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Subjekt und Wirklichkeit
Man wendet ein: Wäre der Ausgangspunkt nicht vielmehr das "cogitare"? Das "cogito" schließt das "ego" ein, und ein Einzel-Ich hat nicht die geringste Bedeutung: niemand würde Schlußfolgerungen aufstellen, die nur für ihn selbst gelten sollen. Darauf erwidere ich: Es ist wahr (bis zu einem gewissen Grad, aber davon später), daß das Einzel-Ich keine Bedeutung hat; aber andererseits ist es auch wahr, daß seine Bedeutungslosigkeit nur von einem besonderen Ich bejaht werden kann. Es gibt keine Bejahung (oder Verneinung), und es kann keine geben, die nicht von einem Einzel-Ich ausgesprochen wäre. Der Ausgangspunkt ist das "cogito" und damit das Einzel-Ich. Diesen Begriff müssen wir zuerst mit einiger Genauigkeit bestimmen. Titius denkt das Sechseck: Sempronius denkt die Diagonale, Cajus denkt die Neun. Können sich diese drei Begriffe von Titius, Sempronius und Cajus getrennt gedacht in dem Urteil vereinen: das Sechseck hat neun Diagonalen? Offenbar nicht. Denn damit ein Urteil entsteht, müssen sich seine Elemente zu einer gewissen Bewußtseinseinheit verbinden. Diese Bewußtseinseinheit ist das Einzel-Ich als denkendes Ich (nur unter diesem Gesichtspunkt haben wir es zu betrachten). Hier ist eine Orange. Ich sehe die FOrm und die Farbe, ich rieche den Duft usw.; ich sage: Es ist eine Orange. Aus gewissen Tatsachen und gewissen Bedingungen, welche diese Tatsachen unter sich und mit anderen verbinden, entsteht eine Vereinheitlichung, und ich bin die "Aktualität" dieser Vereinheitlichung. Eine beiläufige Bemerkung, um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich habe nicht gesagt, und ich glaube nicht, daß die Wahrheit eines Urteils irgendwie von irgendeinem Einzelsubjekt abhängig ist, sondern ich sagte dies: daß ein Urteil immer von einem Einzelsubjekt gefällt wird. Ich sagte nicht und ich glaube nicht, daß die Elemente eines Einzel-Subjekts ihrerseits alle einzeln sind, wie das Subjekt selber; aber was die Elemente des Subjekts auch sind, immer sind sie doch Elemente des Subjekts; obgleich sie, wenn sie nicht einzeln sind, zusammen auch anders sein müssen, als nur eine Elemente des Subjekts. Ich sagte nicht, und ich glaube nicht, daß das Subjekt aus einer "Assoziation" der Elemente entsteht, deren Einheit es darstellt. Es sei bemerkt, daß das Subjekt als denkendes Ich sich zurückführen läßt auf die Einheit der gedachten Elemente; über die Beschaffenheit dieser Einheit sage ich zunächst nichts. Also: ein Subjekt ist die Einheit seines Denkens. Oder auch: eines gegenwärtigen konkreten, so und so bestimmten Denkens, das, gerade weil es gegenwärtig konkret und so und so bestimmt ist, ein Denken, ein "ich denke" darstellt. Ich bin mein Denken (das "sum" fällt streng genommen mit dem "cogito" zusammen), sofern man dieses Denken in seiner inneren Einheit und der Ganzheit seiner Bestimmungen betrachtet, in der Einheit und Ganzheit, die es begründen, die ihm wesentlich sind, die es zu diesem (meinem) Denken machen. Ich bin, sofern ich denke. Aber es sind auch andere Subjekte. Ohne Zweifel. Aber daß diese anderen Subjekte existieren, bejahe ich. Ich muß mir die Gründe klar machen, derentwegen ich bejahe. Es wäre sonst gerade so, als ob ich mir überhaupt keinen Grund klar mache oder mich mit einer vulgären Denkweise begnügen würden. Nur mit meinem Gedanken kann ich die Wissenschaft aufbauen, daher ist es mir nicht erlaubt, einen anderen Gedanken vorauszusetzen, (andererseits wäre der vorausgesetzte auch wieder mein Gedanke). Mein Gedanke ist wirklich. Dies ist in der Tat, wie wir bemerkten, eine unbestreitbare Tatsache. Mein Gedanke ist das, wovon ich mir eine möglichst genaue Rechenschaft zu geben suche, und gleichzeitig ist er dieser Versuch, mir eine solche Rechenschaft zu geben. Er ist der Gegenstand meines Forschens und mein Forschen selber. Man wird vielleicht einwenden, daß der Gegenstand meines Forschens und mein Forschen selbst illusorisch sind. Diese Meinung oder, wenn man will, diese zweifelnde Erwägung tut nichts weiter, als dem Ausdruck Jllusion eine gewisse Bedeutung beizulegen; und jedem steht es frei, einem Ausdruck die Bedeutung zu geben, die ihm am meisten zusagt. Aber dann wäre es nicht mehr möglich, ernsthaft von einer "Wirklichkeit" zu sprechen, die (in irgendeiner Weise) jener Jllusion überlegen wäre. Entweder mein Gedanke ist wirklich, oder nichts ist wirklich. Ich geben die Wirklichkeit meines Gedankens zu; mit anderen Worten: ich gebe meinen Gedanken zu, den ich nicht nichtzugeben kann. Ist es mir erlaubt, eine Wirklichkeit verschieden von meinem Gedanken, außerhalb meines Gedankens anzunehmen? Eine Wirklichkeit, die ich annehme, wird eben durch die Tatsache meiner Annahme Gegenstand und mithin Teil meines Gedankens. Von einer Wirklichkeit, die wirklich außerhalb meines Gedankens wäre, kann ich nichts aussagen und nichts wissen. Sie vorauszusetzen wäre vergeblich (wäre sogar widerspruchsvoll, denn voraussetzen ist denken), und derartige Voraussetzungen soll man nicht machen. Als erschöpft mein Gedanke die Wirklichkeit. Und da ich selbst mein Gedanke bin, läßt sich schließen, daß es außer mir keine Wirklichkeit gibt. Diese Schlußfolgerung erscheint seltsam paradox, sicher ist es nötig, sie weiter auszulegen. Wir wollen einige Andeutungen (nur die wichtigsten) geben, auf welche Weise sie auszulegen ist. Man pflegt zu unterscheiden (wir selber taten es soeben) zwischen dem Gedanken im engeren Sinn und einem Tatsachenkomplex, der als Materie des Gedankens zugrunde liegt. Offenbar ist mein Gedanke im engeren Sinne (das Vergleichen, das Urteilen usw.) nicht die einzige Wirklichkeit, denn es gibt ja auch die Materie. Von dieser nun weiß ich nichts, wenn ich sie nicht denke, ihr Gegebensein für mich ist schon ein von mir Gedachtsein. Und weiter: Die Materie ist ein wesentlicher Bestandteil meines Denkens (im engeren Sinne), denn erstens denke ich niemals, ohne irgendeine Materie zu denken, zweitens besteht mein Denken aus Tatsachen (z. B. Bejahungen) die, seien sie auch verschieden von denen, die die Materie bilden, darum doch nicht weniger Tatsachen darstellen, deren jede Materie sein kann. Noch einmal: Ich kann meinen Gedanken (im weiteren Sinne) und mein aktuelles Denken nicht identifizieren. Mein Denken ist nicht nur Akt des Denkens, sondern auch Gedächtnis. Die Erinnerungen sind wesentliche Bestandteile meines aktuellen Denkens: ich würde nicht denken, wenn ich nicht Erinnerungen hätte. Ich weiß auch, daß die möglichen Erinnerungen nicht immer alle gegenwärtig sind, dies sagt mir ihre wechselnde Aufeinanderfolge. Darum muß ich unterscheiden zwischen meinem Gedanken und meinem Bewußtsein dieses Gedankens. Außerhalb meines Bewußtseins ist das, woran ich mich erinnern könnte, an das ich mich aber gerade nicht erinnere, trotzdem es als wesentlicher Bestandteil, dessen ich mir auch wieder bewußt werden kann, der Gesamtheit meines Gedankens, d. h. mir selbst an. Die Einheit meines Gedankens könnte außer jenen nicht gegenwärtigen Erinnerungen auch andere Bestandteile in sich begreifen, die gleich jenen außerhalb meines Bewußtseins wären. Es gibt eine ausgedehnte und eine unausgedehnte Materie, beide unzertrennlich verbunden, beide in derselben Beziehung zur Einheit meines Bewußtseins und zu der weiteren Einheit meines Gedankens. Ich bin mir sowohl des Gedankens bewußt, den ich im Begriff bin zu entwickeln, als auch der Form der Buchstaben, mit denen ich ihn festhalte. Ich erinner mich sowohl einer Lehre des ARISTOTELES, wie auch des Rundblicks, den ich vor wenigen Stunden auf dem Pincio [Hügel nördlich von Rom - wp] erschaute. Die ausgedehnten und die unausgedehnten Tatsachen gehören mir an, machen mein Wesen aus, diese wie jene; aber die Ausgedehntheit jener und die Unausgedehntheit dieser begründet einen Unterschied, der sich in der Einheit geltend macht, ohne sie jedoch aufzuheben. Die ersteren vereinen sich zur Bildung einer äußeren Welt (d. h. der räumlichen), die letzteren zur Bildung einer inneren Welt. Der inneren (nicht-räumlichen) Welt gehören meine Gefühle an und jene anderen Tatsachen, die ich Bekundungen meiner Tätigkeit nenne, zu denen die geistigen Tätigkeiten, die ich vollführe, mein Denken (im engeren Sinn) gehören. Daraus erklärt sich, daß von den beiden Welten die innere weit größere Wichtigkeit für mich besitzt. Die Unterdrückung der äußeren Welt würde die der inneren Welt nach sich ziehen (und umgekehrt). Die beiden Welten sind, indem sie mein Wesen ausmachen, gleich wesentlich. Nichtsdestoweniger hat für mich nur die innere eine unmittelbare Bedeutung, und von der äußeren sind mir nur die möglichen Rückwirkungen auf die innere wichtig. Wie könnte es auch anders sein, da ja das "für mich Bedeutung haben" eine innere Tatsache, im Grunde ein von der Einheit meines Bewußtseins umschlossenes Gefühl ist? Auch die Gegenwärtigkeit meines Bewußtseins ist immer eine innere Tatsache; ausgedehnt ist z. B. das Gesehene, nicht das Sehen. Wir wollen uns klar machen, was jeder undeutlich denkt, wenn er von sich spricht. Da werden wir erkennen, daß jeder unter "sich" seine eigene innere Welt versteht. Damit will ich sagen: Nicht die Bestandteile dieser Welt, deren meiste er als zufällig betrachten wird, sondern ihre Einheit, die Einheit des Gedankens, die über die Gegenwärtigkeit des Bewußtseins hinausgeht. Ich bin der, welcher dieses und jenes denkt, der aber auch etwas anderes denken könnte. Gewöhnlich wird der Ichbegriff sogar noch in einem engeren Sinn genommen. Es gibt gleichsam in der inneren Welt noch einen zentralen Kern inniger verbunden, dessen lebendigen Teil die Tätigkeit bildet (und die Gefühle, die davon untrennbar sind), aber nur jene Tätigkeit, die der Intelligenz dient und von ihr bedient wird. Nur wenn sie will, hat das Ich ein klares und kräftiges Bewußtsein seiner selbst. Was uns als Paradoxon erschien, hatte also nur den Anschein eines solchen. Der gewöhnliche Mensch unterscheidet sich selbst von der äußeren Welt, er unterscheidet seinen Gedanken von der äußeren Welt und von sich selbst. Er hat nicht Unrecht; seine Unterscheidungen gründen sich auf Tatsachen, die zu leugnen niemandem einfallen wird. Aber dieselben Unterscheidungen involvieren eine Einheit, ohne welche sie nicht möglich wären; so wie es nicht möglich wäre, die Seiten, Diagonalen usw. eines Vielecks zu unterscheiden, wenn es kein Vieleck gäbe. Der Gedanke im engeren Sinne, die gedachte Materie, ausgedehnte oder unausgedehnte, Bewußtsein und Unbewußtsein, das Ich als innerster Kern, sind ohne Zweifel verschiedene Wirklichkeiten; aber Wirklichkeiten, die verschiedene Bildungen im Umkreis einer größeren Einheit sind. Wohl wollen wir unterscheiden, aber wir wollen nicht der Unterscheidung, berechtigt wie sie ist, den Wert einer unbedingten Trennung geben, die widersinnig wäre. Von den besprochenen Elementen und den weit zahlreicheren, die sich wieder innerhalb jener unterscheiden lassen, ist jedes den andern wesentlich; sie bilden zusammen einen Organismus, eine lebendige und wirkliche Einheit. Diese Einheit ist mein Gedanke, denn ich bin es, der von ihr spricht und alles was ich sage, setzt sie voraus. Die Einheit bin ich, denn alle meine Teile gehören ihr an, und alles was ihr angehört, ist auch mein, wenigstens in dem Sinn, daß es in meinem Bewußtsein inbegriffen ist oder sein kann. Schließlich stellt diese Einheit, wie ich schon sagte, die einzige denkbare Wirklichkeit dar, das heißt, die einzige Wirklichkeit überhaupt. Subjekt, Wirklichkeit und Gedanke fallen genau genommen zusammen, sofern man sie in ihrer Ganzheit nimmt und nicht bei Abstraktionen stehen bleibt, die nicht für sich bestehen können. Einer bloßen Gesamtheit (angenommen, aber nicht zugegeben, daß eine bloße Gesamtheit denkbar ist) kann keine innere Notwendigkeit innewohnen. Sind etwa die Teile A und B so vereint, daß zwischen ihnen die Beziehung R besteht; dann hätten sie nun auch so vereint werden können, daß anstatt dessen zwischen ihnen die Beziehung R1 entsteht (z. B. daß A auf B folgt anstatt voranzugehen oder darunter wäre anstatt darüber usw.) Um diese Möglichkeit auszuschließen, dürfte R nicht (per accidens) durch die Tatsache der Gruppierung bestimmt, sondern müßte durch eine wesentliche Beziehung zwischen A und B vorgeschrieben sein; in diesem Fall wäre die Gruppe A B keine bloße Gesamtheit, sondern eine wahre Einheit. Umgekehrt involviert Einheit innere Notwendigkeit. Wenn man sagt, daß mehrere Elemente eine Allgemeinheit bilden, so sagt man damit, daß zwischen jenen Elementen als Teilen des Ganzen notwendig gewisse Beziehungen bestehen müssen, woraus folgt, daß die Veränderungen des Ganzen, seien sie auch auf verschiedene Antriebe zurückzuführen, nach notwendigen Gesetzen untereinander verbunden sind. Der Gedanke im engeren Sinn, das Schließen, ist notwendigen, logischen Gesetzen unterworfen, die unbedingt für die Wirklichkeit gelten. Was die Schlußfolgerung als widersinnig ausschließt, ist auch in der Natur unmöglich. Nach dem Gesagten ist der Grund einer solchen Übereinstimmung deutlich, und sowohl das Schließen als auch die Natur sind Teile jener strengen Einheit, die das integrale Denken ist. Dieses Denken ist einheitlich, soweit es mir angehört (obgleich man auch umgekehrt sagen könnte, es gehört mir, soweit es einheitlich ist). Die grundlegende Einheit beruth auf derjenigen des Subjekts, womit ich das Subjekt in einem weiteren Sinn meine, unter Einschluß von Bewußtsein und Unbewußtem. Es sei bemerkt, daß der hier für die notwendige Einheit des Schließens und des Naturablaufs angeführte Grund im wesentlich en derselbe ist, den KANT anführt. Über den Unterschied der dargelegten Lehre und jener KANTs brauche ich mich hier nicht weiter zu verbreiten. Kehren wir zur Unterscheidung zwischen dem Subjekt als Einheit seiner Bestandteile (die die Bestandteile der Wirklichkeit oder des integralen Denkens sind) und dem Subjekt als Einheit des Bewußtseins (oder, da das Subjekt denkend ist, des Selbstbewußtseins) zurück. Nachdem ein Urteil ausgesprochen ist, wird es (oder kann es werden) ein Element, wie ein anderes auch: man vergißt es, man erinnert sich von neuem seiner usw. Aber der Akt des Aussprechens seiner Bejahung oder das Urteil als lebendige Formung ist stets die Äußerung einer Tätigkeit, die in der klaren Region des Bewußtseins vonstatten geht. Ich bin es, der urteil, ich im eigensten Sinne des Wortes. Mit anderen Worten: Voraussetzung des Urteils ist nicht nur die bloße Einheit des integralen Denkens, sondern der innerste Kern dieser Einheit. Der Kern wäre nich vorhanden ohne die umfassende Einheit, die ihn gebildet hat. Aber er ist eine begrenztere, distinkte Bildung, eine engere Sphäre, in der allein das Urteil sich realisiert. Daher kann das Urteil irrig sein, was es nicht selten auch ist. Indem ich urteile, vereinige ich Elemente, die mein Bewußtsein umschließt. Das Urteil könnte eigentlich nicht irrig sein, soweit es eine Beziehung zwischen den betrachteten Elementen ausdrückt, die tatsächlich im Bewußtsein enthalten sind. Es ist auch nicht irrgi. Wenn ein kleiner Knabe, der mit dem Studium der Arithmetik beginnt, z. B. sagt: 7 x 8 = 56, so drückt er das aus, was wirklich in ihm vorgeht, und in diesem Sinne irrt er nicht. Aber wir wissen (und jeder kleine Knabe weiß es), daß die Elemente, deren wir uns bewußt sind, nur den kleinsten Teil der wirklichen (denkbaren) Elemente ausmachen. Und die Arbeit, die wir an den uns bewußten Elementen leisten, geht auf ein Ziel, das über den augenblicklichen Inhalt des Bewußtseins hinausgeht. Vielmehr liegt uns daran, einen Gedanken (im engeren Sinne) zu fasen, der nicht nur hier und jetzt schlüssig ist, sondern dies auch bleibt, wenn andere Elemente in das Bewußtsein eintreten. Hieraus geht hervor, daß, wenn auch jedes Urteil in gewissem Sinne wahr genannt werden kann, es doch in dem hier gemeinten Sinn nicht wahr zu sein braucht. Mein Bewußtsein ist unterschieden, aber nicht getrennt vom "integralen Denken", das ohne weiteres dort eindringt und sich ihm aufdrängt. Ich strebe danach, mein Bewußtsein zu systematisieren, darin besteht mein Denken (im engeren Sinn). Wenn die Systematisierung, zu der ich gelange, sich dauernd bewährt, d. h. wenn sie dem Andrang des integralen Denkens standhält, so ist mein Denken (im engeren Sinn) eine Erkenntnis. Andernfalls ist mein Denken (im engeren Sinne) nur Phantasterei, Einbildung oder Irrtum. Aber das Bewußtsein, welches ich mit Aussicht auf Dauer, im Einklang mit dem integralen Denken, systematisieren soll, ist großenteils von Gefühlen und Leidenschaften beherrscht, und es fällt mir schwer, diesem nicht eine übertriebene Bedeutung beizumessen. Daher muß ich mich, um zur Erkenntnis zu gelangen, von der Tyrannei der Gefühle und Leidenschaften befreien, ich muß Herr meiner selbst werden. Zum Wissen gelangt man nur auf dem Weg des Wissens). Tugend und Wissen sind im tiefsten Grund dasselbe. Der Irrtum ist stets die Folge einer Schuld, wie ROSMINI tiefsinnig bemerkte. Einige behaupten (1): Wer zum Ausgangspunkt das Subjekt nimmt, muß notwendig zum Solipsismus gelangen. Wir bemerken dazu: Eine Lehre, die ich prüfe, ist sicherlich ein Gedanke, dessen ich mir bewußt bin, soweit ich über sie nachdenke, gehört sie mir im engeren und genauen Sinn des Wortes. Im selben Sinn gehören mir auch meine Gefühle, mein Wünschen usw. auch mein Bewußtsein um irgendeinen Inhalt und auch eine Sphäre der Unbewußtheit, die vom Bewußtsein nicht zu trennen ist. Worin besteht der Solipsismus? In dem Glauben, daß jeder Gedankeninhalt so ausschließlich mein Eigentum ist, wie meine Gefühle, meine Wünsche usw. und mein Bewußtsein um diesen Inhalt es sind. Dann wäre ich das einzige Subjekt, und die Wirklichkeit würde sich in Bestimmungen meiner selbst auflösen. Nun wohl, die Lehre, die wir in Kürze dargestellt haben, schließt die solipsistische Interpretation völlig aus. Tatsächlich unterschieden wir zwischen einem Denken ansich und dem einen Bewußtsein, das aus einem Teil des "Denkens ansich" bestehen, ein Bewußtsein, das ein bestimmtes Subjekt haben kann, oder das von ihm einen wesentlichen Teil bildet. Man kann auch nicht einwenden, daß diese Unterscheidung ungerechtfertigt und nur, um dem Vorwurf des Solipsismus zu entgehen, eingeschmuggelt worden ist. Im Gegenteil drängt sich uns diese Unterscheidung bei der Betrachtung des subjektiven Denkens (meines Denkens im engeren Sinn) auf. Dieses schließt ein möglicher-, nicht wirklicherweise von mir Gedachtes ein, ein Denken, das in der Einheit meines Bewußtseins nicht inbegriffen ist. Und es versteht sich (obwohl wir uns hier auf kurze Andeutungen haben beschränken müssen), daß das von mir nicht aktuell Gedachte sich nicht etwa auf jene besondere Sphäre der Unbewußtheit beschränkt, die ebenso ausschließlich mir gehört als mein Bewußtsein. Das "Denken ansich" ist übrigens kein "Ding-ansich", da seine Elemente analog dem von mir tatsächlich Gedachten sind. Fassen wir zusammen: Jenes Denken, das ich im engeren Sinne mein nenne, besteht aus Elementen, die Elemente des "Denkens ansich" sind, wobei die Zahl der Elemente des letzteren unendlich viel größer ist als die des ersteren. Hinzu kommt eine neue, engere Verbindung, die ihrerseits wieder eine Gestaltung des "Denkens ansich" ist. Erinnern wir uns, daß unter den Elementen des Denkens ansich notwendige logische Beziehungen bestehen, derart, daß keines sich verändern kann, ohne daß sich die andern verändern. Alsdann werden wir anerkennen, daß ich, d. h. jene bestimmte, besondere Einheit von Bewußtsein und Unbewußtsein, außerhalb des "Denkens ansich", des integralen Denkens, nicht existiert, daß also das integrale Denken infolge seiner Verbundenheit mit meinem besonderen Denken für mich selbst ein Teil meines Ich ist. Mit anderen Worten: auch das integrale Denken, das "Denken ansich", ist mein Eigentum, allerdings nicht in demselben Sinn, wie dasjenige Denken, das unbeschadet seiner Zugehörigkeit zum integralen Denken auch mir besonders angehört. Wenn wir uns des räumlichen Bildes bedienen sollen, das zwar nicht ganz passen ist, ohne das wir aber nicht auskommen können, so kann man sagen, daß das integrale Denken einen Mittelpunkt hat. Um diesen Mittelpunkt herum ordnet sich ein Teil in engerer Weise zu einem Bewußtsein und einer Unbewußtheit zusammen: dem Ich. Mein Ich ist also der Mittelpunkt des integralen Denkens oder der Wirklichkeit. Daraus folgt aber nicht, daß die Wirklichkeit nur einen Mittelpunkt hat, im Gegenteil folgt aus den logischen Gesetzen, denen die Veränderungen unterworfen sind, daß der Bau der Wirklichkeit viele Mittelpunkte enthalten muß. Eine zusammenhängende Veränderung, die sich nicht als eine bloße Reihenfolge von Veränderungen erweist, verlangt notwendig Knoten- oder Mittelpunkte von Wechselwirkungen (2). Und jeder Mittelpunkt von Wechselwirkungen ist ein Mittelpunkt der Wirklichkeit, der ganzen Wirklichkeit, da alle Veränderungen zusammenhängen. Ich halte es für unnötig, mich bei dem Beweis aufzuhalten, daß es solche Mittelpunkte von Wechselwirkungen wirklich gibt; Jede Beobachtung liefert dafür den Beweis. Ein Mittelpunkt von Wechselwirkungen braucht nicht ein Subjekt zu sein (und ist es nicht). Aber ein Subjekt ist ein solcher Mittelpunkt von Wechselwirkungen, um welchen herum sich die verschiedensten Elemente gelagert haben. Jedes Subjekt für sich wiegt gering, aber das Dasein von mehr oder weniger entwickelten Subjekten ist eine Notwendigkeit, da die Wirklichkeit polyzentrisch ist. Da jedes Subjekt eine zeitliche Bildung ist, beginnt die Erkenntnis mit Tatsachen, setzt sich aus Tatsachen zusammen, aber das Sichbilden des Subjekts setzt eine um einen Mittelpunkt geordnete Wirklichkeit voraus, das Erkennen ist daher nichts anderes als ein Deutlichmachen dessen, was im Mittelpunkt schon inbegriffen war. Da die Wirklichkeit ein Denkvorgang ist, der einen Wesensbestandteil des Subjekts bildet, so ist sie nicht außerhalb des Subjekts und sie ist nicht ausschließlich ein Teil des Subjekts, weil sie mehrere Subjekte in sich schließt; auch kann man umgekehrt nicht sagen, daß ein Subjekt ein Teil der Wirklichkeit ist, so wie ein Blatt Teil eines Buches ist. Die Beziehungen zwischen der Wirklichkeit und dem erkennenden Subjekt sind jedenfalls (man kann über die Art ihrer hier versuchten Bestimmung denken wie man will) nicht auf jene zurückzuführen, die zwischen den Elementen der erkannten Wirklichkeit bestehen. (3)
1) vgl. hierzu z. B. I. H. BRANDLEY, On appearance etc., in Mind, April 1910, besonders Seite 154f. 2) Mehr noch: verlangt Zentren der Spontaneität, (Punkte, von denen absolute Anfänge ausgehen). Aber von diesen spreche ich nicht, um die Geduld des Lesers, die ich schon genug mißbraucht habe, auf keine allzu harte Probe zu stellen. 3) Vgl. meinen kurzen Aufsatz "Appunti di gnoseologia", in Cultura filosofia, Firenze 1910 |