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FRANZ STAUDINGER
N o u m e n a

"Die Mächte des Dogmatismus rühren sich ja auf allen Seiten, weisen auf die Zerfahrenheit auf dem Gebiet der Erkenntnis, auf die Unmöglichkeit hin mit den Waffen von Vernunft und Einsicht den Sieg zu erringen, und begründen damit der nach einem sicheren Halt begehrenden Seele die Notwendigkeit einer auf dem Boden untrüglicher Autorität wurzelnden Gewißheit. Ob es möglich ist, unsere Erkenntnis auf einem festen in ihr selber liegenden Grund einheitlich zu gestalten und von hier aus den Forderungen des Gemüts gerecht zu werden; oder ob eine rückläufige Bewegung uns wieder in die Fesseln des Dogmatismus schnüren soll, darum dreht sich vor allem politischen und sozialen Streit die Frage der Zeit. Die enscheidende Schlacht wird auf dem Feld der Erkenntnis geschlagen."

"Der Begriff von einem transzendentalen Gegenstand (= X) ist das, was in allen unseren empirischen Begriffen überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d. h. objektive Realität verschaffen kann. Diese Beziehung aber ist nichts anderes, als die notwendige Einheit des Bewußtseins; da wir doch außer unserer Erkenntnis nichts haben, was wir dieser als korrespondierend gegenüber setzen könnten. Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, es ist nur die Vorstellung der Erscheinungen unter dem Begriff eines Gegenstandes. Dasjenige  an  der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Zusammenfassung enthält, ist das Objekt."

"Die Einsicht in den Unterschied der psychologischen Begriffe, sofern sie als bloße Bezeichnungen der Beziehung des Ich auf Objekte dienen, und sofern sie zur Bestimmung des Ich als eines Objekts verwandt werden, oder die sorgfältige Unterscheidung zwischen den  Ich der Apperzeption  und den  Ich des inneren Sinnes,  bildet den Kern und Quellpunkt der Transzendentalphilosophie."


Vorrede

Die Rechtfertigung der in der zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" enthaltenen "Widerlegung des Idealismus" ist das hauptsächliche Ziel dieser Abhandlung. Den Anlaß dazu hat die von KUNO FISCHER wiederholt vertretene Behauptung gegeben, daß KANT in jener Lehre den Grundgedanken seines Systems widerspricht. Dieser Ansicht, die jener Forscher auch in seiner "Kritik der kantischen Philosophie" gegenüber den Einwendungen von EMIL ARNOLDT festhält, muß nochmals entgegengetreten und der Nachweis versucht werden, daß die "Widerlegung des Idealismus" sich aus KANTs System völig folgerichtig entwickelt. Bei der Wichtigkeit, die ich dieser Lehre beimesse, habe ich die betreffende Erörterung zum Mittelpunkt der vorliegenden Schrift gemacht. Die übrigen Grundfragen der kritischen Erkenntnislehre, die nach ursprünglicher Absicht in einer "Kritik von Kants Theorie der Erfahrung" ausführlich besprochen werden sollten, habe ich hier nur soweit behandelt, als sie zur Grundlegung für jenen Beweis notwendig waren, und die aus ihm zu ziehenden Konsequenzen versuchte ich wenigstens anzudeuten. Die wesentlichsten Lehrbegriffe KANTs, vor allem die Begriffe "transzendental" und "Ding ansich" dürften indessen genügend erörtert worden sein. Freilich mußten bei jenem Aufbau die beabsichtigten ausführlichen Kontroversen mit den Bedeutenderen der bisherigen Erklärer von KANTs Erkenntnislehre weggelassen werden.

Diese wären mir freilich besonders WUNDT und LAAS gegenüber doppelt erwünscht gewesen. Denn ich fühle mich einerseits ihren, dem bisherigen Apriorismus entgegentretenden Tendenzen mehr als diesem letzteren verwandt. Andererseits aber weiche ich in der Auffassung von KANTs Lehre nicht unwesentlich von ihnen ab. Am meisten dürfte ich im Prinzip mit RIEHL übereinstimmen. Den Satz, daß die Empfindung, für sich betrachtet, objektive Bedeutung hat und einen Hinweis auf Etwas, was nicht Empfindung ist, einschließt (Kritizismus II, Seite 32), erkenne ich als zu einer gültigen Erfahrungstheorie unbedingt erforderlilch an. Ebenso aber halte ich den Satz von AVENARIUS für richtig, daß nur solche allgemeine Begriffe zum wissenschaftlichen Begreifen als - objektiv - gültige verwendet werden können, deren Inhalt aus der Empfindung stammt. (vgl. "Philosophie als Denken der Welt etc.", Seite 32) Ich kann darum RIEHL nicht zustimmen, wenn er an einer relativ "reinen" Apriorität festhält. Recht dürfte dagegen dieser Autor darin haben, daß er die erkenntnistheoretische Frage von der erkenntnistheoretischen trennt (a. a. O. Seite 7) und zugibt, daß erstere in gewissem Umfang unabhängig von der letzteren zu lösen ist. Dann aber muß vor allem der Beweis, daß die Empfindung die "apriorischen" Formen enthält, unabhängig von physiologisch-psychologischen Erörterungen, - die ihren hohen Wert darum nicht im mindesten einbüßen, - geführt werden. In einigen Artikeln in der "Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosopohie" (Zur Grundlegung des Erfahrungsbegriffs, Bd. 6, Seite 433f; Bd. 7, Seite 17f) schloß ich mich jener Beweisart noch mehr an. Seit der Abfassung derselben bin ich indessen zu einer wesentlich anderen Auffassung der kantischen Lehren von der transzendentalen Einheit der Apperzeption, den Analogien der Erfahrung und der Widerlegung des Idealismus gelangt. In Folge davon muß ich die Forderung betonen, daß jener Beweis "transzendental" geführt wird, d. h. daß jene Annahmen als Bedingungen einer möglichen Erfahrung, folglich als  notwendige Voraussetzungen  einer objektiv-realen Erkenntnis erwiesen werden. Einen solchen prinzipiellen Beweis habe ich im Schlußkapitel zwar kurz, hoffentlich aber einleuchtend zu führen gesucht; und ich glaube damit die nächste und theoretisch wichtigste Folgerung aus dem Resultat der "Widerlegung des Idealismus" gezogen zu haben.

Von den Autoren, die mich beim Studium KANTs wesentlich unterstützt haben, erwähne ich außer den Genannten: COHEN, STADLER, HÖLDER, JAKOBSON, LIEBMANN, WITTE, VOLKELT, VAIHINGER, PAULSEN, BENNO ERDMANN. Zu besonderem Dank fühle ich mich außerdem meinen Freunden W. FLEGLER und P. NATORP verbunden. Ersterer leistete mir wesentliche Hilfe bei der Formulierung und Durchsicht dieser Arbeit; letzterer, dessen mündlichen und brieflichen Auseinandersetzungen ich viele Anregungen verdanke, hat mich besonders durch sein scharfsinniges Buch über "Descartes Erkenntnistheorie" gefördert. Obgleich ich die darin verteidigte Auffassung des Verhältnisses von KANT zu DESCARTES beanstanden muß, so darf ich doch bekennen, daß seine Darstellen von DESCARTES' Gottesbeweis mir für die Erfassung von KANTs "Widerlegung des Idealismus" von größter Bedeutung war.

Aber obwohl diese "Widerlegung" den Mittelpunkt der vorliegenden Abhandlung bildet, so ist sie doch nicht der Endzweck derselben. Nicht der Ehrgeiz, eine wichtige Einzelfrage entgegen der gewichtigen Stimme eines mir Recht berühmten Autors vielleicht zu einer endgültigen Lösund zu bringen, hat mir die Feder geführt. Es war vielmehr die Überzeugung, daß dieser Punkt nicht bloß mit KANTs System, sondern mit dem Kern der ganzen Erkenntnisfrage auf das Engste zusammenhängt, und daß jeder, der irgendeine Kraft in sich fühlt, an deren Entscheidung zu arbeiten verpflichtet ist. Die Mächte des Dogmatismus rühren sich ja auf allen Seiten, weisen auf die Zerfahrenheit auf dem Gebiet der Erkenntnis, auf die Unmöglichkeit hin mit den Waffen von Vernunft und Einsicht den Sieg zu erringen, und begründen damit der nach einem sicheren Halt begehrenden Seele die Notwendigkeit einer auf dem Boden untrüglicher Autorität wurzelnden Gewißheit. Ob es möglich ist, unsere Erkenntnis auf einem festen in ihr selber liegenden Grund einheitlich zu gestalten und von hier aus den Forderungen des Gemüts gerecht zu werden; oder ob eine rückläufige Bewegung uns wieder in die Fesseln des Dogmatismus schnüren soll, darum dreht sich vor allem politischen und sozialen Streit die Frage der Zeit. Die enscheidende Schlacht wird auf dem Feld der Erkenntnis geschlagen.



1. Die Wege zu Kant

Von den kantischen Lehrbegriffen sind wohl kaum irgendwelche bis zum heutigen Tag so vielfach mißverstanden, wie die beiden fundamentalsten, nämlich die Begriffe "transzendental" und "Ding-ansich". Wenn man sieht, daß sogar zwei so ausgezeichnete KANT-Kenner, wie KUNO FISCHER und EMIL ARNOLDT sich nicht völlig über die Auffassung der Dinge-ansich in der Widerlegung des Idealismus einigen können, so möchte man schier verzweifeln, ob es vergönnt sei, je zur Klarheit über diesen Punkt zu gelangen und wenn dies geschehen sein sollte, die selbst gewonnene Eindicht anderen klar darzulegen. Es gilt ja, den Blick des Geistes auf soe eigene und ungewohnte Art einzustellen, daß man kaum weiß, wie man in Worten, die von ganz abweichenden Anschauungen aus entstanden sind, den adäquaten Sinn des kantischen Grundgedankens wiedergeben soll. Ging es doch KANT selber so, daß er, wenn er nach einer Seite das Mißverständnis abwehren wollte, dem anderen in die Arme lief. Und doch müssen gerade diese Punkte des kantischen Systems sonnenklar sein, wenn es gelingen soll, aus dem Labyrinth irrer Pfade den sicheren Steig zur Wahrheit zu erreichen, wenn es möglich werden soll, da, wo er selber irrte, bessernd anzuknüpfen, und im Anschluß an die sicheren Ergebnisse seines Systems dauernde Grundlinien unseres Erkennens zu bestimmen. Wie soll sich aber die Einheit bei KANT herausstellen? Betrachten wir die Stellen, in denen er vom Ding-ansich in seinem Verhältnis zu den Erscheinungen spricht, losgelöst vom Zusammenhang, ohne bereits den Grundgedanken gefaßt zu haben, so will mühevollstem Nachdenken kein Weg, sie in Einklang zu bringen, erscheinen.

Die Gegenstände affizieren uns; im Raum sind uns  wirkliche  Gegenstände gegeben,  durch  die Vorstellungen erkennen wir Gegenstände (Kb 76) (1), auch die Seele nur  durch  Erscheinungen. (Prol. 140, § 49) (2) Die Dinge kann ich als Phänomene  und  als Dinge-ansich betrachten. (Kb 193) Wenn Dinge bloß etwas vorstellen, wie es erscheint, so muß  dieses Etwas  auch ansich ein Gegenstand sein. Das Wort  Erscheinung  drückt schon eine Beziehung auf einen von der Sinnlichkeit unabhängigen Gegenstand aus (Kb 232f).  Erscheinung  hat zwei Seiten, die eine, da auf das Objekt selbst, die andere, da auf die Form der Anschauung  dieses  Gegenstandes gesehen wird, und wir sind der Sicherheit der Erfahrung so gewiß, ob die Formen den Dingen-ansich oder nur unserer Anschauung  dieser  Dinge anhängen. (Kb 64) Ja, Körper bedeutet nicht bloß die äußere Anschauung im Raum, sondern auch das Ding-ansich, welches dieser Anschauung zugrunde liegt. (Prol. 141)

Wer diese Stellen ohne Kenntnis anderer vergleicht, muß sich sagen, daß hierin nichts anderes gelehrt wird, als was der einfachsten empiristischen Reflexion über die Beziehung unserer Vorstellungen auf den Gegenstand faßlich ist. Unabhängig von uns existieren Dinge; diese affizieren uns, die Affektionen setzen wir zusammen zu Vorstellungen jener Dinge, und diese Vorstellungen bilden die Erkenntnis jener Dinge, die als Vorstellungen freilich in uns sind, aber doch unabhängig von uns existierende Dinge bedeuten. Wer diese Richtung in KANTs Denken für die vorwiegende hält, muß verschiedene andere Stellen als mißverständlich ausgedrückt gewaltsam umdeuten, oder als Abirrungen vom kantischen Grundgedanken verwerfen. Aber warum sollten Stellen wie die folgenden weniger Recht auf Beachtung haben als die obigen?

Die Erscheinung eines Körpers enthält gar nichts, was einen Ding-ansich zukommen könnte (Kb 67). Erscheinungen sind nicht Dinge ansich, sondern das bloße Spiel unserer Vorstellungen. (Kb 117) Unsere Wahrnehmung beweist etwas Wirkliches im Raum, oder ist vielmehr  dieses  Wirkliche selbst; der Raum aber  außerhalb unserer Sinnlichkeit  ist nichts, und die Erscheinungen sind auch  nichts anderes  als  bloße  Vorstellungen. (Kb 318) Unser Selbstbewußtsein liefert uns ja nur unsere eigenen Bestimmungen (Kb 320). Materie ist also  lediglich  ein Gedanke  in uns,  wiewohl dieser Gedanke durch den äußeren Sinn es als außerhalb von uns vorstellt, und die Dinge im Raum sich gleichsam von der Seele ablösen und außerhalb von ihr zu schweben scheinen. (Kb 324f)

Hier ist, scheint es, der bloße Phänomenalismus gelehrt. Das Ding, was affiziert, muß danach selber Vorstellung im Raum sein; ein unabhängig von uns existierendes Ding ist ganz überflüssig, wenn doch alles, was wir erkennen, in uns ist. Diese Konsequenz ist dann auch gezogen worden, und sie scheint noch mehr Kraft zu gewinnen, wenn wir den transzendentalen Gegenstand in eine Form unseres Denken sich verflüchtigen sehen:

Der Begriff von einem transzendentalen Gegenstand (= X) ist das, was in allen unseren empirischen Begriffen überhaupt Beziehung auf einen Gegenstand, d. h. objektive Realität verschaffen kann. Diese Beziehung aber ist nichts anderes, als die notwendige Einheit des Bewußtseins (Kb 122, vgl. 119); da wir doch außer unserer Erkenntnis nichts haben, was wir dieser als korrespondierend gegenüber setzen könnten. (Kb 199) Dieses transzendentale Objekt läßt sich gar nicht von den sinnlichen Datis absondern, es ist nur die Vorstellung der Erscheinungen unter dem Begriff eines Gegenstandes. (Kb 232) Dasjenige  an  der Erscheinung, was die Bedingung dieser notwendigen Regel der Apprehension [Zusammenfassung - wp] enthält, ist das Objekt. (Kb 183)

Angesichts solcher Stellen finden wir einigermaßen begreiflich, daß man KANT einen Idealismus zugeschrieben hat, der allen anderen Idealismus dadurch gegenstandslos macht, daß er die ganze welt samt meinem eigenen empirischen Dasein zu Erscheinungen in einem Bewußtsein überhaupt macht. Die Erscheinungen sind dann freilich kein Schein, weil sie das einzige sind, was existiert; aber sie sind dann selber das  Etwas,  das ich erkennen würde, und nicht etwas, durch welches erkannt wird. Der Phänomenalismus verlangt danach für seine Dienste dem Idealismus gegenüber den Lohn, den der Teufel von seinen Schützlingen fordert. Wir stecken in einem noch höheren Idealismus als zuvor.

Es sollte auf der Hand liegen, daß die einseitige Betonung der phänomenalistischen Stellen KANTs Philosophie nicht zu erfassen vermag, dennoch scheint es, als ob gerade diese Auffassung als eine relativ einfache und doch den "Philosophen" über den "Pöbel der gemeinen Erfahrung erhebende" modernem Geschmack entspräche. Die neueren populären Darsteller verbreiten mit dieser Lehre einen KANT, gegen den der lebende KANT sich wohl mit demselben Nachdruck wenden würde, wie gegen die GARVE'sche Rezension. Einstweilen hat KUNO FISCHER dieses Geschäft für ihn besorgt.

Doch es sind bei einseitiger Betrachtung KANTs noch andere Grundauffassungen möglich. Während bei dieser letzteren das Ding-ansich nur der erdichtete Grund" ist, daß etwas ist, während es hier am besten alle Mißverständnisse abwehrte, wenn man mit LIEBMANN dem Ding-ansich als einem Eindringling die Türe weist, so kann sich noch eine Auffassung auf KANT stützen, wonach dieser das Ding-ansich zwar als Ding unabhängig von uns ansieht, aber in eben dieser Hinsicht selber skeptisch betrachtet.

So spricht er (Kb 250) vom transzendentalen Objekt, welches Grund der Erscheinung sein  mag,  ebenso (Kb 315) von etwas, was im transzendentalen Verstand außerhalb von uns sein mag. Nach Kb 305 könnte das Etwas, was den äußeren Erscheinungen zugrunde liegt, als transzendentaler Gegenstand betrachtet, auch Subjekt unserer Gedanken sein. Es ist völlig unbekannt, ob das transzendentale Objekt in uns oder außerhalb von uns anzutreffen ist (Kb 288). Es bleibt (Kb 312) in der Beziehung der Wahrnehmung auf ihre Ursache jederzeit zweifelhaft, ob diese innerlich oder äußerlich ist, ob also alle sogenannten äußeren Wahrnehmungen nicht ein bloßes Spiel unseres inneren Sinnes sind, oder ob sie sich auf äußere wirkliche Gegenstände als ihre Ursache beziehen.

Danach haben wir, was die  Existenz  des Dings-ansich betrifft, drei Grundauffassungen, die sich sämtlich auf KANT berufen können:
    1) Es existiert unabhängig von uns.
    2) Es existiert  nicht  unabhängig von uns.
    3) Es ist zweifelhaft, ob es existiert.
Weitere Möglichkeiten sind nicht möglich.

Diese drei möglichen Standpunkte werden aber noch bedeutend kompliziert, sobald man der Existenzfrage die Erkenntnisfrage, von der ja bei KANT selber alles ausgeht, hinzufügt: Woher wissen wir, daß ein Ding-ansich existiert oder nicht existiert oder zweifelhaft ist?

Da wird z. B. die skeptische Position durch die Behauptung gestärkt, daß der Verstand durch seine Kategorien gar kein Mittel hat, auf Objekte zu kommen. Durch loße Gedankenformen weiß man nicht, ob ein Objekt denkt. (Kb 217) Wie kann KANT behaupten, daß die Kategorien für Dinge-ansich ausgesagt, und der Satz umgestoßen, daß Dinge ansich unbekannt bleiben. Wenn es andererseits heißt, durch Begriffe wird der Gegenstand gedacht, so hat man die Wahl, entweder auf dem Standpunkt des Phänomenalismus beharrend diesen Gegenstand auch als Gedanken-Phänomen, als Gegenstand in der Erscheinung zu betrachten, oder die Existenz des Dings-ansich behauptend, zu glauben, KANT schreibt damit dem Verstand als solchem die Kraft zu, in das Gebiet des unabhängig von uns Existierenden zu dringen. Wenn die Verstandesregeln nicht nur Wahrheit, sondern sogar der Quell aller Wahrheit sind (Kb 222), so scheint das letztere angenommen werden zu müssen und außer Zweifel zu sein, wenn wir derartige Aussprüche mit denen zusammenhalten, die den Grund des Stoffs sinnlicher Vorstellungen im Ding-ansich suchen. (W1 436) Wenn aber der Verstand für sich die Macht hat, in ein übersinnliches Gebiet einzudringen, Dinge-ansich als existierend, als Ursache anzusehen, wenn Dinge-ansich  die  sind, die durch die Vernunft ansich erwogen werden, wie können dabei Behauptungen bestehen, wonach wir von den Dingen-ansich nicht wissen?  Das  an einem Gegenstand der Sinne, was nicht Erscheinung ist, ist ja intelligibel. (Kb 432)

Genug! Ich glaube gezeigt zu haben, zu welchen Meinungen über den Grundstein des kantischen Lehrgebäudes man aufgrund bloßen Zusammentragens kantischer Stellen kommen kann. Eine Abhandlung EDUARD von HARTMANNs über "das Ding-ansich" verdient in dieser Hinsicht klassisch genannt zu werden. Auch VOLKELT nimmt es sich gar nicht übel, KANTs Geist als einen Kessel darzustellen, in dem die verschiedensten sich widersprechenden Ingredenzien zu einem hoffnungslosen Gebräu vermengt sind. Wie ist doch dagegen die kühne Folgerichtigkeit eines BOLLIGER anzuerkennen, nach welchem KANT, ein oberflächlicher Denker, der mit großer Nonchalance geschrieben hat, einfach vergessen werden muß.

Wenn wirklich Widersprüche, wie wir sie oben aus ausgerissenen Stellen zusammenstellten und mit leichter Mühe noch hätten vermehren können, in KANT selber begründet sind, dann sage ich offen: BOLLIGER hat recht, daß die Welt ein Jahrhundert lang sich von KANT hat betören lassen; ein System, in welchem die fundamentalste aller Erkenntnisfragen, die Bedeutung unserer Vorstellung für unser Erkennen in aller nur möglichen Weise durcheinander beantwortet wird, das kann keine Philosophie mehr sein.

Und doch! Es ist wunderbar, wie mit magischen Schlingen der Mann uns immer und immer wieder an sich reißt, wenn wir zehnmal das Buch zur Seite gelegt und über die unverdauliche Speise gezürnt haben, die uns da als nie dagewesene Weisheit geboten wird. Hie und da packt doch eine Wahrheit zu tief und zu mächtig, und über den Ganzen weht doch ein Geist, zu gewaltig für Trug und bloße Torheit. Die Widersprüche sind vielleicht nicht in KANT, sondern in Dir und Deinem Verständnis; versuch's noch einmal, den geheimen Sinn zu entwirren; aus dem Ganzen des Systems heraus versuche ihn zu verstehen!

Aus der Idee des Ganzen? Die sollen doch einzelne Sätze vermitteln, und wie soll ich das Ganze verstehen, wenn das Einzelne mir dunkel und widerspruchsvoll bleibt? - Und doch ist kein anderer Weg, denn dieselben Worte, die sonst uns allen geläufige Anschauungen vermitteln, dienen hier dazu, eine ganz andere Anschauungsart der Dinge darzulegen, sie der gewöhnlichen gegenüber zu stellen, die Konsequenzen für diese letztere zu erweisen. Wer nun nichts als die letztere kennt, wer den Begriff der  transzendentalen Betrachtungs weise noch mit der oft versuchten empirischen und rationalen Betrachtung empirischer und  transzendenter Gegenständen  zu verwechseln vermag, dem ist KANT noch ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Und sollte er zehnmal daraus begriffen haben, daß Erscheinungen bloße Vorstellungen, und Raum und Zeit bloß in uns sein sollen, die transzendentale Anschauung dafür hat er nicht. Wie die sich verschaffen? Es geht uns hier wie dem Schiffer, der gegen den Wind segeln muß und lange nicht hin und her laviert, um schließlich zum Ziel zu kommen. Und wenn dann nach und nach erst die dunkle Bank des jenseitigen Ufers, wenn dann nach und nach Berge und Wälder, Städte und Fluren am jenseitigen Strand aus dem Nebel emportauchen und immer heller und klarer werden; wenn die neuen Einsichten wie die Sterne am Abend aus dem Dunkel aufblitzen; wenn man weiterlesend begreift, daß und warum KANT gerade hier so und dort so je nach der wechselnden Absicht sprechen mußte, wenn man überzeugt ist, daß man auf KANTs Boden stehend da und dort gerade so würde reden müssen, dann erst fängt das Verständnis KANTs an. Ihn ganz zu durchdringen bis ins Einzelste, das Ziel hat man freilich damit noch immer nicht erreicht. Bei jedem Lesen KANTs werden sich noch bisher unverstandene Ausdrücke finden, da und dort eine neue Erkenntnis emporleuchten, an die man früher nicht gedacht hat, und oft zur eigenen Freude das in ihm selber sich wiederfinden, was man in Konsequenz seines Gedankengangs selber gedacht zu haben vermeint. Aber es wird dann auch das erreichbar werden, was Ziel des KANT- Studiums ist und sein muß; nicht KANT zu verstehen, sondern durch ihn uns selber zu verstehen, es wird dann auch klarer werden, daß und wo sich auch bei KANT der gebahnte Weg auf einmal im Dickicht verliert, wo auch sein Gedanke in den tiefsten Tiefen verloren den Ausweg nicht mehr gefunden hat.


2. Methode und Ziel
    "Es ist eine  ebenso sichere  Erfahrung, daß  Körper außer uns  existieren, wie daß ich selbst nach der Vorstellung des inneren Sinnes (in der Zeit) da bin. Denn der Begriff "außer uns" bedeutet nur die Existenz im Raum. Da aber das Ich in dem Satz  Ich bin  nicht bloß den Gegenstand der inneren Anschauung in der Zeit, sondern das Subjekt des Bewußtseins, sowie Körper nicht bloß die äußere Anschauung im Raum, sondern auch das Ding-ansich bedeutet, was dieser Anschauung zugrunde liegt, so kann die Frage: ob die Körper (als Erscheinungen des äußeren Sinnes) außer meinen Gedanken als Körper existieren, ohne alles Bedenken in der Natur verneint werden; aber darin verhält es sich gar nicht anders mit der Frage, ob ich selbst als Erscheinung des inneren Sinnes (Seele nach der empirischen Psychologie) außer meiner Vorstellungskraft in der Zeit existiere; denn diese muß ebensowohl verneint werden.  Auf solche Weise ist alles, wenn es auf seine wahre Bedeutung gebracht wird, entschieden und gewiß."  (Prol. § 49)
Wer, ader auf einem der oben charakterisierten, einseitigen Standpunkt steht, mag diese Sätze als logisch zusammengehörig verstehen? Wer, der ein Wirken verschiedenartigster Gesichtspunkte bei KANT selber annimmt, kann in ihnen etwas anderes als krausen Wirrwarr erblicken? Und doch ist alles, auf seine wahre Bedeutung gebracht, entschieden und gewiß.

Auf diese wahre Bedeutung aber vermögen wir es erst zu bringen, wenn wir die eigentümliche Betrachtungsweise, die KANT entdeckt und die  transzendentale  genannt hat, in ihrer entscheidenden Bedeutung erkannt haben. Wenn wir gewöhnlich die Dinge betrachten, so stehen wir ihnen als unseren Objekten gegenüber, indem wir ihr Verhältnis zueinander in Raum und Zeit zu erforschen suchen. Selbst wenn wir unser Ich betrachten, stellen wir es in dieser Weise als Objekt neben anderen Objekten vor. Dies ist die Art, wie die Naturwissenschaft ihre Gegenstände behandelt, und wenn sie in der Psychophysik, oder der physiologischen Psychologie unser Ich im Konnex mit den äußeren Gegenständen zu erforschen sucht, kann sie nur innerhalb der ihr eigenen Betrachtungsweise bleiben. Sie ist nun, stolz auf ihre Leistungen, gar leicht geneigt, keine andere Betrachtungsweise anzuerkennen, und doch muß sie selbeer Voraussetzungen machen, die nur in einer ganz anderen Betrachtungsweise, die das eigentliche unentreißbare Gebiet der Philosophie ausmachen, zu entscheiden sind. Sie muß Anleihen machen, von denen sie sich keine genügende Rechenschaft zu geben weiß, und durch die sie, wie gerade die heutige Zeit zeigt, gar zu leicht in das Gebiet phantastischer Naturphilosophie geführt wird.

Wenn wir aber fragen: wer erkennt denn eigentlich all das, was von Objekten behauptet wird, so ist die einfache Antwort: Ich. Sofern als sie erkannt werden, sind also jedenfalls alle Objekte im Ich. Mit dem Satz, daß der Mensch das Maß der Dinge ist, ist der Anfang gemacht, das Problem der Erkenntnislehre zu bezeichnen.

Aber nun droht eine nur bei behutsamer Achtsamkeit zu vermeidende Täuschung. Das Ich, welches erkennt, bleibt bei allem Denken Subjekt. Alles, wovon ich rede, nimmt die Form des Objekts an, und wenn ich vom Ich selber rede, so kann ich auch nur wieder es selbst zum Objekt machen. Das Ich, welches erkennt, bleibt selbst ganz unfaßbar als Subjekt zurück.

Aber ich weiß doch, daß dieses Subjekt da ist, weiß, daß es Objekte denkt, wenn ich damit auch gar nicht bestimmen kann, was es ist, ob es ein Ding ist wie andere, ob es die bloße Tätigkeit ist, von der ich weiß, oder sonst etwas Unbekanntes. Nur das weiß ich mit Bestimmtheit, daß es ein denkendes Subjekt ist, und daß es alle Vorstellungen dadurch in seiner Einheit vereinigt, daß es in allen als  das  Subjekt bestehen bleibt,  das  diese Vorstellungen als die seinen weiß.

Nun kann ich, von anderem absehend, bloß darauf achten, welche Arten von Tätigkeiten diesem Subjekt eigen sind, wenn es Objekte denkt, und ich kann mir diejenigen herauslesen, die zu allem Denken eines Objekts, oder der Verhältnisse von Objekten unerläßlich sind. Es ist doch ganz offenbar, daß diese Tätigkeitsarten, durch die ich Objekte auffassen muß, sich in diesen aufgefaßten Objekten widerspiegeln, daß die Art, wie die Objekte meinem Erkennen zu sein scheinen, durch die Art, wie ich erkennen muß, bedingt ist.

Ich sagte, daß alles, was ich denke, selber Objekt wird. Wenn ich also von den Tätigkeiten rede, die mir Objekte bedingen, so werden diese Tätigkeiten, indem ich davon rede, selber objektiv vorgestellt. Darin nun wurzelt die Schwierigkeit, über die kein Denker vor KANT und wenige nach KANT hinaus kamen. Ich bin nämlich geneigt, die so gefundenen Bestimmungen nicht bloß als objektive  Bezeichnungen  für subjektive Vorgänge zu nehmen, sondern mein Ich dabei in der Weise, wie es bei anderen Objekten geschieht, zum Gegenstand zu nehmen, und diese gefundenen Bestimmungen als  Bestimmungen  eines  gegenständlich  vorgestellten Ich' zu nehmen, das nun mit anderen Gegenständen im Konnex steht und vom Ichsubjekt in der Wechselbeziehung zu diesen betrachtet wird. Dann aber mache ich die gleichsam flüssigen Tätigkeiten zu starren Prädikaten eines Dings, und ich weiß doch gar nicht, ob und inwiefern das aktiv tätige Ich einer solchen Dingvorstellung entspricht. Indem ich nun dieses Ding in einer Wechselbeziehung zu anderen Objekten, mit denen es jetzt auf gleicher Linie zu stehen scheint, betrachte, verliere ich im Handumdrehen den Standpunkt, von dem ich ausging. Die objektiv vorgestellten Begriffe sollten ja nur Bezeichnungen für die subjektiven Tätigkeiten sein. Nun bleibt aber doch fraglich, ob das, was selber objektiv "Begriff" von dieser Tätigkeit  ist,  auch einen  Begriff bezeichnet.  So mache ich mir objektiv einen Begriff vom Raum, aber es ist gar fraglich,  ob,  und wird mit Recht von KANT bestritten,  daß  die subjektive Raumsetzung auch ein Begriff ist. Der Begriff vom  Raum  besteht nach ihm darin, daß er eine bloße Anschauungsart ist.

Wenn ich aber diese Begriffe selber auf ein  Objekt  beziehe, so bleiben sie in dieser Beziehung selbstredend nur Begriffe, und wenn ich vorgebe, der so betrachtete  Gegenstand  "Ich" soll das wirklich im aktiven Erkennen vorkommende Ich bezeichnen und als Gegenstand darstellen, so übersehe ich zweierlei. Ich kann erstens nicht wissen, ob die von mir so gefundenen Bestimmungen auch  ausreichen,  um dem Ich eine wirklich objektive Bedeutung als Gegenstand zu geben. Ich sehe, um ein empirisches Beispiel zu wählen, an einem Tisch eine Kante, zwei Beine und eine braune Farbe. Damit weiß ich aber noch nicht, ob diese Prädikate ausreichend sind, mir das geforderte Ding "Tisch" zu bestimmen; und merke beim Aufblicken sofort, daß sie nicht genügen. Ich kann aber zweitens nicht wissen, ob dieses Ich, das ich durch Prädikate seiner Tätigkeit bestimmen will,  in dieser  Tätigkeit ein solcher Gegenstand ist, wie ich ihn mir vorstelle, ob dieses Ichbewußtsein mit all seinen Tätigkeiten, obwohl es ein stehendes Subjekt im Erkennen ist, nicht selber bei einer Betrachtung als objektiver Gegenstand zum Prädikat genommen werden muß. Denn die Einheit, auf die ich objektiv beziehe, ist, wie wir zeigten, stets eine andere, als das Subjekt selber. Das aktive Subjekt kann ich nie zum Objekt herumdrehen. (vgl. Kb 310) Ich kann also nur meinen  Begriff von ihm  zum Prädikat eines Etwas oder zum Objekt machen und sagen: Ich bin Etwas, das denkt; kann es aber selber weder als Prädikat noch als Objekt (= Subjekt der  Urteile)  auf die objektive Seite schaffen, sondern drehe mich bei einer solchen Bemühung wie der Mann mit dem Zopf beständig um mich selber herum. (Kb 310)

Sobald ich nun in dieser Art nicht bloß meine Begriffe einzeln, wie ich sie gefunden habe, bezeichnen lasse, was ich in der subjektiven Tätigkeit weiß, sondern sie zu Bestimmungen eines Objekts verbinde, stehe ich in größter Gefahr, Erschleichungen zu begehen, deren KANT einige als Paralogismen besprochen und widerlegt hat. Jedenfalls habe ich, solange ich diese beiden Betrachtungsweise des Ich nicht scharf zu sondern weiß, gar kein richtiges Urteil auch über das Verhältnis des Ich zu den Objekten, wenn ich auch die bloßen Verhältnisse der äußeren Objekte, wie die Naturwissenschaft zeigt, schon in einem weiten Umfang mag bestimmen können. Wenn ich nämlich von den im Ich gefundenen Bestimmungen rede, so mengen sich, sobald ich den obigen Unterschied zu machen weiß,  dieselben Begriffe  als  Bezeichnungen  der subjektiven Tätigkeit und als  Bestimmungen  des Ich als Objekts durcheinander, und alle möglichen scheinbaren Widersprüche sowie alle möglichen metaphysischen Schrullen entspringen aus dieser Vermengung.

Die genaue Einsicht in diesen Unterschied ist der "höchste Punkt", an den man "die Transzendentalphilosophie heften muß", und bezeichnet die Grenze zwischen Philosophie und Naturwissenschaft.  Die Einsicht also in den Unterschied der psychologischen Begriffe, sofern sie als bloße Bezeichnungen der Beziehung des Ich auf Objekte dienen, und sofern sie zur Bestimmung des Ich als eines Objekts verwandt werden, oder die sorgfältige Unterscheidung zwischen den "Ich der Apperzeption" und den "Ich des inneren Sinnes",  bildet den Kern und Quellpunkt der Transzendentalphilosophie. Die Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding-ansich ist nur eine selbstverständliche, vielleicht freilich nicht überall richtig gezogene Folgerung daraus.

Transzendental ist also die Erkenntnis derjenigen Ichtätigkeiten, die zu  allem  Erkennen  irgendwelcher  Gegenstände und deren unumgänglicher Verhältnisse zueinander erforderlich sind. Was zur Erkenntnis eines Gegenstandes notwendig ist, ist darum auch notwendig für diesen Gegenstand als Gegenstand meiner Erkenntnis. Denn der Geist ist nicht ein Spinnrad, das den Faden dreht, der dann abgehaspelt wird und nichts mehr vom Spinnrad erkennen läßt, sondern seine Tätigkeit dauert, so lange ich die Gegenstände vor Augen haben oder denke. Was die  notwendige  Bedingung des Keimens und Wachsens einer Pflanze ist, ist insofern auch die Bedingung der Existenz dieser Pflanze.

Was aber notwendige und allgemeine Bedingung, einen Gegenstand zu erkennen ist, ist in Bezug auf den erkannten Gegenstand  a priori,  weil es diesen Gegenstand erst zum erkannten macht. Darum ist transzendental "nicht eine jede Erkenntnis a priori, sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen lediglich a priori angewandt werden", oder "die Erkenntnis, die sich nicht sowohl mit Gegenständen, sondern mit unserer  Erkenntnisart  von Gegenständen, sofern diese  a priori  möglich sein soll, überhaupt beschäftigt".

Man sieht also wohl, welch nüchternen und zweifellosen Sinn das  a priori  im Prinzip hat. Man sieht auch leicht das Verhältnis von transzendental und  a priori. A priori  sind die subjektiven Tätigkeitsarten, welche notwendig sind, um mich Etwas als eigentlichen Gegenstand, als Ding erkennen zu lassen.  Transzendental  ist die Erkenntnis dieser Tätigkeitsarten. Transzendental sind also streng genommen nicht diese  Tätigkeitsarten selbst,  transzendental sind aber auch nicht die Begriffe von ihnen selber in ihrer objektiven Begriffs form,  sondern nur sofern diese Begriffe jene Tätigkeiten  bezeichnen.  Wenn aber KANT auch äußerst streng darauf hielt, daß ihm diese Erkenntnisse nichts anderes bezeichneten, als jene Tätigkeiten, und mit Nachdruck ihren "transzendentalen Gebrauch" abwehrte, so hat er doch die Unterscheidung der Tätigkeitsarten selbst von der Erkenntnis derselben nicht streng festgehalten. So nennt er das "reine ursprüngliche unwandelbare Bewußtsein" (d. h. das in allem Erkennen bleibende Ichbewußtsein, sofern es sich auf einen Gegenstand bezieht), die "transzendentale Apperzeption". Er müßte seiner Begriffsbestimmung gemäßt  sie  die apriorische Apperzeption, und nur  die Erkenntnis von ihr  "transzendental" nennen. Das hat er wohl für unwesentlich gehalten, indem er gedacht hat, das bleibt sich gleich; man müsse doch verstehen, was er will. Dem ist aber nicht ganz so, und eine Kritik der kantischen Lehre kann erweisen, daß daraus nicht nur mancherlei grobes Mißverständnis seiner Lehre bei andern, sondern auch manche fehlerhafte Folgerung bei ihm selber entsprungen ist. Hier können wir bloß darauf hindeuten.

Demgemäß ist - die angedeutete Vermengung unberücksichtigt gelassen - die bloße aktive Beziehung "Ich - Gegenstand" die reine oder ursprüngliche oder  transzendentale Apperzeption,  das ursprüngliche Selbstbewußtsein. In dieser für alles Erkennen irgendwelcher Gegenstände notwendigen Beziehung bezeichnet das  reine oder logische Ich  gleichsam den Subjektpunkt; und das  transzendentale Objekt  bezeichnet die  Einheit  des Gegenstands. Ich  betone  einstweilen das Wort  Einheit;  später werde ich  beweisen,  daß das transzendentale Objekt nicht bloß die Beziehung auf "Etwas" ist, sondern nur die schon in der Empfindung vorhandene Beziehung auf Etwas, in  Form der Verstandes einheit. Auf diese Einheit muß alles, was eine "Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung" werden soll, durch Urteile des Verstandes bezogen werden. Insofern ist die Beziehung "Ich - Gegenstand" die "transzendentale Einheit des Selbstbewußtseins". Da nun durch eine Beziehung auf den Gegenstand die Prädikate der Urteile auch untereinander verbunden werden, also eine Synthesis untereinander in Bezug auf den Gegenstand bekommen, wie "rauh", "süß", "weiß", "eckig" etc. in Bezug auf den Gegenstand, der nach dieser Beziehung  Zucker  heißt: so ist diese Einheit "Ich - Gegenstand" zuleich eine  synthetische.  Darum ist der Grundsatz der "ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption" der höchste Punkt, an den man allen Verstandesgebrauch anheften muß, ja die dadurch bezeichnete Tätigkeit ("Vermögen") ist der Verstand selbst (Kb 660 Anm.)

Die Entdeckung dieser Tatsache hat KANT selber seine kopernikanische Leistung genannt. Diese wird von vielen seiner Ausleger freilich an ganz anderen Orten gesucht, als gerade in dieser Trennung der empirischen und transzendentalen Bedeutung der Ichvorstellungen und in der darauf ruhenden Unterscheidung der synthetischen Einheit des aktiven Denkens und der empirischen Einheit des Ich als Objekts. KANT hätte freilich besser einen anderen Vergleich gewählt, der ihm selber die entscheidende Bedeutung seiner Entdeckung klarer gemacht und ihn vielleicht vor gewissen falschen Folgerungen bewahrt hätte, jedenfalls aber dem radikalen Mißverständnis vieler seiner Ausleger vorgebeugt haben würde.

KANT ist nämlich, wenn ich es so ausdrücken darf,  der Entdeckter des Grundgesetzes der geistigen Perspektive.  Obgleich es ihm in der Anwendung dieses Gesetzes ging wie KOLUMBUS, der Indien entdeckt zu haben meinte, so ist er immerhin der  Kolumbus der Philosophie,  der das von PROTAGORAS hingeworfene, durch mehr als zweitausend Jahre auf vergeblichen Wegen verfolgte, Problem gelöst hat. Wir brauchen ihn bloß in diesem Kern seiner Lehre zu verstehen, dann werden wir auch bemerken, daß noch ein stiller Ozean zwischen dem wirklichen und dem vermeintlichen Resultat seiner Lehre liegt.

Derjenige, welcher zuerst darauf achtete, daß wir die Körper in Verschiebungen schauen, die sich bei Bewegung der Gegenstände oder des Beobachters ändern und dies zu ergründen suchte, war der  Thales der Perspektive.  Der zuerst klar machte, daß die Stellung des Auges zu den Gegenständen diese Verschiebung bedingt, war der  Protagoras der Perspektive;  derjenige aber, der erkannte, daß Linien, die vom Auge zum Gegenstand gehen, und Linien, die sich auf einen Augenpunkt im Bild des Gegenstandes beziehen, dieses Verhältnis konstruieren lassen müssen, war der  Kant der Perspektive. 

Gesetzt, mein Auge bliebe an einem Ort und ich könnte von einem Körper nur die Entfernungen eines jeden seiner sichtbaren Punkte vom Auge, ferner nur die geraden Linien im Bild desselben messen, aber an ihn selber durchaus kein Maß anlegen, so könnte ich die mir bekannten Elemente als die Bedingungen erkennen, unter denen mir das Bild des Körpers so und nicht anders erscheint.

Nun bin ich bei der Untersuchung der Erkenntnis von Gegenständen einerseits im Nachteil, andererseits im Vorteil gegen den Darsteller körperlicher Gebilde. Jener Beschauer des Körpers ist nicht an einen Punkt gebannt. Er kann sich bewegen, und den Körper, an den er nicht gelangt, von verschiedenen Standpunkten aufnehmen, und aus der Vergleichung dessen wahre Größe und Gestalt konstruieren. Beim Erkennen aber bleibe ich dem Erkannten gegenüber stets erkennendes Subjekt, kann also nicht tatsächlich aus mir heraustreten und einen neuen Standpunkt einnehmen, deren Ergebnis ist mit dem vorigen zusammenstellen kann.

Dagegen könnte das Auge, wenn es ebenso auf einen Punkt gebannt wäre, wie der Geist allen Objekten gegenüber, nicht, wir wir oben des Vergleichs wegen annahmen, seine Beziehungen zu irgendeinem Gegenstand, die Entfernung zwischen ihm und dem Auge ermessen. Unser Erkennen aber ist unser Bewußtsein selber in uns; wollen wir also die Erkenntnisbeziehungen zu den Gegenständen unserer Erfahrung finden, so können wir diese nur im Erkennen dieser Gegenstände selber erkennen.

Die Naturerkenntnis, die Mathematik, die Metaphysik sind vorhanden, mit dem Anspruch der Wissenschaft vorhanden. Deren Gegenstände existieren  in mir  ganz unzweifelhaft, und obgleich ich gar nicht erfahren könnte, was sie außerhalb meines Erkennens bedeuten, so habe ich sie doch in mir. Aber es ist ein Unterschied. Die Gegenstände der beiden ersteren sind greifbar vor mir und haben innerhalb des Erkennens einen strengen Zusammenhang. Das kann von der Metaphysik nicht gesagt werden. Wir müssen darum versuchen, vor allem die Bedingungen festzustellen, die diesen strengen Zusammenhang und die relative Gleichmäßigkeit im Erkennen der Natur von Seiten unseres Geistes bedingen. Dann können wir, sobald wir an ihnen den Grund gefunden haben, nach dem wir in ihnen einen strengen Zusammenhang nach unverbrüchlichen Gesetzen denken müssen, nach dem wir also die Erkenntnisbedingungen unseres Geistes in Bezug auf  Gegenstände überhaupt  entdeckt haben, vielleicht auch die Bedingungen finden, nach denen die unfaßbaren Gedankendinge der Metaphysik gesetzmäßig erfaßt werden können.

Diese Bedingungen, im Verhältnis des Geistes zu den wirklich in der Erfahrung in Zusammenhang stehenden Gegenständen gefunden, nennt KANT "die Bedingungen der möglichen Erfahrung". Indem er also rückwärts konstruierend zeigt, daß diese zu der Erfahrung, die wir tatsächlich haben, notwendig sind, glaubt er seine Aufgabe gelöst zu haben.

Diese Rückkonstruktion ist kein Zirkel, ebensowenig wie wenn man mit zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel, die man als zur Konstruktion des Dreiecks notwendig abgelöst hat, nun diese Konstruktion ausführt und damit die Rechtmäßigkeit seiner Behauptung dokumentiert. Ob KANT dabei nicht eine später zu berührende Lücke gelassen hat, ob er damit, daß er bewiesen hat, daß Raum, Zeit und Kategorien für die Erfahrung  a priori  notwendige Konstruktionsmittel sind, auch, wie  er  überzeugt ist, bewiesen hat, daß sie im Geist ihren  Ursprung  haben, das ist eine andere Frage. Bewiesen hat er zwar, daß sie die Erfahrung erst zu dem gesetzlichen Zusammenhang machen, den wir  Erfahrung  und deren Gegenstand wir  Natur  nennen, daß sie also apriorische Bedingungen der Erfahrung sind; aber er hat nicht bewiesen und konnte nicht beweisen, daß sie  allein genügen,  den Empfindungen diesen gesetzlichen Zusammenhang zu geben.

Nichtsdestoweniger bleibt die bloße Entdeckung der transzendentalen Einheit der Apperzeption als der subjektiven Grundbedingung der Erkenntnis eine dauernde Errungenschaft für die Philosophie, und die Unterscheidung des transzendentalen Gesichtspunktes vom bloß objektiven die größte Leistung, die diese Wissenschaft bis jetzt aufzuweisen hat; indem dadurch alle möglichen dialektischen Erschleichungen, die die Philosophie vor KANT auf Abwege führten, und die wegen des fundamentalen Nichtverstehens seiner Lehre durch die Nachfolger auch nach ihm verwirrend wirkten, bei allgemeinerer klarer Erkenntnis jener Lehre gänzlich unmöglich werden.

Es ist aber gut, wenn man sich eine Erkenntnis, wenn es auch nur symbolisch möglich ist, anschaulich zu machen sucht. Die beiden nachstehenden Figuren drücken im räumlichen Symbol den Gegensatz der transzendentalen und der gewöhnlichen Anschauung aus.

Figur 1 Figur 2
Interobjektive Betrachtung Transzendentale Betrachtung
JSJS

Erklärung: JS = stehendes und bleibendes Ichsubjekt.  tJ  = transzendentaler Begriff von diesem.  oo  = Objekte (Dinge).  JO  = Ichobjekt im eigentlichen Sinn.  ee  = Einheiten der empirischen Gegenstände, hergestellt durch eine Beziehung auf das transzendentale Objekt.  x  = das durch Empfindung, Raum, Zeit und Einheitsbegriff bezeichnete Etwas, das die Empfindung gibt.

In transzendentaler wie in interobjektiver Betrachtung bleibt das Ich als stehendes und bleibendes Subjekt (JS). Aber in der interobjektiven Betrachtung stellt es die Objekte selber durch seine Beziehungen vor. Diese Beziehungen als solche bemerkt es in der Regel gar nicht, und wenn es sie bemerkt, so objektiviert es sie sofort als Prädikate eines Ichobjekts (JO), das aber dann in gleicher Linie mit anderen Objekten steht.

In der transzendentalen Betrachtung dagegen sind nicht die Objekte, sondern die Beziehungen des Ich zu Objekten (tJ-o-e-x) Gegenstand meiner Aufmerksamkeit. Die Objekte selber sind es nur, sofern sie in dieser Beziehung stehen und durch diese Beziehung in ihrer objektiven Form bedingt sind. Auch das Ichobjekt in seiner objektiven Form steht unter gleichen transzendentalen Bedingungen, wie alle anderen Objekte. Seine Stellung in der Reihe der übrigen Objekte ist keinesfalls prinzipiell feststehend.

Der Ausdruck "interobjektive Betrachtung" bedarf jedoch einer Rechtfertigung. KANT scheidet transzendental und empirisch. Das ist jedoch kein reiner Gegensatz, denn neben der empirischen gibt es noch eine vorgeblich rationale Betrachtung der Dinge. Wir möchten aber den Gegensatz der beiden Betrachtungsweise bezeichnet haben, deren eine die transzendentale Beziehung zu  Objekten  überhaupt, deren andere die gegenseitigen Beziehungen der als Objekte geschaten Dinge (seien diese nun wirkliche empirische oder vorgeblich rationale Dinge), darstellt. Weil nun die Bezeichnung "objektive Betrachtungsweise" einen Mißverstand ermöglichte, indem ja auch die transzendentale Erkenntnis sich gewissermaßen objektiv darstellt, so wählen wir die Bezeichnung  "interobjektive Betrachtungsweise";  da diese Bezeichnung verstehen läßt, daß wir die Gegenstände in ihr bloß untereinander als Objekte vergleichen, und auch den Bestimmungen des Subjekts in ihr objektive Bedeutung beilegen, das empirische Ich also auch interobjektiv, d. h. in seiner Beziehung zu den anderen neben ihm geordneten Objekten betrachten. Ich bemerke nur noch ausdrücklich, daß ich das  x,  worauf sich in der transzendentalen Betrachtung meine Objekte beziehen müssen, dessen Beziehung der Verstand in dem transzendentalen Einheitsbegriff  e  zusammenfaßt, zwar hinter diese Objekte zeichnen mußte; daß ich aber damit  nicht  ausdrücken will, daß es im kantischen System  räumlich hinter,  oder daß das stehende und bleibende aktive Subjekt  räumlich vor  diesen Subjekten stände; und ebensowenig, daß das  x  eine Vielheit von Dingen-ansich bezeichnete.

Derjenige, welcher das hier Gesagte begreift und sich bei einem nachdenklichen Studium KANTs überzeugen muß, daß es der Grundlehre KANTs entspricht, wird sich sorgsam vor der Behauptung hüten, daß KANT  transzendental  und  transzendent  verwechselt hat. Es wird ihm dann auch mit einem Mal ein Licht über die Verschiedenartigkeit der Auffassungen KANTs bei dessen Auslegern aufgehen. Indem diese die interobjektive und die transzendentale Betrachtungsweise nicht scharf trennten, war natürlich des Widerspruchs kein Ende, den man KANT zur Last legen konnte, bis ihn dann ein so entschlossener Denker wie BOLLIGER einfach zu den Toten wirft.

Verfolgen wir nun KANTs Lehre weiter mit besonderer Betonung der Lehre vom Ding-ansich, und geben wir vorläufig eine kurze Übersicht über den Grund, auf dem diese Lehre erbaut ist und den Hauptgedanken derselben, um diesen dann im weiteren einzeln auszuwickeln und zu erweisen.


3. Die Beziehung des Ich auf
das Ding ansich.

Alles, was ich weiß, ist eine Beziehung meines Bewußtseins auf Etwas. Diese Beziehung hat aber zwei Seiten, den bezogenen Inhalt, und das Beziehen desselben auf Etwas. Alles, was  in  der aktiven Beziehung ist, kann auch Gegenstand  der  aktiven Beziehung werden. Es ist nun eine zwar unerklärbare, aber doch bei einigem Nachdenken einleuchtende Tatsache, daß all das, was momentan im Bewußtsein ist, eben darum, weil es bewußt ist, bloß zur Aktion und nicht zu dem Etwas, worauf diese bezieht, gehören kann, daß dieses immer nur durch die Bewußtseinsbeziehung  bezeichnet  wird, aber nicht selber in ihr enthalten sein kann.
    "Alle Vorstellungen haben als Vorstellungen ihren Gegenstand und können selbst wieder Gegenstände anderer Vorstellungen sein." (Kb 122)
Diese Wort KANTs bezeichnet obige Gedanken auf das Deutlichste. Alle Vorstellungen haben, d. h. alles Vorstellen hat seinen Gegenstand, und der Inhalt dieses jetzigen Vorstellens kann wieder Gegenstand eines neuen Vorstellens werden. Dann aber ist es selber nicht mehr im aktiven Vorstellen, sondern dieses bezieht sich nur auf jenen Inhalt. Das, worauf sich das aktive Bewußtsein bezieht, wird nur  durch diese Beziehung  vorgestellt und zwar als Etwas, das nicht  als solches  gegenständlich in ihr enthalten ist. Nun scheint es zwar, als sei das Grün, das ich mir z. B. eben vorstelle, im Bewußtsein  als Gegenstand,  und dennoch im aktiven Bewußtsein. Das ist aber eine Täuschung. Das Grün, welches eben gegenwärtig ist, ist nicht als solches Gegenstand, sondern selber Etwas, das mir einen Gegenstand bezeichnet; wenngleich ich es  mitsamt dieser Beziehung  auch selber Gegenstand nennen kann. Ich kann nicht "grün" als solches, sondern nur die Beziehung des "grün" auf Etwas, was durch das "grün" vorgestellt wird, erkennen. Wir sagen zwar: Das Ding  ist  grün. Wir könnten dieses Urteil aber gar nicht aussprechen, wenn "grün" selber  Gegenstand  im Bewußtsein wäre. Denn dann wäre es gar nicht als Prädikat von dem, was durch dasselbe bezeichnet wird, abzuscheiden. Sobald ich mir "grün" als bloße Eigenschaft zum Gegenstand mache, habe ich, wie sich jeder überzeugen kann, nicht mehr "grün" im Bewußtsein, sondern nur einen Begriff  von  ihm; und sobald ich mir diesen Begriff sinnlich machen will, sobald ich sehen will, was er bedeutet, muß ich eine Anschauung von "grün" reproduzieren, die mir aber dann sofort als Beziehung auf Etwas objektiv wird, nie als "Grün ansich". Sie wird immer, wenn auch noch so unbestimmt, ein Etwas im Raum vorstellen.

Diese Sätze liegen, wie aus den folgenden Kapiteln noch besser einleuchten wird, streng in der Konsequenz der kantischen Grundgedanken. Er hat sie freilich nicht überall deutlich hervorgehoben, da er die aktive Beziehung des Bewußtseins mit ihrem Inhalt und die transzendentalen Erkenntnisse, die sie bloß bezeichnen, nicht genau trennt; obwohl die häufig wiederkehrenden Ausdrücke "Beziehung", "Handlung des Bewußtseins" sie an die Hand geben.

Bei der transzendentalen Erkenntnis allein scheint eine Ausnahme vom Obigen stattzufinden. Diese bezeichnet doch das, was im aktiven Bewußtsein ist, also stellt es diesen Inhalt objektiv dar. Damit scheint es, als ob das  Dargestellte  doch dasselbe ist, als das, was darstellt, also als ob nicht bloße die Beziehung auf Etwas, sondern das bezogene Etwas  als solches  im aktiven Bewußtsein vorhanden wäre. Aber die Ausnahme ist nur scheinbar. Mein gegenwärtiges aktives Bewußtsein bezieht sich durch seinen gegenwärtigen Inhalt auf diejenigen seiner aktiven Tätigkeiten, die zu allem Erkennen von Objekten erforderlich sind. Diese aktiven Tätigkeiten sind aber doch gar nicht so isoliert und abstrahiert im aktiven Bewußtsein. Die Begriffe also,  durch  die sich das aktive Bewußtsein auf Etwas bezieht, was als in ihm selber befindlich vorgestellt wird, sind doch, wie ich *oben zeigte, nicht das Etwas, das sie bedeuten sollen; das, worauf sie gehen, ist gleichsam vom Subjekt losgelöst, und wenn es sich auch auf die Tätigkeitsart selber bezieht, so kann es doch diese selber nicht erfassen, und auf die Objektseite werfen; dieselbe bleibt vielmehr immer als subjektive Tätigkeit zurück. Nur dann aber, wenn ich jenes vermöchte, wenn ich durch die Beziehung der subjektiven Tätigkeit auf Etwas diese selber als Objekt ergreifen würde, wäre das,  worauf  sich das aktive Begreifen bezieht, auch als solches in ihm  Objekt.  Das ist aber, wie einleuchtet, unmöglich.

Also gilt auch für das Begreifen der aktiven Tätigkeiten, für die transzendentale Erkenntnis der Satz, daß das, worauf sie sich beziehen, nie als bezeichnetes Objekt in diese Beziehung hereingelangen kann, daß also das bezeichnende Objekt selber nur aus einem Begriff besteht, durch welchen das aktive Bewußtsein Etwas vorstellt, was als solches gar nicht Objekt werden kann.

Nach diesen Vorbemerkungen wird der Gesichtspunkt, unter dem KANT die Erscheinungen vom Ding-ansich unterscheidet, und von diesem als einem  ansich  außerhalb der transzendentalen Beziehung Befindlichen ablöst, leicht verständlich.

Nehmen wir irgendeinen Gegenstand, einen Baum, so müssen wir transzendental behaupten, daß er selber nur eine Beziehung in unserem Bewußtsein ist, weil wir sonst nichts von ihm erkennen könnten. Es ist auch ebenso klar, daß nicht etwas von  diesem  Baum außerhalb von uns, etwas in uns sein kann; denn von dem, was nicht in uns vorgestellt wird, können wir nichts wissen. Darauf ruht KANTs Behauptung zunächst, daß alles nur in der Wahrnehmung und auf keine andere  Weise  wirklich sein kann. Man versuche nur, was man von einem Gegenstand sinnlich erkennt, wegzutun; man nehme einem Baum in Gedanken alle Vorstellungen von ihm, alles, was von ihm in uns ist und es bleibt nichts übrig, ihn dadurch vorzustellen; nur der Gedanke bleibt, daß ich den Baum nunmehr erkennen möchte. Aber was habe ich noch von ihm? Nur die bloße Tendenz, etwas erkennen zu wollen, aber da nichts mehr da ist, wodurch ich erkennen könnte, so ist dies ein bloßes  X,  eine Frage ohne Antwort. Nicht einmal Existenz als Baum kann ich mehr behaupten, und da ich den Raum, in dem er sich befand, mit hinwegdachte, so fehlt mir sogar jedes Mittel zu bestimmen, ob er in mir oder außer mir ist. Das ist der einfache Gedanke, der den im Sinn des Skeptizismus und Phänomenalismus gedeuteten Sätze zugrunde liegt. Das gewöhnliche Bewußtsein löst freilich die Vorstellungen vom Baum gleichsam von der Seele ab, und sie scheinen draußen zu schweben, aber der nüchternsten Betrachtung leuchtet doch ein, daß sie in mir schweben, denn ich stelle sie, oder vielmehr durch sie Etwas vor. Auch kein Titelchen ist an dieser Vorstellung, das unabhängig von mir einem Ding als solchem zukäme. Erscheinungen sind in dieser Hinsicht ein bloßes Spiel unserer Vorstellungen. Das, was ich wahrnehme, ist als Wahrnehmung  lediglich  in mir; wäre es außer mir, so wäre es nicht Wahrnehmung.

So sind die exklusiv subjektiven Stellen, auf ihre wahre Bedeutung gebracht, ganz unbestreitbar richtig. Es ist damit nicht das geringste, auch  nicht negativ,  über transsubjektive Dinge ausgesagt. Oder sollen solche Dinge auch meine Vorstellungen sein? Dann erst würde ich in einem richtigen höheren Idealismus feststecken. Wenn ich weiß, daß dieses "Grün" von mir vorgestellt ist, daß Raum und Zeit von mir vorgestellt sind, daß ich in ihnen die von mir vorgestellten Dinge sehe, sind nun  diese Vorstellungen  auf einmal außerhalb von mir da? Und wie will ich dahinter kommen, daß diese Vorstellungen auch zugleich Nichtvorstellungen sind, daß sie Dingen ankleben, die nicht im Vorstellen sind? Und wenn sie es wären, wie könnten sie als solche zugleich meine Vorstellungen sein. Wenn ich also sage, daß meine Vorstellungen in mir sind, so sage ich damit ohne weiteres aus, daß sie nicht außer mir sind; und was bedeutet "außer mir"? Außerhalb des Raums, durch den ich vorstelle? Das kann niemand verstehen, auch wenn man es ihm sagen könnte. Will man hier nicht mit metaphysischen Skrupeln den einfachen Sinn verwirren und behaupten, daß man doch durch die Vorstellungen etwas außerhalb von uns zu erkennen meint. Das wird ja gar nicht bestritten. Zunächst aber muß der Sinnenschein, der  unsere Vorstellungen selber  außerhalb von uns setzt, vor dem geistigen Auge zerbrochen sein, und dieses muß sehen, daß es bin in den tiefsten Grund der Dinge nie etwas anderes als Erscheinungen, d. h. bloße Vorstellungen trifft.

Daß  durch  diese Erscheinungen unser Erkennen sich auf etwas bezieht, was nicht selber Erscheinung ist, das ist ja KANTs "beständige Lehre", aber darum ist doch  die Erscheinung = meine Vorstellung  und nicht jenes Etwas. Das letztere rückt nicht etwa in mich herein und wird nicht selber Vorstellung. Hier darf man nicht mit dem allzu naheliegenden empirischen Gegenargument kommen, daß ich dann niemals neue Körper entdecken könnte, da diese doch vor meiner Erkenntnis außerhalb meiner Vorstellung liegen und dann in dieselbe gelangen. In der interobjektiv-empirischen Betrachtung ist letztere Behauptung wahr, aber auch nur in ihr. Denn wenn ich von Objekten untereinander rede, so können mir viele neue vorkommen; aber wenn ich von der bloßen Beziehung auf Objekte rede, so kann nichts, was seiner Natur nach außerhalb dieser Beziehung steht -, und das ist jenes Etwas ansich - in dieselbe hereingelangen. "Außer uns" in einem  transzendentalen  Sinn heißt  außerhalb  der Erkenntnis  beziehung  "Ich - Gegenstand". Da kann ja mancherlei "sein", denn es läßt sich nicht behaupten, daß alles, was "ist", erkannt werden kann. Es kann Wesen geben, die vierdimensional anschauen; wer will das widerlegen? Die Torheit der Spiritisten liegt nicht in der Behauptung der Möglichkeit, daß es dergleichen gibt, sondern in der Behauptung, daß wir etwas von solchen erfahren, daß solche in unsere Beziehung zu Etwas treten könnten, da sie doch außerhalb aller Erkenntnisbeziehung zu uns liegen.

Wenn also immer dasjenige, worauf sich die Erkenntnis als auf das Objekt bezieht, nie das Objekt im aktiven Bewußtsein  ist,  sondern immer nur durch die objektive Vorstellung bezeichnet wird, wenn also selbstverständlich ein Gegenstand, den wir als ein außer uns und unabhängig von uns befindliches Ding vorstellen, nie selber in das Bewußtsein hereingelangen kann, so stellt sich die Frage ein, wie wir dazu kommen können, auf Etwas, was in jeder Hinsicht "außer uns" ist, zu beziehen.

Diese Frage löst sich einfach durch die im folgenden Kapitel näher auszuführende Tatsache, daß die Empfindung uns  gegeben  ist. Wäre das, was die Empfindung gibt,  auch  in der  aktiven  Erkenntnisbeziehung enthalten, so müßte es darin als das die Empfindung Gebende bewußt sein, denn die aktive Beziehung ist Bewußtsein. Dann hätte die Erkenntnis die Empfindungsinhalt selber gemacht und sollten sie doch eine  objektive Bedeutung  haben, so müßten sie eben damit, daß sie gedacht sind, auch als Objekte hervorgebracht sein. Es wäre dazu aber eine intellektuelle Anschauung erforderlich, die wir Menschen nicht haben und nur dem "Urwesen" zuschreiben können. Daß wir aber unsere Empfindungen als gegebene wissen, ist der unbestreitbarste Satz der Erkenntnislehre. Wer das leugnen wollte, müßte bestimmt behaupten können, daß die Empfindung nicht einem Zwang auf das Bewußtsein, sondern dessen eigener Tätigkeit ihr Dasein verdankt. Das aber kann kein Mensch. Wir wissen, daß wir nur  Gegebenes  auf Gegenstände "außer uns" beziehen können. Wer sie aber gibt, das wissen wir nicht. Wir wissen nicht einmal, was das Ding-ansich ist. Ob es ein Ding, ähnlich unseren Vorstellungsdingen ist, ob es ein einziges Ding ist, ob mehrere, vielleicht so viele sind, wie wir Vorstellungsdinge erkennen, ob diese auch in kausaler Beziehung zueinander stehen: von all dem wissen wir nach KANTs Lehre gar nichts.

Aber KANT spricht doch vom  Ding  ansich, von "Dinge ansich", läßt sie existieren, Ursache sein?

Ding  ist in dieser Beziehung nur ein allgemeiner für uns in verständlicher Form ausgedrückter Name für "Etwas".
    "Wie dieses unbestimmt Gedachte genannt wird, - ob Ding-ansich, oder Dinge-ansich, ob das Intelligible oer das Absolute - tut nichts zur Sache." (ARNOLDT, Kants Prolegomena etc., Seite 46)
Daß "Etwas"  existiert,  das ist zweifellos, In der transzendentalen Einheit der Apperzeption weiß ich ja auch,  daß  Ich existiere. Es ist aber ein Unterschied, ob ich weiß,  daß  ich existiere, oder ob ich weiß, als was ich existiere. Und wenn KANT sagt, im  bloßen  Begriff von Etwas sei die Existenz nicht enthalten, so muß man das Wörtchen "bloß" in Acht nehmen. Denn dadurch, daß ich "bloß" denke, daß etwas ist, oder Ich bin, kann ich noch gar nicht sagen, ob das "Etwas" oder "Ich" auch  "ist".  Ich sage beides aber aufgrund von tatsächlichen Beziehungen. Weil ich einen Empfindungsinhalt auf Etwas beziehen muß, kann ich sagen, dieses Etwas "ist"; weil ich aus der tatsächlichen Denkbeziehung den Ichbegriff analytisch entwickle (Kb 660), kann ich sagen, Ich "bin". Diese tatsächlichen Beziehungen, nicht "bloße" Gedanken machen mich der Existenz gewiß. Das Etwas ist Ursache! Habe ich damit aber gesagt, daß aus einem  bestimmten  Etwas diese  bestimmte  Empfindung notwendig erfolgen muß, wie der Knall auf das Losdrücken des Gewehres? Dann müßte ich ja dieses "Etwas" selber als Vorstellung in mir haben. Nur dann aber hätte ich die kantische  Kategorie  der Ursache angewendet, welche  Ereignisse  mit  Ereignissen  verknüpft. An jenes "Etwas" aber, das Ursache sein soll, kann ich gar nicht herangelangen, da es außerhalb meines Erkennens ist, da dieses sich nur darauf als auf Etwas  bezieht,  es aber nicht in sich hereinziehen kann. Das Wort  Ursache  ist also hier, wie auch KANT selber betont,  in ganz anderer Bedeutung  zu nehmen (Prol. § 53). Es bedeutet nicht die  empirisch bestimmte  Ursache, die ja schon selber vorgestellt ist, sondern "Etwas", das zwar Ursache der Empfindung ist, von dem als solchem ich aber gar nicht ausgehen kann, um aus ihm seine Wirkung zu bestimmen.

Umgekehrt scheint aber bei KANT all das, was das Objekt zum Objekt macht, in mir zu liegen. Der Gegenstand in der Erscheinung ist Substanz. Substanz aber ist nicht Etwas ansich, sondern das Beharrliche in der Wahrnehmung. Das Reale, das der Empfindung korrespondiert, soll im Raum sein. Das an der Erscheinung, was die Bedingung der notwendigen Regel der Apprehension enthält, ist das Objekt. Danach sehen wir plötzlich ein ganz anderes Objekt vor uns, als den  transzendentalen  Gegenstand, der jenes Etwas bezeichnet. Auf den transzendentalen Gegenstand müssen wir unsere Vorstellungen  beziehen,  denn er drückt die Tatsache aus, daß uns die Empfindungen gegeben sind. Das,  worauf  wir beziehen, ist somit  nicht  selber  in unserem Erkennen,  es kann also auch nicht in diesem angeschaut und räumlich-zeitlich bestimmt werden. Der Gegenstand aber, den wir als Realität, Substanz etc. bestimmen, muß  in unserer Erkenntnis  sein, kann als solcher also wiederum nicht das bloße Etwas sein, worauf wir diese Erkenntnis beziehen. Ein empirisches Bild, aus dem freilich nicht weitere Konsequenzen gezogen werden dürfen, mag diese Tatsache versinnlichen, und zugleich den fundamentalen Unterschied zwischen interobjektiv-empirischer und transzendentaler Betrachtung nochmals verständlich machen helfen. Man denke sich das Bild der Sonne in einem Wasserspiegel. Angenommen, ich wüßte von der wirklichen Sonne gar nichts, sondern wüßte bloß, daß die Wasserfläche von Eindrücken getroffen wird, die mir das Bild einer Sonne im Wasser geben. Wie würde ich nun denken müssen, vorausgesetzt immer, daß ich von der Sonne am Himmel nichts weiß? Das Bild im Wasser ist einerseits nicht selber Gegenstand im Wasser; es stammt von etwas anderem, von dem wir keine Ahnung haben, wie es ist; aber  der Form nach  ist es doch auch im Wasser Gegenstand und kann als solcher betrachtet werden. Ich habe also auch hier scheinbar eine doppelte gegenständliche Betrachtung, die des Sonnenbildes im Wasser als eines in sich geschlossenen Gegenstandes, und seine Beziehung auf etwas Unbekanntes. Der große prinzipielle und durch keine Analogie einleuchtend zu machende Unterschied zwischen unserem Vergleich und dem, was er anschaulich machen soll, liegt nun freilich darin, daß aus dem Bild der Sonne im Verhältnis zu umgebenden Gegenständen auf Art und Ort des Unbekannten, das uns das Bild vermittelt, geschlossen werden kann, denn das, was das Bild verursacht, kann selber vorgestellt und muß daher in der  Kette der  - empirischen, d. h. der ein Etwas bezeichnenden -  Objekte selber  gesucht werden, wie LEVERRIER aus dem Bild der Störungen des Uranus den Neptun erschlossen hat. Das Ding-ansich, das Etwas, was Ursache meiner Empfindung ist, das Ding unangesehen der Vorstellung kann aber  nie  selber Empfindung oder Vorstellung werden, kann also auch  nicht  in der Kette der empirischen Objekte gesucht und gefunden werden. Da tritt eben der fundamentale Unterschied zwischen interobjektiver und transzendentaler Betrachtung hervor. Nur insofern kann und soll jenes empirische Bild auch die transzendentale Auffassung erläutern, als es nahelegt, wie zwei verschiedene Gegenstandsbegriffe nötig sind, je nachdem ich an die Beziehung des Daseins meiner Vorstellungen auf ein Etwas,  außerhalb meines Bewußtseins,  das sie gibt, oder an die Beziehung der Vorstellungen untereinander zu einem einheitlichen Bild  im  Bewußtsein, - das aber selbst nur darum Objekt ist, weil es jenes Etwas bezeichnet, - denke. In letzterer Beziehung ist das an der Erscheinung, was die Bedingung der notwendigen Regel der Apprehension [Zusammenfassung - wp] enthält, selber das Objekt, d. h. das,  wodurch  jenes Etwas objektiv vorgestellt wird. In derselben Beziehung ist auch der Satz richtig: Einen Gegenstand  geben,  d. h.  unmittelbar  in der Anschauung' darstellen, ist nichts anderes, als dessen Vorstellung auf Erfahrung beziehen. Wenn man hier freilich glaubt, daß das,  was  der transzendentale Gegenstand bezeichnet,  in  die Anschauung selbst hereingezogen wird, so kommt man aus der Verwirrung ebensowenig heraus, als wenn man behaupten wollte, die wahre Sonne muß unter dem Wasserspiegel in oder hinter dem Sonnenbild stecken und man könnte soch, da man den Boden des Wasserbeckens ermessen kann, weder einsehen, wo sich da die wirkliche Sonne befinden soll, noch wie eine Wahrnehmung von ihr durch den Boden hindurch möglich ist. Ganz analog aber sind die Einwürfe des von KANT bekämpften Idealismus, der erst die Vorstellungen zu wirklichen von uns unabhängigen Dingen macht und nun nicht mehr begreifen kann, wie sie unsere Vorstellungen werden können.

Also der Gegenstand  in  der Erscheinung ist nur eine zusammenfassende  Beziehung  der Vorstellungen untereinander  auf "Etwas".  Erst durch diese Beziehung werden auch die zusammengefaßten Vorstellungen jenes Objekt scheinbar selber; in der Tat bleiben sie Vorstellungen, durch deren Einheit ich jenes Etwas bezeichne. Daß diese Beziehung stattfinden kann, dazu wird der Begrif von einem transzendentalen Gegenstand gefordert.  In  der Erscheinung steckt nur  Beziehung  auf das unbekannte Etwas, aber  nicht dieses Etwas selber.  Erscheinung hat ja jederzeit zwei Seiten; eine, wonach ich an das Objekt ansich denke, auf das ich mich  durch  die Erscheinung beziehe, die andere, wonach ich die Erscheinung  dieses  Gegenstandes ihrer Form nach betrachte. (vgl. KB 64)

Wenn man die "Idee im Ganzen" gefaßt hat, wird man nun nicht mehr erstaunen, wenn ich folgende scheinbar sich widersprechende Sätze nebeneinanderstelle und behaupte, daß dieselben, sobald man die empirische und transzendentale Bedeutung der darin enthaltenen Begriffe auseinanderhält, völlig richtig sind: Trotzdem daß  in  der Erscheinung das Ding-ansich nicht steckt, trotzdem es auch nicht räumlich  hinter  derselben aufgefunden wird, steckt es dennoch  in  und  hinter  jeder Erscheinung als bloße Beziehung derselben. Trotzdem daß jede Erscheinung sich notwendig auf Etwas bezieht, durch das ihr Empfindungsinhalt gegeben ist, so ist in der Erscheinung auch nicht die geringste Spur von Etwas anzutreffen, was nicht selbst Erscheinung wäre. Der erste dieser Sätze drückt weiter nichts aus, als daß der Empfindungsinhalt gegeben und nicht vom Bewußtsein gemacht ist, der zweite Satz aber sagt ganz tautologisch aus, daß, was nicht in meinem Bewußtsein sein kann, auch nicht von mir gewußt werden kann. - Und KUNO FISCHER wird es hoffentlich nicht schelten, wenn ich nunmehr beide entgegengesetzt scheinende Sätze gleichsam zusammenfassend sage: Das Etwas, was mir die Empfindung gibt, ist gar nichts anderes als das von mir angeschaute Ding selbst. Denn das von mir angeschaute Ding  bezeichnet  ja selber das durch Erscheinung vorgestellte Etwas, und auf was für ein anderes Etwas denn, als das Etwas, das mir den Stoff zur Bildung der Vorstellung von diesem Etwas gegeben hat, soll sie bezogen werden? Daß ich damit nichts davon weiß, wie das  Etwas  abgesehen von dieser meiner Vorstellung aussieht, ändert dabei gar nichts. Die körperliche Vorstellung  bezeichnet  mir immerhin ein Etwas.

Körper  bedeutet  also, um den dem vorigen Kapitel vorgestellten Satz der Prolegomena schließlich zu erklären, nicht bloß die äußere Anschauung, sondern auch das "Ding-ansich". Es  bedeutet  es,  ist  es aber nicht. Nehme ich nun diese Vorstellung, durch die ich das Etwas bezeichne, weg! Ist der Gegenstand jetzt selber diese Vorstellung? Oder habe ich jetzt noch eine Vorstellung von dem, was der Gegenstand ist? Nicht im mindesten mehr! Eine Vorstellung von diesem Gegenstand habe ich nur durch die Körper-Vorstellung, die ich auf "Etwas" beziehe. Körper sind aber meine Vorstellungen, durch die ich dieses Etwas vorstelle; also können "Körper als Erscheinungen des äußeren Sinnes", d. h. als Körpervorstellungen nicht außerhalb meiner Gedanken als Körper existieren; und ebensowenig kann jenes Etwas, das diesen Erscheinungen zugrunde liegt, in mich hineinschlüpfen und in mir zur Vorstellung werden.

Unser Erkennen drückt nur unsere Verhältnisse zu jenem Etwas aus. (Kb 72) Das hat KANT entschieden betont. Daß nun daraus folgt, daß wir das "Ding-ansich" nicht in uns erfassen können, daß also das "Innere" der Dinge uns gänzlich unerforschlich bleibt, ist, wie ich denke, unwiderlegbar. Die Frage aber, ob unser Erkennen, da es doch Verhältnisse zu jenem Etwas enthält, nicht vielleicht Mittel besitzt, die  Verhältnisse  von Dingen ansich  untereinander  nach Analogie ihres Verhältnisses zu uns zu bestimmen, diese Frage hat KANT nicht, als von obiger unterschieden, untersucht. Er verneint sie vielmehr geradezu mit jener ersten.
    "Der Raum stellt gar keine Eigenschaft einiger Dinge ansich oder sie in ihrem Verhältnis zueinander vor" (Kb 54).
Nicht einmal die Vielheit der Dinge ansich ist nach ihm durch die Vielheit der Erscheinungsdinge bezeichnet. Wir wissen vom Ding-ansich gar nichts, als daß es uns Empfindungen gibt, ohne daß wir angeben können, wie dies möglich ist. (Kb 829) Die  Existenz  von "Etwas ansich" dagegen steht mauerfest bei KANT und ist auch nicht in irgendwelche Bewußtseinsfaktoren oder Ideen zu verflüchtigen. Das wird sich in folgendem auf das Evidenteste aus KANT erweisen. Nach ihm aber ist diese Beziehung des Bewußtseins auf Etwas in dreifacher Art gegeben. Das Bewußtsein von Etwas ist unbestimmt in der gegebenen Empfindung, angeschaut im Raum, zusammengefaßt und bestimmt in der Form des Einheitsbegriffs durch den Verstand. Diese  Beziehung  ist so erstens:  durch Empfindung gegeben. 
LITERATUR - Franz Staudinger, Noumena,Darmstadt 1884
    Anmerkungen
    1) Kritik der reinen Vernunft (Ausgabe KEHRBACH = Kb.)
    2) Prolegomena, 1. Auflage (= Prol). Die übrigen Werke (W) von KANT werden nach Band und Seitenzahl der Ausgabe von ROSENKRANZ und SCHUBERT angeführt.