cr-2tb-1SternHerbartKaftanSpirK. GroosSigwartMauthner    
 
JOHANN FRIEDRICH HERBART
Das Gegebene

"Materie des Gegebenen ist die Empfindung.  Diese war niemals ein Gegenstand des Zweifels, und kann es nicht sein. Aber eben indem wir dies aussprechen, deuten wir schon an, daß die Form, oder daß alle Formen der Erfahrung dem Zweifel anheimfallen. Warum aber kann die Empfindung nicht bezweifelt werden? Darum nicht, weil  eben sie  das  unmittelbar  Gegebene ist. Also  die  Form, die von der Materie, das heißt hier, von der Empfindung, unterschieden werden muß,  ist nicht das unmittelbar Gegebene!" 

"Wie macht man es, wenn zweimal mit dem Finger auf den Tisch geklopft wird, die Zeitdistanz der Schläge zu hören? Vernimmt man die Zwischenzeit im ersten Schall? Nein; die Zwischenzeit hatte noch nicht angefangen. Oder im letzten? Nein! sie war schon vorbei. Vernimmt man die leere Zwischenzeit, (bei der an gar keinen Hintergrund zu denken ist,) für sich allein; und kann überhaupt das Leere wahrgenommen werden?"

"Die Formen der Erfahrung müssen entweder für sich, oder in der Materie derselben (d. h. in der Empfindung) gegeben sein.  Keines von beiden findet statt; also sind sie gar nicht gegeben.  Hiervon ist nur das Ich, als Vereinigungspunkt all unserer Vorstellungen, ausgenommen; denn es ist (oder scheint zumindest) für sich gegeben. Der Schluß bewirkte jedoch, bei aller anscheinenden Bündigkeit, nur einen Zweifel. Denn es war überhaupt nicht möglich, eine solche Vernichtung allen Wissens, ja alles Denkens, wie dieser Schluß nach sich zieht, indem er alle Fugen der Natur und Geschichte auflöst, auch nur einen Augenblick ersthaft zu ertragen."


§ 1.

Jede Spekulation, sie heiße nun Theorie, System, oder wie man will, sucht eine Konstruktion von Begriffen, welche, wenn sie vollständig wäre, das Reale darstellen würde, wie es dem, was geschieht und erscheint, zugrunde liegt. Über den Grad dieser Vollständigkeit, und über das, was man entbehren muß, trennen sich die Meinungen. Allein die Gründe, die jede derselben für sich anzuführen hat, würden besser einleuchten und sicherer geprüft werden, wenn man wenigstens vorläufig die Frage in ihrer ganzen Vollständigkeit ließe, und sich auf Entbehrungen erst dann gefaßt machte, wenn man dazu gezwungen wird.

Hier entsteht ein scheinbarer Unterschied zwischen dem Lehrer und dem Hörer.

Der bloße Schüler würde zufrieden sein, wenn man ihm die Natur wie eine Maschine auseinander nähme, und sie dann vor seinen Augen wieder zusammensetzte. So ungefähr geschieht es in Vorträgen der Chemie, wenn dieselben anheben von den einfachen Stoffen, und nun erzählen, aus Sauerstoff und Wasserstoff werde Wasser, aus Sauerstoff und Stickstoff Salpetersäure, aus Sauerstoff und Kohlenstoff werde Kohlensäure usw. Aber wer wird so lehren wollen? Und selbst welcher klügere Schüler wird unterlassen zu fragen: wie erkanntet ihr den Sauerstoff? wie entdecktet ihr den Stickstoff? war das bloße Hypothesen?

Der Lehrer, oder vielmehr der selbständige Denker, der ja zuerst für sich und dann für andere forscht, kann nicht an der Frage vorübergehen,  wie er es denn anfangen wird, das Reale zu finden?  Freilich, bei voreiliger Resignation, wenn er die obige Aufgabe gar nicht in ihrer Vollständigkeit aufzufassen wagt, überläßt er sich vielleicht dem Versuch, den Erscheinungen nur eine dünne Folie unterzulegen, um sie zu erklären, ohne nach der  Erklärung dieser Erklärung,  bis auf den realen Grund, sich umzusehen. Und hierzu mag es genügen, sich etwa mit FRANKLIN oder SYMMER aufs Raten zu legen, um eine oder ein paar Materien mit ursprünglichen Repulsivkräften ihrer gleichartigen Teile den elekrtischen Erscheinungen anzupassen; ohne nach der Möglichkeit solcher Repulsivkräfte, und nach ihrem Zusammenhang mit dem Realen zu fragen.

Wer aber um die Tiefe seiner Untersuchungen besorgt ist, und wer die größte mögliche Tiefe zu erreichen wünscht, der bedarf einer  Methode um die ersten Gründe aller Erklärung zu finden; oder wenigstens regelmäßig danach zu suchen.

Daß solche Gründe nicht unmittelbar  gegeben  sind, darüber wird im ersten Teil dieses Werks, und anderwärts, genug gesagt sein. Daß sie aber  aus dem Gegebenen erkannt  werden müssen, leuchtet unmittelbar ein, wenn man es nicht auf den Zufall des glücklichen Ratens, ungewarnt von der ganzen bisherigen Geschichte des menschlichen Wissens, will ankommen lassen.


§ 2.

Die erste Hauptforderung, welche die Methodologie zu erfüllen hat, ist demnach die, daß sie die Auffassung des Gegebenen gehörig bestimmt.

Darunter sind zwei spezielle Forderungen enthalten. Die eine, daß sie gegen Verfälschungen des Gegebenen warnt, und dessen Sicherheit oder Unsicherheit prüft. Die zweite, daß im Gegebenen die Antriebe des fortschreitenden Denkens nachgewiesen werden, vermöge dessen man sich dem Realen ohne Sprung nähern kann.

Die zweite Herausforderung ist, die Bewegung desjenigen Denkens zu beschreiben, was aus jenen Antrieben unmittelbar hervorgeht; und im allgemeinen die Grenze zu bestimmen, wie weit es reicht. Diese Forderung läßt sich allgemeiner fassen; und es ist vorteilhaft, das nicht zu versäumen. Die Frage lautet so:  wie können überhaupt Gründe und Folgen im Denken zusammenhängen?  Sie darf nicht verwechselt werden mit der analogen Frage der Ontologie: wie können Ursachen und Wirkungen zusammenhängen? Denn hier, in der Methodologie, kann nur vom Denken die Rede sein; und die Verknüpfung der Gedanken im Schließen hat eigene Schwierigkeiten, aber nicht die, welche bei Ursachen aus der vorausgesetzten Realität derselben hervorgehen.

Die dritte Hauptforderung ist die, im allgemeinen die Möglichkeit begreiflich zu machen, daß man zum Gegebenen, von dem man ausging, zurückkehrt.

Denn gesetzt, man habe sich durch die vorige Bewegung des Denkens dem Realen genähert, d. h. man habe solche Begriffe gewonnen, die mehr oder weniger für eine Erkenntnis desselben gelten können (wobei wir dieses Mehr oder Weniger absichtlich unbestimmt lassen, um Nichts voreilig festzusetzen), so ist offenbar, daß man  nun erst  anfangen kann, aus den gefundenen, mehr oder weniger tief liegenden Gründen die Erscheinungen zu erklären.

Die ganze Metaphysik beschreibt gleichsam einen Bogen, der von der Oberfläche des Gegebenen in die Tiefe hinabsteigend sich dem Realen erst nähert, dann wieder aus derjenigen Tiefe, die man hatte erreichen können, sich erhebt, und beim Gegebenen mit den Erklärungen desselben, insofern sie uns möglich sind, endet. Diese bogenförmige Bewegung zu leiten ist die  ganze  Aufgabe der Methodologie; und darin sind jene Forderungen enthalten.


§ 3.

Der Anfang sollte, wie in jeder Wissenschaft, so auch in der Metaphysik, das Leichteste sein. Er ist es wirklich ansich; wenn man abrechnet von den Vorurteilen, den Erzeugnissen des blinden psychologischen Mechanismus; und von einem Mangel an Aufmerksamkeit auf die wahre Beschaffenheit des Gegebenen.

Zwar nicht mit Nymphen und Dämonen, nicht mit Kobolden und Hexen, haben wir heutzutage zu kämpfen; von ihnen ist der Boden des Gegebenen jetzt rein und frei. Auch nicht die Kugelgestalt des Himmels, als eines blauen, festen Gewölbes mit allerlei Schmuck, steht im Weg. Der alte  kosmos,  in  diesem  Sinne, ist verschwunden. Aber die kosmologische Neigung ist geblieben. Vom All redet man noch heute mit der größten Geläufigkeit; und über der Frage, ob es endlich oder unendlich ist, vergißt man, daß es als eine ganz unbestimmte, und unzusammenhängende, unsymmetrische Menge von Körpern gegeben ist.

Diese Körper zu organisieren und zu beleben, kostet unseren heutigen Magiern nur einen Zauberschlag; sie erklären das All für Eins! Ist ihnen den die Einheit gegeben?

Gewiß nicht! Aber seit KANT sind sie gewohnt, Raum und Zeit als unendliche gegebene Größen jeder Erfahrung vorauszusetzen, und dieselbe damit zu umspannen. Seit FICHTE sind sie gewohnt, diese ganze Erfahrung zusammengefaßt im Ich zu vereinigen. Seit SPINOZA und SCHELLING sind sie gewohnt, das Ich aus sich hinausgetragen als die universale Substanz zu betrachten. Lassen wir diese dichtenden Philosophen! Von der Notwendigkeit, zu den Anfangspunkten zurückzukehren, und Anfangs Alles beiseite zu setzen, was entweder nicht  Anfang,  oder doch nicht  Anfang des Wissens  sein kann, haben sie zwar genug geredet; aber bei den Worten ist es geblieben.

Weder Alles noch Eins ist gegeben. Aber Dinge, als Komplexionen von Merkmalen, fördert der natürliche psychologische Mechanismus, abgesehen von allen Verkünstelungen, wirklich zutage; und es begegnet uns allen, daß wir diese Ding als ausgedehnt im Raum, als veränderlich, tätig und leidend betrachten. Wenn hierin ein Irrtum, oder wenigstens eine Besorgnis des Irrtums entspringen kann, so gehört es allerdings zum Anfang der Metaphysik, die unsichere Stelle zu untersuchen; und das ist der Gegenstand dieses Kapitels.


§ 5.

Eine logische Bemerkung muß vorangehen.  Das Gegebene, ein unbestimmt Vieles, läßt sich nicht übersehen, außer durch allgemeine Begriffe

Nur mittels derselben kann es Gegenstand der Untersuchung werden. Denn von der ganzen Masse des Gegebenen kann man weder auf einmal Gebrauch machen, noch würde ein willkürliches Herausheben des Einen und Weglassen des anderen zu rechtfertigen sein. Das  sämtliche  Gegebene ist Gegenstand der Untersuchung; eben darum aber muß man es nicht bloß als bekannt, sondern auch als logisch geordnet voraussetzen, damit es als ein zum Gebrauch bereit liegender Vorrat gelten kann.

Unstreitig kommen nun die  höchsten  Allgemeinbegriffe  zuerst  zur Untersuchung. Allein hier liegt eine Klippe, an die wir erinnern müssen, damit nicht die Logik selbst zum Verderben der Wissenschaft gereicht.

Die Metaphysik der älteren Schule betrachtete das Wirkliche dem Möglichen als logisch untergeordnet. Dieses, mit seinem Gegenteil, dem Unmöglichen, konnte keinem höheren Begriff, der beiden gemein gewesen wäre, untergeordnet werden. Also war der Gegensatz des Möglichen und Unmöglichen scheinbar der oberste Anfang der Metaphysik; und nun mußte man von hier an die logische Stufenleiter wieder hinabsteigen. Das Mögliche stand an der Spitze. Man sollte demnach diejenige Determination finden, wodurch man  das Wirkliche als eine Art des Möglichen  beschreiben kann. Und man fand jenes  complementum possibilitatis  [fiktive Erfüllung des Möglichen zum Wirklichen bei Christian Wolff - wp].

Aber was war nun der Sitz des Fehlers?  Reflexionsphilosophie!  ruft uns die heutige Zeit schmähend entgegen. Also hätte die alte Schule ohne Reflexion, ohne logische Allgemeinheit zu Werke gehen sollen? Freilich, wenn sie dichten oder schwärmen wollte!

Der Fehler lag vielmehr darin, daß die Abstraktion über ihr Ziel hinausging. Das Gegebene ist ein Wirkliches, und keine leere Möglichkeit. Die Metaphysik will nicht bloß denken, sondern erkennen. Was nicht zum Erkennen dient, das ist ihr fremd;  alles in ihr muß sich auf Wirklichkeit, unmittelbar oder mittelbar beziehen. Diese Voraussetzung kann sie nicht einen Augenblick loslassen.  Sie ließ aber davon los, als sie vom bloß Möglichen redete; und dadurch verlor sie, vom ersten Augenblick an, die Spur, in der sie fortgehen sollte.

Hier ist ein ähnlicher Fall, wie in der Ästhetik. Oben wurde bemerkt, wie sehr dieselbe Ursache hat, sich zu hüten, daß sie sich nicht in Abstraktionen, wodurch die Grundverhältnisse zerrissen werden, verliert. Leere Abstraktion war der gewöhnliche Fehler in früherer Zeit; neuerlich hat man das gefühlt, aber nicht verbessert, sondern durch den umgekehrten Fehler verschlimmert.


§ 5.

Die Warnung gegen leere Abstraktionen muß noch erweitert werden. Der Begriff des  Wirklichen  ist ebensowohl ein allgemeiner Begriff, wie der des  Möglichen;  und in ihm liegt kein Anfangspunkt des Wissens, außer insofern er das Gegebene ausdrückt. Nun trägt aber das Gegebene nicht in dieser Allgemeinheit den Charakter der Wirklichkeit; sondern alles Wirkliche, das wir vorfinden, ist (entweder gewiß oder wahrscheinlich) ein  Ding mit mehreren und veränderlichen Merkmalen.  Also nur mit dieser näheren Bestimmung hat der Begriff des Wirklichen einen eigentlichen Wert.

Wir werden zwar die Ontologie mit der allgemeinen Betrachtung über das Sein und das Seiende anheben, aber das sind nur vorbereitende Entwicklungen der Begriffe, die für sich allein noch kein Wissen begründen würden. Der Anfang des Wissens liegt in der Lehre von der Substanz und der zugehörigen Inhärenz; wiederum nicht wegen dieses  Begriffs,  als eines solchen, sondern weil hier erst die gegebene Anschauung, mit ihrem Anspruch an eine wenigstens mittelbare Darstellung des Realen, sich mit dem Denken unzertrennlich vereinigt; dergestalt zwar, daß nicht der  ganze  Gedanke angeschaut wird, wohl aber von einem zusammengesetzten Gedanken  ein  Teil durch die Anschauung verbürgt ist, während ein  anderer  Teil dazu eine im Denken notwendige Ergänzung bildet, die sich von dort an noch im Nachdenken erweitert.

Gesetzt ferner, ein Gegebenes sei unsicher, wie bei schwankenden Beobachtungen, oder bei Zeugnissen: so paßt darauf ohne Verminderung oder Vermehrung des Grades der Wahrscheinlichkeit, dieselbe Form der Untersuchung, wie wenn das Nämliche, als Gegebenes, völlig sicher wäre.

Diese Bemerkung kann auch auf Mutmaßungen angewendet werden. Zum Beispiel sind uns Sterne bloß durch das Licht gegeben. Jeder einzelne derselben ist also für sich keine Komplexion von Merkmalen, sondern, was bei anderen Dingen nur  ein  Merkmal sein würde, das ist hier der ganze Gegenstand. Gleichwohl zweifelt niemand, daß, wenn wir in die Nähe eines Fixsterns gelangen könnten, wir dort eine ungeheuer große Verbindung von Merkmalen antreffen würden. Dies näher zu untersuchen, ist nicht die Sache der allgemeinen Metaphysik; sondern der Stern fällt für sie mutmaßlich unter die nämliche Untersuchung, die sie für die uns näher bekannten Gegenstände allgemein anstellt.

Das Gewicht der Mutmaßung wird in solchen Fällen durch den Lauf der metaphysischen Untersuchung gar nicht verändert. Aber der Wert der letzteren, da sie nicht bloß für Mutmaßungen, sondern für das unbestreitbar Gegebene allgemein angestellt wird, verliert nichts, wenn auch nicht alles, worauf sie paßt, als Gegebenes, die gleiche Sicherheit besitzt. Denn es kommt für sie nichts darauf an,  in wie vielen Exemplaren  die Gegenstände ihrer Grundbegriffe  gegeben  sind; sondern selbst ein einzelnes Exemplar könnte nötigenfalls genügen, um die Gültigkeit der Begriffe zu verbürgen.


§ 6.

Wie aber, wenn eine Unsicherheit des Gegebenen so beschaffen ist, daß sie alle Gegenstände zugleich, ja auf gleiche Weise trifft?  Dann wird allerdings das Fundament der Untersuchung erschüttert; und hier ist die Grenze zwischen logischer und skeptischer Betrachtung, zu welcher letzteren wir nunmehr übergehen müssen, um nicht den gefährlichsten Feind unbewacht hinter uns zu lassen.

Aus der "Einleitung in die Philosophie" (§ 19-29) kennt man eine zweifache Skepsis. Die erste Art, die Skepsis der Alten, betrifft die Frage, ob die Dinge so gegeben werden, wie sie wirklich sind; das aber  fragt  heutzutage nur der Anfänger; und hierher gehört es erst recht nicht. Denn inwiefern durch das Gegebene das Reale hindurchleuchtet, wird die Ontologie untersuchen. Jetzt ist nur die Rede von der faktischen Sicherheit des Gegebenen; nicht von dem, was, wie und wieviel man dadurch erkennt.

Von ganz anderer Beschaffenheit als die Skepsis der Alten, sind  die  Zweifel, welche in der Einleitung unter dem Titel: höhere Skepsis, aufgeführt wurden. Diese gehören ihrem Ursprung nach dem Hume-Kantischen Gedankenkreis an. Ihr historischer Anfang liegt in der Frage: ob uns ein Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung  gegeben  ist? Ob man jemals das  Wirken  eines Dings, wobei es aus sich herausgeht und in das Leidende eingreift,  gesehen  hat? Darauf antwortet jedermann mit dem Bekenntnis, er habe es  nicht  gesehen; und wir fügen hinzu, er  konnte  es nicht sehen; nicht etwa bloß aus Mangel an Fähigkeit des Wahrnehmens, und wegen einer Beschränktheit der menschlichen Natur, sondern weil die  causa transiens  [Ursache, die ihre Wirkung außerhalb ihrer selbst hervorbringt - wp] in  der  Art, wie man sie sich dachte, und nach ihr frage, gar nicht existiert, auch niemals existieren kann, sondern ein bloßes Hirngespinst ist.

Allein das Eigentümliche dieser Frage interessiert hier auch nicht, sondern bloß  die Form des Zweifels,  welcher das  vermeintlich  Gegebene als  erschlichen  zurückweist.


§ 7.

Dinge, mit mehreren und veränderlichen Merkmalen, sind gegeben. Die Veränderung fällt in die Zeit; Die Dinge selbst sind bei vollständigen Auffassungen zugleich räumlich bestimmt.

Die philosophische Reflexion, indem sie dieses Gegebene auffaßt, hat es zu allen Zeiten gespalten in  Materie  und  Form. 

Materie des Gegebenen ist die Empfindung.  Diese war niemals ein Gegenstand des Zweifels, und kann es nicht sein.

Aber eben indem wir dies aussprechen, deuten wir schon an, daß die Form, oder daß alle Formen der Erfahrung dem Zweifel anheimfallen.

Denn warum kann die Empfindung nicht bezweifelt werden? Darum nicht, weil  eben sie  das  unmittelbar  Gegebene ist. Also  die  Form, die von der Materie, das heißt hier, von der Empfindung, unterschieden werden muß,  ist nicht das unmittelbar Gegebene!  Daher der Zweifel; und dieser muß vollständig überlegt, aber auch  nur als Zweifel  vorgetragen werden. Denn bei gehöriger Überlegung verschwindet er und eine psychologische Frage tritt an seine Stelle.

Es ist unvermeidlich, hier an meine früheren Schriften zu erinnern. Denn der ganze Zweifel gehört erstens zu den Vorübungen des Anfängers; und sie sind so notwendig, daß sie niemals vergessen werden dürfen. Zweitens, Die Aufklärung dieses Zweifels ist ein Hauptgegenstand der Psychologie; welche nachweisen muß, wie sich die Formen der Erfahrung erzeugen, und wie es zugeht,  daß wir sie allerdings im Gegebenen unzweideutig finden,  obgleich in der Tat eigentlich nur die Empfindung das Gegebene ausmacht.

Der Leser möge nun jene Vorübungen auf einen Augenblick bei sich erneuern, die er damals anstellte, als er, etwa auf Veranlassung der "Einleitung in die Philosophie", sich fragte, ob Raum, Zeit, die Verknüpfung der Merkmale  eines  Dinges, Veränderung und Verbindung aller Vorstellungen im Ich ihm wirklich gegeben sind?

Damals hat der Leser sich z. B. ein paar Körper vor seinen Augen näher und ferner gerückt. Er hat sie betrachtet, und bemerkt, daß sich das Sichtbare an diesen Körpern nicht ändert, sie mögen nun etwas näher oder entfernter voneinander sein, solange nicht optische oder perspektivische Gründe, die nicht hierher gehören, hinzukommen. Er hat demnach überlegt, wie es ihm möglich ist, ihre Nähe oder Entfernung zu beobachten? Ob er den leeren Zwischenraum sehen kann? Ob etwa die Entfernung, als eine bestimmte, erkannt wird mit Hilfe des Hintergrunds, vor welchem die Körper vorübergehen; der jedoch sehr mannigfaltig sein kann, und der Nachts zwischen ein paar Sternen eigentlich gar nicht als eine sichtbare Fläche vorhanden ist! Ob schließlich das Sichtbare des einen oder des anderen Körpers auf irgendeine Weise als Merkmal etwas an sich trage, das auf den Gegensatz des einen Sichtbaren  hier,  und des andern  dort,  könnte gedeutet werden?

Um sich in diesen Fragen recht zu verstehen, und nicht vom Fragepunkt abzuirren, hat der Leser, (wenn es erlaubt ist, die nämliche Form des Vortrags noch beizubehalten, da sie hier die zweckmäßigste scheint,) schon damals die Zeitbestimmungen verglichen; und nicht bloß beim Auge und dem Getaste, sondern auch beim Ohr Nachfrage gehalten. Wie macht man es, wenn zweimal mit dem Finger auf den Tisch geklopft wird, die Zeitdistanz der Schläge zu hören? Vernimmt man die Zwischenzeit im ersten Schall? Nein; die Zwischenzeit hatte noch nicht angefangen. Oder im letzten? Nein! sie war schon vorbei. Vernimmt man die leere Zwischenzeit, (bei der an gar keinen Hintergrund zu denken ist,) für sich allein; und kann überhaupt das Leere wahrgenommen werden?

Ferner hat sich der Leser gefragt, ob ein Ding  A,  welches gegeben wird durch die Merkmale  a, b, c  in Wahrheit für  gegeben  gelten kann? Sind  a, b, c  unmittelbare Empfindungen: so sind sie selbst unstreitig gegeben; aber wo ist ihre Einheit, das Ding? Ist diese Einheit noch außer und neben  a, b, c  gegeben? Nein! Oder ist in  a  das Merkmal gegeben, daß es Eins ist mit  b  und mit  c;  in  b  die Verbindung mit  a  und  c;  in  c  die Verbindung mit  a  und mit  b?  Nein; jede Empfindung ist in sich vollständig; sie enthält nichts von der anderen, sie weist nicht hin auf die andere; sie steht allein.

Hieran knüpft sich die Frage: ob denn die Veränderung gegeben ist? Geht die Komplexion  a, b, c  über in  a, b, d;  so hat sich  c  in  d  verändert. So sagen wir gewöhnlich im gemeinen Leben. Wenn aber die Einheit der Komplexion  a, b, c  und die Einheit der Komplexion  a, b, d nicht  gegeben ist, so mögen zwar sowohl  c  als auch  d,  nicht aber ihr Wechsel in der voreilig angenommenen Einheit gegeben sein.

Endlich die mehreren Vorstellungen, die Ich Mir als Meine Vorstellungen beilege, enthalten sie, jede einzeln genommen, das Merkmal, eine sei bei der andern im Ich? Nein! Aber ist die Verbindung noch neben und außer ihnen gegeben?  Ja, denn das Ich weiß unmittelbar von sich, dem Vorstellenden jener Vorstellungen!  So lautet hier ausnahmsweise, und verschieden von den vorigen Fällen die natürliche Antwort. Daß ein unmittelbares Wissen von Sich, daß das reine Ich ein Unding und eine falsche Abstraktion ist, lehrt erst die Psychologie, die der Leser (welchen wir uns einbilden), als er die hier erneuerten Vorübungen anstellte, noch nicht kannte.

Sein Schluß aber lautete damals so: die Formen der Erfahrung müssen entweder für sich, oder in der Materie derselben (d. h. in der Empfindung) gegeben sein.  Keine von beiden findet statt; also sind sie gar nicht gegeben.  Hiervon ist nur das Ich, als Vereinigungspunkt all unserer Vorstellungen, ausgenommen; denn es ist (oder schein zumindest) für sich gegeben.

Der Schluß bewirkte jedoch, bei aller anscheinenden Bündigkeit, nur einen Zweifel. Denn es war erstens nicht möglich, eine solche Vernichtung allen Wissens, ja alles Denkens, wie dieser Schluß nach sich zieht, indem er alle Fugen der Natur und Geschichte auflöst, auch nur einen Augenblick ersthaft zu ertragen. Es war zweitens glücklicherweise ebensowenig möglich, um sich her zu schauen, ohne sogleich sich von allen Seiten her wiederum ergriffen zu fühlen von  gegebenen  Gestalten, Zeiträumen, Dingen und Veränderungen. Wir nahmen den Faden dieser Betrachtung erst nach dem Vortrag der Logik wieder auf und erinnerten an Folgendes: wenn die Formen nicht gegeben, sondern bloß eingebildet sind, so muß man ihre Bestimmungen willkürlich verwechseln können. Es ist dann möglich, das Runde als viereckig anzuschauen, indem ja die Rundung vom Empfundenen weggenommen werden kann, das sich dann die Form des Vierecks gefallen lassen muß. Wenn nämlich das Sichtbare gar nichts von Raumbestimmungen enthält, sondern vielmehr jeder einzelne sichtbare Punkt nur  seine Farbe  zeigt; wenn keiner dieser Punkte auf den andern hinweist, wenn der Gegensatz dse Hier und Dort weder  hier  noch  dort  gesehen wird; - wenn gleichwohl solche Gegensätze in das Gegebene hineingetragen werden können: so wird man sie beliebig, und anders bestimmt, als bisher hineintragen können.

Man kann es aber nicht! Also ist die Raumbestimmung doch gegeben. 

So schlossen wir nun;  und führten den analogen Schluß durch die Reihe der angegebenen Erfahrungsformen hindurch. 

Es war damals zu erwarten, daß wenn nicht andere, so doch die kantische Schule, hören und bemerken würde, es sei hier nicht vom Raum, dem unendlichen, sondern von Raum bestimmungen,  von Gestalten und Entfernungen der Dinge, die Rede; und es sei ganz vergeblich, die gegebenen  Gestalten  auf allgemeine Formen der Sinnlichkeit zurückzuführen, deren  Gestaltlosigkeit  allein schon hinreicht, sie unbrauchbar zu machen. Aber jene Schule beschwichtigt den Zweifel, ohne ihn zu lösen, indem sie die Aufmerksamkeit ganz unzeitig auf eine vorgebliche Organisation des menschlichen Erkenntnisvermögens lenkt, wovon gar nicht die Frage war. Hierdurch nötigt sie uns, ausdrücklich zu sagen, daß es ihr an den psychologischen Untersuchungen fehlt, zu denen man getrieben wird, wenn man nicht bloß wissen will,  ob,  sondern auch,  wie  die Formen der Erfahrung gegeben sind.


§ 8.

Die Psychologie hat zwar eigentlich gar keine Stimme in der allgemeinen Metaphysik. Denn sie soll in derselben ihre natürliche Vorgesetzte verehren. Aber kein Zeitalter wird sie von ihren Anmaßungen ganz heilen können. Denn die Metaphysik erscheint wie eine Person, die in tiefen Gedanken mit sich selbst redet, und die es nicht versteht, ihre Umgebung so zu regieren, wie es ihr von Rechtswegen zukommt. Dieses träumende Ansehen kann und darf man ihr nicht nehmen. Es wäre zwar sehr leicht, ganz dogmatisch ein längst fertiges System hinzustellen; allein das hülfe dem Leser zu gar nichts. Ihm müssen die Punkte bemerkbar gemacht werden, wo er mit  seinem  Nachdenken still stehen, und alte mit neuen Betrachtungen verbinden soll.

Während nun die Metaphysik selbst in Zweifel befangen scheint; während sie, wie wir weiterhin sehen werden, sich mit Bruchstücken von Begriffen beschäftigt, die so lange, bis sie die gehörige Ergänzung verlangt haben, widersprechend erscheinen: gewinnt die Psychologie Zeit, nach ihrer Art und gemäß der Bildungsstufe, wo sie steht, dreinzureden. Sie spricht etwa: kennt ihr euch selbst? wißt ihr den Ursprung eurer Vorstellungen? Wo nicht: wie wollt ihr die Grenzen der Anwendung eurer Begriffe richtig bestimmen? wie wollt ihr vermeiden, euer eigenes Bild, das ihm im Spiegel seht, für einen äußeren Gegenstand zu halten?  wie  könntet ihr die Formen eures Auffassens, die in euch selbst liegen, unterscheiden von den Formen des Gegebenen? Durch solche Reden findet sich die Metaphysik zwar gestört, aber nicht belehrt. Im Namen der wahren Psychologie ist hier eine kurze Antwort einzuschalten, in Bezug auf die Formen der Erfahrung.

Komplexionen und Verschmelzungen, in unerschöpflicher Mannigfaltigkeit abgestuft, verwebt und zur Wirksamkeit gereizt, geben unseren Vorstellungen teils erdichtet, teils erfahrungsmäßige Formen. Die Mechanik des Geistes, die nicht beim Vorgestellten stehen bleibt, sondern in die Zustände des Vorstellens selbst eindringt, zeigt die möglichen Formen und die Wirkungsarten der Komplexionen und Verschmelzungen; sie lehrt hiermit die Bedingungen, unter welchen räumliche Gestalten, Zeitdistanzen, Reihen von Veränderungen vorgestellt werden. Die Erfüllung dieser Bedingungen besorgt die Natur; darum besitzen wir eine Naturerkenntnis, die zwar dem Zweifel und den Verbesserungen unterworfen, uns gleichwohl nicht geraubt werden kann, vielmehr siegreich aus allen Schwierigkeiten hervorgeht. Denn in den Verknüpfungen unserer Vorstellungen, sofern sie durch Erfahrung gebildet werden, spiegelt sich allerdings die Verknüpfung der Dinge untereinander und mit uns; und dieser Zusammenhang zwischen dem, was in uns und dem, was außerhalb von uns ist, wird durch die Psychologie dergestalt klar, daß darauf für die wahre realistische Metaphysik eine nicht unbedeutende Bestätigung entspringt.

Aber diese Bestätigung ist kein Lehrsatz der Methodologie. Wenn der Leser noch so genau die Lehre von den Vorstellungsreihen, ihren Reproduktionsgesetzen, und den Wirkungen der Komplikatioins- und Verschmelzungshilfen in der Psychologie nachsehen will: er wird dadurch nichts anderes für den jetzigen Zweck erreichen, als nur die Überzeugung, daß diejenigen Systeme manches übersehen, welche, zum Idealismus sich neigend, ihn überreden wollen,  man müsse die Formen der Erfahrung aus ursprünglichen Formen des Erkenntnisvermögens ableiten.  Dies ist die falsche Lehre, welcher wir durch eine Berufung auf die Mechanik des Geistes uns hier entgegensetzen; weil ihre Einmischung es unmöglich machen würde, die Formen der Erfahrung als die wahren und einzigen metaphysischen Prinzipien in der weiteren Untersuchung zu benutzen. Wir kehren nach dieser Abschweifung in unseren Zusammenhang zurück.


§ 9.

Sind die Formen der Erfahrung gegeben? Antwort: ja, sie sind allerdings gegeben, obgleich nur als Bestimmungen der Art, wie die Empfindungen sich verknüpfen. Wären sie nicht gegeben: so könnten wir sie nicht bloß absondern von der Empfindung, dergestalt, daß das Empfundene ganz ohne Zusammenhang, ganz vereinzelt wäre; sondern wir könnten auch andere Gestalten, andere Zeitdistanzen, beliebig hören und sehen; desgleichen könnten wir Dinge aus Merkmalen nach unserer Wahl zusammensetzen und abändern; nicht bloß wie jetzt der Dichter tut, indem er wissentlich phantastische Erzeugnisse schildert, sondern so, daß die ersonnenen Dinge gänzlich in die Reihe der wahrgenommenen einträten, sofern nur deren einzelne Merkmale in der Empfindung gegeben worden wären. Der Punkt, worauf es ankommt, ist immer die Gruppierung dieser Merkmale. In ihr finden wir uns gebunden, und gezwungen, sobald wir uns herausnehmen, sie zu verändern. Durch diesen Zwang verkündigt uns die Erfahrung, daß sie  auch  der  Form nach  gegeben ist. Und diesen Zwang übt sie aus, wir mögen nun wissen, wie das zugeht oder nicht. Darum brauchen wir die Psychologie gar nicht, solange wir in unserer Sphäre bleiben, und uns um fremde Systeme nicht bekümmern, die uns vom eigentlichen Fragepunkt ablenken.

Wieviel haben wir nun bis jetzt erreicht?

Schon in der "Einleitung in die Philosophie" (§ 12) wurde bemerkt: ein Prinzip müssen zwei Eigenschaften haben; ersten Gewißheit ansich, zweitens die Fähigkeit, anderes durch sich gewiß zu machen, und gleichsam im Wissen aus sich heraus zu gehen.

Die erste von diesen Eigenschaften beschäftigte uns bisher. Wir bezweifelten sie bei den Formen der Erfahrung so stark, daß es keinen stärkeren Zweifel gibt, noch geben kann; wir rechtfertigten dieselben gegen die Anfechtung; und zwar ganz allgemein; denn bei  allen  Formen der Erfahrung kann man die Probe anbringen, ob sie vertragen, daß man sie willkürlich am Empfundenen wechseln läßt. Und das vertragen sie niemals.

Hiermit ist nun nicht eine bestimmte  Zahl  von Prinzipien angenommen; am wenigsten haben wir uns auf die Torheit eingelassen, gerade nur ein einziges Prinzip dulden zu wollen. Vielmehr leuchtet jetzt ein, daß dies unerlaubt und lächerlich zugleich sein würde. Unerlaubt, weil keine Willkür, keine Vorliebe in der Wissenschaft wirksam werden darf. Lächerlich, weil derjenige sein Wissen verkürzen und schwächen würde, der irgendwelche Quellen desselben absichtlich verstopft.

Wählen können wir nur insofern, als erstens der Vortrag der Wissenschaft eine Zeitreihe bildet, die irgendwo anfangen muß; weshalb dann zweitens der Vorzug der logischen Allgemeinheit in Betracht kommt, da das Allgemeinste für die Spekulation das Leichteste ist, und hingegen das Mehr-Bestimmte auch mehr Fragen herbeiführen kann; drittens alle Metaphysik das Wirkliche sucht, und mit leeren Formen sich nur insofern beschäftigen will, wie dieselben sich auf das Wirkliche beziehen.

Der zweite Punkt weist unter anderen die Polaritäten und das Leben vom  Anfang  der Untersuchung zurück; obgleich dies allerdings  gegebene Formen der Erfahrung,  nur nicht  allgemeine  Formen sind. Denn auf den Mißbrauch der Worte, wie wenn man die Weltkörper lebendig nennt, oder auf  eingebildete  Polaritäten, dergleichen die Physiologen nach Belieben erkünsteln, lassen wir uns nicht ein.

Der dritte Punkt weist Raum und Zeit zurück; diese leeren Formen gehen uns Nichts an, solange sie nicht mit dem, was real ist oder so erscheint, in Verbindung stehen. Dasjenige aber, was räumlich und zeitlich gestaltet vor unsere Augen tritt, kann nicht unsere Betrachtungen anfangen, weil die so gestalteten Gegenstände unter den allgemeineren Begriff des Dings mit mehreren Merkmalen fallen, und  dieser,  seines logischen Vorzugs wegen, früher untersucht werden muß.


§ 10.

Jetzt aber kommt die große Frage zur Sprache: wie kann aus dem Gegebenen etwas weiteres folgen? wie kann das gegebene Wissen sich selbst vermehren oder überschreiten? wie kann dies im Denken geschehen?

Hier wird man sich an gewisse Lehren erinnern, nach welchen die Spekulation, wenn sie nicht mathematisch konstruieren soll, entweder gar keine, oder nur phantastische Fortschritte machen würde. Im ersten Fall wird sie hingewiesen auf Selbstbeachtung, und wiederholendes Denken, im zweiten Fall soll sie erzählen, was die intellektuelle Anschauung erblickt hat; es werden aber die dort gefundenen Verwechslungen noch in einem frischen Andenken sein.

Wer nun eine Energie des eigenen Denkens besitzt, der wird vielleicht von selbst zu sich ungefähr so sprechen:

Die spekulative Aufregung der menschlichen Gedanken ist einmal vorhanden. Woher kann sie gekommen sein? Wenn das Gegebene sich ohne alle Veränderung im Denken wieder beobachten und beliebig wiederholen läßt, was trieb denn die Menschen auch nur zum kleinsten Versuch, darüber hinaus zu gehen? Und wenn jene phantastische Anschauung durch gar keinen wirklichen Stachel des Denkens, keine gegebene Notwendigkeit der Spekulation in Schwung gesetzt ist: wie hat denn irgendjemand sich durch sie täuschen können; und warum sie nicht sogleich, überall, von jedermann, als töricht und nichtig erkannt worden? - Es muß doch wohl am Gegebenen liegen, daß es bei den Wiederholungen im Denken sich nicht gleich bleibt; sondern, sich selbst ungetreu, allerlei Metamorphosen versucht, die durch einen inneren Trieb sich von allen Spielen der Einbildungskraft unterscheiden. Hätten nun die Menschen diesen Trieb deutlich erkannt, so würden sie in ihrem Denken ihm gemeinschaftlich Folge leisten; und dann käme, wo nicht eine Wissenschaft, so doch eine notwendige und einstimmige Bewegung des Denkens, statt der bisherigen Streitigkeiten, zustande.

Diese Betrachtungen sind leicht fortzusetzen. Denn schon in der "Einleitun in die Philosophie" war es die allernotwendigste Vorübung des Anfängers, die  Widersprüche  zu erkennen, welche beim Reflektieren auf die Formen der Erfahrung gefunden werden. In der Psychologie mußten wir durch eine ausführliche Darlegung des Ursprungs dieser Formen jene Irrlehren hinwegschaffen, nach welchen Raum, Zeit, Substanz, Ursache und das Ich, ebensoviele ursprüngliche,  unveränderliche  und  ganz gesunde  Grundzüge des Organismus unserer Vernunft sein sollen. Aber hier, an diesem Ort der Methodologie, können wir die Antwort auf die vorliegende Frage am umfassendsten dadurch geben, daß wir uns auf das gleich folgende Kapitel beziehen, zu welchen sie den Übergang bahnt, indem darin die Frage, wie vielfach Gründe und Folgen zusammenhängen können, allgemein zur Untersuchung kommt. Alsdann versteht sich von selbst, daß,  wenn die Formen der Erfahrung auf mehr als eine Weise den Bedingungen eines solchen Zusammenhangs entsprechen, sie auch ebenso vielfach Gründe abgeben können, aus denen sich ein weiteres Wissen ableiten läßt. 
LITERATUR - Herbarts Werke IV (Ausgabe Hartenstein), Schriften zur Metaphysik, Hamburg und Leipzig 1886