns die Abhängigkeit aller Perzeptionen von unseren Organen und der Verfassung unserer Nerven zeigen. Endlich vermag die Gewohnheit jene Regelmäßigkeit, aus der sie selber herstammt und die niemals eine vollkommene ist, nicht zu übertreffen, wie es durch die Annahme der Identität und kontinuierlichen Existenz der Objekte bezweckt wird.

Kurz, das System, auf das die Einbildungskraft uns bringt, ist logisch nicht zu rechtfertigen. Ein wirklicher Beweis für die vollkommene Identität einer Perzeption, oder eines sinnlichen Objektes, setzt sowohl die Unveränderlichkeit oder inhaltliche Gleichheit, wie auch die Ununterbrochenheit dieser Perzeption voraus, von welchen beiden Bestandteilen des Beweises nur die erste, die Gleichheit des Inhaltes, gegeben ist, die zweite durch den leichten Übergang der Einbildungskraft von Gleichheit zu Identität ersetzt, d.i. eigentlich erdichtet wird.

Die Philosophen suchen aus dieser Verlegenheit einen Ausweg durch einen Kompromiß zwischen Vernunft und Einbildung. Sie räumen ein, daß numerisch verschiedene Wahrnehmungen nicht identische sind, und halten zugleich an der Vorstellung kontinuierlicher Existenz fest. Sie trennen daher Wahrnehmungen und Dinge und schreiben den Wechsel den Wahrnehmungen zu, die fortdauernde Existenz den Dingen.
    "Sie leugnen", sagt HUME, "daß unsere ähnlichen Perzeptionen identische Perzeptionen oder Dinge seien und glauben doch so fest daran, daß sie eine neue Sorte von Perzeptionen erfinden: - von Perzeptionen, denn es ist uns ganz unmöglich, deutlich oder bestimmt vorzustellen, daß Objekte ihrer Natur nach etwas anderes sein könnten, als wiederum Perzeptionen".
Was sollte auch das Ding außer seiner Vorstellung noch sein können? Nehmen wir ihm alle Eigenschaften der Vorstellung, so bleibt nichts übrig, als ein unsagbares, völlig unbestimmtes Etwas überhaupt, "das sich keiner Bemühung des Skeptikers lohnt".

So zeigt sich, daß alle Systeme, die wir ersinnen mögen, die Realität der Außenwelt zu erweisen, aus grundlosen oder falschen Meinungen bestehen und daß die Aufgabe, durch Vernunft das Dasein der Dinge außer uns zu rechtfertigen, das Vermögen unserer Vernunft übersteigt.

Ich brauche nicht zu bemerken, daß ich mich zu diesen Sätzen HUMEs darstellend verhalte, nicht zustimmtend. Ihre eigentliche Bedeutung liegt in dem Ergebnis, daß der Positivismus der reinen Erfahrung im Widerspruch steht zu unseren natürlichsten und wesentlichsten Überzeugungen: - dem Ergebnis, wie ich wiederholen will, daß reine Erfahrung, keine  Erfahrung  ist.
LITERATUR - Alois Riehl, Der philosophische Kritizismus, Bd.I, Leipzig 1924