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Hume's Kritik des Kraftbegriffes
Kraft und notwendige Verknüpfung gehören zusammen; beide Begriffe werden auch von HUME gemeinschaftlich geprüft. Hätten wir eine Wahrnehmung von Kraft, so könnten wir auch die Kausalität, die Verknüpfung von Ursache und Wirkung, wahrnehmen; wir könnten sie "von innen" sehen. Nun entspricht es der allgemeinen Meinung, daß wir Kraft wirklich wahrnehmen, wir würden sonst nicht von ihr reden. Wir glauben zu wissen, was mechanische Kraft ihrem Wesen nach sei, nämlich bewegende Kraft und Ursache der Beschleunigung; und noch stärker sind wir überzeugt, in unserem eigenen Willen eine Kraft unmittelbar zu erleben. Daher machen wir den Willen zum Typus der Kraft und denken uns auch die Kräfte in der äußeren Natur willensartig. Die Widerlegung dieser gewöhnlichen und ganz naturwüchsigen Meinung ist vielleicht das größte Verdienst HUMEs und die Sache selbst durch ihn ein für allemal erledigt. Wiederholt hat in der Geschichte des menschlichen Geistes, der Geschichte der Wissenschaft und Philosophie, der größte Fortschritt in einer "Umwälzung der Denkart" bestanden; auch die Berichtigung der Kraftvorstellungen gehört zu diesen Fortschritten. HUME liefert damit den indirekten Beweis für seine Kausalitätstheorie; er mach die Gegenprobe auf deren Richtigkeit. Der Reihe nach durchgeht er alle Arten von Fällen, in denen wir den Ausdruck Kraft gebrauchen, in dem Glauben eine anschaulich Bedeutung für dieses Wort zu besitzen: er betrachtet die Beziehungen der physischen Ursachen zu ihren physischen Wirkungen, die Verbindung psychischer Ursachen, wie es der Wille ist zu den physischen Wirkungen, die tatsächlich oder scheinbar damit zusammengehen, das Verhältnis und Zusammenhang endlich zwischen psychischen Ursachen und psychischen Wirkungen. Und da dies in der Tat alle Arten von Verbindungen sind, auf welche wir den Begriff der Kraft anwenden, so ist seine Induktion vollständig und ein Zweifel an der Allgemeinheit ihres Ergebnisses nicht möglich. Dieses Ergebnis selbst aber fällt überaus negativ aus.
Der Stoß des einen Billardballes ist von der Bewegung des zweiten begleitet: dies ist alles, was dabei den äußeren Sinnen erscheint. Kein Teil der Materie offenbart uns durch seine sinnlichen Eigenschaften irgendeine Kraft oder Energie, oder gibt uns einen Grund an die Hand, uns vorzustellen, daß er irgend etwas erzeugen, daß irgend etwas folgen werden, was wir grade als seine Wirkung auffassen müßten. Dichte, Ausdehnung, Bewegung, alle Eigenschaften der Materie sind in sich vollständig; niemals weisen sie über sich hinaus, auf einen Vorgang, der aus ihnen erfolgen mag.
Wir sind selbst Körper oder Maschinen, deren Bewegungen in die große Maschine der Außenwelt eingreifen, was liegt daher näher, als die Impulse, welche das Getriebe unserer Maschine in Gang bringen, die Gefühle, die ihre Arbeit begleiten, auf die empfindungslosen Teile der gegenständlichen Welt übertragen? Eine Übertragung, so natürlich, daß noch GALILEI, der Schöpfer der Dynamik, diese Gefühls- und Empfindungsseite der Kraft stark betonte. Weder die Unvermeidlichkeit dieser Einfühlung, noch, daß aus ihr die gewöhnliche Vorstellung der Naturkräfte entspringt, kann Gegenstand eines Streits sein. Die Frage HUMEs lautet vielmehr: enthält diese innere Wahrnehmung einen Bestandteil, der notwendig über sie selbst hinausleitet zur bestimmten Wirkung, ist sie eine Impression von Verursachung, und bringt als solche das Wesen der Kausalität zur Anschauung? Und diese Frage hat HUME unwidersprechlich verneint. Das Gefühl der Anstrengung, des Strebens und Gegenstrebens ist für sich betrachtet vollständig und abgeschlossen, es ist eine Impression, oder eine Verbindung von Impressionen, und nichts liegt in ihr selbst, was eine a priori erkennbare Verknüpfung mit einem Ereignis an die Hand gibt.
Wie sollten wir auch den Einfluß des Willens nicht ganz und gar kennen, da wir selbst es sind, die ihn nicht nur erleben, sondern ausüben und fühlen, daß wir auf das einfache Geheiß des Willens die Glieder unseres Leiben zu bewegen vermögen, oder die Richtung unserer Gedanken zu bestimmen, und unsere Gefühle zu regeln. Das Vorurteil, die Täuschung ist in diesem Falle so zwingend und allgemein, daß nicht erst die Lehre SCHOPENHAUERs, daß auch die "Philosophie der Wilden" eine Willensphilosophie ist. Um so wichtiger sind daher die Gründe, durch die HUME diese Täuschung zerstört. Der Einfluß des Willens zunächst auf die Bewegung des Körpers ist eine Tatsache wie jede andere; die Bewegung der Glieder unsres Leibes folgt unter gewöhnlichen Umständen dem Impuls unsres Willens. Wodurch aber dier Wille bewegt, das Wesen der Kraft, die eine so außerordentliche Tätigkeit äußert, entzieht sich auch der sorgfältigsten Nachforschung. Es gibt, wie man zugeben muß, in der ganzen Natur kein mysteriöseres Prinzip als die Verbindung von Seele und Leib, von Wille und Bewegung. Wie kann ein Gedanke die Materie erregen und ihre Bewegung beeinflußen?
Ein plötzlich Gelähmter fährt eine Zeitlang fort, die gewohnte Bewegung des gelähmten Gliedes zu wollen, und ist sich dieses Willens bewußt, obschon zu seiner eignen Verwunderung der Erfolg ausbleibt. Ohne auf die Hand hinzusehen, glaubt er die Hand bewegt zu haben und ist überrascht, wenn er sie doch unbewegt sieht. Sein Bewußtsein zu wollen, ist dasselbe wie in seiner gesunden Zeit, der Erfolg der entgegengesetzte; also kann im Bewußtsein des Willens der Erfolg nicht enthalten sein. Endlich werden wir von der "Anatomie" belehrt, daß die unmittelbare Wirkung des Wollens nicht die in die Sichtbarkeit tretende Bewegung des Gliedes ist. Nicht das bewegte Glied ist das Objekt, auf welches der Wille, die Kraft in der willkürlichen Bewegung, direkten Einfluß ausübt; diese Angriffspunkte oder Objekte des Willens sind gewisse Muskeln, Nerven und "Lebensgeister", wie HUME im Sinne der Physiologie seiner Zeit die nervöse Substanz nennt. Besäßen wir in dem Gefühl unseres Bestrebens zu bewegen wirklich eine Vorstellung der ursprünglichen bewegenden Kraft selbst, so brauchten wir nicht erst die Wissenschaft nach der Reihe jener Veränderungen zu befragen, die zwischen dem Bewußtsein des Willens und der bezweckten Bewegung verläuft. Wir wissen aber in der Tat so wenig davon, wodurch der Wille den Arm oder einen Finger der Hand bewegt, daß wir nicht einmal sehen, was er bewegt. - Dieses Argument ließe sich noch verstärken durch den Zweifel, ob der Wille überhaupt bewegt, und nicht vielmehr die Innervation [Nervenimpulse - wp]) des Nerven, der zu einem quergestreiften Muskel führt, und der Impuls des Willens ein und derselbe Vorgang sind, betrachtet von zwei Seiten. Nur scheinbar ist der Einfluß des Willens auf unsere Gedanken und Gefühle verständlicher, sofern hier Ursache und Wirkung der Erscheinung gleichartig sind. In Wahrheit ist auch dieser Einfluß in letztem Grund unerforschlich. Die innere Erfahrung zeigt, daß die Richtung unserer Gedanken durch den Willen bestimmt wird, sie zeigt uns nicht, wodurch dies geschieht. Die Macht des Willens über den Verlauf oder die Bewegung der Vorstellung ist ebenso in Grenzen eingeschlossen, wie seine Macht über die Glieder, ohne daß im Willen selbst ein Grund für diese Begrenzung zu finden wäre. Sie ist verschieden zu verschiedenen Zeiten, anders in der Gesundheit wie in der Krankheit, anders am Morgen wie am Abend. Sehr häufig kommen die Gedanken oder bleiben aus, sehr wider unseren Willen. Sie kommen oft, nicht wenn wir wollen, sondern wenn sie "wollen", und nicht wir geben, nach einem geistreichen Wort NIETZSCHEs, den Gedanken Audienz, die Gedanken geben uns Audienz. Auch unser Geist besitzt wie unser Körper eine geheime Struktur seiner Teile, von welcher die Wirkung abhängt, und die, weil wir sie nicht kennen, die Macht unseres Willens ebenso unbekannt sein läßt, wie sie selbst es ist. Die Selbsterfassung des Willens schließt niemals den Umstand ein, dem wir a priori die bestimmte Wirkung entnehmen könnten. Dies gilt in gleicher Weise, wenn die Wirkung ein innerer Vorgang, wie wenn sie eine äußere Erscheinung ist. Wir wissen unmittelbar nur, daß wir wollen und worauf unser Wille gerichtet ist, was wirklich folgt, Gelingen oder Mißlingen unserer Absicht, müssen wir erfahren. Und selbst unseren eigenen Willen lernen wir erst nach und nach aus Erfahrung und Beobachtung kennen. Ist also der Wille, wie SCHOPENHAUER meint, "die Kausalität von innen gesehen", so läßt uns dieser innere Anblick, was die Hauptsache betrifft, genau ebenso im Dunkeln, wie die Betrachtung irgendeines Zusammenhanges äußerer Vorgänge. Wir kennen das Wesen der "Kraft" nicht; die Kraft, die wir kennen, ist ein Beziehungsbegriff, wie die Ursache selbst, von der sie nur ein besonderer Fall, oder, dies ist HUMEs Meinung, ein anderer Ausdruck ist. So bestätigt die Prüfung der Vorstellungen der Kraft die Kausalitätstheorie HUMEs und insbesondere den Satz, daß die Erfahrung nichts lehrt, was dem Begriff einer notwendigen Verknüpfung entspricht. Zwischen physischen und moralischen Ursachen findet in bezug auf ihre Notwendigkeit kein wahrer Unterschied statt. Die Notwendigkeit einer Ursache ist die Regelmäßigkeit, womit die Wirkung in der Folge mit ihr verbunden ist, und der Schluß aus dieser Regelmäßigkeit. Beide Bedeutungen des Begriffs gelten auch von den menschlichen Handlungen. Wir nehmen eine Regelmäßigkeit der Handlungen wahr, die sich ums so mehr verstärkt, je mehr wir in die Verknüpfungen der Willensakte mit ihren Ursachen eindringen, und wir richten unsere Schlüsse und unser Betragen in bezug auf andere Menschen nach der Überzeugung von ihrer Gleichförmigkeit ein. Aber auch der Eindruck der Notwendigkeit ist bei der physischen und der moralischen Verursachung von derselben Art. HUME zeigt dies durch ein treffendes Beispiel. Ein Gefangener ohne Geld und Einfluß überlegt die Möglichkeit der Flucht. Er wird eher hoffen dürfen, Mauern und Eisen zu brechen, als den Willen der Wächter zu beugen. Zum Schafott geführt, weiß er, daß die Gewißheit seines Todes ebenso durch die Pflichttreue der Wächter und Gerichtspersonen, wie durch die Wirkung des Beiles bedingt ist. Hier sind natürliche Ursachen mit willkürlichen Handlungen verkettet, aber der Schluß ist nicht weniger fest und sicher, als wenn er durch physische Ursachen allein bestimmt gewesen wäre. Das Gefühl der Notwendigkeit selbst ist in beiden Klassen von Fällen nur ein sekundärer Vorgang im Bewußtsein, die Folge des Schlusses, nicht das Prinzip desselben. Dies führt HUME, nach dem Vorgang von HOBBES, auf einen mindestens geistreichen Versuch, den metaphysischen Knoten der Willensfreiheit zu lösen. Er unterscheidet zwischen Notwendigkeit im Sinne von vollkommener Regelmäßigkeit, und Notwendigkeit im Sinne von Zwang oder Nötigung. Freiheit ist nicht der Notwendigkeit entgegengesetzt, sondern dem Zwang. Freiheit als Gegensatz der Notwendigkeit, und nicht des Zwanges, wäre Zufall. Daß der Wille gezwungen werde, wird niemand zugeben, fühlt doch jeder bei seinen eigenen Willensäußerungen so deutlich das Gegenteil. Freiheit im Sinne der Ausschließung des Zwanges, also die Macht, ja nach dem Beschluß des Willens zu handeln, oder nicht zu handeln, muß ohne weiteres eingestanden werden. Nichts hindert aber, daß die Beschlüße des Willens selbst der nämlichen Regelmäßigkeit unterworfen sind, wie die Vorgänge der äußeren Natur. Und diese Regelmäßigkeit und Bedingtheit des Willens selbst findet ohne Zweifel statt. Freiheit als Abwesenheit einer Ursache, d.i. als Zufall oder Grundlosigkeit, ist vom Willen ebenso zu verneinen, wie Freiheit als Abwesenheit der Nötigung von ihm zu bejahen ist. Wenn wir die Handlungen anderer betrachten und eine immer wachsende Regelmäßigkeit gewahren, je genauer und öfter wir sie beobachten, so werden wir durch Gewohnheit veranlaßt, an ihre Notwendigkeit zu glauben, wie wir durch eine weit stärkere Gewohnheit von der Notwendigkeit physischer Ursachen überzeugt worden sind. Obgleich diese Notwendigkeit nur eine Folge der Betrachtung ist, ein Gefühl, das sie begleitet, so übertragen wir sie doch auf die wahrgenommene Reihe der Erscheinungen selbst. Der Unterschied in dem Grade der Überzeugung von der physischen und dem der moralischen Notwendigkeit ist also nur ein Unterschied in der Stärke der Gewohnheit, welche bei den weit einfacheren, daher regelmäßiger erscheinenden physischen Vorgängen in demselben Verhältnis wirksamer sein muß, als sie schwächer ist bei den komplizierteren Äußerungen des menschlichen Handelns. Kennten wir alle Einzelheiten des Charakters eines Menschen und der Umstände seines Handelns, so würde uns die Verbindung zwischen Beweggrund und Handlung genau so regelmäßig und gleichförmig erscheinen, wie die zwischen Ursache und Wirkung in der äußeren Natur. Dies wird auch in der Praxis von jedermann anerkannt. Politik als Kunst wäre ohne diese Regelmäßigkeit unmöglich, ebenso Moral als Ergebnis von Erziehung. Wenn wir dagegen unsere eigenen Handlungen betrachten und dabei keinen Eindruck der Nötigung oder des Zwanges empfinden, da das Motiv, das diese Handlungen bestimmt, eine Eigenschaft unseres Selbst ist, eine äußerste Tatsache, über welche wir selbst nicht hinausgehen können. So entsteht ein scheinbarer Widerspruch zwischen der wahrgenommenen Freiheit der eigenen und der gefühlten Notwendigkeit bei der Betrachtung fremder Willensäußerungen. Dieser Widerspruch löst sich sofort, wenn wir bedenken, daß das Gefühl der Notwendigkeit in keinem Falle eine Beschaffenheit der Ursache ausdrückt, sondern stets nur eine Eigenschaft unserer Betrachtung und Folgerung ist. Die "versöhnliche" Theorie HUMEs von der Freiheit gleicht in sehr glücklicher Weise den Anspruch des Gemüts und der inneren Erfahrung mit der Forderung der Wissenschaft aus, - durch Berichtigung des Begriffs der Notwendigkeit. Die menschlichen Handlungen sind frei, d.h. sie erfolgen ohne irgendein Gefühl der Nötigung aus dem eigenen Willen des Handelnden, sie sind notwendig, d.h. es besteht eine konstante, und zwar in bezug auf die zugrunde liegenden Verhältnisse vollkommen konstante Verbindung zwischen den Akten des Willens und den Beweggründen, Umständen und Charakteren der Handelnden. ![]() |