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DIOGENES LAERTIUS
P y r r h o n
[um 360 - 270 v. Chr.]

"Die Schüler des  Pyrrhon  wurden Aporetiker (Zweifler) genannt, Skeptiker (Prüfer), Ephetiker (Zurückhalter des Urteils) und Zetetiker (Untersucher). Zetetisch ist ihre Philosophie, weil sie überall die Wahrheit sucht, skeptisch, weil sie immer bloß prüft und niemals findet, ephektisch wegen ihres Verhaltens nach dem Suchen, womit die Zurückhaltung des Urteils gemeint ist, aporetisch, weil auch die Dogmatiker ihrerseits in Verlegenheit sind."

PYRRHON aus Elis war der Sohn des PLEISTARCHOS, wie auch DIOKLES berichtet. Nach dem Bericht des APOLLODOROS in den Chronika war er zuerst Maler und nach ALEXANDER in den Philosophenfolgen hörter er den BRYSON, den Sohn des STILPON, dann schloß er sich an ANAXARCH an und folgte ihm überall hin, so daß er auch mit den Gymnosophisten in Indien und mit den Magiern in Verbindung kam. So scheint er denn den besten Weg philosophischer Betrachtungsweise gewählt zu haben, indem er dem Standpunkt der Unbegreiflichkeit der Dinge und der Zurückhaltung des Urteils Eingang und Geltung verschaffte, wie ASKANIOS von Abdera sagt. Denn nichts sei schöne, nichts häßlich, nichts gerecht, nichts ungerecht; und so gelte denn überhaupt für alles durchweg der Satz, daß nichts in Wahrheit sei, vielmehr geschehe alles, was die Menschen tun, aufgrund bloßer gesetzmäßiger Übereinkunft und nach Maßgabe der Gewohnheit; denn von jeglichem Ding gelte, daß es ebensowohl dieses wie dieses (andere) sei. Dem entsprach auch sein Auftreten im Leben: er wich vor nichts aus und kannte keine Vorsichtsmaßregeln, gegen alles zeigte er die nämliche Gleichgültigkeit, mochten es nun begegnende Wagen sein oder Abhänge oder Hunde oder anderes dergleichen; der Macht der Sinneswahrnehmung räumte er keinen Einfluß auf sich ein. Seine Rettung aber verdankte er in solchen Fällen, wie ANTIGONOS von Karystos sagt, seinen ihn begleitenden Schülern. AINESIDEM aber hauptet, sein philosophischer Standpunkt sei zwar der der Zurückhaltung des Urteils gewesen, doch habe er bei seinen Handlungen nicht durchweg so blindlings alle Vorsicht beiseite gesetzt. Er brachte es bis auf neunzig Jahre.

ANTIGONOS von Karystos sagt in seiner Schrift über PYRRHON, er habe anfänglich ein unbemerktes Dasein geführt, sei arm und ein Maler gewesen; noch seien von seinen Malereien in Elis im Gymnasium Fackelträger erhalten von ziemlichem Wert. Er habe sich der Geselligkeit entzogen und die Einsamkeit aufgesucht, so daß die Hausgenossen ihn nur selten sahen. Dieses Verhalten aber sei die Folge davon, daß er einen Inder Schmähungen hatte ausstoßen hören gegen ANAXARCH darüber, daß er keinen andern durch Belehrung bessere, während er selbst sich am Königshof in untertänigem Dienst gefiel. Nichts konnte ihn aus der Fassung bringen: selbst wenn sich einer mitten im Gespräch von ihm entfernte, führte er seine Rede doch zu Ende, ungeachtet er in seiner Jugend leicht erregbar gewesen war. Oft auch, sagt er, begab er sich auf Reisen, ohne vorher jemandem etwas davon zu sagen, und trieb sich mit beliebigen Begleitern umher. Als ANAXARCH einmal in einen Sumpf gefallen war, ging er seines Weges weiter ohne ihm zu helfen, ein Verhalten, das ihm manchen Tadel zuzog, während ANAXARCH selbst diese Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit an ihm lobte. Als man ihn einmal dabei überraschte, wie er sich mit sich selbst unterhielt und man ihn nach der Ursache fragte, erwiderte er, er befleißige sich, ein umgänglicher Mensch zu werden. In den wissenschaftlichen Erörterungen versagte ihm niemand die Achtung, da er sich eingehend und im unmittelbaren Anschluß an die gestellte Frage aussprach; dadurch habe er auch den noch recht jungen NAUSIPHANES für sich gewonnen. Denn dieser pflegte zu sagen, man müßte in seiner Seelenverfassung dem PYRRHON folgen, in der Redeweise aber sich selbst. Oft sagte er, auch EPIKUR habe ihn häufig nach PYRRHON gefragt, den er wegen seiner Lebensweise bewunderte. Von seiner Vaterstadt aber sei er so geehrt worden, daß man ihn sogar zum Oberpriester erwählt und um seinetwillen allen Philosophen Steuerfreiheit gewährt habe. Auch gab es viele, die ihm nacheiferten in Bezug auf seine Zurückhaltung von öffentlicher Tätigkeit. Daher sagt dann auch TIMON von ihm in dem 'Python und in den 'Sillen (Frg. 48 Diels):
    Pyrrhon, würdiger Greis, wie glückt es dir frei dich zu machen
    Von der Sophisten Meinungsgewirr und Hirnesgespinsten.
    Und die Fesseln zu lösen der Täuschung und gleißenden Rede?
    Du versteiftest dich nicht auf Fragen wie die, welche Lüfte
    Wehen in Hellas, und wie sich jegliches bildet und woraus.
Und dann in den 'Indalmen (Frg. 67 Diels):
    Pyrrhon, dieses verlangt mein Herz von dir zu vernehmen
    Wie du so ruhig als Mann wandelst durchs Leben dahin
    Als ein Leiter der Menschen, der einzig sie führt, einem Gott gleich.
Die Athener haben ihn auch durch Erteilung des Bürgerrechts geehrt, wie DIOKLES sagt, weil er den Thrakier KOTYS umgebracht hat.

Sehr rücksichtsvoll zeigte er sich auch in seinem Zusammenleben mit seiner Schwester, die Hebamme war, wie ERATOSTHENES sagt in der Schrift über Reichtum und Armut; denn er trug selbst vorkommendenfalls kleine Vögel und Schweinchen zum Verkauf zum Markt, wie er denn auch das ganze Geschäft der Reinigung des Hauses unterschiedslos auf sich nahm. Es soll ihm auch nicht darauf angekommen sein, unter Umständen Schweine eigenhändig zu waschen. Und als er wegen seiner Schwester - sie hieß PHILISTA - einmal in heftigen Zorn geriet, erwiderte er einem Tadler, ein Weib sei ein schlechter Probierstein für die unerschütterliche Gemütsruhe. Als er einst beim Losspringen eines Hundes auf ihn die Fassung verlor und darüber Vorwürfe zu hören bekam, sagte er, es sei schwer, den Menschen vollständig abzulegen; doch suche er so kräftig wie möglich an erster Stelle sich durch Taten der Dinge zu erwehren, wo nicht, durch Verstandesgründe. Ferner erzählt man, er habe, wenn etwa scharfe Heilmittel und Schneiden oder Brenen gegen eine Wunde bei ihm in Anwendung kamen, nicht einmal die Stirn gerunzelt. Auch TIMON legt Zeugnis ab von seiner Sinnesart in seinen an PYTHON gerichteten Ausführungen. Aber auch PHILON aus Athen, sein Anhänger und Freund, sagte, am häufigsten habe er des DEMOKRIT gedacht, sodann aber des HOMER, den er bewunderte und von dem er häufig den Vers (Ilias 6, 146) zitierte:
    Gleich wie Blätter im Wald,
    so sind die Geschlechter der Menschen,
wie er ihn auch lobte wegen seiner Vergleiche der Menschen mit Wespen, Fliegen und Vögeln. Auch folgende Verse (Ilias 21, 106f) führte er gern an:
    Stirb denn, Lieber, auch du! Warum wehklagest du also?
    Starb doch auch Patroklos, der weit an Kraft dir voranging.
sowie alles, was sich bei ihm auf die Unbeständigkeit der Menschen, auf ihre eitlen Bestrebungen und kindischen Anschläge bezieht. POSEIDONIOS erzählt auch folgendes Geschichtchen von ihm: Als auf einer Seefahrt die Mitfahrenden durch einen Sturm in verzagte Stimmung versetzt wurden, blieb er selbst ganz ruhig und weckte wieder eine zuversichtlichere Stimmung, indem er auf ein sein Futter verzehrendes Schweinchen im Schiff hinwies mit den Worten, diese Unerschütterlichkeit sei ein Muster für das Verhalten des Weisen.

Nur NUMENIUS behauptet, er habe auch Lehrsätze aufgestellt. Er hat neben den sonstigen Anhängern auch namhafte Schüler gehabt, unter ihnen EURYLOCHOS. Von ihm wird folgender Unfug erzählt. Er ließ sich, wie es heißt, einst dermaßen vom Jähzorn hinreißen, daß er, den Bratspieß mitsamt dem Fleisch ergreifend, dem Koch bis zum Markt nachlief. Und in Elis wurde er einmal im Verlauf gewisser Erörterungen durch die Fragen seiner Schüler in eine so verzweifelte Abspannung versetzt, daß er, sein Gewand von sich werfend, über den Alpheios hinüberschwamm. Er war der größte Feind der Sophisten, wie auch TIMON sagt. PHILON dagegen (sein Schüler) unterhielt sich meist mit sich selbst, weshalb er (TIMON) auch über diesen sich folgendermaßen äußert (Frg. 50 Diels):
    Auch abseits von den Menschen, den Sektenfeind,
    der nur sich selbst hört,
    Der Sich nicht kümmert um leeren Ruhm und um Wortstreit,
    den Philon.
Außer diesen waren Schüler PYRRHONs HEKATAIOS von Abderaa und TIMON von Phlius, der Dichter der 'Sillen, ferner NAUSIPHANES aus Teos, den nach einigen EPIKUR gehört hat. Alle diese wurden Pyrrhoneer genannt nach ihrem Lehrer, Aporetiker (Zweifler), Skeptiker (Prüfer), Ephetiker (Zurückhalter des Urteils) und Zetetiker (Untersucher) nach ihrer Lehre, wenn dieser Ausdruck bei ihnen am Platze ist. Zetetisch ist ihre Philosophie, weil sie überall die Wahrheit sucht, skeptisch, weil sie immer bloß prüft und niemals findet, ephektisch wegen ihres Verhaltens nach dem Suchen, womit die Zurückhaltung des Urteils gemeint ist, aporetisch (zweifelnd), weil die Dogmatiker auch ihrerseits in Verlegenheit (Zweifel) sind. Pyrrhoneer werden sie genannt nach PYRRHON. THEDOSIOS aber behauptet in seinen "Skeptischen Hauptstücken", man dürfe die Skeptik nicht als pyrrhonisch bezeichnen; denn wenn sich die Richtung des Geistes nach einer der Seiten hin nicht fest bestimmen läßt, so wissen wir auch über des PYRRHON Seelenverfassung nicht wirklich Bescheid; ist dies aber der Fall, so dürfen wir uns auch nicht Pyrrhoneer nennen. Überdies habe PYRRHON die Skeptik gar nicht erfunden und habe überhaupt keinen bindenden Lehrsatz. Doch könne man jemanden Pyrrhoneer nennt wegen der Gleichheit der Lebensrichtung.

Einige bezeichnen als Urheber der Sekte den HOMER, weil dieser in auffälliger Weise sich über die nämlichen Dinge bald so bald wieder anders vernehmen läßt und hinsichtlich der Aussage nichts fest und sicher bestimmt. Seien doch auch die Sprüche der sieben Weisen skeptischer Art, wie das "Nimmer zu sehr" und das "Bürgschaft bringt dir Leid", durch welch letzteres Wort kundgegeben wird, daß, wer sicher und in bester Überzeugung Bürgschaft leistet, unfehlbar auf Schaden zu rechnen hat. Aber auch ARCHILOCHOS und EURIPIDES seien skeptisch gestimmt, wie z. B. ARCHILOCHOS sagt (Frg. 70 Bergk):
    Derart ist der Sinn des Menschen, Glaukos, Sohn des Leptines,
    Wie ihn Zeus nach seinem Willen frei bestimmt Tag für Tag.
Und EURIPIDES (Suppl 744f):
    O Zeus, mit welchem Rech spricht bei Menschen man
    Noch von Verstand? In deinem Dienst stehen wir
    Und handeln ganz so wie es dir gefallen will.
Aber auch XENOPHANES und ZENON der Eleate sowie DEMOKRIT sind jenen zufolge Skeptiker; unter ihnen sagt XENOPHANES (Frg. 34 Diels):
    Und kein Mensch erkannte die Wahrheit und keiner
    Wird sie erkennen.
ZENON aber leugnet die Bewegung mit den Worten: "Was sich bewegt, bewegt sich weder in dem Ort, wo es ist, noch in dem, wo es nicht ist." DEMOKRIT läßt die Beschaffenheiten nicht gelten, insofern er sagt: "durch Übereinkunft kalt, durch Übereinkunft warm, in Wahrheit aber Atome und Leeres". Und ferner: "In Wahrheit wissen wir nichts, denn die Wahrheit liegt in unerreichbarer Tiefe." PLATON überlasse die Wahrheit den Göttern und den Söhnen der Götter und gehe nur der Wahrscheinlichkeit nach. Auch EURIPIDES sage:
    Wer weiß denn, ob das Leben nicht ein Sterben ist,
    Und ob das Sterben nicht in Wahrheit Leben ist?
Und EMPEDOKLES (Frg. 2 Diels):
    Dies läßt weder mit Auge noch Ohr sich von Menschen erkennen
    Noch auch mit dem Verstand.
Und kurz vorher:
    Eben nur das glaubt jeder, worauf er durch Zufall gestoßen.
Und HERAKLIT (Frg. 47 Diels): "Denken wir nicht vorschnell über die wichtigsten Dinge!" Ferner spricht sich HIPPOKRATES nur mit Vorbehalt und der den Menschen ziemenden Beschränkung über die Dinge aus und zuvor schon HOMER (Ilias 20, 248f):
    Leicht ist die Zunge der Menschen gewandt und viel
    sind der Reden.
Und
    Weit erstreckt sich die Trift nach allen Seiten für Worte.
Und
    Wie du selbst ausredest ein Wort, so magst du es hören.
womit er auf die Kraftgleichheit der Worte und auf das einander Widersprechende hinweist, das sie mit sich führen.

Die Skeptiker sahen ihre Aufgabe ununterbrochen darin, den Lehrsätzen der Sekten sämtlich den Garaus zu machen, ohne selbst etwas lehrsatzmäßig (dogmatisch) festzustellen; sie beschränkten sich darauf, die Lehren der anderen vorzuführen und durchzusprechen, ohne sich selbst auf bestimmte Erklärungen einzulassen, ja nicht einmal darüber, daß sie dies nicht taten. Also sogar das Nichtbestimmen beseitigten sie durch einen Ausspruch wie diesen: "Wir bestimmen nichts" (denn täten sie dies, so würden sie damit ja eben eine bestimmte Erklärung abgeben). "Wir führen", sagen sie, "die Behauptungen an, um kundzugeben, daß wir uns eines beifälligen Urteils enthalten", als ob es möglich wäre, daß sie dies auch durch bloßes Nicken mit dem Kopf anzeigen. Durch den Ausspruch also "Wir bestimmen nichts" wird die Neutralität des Urteils kundgegeben; und ähnlich steht es mit der Wendung "Um nichts mehr" und mit dem Satz "Jeder Satz hat seinen Gegensatz" und was dem ähnlich ist. Man braucht die Wendung "Um nichts mehr" auch im positiven Sinn, wo es sich um gewisse Ähnlichkeiten handelt, z. B. "der Seeräuber ist um nichts mehr schurkisch als der Lügner". Von den Skeptikern aber wird sie nicht positiv, sondern negativ gebraucht, wie von einem, der in der Absicht zu widerlegen sagt: "Die Scylla [Meeresungeheuer - wp] ist um nichts mehr vorhanden als die Chimaira" [Flammen schlagen aus Felsengrund - wp]. Das bloße "Mehr" aber wird bald vergleichend gebraucht; wie wenn wir sagen "der Honig ist mehr süß als die Weintraube", bald positiv und negativ, wie wenn wir sagen: "Die Tugend ist mehr nützlich als schädlich." Denn dieser Ausdruck besagt, daß die Tugend nützt, aber nicht schadet. Aber selbst den Ausdruck "Um nichts mehr" lassen die Skeptiker nicht gelten, denn wie die Vorsehung um nichts mehr ist als nicht ist, so ist auch das "Um nichts mehr" nicht mehr als es nicht ist. Es hat also der Ausdruck, wie auch TIMON im 'Python sagt, die Bedeutung, daß er nichts fest bestimmt, vielmehr keiner Meinung beipflichtet. Was ferner den Satz von der überall möglichen Setzung des Gegenteils anlangt, so läuft auch dieser auf die Zurückhaltung des Urteils hinaus; denn wenn die Dinge miteinander in Widerspruch stehen, die Urteile darüber aber ganz gleichen Anspruch auf Geltung haben, so ergibt sich als Folge daraus die Nichtkenntnis der Wahrheit; ja auch eben diesem Urteil stellt sich wieder das gegensätzliche Urteil gegenüber, das auch seinerseits, nachdem es die anderen Urteile beseitigt hat, durch sich selbst aufgehoben zunichte wird, ganz ähnlich den Purgierungsmitteln [Abführmittel - wp], die, nachdem sie den schädlichen Stoff aus dem Leib herausgeschafft haben, auch selbst mit ausgeschieden und vernichtet werden. Dagegen behaupten die Dogmatiker, daß sie (die Skeptiker), weit entfernt das Urteil aufzuheben, es vielmehr erst recht bekräftigen. Die Skeptiker also (nach dem vorigen) bedienten sich der Worte nur als dienender Hilfskräfte; denn es war nach ihnen nicht möglich, daß nicht ein Urteil durch ein anderes (entgegengesetztes) aufgehoben würde. Demgemäß pflegen wir zu sagen, dem Raum komme kein Sein zu und trotzdem müssen wir uns unbedingt des Wortes "Raum" bedienen, nur nicht in dogmatischem Sinn sondern in einem apodiktischen [unbedingt sicheren - wp] Verfahren. So sagen wir auch: "Nichts geschieht nach Maßgabe der Notwendigkeit" und doch müssen wir uns des Wortes Notwendigkeit bedienen. Das etwa war die Art, wie sie sich die Sache deuteten. Die Dinge nämlich, meinten sie, seien in Wirklichkeit nicht so beschaffen, wie sie schienen, sondern es handle sich dabei eben um den bloßen Schein; und ihr Suchen richte sich nicht auf das, was man durch Denken erkennt - denn was man denkt ist deutlich - sondern auf das, was man durch die Sinne erfaßt. Es ist also die pyrrhonische Lehre eine Angabe der Erscheinungen und des irgendwie durch Denken Erkannten; ihr gemäß wird alles mit allem in Beziehung gesetzt und beim Vergleich treten viele Ungleichmäßigkeiten und Anlässe zur Geistesverwirrung hervor, wie AINESIDEMOS in seiner Einführung in die pyrrhonische Philosophie sagt. Was aber den Gegensatz der Ansichten in der Betrachtung der Dinge betrifft, so legten sie zunächst die verschiedenen Arten der überredenden Einwirkung der Dinge auf uns dar, um dann nach den nämlichen Gesichtspunkten den Glauben an sie zu beseitigen. Überredende Wirkung nämlich hätten die der Wahrnehmung nach miteinander in Übereinstimmung stehenden Erscheinungen, sodann alles, was niemals oder nur selten eine Veränderung erleidet, ferner das der Gewohnheit Entsprechende sowie alles durch Gesetze Bestimmte und alles was Freude und Bewunderung hervorruft. Sie zeigten nun, daß die diesen überredenden Instanzen entgegengesetzten Betrachtungen ganz die gleiche Wahrscheinlichkeit für sich haben.

Die Zweifel und Einwendungen nun gegen die (angebliche) Übereinstimmung der Erscheinungen sowie des denkend Erkannten, die sie aufstellten, gliederten sich in die zehn sogenannten Tropen, nach denen die zugrunde liegenden Dinge veränderlich erschienen. Diese Tropen sind folgende: Der erste bezieht sich auf die Verschiedenheiten der lebenden Wesen in Hinsicht auf Lust, Schmerz, Schaden und Nutzen. Daraus ergibt sich, daß die nämlichen Anlässe nicht die nämlichen Vorstellungen hervorrufen, ein Widerstreit, der zur Folge hat, daß man mit seinem Urteil zurückhalten muß. Entstehen doch die lebenden Wesen teils ohne Begattung, wie die im Feuer lebenden und der arabische Phönix sowie auch die Maden, andere dagegen durch körperliche Vereinigungen, wie Menschen und sonstige Wesen. Und die einen haben diese, die anderen jene Bestandsform erhalten; daher auch die Unterschiede in der Anlage ihrer Sinne: die Falken haben die schärfsten Augen, die Hunde den schärfsten Geruch. Nun leuchtet es doch ein, daß die Verschiedenheiten der Sehkraft auch Verschiedenheiten der Erscheinungsbilder zur Folge haben. Ferner: Für die Ziege ist das Laub genießbar, der Mensch dagegen findet es abscheulich bitter und der Schierling ist für die Wachtel nahrhaft, für den Menschen dagegen tödlich; das Schwein frißt auch die Exkremente, das Pferd dagegen nicht.

Der zweite Tropus bezieht sich auf die Verschiedenheit der menschlichen Naturen je nach der Besonderheit ihrer körperlichen Konstitution. So wurde DEMOPHON, der Tafelmeister ALEXANDERs, im Schatten warm, während er in der Sonne fror. Der Argiver ANDRON durchwanderte, wie ARISTOTELES sagt, die wasserlose Wüste Libyens ohne etwas zu trinken. Der eine hat Gefallen an der Heilkunst, der andere an der Landwirtschaft, ein dritter am Kaufmannsberuf. Und das Nämliche schadet den einen, den anderen nützt es. Daher muß man mit dem Urteil zurückhalten.

Der dritte Tropus gründet sich auf die Verschiedenheiten der Eindrücke je nach den sinnlichen Eingangswegen. So ist der Apfel für das Auge blaßgelb, für den Geschmack süß, für den Geruch wohlduftend. Und die nämliche Gestalt erscheint nach den Verschiedenheiten der Spiegel bald so bald anders. Daraus folgt also, daß dem Erscheinenden die eine Form nicht mehr zukommt als die andere.

Der vierte Tropus bezieht sich auf die Stimmungen und, allgemein gesagt, auf den Wechsel der Zustände, als da sind Gesundheit, Krankheit, Schlaf, Wachen, Freude, Leid, Jugend, Alter, Mut, Furcht, Mangel, Fülle, Haß, Freundschaft, Erwärmung, Erkältung; auf Atem und auf Atemnot. Verschieden also stellt sich das uns Entgegentretende dar je nach den verschiedenen Zuständen. Es kann doch bei Irrsinnigen nicht von einem widernatürlichen Zustand die Rede sein; denn warum träfe das mehr auf sie zu als auf uns? Schauen doch auch wir die Sonne als stillstehend an. THEON, der Tithoraeer, der Stoiker, wandelte im Schlaf umher, und der Sklave des PERIKLES erschien als Nachtwandler auf der Höhe seines Daches.

Der fünfte bezieht sich auf die Lebensführung, auf die Gesetze,, auf den Glauben an mythische Überlieferungen, auf die Verträge unter den Völkern und auf die dogmatischen Annahmen. Hierher gehören die Ansichten vom Schönen und Häßlichen, vom Wahren und Falschen, vom Guten und Bösen, von den Göttern und vom Entstehen und Vergehen all dessen, was da erscheint. Denn das Nämliche gilt den einen als gerecht, den andern als ungerecht, den einen als gut, den andern als böse. So halten die Perser den geschlechtlichen Verkehr mit der Tochter nicht für unstatthaft, die Hellenen dagegen für sündhaft. Bei den Massageten findet sich, wie auch EUDOXOS im ersten Buch seiner Reisebeschreibung sagt, Weibergemeinschaft, bei den Hellenen nicht; die Kilikier waren Freunde des Raubwesens, die Hellenen nicht. Die Götter sind bei den verschiedenen Völkern verschieden und das eine Volk glaubt an göttliche Vorsehung, das andere nicht. Die Ägypter balsamieren ihre Toten ein vor der Bestattung, die Römer verbrennen sie, die Paionier werfen sie in die Teiche. Unsere Parole also sei: Zurückhaltung des Urteils über die Wahrheit.

Der sechste Tropus bezieht sich auf die Mischungen und Verbindungen. Ihm gemäß erscheint nichts in seiner reinen Gestalt an und für sich, sondern in Verbindung mit Luft, Licht, Feuchtem, Festem, Wärme, Kälte, Bewegung, Ausdünstungen und sonstigen Einflüssen. So zeigt der Purpur eine verschiedene Färbung bei Sonnenlicht, bei Mondschein und bei Lampenlicht. Und auch unsere Farbe nimmt sich verschieden aus um Mittag und bei Sonnenuntergang. Und der in freier Luft kaum von zweien emporgehobene Stein wird im Wasser leicht fortbewegt, sei es, daß er, ansich schwer, vom Wasser erleichtert wird, sei es, daß er, ansich leicht, von der Luft beschwert wird. Die besondere Eigentümlichkeit entzieht sich also unserer Kenntnis wie die des Öls in der Salbe.

Der siebente Tropus bezieht sich auf die Abstände und die verschiedene Lage und die räumlichen Verhältnisse und die Dinge, sofern sie im Raum sind. Nach diesem Tropus erscheint das, was eigentlich für groß gilt, klein, das Viereckige rund, das Ebene höckrig, das Gerade geknickt, das Blasse andersfarbig. So erscheint die Sonne wegen der Entfernung klein, und die Berge aus der Ferne luftartig und gleichmäßig sich hinziehend, aus der Nähe dagegen zerklüftet. Ferner bietet auch die Sonne bei ihrem Aufgang einen anderen Anblick dar als wenn sie in der Mittagshöhe steht. Und der nämliche Körper zeigt sich anders im Wald, anders im freien Feld. Auch das Bild nimmt sich verschieden aus je nach der Art der Stellung, und der Hals der Taube je nach der Wendung. Da nun unsere Kenntnis dieser Dinge immer bedingt ist durch die Raum- und Lagenverhältnisse, so bleibt uns das eigentliche Wesen dieser Dinge verborgen.

Der achte Tropus bezieht sich auf die Quantitäts- und Qualitätsverhältnisse, auf die Mannigfaltigkeit ihrer Zustände in Bezug auf Wärme, Kälte, Schnelligkeit, Langsamkeit, hellere oder dunklere Färbung. So hat der Wein, maßvoll genossen, eine stärkende, unmäßig genossen, eine erschlaffende Wirkung. Und ähnlich steht es auch mit der Speise und ähnlichen Dingen.

Der neunte Tropus bezieht sich auf die Fortdauer der Erscheinungen oder auf das Ungewöhnliche oder Seltene derselben. So erwecken die Erdbeben da, wo sie immer wiederkehren, keine Verwunderung, so wenig wie die Sonne dadurch, daß sie sich täglich blicken läßt. Den neunten Tropus setzt FAVORIN an die achte Stelle, SEXTUS aber und AINESIDEM an die zehnte; aber auch dem zehnten gibt SEXTUS die achte Stelle und FAVORIN die neunte.

Der zehnte Tropus gründet sich auf die gegenseitige Vergleichung der Dinge, wie z. B. des Leichten mit dem Schweren, des Starken mit dem Schwachen, des Größeren mit dem Kleineren, des Oben mit dem Unten. Was rechts liegt, ist nicht seiner Natur nach rechts, sondern wird nur so vorgestellt in Anbetracht seiner Lage zum entsprechenden Gegenstück; wird dieses also umgestellt, dann ist jenes nicht mehr das rechts Liegende. Ähnlich steht es auch mit "Vater" und "Bruder" als bloßen Vergleichungsvorstellungen, und mit dem Tag im Verhältnis zur Sonne und mit allem im Verhältnis zu unserem Geist. Das bloß Verhältnismäßige ist also unerkennbar und für sich. Das sind also die zehn Tropen.

AGRIPPA indessen fügt diesen zehn Tropen noch fünf andere hinzu, deren erster sich bezieht auf den Widerstreit der Ansichten, der zweite auf den unendlichen Regressus, der dritte auf die Verhältnismäßigkeit allen Vorstellens, der vierte auf die unbewiesene Voraussetzung, der fünfte auf den Zirkel im Beweis. Der erste legt dar, daß jede bei den Philosophen oder im gewöhnlichen Leben erörterte Frage geradezu strotzt vor Anlässen zu Streit und Verwirrung; der Regreß ins Unendlich aber läßt es zu keiner festen Begründung des Gesuchten kommen, weil jedes Glied des Beweises immer erst wieder vom folgenden seine Beglaubigung empfängt und so fort ins Unendliche; die Verhältnismäßigkeit besagt ferner, daß nichts an und für sich genommen wird, sondern immer nur in Beziehung auf ein anderes, weshalb es auch unerkennbar ist. Der Tropus nach der unerwiesenen Voraussetzung sodann gründet sich darauf, daß manche meinen, die ersten Gründe der Dinge müßte man unmittelbar hinnehmen als beglaubigt und dürfe keine Beweise fordern - eine Ungereimtheit, denn man kann ebensogut das Gegenteil zur Voraussetzung machen. Schließlich um den auf den Zirkelbeweis bezüglichen Tropus handelt es sich dann, wenn das, was als Beweismittel für die gesuchte Sache dienen soll, der Beglaubigung eben durch das Gesuchte bedarf; wie wenn z. B. einer, der das Dasein von Poren durch den Abfluß von Absonderungen (Schweiß) beweisen will, eben dies (das Dasein der Poren) als Beweis braucht für den Abfluß der Absonderungen.

Auch hoben sie jeden Beweis auf und ließen nichts gelten, weder ein Kriterium noch ein Anzeichen noch einen Grund noch Bewegung noch Belehrung noch Werden noch den Satz, daß es etwas gibt, was von Natur aus gut oder übel sei; denn jeder Beweis, sagen sie, besteht entweder aus bewiesenen Dingen oder aus unbewiesenen. Besteht er aus erweislichen, so bedürfen auch diese eines Beweises, und so fort ins Unendliche; wenn aber aus unbewiesenen, so wird, sei es nun, daß alles oder daß einiges oder daß auch nur eines zweifelhaft bleibt, auch das Ganze unbewiesen sein. Scheinen aber, sagen sie, gewisse Dinge vorhanden zu sein, die keines Beweises bedürfen, so muß doch die Urteilskraft derer, die dieses annehmen, in einem sonderbaren Licht erscheinen, wenn sie nicht merken, daß eben gerade dies, daß sie ihre Beglaubigung in sich selbst tragen, den Beweis benötigt. Denn man kann doch das Dasein von vier Elementen nicht aus dem Dasein der vier Elemente erhärten. Zudem muß, wenn die Einzelbeweise als unglaubwürdig verworfen werden, auch der allgemeine Beweis ungültig sein. Um aber zu erkennen, daß wirklich ein Beweis vorliegt, bedarf es eines Kriteriums (Beweisgrundes) und dafür, daß es ein Kriterium gibt, bedarf es wiederum eines Beweises; mit beiden also kann der Verstand nichts anfangen, da sie nur in Beziehung aufeinander gelten. Wie kann man also das Unbekannte dem Verstand begreiflich machen, wenn man den Beweis nicht kennt? Die Frage ist doch nicht die, ob es so scheint, sondern ob es sich dem wirklichen Bestand nach so verhält. Sie erklärten also die Dogmatiker für Toren; denn was aus bloßer Voraussetzung erschlossen wird, das hat nicht die Bedeutung eigentlicher Einsicht, sondern bloßer Annahme. Nach solchem Verfahren kann man auch für das Unmögliche Beweise aufbringen.

Von denjenigen, die der Meinung sind, man dürfe die Wahrheit nicht nach Maßgabe des den Umständen entsprechenden beurteilen und nicht Gesetze geben aufgrund des Naturgemäßen, sagten sie, daß die eigenmächtig die Maße für alle Dinge bestimmten, ohne zu bemerken, daß alles Erscheinende gemäß dem Druck der Umstände und der jeweiligen Lage erscheint. Entweder muß man also alles als wahr oder alles als falsch bezeichnen. Ist aber einiges wahr (einiges dagegen falsch), durch welches Unterscheidungsmittel soll man das erkennen? Doch wohl weder durch sinnliche Wahrnehmung in Bezug auf die Sinnendinge, denn ihr erscheinen sie alle gleich, noch durch den denkenden Verstand, aus dem gleichen Grund. Ein anderes Entscheidungsvermögen aber als diese ist nicht auffindbar. Wer also, sagen sie, über einen durch Wahrnehmung oder durch den Verstand erfaßten Gegenstand eine bestimmte Behauptung aufstellt, muß zuvor die darüber umlaufenden Meinungen feststellen: denn die einen haben dieses die anderen jenes aufgehoben. Die Entscheidung muß aber entweder durch den Sinn oder durch den Verstand getroffen werden; beides aber unterliegt dem Zweifel. Eine endgültige Entscheidung über die Meinungen hinsichtlich des durch Sinn oder Verstand Erfaßten kann also nicht erzielt werden. Und wenn wegen des Widerstreits der Auffassungen allen der Glaube versagt werden muß, so fällt damit auch das Maß weg, mit dem alles fest bestimmt werden zu können scheint. Sie werden also alles für gleich halten.

Ferner, sagen sie, wer mit uns das Erscheinende untersucht, ist entweder zuverlässig oder nicht. Ist er zuverlässig, so wird er gegen den, der das Gegenteil behauptet, nichts einzuwenden haben; denn wie er selbst zuverlässig ist in seiner Aussage über das Erscheinende, so auch der Gegner; ist er aber unzuverlässig, so wird er auch seinerseits keinen Glauben finden mit seiner Aussage über das Erscheinende.

Ferner: was eine überredende Wirkung ausübt, von dem ist nicht anzunehmen, daß es wahr ist. Denn das Nämliche überredet nicht alle und hält auch nicht die Nämlichen immer dabei fest. Auch hängt die überredende Wirkung häufig von Äußerlichkeiten ab, vom Ruhm des Redenden, von seiner Bedachtsamkeit, seiner Liebenswürdigkeit, seiner Traulichkeit und seinem einnehmenden Wesen.

Sie hoben auch das Kriterium (den Entscheidungsgrund) durch folgende Betrachtung auf. Entweder ist auch über das Kriterium das entscheidende Urteil gefällt oder es ist nicht gefällt. Ist es nicht gefällt, so erweist es sich als unzuverlässig und ist ebensoweit von der Wahrheit entfernt wie von der Falschheit. Ist aber die Entscheidung darüber getroffen, so steht es (das Kriterium) auf 'einer Linie mit den beurteilten Einzeldingen, so daß, wenn das Nämliche sowohl als beurteilend wie als beurteilt auftritt, auch dasjenige, was über das Kriterium das Urteil gefällt hat, zu gewärtigen hat, daß es wieder von einem anderen beurteilt wird und dieses wiederum von einem andern und so fort ins Unendliche.

Überdies, sagen sie, wird das Kriterium sehr verschieden bestimmt: die einen stellen den Menschen als Kriterium hin, andere die Sinneswahrnehmung, noch andere den Verstand, einige die ergreifende Anschauung (phantasia kataleptike). Nun steht der Mensch weder mit sich selbst noch mit den anderen in Einklang, wie sich aus der Verschiedenheit der Gesetze und der Sitten ergibt. Die Wahrnehmungen aber sind trügerisch und der Verstand mit sich selbst nicht in Einklang. Und was die ergreifende Anschauung anlangt, so wird sie vom Denkvermögen beurteilt, dieses aber schlägt sehr mannigfache Richtungen ein. Also ist das Kriterium und demnach auch die Wahrheit etwas uns Unerkennbares.

Auch ein Zeichen (semeion) gibt es nicht; denn gebe es eines, so wäre es entweder durch die Wahrnehmung oder durch den Verstand zu erfassen; nun ist es aber nicht wahrnehmbar, denn das Wahrnehmbare ist ein allgemeines, das Zeichen dagegen ein besonderes. Und das Wahrnehmbare gehört zum gesondert für sich Seienden, das Zeichen zu dem, was in Bezug auf etwas anderes ist. Durch Denken zu erfassen aber ist es nicht, denn das Denkbare ist entweder Erscheinung eines Erscheinenden oder Nichterscheinung eines nicht zum Vorschein Kommenden; es ist aber nichts von dem; also gibt es kein Zeichen. Nämlich Erscheinung eines Erscheinenden ist es nicht, da das Erscheinende keines Zeiches bedarf; Nichterscheinung eines nicht zum Vorschein Kommenden ist es nicht, da das, was durch etwas enthüllt wird, zum Vorschein kommen muß; Nichterscheinung eines Erscheinenden aber kann es nicht sein, weil dasjenige doch sichtbar sein muß, was einem andern den Anlaß dazu geben soll, daß man es erfassen kann; Erscheinung schließlich eines nicht zum Vorschein Kommenden kann es nicht sein, weil das Zeichen als zu den relativen Dingen gehörig immer in Gemeinschaft mit dem aufgefaßt werden muß, dessen Zeichen es ist, was hier nicht zutrifft. Nichts Unbekanntes also kann uns zur Erkenntnis gebracht werden; denn die Zeichen sind es ja, durch die nach der gangbaren Auffassung das Unbekannte uns zur Erkenntnis gebracht werden soll.

Der Ursache aber machen sie auf folgende Weise den Garaus: Die Ursache gehört zu den relativen Vorstellungen; denn sie hat immer ihre Beziehung auf das Bewirkte; das Relative aber wird nur gedacht und hat kein wirkliches Dasein, also auch die Ursache ist nur in unserem Denken vorhanden insofern als, wenn sie Ursache ist, sie etwas haben muß, als dessen Ursache sie bezeichnet wird; denn sonst wäre sie keine Ursache. Und wie der Vater, wenn er überhaupt Vater sein soll, notwendig etwas voraussetzt, in Beziehung worauf er Vater genannt wird, so auch die Ursache. Nun gibt es aber nichts, in Beziehung worauf die Ursache gedacht wird; denn weder Entstehen noch Vergehen noch sonst etwas kommt dafür in Betracht; also gibt es keine Ursache. Und gesetzt, es gäbe eine Ursache, so ist entweder der Körper die Ursache des Körpers oder das Unkörperliche die Ursache des Unkörperlichen; davon findet aber nichts statt; also gibt es keine Ursache. Der Körper nämlich kann nicht Ursache des Körpers sein, da beide dieselbe natürliche Beschaffenheit haben. Und wenn der eine Körper Ursache genannt wird, insofern er Körper ist, so wird auch der andere, als Körper, zur Ursache werden. Sind aber beide gemeinsam Ursachen, so wird es nichts geben, was die Wirkung an sich erfährt. Das Unkörperliche aber kann nicht Ursache des Unkörperlichen sein aus dem nämlichen Grund. Ferner kann auch das Unkörperliche nicht Ursache des Körpers sein, denn nichts Unkörperliches bringt einen Körper hervor. Und auch der Körper kann nicht Ursache des Unkörperlichen sein, weil alles Gewordene die leidende Materie zur Voraussetzung hat; da es aber wegen seiner Unkörperlichkeit keine Einwirkung erfährt, so kann es auch nicht durch irgendetwas werden. Es gibt also keine Ursache. Und daraus ergibt sich zugleich auch, daß den Urgründen des Alles kein wirkliches Sein zukommt; denn es müßte dann auch etwas geben, was schafft und wirkt (d. h. eine Ursache). Aber auch Bewegung gibt es nicht; denn das, was sich bewegt, bewegt sich entweder in dem Raum, in dem es ist, oder in dem, in welchem es nicht ist; in dem Raum nun, den es einnimmt (d. h. in dem es ist), bewegt es sich nicht, in dem aber, in dem es nicht ist, bewegt es sich auch nicht; es gibt also keine Bewegung.

Auch das Lernen hoben sie auf. Wenn, sagen sie, etwas gelehrt wird, wird entweder das Seiende durch das Sein gelehrt oder das Nichtseiende durch das Nichtseiende. Nun wird aber weder das Seiende durch das Sein gelehrt - denn die Natur des Seienden offenbart sich allen von selbst und wird unmittelbar erkannt - noch das Nichtseiende durch das Nichtseiende, denn dem Nichtseienden kommt überhaupt nichts zu, es kann also auch nicht gelehrt werden. Auch ein Werden gibt es nicht, sagen sie; weder das Seiende nämlich 'wird, den es 'ist ja, noch das Nichtseiende, denn es hat ja keine Wirklichkeit; was aber keine Wirklichkeit und kein Sein hat, kann auch nicht geworden sein.

Sie leugnen auch, daß es von Natur ein Gutes oder Böses gibt. Denn wenn etwas von ANtur gut oder böse ist, so muß es für alle gut oder böse sein, wie der Schnee für alle kalt ist; nun gibt es aber nichts, was für alle insgesamt gut oder böse wäre; also gibt es kein von Natur Gutes oder Böses. Entweder nämlich ist alles, was von irgendjemand angenommen wird, als gut zu bezeichnen oder nicht alles; alles nun als gut zu bezeichnen ist unstatthaft, denn das Nämliche ird von dem einen für gut gehalten, wie z. B. die Lust von EPIKUR, von dem anderen dagegen für übel, von ANTISTHENES nämlich. Daraus würde sich ergeben, daß das Nämliche sowohl gut ist wie übel. Erklären wir aber nicht alles für gut, was von irgendeinem dafür gehalten wird, so müssen wir die Meinungen unterscheiden und danach wählen, was bei gleicher Stärke der Gründe nicht möglich ist. Das von Natur Gute ist also unerkennbar.

Man kann aber auch die ganze Art und Weise ihrer Schlußfolgerung aus ihren hinterlassenen Schriften entnehmen. PYRRHON selbst hat zwar nichts hinterlassen, wohl aber seine Genossen und Schüler, TIMON, AINESIDEM, NUMENIOS, NAUSIPHANES und noch manche andere. Ihnen treten die Dogmatiker mit dem Vorhalt entgegen, daß sie ja doch selbst sich auf ein verstandesmäßiges Erfassen und auf ein dogmatisches Verfahren verlegten. Denn indem sie bloß zu widerlegen scheinen, gehen sie doch auf eine verstandesmäßige Erfassung der Dinge aus, und eben dabei stellen sie auch feste Behauptungen auf und verfahren dogmatisch. Denn wenn sie sagen, sie gäben keine bestimmten Erklärungen und jedem Satz stünde ein gegenteiliger Satz gegenüber, so geben sie eben damit feste Bestimmungen und dogmatisieren. Darauf erwidern die Skeptiker: was unsere allgemein menschlichen Erfahrungen anlangt, so geben wir euch recht; denn daß es Tag ist und daß wir leben sowie viele andere Erscheinungen des täglichen Lebens erkennen wir als Tatsachen und Gegenstände des Wissens an; was aber die angeblich so sicheren Sätze der Dogmatiker anlangt, die sie behaupten mit dem Verstand erfaßt zu haben, so halten wir darüber mit unserem Urteil zurück als über Unerkennbares und beschränken uns mit unserer Erkenntnis auf das, was wir unmittelbar an uns erfahren. Denn daß wir sehen, räumen wir ein, und daß wir diesen bestimmten Gedanken in uns haben, wissen wir, aber 'wie wir sehen und wie wir denken wissen wir nicht. Und daß dieser bestimte Gegenstand hier weiß erscheint, das lassen wir im gewöhnlichen Verkehrsgespräch gelten, geben aber keine Versicherung darüber, daß es auch wirklich so ist. Was ferner unsere Redewendung "Ich gebe keine feste Bestimmung über irgendetwas" und ähnliche anlangt, so haben sie für uns nicht die Bedeutung von festen Lehrsätzen, denn sie stehen nicht auf 'einer Stufe mit Sätzen wie diesem: "Die Welt ist kugelförmig;" denn das ist ein Satz, der sich anmaßt, das Unbekannte fest zu bestimmen, während unsere Wendungen bloß Einräumungen sind. Wenn wir also sagen, "wir bestimmen nichts", so ist diese Wendung auch selbst keine feste Bestimmung.

Ferner halten die Dogmatiker den Skeptikern vor, daß sie sogar das Leben aufheben, indem sie alles verwerfen, woraus das Leben besteht. Das erklären jedoch diese für eine Unwahrheit, da sie nicht das Sehen für unmöglich erklärten, sondern nur die Kenntnis davon 'wie man sieht. Denn das Erscheinende lassen wir gelten, aber nicht in dem Sinne, daß es auch wirklich so sei. Daß das Feuer brennt, sagt uns die Wahrnehmung; ob es aber auch in Wirklichkeit Brennkraft hat, lassen wir dahingestellt. Und daß sich einer bewegt oder daß einer umkommt, sehen wir; aber wie das geschieht, wissen wir nicht. Nur gegen jenes Unbekannte, sagen sie, richtet sich unser Widerstand, was man als angeblich Wirkliches den Erscheinungen zur Seite stellt. Denn wenn wir sagen, das Bild habe sich heraushebende Stellen, so trifft unsere Behauptung genau das Erscheinende; wenn wir dagegen sagen, es hat keine hervortretenden Stellen, so sagen wir nicht aus was erscheint, sondern etwas davon Verschiedenes. So sagt dann auch TIMON im 'Python, er sei nicht von der Gewohnheit abgewichen. Und in den 'Bildern äußert er sich so (Frg. 69 Diels):
    Volle Bedeutung hat alles Erscheinende,
    wo es auch auftritt.
Und in seiner Abhandlung über die Sinne sagt er: "Daß dies süß ist, behaupte ich nicht, wohl aber gebe ich zu, daß es süß scheint." Und AINESIDEM sagt im ersten Buch seiner pyrrhonischen Abhandlungen, PYRRHON lasse sich nie auf dogmatische Behauptungen ein wegen der (stets möglichen) Gegensätzlichkeit, lasse sich aber durch die Erscheinungen leiten. Und das Nämliche sagt er auch in dieser Schrift gegen die Weisheit und in der Schrift von der Untersuchung. Ebenso lassen ZEUXIS, der Freund des AINESIDEM, in der Schrift über die zweifachen Urteil und ANTIOCHOS aus Laodikea und Apellas im 'Agrippa nur das Erscheinende gelten. Nach den Skeptikern ist also das Erscheinende der Beurteilungsgrund (das Kriterium), wie auch AINESIDEM sagt. So auch EPIKUR. DEMOKRIT aber spricht dem Erscheinenden das Sein ab.

Gegen dieses Kriterium der Erscheinungen wenden die Dogmatiker folgendes ein: Wenn sich uns von den nämlichen Gegenständen verschiedene Vorstellungen aufdrängen, z. B. von dem Turm, der anscheinend rund, aber auch viereckig sein kann, muß der Skeptiker notwendig 'eine wählen, wenn er in seinem Handeln nicht vollständig zum Stillstand verurteilt sein soll; folgt er aber der einen von beiden Vorstellungen, so wird er den Erscheinungen nicht mehr die gleiche Geltungskraft beilegen. Darauf erwidern die Skeptiker: Wenn sich uns eine andersartige Vorstellung aufdrängt, so bezeichnen wir beide als Erscheinungen; und eben deshalb lassen wir die Erscheinungen gelten, weil sie erscheinen.

Als Endziel nehmen die Skeptiker die Zurückhaltung des Urteils an, der wie ein Schatten die unerschütterliche Gemütsruhe folgt, wie TIMON und AINESIDEM sagen. Denn aus eigener Kraft können wir das wählen oder das meiden, was von uns abhängt; was aber nicht von uns abhängt, sondern eine Sache der Notwendigkeit ist, das können wir nicht meiden, wie Hunger, Durst, Schmerz; denn das können wir durch den bloßen Verstand nicht wegschaffen. Wenn aber die Dogmatiker sagen, der Skeptiker würde auch leben können ohne sich dagegen zu stemmen, auf etwaigen Befehl hin seinen Vater zu zerfleischen, so erwidern die Skeptiker, er werde leben können, wenn er die dogmatischen Fragen und Untersuchungen auf sich beruhen ließe, nicht aber, wenn er es mit den auf das Leben und dessen Erhaltung bezüglichen Fragen ebenso halten wollte. Wir richten uns also in Bezug auf Wählen und Meiden nach den gewöhnlichen Lebensanschauungen und halten uns auch an die Gesetze.

Nach einigen übrigens stellen die Skeptiker als ihr Endziel die Leidenschaftslosigkeit, nach anderen die Gleichgültigkeit hin.
LITERATUR - Diogenes Laertius, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, Bd. 2, Leipzig 1921