F o r m e n d e r W i r k l i c h k e i t Zeit und Raum
Jede Orts- und Zeitbestimmung beruth auf Messung. Raum und Zeit sind die Messungsfaktoren. Je kleiner die Maßeinheiten sind, desto genauer ist das Meßergebnis. Zeit und Raum sind notwendige Vorstellungen, die die alltäglichen Anschauung zugrunde liegen. Daß es irgendwo keinen Raum oder keine Zeit gibt, davon können wir uns gar keine rechte Vorstellung machen. Im Grunde kann nichts gedacht werden, ohne eine Zeitdauer des Geschehens. Alle Dinge der Natur sind uns gemessene Individuen in Zeit und Raum. Konkret bestimmen heißt eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort feststellen. Meßbarkeit heißt Quantifizierbarkeit des vorhandenen Beobachtungsmaterials in Form von zeitlicher und räumlicher Ausdehnung. Wir messen in Zeiteinheiten und mit Raummaßen. Vor der Relativitäts- und Quantentheorie schien den Begriffen von Raum und Zeit nichts Problematisches anzuhaften. Die absolute Objektivität des Raums galt als sicher, d.h. niemand zweifelte, daß die Räumlichkeit auch losgelöst vom vorstellenden Ich da ist. Auch die Zeit war etwas rein Objektives und Reales, das ganz unabhängig von uns existiert. Im Innern des Atoms gibt es aber nun einen bestimmten Punkt, an dem für die menschlichen Sinne jede Meßbarkeit aufhört. Es gehört zu den fundamentalen Einsichten der Quantentheorie, daß jede Messung ihren Gegenstand beeinflußt. Das Subjekt stört das Objekt. Zwischen den Atomen des Meßapparates und denen, die wir messen wollen, findet eine Wechselwirkung statt, die wir nicht mehr klar auseinanderhalten können. Der Einfluß des Meßapparates auf das Objekt der Untersuchung ist unvermeidlich. Die HEISENBERGsche Unschärferelation weist eine individuell kausale Betrachtungsweise eines atomaren Geschehens als undurchführbar nach. Sie besagt, daß die Genauigkeit unserer Messungen unüberschreitbare Grenzen hat. "Der wichtigste Unterschied zur klassischen Theorie besteht darin, daß bei der Beobachtung irgendeiner physikalischen Größe die Störung wesentlich in Betracht gezogen werden muß, die das zur Beobachtung ausgeführte Experiment am zu messenden System hervorruft." 1)Durch die atomare Welt wird uns auf besondere Weise deutlich, daß wir das Ergebnis unserer Untersuchungen einem ganz bestimmten Erkenntnisapparat verdanken. Für uns Menschen ist jede Wahrnehmung bestimmten Grenzen unterworfen, die sich nicht aufheben lassen. Es gibt Ebenen der Wirklichkeit, für die unsere Sinne zu grobschlächtig sind. Auf der atomaren Ebene verschwimmen die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt. Die Atome des Subjekts können nicht von den Atomen des Objekts abgetrennt betrachtet werden. Die gemessenen physikalischen Eigenschaften kommen eher der Versuchsanordnung zu, als den Dingen. Subatomare Vorgänge sind deshalb letztlich nicht mehr objektivierbar. Wenn die Beobachtung eine Störung der Vorgänge bewirkt, die ihr unterliegen, dann entbehrt die Annahme objektiver, von aller Beobachtung unabhängiger Vorgänge jeder Grundlage. Jede Beobachtung ist ein Eingriff in den Ablauf des Geschehens. Die Störung kann bei makroskopischen Objekten vernachläßigt werden, nicht aber bei atomaren Objekten, die z.B. durch Bestrahlung mit Licht stark beeinflußt werden können. Die Beobachtung ist auf Licht angewiesen. Das Licht aber, das auf ein Elektron auftrifft und an diesem eine Reflexion oder Beugung erfährt, verändert dessen Impuls. Das Elektron erleidet einen Rückstoß, der umso größer ist, je kürzer die Wellen des in Betracht kommenden Lichts sind. Der Zustand des Elementarteilchens steht nicht fest, solange es nicht beobachtet wird. Wenn dies aber geschieht, wird ein sogenanntes Quantum ausgetauscht und das Photon, bzw. Elektron ist unwiderruflich verloren. Es ist ein anderes geworden. Die einfache Beschreibung von Licht und Materie muß daher durch eine Beschreibung dessen ersetzt werden, wie Licht oder Materie unter bestimmten experimentellen Bedingungen erscheinen. Ein Elektron können wir unter bestimmten Beobachtungsbedingungen punktförmig an einem bestimmten Ort erkennen; unter anderen Bedingungen erweist es sich als ausgedehnte Welle. "Wenn ein Strom von Elektronen durch eine dünne Metallfolie hindurchgetrieben wird, so verhalten sich die Elektronen beim Durchgang wie Wellen: sie interferieren und kehren nach dem Durchgang wieder ihren korpuskularen Charakter hervor. Wenn man nun ein bestimmtes Elektron vor dem Durchgang mit einem bestimmten einzelnen Elektron nach dem Durchgang vergleicht und fragt, ob sie dasselbe Elektron sind, so kennt die Physik kein Mittel, die Frage zu entscheiden. Ja, im Gedankensystem der WellenMechanik verliert es jeden Sinn, eine solche Frage aufzuwerfen, weil diese Theorie eine solche Struktur besitzt, daß sie prinzipiell nur Fragen über das wahrscheinliche Auftreten von Elektronen zuläßt. Man könnte sagen: Wo man etwas im Raum prinzipiell nicht mehr festhalten kann, verliert die Kategorie ihren Sinn; der Begriff des Dinges ist eben gewissen typischen Erfahrungen angepaßt und nur zur Beschreibung solcher Erfahrungen verwendbar." 2)Durch die Messung lernen wir eigentlich immer nur den Zustand kennen, der durch den Messungsvorgang soeben zerstört wurde. Nur wenn wir die Elementarteilchen sozusagen in Ruhe lassen, zeigen sich ihre wahren Eigenschaften. Dummerweise entziehen sie sich aber gerade dann unserer Aufmerksamkeit. Auf atomarer Ebene befinden sich die Teilchen in ständiger Bewegung. Unsere normale, d.h. makrophysische Wahrnehmung, ist auf eine statische Sicht der Dinge ausgerichtet. Der dynamische Aspekt in der Wirklichkeit entzieht sich unserer Wahrnehmung. Wir können die Existenz der Materie nicht von dem trennen, was im atomaren Bereich als ihre Aktivität bezeichnet wird. Es ist unmöglich, Ort und Impuls eines Elementarteilchens genau zu erfassen. Genau bestimmen läßt sich nur das eine oder andere. In der Teilchenwelt existiert die Materie nicht mit Sicherheit an bestimmten Orten. Im subatomaren Bereich läßt sich zwar der Ort eines Teilchens messen, nicht aber sein Impuls. Wenn wir den Impuls registrieren, fehlt der konkrete Ort. Die Existenz der Materie kann nicht von ihrer Aktivität, aber auch nicht von der Aktivität des Beobachters getrennt werden. Materie ist immer in einem Bewegungszustand. Es hängt daher von der Meßmethode ab, welche Erscheinungsform der atomaren Wirklichkeit wir erkennen. Bei der Formulierung ihrer Gesetze konnte ein Makrophysiker das beobachtende Subjekt außer acht lassen. Der Mikrophysiker kann das nicht. Im subatomaren Bereich beruth jede Identität der Dinge auf einer idealisierten Vorstellung, die wir nur mittels einer paradoxen Aussage beschreiben können. Licht besteht objektiv gesehen aus Wellen und Teilchen. Der Widerspruch liegt aber nicht in den Dingen selbst, sondern ist in unserer eigenen Logik begründet. Zwischen einem Teilchen und einer Welle besteht keine auch nur irgendwie geartete Beziehung, sie haben für unsere Logik nichts gemeinsam und stellen einen unvorhersagbaren, unteilbaren Sprung dar. Weder das Elektron, noch irgendein anderes atomares Objekt besitzt innerliche Eigenschaften, die von seiner Umwelt unabhängig sind. Seine Eigenschaften - teilchenähnlich oder wellenähnlich - hängen von der experimentellen Situation ab, d.h. von der Apparatur, zu der es in Wechselwirkung treten muß. Das Elektron gibt eine Teilchenantwort, wenn wir ihm eine Teilchenfrage stellen und eine Wellenantwort auf eine Wellenfrage. Wir können den mikrophysischen Vorgang nicht beobachten, weil wir selbst ein Teil des Vorgangs sind. JOHN WHEELER empfiehlt deshalb den Ausdruck Beobachter durch Teilnehmer zu ersetzen. Im atomaren Bereich beruhen wissenschaftliche Experimente weniger auf passiver Beobachtung, als vielmehr auf tätiger Beeinflußung. Es kommt darauf an, die physikalische Realität zu manipulieren, und derart zu inszenieren, daß sie so genau wie möglich einer theoretischen Beschreibung entspricht. Die genaue Beschreibung der Versuchsanordnung muß darum zur Definition der durch sie gewonnenen Erkenntnisse gehören. "Wie eine Größe gemessen wird, das ist sie." 3) "The media is the message." 4) Mit der Erkenntnis dieser Paradoxa wurde klar, daß die Grenzen der klassischen Logik erreicht waren. Wellen- und Teilchenbegriffe sind nicht mehr allgemein, also unabhängig von der jeweiligen Untersuchungsmethode, anwendbar. Das untersuchte Phänomen muß präpariert und isoliert werden, bis es sich einer idealen Situation annähert, die zwar letztlich unerreichbar ist, aber das angenommene begriffliche Schema verwendbar macht. Heute sind riesige Maschinen zur Teilchenbeschleunigung erforderlich, die enorme Geldsummen kosten, um einen Energiebereich zu erreichen, indem vielleicht bestimmte Phänomene auftreten. Im Grunde zeigen uns alle Experimente in der Quantenwelt aber nur, was wir nicht wissen oder nicht voraussagen können. Die modernen Kernphysiker machen Erfahrungen, die mit den bisherigen Kenntnissen nicht mehr erklärt werden. In der Welt des Atoms haben wir es mit Zuständen zu tun, die sich letztlich einem Erkenntniszugriff entziehen. Es gibt hier keine Kausalität mehr im klassischen Sinn. Von der atomaren Welt können wir nur vage sprachliche Bilder malen von dem, was sich in Wirklichkeit abspielt. Gedankliche Modelle und begriffliche Einheiten wie dynamische Strukturen oder atomare Wechselwirkung, erleichtern uns nur den praktischen Umgang mit diesen Dingen - sie beschreiben die Vorgänge, erklären jedoch letztlich nichts. Wir müssen uns klar darüber klar sein, daß die meisten Begriffe, die wir für die Teilchenwelt benützen, Dinge beschreiben, die es eigentlich gar nicht gibt, d.h. es gibt sie nur augenblicklich und nicht konstant. Das Geschehen, das gerade beschrieben wird, existiert im nächsten Augenblick schon gar nicht mehr. Die physikalische Wirklichkeit ist lediglich kategorial und besteht aus Abstraktionen. Korpuskel und Welle sind nur DENKFORMEN, formale Begriffssysteme, die wir beim Versuch die mikrophysikalischen Phänomene zu beschreiben, anwenden müssen, da uns begrifflich-formale Mittel zur Beschreibung nicht zur Verfügung stehen. Weder das Proton, noch das Neutron sind echte Elementarteilchen, sondern bereits gebundene Zustände anderer Teilchen, die allgemein Quarks genannt werden. Die uns bekannten Partikel des Atomkerns sind auch in keinster Weise die kleinsten Teilchen der Materie, sondern in noch unendlich kleinere Wellen aufteilbar. Unsere ganzen Erklärungen haben dabei immer Modellcharakter und sind bloße Analogien zur Wirklichkeit und nicht das tatsächliche Geschehen. Die Realität ist nicht mit unseren täglichen Vorstellungen von der stofflichen Welt identisch. Bisher schien das Kausalgesetz das Gesetz der Natur überhaupt zu sein. Kausalität und Gesetzlichkeit waren identisch, erstere bestand nur in der Form der letzteren. In der klassischen Betrachtungsweise der uns umgebenden Welt war alles nach Ursache und Wirkung zu bestimmen. Nach der klassischen Theorie besteht die einzig objektive Beschreibung der Realität in der vollständigen Beschreibung des Systems, wie es ist, unabhängig von der Entscheidung, auf welche Weise wir es beobachten. Theoretische Erklärungen geschahen bisher immer in Bezug auf eine Wirklichkeit ansich. Wirklichkeit sollte eine Qualität von Phänomen sein, die ungeachtet unseres Wollens vorhanden ist. Die Trennung von Subjekt und Objekt sollte dabei die Objektivität der Tatsachen garantieren. Objektivität wurde dadurch definiert, daß jeder Bezug auf ihren Urheber fehlt. Die physikalische Welt wurde deshalb in beobachtetes System (Objekt) und ein beobachtendes Subjekt unterteilt. Der Gültigkeitsbereich der üblichen Raum-Zeit-Begriffe war auf das makrophysisch Beobachtbare beschränkt. Da es aber Zeitintervalle gibt, auf die sich unsere Wahrnehmung nicht mehr erstrecken kann, sind die klassischen Wirklichkeitsvorstellungen der Subjekt-Objekt-Trennung auf atomare Dimensionen nicht mehr anwendbar. Elementarste Grundsätze der formalen Logik sind hier außer Kraft gesetzt. Das eigentliche logische Feld endet da, wo die Subjekt-Objekt-Beziehung aufhört. Die Quanten bezeichnen ein Zustandsphänomen, das als realum für den menschlichen Erkenntnisapparat nicht mehr fassbar ist. Um Kausalität in einem strengen Sinn auf physikalische Vorgänge anwenden zu können, müßten wir imstande sein, genau festzustellen, in welchem Zustand sich das physikalische Objekt zu einer bestimmten Zeit befindet, so daß wir bei angemessener Kenntnis eines bestimmten Kausalgesetzes voraussagen können, in welchem Zustand wir dasselbe Objekt kurze Zeit später antreffen werden. Aber solche Zustände lassen sich nicht beliebig genau beobachten, und zwar aus Gründen, die zur Konstitution des Verhältnisses unserer Sinne zur physikalischen Welt gehören. Beobachtung als solche verändert die gegebene physikalische Situation, weil keine Beobachtung möglich ist, ohne daß sich zwischen dem zu beobachtenden Sachverhalt und Beobachter und seinen Instrumenten ein physikalischer Vorgang abspielt. Der Genauigkeit, mit der wir vorliegende Zustände des beobachteten Objekts erkennen können, ist eine Grenze gesetzt. So werden im atomaren Bereich der wirkliche Ort und seine wirkliche Geschwindigkeit - oder wenigstens eine dieser beiden Eigenschaften - innerhalb gewisser Grenzen unbestimmte Begriffe. In der Quantentheorie kann der Zustand eines einzelnen Teilchens nicht beschrieben werden, sondern nur seine Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gesamtheit. Die Methode absoluter Isolierung, sonst ein gängiges wissenschaftliches Verfahren, stellt sich hier als ein ideales Gespinst heraus. Was die Einzeldinge angeht, so beobachten wir nie mehr, als eine gewissen Augenblickswirkung. Die Wirkungsweise einzelner Moleküle oder Elektronen bleibt uns weitgehend verborgen. Atomgruppen müssen immer groß genug sein, um wenigstens statistische Gesetzmäßigkeiten erkennen zu lassen. In der Quantenphysik beziehen sich Gesetze nur auf kollektive Wahrscheinlichkeiten, nicht auf einzelne Teilchen. Zwischen einer nur kleinen Zahl von Atomen scheinen statistische Gesetze zu funktionieren. Was wir erkennen, ist aber immern nur eine statistische Wirklichkeit. Die individuell- kausale Betrachtungsweise des atomaren Geschehens erweist sich als undurchführbar. Wenn irgendein Ereignis stattfindet, so ist, wie im Innern des Atomkerns, ein großer Komplex von Bedingungen gegeben. Aus diesem Bedingungskomplex greifen wir mehr oder weniger willkürlich die Bedingungen heraus, die sich unseren Messungen anbieten und bezeichnen sie als Ursache. Mit der kausalen Beziehung der Naturgesetze sollte der konstante Zusammenhang zwischen einem abgeschlossenen Bedingungskreis und einer genau abzugrenzenden Folgegruppe bestimmt werden. Hierin bestand im Grunde die allgemeine, tiefgehende und weitgreifende Macht unserer Logik und aller erklärenden Theorie. Im sogenannten Quantenbereich mußte nun aber festgestellt werden, daß die Folgegruppe von Bedingungskreis im Prinzip nie genau abgegrenzt werden kann. Weder das Subjekt, noch das Objekt sind insich abgeschlossen. In der Quantenwelt ist es nicht mehr möglich, zwischen jetzt und später zu unterscheiden. Die Zeit hat hier für das menschliche Erkenntnisvermögen nichts mehr Zusammenhängendes. Die klassische Mechanik ließ sich lediglich deshalb mathematisieren, weil sie der Materie ausschließlich raum-zeitliche Eigenschaften zuschrieb. Die Voraussetzung der Meßbarkeit beliebig kleiner Zustandsänderungen ist im Innern des Atoms nicht mehr erfüllbar. Im Atomkern gibt es für uns keine Möglichkeit, die Grenzen zu ziehen, die wir für eine exakte Feststellung der Elementarteilchen bräuchten. Die lebendige Natur hat Aspekte, die sich prinzipiell der menschlichen Meßbarkeit entziehen. Wo die Begriffe von Raum und Zeit ihre Selbstverständlichkeit verlieren, ist auch an den Naturgesetzen nichts mehr selbstverständlich. Die Preisgabe der Naturgesetze ist gleichbedeutend mit der Preisgabe der objektiven Wirklichkeit. Kausalität gilt nur für das, was unter der Zeitbestimmung steht. Wo unser Zeitbegriff nicht mehr fasst, hat auch die Kausalität ausgespielt. Die QuantenMechanik ist der Versuch, diesen Umständen gerecht zu werden. Der Begriff des Quantensprungs ist Ausdruck einer Diskontinuität, die wir anders nicht begreifen können. Die durch den Quantensprung symbolisierte Aufhebung der Zeit, ist gleichbedeutend mit der Aufhebung der Gegenständlichkeit. "Klassische Begriffe beziehen sich auf wirklich Existierendes. Aus dieser These folgt natürlich, daß sich die klassische Ebene und die Quantenebene radikal voneinander unterscheiden und daß es nicht möglich ist, den Übergang von der einen zur anderen so ohne weiteres zu analysieren. Der Übergang ist und bleibt ein unteilbarer Sprung." 5)Die atomare Wirklichkeit ist nicht lokal; sie offenbart einen Zusammenhang zwischen einzelnen Objekten, der als Ganzheit beschrieben werden muß. Das Teilchen und die Welle sind sich ergänzende Beschreibungen einer atomaren Wirklichkeit. Wir dürfen also streng genommen nicht von einzelnen Elektronen reden. So etwas wie isolierte Teilchen gibt es nicht. Die atomistische Sicht stellt lediglich eine Vereinfachung und Abstraktion dar, die nur in einem beschränkten Rahmen gültig ist. Die klassische Zerlegung eines Ganzen in seine Teile ist hier nicht möglich. "Auf subatomarer Ebene sind die Wechselbeziehungen und Wechselwirkungen zwischen den Teilen des Ganzen von grundlegenderer Bedeutung, doch gibt es letzten Endes keine sich bewegenden Subjekte; es gibt Aktivität, jedoch keine Handelnden; es gibt keine Tänzer, sondern nur den Tanz." 6)Im atomaren Bereich gibt es eigentlich keine Identitäten mehr. Der Begriff des Elementarteilchens zeugt nur von unwiderstehlichen Drang zur Personifizierung. Das letztlich individuelle Teil ist vom logischen Standpunkt nicht mehr legitimierbar. Wenn wir von Elementarteilchen sprechen, benützen wir lediglich unzulässigerweise die gleichen Namen für eigentlich grundverschiedene Dinge. Die abgegrenzte Einheit eines isolierten Dings wird in der Quantenwelt für willkürlich erklärt. Der wissenschaftliche Reduktionismus ist ein Produkt unserer gewöhnlichen fragmentarischen, d.h. dinghaften Denkweise. Auf Quantenebene gibt es aber keine festen Objekte. Jedes Teilchen ist ein unwiederholbares Individuum. Es gibt keine rationale Verallgemeinerung des Phänomens mehr. Wenn wir zu den Atomen hinabsteigen, gibt es keine objektive Welt in Zeit und Raum. Wenn wir der Materie auf den Grund gehen, stellen wir fest, daß sie im Grunde keine Ausdehnung hat. Auch der Energiebegriff bringt uns da nicht weiter. Die Energie ist nicht realer, als die Substanz. Wir müssen uns die Vorgänge im Atomkern so vorstellen, weil wir sie nicht anders erklären können. Die Vorgänge im Atomkern übersteigen letztlich unser Begriffsvermögen in Zeit, Raum und Kausalität. Im atomaren Bereich werden raumzeitliche Begriffe eigentlich illegitim verwendet. "Diese Größen und die Form ihrer gesetzlichen Verknüpfung, durch welche uns ihr Zusammenhang als verständlich, als notwendig erscheint, werden nicht unmittelbar in dem wahrgenommenen Inhalt der Phänomene vorgefunden, sondern müssen ihm gleichsam erst gedanklich substruiert und unterbaut werden. Das Sinnlichgegebene wird mit der Form unserer kausalen Schlüsse durchsetzt und durchdrungen und nimmt nun kraft dieser Analysis und Synthesis des Verstandes selbst eine neue Gestalt an." 7)Raum und Zeit erscheinen in der praktischen Verstandeserkenntnis vereint, das Prinzip der Vereinheitlichung aber liegt im subjektiven Verstand und nicht in der Natur. Im subatomaren Bereich gibt es für ein einzelnes Individuum kein kausales Ursache-Wirkungs-Verhältnis. Im Innern des Atoms bricht jede exakte Kausalität auseinander. Die entscheidende Bedeutung der Quantentheorie liegt nun zum einen in der Aufhebung der Subjekt-Objekt-Spaltung, aber gleichzeitig auch in der Festschreibung einer unüberbrückbaren Kluft zwischen dem makrophysischen Alltagsdenken und den Termini der Quantenphysik. Nicht mehr mangelnde Information macht es dem gewöhnlichen Denken unmöglich, diese Vorgänge zu verstehen, sondern das Mißverständnis liegt in einer prinzipiellen Verschiedenheit von Abstraktion und Wirklichkeit. Im objektivierten Denken bewegen wir uns in abmessbaren Abschnitten von Zeit und Raum. Wo diese Umstände nicht mehr vorhanden sind, wird das normale Denken sinnlos. "Nach der gängigen Deutung der elementaren QuantenMechanik gehören die gewöhnlichen Erfahrungen - und das heißt jetzt: die klassische Physik - und die physikalische Theorie - und das heißt jetzt: die QuantenMechanik - zwei völlig verschiedenen Ebenen an, und es ist unmöglich, erstere im Rahmen letzterer darzustellen. Jeder Übergang von der Quantenebene zur klassischen Ebene ist nicht ein Übergang innerhalb der QM vom Allgemeinen zum Besonderen, sondern wesentlich Neues, nicht weiter Analysierbares." 8)BOHR hat stets betont, daß die Frage der Entscheidung für eine Meßmethode in der QuantenMechanik etwas vollkommen Neues in der Wissenschaft ist. Die Quantentheorie stellt eine neue Sprache dar, die in die klassische Mechanik nicht übersetzbar ist. Jeder Versuch ein mikroskopisches System einem makroskopischen anzugleichen, führt unweigerlich zu Widersprüchen. Der Physiker hat darum zu entscheiden, welche Sprache, bzw. welches Meßinstrument er wählt. Eine einzige theoretische Sprache kann den physikalischen Inhalt nicht mehr erschöpfen. Das kausalmechanische Denken muß deshalb als die einzige Sicht der Wirklichkeit für endgültig abgelöst betrachtet werden. Auch wenn hartnäckige Vertreter der Kausalitätstheorie auf der Gültigkeit des Prinzips von Ursache und Wirkung beharren, so treffen ihre Argumente ins Leere, da die logisch wesentliche Unterscheidung von einzelnen und bloß statistischen Größen nicht vorgenommen wird. Ihre objektive Wirklichkeit ist bestenfalls eine statistische Tatsache. Es ist ein Irrglaube, daß alles auf der Welt unter Gesetze subsumierbar sei. Das Universum besteht nicht aus Elementarteilchen. Es gibt keine Grundbausteine, aus denen alles gemacht ist. Mit den Quanten hört die Kausalität als zwingender Gesetzesbegriff auf zu existieren. Der Atomkern bedeutet das Ende unseres normalen Denkens. Auf subatomarer Ebene muß deshalb die herkömmliche Auffassung bezüglich der Beziehungen zwischen Denken und Sein, bzw. der Erkennbarkeit der empirischen Wirklichkeit aufgegeben werden.
1) WERNER HEISENBERG, Naturwissenschaften, 1929 in PAUL FEYERABEND, Probleme des Empirismus, Braunschweig 1981, Seite 439 2) FRIEDRICH WAISMANN, Logik-Sprache-Philosophie, Stuttgart 1985, Seite 294 3) ALBERT EINSTEIN ohne Quelle 4) MARSHALL McLUHAN, Die magischen Kanäle, Düsseldorf/Wien 1970, Seite 13 5) NIELS BOHR, Dialectica II, 1948, Seite 314 6) FRITJOF CAPRA, Wendezeit, München 1988, Seite 97 7) VIKTOR KRAFT, Weltbegriff und Erkenntnisbegriff, Leipzig 1912, Seite 100 8) ERNST CASSIRER, Der Begriff der symbolischen Formen im Aufbau der Geisteswissenschaften, in HANS-LUDWIG OLLIG (Hrsg), Neukantianismus, Stuttgart 1982, Seite 156 |