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Geschichte und Geist des Skeptizismus [1/2]
Vorrede Der Skeptizismus fängt an, eine Krankheit des Zeitalters zu werden, und - was eine seltene Erscheinung in der Geschichte ist- sich unter mehrere Stände zu verbreiten und seine Wirkungen im Großen zu äußern. Die neueste Revolution in der Philosophie ist durch ihn veranlaßt worden und hat ihn wieder zum Gegenstand einer tieferen philosophischen Untersuchung gemacht. Jene Revolution sollte ihn stürzen, nach einer neuen Entdeckung soll sie ihm kein Haar gekrümmt oder gar ihn vielmehr befestigt haben. Die angeführten Umstände haben mich veranlaßt, die Geschichte des Skeptizismus jetzt herauszugeben. Um aber meinen Zweck vollständiger zu erreichen, habe ich philosophische Abhandlungen über den Skeptizismus der Geschichte vorangeschickt. Die Idee, diese Geschichte zu schreiben, ist bei mir nicht neu. Ich bin schon während meiner Universitätsjahre durch verschiedene Umstände und Zufälle auf dieselbe geleitet worden. Die ersten philosophischen Schriften, die ich las, waren im Geist der LEIBNIZ-WOLFFischen Philosophie geschrieben. Sei vergnügten meine junge Einbildungskraft, aber sie überzeugten mich niemals gänzlich. Die Schriften des SEXTUS und HUME fielen mir bald darauf durch einen Zufall in die Hände und versetzten mich eine Zeitlang in einen höchst peinlichen Zustand, indem sie mir Lehren bekannt machten, die mit meiner Ruhe und Sittlichkeit auf das Engste verwoben waren. In dieser Lage war mein unerschütterlicher Glaube an die Tugend, den ich größtenteils meiner Erziehung zu danken hatte, mein Anker, und der Glaube an Gott und die Unsterblichkeit schien mir immer damit durch Bande zusammenzuhängen, die ich zwar nicht deutlich sah, die aber auch die stärksten und gehäuftesten Zweifel nicht ganz bei mir zerreissen konnten. Mein Interesse an skeptischen Schriften blieb und wurde durch den ungewöhnlichen Grad an Scharfsinn und durch die ungeheure Masse von Kenntnissen, welche in vielen dieser Schriften vereinigt sind, nicht wenig genährt. Dieses Interesse und mein Wunsch, mir meinen moralischen Glauben deutlicher zu entwickeln und ihn fester zu gründen, hat mich für die damals erschienenen kantischen Schriften vorzüglich eingenommen, indem ich in denselben viele meiner Zweifel gelöst und Vieles, was ich mir vorher bloß dunkel gedacht hatte, aufgeklärt fand. In dieser Gemütslage faßte ich den Entschluß, eine Geschichte des Skeptizismus und psychologische Untersuchungen über den skeptischen Gemütszustand zu schreiben. Ich habe mehrere Jahre hindurch zu diesem Zweck gelesen und gesammelt, beobachtet und nachgedacht. Reisen und mehrmals veränderte Lagen haben mich bisher verhindert, meinen Plan auszuführen, aber dagegen über Manches belehrt, was zur besseren Ausführung desselben dienen konnte. Ich hatte übrigens in meiner gegenwärtigen Lage, die mich meist zu Beschäftigungen anderer Art hinzieht, die Ausführung meines Plans schon ganz aufgegeben. Die neueste Geschichte der Philosophie erinnerte mich wieder an denselben und eine hinlängliche Anzahl von Nebenstunden, die mir mein Amt übrig ließ, samt den Schätzen der hiesigen Bibliothek setzten mich in den Stand, das Werk jetzt dem Publikum vorzulegen. Ich erfülle damit zugleich ein Versprechen, das ich im Hinblick auf DAVID HUME in meinen "Ideen zur Kritik des Systems der christlichen Religion" getan habe. Nach welchen Gesichtspunkte die Geschichte gearbeitet ist, bedarf hier nicht gesagt zu werden, da ich mich in der Schrift selbst darüber erklärt habe. Nur Folgendes muß ich hier noch bemerken. Der Hauptgesichtspunkt ist die Geschichte des Skeptizismus selbst, als einer Denkart, die mehr oder weniger philosophisch sein kann. Damit ist aber die Literaturgeschichte desselben, die Geschichte der Skeptiker, jedoch mit Auswahl, die Geschichte der Widerlegungen des Skeptizismus und hie und da der Urteile und Meinungen über denselben verbunden worden. Nur auf diese Art konnte einer Geschichte, die so viele Grübeleien und Spitzfindigkeiten umfassen mußte, das Ermüdende und selbst Erschöpfende für den Leser genommen werden, und nur auf diese Art konnte sie eine verhältnismäßige Vollständigkeit erhalten. An vielen Stellen habe ich auch philosophische Reflexionen eingestreut und die Geschichte des Skeptizismus in ihrer Verbindung mit der Geschichte der Philosophie zu zeigen gesucht. Wo ich nicht irre, so kann diese Geschichte zugleich als eine Geschichte der Lehre von den Gründen der menschlichen Erkenntnis gelten. Hie und da fürchte ich dunkel geworden zu sein. Ich bitte die Leser, die Schuld zumindest nicht allein auf mich, sondern auch auf einen ungemein abstrakten und subtilen Gegenstand zu schieben. Zuweilen habe ich angesehenen und von mir wahrhaft geschätzten, lebenden Schriftstellern widersprochen, aber durchaus nie aus einer anderen Triebfeder, als aus Wahrheitsliebe, und sie können schon deswegen diesen Widerspruch nicht übel aufnehmen. Am Ende des Werks habe ich Manches kürzer abhandeln müssen, als ich mir vorgenommen hatte. Die Zeit, die mein Amt von mir fordert und die nahe Messe haben mir aber eine weitläufigere Ausführung nicht erlaubt. Ich darf es gestehen, daß mich diese Schrift keine geringe Anstrengung gekostet hat. Ich habe beinahe überall aus den Quellen und ersten Hilfsmitteln selbst geschöpft und bin eben deswegen zuweilen auf andere Resultate gekommen, als sich bei denjenigen Schriftstellern finden, welche einzelne Gegenstände dieses Buches schon bearbeitet hatten. Das Lesen der Skeptiker gewährt zwar manches geistige Vergnügen, es macht mit vielen Schriftstellern bekannt, die zu den überschauendsten, geistvollsten und kenntnisreichsten gehören; es versetzt die Seele oft in einen Zustand der Ruhe und Resignation, der süß und wohltätig ist; es kann über Vorurteile, von welchen die Menge gefesselt wird, und sich zu zerrüttenden Leidenschaften hinreißen läßt, erheben - aber von der anderen Seite versetzt es auch bei längerer Fortsetzung die Seele in den Zustand einer unnatürlichen Anspannung, einer peinsamen Erschöpfung und Unruhe. Ich werde mich auch dafür hinlänglich entschädigt halten, wenn diese Schrift etwas beitragen kann, den Geist der Bescheidenheit und der gegenseitigen Duldsamkeit unter den Gelehrten durch die Vorhaltung so mancher für unsere Vernunftkräfte demütigenden Gründe und Beispiele zu befördern und den moralischen Glauben immer herrschender zu machen. Es wäre ganz gegen meine Absicht, wenn diese Schrift zur Beförderung des Skeptizismus selbst etwas beitragen sollte. Bei mir haben die vielen Untersuchungen, zu welchen sie mich veranlaßte, vielmehr die entgegengesetzte Wirkung hervorgebracht. Es ist überhaupt oft ein weit besseres Mittel, über einen Feind Meister zu werden, wenn man ihn in seiner ganzen Stärke kennen lernt, als wenn man sich unbestimmte furchtbare Begriffe von seiner verborgenen Stärke macht. Möge diese Schrift, in welcher alle Angriffe auf die Wahrheit und Gewißheit der menschlichen Erkenntnis übrigens neben den Verteidigungen, der entgegengesetzten Partie dargestellt sind, auch ein vernünftiges Wissen und Glauben befördern können! Der würdige Herr Verleger dieser Schrift hat sie mit einer Vignette von der verdienstvollen Hand des Herrn LIPS in Weimar zieren wollen. Was die Nebeneinanderstellung eines HUME und KANT für eine Bedeutung hat, werden die Leser von selbst erraten. Göttingen, den 9. Mai 1794 ![]() Über den Geist, die Gattungen, die Quellen, die Wirkungen, die Geschichte des Skeptizismus und die Mittel gegen denselben. Da die gewöhnlichen Begriffe vom Skeptizismus so schwankend und abweichend sein und ich nirgends die allgemeine Theorie desselben vollständig vorgetragen finde, so will ich hier mein Möglichstes tun, diesem Mangel abzuhelfen, jedoch ohne das zu antizipieren, was eigentlich in die Geschichte gehört. Vielmehr haben diese Abhandlungen unter anderem den Zweck, der Geschichte selbst bestimmte Erklärungen und Gesichtspunkte zugrunde zu legen. die verschiedenen Gattungen desselben? Ein Hauptfehler in dieser Bestimmung ist immer der gewesen, daß man die verschiedenen Gesichtspunkte, unter welchen der Skeptizismus betrachtet werden kann und die verschiedenen Gattungen desselben nicht genau oder gar nicht voneinander unterschied. So geschah es häufig und geschieht noch jetzt zuweilen, daß man sich über verschiedene Definitionen stritt, da doch beide, wohlverstanden, gelten konnten, und daß man etwas in den alten Definitionen zu verbessern glaubte, indem man doch bloß die Definition einer anderen Gattung hinzusetzte. Der Skeptizismus kann entweder als etwas Subjektives oder als etwas Objektives betrachtet werden. Subjektiv betrachtet ist er entweder ein Zustand des Gemüts, eine Denkart, oder eine Kunst, eine Fertigkeit, eine Methode. Objektiv wäre er ein System oder eine Reihe von Sätzen. Der Skeptizismus als Zustand betrachtet ist eine solche Stimmung des Gemüts, da man über keinen Gegenstand etwas bejaht oder verneint und alles ohne Unterschied bezweifelt, selbst das, daß man Alles bezweifeln muß. Ein solcher Zustand ist ein Ideal - er existiert in keiner Menschenseele. Der Mensch wird durch alle seine Anlagen gedrängt, etwas anzunehmen, wenn er auch noch so viel bezweifelt. Wenn er sich in jenen Zustand versetzen will, so befindet er sich in einem Regressus ins Unendliche, indem er in einer beständigen vermeintlichen Entfernung von aller Überzeugung immer etwas verwirft und wieder etwas neues dafür annimmt, immer Urteile und Grundsätze nur durch andere Urteile und Grundsätze zweifelhaft machen kann und so sein Ziel niemals erreicht. Aus diesem Bestreben aber entsteht zuletzt ein schwebender und schwindelnder Zustand, den der Mensch nicht lange aushalten kann und der doch nicht einmal jener Zustand des allgemeinen Zweifels ist, weil er sich von den vorhergehenden Zuständen nur durch den schnellen Wechsel der Empfindungen, Meinungen, Zweifel, Überzeugungen unterscheidet und auf der anderen Seite an eine gänzliche Ohnmacht der Denkkräfte grenzt. Selbst in einem Zustand des partiellen Zweifels, wenn er gewisse Gegenstände betrifft, kann sich der Mensch nicht sehr lange erhalten, z. B. im Zweifel über die Existenz der Körperwelt außerhalb seiner selbst und gewisser Empfindungen in ihm, über praktische Gegenstände. Selbst wenn er durch eine gewaltsame Spannung und durch eine Art von metaphysischer Schwärmerei sich in diesem Zustand zu erhalten suchen sollte, so wird er doch auf die Dauer nicht verhindern können, daß nicht seine Zweifel sich durch Kräfte, die ihnen von außen und innen entgegenwirken, durch den Einfluß der Neigungen, durch die Notwendigkeit zu handeln, in die er versetzt wird, gleichsam unwillkürlich zerstreuen, daß die Fesseln sich von selbst auflösen, die er gerne noch länger getragen hätte. Hiermit wird übrigens nicht geleugnet, daß nicht mancher Skeptiker durch Selbsttäuschung sich wirklich in diesem Zustand des allgemeinen Zweifels wähnte, noch auch, daß durch das Bestreben nach diesem Ideal sich der Seele des Menschen nach und nach eine skeptische Stimmung mitteilen kann, die sich bei ihm im Nachdenken über alle Gegenstände zeigt und auch in seinem Charakter und seiner Handlungsart eine große Veränderung hervorbringt. Übrigens ist doch dieses Menschen unerreichbare Ideal des zweifelhaften Zustands eine Idee, welche für die Skeptiker nicht ohne Nutzen ist. Sie können sagen, daß sie sich demselben nähern, ohne es zu erreichen, wie sich der Tugendhafte dem Unerreichbaren moralischer Vollkommenheit nähert, und daß sie, obgleich sie nie zum Hauptzweck gelangen, doch auch in dieser Annäherung den untergeordneten Zweck der Ataraxie, der Gemütsruhe erreichen. Der Skeptizismus, als Kunst betrachtet, ist eine Fertigkeit, bei Allem ohne Unterschied, was vorgestellt werden kann, Gründe für und dagegen von gleichem Gewicht, zu denken und anzuführen. Dies ist es, was die Alten Skepsis nannten, da sie sich hingegen über den Skeptizismus als Zustand gar nicht erklären. SEXTUS, der sicherste und stärkste Gewährsmann in diesem Punkt, sagt, sie sei eine Fähigkeit, die Erscheinungen der Sinne (Phänomena) und die Vorstellungen des Verstandes (Noumena) einander auf alle mögliche Art entgegenzusetzen (also nicht nur die Phänomena den Noumenis und umgekehrt, sondern auf die Phänomena Phänomenis und die Noumena Noumenis) auf diese Art gelangen die Skeptiker, indem sie überall auf beiden Seiten ein gleiches Gewicht entdecken, zur Zurückhaltung allen Beifalls, und durch diese zur vollkommenen Gemütsruhe. Eine solche Fähigkeit nun besitzt unsere Vernunft wirklich und kann es darin zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Wo sie auch bei gewissen Sätzen keine gleich starken Gründe und Gegengründe unmittelbar vorbringen kann, so kann sie doch gegen alle Gründe der ganzen menschlichen Erkenntnis ein solches Mißtrauen erregen, daß dadurch jeder einzelne Teil derselben zweifelhaft wird. Freilich bedarf die skeptische Kunst selbst überall der Grundsätze, um Grundsätze zu bestreiten, aber sie ist immer bereit, die Waffen gegen sich selbst zu kehren, und wenn sie selbst angegriffen wird, so freut sie sich nur eines desto gewisseren Sieges, indem selbst die Möglichkeit des Angriffs die Ungewißheit aller Erkenntnis nur deutlicher zu erkennen gibt. Der Skeptizismus objektiv betrachtet wäre nun ein Inbegriff all der Gründe und Gegengründe, durch welche die ganze menschliche Erkenntnis zweifelhaft gemacht werden kann. Man kann fragen und hat öfters gefragt: Ob es ein System des Skeptizismus geben kann? Wenn man die Gründe und Gegengründe, so wie SEXTUS in seinen Pyrrhonischen Hypotyposen (I, 4) es getan hat, nach den verschiedenen Zweigen der philosophischen Erkenntnis und ihrer systematischen Einteilungen ordnet, so kann allerdings insofern der Skeptizismus ein System genannt werden; da er aber alle Gründe der menschlichen Erkenntnis und selbst diejenigen, auf welchen aller Unterschied und alle Unordnung der Wissenschaften und alle Einheit des Systems beruth, erschüttert, so kann er sich selbst freilich für kein System ausgeben. Eher kann man sich denselben als eine unabsehbare Reihe entgegenstehender Sätze vorstellen, von welchen jeder den anderen vernichtet. Weil aber der Dogmatismus, sein Hauptgegner, vorzüglich in den Systemen seinen Sitz hat, so muß er freilich mit ihm auf diesem Boden fechten, um durch systematischen Zweifel den systematischen Dogmatismus des gewisser zugrunde zu richten. Eben deswegen, weil es eigentlich kein System des Skeptizismus geben kann, hat man auch Mühe, sich eine skeptische Sekte vorzustellen, wie man sich eine platonische, epikuräische, aristotelische vorstellt. Bei einer Sekte denkt man sich immer eine Übereinstimmung in gewissen Prinzipien und ein gemeinschaftliches Bestreben, sie geltend zu machen. Der Skeptiker aber bejaht und verneint kein Prinzip und geht gar nicht darauf aus, irgendeine bestimmte Denkart zu begründen, irgendeine Übereinstimmung der Menschen in ihren Grundsätzen hervorzubringen, und das geht so weit, daß selbst die Disharmonie der Menschen in dieser Hinsicht ein neuer Triumpf für ihn wird. Sobald man sich daher die Skeptiker als eine Sekte vorstellen will, so ist man in Gefahr, den Begriff des Skeptizismus aufzuheben. Da der Zustand eines allgemeinen Zweifels bloß ideal ist, so kann man auch dadurch den Begriff einer Sekte von Skeptikern nicht vollenden, daß man sich alle in einem solchen Zustand denkt. Es bleibt also nichts anderes übrig, als sich unter einer Sekte von Skeptikern lauter solche Subjekte zu denken, welche die Kunst, alles zweifelhaft zu machen, besitzen und nach der gänzlichen Zurückhaltung allen Beifalls, auch des inneren, streben. Wenn man auch den Skeptizismus nicht als Zustand, sondern als Kunst betrachtet, so kann man doch nicht annehmen, daß der Skeptiker von dieser Kunst beständig bei sich selbst Gebrauch macht, sondern bloß, daß er imstande ist, damit jeden Gegner aus der Fassung zu bringen. Man kann, ja man muß sich also bei einem Skeptiker gewisse Überzeugungen und Grundsätze denken, nur daß man ihm zugleich die Fähigkeit zuschreiben muß, auch diese wankend machen zu können. Da aber dies immer nur durch andere Grundsätze geschehen kann, so müssen wir uns notwendig den Skeptiker jedesmal als von gewissen Grundsätzen ausgehend denken, nur daß er freilich das einemal von diesen, das anderemal von jenen Grundsätzen ausgehen kann. Aber alle Grundsätze, deren sich der Skeptiker bedienen kann, um jeden Satz zweifelhaft zu machen, haben doch etwas Gemeinschaftliches und lassen sich unter gewisse Titel bringen, welche man locos communes [allgemeine Themen - wp] (1) nennen kann. Nun wird freilich der wahre Skeptiker auch diese als zweifelhaft vorstellen, aber soll er ruhig - er wird doch niemals einen beharrlichen Zweifel in Anbetracht derselben in sich erregen können und sobald er von seiner Kunst Gebrauch machen will, so wird er doch immer von denselbigen ausgehen müssen. Auch muß man notwendig sich den Skeptizismus als von gewissen Grundsätzen ausgehend vorstellen, wenn man über den Geist und die Natur desselben philosophieren will. Dies begegnet auch wirklich dem SEXTUS im ersten Buch seiner Hypotyposen, wo er die Natur und den Charakter der Skepsis schildert und im Verlauf seines Werkes muß er mehreremale gleichsam wider Willen gestehen, daß die Skeptiker zumindest die Erscheinungen (phainomena) nicht bezweifeln, und sich im gemeinen Leben nach denselben richten. Zu diesem Geständnis wurden die Skeptiker gezwungen, weil man sie sonst für Wahnsinnige gehalten und weil sonst aller Grund zu handeln bei ihnen aufgehört hätte. SEXTUS nimmt hier etwas Leidendes in der Seele an, das den Menschen wider Willen zum Beifall zwingt. Der Skeptiker gibt also Erscheinungen zu - aber das bezweifelt er, ob uns die Dinge so erscheinen, wie sie wirklich sind. Hier hört der Skeptizismus auf, ein Ideal zu sein, wie wir ihn bisher betrachtet haben. Hier ist ein Grundsatz, ein Urteil, von welchem er ausgeht, und von nun an wird ein System des Skeptizismus möglich, das aber freilich die Pyrrhonier nicht ausgeführt haben. Aber es gibt nicht nur Erscheinungen durch die Sinne, sondern auch andere Gefühle und Vernunftbegriffe, deren wir uns bewußt sind. Auch das Bewußtsein dieser Vorstellungen können die Skeptiker zugeben, nur werden sie das bezweifeln, ob sie untereinander übereinstimmen und ob sich von denselben ein Gebrauch für Objekte außerhalb von uns machen läßt. SEXTUS erklärt nirgends deutlich, daß die Pyrrhonier das Bewußtsein dieser Vorstellungen zugeben, aber er leugnet es auch nirgends. Der Fall war hier anders als bei den Sinneserscheinungen und bei den praktischen Lebensregeln, welche nicht bezweifelt werden konnten, ohne daß die Pyrrhonier selbst vor dem großen Haufen als Wahnsinnige erschienen wären. Hierüber war also eine Erklärung nötig. Wenn übrigens SEXTUS das Bewußtsein dieser Vorstellungen nicht bestreitet, so bestreitet er sie doch selbst, wenn auch nicht alle, weil die Psychologie damals noch weit zurück war. Ohne die Wahrheit genau zu erklären, ohne ihre verschiedenen Gattungen zu unterscheiden, bezweifelt er überhaupt, ob es eine Wahrheit gibt, ob es ein Kriterium des Wahren gibt und bestreitet sogar alle logischen Regeln, die nichts mit den Objekten zu tun haben. Es liegt sogar in seiner Definition der Skepsis, daß die Skeptiker auch Noumena Noumenis entgegensetzen. Es ist also unrichtig, wenn man behauptet, daß die wahren Skeptiker immer nur die objektive Wahrheit bestritten haben. Anders verfuhren freilich die neueren Skeptiker, besonders HUME, weil sie überhaupt konsequenter waren und weil sie auf eine ausgebildetere Psychologie Rücksicht nehmen mußten. Viele neuere Philosophen haben in der Tat den alten Pyrrhoniern einen weit philosophischeren und konsequenteren Skeptizismus zugeschrieben, als sie wirklich hatten. Sie haben überhaupt zum Teil Definitionen des Skeptizismus gegeben, welche den Begriff nicht erschöpfen und entweder nicht auf den älteren oder nicht auf den neueren Skeptizismus oder auf keinen von beiden passen. Wir wollen nur einige Beispiele anführen, deren Prüfung uns zugleich Gelegenheit geben wird, den Begriff weiter zu entwickeln. WOLFF sagt: "Die Skeptiker leugnen eine allgemeine Wahrheit aus Angst einem Irrtum zu unterliegen und weigern sich deshalb etwas Allgemeingültiges zu sagen." Und er setzt hinzu, er wisse wohl, daß gewöhnlich behauptet wird, die Skeptiker haben an Allem, auch an den Faktis gezweifelt, aber das Gegenteil erhellt sich aus SEXTUS EMPIRICUS, der in einem besonderen Kapitel behauptet, daß die Skeptiker die Phänomena zugestehen, also auch ihre Beständigkeit anerkannt haben, obgleich sie aus Furcht, einen Irrtum zu begehen, die Ursachen der Phänomene nicht bestimmt und den Grund ihrer Beständigkeit nicht untersucht haben. Diese Definition ist wirklich richtiger, als manche, die in der Folge gegeben worden sind, nur ist das unrichtig, daß die Skeptiker die allgemeinen Wahrheiten bezweifeln und die Fakta überhaupt, ja sogar ihre Beständigkeit so uneingeschränkt zugegeben haben. Die Unbeständigkeit aller sinnlichen Erscheinungen war vielmehr ein Hauptmittel, dessen sich die Skeptiker bedienten, um Alles zweifelhaft zu machen. Auch hat WOLFF den Begriff "Fakta" nicht genau bestimmt. Er scheint darunter die sinnliche Erscheinung zu verstehen, aber nun bleibt immer noch die Frage übrig: Haben die Skeptiker auch andere Tatsachen des Bewußtseins, die ebensowenig als Tatsachen zu den universalibus gehören, zugestanden? Außerdem hätte es müssen in die Definition gelegt werden, daß die Skeptiker, indem sie die sinnlichen Erscheinungen zugeben, nichts, auch nicht im Besonderen, weder über die Existenz noch über die Beschaffenheit der Objekte ansich bestimmen. KANT sagt irgendwo: "Der Skeptizismus ist das, ohne vorhergegangene Kritik, gegen die reine Vernunft gefaßte allgemeine Mißtrauen, bloß um des Mißlingens ihrer Behauptungen willen." Dies ist die richtige Definition einer gewissen Gattung von Skeptizismus, der aus einer gewissen besonderen Quelle entspringt, wovon wir in der Folge reden werden. Aber es ist nicht die Definition des Skeptizismus überhaupt, dessen zwei größte Repräsentanten SEXTUS und HUME, gerade von einer, zwar nicht so genauen und scharfsinnigen, aber doch immer sehr sorgfältigen und merkwürdigen Kritik des Erkenntnisvermögens ausgingen und in einem beinahe allgemeinen Skeptizismus endeten. JAKOB, der vieles zur helleren Einsicht in den Geist des Skeptizismus beigetragen hat, erklärt sich so:
2) Man kann nicht wissen, ob die Gegenstände so beschaffen und so verbunden sind, wie wir sie uns vorstellen, weil unsere Erkenntnisvermögen (Sinne und Verstand) nach der Erfahrung ganz unzuverlässig sind, und das Vermögen, welches das andere berichtigen soll, immer selbst wieder einer Berichtigung bis ins Unendliche nötig hat, wobei also niemals ein vollkommener Grad der Gewißheit möglich ist. Der Skeptizismus der ersteren Art ist ein reines dogmatisches Gebäude. Er sucht aus dem Begriff des Erkenntnisvermögens selbst die Unmöglichkeit einer Erkenntnis der Objekte darzutun, und wird also auf Grundsätze a priori gebaut." Der neue AENESIDEMUS (2), der dem alten sehr unähnlich ist, stellt den Geist des Skeptizismus auf folgende Art dar:
Das Dasein der Vorstellungen und die Gewißheit all dessen, was unmittelbar im Bewußtsein selbst vorkommt und durch dasselbe gegeben ist, hat noch kein Skeptiker bezweifelt. Ebensowenig erklärt auch der Skeptizismus die Fragen, welche die menschliche Vernunft über das Dasein und Nichtsein der Dinge-ansich, über ihre realen und objektiven Eigenschaften und über die Grenzen der Erkenntniskräfte aufwirft, für schlechterdings und ewig unbeantwortbar: Er setzt über das, was die Vernunft im Feld der Spekulation leisten kann und vielleicht dereinst auch noch leisten wird, ganz und gar nichts fest. - Er zernichtet nicht alle Hoffnung, daß die Probleme, welche die Vernunft über das Dasein und die Beschaffenheit der Dinge-ansich aufwirft, einst werden aufgelöst werden können - Seine Zweifel schränken sich auch nur auf dasjenige ein, was man in der Philosophie zu wissen vorgegeben hat, und gehen die übrigen Teile der menschlichen Einsichten, insofern solche nicht aus dem Philosophieren über das Ding-ansich schöpfen, gar nichts an. - Schon die Erklärungen, welche Sextus von der epoche, als dem wesentlichen Kennzeichen des Skeptizismus gibt, beweisen, daß ich den echten Geist desselben weder verschönert noch verschlimmert dargestellt habe. - Der Skeptizismus ist weder die Folge einer gedankenlosen Gleichgültigkeit, welche sich die Fragen der philosophierenden Vernunft über die Dinge-ansich und über die Grenzen der Macht und Ohnmacht der menschlichen Erkenntniskräfte noch nicht im Ernst vorgelegt hat, noch auch das Produkt einer Verzweiflung der Vernunft an ihren eigenen Kräften, welche durch die Unfähigkeit, den Schein von Wahrheit auflösen zu können, welche die Beweise der einander entgegengesetzten Systeme, Theorien und Hypothesen in der Philosophie umgibt, erzeugt wird; sondern vielmehr die deutlichste und geprüfteste Überzeugung davon, daß alle Versuche, das, was die Dinge-ansich sein oder nicht sein sollen, zu bestimmen, so der Dogmatismus aufzuweisen hat, bisher fehlgeschlagen sind. - Ich wüßte nicht, daß jemals ein Skeptiker die Gültigkeit folgender Sätze bezweifelt hätte.
2. Der Probierstein alles Wahren ist die allgemeine Logik; und jedes Räsonnement über Tatsachen kann nur insofern auf Richtigkeit Anspruch machen, als es mit den Gesetzen der allgemeinen Logik übereinstimmt. Wenn Skeptiker die Gewißheit der Syllogistik bezweifelt haben, so haben sie eigentlich nur dies bezweifelt, daß die Syllogistik uns zu einer Kenntnis der Dinge-ansich verhelfen kann." Tief ist PLATNER in den Geist des Skeptizismus eingedrungen. Er ist nach seiner Bestimmung die Denkart eines solche, der von der objektiven Wahrheit nicht überzeugt ist, der diese seine Nichtüberzeugung aus dem verdächtigen Anschein des menschlichen Erkenntnisvermögens rechtfertigt, ohne dartun zu wollen, daß es jedermann so verdächtig vorkommen muß. Der Skeptiker will die Nichtigkeit des Erkenntnisvermögens nicht erweisen, sondern erörtert nur die Ursachen, warum er in demselben den Maßstab der Wahrheit nicht anerkennt. Er hält nichts für wahr, als das Dasein unserer sinnlichen und vernünftigen Vorstellungen, die Gegenstände von jenen und die Gründe von diesen erklärt er für völlig unbekannt. Da aber mit beiden Gattungen von Vorstellungen eine Unmöglichkeit, sie zu ändern, und dem Schein derselben zu folgen, verbunden ist, so wird dadurch eine vollkommene subjektive Überzeugung hervorgebracht, die wir nicht vernichten oder unterdrücken können, der wir also gemäß urteilen und leben. - Ein solcher Skeptizismus ist die einzige konsequente Denkart für die Philosophie - und die einzige konsequente Philosophie für die geoffenbarte Religion. Dies ist ohne Zweifel die Schilderung des echten konsequenten Skeptizismus, insofern er in einer Menschenseele existieren kann. Nur zweifle ich, ob PYRRHO und SEXTUS sich ihn so gedacht haben, was dieser Verfasser wirklich anzunehmen scheint. Ihre Zweifel sind zum Teil auch gegen die subjektive Überzeugung gerichtet, wie sich in der Folge noch deutlicher zeigen wird, und dies wird ganz begreiflich, wenn man annimmt, daß ihr Skeptizismus überhaupt mehr eine Rolle, eine Kunst, als ein System war und daß auch SEXTUS ihn beinahe nirgends psychologisch als Denkart entwickelt. Wo ich nicht irre, so muß PLATNER bei seiner Darstellung doch gewisse, allen Menschen gemeinschaftliche, Erscheinungen und subjektive Überzeugungen annehmen, welches die älteren Skeptiker bei jeder Gelegenheit bestritten haben. Nicht einmal in Anbetracht der Gegenstände der reinen Mathematik, wo es doch am ehesten zu erwarten war, würden sie eine allgemeine Einstimmigkeit der Köpfe zugegeben haben, wenn sie sich auch bloß deswegen auf ihre eigenen Zweifel gegen diese Gegenstände hätten berufen müssen. Selbst den Begriffen des Möglichen und Notwendigen, die allen Menschen gemeinschaftlich sind, würden sie vielleich ein Dasein in ihrem Bewußtsein zugestanden haben, aber sie würden wahrscheinlich aus ihrem ungewissen Ursprung Zweifel gegen dieselbe erregt und jede Anwendung dieser Idee auf was für Gegenstände mit Zweifeln bekämpft haben. REINHOLD (3) fordert zum Wesen des philosophischen Skeptizismus auch schon in der weitesten Bedeutung dieses Ausdrucks, daß er von Grundsätzen, d. h. von Urteilen der Vernunft, die keines Beweises fähig oder bedürftig sind, ausgeht. Er sei, behauptet er weiter, der philosophischen Überzeugung, daß man sein Urteil über gewisse Gegenstände auf immer zurückhalten muß. Er setzt dogmatisch fest, daß über diese Gegenstände kein gründliches Urteil möglich und jedes mögliche Urteil grundlos ist, halte also über dieselbe sein Urteil zurück und befinde sich insofern im Zustand des Zweifels. Das Fundament des philosophischen Skeptizismus, oder den Inhalt der Grundsätze, von welchen er ausgeht, machen nicht die logischen Regeln des Denkens aus, sondern gewisse allgemeine Tatsachen des Bewußtseins, durch Gefühle und Begriffe vorgestellt. Die Wahrheit seines Fundaments, die der Skeptiker zugeben muß, besteht in der Übereinstimmung seiner logisch-richtigen Begriffe, von den wirklichen Tatsachen seines Bewußtseins mit diesen Tatsachen selbst. Die Wahrheit, mit der es der Skeptiker zu tun hat, betrifft also nicht die logischen Regeln, sondern einen Gebrauch derselben, der sie zwar voraussetzt, der aber nicht allein von ihrer Wahrheit abhängt. Der Gebrauch dieser Regeln setzt nicht nur eine Abwesenheit des Widerspruchs im Denken, sondern einen Inhalt der Gedanken voraus, der bloß durch die Tatsachen des Bewußtseins gegeben werden kann. Die objektive Wahrheit oder die Übereinstimmung der Vorstellungen mit den von ihr verschiedenen und unabhängigen Objekten, die der Skeptiker allein bekämpfen kann, kann er schlechterdings nie durch logische Regeln allein bekämpfen. Alle bisherigen Skeptierk haben die objektive Wahrheit für die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Ding-ansich erklärt. Diese Übereinstimmung haben die Pyrrhonier geleugnet und sich dabei vorzüglich auf die Relativität des Zeugnisses der Organe bei den empirischen Vorstellungen des äußeren Sinns berufen, wodurch jene Übereinstimmung unmöglich gemacht wird. Hierdurch würde freilich die objektive Wahrheit nur den Wahrnehmungen der Sinne abgesprochen. Allein um dieses Urteil auf alle, auch auf die durch Vernunft vorstellbaren Merkmale realer Objekte, auszudehnen, habe man nur den Begriff der Substanz durch das Merkmal der Empfindbarkeit denken dürfen. Was sodann nicht empfindbar ist, läßt sich als keine Substanz denken - wodurch dann die objektive Wahrheit auch den Vorstellungen durch eine Vernunft abgesprochen wird. Diese Darstellung hat das große Verdienst, daß dadurch genauer, als vorher geschehen war, bestimmt ist, worin die subjektive Wahrheit besteht, welche der Skeptizismus zugeben muß, sobald er systematisch und konsequent werden soll. Aber den Pyrrhoniern wird hier ein Skeptizismus zugeschrieben, den sie nicht gehabt haben. Die Pyrrohonier leugneten die Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Dingen ansich nicht, sie bejahten sie auch nicht, sie bezweifelten sie. Daran wird vielleicht niemand zweifeln, daß dieses oder jenes Objekt uns erscheint, sagt SEXTUS, aber ob es so beschaffen ist, wie es erscheint, das ist die Frage. Also eine Frage war es, etwas das erst gesucht, d. h. nach dem skeptischen Sinn des Wortes, das bezweifelt wurde, war es, ob die Gegenstände so beschaffen sind, wie sie uns erscheinen. Auch das bezweifelten die Pyrrhonier, ob überhaupt diesen Erscheinungen Gegenstände, außerhalb von uns korrespondieren; vorausgesetzt aber auch, daß dem wirklich so wäre, so warfen sie den neuen Zweifel auf, ob uns diese Gegenstände nach ihrer wahren Beschaffenheit erscheinen, indem sie die verschiedenen Erscheinungen derselben Gegenstände bei verschiedenen Personen und unter verschiedenen Umständen einander entgegensetzten. Hieraus kann man mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß die Pyrrhonier schon den Unterschied zwischen Objekten, wie sie ansich und wie sie in der Erscheinung beschaffen waren, zu machen wußten. Wie weit aber die Pyrrhonier die Skepsis getrieben haben, erhellt sich noch aus einem anderen Umstand in der angeführten Stelle des SEXTUS. Er drückt sogar das zweifelhaft, mit dem skeptischen Wörtchen isos [vielleicht - wp] aus, ob jedermann Erscheinungen zugibt. Wir werden also hier abermals darauf geleitet, daß der ältere Skeptizismus kein System, sondern eine Kunst war. Die Definitionen des Skeptizismus, die wir bisher angeführt und beurteilt haben, leiten auf das Resultat, daß man, wenn man ihn als Denkart oder System betrachtet, verschiedene Gattungen desselben unterscheiden kann und muß: denn nichts von all dem, was die angeführten Verfasser Skeptizismus nennen, ist dieses Namens ganz unwert. Am richtigsten stellt man sich wohl diese verschiedenen Gattungen vor, wenn man sie als Grade denkt, die in größerer oder kleinerer Entfernung vom Ideal des allgemeinen Skeptizismus liegen. Dieses Ideal ist in keiner Menschenseele erreichbar; damit es aber realisiert werden kann, so kann man entweder mehr oder weniger von demselben hinwegnehmen, oder da es etwas Letztes etwas Negatives ist, mehr oder weniger zu demselben hinzuzusetzen. Also der erste oder niedrigste Grad des Skeptizismus wäre der, wenn man Erscheinungen, Tatsachen des Bewußtseins zugesteht, die unwiderstehlich zum Beifall und Handeln nötigen - übrigens sonst alles für zweifelhaft erklärt. Ein zweiter Grad wäre der, wenn man die subjektive Wahrheit zugesteht, und alle objektive Wahrheit bezweifelt, die Objekte mögen nun durch die Sinne oder die Vernunft vorstellbar sein. Da aber die subjektive Wahrheit entweder bloß in der Übereinstimmung unserer Gedanken unter sich, oder in der Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Tatsachen des Bewußtseins, oder in beiden bestehen kann, so ist von sich selbst klar, daß dieser Grade wieder verschiedene Grade zuläßt, je nachdem man entweder mehr oder weniger von der subjektiven Wahrheit zugesteht. Ein dritter Grad des Skeptizismus wäre der, wenn man von einem dogmatischen Leugnen der Übereinstimmung unserer Vorstellung mit der wahren Beschaffenheit der Objekte außerhalb von uns ausginge und auf dieses Leugnen ein Bezweifeln der objektiven Wahrheit gründen würde. Auch dieser Grad kann wieder verschiedene andere Grade haben, je nachdem entweder alle Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit den Objekten oder nur ein Teil derselben geleugnet wird, je nachdem man z. B. den Körpern nur die qualitates secundarias oder auch die primarias abspricht - die Kenntnis der Gottheit ansich ihrem Wesen nach, oder auch in ihrer Beziehung auf uns leugnet. Ein vierter Grad von Skeptizismus wäre der, wenn nicht die Möglichkeit der objektiven Wahrheit für uns, sondern nur die Wirklichkeit der erkannten objektiven Wahrheit geleugnet wird, aber so, daß man hofft, die Philosophie werde vielleicht einmal noch bestimmen können, was die die Dinge ansich sind. Insofern kann man den hoffnungslosen und den hoffenden Skeptizismus unterscheiden. Diese Gattung grenzt von der einen Seite an den vollendeten Skeptizismus der Alten, von der anderen an den Dogmatismus. Die alten Skeptiker stellten sich als solche dar, welche die Wahrheit suchen, ließen also die Hoffnung übrig, daß sie vielleicht einmal gefunden werden kann. - Hingegen unterscheiden sie sich doch dadurch, daß sie nicht schlechthin leugneten, daß etwas von objektiver Wahrheit bereits entdeckt ist, und daß sie ihre Zweifel nicht bloß auf die objektive Wahrheit einschränkten. Jene Gattung grenzt also schon aus diesem Grund an den Dogmatismus, aber außerdem noch deswegen, weil dabei die Überzeugung zugrunde liegt, von der jeder auch nur etwas vorsichtige Dogmatiker bei der Untersuchung der Wahrheit ausgehen wird, daß man so nach ihr forschen muß, wie wenn sie noch gar nicht entdeckt worden wäre und daß man sein Urteil bis zur vollendeten Untersuchung zurückhalten muß. Ebenso ließen sich nun noch mehrere Grade des Skeptizismus in größerer oder kleinerer Entfernung vom Ideal desselben denken. Wenn man eigensinnig darauf beharren wollte, daß nur eine gewisse bestimmte Denkart diesen Namen verdient, so würde man der Natur der Sache widersprechen, und eine Geschichte des Skeptizismus wo nicht unmöglich, so doch dürftig und uninteressant machen, daß sie kaum die Mühe der Bearbeitung verdient. Die skeptische Denkart hat ihrer Natur nach etwas Unstetes und Schwankendes, und diese Eigenschaft hat sie in dem Grad, daß selbst der echte philosophische Skeptiker, der von bestimmten und festen Grundsätzen ausgeht, sich oft am Ende geneigt fühlt, selbst jene Grundsätze zum Gegenstand des Zweifels zu machen. Wir haben bisher verschiedene Gattungen des Skeptizismus als verschiedene Denkarten im menschlichen Gemüt unterschieden. Man kann noch andere Gattungen desselben unterscheiden, wenn man auf die verschiedenen Quellen und auf die verschiedenen Gegenstände desselben Rücksicht nimmt. Von jenen werden wir im folgenden Abschnitt besonders reden, über diese wollen wir hier noch einige Bemerkungen machen. Die Gegenstände des Skeptizismus können eben so verschieden sein, wie die Gegenstände der menschlichen Erkenntnis überhaupt und die Geschichte lehrt, daß keiner derselben vom Skeptizismus unangetastet geblieben ist. Aber eben diese Lehrerin gibt auch das Resultat, daß der Skeptizismus von jeher am meisten unmittelbar gegen die Philosophie und in dieser am meisten gegen denjenigen Teil derselben gerichtet war, welcher die Objekte des Denkens außerhalb von unseren Vorstellungen betrifft. Eine solche Art des Angriffs konnte zugleich dazu dienen, die Gründe aller Wissenschaften ohne Unterschied zu erschüttern. Wenn der Skeptiker auch die formale Wissenschaft, die Regeln des Denkens, ja alle Tatsachen des Bewußtseins stehen ließ, so galt doch der Angriff auf die Philosophie in Anbetracht der Objekte allen Wissenschaften ohne Unterschied, die empirische Psychologie als Geschichte der Seelenwirkungen und Logik ausgenommen. Nun sind aber die Objekte unserer Vorstellungen entweder sinnlich oder übersinnlich. Von jenen handelt die Naturwissenschaft in ihrem weitesten Umfang, von diesen die sogenannte rationale Psychologie, die Theologie und die Moral. Daher sind von jeher die meisten und stärksten Angriffe des Skeptizismus gegen die metaphysischen Lehren von der Körperwelt, ihrem Ursprung, ihren Veränderungen, gegen die Ideen von Raum und Zeit, insofern wir uns die Körper in derselben denken, gegen die Lehre vom Wesen, vom Ursprung, von der Dauer der Seele, gegen die Lehren von der Existenz der Gottheit, ihren Eigenschaften und Werken, von freien moralischen, sich allgemeine und notwendige Gesetze vorschreibenden Wesen überhaupt, gerichtet gewesen. Hierin stimmen die älteren und neueren Skeptiker, die sonst in so manchen Stücken voneinander abweichen, miteinander überein. Auch wenn die älteren Skeptiker so viele Einwürfe gegen die Logik machen, so betreffen diese Einwürfe doch mehr die Anwendung logischer Regeln auf Objekte, als diese Regeln ansich. Obgleich aber die Hauptangriffe des älteren Skeptizismus auf die benannten Gegenstände gehen, so lassen sie sich doch die Mühe nicht verdrießen, ihre Kunst auch gegen andere Wissenschaften zu richten und die Anmaßungen der damaligen Dogmatiker in allen Feldern zu schlagen, worauf sich die neueren Skeptiker nicht eingelassen haben. Die Werke des SEXTUS sind größtenteils gegen die Logiker, Physiker und Ethiker gerichtet, aber auch die Grammatiker, die Rhetoriker, die Geometer, die Arithmetiker, die Astrologen und die Musiker hält er, wiewohl nicht so zahlreicher Angriffe wert. Wenn man nun den Skeptizismus von den Hauptobjekten, die er immer gehabt hat, benennen und nach diesem Gesichtspunkt einteilen will, so kann man den physischen, den logischen, den psychologischen, den moralischen und den theologischen und zwar bei diesem noch den atheistischen von den supernaturalistischen unterscheiden. Diese Unterscheidung gehört aber nicht bloß zur Methode, sondern zur Sache, indem sich die eine dieser Gattungen ohne die andere bei manchen Philosophen gefunden hat, die, so dogmatisch sie auch in manchen Punkten gedacht haben, doch von der Zahl der Skeptiker nicht ausgeschlossen werden können. Einige Skeptiker haben mehr Mißtrauen in die Sinne und mehr Vertrauen auf die Vernunft, andere mehr Vertrauen auf die Sinne und mehr Mißtrauen in die Vernunft gesetzt. Jene konnten den physischen Skeptizismus ohne die übrigen Gattungen, diese den logischen, psychologischen, moralischen, theologischen Skeptizismus ohne den physischen verteidigen, ohne inkonsequent zu sein. Übrigens lehrt die Geschichte der Philosophie, daß die Skeptiker oft inkonsequent genug waren, um eine Art des Skeptizismus anzunehmen und eine andere zu verwerfen, indem doch beide zu ein und derselben Gattung gehörten. So hat es z. B. atheistische Skeptiker gegeben, die keine supernaturalistischen waren, d. h. solche, welche das Dasein Gottes aus Vernunftgründen durchaus bezweifelten, und aus übernatürlicher Offenbarung annahmen. Der historisch und mathematische Skeptizismus sind unter den bereits angegebenen Gattungen begriffen. Sie haben zwar ihre Verteidiger gefunden, sind aber nie so weit ausgebildet worden, als es die Sache selbst erlaubt hätte. Die Natur dieser verschiedenen Gattungen des Skeptizismus nun, so wie die mannigfaltigen Mischungen derselben in verschiedenen Zweiflern werden wir in der Geschichte selbst genauer beschreiben. ![]()
1) Ich meine hier nicht gerade diejenige, welche SEXTUS anführt, die sich noch auf allgemeinere reduzieren lassen, aber etwas Ähnliches. 2) Aenesidemus, oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementarphilosophie. Nebst einer Verteidigung des Skeptizismus gegen die Anmaßungen der Vernunftkritik, 1793, Seite 24f. 3) REINHOLD, "Abhandlung über den philosophischen Skeptizismus" vor TENNEMANNs Übersetzung von HUMEs "Untersuchung über den menschlichen Verstand", Jena 1793. |