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ARTHUR DREWS
Das Ich als
Grundproblem der Metaphysik

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"Ich weiß vom realen Sein nur durch Erfahrung, und nichts ist real, als was die Erfahrung mir bestätigt. Das eigene reale Ich erkenne ich als solches unmittelbar; bei allem anderen Realen aber muß ich warten, bis die Erfahrung an mich herankommt. Es gibt folglich bloß ein aposteriorisches, kein apriorisches Wissen vom Realen. Es gibt keine reale Erkenntnis aus reiner Vernunft und sonach auch keine apodiktisch gewisse Erkenntnis. Es ist eine vergebliche Hoffnung, auf rein logischem Weg, also etwa mittels des Prinzips der Klarheit und Deutlichkeit unserer Vorstellungen, zur Gewißheit über die Seinsart ihres Inhaltes zu gelangen."

"Zur Möglichkeit einer realen Erkenntnis gehört nicht bloß das Mannigfaltige des sinnlichen Empfindungsstoffes, auch nicht bloß die Einordnung dieses Mannigfaltigen in die Formen der Anschauung und die Verknüpfung der Anschauung durch die Kategorien. Eine solche Verknüpfung oder Synthesis ist vielmehr gar nicht möglich ohne reale Einheit, die aller Synthesis vorhergeht und die, als Substrat der apriorischen Funktionen unseres Geistes, sich gleichzeitig als das Subjekt der verknüpfenden Tätigkeit erweist."

Erster Teil
Das Problem des Ich in der
neueren Philosophie

[Fortsetzung]

2. Der Spiritualismus
a) Der phänomenalistische Spiritualismus
Berkeleys

Die erstgenannte Form des Spiritualismus hat BERKELEY vertreten. Mit äußerster Entschiedenheit hat er die Annahme bekämpft, daß es Körper außerhalb der Geister geben kann. Jeder Körper hat bestimmte sinnliche Eigenschaften, wodurch er einen Gegenstand unserer äußeren Wahrnehmung bildet. Allein schon DESCARTES wußte, daß die Sinnesqualitäten, wie Farbe, Ton, Geruch, Geschmack, Härte oder Weichheit usw. nicht objektive Realitäten an den Gegenständen, sondern bloß subjektive Empfindungszustände in unserem Bewußtsein sind, die wir nur instinktiv auf die Gegenstände übertragen. LOCKE hatte die sinnlichen Qualitäten als sekundäre von den sogenannten primären Qualitäten unterschieden und hierunter diejenigen Beschaffenheiten verstanden, welche den Gegenständen ansich zukommen. Als solche hatte er die Ausdehnung, Figur, Zahl, Bewegung, die Ruhe und Undurchdringlichkeit bezeichnet. Allein, wie BERKELEY zeigt, sind auch diese teils nur Empfindungen, wie die Undurchdringlichkeit, als das Gefühl des Widerstandes, teils sind sie, wie die Ausdehnung, Bewegung, Größe usw., nur Verhältnisse, worin wir uns die sekundären Qualitäten denken und welche daher auch bloß in unserer Vorstellung existieren. So bleibt dann als einzige Realität, die sich nicht in einen Vorstellungsinhalt auflöst, die sogenannte körperliche Substanz, als Träger all derjenigen Eigenschaften übrig, deren ideelle Beschaffenheit wir nicht bezweifeln können. Wie aber subjektive Vorstellungen, die nur in unserem Bewußtsein sind, eines realen Trägers bedürfen sollten, der außerhalb des Bewußtseins ist, davon werden uns die "Materialisten" nie überzeugen können.

Die Annahme einer realen Körperwelt kann weder durch die Sinne, noch durch die Vernunft bewiesen werden. Durch die Sinne nicht - denn diese lassen uns immer nur unsere eigenen Empfindungen erkennen, aber nicht, ob ihnen ein reales Sein zugrunde liegt. Durch die Vernunft nicht - denn der Schluß von unseren Vorstellungen auf reale Gegenstände ist unzulänglich, weil wir ganz die gleichen Vorstellungen auch im Traum, in Fieberzuständen usw. haben können, ohne daß ihnen eine Wirklichkeit entspricht. Nicht einmal das kann eingeräumt werden, daß unsere subjektive Vorstellungswelt sich leichter durch die Annahme von Körpern erklären läßt. Denn wir wissen nicht, wie der Körper auf den Geist einwirkt, um irgendeine Vorstellung in ihm hervorzurufen, wir müssen sogar geradezu eingestehen, daß eine solche Wirkung unmöglich ist, wenn Geist und Körper entgegengesetzte Substanzen bilden. Auch wenn es Körper außerhalb unserer selbst gäbe, könnten wir doch von ihnen kein Bewußtsein haben. Gäbe es keine, so würden doch die gleichen Gründe, wie jetzt, für ihr reales Dasein sprechen. Denn immer könnten unsere Vorstellungen einer Körperwelt nur unabhängig von dieser selbst zustande kommen. Was aber ist ein Gegenstand, der existiert, ohne wahrgenommen zu werden, eine Empfindung ohne Vorstellung, die das Abbild von etwas ist, was selbst weder Empfindung noch Vorstellung ist? - ein Widerspruch, ein reiner Nonsens, der uns zu der Annahme nötigt, daß die Körper überhaupt nur Vorstellungen sind oder vielmehr eine Verknüpfung von sinnlichen Empfindungen und abstrakten Vorstellungen, die bloß in unserem Bewußtsein eine Einheit bilden.

Die Existenz der Körper besteht in ihrem Vorgestelltwerden, ihr Sein ist lediglich ihr Bewußt-Sein. Nun sind alle unsere Vorstellungen als solche passiv und ohne innere Möglichkeit der Veränderung und des Wechsels. Die Ausdehnung, Figur, Bewegung usw. können folglich nicht Ursachen anderer Vorstellungen in uns sein. Die Ursache der Vorstellungen kann nicht selbst wiederum Vorstellung, sondern nur Substanz, und zwar, wenn es eine körperliche Substanz nicht geben kann, nur eine unkörperliche oder geistige Substanz sein. Der Geist oder die Seele unterscheidet sich von den Körpern dadurch, daß er nicht passiv, wie diese, sondern tätig ist, und daß seine Existenz nicht im Vorgestelltwerden, sondern vielmehr in der Tätigkeit des Vorstellens besteht. Wird daher der Körper von uns vorgestellt, wie er ansich ist, sofern er ja eben nur Vorstellung ist, so kann hingegen der Geist von uns nicht vorgestellt werden, weil dieser, als ein Tätiges, nicht irgendeiner Vorstellung ähnlich sein und folglich auch durch eine solche nicht repräsentiert werden kann. Vom Geist können wir höchstens einen "Begriff" (notion) besitzen. Ist aber der Geist nicht Vorstellung, nicht ideelles Sein, so kann er nur ein Reales sein und dieses nurdurch innere Anschauung (inward feeling), d. h. durch einen Akt unmittelbarer Selbstwahrnehmung begriffen werden. Im Ich, in diesem "Begriff" meiner selbst erkenne ich den realen Träger oder Produzenten meiner Vorstellungen als solchen; alles Andere aber, was ich sonst erkenne, ist abhängig vom Ich und bloße "Vorstellung" desselben.

So ist also der Standpunkt BERKELEYs ein phänomenalistischer Spiritualismus, indem er die Körper als bloß subjektive Erscheinungen betrachtet. Es gibt nach ihm nur ein reales Sein, das sein der individuellen Geister, das identisch ist mit dem Bewußtsein, sofern es als substantieller Träger der Vorstellungswelt gedacht wird. Das körperliche Sein dagegen ist ein ideelles oder ist Bewußt-Sein, sofern darunter diese besondere Art des Seins verstanden wird. Im ersten Fall bezieht sich das Wort Bewußtsein auf die bloße Form desselben, und steht das Bewußtsein, als Substanz, im Gegensatz zu seinen Akzidenzen [zufälligen Merkmalen - wp]. Im zweiten Fall bezieht es sich auf den Inhalt des Bewußtseins und steht es, als ideelles Sein, im Gegensatz zum realen. Es gibt sonach auf diesem Standpunkt, genau genommen nur ein Sein, nämlich das Bewußtsein; reales und ideelles Sein aber unterscheiden sich voneinander nur wie Form und Inhalt des Bewußtseins. Demnach ist also der Spiritualismus seinem Wesen nach ein Bewußtseinsrealismus, und jede Annahme eines Seins, das nicht entweder Form oder Inhalt des Bewußtseins ist, ein Bruch mit der spiritualistischen Grundvoraussetzung.

Bei dieser Stellungnahme nun, wie sie BERKELEY eigentümlich ist, verwandelt sich die Frage nach der Wechselwirkung zwischen Geist und Körper, woran der Kartesianismus gescheitert war, in die andere, auf welche Art die Vorstellungen in uns zustande kommen.

Unsere Vorstellungen sind teils sinnliche Empfindungen (Wahrnehmungen), teils sind sie Phantasievorstellungen. Diese letzteren sind zufällig, in jedem Einzelnen verschieden und werden von uns selbst erzeugt. Jene ersteren dagegen spiegeln im Bewußtsein aller Geister ein und dieselbe Welt von durchgängiger Gesetzmäßigkeit, müssen folglich der individuellen Willkür entzogen und können nur von Gott in uns hervorgebracht sein. Ihre Gesamtheit bildet die Natur, ihre Regelmäßigkeit und Ordnung, wie sie im Bewußtsein auftreten, erzeugen den Begriff der Naturgesetze. Alle vermeintliche Wirkung zwischen Natur und Geist ist also in Wahrheit nur eine unmittelbare Wirkung Gottes auf uns. Wenn ich den Arm aufhebe, so ist meine eigene Handlung dabei nur mein Wille, ihn zu heben. Daß ich und Andere zugleich das Wahrnehmungsbild der Bewegung meines Armes haben, das kommt nur daher, weil Gott es aufgrund und bei Gelegenheit meines Willens in mir und ebenso auch in allen übrigen Geistern hervorruft. Diese Lösung des Problems ist nun freilich von derjenigen des Okkasionalismus [Lehre von den Gelegenheitsursachen - wp] kaum verschieden. Das Wunder eines fortwährenden Eingreifens Gottes in die Welt der endlichen Realitäten besteht auch hier in derselben Weise fort. Nur darin liegt ein Fortschritt, daß nach BERKELEY Gott, als Geist, es nur mit Geistern, aber nicht auch mit Körpern zu tun hat, die seinem Wesen widersprechen. Gott achtet nicht, wie beim Okkasionalismus, darauf, wie die Körper wirken, um alsdann eine jener Wirkung entsprechende Vorstellung in mir hervorzubringen, sondern er affiziert mich unmittelbar, indem er in mir die Vorstellung eines körperlichen Vorgangs erzeugt.

Wie verträgt sich diese Annahme aber damit, daß der Geist im Gegensatz zu den passiven Vorstellungen ein durchaus aktives Wesen sein soll? Auf dieser Aktivität soll die Realität und die Substantialität des Geistes beruhen. Allein wenn der letztere Einwirkungen empfängt und insofern passiv sein muß, so nähert er sich damit der Natur des Körpers, so ist er am Ende gar selbst bloß ein ideelles Wesen. Kein Zweifel: die Annahme eines göttlichen Eingriffs in die endliche Welt hebt die spiritualistische Theorie der substantiellen Geister ganz ebenso aus den Angeln, wie den Dualismus von Geist und Körper. Der Okkasionalismus verträgt sich mit keiner Philosophie, die an der Substantialität der endlichen Realen festhält. Diese letztere schließt jeden äußeren Eingriff aus, sowohl von Seiten einer Körperwelt, als auch von Seiten der übrigen Geister, als endlich auch von Seiten Gottes, und läßt als Erklärung der gemeinschaftlichen Vorstellungswelt nur die Annahme einer ursprünglichen Harmonie der Geister übrig.


b) der monadologische Spiritualismus:
Leibniz.

Es ist LEIBNIZens Verdient, diese Konsequenz zuerst gezogen und daraus eine neue Form des Spiritualismus hergeleitet zu haben.

Wie DESCARTES, so geht auch er davon aus, daß wir im Ichgedanken oder Selbstbewußtsein unmittelbar ein reales Sein ergreifen. Das Reale ist aus diesem Grund auch bei ihm ein individuelles; und wie dessen restloses Aufgehen in unsere Gedankenwelt uns nötigt, sein Wesen in die Tätigkeit des Denkens zu verlegen, so müssen wir es wegen seiner Selbständigkeit und Unabhängigkeit auch als Substanz bestimmen, indem wir ihm eine für sich abgeschlossene Existenz zuschreiben. Die Substanz besitzt also nach LEIBNIZ nicht bloß die Fähigkeit, tätig zu sein oder zu handeln, sondern ihr Sein ist durchaus nur ihre Tätigkeit. Was nicht tätig ist, das ist auch nicht, zumindest nicht im Sinne eines Realen. Daher läßt sich die Substanz auch als tätige Kraft, als vis activa definieren, die nicht von außen in Bewegung gesetzt wird, sondern sich selbst bewegt, sobald ihr kein Hindernis entgegensteht. Aus solchen im Denken tätigen und in der Tätigkeit existierenden Substanzen, besteht das reale Sein. Die Frage ist demnach nicht, ob es noch eine andersartige Realität, wie die Körper, neben den Ichsubstanzen oder Geistern gibt, sondern es fragt sich, ob es noch andere im Denken tätige Substanzen auch außerhalb der Ichsubstanzen gibt.

Diese Frage ist mit der anderen identisch, ob es ein Denken gibt, welches als solches nicht ein Denken des Ich (Bewußtseins) ist, oder mit anderen Worten: ob es außer dem bewußten Denken auch noch ein unbewußtes Denken gibt.

DESCARTES hatte die Frage, wie wir gesehen haben, verneint, weil Ich, Bewußtsein und Denken für ihn identische Begriffe waren. Allein schon LOCKE hatte von dieser Voraussetzung aus die Annahme von angeborenen Ideen bestritten, die eine so wichtige Rolle im System des DESCARTES gespielt hatten, und er hatte daraus den ferneren Schluß gezogen, daß der Geist nicht immer denken kann. Denn wenn es nachweislich Zustände gibt, wie den Schlaf, wo die Kontinuität des Bewußtseins unterbrochen ist, und von denen man doch nicht behaupten kann, daß in ihnen der Geist selbst aufgehört hat, zu existieren, wie kann man dann das Wesen des Geistes in das Denken setzen? Nun kann aber DESCARTES ganz Recht haben, daß der Geist immer denkt, und es kann ganz wohl angeborene Ideen geben, auch wenn wir uns ihrer nicht immer bewußt sind: man muß nur nicht Denken und Bewußtsein verwechseln. Im Gegensatz zu LOCKEs Auffassung des Geistes als bloßer "tabula rasa" [leerer Tafel - wp], behauptet daher LEIBNIZ, daß wir vielmehr uns selbst angeboren sind, d. h. daß es in uns einen Schatz von unbewußten logischen Ideen gibt, die gleichsam in der Tiefe der Seele lebendig sind und dadurch den Zusammenhang unserer Gedankenwelt vermitteln. Sonach sind es also nicht so sehr psychologische Gründe, die LEIBNIZ auf die Entdeckung der unbewußten Vorstellung geführt haben, als vielmehr bedient er sich dieses Begriffs, um damit die metaphysische Grundannahme seines Systems, die Gleichsetzung des Realen mit dem Denken, zu unterstützen.

Gibt es nun unbewußte Vorstellungen, so ist also die Grenze des Denkens nicht zugleich auch die Grenze des Bewußtseins, und wenn das Denken notwendig einen substantiellen Träger voraussetzt, so gibt es folglich denkende Substanzen auch außerhalb der Geister oder Ichsubstanzen. DESCARTES hatte sonach ganz Recht, Substanzen außerhalb der Iche anzunehmen; sein Unrecht bestand nur darin, ihre Verschiedenheit vom Ich als Gegensatz zum Geist überhaupt zu deuten. Und ebenso hatte BERKELEY Recht, eine solche vom Geistigen wesentlich verschiedene Realität zu leugnen; er hätte nur nicht alles nichtichliche Sein für nichts als bloße Vorstellung des Ich halten sollen. Alle Realität beruth auf der Tätigkeit des Denkens; allein nicht alles Denken ist bewußtes Denken. Alles reale Sein reicht so weit, wie das Gebiet der individuellen denkenden Substanzen; allein das letztere reicht weiter als das Gebiet der Ichsubstanzen. Hatte DESCARTES den Tieren das Denken abgesprochen, so hatte er insofern Recht, als ihnen allerdings ein bewußtes Denken, ein Ich nicht zukommt. Allein dies kann nicht heißen, daß die Tiere überhaupt nicht denken und daß ihnen jede Art von seelicher Innerlichkeit abgeht. Wenn die Gleichsetzung des Denkens und Bewußtseins eingesehen und damit ein Denken auch außerhalb der Iche anerkannt ist, dann enthüllt sich auch das bisher für körperlich gehaltene Sein als ein abgestuftes Reich von denkenden Substanzen, und an die Stelle toter ausgedehnter Körper ohne andere als bloß räumliche Unterschiede tritt eine Welt von seelischen Wesen oder Monaden, die auf der untersten Stufe, als Atomseelen, nicht weniger real sind als auf der höchsten Stufe als Geister.

Bedenkt man, wie LEIBNIZ die individuelle Natur seiner Realen doch nur aus ihrem Umschlossensein von der Form des Bewußtseins abgeleitet hat, so scheint es ein Widerspruch zu sein, auch die Träger der unbewußten Vorstellungen als solche für individuell zu halten. Wenn etwas, so deutet dieser Widerspruch darauf hin, daß LEIBNIZ den Unterschied der unbewußten von den bewußten Vorstellungen im Grunde wohl nur als einen quantitativen aufgefaßt hat und daß die "petites perceptions", worauf auch seine dafür gegebenen Beispiele zielen, bei ihm in der Regel nur einen niederen Grad des Bewußtseins bedeutet haben. Damit soll indessen nicht geleugnet werden, daß bei ihm nicht zeitweilig jener Begriff auch die Bedeutung annimmt, als handle es sich um einen qualitativen Unterschied des Unbewußten vom Bewußten und bezeichnet derselbe das bloße ideelle Enthaltensein der Vielheit in der Einheit. Jedenfalls steht diese Verwendung des Begriffs der unbewußten Vorstellung nicht im Einklang mit der Grundvoraussetzung des leibnizschen Systems und braucht daher hier nicht weiter erörtert zu werden.

Das aber müssen wir als Resultat feststellen, daß LEIBNIZ mit seinem monadologischen Spiritualismus den Dualismus des DESCARTES ganz ebenso überwunden hat, wie den phänomenalistischen Spiritualismus eines BERKELEY. Jener Standpunkt kennt kein zweifaches reales Sein, ein körperliches und ein seelisches, sondern alle Realität ist nach ihm eine seelische. Er kennt aber auch kein bloß bewußt-seelisches, ichliches Sein, sondern außen den bewußten Seelen oder Geistern (Ichen) nimmt er auch noch eine Welt von anderen denkenden Substanzen an. Geister und Körper sind hiernach weder reale Gegensätze, noch Gegensätze von verschiedener Art des Seins, sondern nichts als verschiedene reale Abstufungen, die ein und derselben Monadenwelt angehören.

Nach DESCARTES und BERKELEY hatte der Körper, als dem aktiven Geist entgegengesetzt, ein passives Sein, nur daß er nach jenem zugleich ein Reales war und außerhalb des Geistes existiert, wohingegen er nach diesem ein Ideelles war und seine Vorstellung dem aktiven Geist von Gott eingepflanzt wurde. Wenn nun der Gegensatz von Geist und Körper aufgehoben und auch der Körper für ein Aggregat von seelischen Substanzen oder Monaden erklärt ist, so kann auch jener Gegensatz von Aktivität und Passivität nicht mehr ein absoluter sein, sondern die Passivität des Körpers kann nur darin beruhen, daß die Aktivität der Körpermonade eine geringer als diejenige der Geistmonade ist. Nicht der Körper also ist passiv, sondern die Tätigkeit, welche die Natur der Körpermonade bedingt, ist eine irgendwie eingeschränkte, und die niederen Stufen der Monaden unterscheiden sich nur dadurch von den höheren, daß in ihnen das Verhältnis der Aktivität zur Passivität als solches ein verschiedenes ist.

Nun heißt aktiv sein für die Monade nichts Anderes als vorstellen. Die Grade der Aktivität sind folglich Grade des Vorstellens, d. h. Unterschiede der Klarheit und Deutlichkeit, die den Vorstellungen zukommt. Zugleich aber sind sie auch Grade der Realität, weil real sein nichts Anderes heißen soll als tätig sein. Unter allen bekannten Vorstellungen ist aber diejenige des Ich die klarste und deutlichste, denn nur in ihr fällt das Sein unmittelbar mit dem Denken zusammen und wird daher völlig und erschöpfend von uns erkannt. Insofern wir demnach unser Ich oder unsere eigenen seelischen Zustände vorstellen, insofern sind wir reine Tätigkeit und zugleich realste Realität. Allein schon der Inhalt unseres Bewußtseins reicht weiter als das Selbstbewußtsein und umschließt außer den Vorstellungen, die wir von uns selbst besitzen, auch diejenige einer Außenwelt. Diese letztere Vorstellung ist sonach weder klar, noch deutlich und kann daher auch nicht auf reiner Tätigkeit, sondern nur auf einer Hemmung dieser Tätigkeit, d. h. auf Leiden, beruhen. In der gleichen Weise können wir nun schließen, daß auch in allen übrigen Monaden ein Leiden neben der Tätigkeit, eine unklare oder verworrene Vorstellung neben der klaren und deutlichen besteht, und solche verworrenen Vorstellungen sind es, die sich in unserem Bewußtsein in der Gestalt der Materie widerspiegeln. So wird dann das Leiden der Monade von LEIBNIZ geradezu als die materia prima, die Vorstellung der Materie dagegen oder die Erscheinung der körperlichen Masse als die materia secunda bezeichnet. Die materia prima ist die Ursache, daß wir neben der klaren und deutlichen Vorstellung von uns selbst auch die unklare und verworrene Vorstellung der materia secunda haben; diese letztere aber ist die Wirkung, die aus der Verworrenheit unserer Vorstellungen hervorgeht. Beide Arten von Materien aber haben ihren Ursprung in den Monaden selbst und weisen somit nicht auf ein Reales, dessen Wesen sich nicht völlig in demjenigen der Monadenwelt erschöpft.

Je weiter sich die Vorstellungen einer Monade von der Vorstellung des Ich entfernen, je unklarer und verworrener sie erscheinen, je mehr also in der Monade die Passivität ihres Vorstellens die Aktivität desselben überwiegt, desto größer ist in ihr auch das Übergewicht der materiellen Faktoren über die geistigen, desto niedriger ist der Grad ihres Bewußtseins und ihrer Realität, desto tiefer steht die Monade in der Stufenreihe der realen Wesen. Die reine Körpermonade oder Atomseele müssen wir uns folglich als eine solche denken, wo die Aktivität einen möglichst geringen Grad besitzt und die Tiefe ihres Bewußtseins dem reinen Unbewußtsein gleichkommt. Gott dagegen besitzt nur klare und deutliche Vorstellungen und folglich gar kein Bewußtsein eines von ihm verschiedenen materiellen Seins. Er ist das absolute Bewußtsein, das reine Ich, die absolut tätige Monade, actus purus ohne alle Potentialität und sonach zugleich das allerrealste Wesen. Zu ihm, als der reinsten Aktivität, steigt von der reinsten Passivität der Körpermonade die ganze übrige Monadenwelt in kontinuierlicher Stufenfolge empor. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Stufen der Monaden aber sind so mannigfaltig, wie die Unterschiede im Klarheitsgrad ihrer Vorstellungen.

Weil jede Monade ein selbständiges, substantielles Wesen ist, so ist sie auch lediglich mit sich selbst beschäftigt. Sie hat keine Fenster, durch die etwas von außen in sie hineinkommen, oder wodurch sie nach außen etwas abgeben könnte. Es besteht keine Wirkung der verschiedenen Monaden aufeinander, kein sogenannter influxus physicus [Einfluß physischer Substanzen aufeinander - wp], sondern alles, was in der Monade vorgeht, das hat sie spontan aus ihrer eigenen Natur heraus geschaffen. Besitzt daher auch nur eine einzige Monade eine Vorstellung des Universums, so müssen alle eine solche besitzen, weil sonst die gegenseitige Übereinstimmung ihrer Vorstellungen nicht erklärbar wäre. Alle Monaden tragen der Potenz nach die Vorstellung des ganzen Universums in sich, sie stellen dasselbe nur, eine jede von ihrem Standpunkt aus, verschieden mit verschiedenen Graden der Klarheit vor. Und zwar stellen sie die übrigen Monaden umso klarer vor, in je engerer Beziehung sie zu ihnen stehen, also z. B. den eigenen Leib klarer als die Leiber fremder Geister. Jede Monade also ist ein lebendiger Spiegel des Universums. Wer daher den Vorstellungsinhalt einer einzigen von ihnen vollständig zu erkennen vermag, der würde in ihr das ganze All erkennen. Sie selbst jedoch erkennt nur, was sie klar und deutlich vorstellt. Versteht man unter Perzeption die Vorstellung überhaupt, unter Apperzeption die Vorstellung, sofern sie ins unmittelbare Bewußtsein aufgenommen ist, so kann man demnach sagen, daß alle Monaden die gleichen Perzeptionen haben und daß sie sich nur dadurch unterscheiden, wieviel sie von jenen auch apperzipieren und welchen Grad an Klarheit hierbei ihre Vorstellungen besitzen. Die Entwicklung der Monaden besteht sonach darin, daß immer mehr Vorstellungen aus dem Zustand der bloßen Perzeption in denjenigen der Apperzeption versetzt oder aus dem Unbewußtsein und der Verworrenheit ans Licht des Bewußtseins gezogen und zur Klarheit gebracht werden. Dies alles jedoch bleibt ein ideeller Vorgang rein innerhalb der einzelnen Monaden.

Wie soll man sich nun unter diesen Voraussetzungen das Verhältnis von Seele und Leib vorstellen?

Wenn bei der substantiellen Beschaffenheit der Monaden weder eine Wechselwirkung dieser letzteren untereinander, noch eine Einwirkung Gottes auf sie stattfinden kann, dann müssen sie von Anfang an so eingerichtet sein, daß jedem Vorgang in der einen ein entsprechender Vorgang in den anderen zur Seite geht. Obwohl also jede einzelne Monade nur den immanenten Gesetzen ihrer eigenen Vorstellungstätigkeit gehorcht, so herrscht doch im Ganzen eine so genaue Übereinstimmung unter ihnen, als ob eine gegenseitige Beeinflußung zwischen ihnen stattfinden würde. Dies ist die Hypothese der vorherbestimmten oder prästabilierten Harmonie, die LEIBNIZ an dem bekannten Beispiel von zwei völlig gleichgehenden Uhren erläutert hat. Wenn ich hiernach den Willen habe, meinen Arm zu heben, genauer, wenn ich die Vorstellung dieses Willens habe, so findet gleichzeitig der gewollte Vorgang auf Seiten der Körpermonaden, die meinen Arm bilden, statt. Und wenn die Monaden meines Leibes eine Störung erleiden, so erhalte ich zugleich die entsprechende Empfindung eines Schmerzes. Da nun aber alle Vorgänge nur Vorstellungen der Monaden sind, von einer Störung und Bewegung der Monaden, streng genommen, also nicht die Rede sein kann, so kann ich folglich auch sagen, daß die Körpermonaden meines Armes, bzw. Leibes, in demselben Augenblick die Vorstellung einer Bewegung, bzw. einer Störung, haben, wo ich die Vorstellung habe, meinen Arm bewegen zu wollen, oder wo ich die Empfindung eines äußeren Eingriffs in den normalen Zustand meines Leibes habe.

Vor den okkasionalistischen Theorien eines GEULINCX und BERKELEY, die auch die alltäglichsten Vorgänge zu reinen Wundern machten, hat diese Annahme offenbar den Vorzug der größeren Einfachheit voraus. Die substantielle Natur der Monaden wird durch einen Ausschluß aller äußeren Einwirkungen von LEIBNIZ doch zumindest im Weltprozeß gewahrt; und wenn man es ein Wunder nennen will, daß die Vorstellungen der Monaden einander stets entsprechen, obwohl zwischen ihnen keine reale Beziehung herrscht, so hat es doch nur einmal, vor Beginn des Weltprozesses stattgefunden, als Gott bei der Erschaffung der Monaden das Uhrwerk der prästabilierten Harmonie zuerst aufgezogen hat. Auch das ist ein Fortschritt von LEIBNIZ gegenüber BERKELEY, daß dieser, um die Wechselwirkung zwischen Seele und Körper zu erklären, den letzteren, wie im Grunde überhaupt alles nichtichliche Sein, für ein bloß ideelles Sein innerhalb der Iche hatte erklären müssen, während jener in seiner monadologischen Auffassung des realen Seins die Möglichkeit erwiesen hat, auch die Realität des nichtichlichen Seins als solche festzuhalten, ohne darum in einen Dualismus zurückzufallen. -

Alle Realität soll nach LEIBNIZ auf der Tätigkeit des Vorstellens beruhen. Nun gibt es aber, entsprechend dem Klarheitsgrad der Vorstellungen, zugleich auch Grade der Tätigkeit. Da entsteht die Frage, ob den Vorstellungen, die aus der Passivität, d. h. aus der Hemmung jener Tätigkeit, entsprungen sind, dieselbe Realität zukommt, wie dem eigenen unmittelbaren Subjekt. Diese Frage hat LEIBNIZ selbst verneint, indem nach ihm die Abstufungen in der Monadenreihe zugleich Abstufungen im Grad ihrer Bewußtheit und Realität bedeuten und Gott, die höchste, absolut bewußte Monade, den höchsten Grad an Realität besitzen soll. Steht die Sache aber so, dann erscheint auch jener ganze Fortschritt, den LEIBNIZ über BERKELY hinaus gemacht hat, illusorisch. Denn er kann alsdann die Realität des außergerichtlichen Seins wohl postulieren; allein insbesondere die Körperwelt, deren Monaden den geringsten Grad der Vorstellungstätigkeit besitzen sollen, kann folglich nur als ideelles Sein, als bloße Vorstellung innerhalb der Iche angesehen werden, und es gibt nur eine Geisterwel, die sich bloß noch durch ihre prästabilierte Harmonie von derjenigen des BERKELEY unterscheidet.

Wenn der Vorstellungsinhalt des gesamten Lebens schon von Anfang an in den Tiefen meines Geistes schlummert und sonach meine ganze Tätigkeit nur ein ununterbrochenes ins Bewußtsein Heben oder Explizieren des implizit in mir von jeher Enthaltenen ist, so besteht offenbar keine Nötigung, meine Vorstellungen eines nichtichlichen Seins für mehr als bloße Vorstellungen anzusehen. Ich kann sogar unter dem Begriff des nichtichlichen Seins auch die Realität von anderen Ichen fassen und die ganze Außenwelt überhaupt für ideell erklären, da mir außer meinem Ich kein reales Sein gegeben und die Annahme eines solchen zur Erklärung meiner Vorstellungswelt nichts beiträgt. Die Realität der Außenwelt kann auch nicht dadurch verbürgt werden, daß mir Gott von Fall zu Fall die Vorstellung einer solchen einpflanzt. Denn alsdann komme ich wiederum über das Vorstellungssein nicht hinaus und kann nicht wissen, ob meinen Vorstellungen auch wirklich ein reales Sein entspricht. Streng genommen, kann also auch BERKELEY die Annahme einer Mehrheit von Geistern nicht begründen, und wenn er nur die Körper außerhalb der Geister leugnet, weil ihre Annahme überflüssig ist, so gilt ganz das Gleiche auch von den Geistern außerhalb meiner selbst, denn auch die Vorstellung von ihnen muß ich von Gott unmittelbar empfangen, ihr Vorgestelltwerden ist also unabhängig von ihrem Wirklichsein.

Die Realität der Außenwelt kann nur dadurch verbürgt werden, daß sie direkt zu mir in Beziehung tritt und daß meine Vorstellungen von ihr als solche schon den Hinweis auf ihre Realität enthalten. Meine Vorstellungen von ihr müssen Wirkungen der realen Außenwelt sein. Ich kann also von dieser keine Vorstellungen haben, ohne solche Wirkungen zu empfangen, d. h. ich weiß vom realen Sein nur durch Erfahrung, und nichts ist real, als was die Erfahrung mir bestätigt. Das eigene reale Ich erkenne ich zwar als solches unmittelbar; bei allem anderen Realen aber muß ich warten, bis die Erfahrung an mich herankommt. Es gibt folglich bloß ein aposteriorisches, kein apriorisches Wissen vom Realen. Es gibt keine reale Erkenntnis aus reiner Vernunft und sonach auch keine apodiktisch gewisse Erkenntnis. Es ist eine vergebliche Hoffnung, auf rein logischem Weg, also etwa mittels des Prinzips der Klarheit und Deutlichkeit unserer Vorstellungen, zur Gewißheit über die Seinsart ihres Inhaltes zu gelangen. Ist aber dies der Fall, dann stürzt das ganze Fundament, worauf DESCARTES die Philosophie errichtet hat, zusammen, denn dieser ging ja gerade darauf aus, die Möglichkeit einer apodiktischen Erkenntnis des realen Seins oder einer realen Erkenntnis von apodiktischer Gewißheit zu begründen.


c) Der transzendentale (subjektive)
Idealismus: Kant.

Zwei Triebfedern haben den Charakter der kantischen Philosophie bestimmt: auf der einen Seite der Wunsch, die Realität der Außenwelt gegenüber dem Phänomenalismus festzustellen, auf der anderen Seite das Bestreben, die Annahme eines influxus physicus, wodurch allein jene Realität verbürgt wird, mit dem apriorischen und apodiktischen Charakter der philosophischen Erkenntnis zu vereinen. Der erstere war in KANT infolge seiner Eigenschaft als Naturforscher hervorgerufen, weil die Naturwissenschaft eine reale Bedeutung des Begriffs Natur voraussetzt, und fand seinen Ausdruck in dem empiristischen Bestandteilen der kantischen Philosophie. Das andere entsprang aus seiner Eigenschaft als Metaphysiker, weil nach den Ansicht jener Zeit nur eine apodiktisch gewisse Erkenntnis den Namen einer philosophischen verdient, und gelangte in den rationalistischen Bestandteilen seiner Philosophie zum Ausdruck. Beide Triebfedern zusammen veranlaßten ihn, die berühmte Fragestellung seiner Vernunftkritik dahin zu formulieren: "Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?" Denn diese Frage läuft einfach auf die verständlichere hinaus, wie es eine apodiktische Erkenntnis vom realen Sein, d. h. eine metaphysische Erkenntnis, geben kann, wenn dieses Sein uns nicht unmittelbar, sondern nur aus seinen Wirkungen bekannt ist.

Der influxus physicus zwingt dazu, mit dem Begriff der Passivität des Geistes Ernst zu machen und die letztere nicht mehr, wie es LEIBNIZ getan hatte, als einen geringeren Grad von Aktivität, sondern als ein wirkliches Leiden der Monade aufzufassen, worin sie durch eine Affektion von außen versetzt wird. In diesem Fall ist das Produkt der Passivität, die Gesamtheit der sinnlichen Empfindungen oder die Materie, wie LEIBNIZ sie bezeichnet hatte, auch nicht mehr eine bloß "verworrene Vorstellung", die folglich aus dem Inneren der Monade abgeleitet werden könnte, sondern das Material der sinnlichen Empfindungen ist ein ihr von außen Gegebenes und Aufgedrängtes, an dessen Entstehung sie sich selbst nicht beteiligt weiß und wovon sie daher auch nur eine aposteriorische Erkenntnis haben kann. Gleichzeitig ist aber auch die Aktivität der Monade nicht mehr eine freie in dem Sinn, daß sie imstande wäre, aus sich selbst heraus ohne Rücksicht auf die sinnlichen Empfindungen eine Erkenntnis des Realen zu erzeugen, sondern sie ist, als die Tätigkeit derselben Monade, worin auch jene Passivität gesetzt ist, an die letztere gebunden und auf sie angewiesen. Mit anderen Worten: die reine Denktätigkeit des "Verstandes", obschon sie als solche ihrem Inhalt nach a priori zu erkennen ist, kann sich dennoch nur auf die sinnlichen Empfindungen beziehen, sofern es eine Erkenntnis des Realen geben soll.

Es gibt also nicht, wie LEIBNIZ angenommen hatte, eine doppelte Erkenntnis des realen Seins, eine sinnliche und eine Verstandeserkenntnis, wovon sich die eine aus der Passivität, die andere aus der Aktivität des Geistes herschreibt, sondern eine jede reale Erkenntnis ist aktiv und passiv zugleich und beruth auf dem unmittelbaren Ineinandergreifen spontaner und reflektierter Tätigkeiten. Verstand und Sinnlichkeit unterscheiden sich auch nicht bloß quantitativ durch den verschiedenen Grad ihrer Tätigkeiten voneinander, sondern beide sind spezifisch verschieden, weil Aktivität und Passivität einander entgegengesetzt sind. Der Verstand mit seiner Tätigkeit des reinen, d. h. empfindungslosen, Denkens ist das Vermögen der Begriffe, sofern die reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien den Inhalt jenes Denkens bilden. Die Sinnlichkeit mit ihrer passiven Empfänglichkeit für Einwirkungen von außen ist das Vermögen der Empfindungen, die an und für sich noch gar keinen begrifflichen Charakter haben. Jener Gegensatz zwischen den beiden Vermögen kommt aber auch darin zum Ausdruck, daß, ebenso wie dem aktiven Verstand die passive Sinnlichkeit entgegensteht, so innerhalb der Sinnlichkeit die Passivität der reinen Empfindungen durch die Aktivität der reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit paralysiert wird. Das ansich chaotische Material der sinnlichen Empfindungen, wie es unmittelbar dem Geist von außen gegeben wird, muß erst in jene beiden Formen eingeordnet und damit zu Anschauungen umgewandelt werden, bevor es zur weiteren Verarbeitung der Tätigkeit des Verstandes überliefert werden kann. Diese Verarbeitung aber besteht darin, daß, ebenso wie die Sinnlichkeit die Empfindungen in die Formen der Anschauung einordnet, so auch der Verstand seine reinen Begriff auf die Anschauungen als solche in Anwendung bringt. Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Begriffe ohne Anschauungen sind leer. Erst Anschauungen und Begriffe zusammen ergeben eine wirkliche Erkenntnis, sie stellen, als Produkt eines komplizierten Ineinanderwirkens von Spontaneität und Reflexion, jene geordnete Welt von Dingen vor uns hin, die wir in ihrer Unmittelbarkeit gewöhnlich als Erfahrung bezeichnen.

So übt also der Geist in seiner Spontaneität eine formierende Tätigkeit auf die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Empfindungen aus, indem er sie in Raum, Zeit und Kategorien einordnet. Alle diese Formen liegen a priori in ihm bereit, wie die Gesamtheit ihrer Vorstellungen nach LEIBNIZ in der Monade schlummern sollte, und treten erst bei Gelegenheit der Erfahrung in Wirksamkeit, d. h. wenn der Geist von außen affiziert wird. Indem sie aber alsdann den sinnlichen Empfindungen die Form als ein Moment hinzufügen, was in jenem unmittelbar nicht enthalten ist und was eben nur aus dem Geist selbst hervorgeht, so setzen wie damit unsere gesamte Vorstellungswelt zur bloßen Erscheingungswelt herab und machen, daß wir es in all unserer Erkenntnis nie mit dem realen Sein als solchen, sondern immer nur mit unseren subjektiven Vorstellngen desselben zu tun haben.

Versteht man unter dem realen Sein das transzendente Jenseits des Bewußtseins oder die Außenwelt im Sinne einer Welt von "Dingen-ansich", wie sie unmittelbar die sinnlichen Empfindungen in uns hervorruft, so gibt es offenbar von dieser keine apodiktische Erkenntnis, weil es von ihr überhaupt keine Erkenntnis gibt. Es gibt folglich auch keine Metaphysik, als apodiktische Wissenschaft vom Ding-ansich. Apodiktisch gewiß ist, wie wir gesehen haben, nur diejenige Erkenntnis, bei welcher das Bewußtsein und sein Gegenstand zusammenfallen. Was also die Dinge ansich betriff, so ist sogar ihre Realität nicht einmal sicher, denn diese befindet sich jenseits des Bewußtseins oder ist eine transzendente Realität; meine Erkenntnis jedoch ist eine bloß immanente und reicht über die Sphäre des Bewußtseins nicht hinaus. Wohl aber kann ich an der immanenten Realität der wahrgenommenen Erscheinungswelt, an der sogenannten "empirischen Realität" der letzteren nicht zweifeln, weil diese ja nur die Realität meines eigenen Bewußtseins darstellt. Allein, auch von dieser gibt es keine apodiktische Erkenntnis, sofern was an ihr Empfindung ist, uns, wie wir gezeigt haben, ja nur von außen gegeben und folglich auch nicht a priori erkennbar ist. Nun sahen wir aber gleichzeitig, daß die ganze Fülle des Formalen der Erscheinung, die Anschauungsformen, Begriffe und die aus ihnen gebildeten Grundsätze vor aller Erfahrung in unserem Geist liegen. Demnach müssen sie auch a priori von uns erkannt werden können. Insofern also die objektiven Gesetze der Erscheinungswelt nichts Anderes als die subjektiven Bedingungen des Daseins jener Welt in unserem Bewußtsein und durch die Spontaneität des eigenen Geistes in den passiven Empfindungsstoff gleichsam hineingewebt sind, insofern muß es eine apodiktische Erkenntnis der empirischen Realität im dargelegten Sinn geben, insofern gibt es folglich auch eine Metaphysik, und zwar als apodiktische Wissenschaft der apriorischen Bedingungen des immanent Realen.

Das ist der Standpunkt des transzendenten Idealismus, so genannt, weil er den Begriff der Realität, soweit sie erkennbar sein soll, auf den ideellen Inhalt des Bewußtseins einschränkt, und weil ihm die objektiven Gesetze dieser Realität mit den apriorischen Bedingungen der letzteren im Bewußtsein zusammenfallen. Obgleich also diese Gesetze ansich bloß immanent sind, so werden sie trotzdem so angesehen, als ob sie eine transzendente Bedeutung hätten, oder sie werden auf ein transzendentes Sein bezogen, und das ist es, was in dem Wort "transzendental" ausgedrückt ist. Es ist klar, daß wir auch hierin nur eine besondere Form des Spiritualismus, und zwar eine solche vor uns haben, die eine nähere Verwandtschaft mit der monadologischen Gestalt desselben aufweist. Der kantische Idealismus ist wesentlich nichts Anderes als eine Umbildung der leibnizschen Monadologie, wie diese sich unter der Voraussetzung gestalten mußte, daß der Begriff der Passivität nicht in einem rationalistischen Sinn einer verminderten Aktivität, sondern im empiristischen Sinn eines wirklichen Leidens gedeutet wurde. Daher beruth auch im Kritizismus, ganz ebenso wie bei den vorangegangenen Philosophen, die apodiktische Gewißheit des realen Seins letzten Endes bloß auf der ungeprüften und daher dogmatischen Voraussetzung der unmittelbaren Realität des eigenen Bewußtseins: ich erkenne die Gesetze der Erscheinungswelt (des immanent realen Seins) als solche a priori und darum mit apodiktischer Gewißheit, weil diese auf der reinen Aktivität des Ich beruhen, die letztere mir aber unmittelbar bekannt ist. Mein Bewußtsein von den apriorischen Funktionen meines Geistes ist selbst ein apriorisches Bewußtsein, d. h. es fällt mit jenen apriorischen Funktionen zusammen, weil der reale Grund oder das metaphysische Subjekt jener Funktionen nichts Anderes als mein Ichbewußtsein ist.

In der "transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", jenem Abschnitt der Vernunftkritik, der, wie kein anderer, wegen seiner Dunkelheit berüchtigt ist, sucht KANT daher den Nachweis zu liefern, daß zur Möglichkeit einer realen Erkenntnis nicht bloß das Mannigfaltige des sinnlichen Empfindungsstoffes, auch nicht bloß die Einordnung dieses Mannigfaltigen in die Formen der Anschauung und die Verknüpfung der Anschauung durch die Kategorien gehört. Eine solche Verknüpfung oder Synthesis ist vielmehr gar nicht möglich ohne reale Einheit, die aller Synthesis vorhergeht und die, als Substrat der apriorischen Funktionen unseres Geistes, sich gleichzeitig als das Subjekt der verknüpfenden Tätigkeit erweist. Diese letzte und höchste Bedingung des ganzen Erkenntnisprozesses ist aber nichts Anderes als die Einheit des Bewußtseins, das "Ich denke, das alle meine Vorstellungen muß begleiten können", sofern sie zu meinem Bewußtsein gehören sollen.
    "Nur dadurch, daß ich ein Mannigfaltiges gegebener Vorstellungen in einem Bewußtsein verbinden kann, ist es möglich, daß ich mir die Identität des Bewußtseins in diesen Vorstellungen selbst vorstelle." (3)
Mit anderen Worten: mein Bewußtsein jener Einheit ist unmittelbar die Einheit selbst, wodurch in meinem Bewußtsein die Vorstellungen verbunden werden.
    "Das ursprüngliche und notwendige Bewußtsein der Identität seiner selbst ist also zugleich ein Bewußtsein einer ebenso notwendigen Einheit der Synthesis aller Erscheinungen nach Begriffen." (4)

    "Ich bin mir des identischen Selbst bewußt in Anbetracht des Mannigfaltigen der mir in einer Anschauung gegebenen Vorstellungen, weil sie insgesamt meine Vorstellungen sind, die eine ausmachen. Das ist aber soviel, wie daß ich mir einer ursprünglichen Synthesis derselben a priori bewußt bin, welche die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heißt, unter der alle mir gegebenen Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen." (5)
So läuft dann die ganze "transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" auf nichts Anderes hinaus, als was wir schon früher hervorgehoben haben, daß nämlich die Tätigkeit des Denkens ein reales Substrat voraussetzt und daß ich im Ich, d. h. im eigenen Bewußtsein, das reale Substrat als solches unmittelbar erfasse. Ein derartiges Zusammenfallen von Denken und Sein im Ich hatte auch schon dem Rationalismus des DESCARTES zugrunde gelegen. Aber während DESCARTES diesen wahren Grund, der ihm seine apriorischen Konstruktionen ermöglicht hatte, verkannt und statt dessen die Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellungen zum Kriterium der Erkenntnis erhoben hatte, so ist es KANTs Verdienst, auf das richtige Prinzip zurückgegriffen, die Identität des Seins und des Bewußtseins als das wahre Fundament einer apriorischen Erkenntnisweise aufgestellt und damit den Rationalismus neu begründet zu haben.

KANT weiß nun zwar recht gut, daß jenes apriorische Bewußtsein, durch dessen apriorische Tätigkeit im Verein mit dem a posteriori gegebenen Empfindungsstoff die Erfahrung erst zustande kommt, er weiß recht gut, daß jenes Bewußtsein nicht mit dem unmittelbaren empirischen Bewußtsein verwechselt werden darf, weil dieses ja selbst mit zur Erfahrung gehört. Die synthetische Einheit der Apperzeption ist nicht die subjektive Einheit des Bewußtseins, welche die empirisch gegebenen Inhalte meines Vorstellungslebens oder die psychologischen Bestandteile der Erfahrungswelt verbindet. Sie ist vielmehr eine objektive Einheit des Bewußtseins, keine empirische, mit Empfindungsstoff durchwebte, sondern eine reine oder transzendentale Apperzeption, indem sie ja selbst erst den Grund alles Empirischen enthält. Das Ich, worin ich diesen Grund meiner gesamten Vorstellungswelt erkenne, ist daher auch nicht das empirische Ich, worauf ich bloß die psychologischen Inhalte der Erfahrung beziehe, sondern es ist das reine oder transzendentale Ich, worauf die gesamte Erfahrung überhaupt bezogen werden muß. Trotzdem glaubt KANT, vom Empirischen aus unmittelbar zu diesem Grund alles Empirischen hinabsteigen zu können, und betont er, daß die bloße Vorstellung Ich in Bezug auf alle anderen (deren kollektive Einheit sie möglich macht), das transzendentale Bewußtsein ist (6). Fassen wir hiernach die Ansicht KANTs noch einmal kurz zusammen, so können wir also sagen: a priori und daher mit apodiktischer Gewißheit wird ein Sein nur erkannt, sofern seine Erkenntnis eine unmittelbare (nicht durch Zwischenglieder vermittelte) ist; unmittelbar aber erkenne ich nur mein eigenes Bewußtsein. Nur sind mir aber, was den Inhalt des Bewußtseins anbelangt, die Empfindungen von außen gegeben, können folglich auch nicht unmittelbar erkannt werden. Die Formen jedoch, in welche diese Empfindungen eingeordnet werden müssen, damit eine wirkliche Erkenntnis zustande kommt, die erkenne ich unmittelbar, weil sie zu den angestammten Momenten meines Bewußtseins selbst gehören. Synthetische Urteile a priori sind also möglich, weil jene a priori erkannten Formen sich auf den Inhalt der Empfindungen beziehen, die einem Urteil seinen synthetischen Charakter verleihen.

Die Aktivität des Geistes, welche die Vorstellungen hervorbringt, ist nichts Anderes als die Aktivität des Bewußtseins. Mag daher das Wesen des Geistes (das transzendentale Ich) immerhin tiefer reichen als das empirische Bewußtseins, wie es durch die Einschränkung jener Aktivität durch das Ding-ansich bedingt ist: es ist doch unmöglich, über die Grenzen des Bewußtseins selbst hinauszukommen. Wenn der Geist in der Erkenntnis des realen Seins auf das Zusammenwirken von Aktivität und Passivität, Verstand und Sinnlichkeit angewiesen ist, so mag die Vernunft, die reine Aktivität für sich allein, wie sie abgesehen von ihrem Verhältnis zur Sinnlichkeit ist, immerhin von transzendenten Dingen reden: ihre "Ideen" beziehen sich nicht auf ein wirkliches Sein, eine Realität im transzendenten Sinn, sondern ebenfalls nur auf ein Bewußt-Sein, nur daß es nicht das ideelle Sein des bloß empirischen Bewußtseins, sondern dasjenige des transzendenten Bewußtseins ist. Verstand und Sinnlichkeit beziehen sich nur auf das relative oder endliche Sein der Erfahrungswelt, weil beide nur in gegenseitiger Beschränkung funktionieren. Die Vernunft dagegen in ihrer Freiheit von der Sinnlichkeit bezieht sich eben deshalb auf das absolute Sein der übersinnlichen, transzendenten Welt; sie vermag indessen keine wirkliche Erkenntnis dieses Seins zu liefern, weil sie selbst auch nur die Tätigkeit eines Bewußtseins ist. Die Vernunft geht ins Unendliche hinaus, weil ihre Tätigkeit nicht von außen eingeschränkt ist. Allein eben darum haben ihre Ideen auch keine konstitutive, sondern bloß eine regulative Bedeutung, d. h. sie drücken zwar den Inhalt eines Seienden aus, ohne dessen Realität als solche verbürgen zu können. -

Nun gehört auch die Kategorie der Kausalität zu den apriorischen Funktionen unseres Geistes. Wenn aber alle apriorischen Intellektual-Funktionen bloß Funktionen des Bewußtseins sind und folglich über die Sphäre des Bewußtseins nicht hinausreichen und wenn auch die Kausalität nur dazu dienen soll, den rohen Empfindungsstoff zu ordnen, wie kann mit diese Materie von außen gegeben, wie kann sie die Wirkung der transzendenten Außenwelt auf mein Bewußtsein und dadurch für mich ein Beweis ihrer realen Existenz sein?

KANT ist davon ausgegangen, die Passivität des Geistes als ein wirkliches Leiden, als Affektion von außen anzusehen; und der endet mit dem Eingeständnis, daß es eine solche Affektion überhaupt nicht geben kann, weil die Kausalität nur innerhalb des Bewußtseins Geltung hat. KANT sucht ursprünglich die eigentliche Realität in der Sphäre jenseits des Bewußtseins und glaubt sich ihrer dadurch vergewissern zu können, daß er, was Inhalt des Bewußtseins ist, als Wirkung oder ideelles Abbild des Realen ansieht; und er sieht sich zu der Behauptung fortgedrängt, daß die wahre nur die immanente Realität sein kann. KANT mußte den Schwerpunkt des realen Seins aus der Transzendenz in die Sphäre des Bewußtseins verlegen, weil es nur unter dieser Voraussetzung von ihm eine apriorische, auf der reinen Tätigkeit des Bewußtseins beruhende Erkenntnis geben kann. Allein eben damit verblaßt die reale Welt der Monaden zur Schattenwelt von unerkennbaren und zweifelhaften Dingen-ansich und tritt an die Stelle eines wirklich realen Seins das ideelle Sein bloße subjektiver Vorstellungen.

So zeigt sich die Unmöglichkeit, auf dem spiritualistischen Standpunkt, den KANT einnimmt, die Realität der Außenwelt mit dem Nachweis der Möglichkeit ihrer apodiktischen Erkenntnis zu vereinen. Der kantische transzendentale Idealismus enthüllt sich in erkenntnistheoretischer Beziehung am Ende als ein bloß subjektiver Idealismus, der überhaupt keine Realität außer derjenigen der bewußten Subjekte anerkennt und alle unsere Erkenntnis auf Erscheinungen, d. h. auf die unmittelbaren Inhalt unseres Bewußtseins, einschränkt. Damit sind wir aber im Hinblick auf das Problem der Realität nicht über den Standpunkt eines BERKELEY und LEIBNIZ hinausgekommen, und wenn schon diese, wie wir oben gesehen haben, die Annahme von realen Existenzen außerhalb des Ich nicht begründen konnten, so ist KANT hierzu erst recht nicht imstande. Denn die Gleichsetzung des realen mit dem ideellen Sein der Erfahrung führt notwendig dazu, eine reale Außenwelt, als Welt von Dingen-ansich, zu leugnen.


d) Der Solipsismus

In der Tat ist der Solipsismus die nächste Konsequenz des kantischen Idealismus, sobald man von dessen Prinzipien aus weiter schließt. Gibt es Dinge-ansich, so ist es falsch, zu sagen, daß die Kategorien der Realität, der Substantialität und Kausalität bloß subjektive Geltung haben. Dann gibt es aber auch keine apriorische Erkenntnis des Realen. Gibt es eine solche und gelten folglich die Kategorien bloß für die Erfahrung, dann gibt es auch keine Dinge ansich, und das Subjekt der Kategorien ist das einzige reale Wesen. Wenn alles Sein in bloß vorgestelltes des vorstellenden Bewußtseins ist, dann ist dieses Bewußtsein die alleinige Realität, ich selbst bin der Schöpfer dieser Welt und lasse sie sich um das Zentrum meines Ich bewegen.

Die offenkundige Absurdität dieses Standpunktes hat verhindert, daß derselbe in der theoretischen Spekulation einen ernsthaften Vertreter gefunden hat. Nur in der praktischen Philosophie und im gemeinen Leben pflegt der Solipsismus eine gewisse, wenn auch meist nur pathologische und sporadische Bedeutung zu behaupten, indem sich STIRNER ("Der Einzige und sein Eigentum") und in gewissem Sinn auch der moderne Anarchismus aus seine Prinzipien berufen können. Das hindert indessen nicht die Anerkennung, daß die Behauptung der alleinigen Realität des Ich einen notwendigen Durchgangspunkt der hier entwickelten Gedankenreihe bildet und daß der Spiritualismus alle Ursache hat, sich vorzusehen, um nicht schließlich mit dem Fahrzeug seiner Spekulation auf die Sandbank der solipsistischen Weltanschauung aufzulaufen.


3. Der reine Bewußtseinsidealismus.

Wenn der Umfang des Realen soweit eingeschränkt ist, daß nur noch das eigene Ich als Realität anerkannt wird, so liegt die Frage nahe, mit welchem Recht überhaupt von einem realen Sein gesprochen wird, und ob nicht am Ende auch die Sonderstellung des Ich im Hinblick auf das Problem der Realität sich als ein Schein herausstellt.

Real sollte nach KANT nur diejenige Erkenntnis sein, worin das Moment der Empfindung enthalten ist. Nun ist aber gerade in der Erkenntnis des transzendentalen Ich durchaus nichts Empfindungsmäßiges enthalten. Von den aktiven und spontanen Funktionen unseres Geistes hieß es, sie lieferten bloß die leere Form, von den passiven, sie lieferten bloß den inhaltlichen Stoff zu einer realen Erkenntnis. Die Erkenntnis des transzendentalen Ich beruth nur auf der Aktivität und Spontaneität des Geistes, und doch sollen in ihr Form und Inhalt zusammenfallen, indem sie nur so als reale gelten kann. Apriorisch sollten nur die aktiven Funktionen unseres Geistes sein, sie sollten eben deshalb aber auch bloß eine formale Geltung haben. Vom transzendentalen Ich gibt es eine apriorische Erkenntnis, aber diese soll als solche zugleich realer Natur sein. Die apriorische Erkenntnis sollte bloß logisch sein. Das transzendentale Ich ist nicht nur nicht bloß logisch, sondern es ist zugleich der Grund des Logischen und des Realen. Bei jeder realen Erkenntnis sollten Sinnlichkeit und Verstand zusammenwirken. Bei der Erkenntnis des transzendentalen Ich dagegen ist weder die Sinnlichkeit, noch der Verstand, als Vermögen der Kategorien, beteiligt, denn der apriorische Grund unseres Geistes liegt jenseits jener beiden Vermögen, die vielmehr erst von ihm getragen werden; und trotzdem soll hier von Erkenntnis gesprochen werden? Alle Realität, die wir erkennen, soll bloß empirisch, d. h. nur eine solche der Vorstellungen in unserem Bewußtsein, sein. Nur in diesem einen Fall sollen wir eine transzendente Realität erkennen, ja, soll eine apriorische Erkenntnis jener empirischen Realität überhaupt nur möglich sein, sofern wir die transzendente Realität des transzendentalen Ich erkennen.

Man braucht sich diese Widersprüche nur klar zu machen, um die Annahme der Realität des Ich selbst auf dem kantischen Standpunkt nachzuweisen. Soweit das Ich von uns erkannt wird, insofern ist es mit Empfindungsstoff durchsetzt, unterscheidet es sich demnach in nichts von allen übrigen Inhalten unseres Bewußtseins und ist ein bloß empirisches Ich. Insoweit es dagegen ein mehr als empirisches Ich, der reale Grund unseres Bewußtseinsinhaltes ist, insofern ist es ein transzendentes Ich und können wir es ebensowenig, wie die transzendente Außenwelt der Dinge-ansich, erkennen. Wenn wir die Annahme einer transzendenten Welt verwerfen mußten, weil die Realität überall nur eine immanente sein kann, dann müssen wir ganz ebenso auch das transzendente Ich verwerfen und ist das vermeintliche "transzendentale" Ich, so genannt, weil wir von ihm eine apriorische Erkenntnis haben sollen, nicht weniger eine Jllusion unserer dialektischen Vernunft, als alle unsere übrigen Vorstellungen übersinnlicher Realitäten.

Mit anderen Worten: es gibt gar kein reales Sein, das nicht mit dem empirischen Inhalt unseres Bewußtseins unmittelbar zusammenfällt. Alles Sein ist wesentlich Bewußt-Sein, dieses Wort nicht in dem früher erwähnten doppelten Sinn genommen, wonach es außer dem Inhalt auch die Form des Bewußtseins bedeutet, sondern so, daß es bloß auf den Bewußtseinsinhalt ankommt. Hatten wir dort den Spiritualismus als Bewußtseinsrealismus bezeichnet, sofern er Inhalt und Form des Bewußtseins als Ideelles und Reales unterscheidet, so haben wir es hier mit einem Bewußtseinsidealismus zu tun, der jene Unterscheidung höchstens noch in einem erkenntnistheoretischen, aber nicht mehr in einem metaphysischen Sinn gelten läßt. Der reine Bewußtseinsidealismus ist der Bruch mit dem Spiritualismus, indem sich auch die letzte noch übrig gebliebene Realität des Ich nach ihrer gänzlichen Vereinsamung im Solipsismus in den Ozean des ideellen Seins hinabstürzt.

Auf diesem Standpunkt also gibt es kein Bewußtsein, das nicht unmittelbar in und an seinen Vorstellungen existiert. Es gibt keinen gemeinsamen Träger dieser Vorstellungen, keine substantielle Monas, wovon sie zur Einheit zusammengehalten würden, kein Ich, das beherrschend durch sie hindurchgreift und sie nach seinen Zwecken lenkt. Das Ich ist nur eine Vorstellung unter anderen, ein Glied in jener Perlenschnur oder Kette von Vorstellungen, die nichts miteinander gemein haben, als daß sie bewußter Art sind. Es ist ein bloßer Schein, daß es ein vom ideellen Sein verschiedenes Reales gibt. Es gibt in Wahrheit nur ein Sein, das ideelle, und das von uns so genannte ideelle und reale Sein sind bloße Momente innerhalb des Ideellen. Das Verhältnis ist genau so, wie im Traum, wo die Subjekte der Traumhandlungen nicht weniger bloß ideell sind, als die Vorstellungen, die sie haben, und wonach sich ihre Handlungen gestalten. Der Unterschied ist nur, daß, während die Vorstellungswelt des Traumes den Bewußtseinsinhalt eines realen Träumers ausmacht, die Traumwelt des Bewußtseinsidealismus sich gleichsam selber träumt und unter ihren übrigen Traumgestalten gleichzeitig auch immer die Fiktion eines vermeintlichen Träumers mitträumt.

Daß diese Ansicht auf einem metaphysischen Standpunkt bisher nicht durchgeführt ist, begreift sich ebenso leicht, wie beim Solipsismus, aber nicht, weil sie absurd ist, wie der letztere, sondern weil sie mit ihrer Leugnung des realen Seins die Negation aller Metaphysik überhaupt bedeutet. Es begreift sich aber auch, daß der reine Bewußtseinsidealismus gerade aus diesem Grund von den Gegnern der Metaphysik vielfach vertreten wird und Eingang bei denjenigen Erkenntnistheoretikern gefunden hat, die Anspruch darauf erheben, für die echten Schüler KANTs zu gelten (SCHUPPE, von SCHUBERT-SOLDERN, von LECLAIR, ALBRECHT KRAUSE).

Trotzdem stellt auch der reine Bewußtseinsidealismus solange noch nicht die letzte Konsequenz des transzendentalen Idealismus dar, als noch in irgendeinem Sinn die Zeitlichkeit der Traumfunktion anerkannt wird. Der Gipfel der kritischen Besonnenheit ist erst dann erstiegen, wenn man damit Ernst macht, auch die Zeit mit KANT für eine bloße Form der Anschauung anzusehen und wenn man diese Form ganz ebenso im Inhalt des Bewußtseins untergehen läßt, wie diejenige des Bewußtseins selbst und seiner Eigenschaften.
    "Nun existiert der Traum nicht einmal mehr als Akt des Träumens, nun besteht der Traum ohne Träumer nicht mehr wirklich, nun träumt er bloß noch sein eigenes Dasein, nun wird es zum Traum, daß sich ein Traum fortspinnt. Der Schein scheint nicht mehr in Wahrheit, er scheint bloß noch zu scheinen. Die absolute Realität, mit welcher das Gegebensein des Scheins als solchem uns imponieren wollte, ist zerstreut; wir begreifen, daß es eine letzte, unzerstörbare Jllusion ist, an diese absolute Realität des Scheins zu glauben; wir sehen ein, daß es illusorisch ist, zu meinen, daß der Schein scheint, da er doch nur zu scheinen scheint, wir entdecken endlich den Begriff des absoluten Scheins, welcher nicht einmal eine Wirklichkeit seiner Funktion des Scheinens zuläßt." (7)
Damit hebt die Ansicht von der Realität des Ich, als der Form unseres Bewußtseins, sich selber auf, und grinst uns am Ende aus dem verdampfenden Nebel des realen Seins der Wahnsinn des absoluten Jllusionismus entgegen, wie er etwa der Weltanschauung des Buddhismus zugrunde liegt. Wenn wir oben sagten, daß der Ausgangspunkt des Dualismus zwischen Geist und Körper der Gedankenentwicklung notwendig die Richtung zum Monismus weist, so ist von der hier festgehaltenen Voraussetzung aus dieser Standpunkt im Solipsismus erklommen. Denn das Ich oder die Form des Bewußtseins ist selbst die absolute Monas, die, als alleinige Substanz, den realen Träger aller übrigen Existenzen bildet. Indessen die Substanz des Ich ist gleichsam nicht imstande, allein diese Fülle des außerichlichen Seins zu tragen. Der Widerspruch zwischen der endlichen Form und der Unendlichkeit ihres Inhalts sprengt sie auseinander und setzt an die Stelle des realen Ich das Scheinich in der Traumwelt bloßer Vorstellungen. Das Ich, einmal als Substanz und Realität gesetzt, zieht sonach eine der außerichlichen Existenzen nach der anderen in sich hinein, bis es schließlich von dieser Vollheit platzt und das gesamte reale Sein in eine Vielheit bloß ideeller Atome auseinandersplittert. Damit ist zugleich eine neue Form des Monismus erreicht, der reine Bewußtseinsidealismus, als die absolute Einheit von Form und Inhalt des Bewußtseins. Aber dieser Monismus hat höchstens einen Sinn, solange man ihn bloß vom erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt aus betrachtet. Metyphysisch dagegen ist er die reductio ad absurdum der ganzen bisherigen Voraussetzung, daß die Form unseres Bewußtseins als solche real ist. Denn seine ideellen Realitäten müssen doch selbst substantiellen Wesens sein. Wie aber beim gänzlichen Mangel einer durchgreifenden Beziehung unter ihnen auch nur der Schein einer einheitlichen realen Welt sollte entstehen können, das ist auf diesem Standpunkt niemals einzusehen.

So bleibt nur übrig, jene Voraussetzung selbst fallen zu lassen, und das Problem des Ich von einem neuen Gesichtspunkt aus aufzufassen.
LITERATUR - Arthur Drews, Das Ich als Grundproblem der Metaphysik, Tübingen 1897
    Anmerkungen
    3) Kants Werke, Bd. III, Seite 116 (Ausgabe Hartenstein)
    4) ebd. Seite 572
    5) ebd. Seite 117.
    6) ebd. Seite 577f. Vgl. hierzu meine Schrift "Kants Naturphilosophie als Grundlage seines Systems", Seite 227-238, 477-483.
    7) Eduard von Hartmann, Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus, dritte Auflage, Seite 47. Vgl. dessen Schrift "Das Grundproblem der Erkenntnistheorie", Seite 57f.