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WILHELM SCHUPPE
Das Gegebene
und seine Bestandteile


"Wenn ich die Elemente des Gegebenen Erscheinungselemente, ein Gegebenes Erscheinung nenne, so ist Erscheinung nicht im Gegensatz zum wirklichen Gegebenen, sondern eben im Sinn desselben gemeint, in welchem das Wort sehr oft gebraucht wird. Beim Wort  Gegebenes denken sehr viele immer schon an Dinge mit Eigenschaften; soll  bloß das Sinnfällige im Gegensatz zum Dingcharakter, der erst erklärt werden soll, gemeint sein, so ist das Wort  Erscheinung unentbehrlich." "Die Apriorität von Raum und Zeit ist durch die Bestimmung: Elemente des Gegebenen oder Erscheinungselemente ausgeschlossen: sowie auch der Einfall, daß sie zugleich subjektiv und objektiv sein könnten. Der eine durch unsere Sinnesempfindungen gesetzte Raum gestattet keine Verdoppelung, und wenn dieser nur subjektiv sein sollte, so könnte der objektive, wenn er eben nicht mit ihm zusammenfallen soll, nur das bekannte Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt, sein."

"Raum und Zeit bzw. die räumliche und zeitliche Bestimmtheit lernen wir überhaupt erst als Bestandteil des Gegebenen kennen, und das Etwas, welches Träger der logischen Beziehungen ist, könnte überhaupt niemals ein wirkliches Objekt des Bewußtseins werden, wenn es nicht schon mit räumlicher und zeitlicher Bestimmtheit versehen wäre; ohne sie wäre es das abstrakt begriffliche Moment und dieses könnte nie entstanden sein, d.h. die Abstraktion, welche zu ihm führt, könnte niemals vorgenommen werden, wenn es nicht zuerst im wirklichen Gegebenen vorgefunden würde."

"Das Abstrakte ist Bestandteil des Wirklichen, und der Schein, daß es im Gegensatz zu ihm etwas bloß Subjektives ist, entsteht nur daher, daß es abgesondert von den anderen Wirklichkeit konstituierenden Elementen oder Momenten ins Bewußtsein tritt oder in ihm festgehalten wird. In dieser Abgesondertheit existiert es allerdings nicht als konkret Wirkliches, aber das heißt ja nur, daß Röte für sich allein, d. h. ohne Wo und Wann gedacht, eben  als solche, d. h. ohne Wo und Wann nicht irgendwo und wann wahrnehmbar ist."

83. Das Denken im engeren und eigentlichen Sinne bestand darin, daß Identitäten und Verschiedenheiten und Kausalbeziehungen des Gegebenen bewußt werden. Faßt man, wie es gewöhnlich geschieht, dieses Denken als eine Tätigkeit auf, so ist ihr Objekt (oder Material) das Gegebene. Eine Definition des letzteren Begriffs ist nicht gegeben worden und dürfte auch unmöglich sein; vielmehr muß sich aus den Begriffen Identität und Verschiedenheit und Kausalbeziehungen erhellen, daß doch immer etwas sein muß, was wiedererkannt oder von etwas unterschieden wird und daß doch immer etwas sein muß, was miteinander in kausaler Beziehung steht.

Diese Etwas können höchst komplizierte Dinge, Eigenschaften, Tätigkeiten, Ereignisse sein und sind es auch in unserem Denken gewöhnlich. Aber wenn diese Begriffe selbst entstanden sind und zwar durch Denken, d. h. Urteilen, so setzen sie eine Zahl von Denkakten oder Urteilen voraus oder schließen sie in sich, welche als solche auch immer wieder ein Etwas als Objekt dieses Denkens oder als Träger dieser logischen Bestimmungen voraussetzen. Dann sind das (ursprünglich) Gegebene alle diejenigen Etwas, welche nicht schon eine solche Struktur in sich erkennen lassen, also nicht jeweils als ein Ganzes auf einfachere Elemente, aus denen es entstanden wäre, zurückgeführt werden können. Welche psychischen Regungen als solche nicht mehr analysierbare letzte Elemente anzusehen sind, braucht hier nicht erörtert zu werden - es ist Sache der Psychologie; für die körperliche Welt sind es Empfindungs- oder Wahrnehmungsinhalte. Sind es (nach obiger Feststellung) ins Bewußtsein tretende Unterschiede und Kausalbeziehungen oder Zusammengehörigkeiten im Gegebenen, aus welchen ein solches Ganzes oder eine solche Einheit, welche jeder Begriff ist, besteht, so müssen nun natürlich (was oben "sich komplizieren" genannt wurde) immer wieder in den Zusammenhängen oder Kausalbeziehungen Identitäten und Unterschiede und in unterschiedenen Zusammengehörigkeiten wiederum Zusammenhänge oder Kausalbeziehungen hervortreten.

84. Von den durch Unterscheidung gewinnbaren letzten Elementen des Gegebenen und ihren eigentümlichen Zusammenhängen ist auszugehen. Zuerst bilden die gleichzeitigen Data aller Sinne zusammen einen unklaren Totaleindruck. Es ist schon ein Werk der Reflexion, wenn die einzelnen Empfindungen einzelner Sinne als Bestandteile desselben unterschieden und je eine Empfindung eines Sinnes für sich allein gedacht wird. Nie ist eine solche wirklich allein gegeben, aber jede ist doch im tatsächlichen Ganzen wirklich enthalten, und so kann es auch ihrer Wirklichkeit keinen Abbruch tun, wenn wir von allem mit ihr zugleich Gegebenen abstrahieren und nur eine allein ins Auge fassen. Sie werde als wirklich erlebter Eindruck, als einfachste wirkliche Erscheinung gedacht, um die Art der Zusammengehörigkeit der Elemente, welche sich nun doch noch in ihr unterscheiden lassen, zu charakterisieren. Ein solcher Empfindungs- oder Wahrnehmungsinhalt kann unmöglich wirklich sein, wenn er nicht einen Zeitteil erfüllt, und ferner wenn er nicht irgendeine Zeitdauer hat, und ferner, wenn er nicht einen Ort im Raum erfüllt und somit eine irgendwie große Ausdehnung und auch eine bestimmte Begrenzung (Gestalt) hat.  Wann  und  Dauer  soll zeitliche,  wo, Ausdehnung  und  Gestalt  soll räumliche Bestimmtheit heißen. Zu jedem wirklich erlebten oder erlebbaren Eindruck gehören also
    1. Die Qualität eines Sinnes,
    2. eine räumliche und
    3. eine zeitliche Bestimmtheit
Dieses einfachste wirkliche Gegebene zerlegt sich also in diese drei oder sechs Elemente. Ihr Zusammengehören besteht darin, daß ohne eines von ihnen die andern nur noch begrifflich denkbar sind, nicht mehr wirklicher Wahrnehmungsinhalt sein können, und eben in dieser Zusammengehörigkeit besteht auch die Einheit dieser unterschiedenen Mehreren. Wenn wir nicht von diesem wirklich Gegebenen und seiner Einheit ausgehen würden und die Elemente erst durch eine Zerlegung gewännen, so wäre nicht demonstrierbar, wie Sinnesqualität und Raum und Zeit zueinander kommen könnten, wie es jene anstellt, sich im Raum auszudehnen, und wie diese es anstellt, jene in sich aufzunehmen.

Die Unentbehrlichkeit dieser Elemente füreinander besteht nur im gattungsmäßig Allgemeinen; eben nur irgendeine Sinnesqualität, irgendein  Wo  und  Wann,  irgendeine Ausdehnung und Gestalt ist absolut notwendig zu einem solchen einfachsten Gegebenen, (elementare Notwendigkei), aber aus sich fordert keine Sinnesqualität ein bestimmtes Wo oder Wann, Ausdehnung und Gestalt, keines von diesen fordert aus sich eine bestimmte Sinnesqualität; sie vertragen sich alle miteinander, sind einander gleichgültig und zufällig.

Wenn ich diese Elemente des Gegebenen auch Erscheinungselemente, ein Gegebenes auch Erscheinung nenne, so ist Erscheinung nicht im Gegensatz zum wirklichen Gegebenen, sondern eben im Sinn desselben gemeint, in welchem das Wort sehr oft gebraucht wird ("eine stattliche, eine reizende Erscheinung", "darauf erschien Herr  A."  meint bekanntlich wirkliche Menschen). Beim Wort "Gegebenes" denken sehr viele immer schon an Dinge mit Eigenschaften; soll  bloß das Sinnfällige  im Gegensatz zum Dingcharakter, der erst erklärt werden, erst daraus, daß jenes Objekt des Denkens und dieses Produkt wirder Objekt des Denkens wird usw., sich entwickeln soll, gemeint sein, so ist das Wort  Erscheinung  unentbehrlich.

85. Aus dem Wirklichen sind diese Elemente durch Aussonderung gewonnen worden; der Begriff der Existenz ist also auch der des Enthaltenseins im Wahrgenommenen oder des Ausgesondertseins aus Wahrgenommenem. Jenes Wirkliche fällt zusammen mit demjenigen, was man  konkret  nennt, die Elemente können nur einzeln durch Aussonderung gedacht werden, sind also Abstraktes - die erste Art der Abstraktion. In unserem tatsächlichen Denken mag, auch wenn wir nur vom Abstraktum eines solchen einzelnen Elementes handeln wollen, doch immer die Vorstellung von einem Wirklichen, in dem es enthalten ist, vorhanden sein, gewissermaßen zur Unterstützung des abstrakten Denkens, z. B. die Vorstellung einer roten Fläche hier vor unseren Augen irgendwie groß gestaltet, wenn wir auch nur vom Begriff  rot  unter Abstraktion von aller räumlichen Bestimmtheit handeln wollen. Aber die Abstraktion behält ihr Recht, indem wir doch den Gedanken von der Unterschiedenheit der genannten Elemente oder Bestandteile haben und gegebenenfalls wissen, daß sich unser Betrachten, Begründen und Folgern nur auf das eine bezieht, und daß alle anderen (mit vorgestellten) dabei als unwesentlich nicht in Betracht kommen.

86. Das konkret Wirkliche ist das Individuelle; im Gegensatz zu diesem ist das Abstrake immer ein Allgemeinbegriff. Individuum ist etwas, was nicht etwa tatsächlich, sondern nach seinem Begriff, einzig ist, nur einmal da sein kann, während allgemein (nach der gewöhnlich maßgebenden Wortbedeutung) etwas ist, was vielen gemeinschaftlich sein kann. Die Sinnesqualität, welche einen Raum- und Zeitteil erfüllt, unterscheidet sich zwar von allen anderen Qualitäten sowohl wie von allen anderen Elementen, aber sie kann ihrem Begriff nach,  genau dieselbe,  unzähligemal an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zeiten vorhanden sein. Daher zunächst Allgemeinbegriff genannt. Das Ganze eines konkret Wirklichen, d. h. ein Hier und Jetzt von ganz bestimmter Qualität erfüllt ist nur einmal möglich. Sehen wir auch vom Jetzt ab, so ist jeder bestimmte Raumteil, den eine Qualität einnimmt,  eo ipso  [schlechthin - wp] von jedem anderen bestimmten Raumteil, mag er nun von ganz derselben oder einer anderen Qualität erfüllt sein, verschieden; sie schließen sich absolut aus, sind in alle Ewigkeit zwei, nicht einer, während die bestimmte Qualität, welche ganz dieselbe an zwei Raumteilen wahrnehmbar ist, sobald wir von diesen letzteren absehen, sofort nur eins ist, und zwei, bzw. zweifach oder zweimal nur eben insofern sie an zwei Raumteilen erscheint. (Dies ist  ein  Sinn des Wortes "Einheit in der Vielheit").

87. Konkretum und Individuum ist also zunächst nur der von einer Qualität erfüllte Raum- und Zeitteil. Nicht nur die Qualität, sondern jedes der genannten Elemente ist für sich gedacht ein Abstraktum, ein Allgemeinbegriff. Von der Dauer in der Zeit, der Größe räumlicher Ausgedehntheit und der Gestalt wird es niemand bezweifeln. Aber auch das Hier und Jetzt ist in dieser Abstraktion kein Individuelles mehr, sondern wird zu einem Allgemeinbegriff eines Wo und eines Wann. Wenn doch auch nach Abstraktion von der erfüllenden Qualität das Hier und Jetzt in seiner ganzen bestimmten Individualität bestehen zu bleiben scheint, so ist es nur deshalb, weil dieses Hier und dieses Jetzt in einem bekannten Raum- und Zeitganzen durch seine Nachbarn vor und hinter, über und unter links und rechts von ihm und vor ihm und nach ihm bestimmt wird. Nur mit Rücksicht auf diese individuellen oder konkreten Nachbarn ist das Hier und Jetzt, auch wenn wir von der es erfüllenden Qualität absehen, noch dieses bestimmte Hier und Jetzt. Und die Hauptsache ist, daß die Fixierung dieses Hier und Jetzt durch die Nachbarn deshalb so selbstverständlich ist, und also auch von selbst eintritt,
    1. weil es ja schon vorher, noch ehe von der es erfüllenden Qualität abstrahiert wurde, seine Bestimmtheit durch die Nachbarn und deren Nachbarn usw. hatte, und

    2. weil es ebenso selbstverständlich ist, daß es Nachbarn haben muß.
Abstrahieren wir von aller Erfüllung des Raums mit irgendwelchen Qualitäten, so ist kein Ort von anderen unterscheidbar. Der Begriff der Lage enthält die Relation zu anderen, und andere sind als solche nur erkennbar durch eine Verschiedenheit der Erfüllung; nur sie macht die Grenzen zwischen dem einen und dem anderen. Wenn man dennoch Raumteile fixieren zu können meint (mit dem Finger oder dem Blick), so hat man vom eigenen Leib, welcher einen Raumteil erfüllt, nicht mit abstrahiert. Nur in Relation auf ihn ordnen sich dann die Raumteile als hier und dort. Wird auch diese Relation durch die vollständige Abstraktion von aller Raumerfüllung unmöglich, so ist es auch absolut unmöglich, ein Hier und Dort zu unterscheiden.

Nachbarn muß also jedes Hier und Jetzt haben. Die Grenze kann nur als die zwei Raum- oder Zeitteile trennende Linie gedacht werden. Soll ein Hier und Jetzt nicht grenzenlos sein, so kann es nur nach allen Dimensionen durch Nachbarräume und Nachbarzeiten begrenzt sein.

88. Diese Überlegung sollte zunächst lehren, daß auch das Hier und Jetzt in Abstraktion von der Erfüllung nicht mehr das individuelle Hier und Jetzt ist, sondern sofort der Allgemeinbegriff eines Wo und Wann. Sodann aber hat sie über die Natur von Raum und Zeit auch schon das für die Erkenntnistheorie und Logik Wichtige angedeutet.

Im obigen Ausgangspunkt des wirklich Gegebenen fanden wir bloß die räumliche und zeitliche Bestimmtheit, Wo und Wann und Ausdehnung und Gestalt. Das Wort "der Raum" und "die Zeit" läßt nicht an ein einziges gerade fixiertes Gegebenes denken, sondern immer zugleich an die Nachbarn und die Nachbarn der Nachbarn und so fort. Der Raum und die Zeit ist dann eigentlich nur die Ausgedehntheit der unzählbaren vielen Gegebenen, welche sich lückenlos begrenzen. Dann kann der Raum und die Zeit (wenn man dabei nicht etwa das räumlich und zeitlich ausgedehnte Universum, den Inbegriff des wirklichen Gegebenen denkt) nur die nach Abstraktion von allen Qualitäten übrigbleibende Ausgedehntheit bedeuten. Dieser leere Raum ist also in der Konsequenz des Ausgangspunktes ein bloßes Abstraktum, keine konkrete Existenz; wer ihn sich als solche vorstellt, hat tatsächlich, mag er es wissen oder nicht, nicht von seinem Standort im Raum abstrahiert, und stellt sich diesen Raum in irgendeiner Färbung sich ausdehnend, also nicht eigentlich leer vor. Auch der angeblich leere Raum zwischen Himmel und Erde ist nicht in dem Sinne leer, daß er von gar keiner Sinnesqualität erfüllt wäre. Schon die Vorstellung von seiner Erfüllbarkeit mit Körpern und daß er Durchlaß gewährt, welche von ihm unabtrennbar ist, verknüpft ihn mit der Wahrnehmungswelt, und vor allem "durcheilt ihn der Blick", d. h. er ist durch den sichtbaren Hintergrund selbst ein Wahrgenommenes. Wenn jemand von dem Stuhl, auf dem er gesessen hat, aufsteht, so wird dieser Platz nicht im eigentlichen Sinn leer, sondern ist nur statt mit der wahrnehmbaren Menschengestalt mit anders gestalteten Farben erfüllt.

89. Der leere Raum zwischen den schwingenden Atomen gehört zu eben demjenigen Raum, welchen die wahrgenommene Farbe erfüllt. Die Atomtheorie ist gewissermaßen eine Zerfällung des wahrgenommenen Raumes. Das Verhältnis der Atomwelt zur Wahrnehmungswelt ist ein einzigartiges und muß so lange dunkel bleiben, wie die Frage ungelöst ist, wie eigentlich schwingende Atome bewußte Empfindungen hervorbringen oder wie die Abhängigkeit der letzteren von den ersteren zu denken ist. Jedenfalls kann die Atomwelt nicht als die nunmehr erkannte wirkliche Welt anstelle der Wahrnehmungswelt treten, als wäre die letztere nur als Phantasmagorie, als bloß subjektiver Schein erwiesen. Diese Wirklichkeit wäre etwas ganz Undenkbare. Der Begriff des Atoms setzt die wahrnehmbare Welt voraus; nicht etwa nur als dasjenige, woraus auf seine Existenz geschlossen worden ist, sondern als dauernde Ergänzung seiner selbst. Die unvorstellbar kleinen Körper können nur nach dem Bild der wahrgenommenen Körper gedacht werden, sonst ist für eine Abgrenzung und Gestaltung kein Anhaltspunkt gegeben; wenn sie, nur mit Anziehungs- und Abstoßungskräften versehen (über Kraft), völlig qualitätslos gedacht werden sollen, so sind wir aufgefordert, sie nicht nach jenem Bild zu denken, und so sind sie überhaupt undenkbar. Irgendwie gestaltetes Nichts!? Undenkbar sind sie aber nur, wenn sie  ansich  Seiendes sein sollen; sie sind, auch als qualitätslose, gar nicht undenkbar, sondern die bekannte, genugsam verifizierte Hypothese der Chemie und Physik, wenn sie, denselben Raum einnehmend, wie die Sinneswahrnehmungen, nur eben in bestimmten Mengen und Verhältnissen, bestimmte Bewegungen ausführend, einen bestimmten Empfindungsinhalt repräsentieren oder ausmachen oder darstellen, und dann ist es nicht nur nicht undenkbar, sondern ganz selbstverständlich, daß jedes einzelne für sich nicht eine solche Qualität haben kann. Zu ihrer Denkarbeit gehört es also, daß sie nicht als das eigentlich Wirkliche im Gegensatz zu bloß subjektiven Empfindungen gedacht werden, sondern nur als mit dem Raum der Empfindungsinhalte zusammenfallend, nur als eine aus spezialwissenschaftlichen Gründen notwendig zu denkende Zerfällung dieses mit Qualitäten erfüllten Raums in kleinste Teile.

Wenn der Stoff mit Sinnesqualitäten erfüllter Raum ist, so ist hieraus die Unvergänglichkeit des Stoffs selbstverständlich; die Qualitäten, die den Raum erfüllen, können wechseln, aber ein Stückchen Raum kann nicht verschwinden (ein Loch im Raum!), und wenn jedes kleinste Stückchen wahrnehmbaren, d. h. mit Qualität erfüllten Raumes eine, wenn auch unvorstellbar große Anzahl von Atomen, bzw. Atomgruppen (Molekülen) repräsentiert, so ist ebenso klar, daß keins von diesen Atomen verschwinden kann.

90. Die Bedeutung des Raums und der Zeit für die Erkenntnistheorie und Logik verlangt die Beseitigung des Widerspruchs, der darin gefunden worden ist, daß sie unmöglich begrenzt gedacht werden können und andererseits als vorhandene Größe ebensowenig unendlich gedacht werden können, da der Begriff der Größe die Bestimmtheit einschließt. Wenn die räumliche und zeitliche Bestimmtheit jedes Gegebenen eo ipso Nachbarräume und Nachbarzeiten setzt, so liegt es schon daran, daß nirgendwo Halt gemacht werden, niemals eine Raum- und Zeitgrenze gedacht werden kann, hinter welcher die Raum- und Zeitlosigkeit beginnen könnte. Denn die Grenze fällt eben immer  in  den Raum und  in  die Zeit, und deshalb ist die Begrenztheit des Raums und der Zeit überhaupt ein Unding.

Die Unendlichkeit als gegebene Größe zu denken, ist durch Obiges noch nicht verlangt. Denn zur  gegebenen  Größe gehört die Wahrnehmbarkeit: Die Frage, ob nun wirklich hinter den fernsten Nebelflecken, die die besten Teleskope entdecken lassen, noch Raum ist, ist gleichbedeutend mit der Frage, ob wir dort noch etwas wahrzunehmen hätten. Natürlich versetzt sich der Fragende mit seiner ganzen Menschennatur in Gedanken ebendorthin, und da er als Menschenbewußtsein nicht existieren kann und für sich selbst undenkbar ist ohne Wahrnehmungsinhalt in Raum und Zeit, so muß er,  wenn  er erst in Gedanken dort Umschau hält, ob Raum und Zeit noch da sind, diese mit der vagen Vorstellung irgendeiner Erfüllung setzen. Die Hauptsache aber ist, daß, um eben dieser Menschennatur willen, jeder, wo er sich auch befinden mag, den Raum und die Zeit gleich weit sich ausdehnend, sich also immer im Mittelpunkt denken muß, und daß, während es nur  tatsächlich,  nur zufällig unmöglich ist, daß wir uns jetzt an einem anderen Ort der Erde, z. B. in Yokohama oder in Sidney statt in Greifswald oder in Madrid befinden,  es für unser Wesen nach seinem Begriff  unmöglich ist, daß wir uns auf den gedachten fernsten Nebelflecken befinden, um dort Umschau zu halten. Machen wir die Fiktion: wenn wir aber doch dort wären, so antworte ich unbedenklich, dann würden wir uns gewiß wieder mitten im wahrnehmbaren Raum finden. Aber eben deshalb ist es nicht nur tatsächlich unmöglich, daß ich jetzt nicht anderswo auf der Erde sein kann, sondern begrifflich unmöglich, und eben durch diese zu unserem Sein gehörige Unmöglichkeit ist auch die ontologische Schwierigkeit der Unendlichkeit von Raum und Zeit beseitigt.

Die Existenz der Berge auf dem Mond besteht freilich auch nur darin, daß wir sie ganz sicher wahrnehmen würden, wenn die räumlichen Bedingungen erfüllt wären, und ebenso wie in Bezug auf die letzten noch sichtbaren Nebelflecken ist die Erfüllung dieser Bedingungen nicht nur tatsächlich, sondern auch nach dem Begriff unseres Seins ausgeschlossen. Aber der wichtige Unterschied ist der, daß diese Berge erschlossensind aus wirklichen bestimmten Wahrnehmungen nach wirklichen bestimmten Gesetzen des Wahrnehmbaren, während zur Erfüllung der Räume hinter den letzten noch sichtbaren Nebelflecken kein Schluß aus bestimmten Wahrnehmungen nötigt, sondern nur die Phantasie befähigt, nachdem sie einmal (ebenso ohne Nötigung aus der Wahrnehmung) uns mit unseren Augen dorthin versetzt hat.

91. Die Apriorität von Raum und Zeit ist durch die Bestimmung: Elemente des Gegebenen oder Erscheinungselemente ausgeschlossen: sowie auch der Einfall, daß sie zugleich subjektiv und objektiv sein könnten. Der eine durch unsere Sinnesempfindungen gesetzte Raum gestattet keine Verdoppelung, und wenn dieser nur subjektiv sein sollte, so könnte der objektive, wenn er eben nicht mit ihm zusammenfallen soll, nur das bekannte Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt, sein.

Was könnte auch ihre Apriorität heißen? Die Begriffe Identität, Verschiedenheit und Kausalität konnten a priori genannt werden, insofern sie nicht aus den Sinnesdaten herausanalysiert werden können, und insofern von vornherein feststeht, daß sie - ohne irgendeine Voraussetzung ein Bewußtsein mit dieser Welt als seinem Inhalt eine Undenkbarkeit wäre - auf alles Gegebene Anwendung finden, und insofern doch immer ein begrifflicher Unterschied zwischen den Etwas, welche in diesen Beziehungen stehen, und diesen Beziehungen selbst besteht. Raum und Zeit dagegen bzw. die räumliche und zeitliche Bestimmtheit lernen wir überhaupt erst als Bestandteil des Gegebenen kennen, und das Etwas, welches Träger der logischen Beziehungen ist, könnte überhaupt niemals ein wirkliches Objekt des Bewußtseins werden, wenn es nicht schon mit räumlicher und zeitlicher Bestimmtheit versehen wäre; ohne sie wäre es das abstrakt begriffliche Moment und dieses könnte nie entstanden sein, d.h. die Abstraktion, welche zu ihm führt, könnte niemals vorgenommen werden, wenn es nicht zuerst im wirklichen Gegebenen vorgefunden würde. Nur finden wir freilich nicht "den Raum" und "die Zeit" vor, sondern gewinnen diese Vorstellung erst aus der räumlichen und zeitlichen Bestimmtheit der Daten durch Aussonderung.

Die kantischen Beweise sind unzureichend. Daß wir Raum und Zeit nicht wegdenken können, ist nur soweit richtig, wie wir dabei unsere eigene räumliche und zeitliche Existenz noch festhalten wollen, und wie wir wissen, daß die abstrakten Begriffe, welche dann übrig bleiben, doch schließlich nur aus räumlich-zeitlichen Daten gewonnen werden können und uns auf solche Data als eventuell künftig immer wieder erlebbare hinweisen. Daß wir nichts als außerhalb uns selbst befindlich bestimmen können, ohne schon die ganze Raumanschauung vorauszusetzen, ist richtig, aber doch nur deshalb, weil sie schon in dem "außer" enthalten ist, welches ohne sie keinen Sinn hätte, und weil dabei die eigene Ausgedehntheit an irgendeinem Punkt im Raum vorausgesetzt ist und, wie oben auseinandergesetzt wurde, mit einem einzigen ausgedehnten Punkt im Raum und in der Zeit sofort der ganze unendliche Raum und Zeit gesetzt sind, indem jener Nachbarräume und Zeiten und diese wiederum Nachbarräume und Zeiten fordern usw.

92. Trotzdem ist ein wichtiger Unterschied zwischen den Qualitäten einerseits und Raum und Zeit andererseits hervorzuheben. Im Voraus wissen wir (was für eine Apriorität zu sprechen schien), daß keine Sinnesqualität ohne räumliche und zeitliche Bestimmtheit gegegeben sein kann; wir antizipieren somit alle Erfahrung und sind darin ganz sicher, daß keine je uns eines anderen belehren wird. Was in Raum und Zeit kein Unterkommen, was kein  Wo  und  Wann  hat, das existiert auch nicht. Doch ist dabei nicht zu vergessen, daß diese Erwartung auf einem Schluß beruth, welcher die tatsächliche Erfahrung räumlich und zeitlich bestimmter Data zu seiner Voraussetzung hat. Die bloße Tatsache, daß wir bisher nichts ohne räumliche und zeitliche Bestimmtheit erlebt haben, würde zu der Annahme, daß so etwas auch unmöglich ist, nicht berechtigen; erst der oben dargelegte Schluß tut es. Und nun ist freilich doch wieder zuzugestehen, daß dieser Schluß sich auf die Voraussetzung gründete, daß der Versuch, eine Qualität, z. B.  rot,  ohne räumliche und zeitliche Bestimmtheit vorzustellen, mißlang. In diesem Mißlingen wurde schon Notwendigkeit (Unmöglichkeit) erkannt, und nur dies war das Erschlossene, waren die Momente, welche notwendig verknüpft sind. Die einleuchtende absolute Unentbehrlichkeit von Raum und Zeit stellt sie also allerdings in einen Gegensatz zu den Qualitäten der Sinne. Bei der oben erörterten Ununterscheidbarkeit der einzelnen Wo und Wann (wenn von der Erfüllung abgesehen wird) ist die räumliche und zeitliche Bestimmtheit für alle Sinnesdaten, wie verschieden sie auch sein mögen, die eine und selbe Grundbedingung ihres konkreten Gegebenseins, während für die Wahrnehmbarkeit von Raum und Zeit eine große Zahl von ganz verschiedenen Qualitäten zur Verfügung steht, von welchen nur im allgemeinen eine verlangt wird.

Und von den vielen möglichen Qualitäten können wir beliebige wegdenken, können manche auch wirklich fehlen, ohne daß eine konkrete Welt für den Wegdenkenden bzw. denjenigen, dem einige fehlen, unmöglich gemacht würde, während wir von den Wo und Wann absolut keines wegdenken, keines entbehren können. Nur einen Wechsel seiner Erfüllung, einen Wechsel der Lage der Erfüllungen zueinander ist möglich, aber daß das Wo und Wann, welches trotz dieses Wechsels konstatiert werden kann, verschwände, ist das Undenkbarste, was es gibt.

Wieviele und welche Qualitäten es gibt, kann nur erfahren werden, und welche es geben kann und muß, kann kein Schluß lehren; dagegen bedarf es nur derjenigen Erfahrungen, welche die Raumvorstellung überhaupt in uns entwickeln lassen, um über die Ausgedehntheit von Raum und Zeit zu urteilen, daß sie nicht begrenzt gedacht werden kann, und alle Möglichkeit von Gestalten und Größen und ihrer Verhältnisse untereinander unbekümmert um alle Erfahrung im Voraus zu bestimmen. Die Bestimmungen können als Analyse der Raumanschauung bezeichnet werden; ihre Wirklichkeit ist die der Raumanschauung selbst. Sie sind Abstraktionen, aber ihre Bedeutung erhellt sich aus der Notwendigkeit dieses Raums für alles konkret Gegebene. Mag also ein solches Gebilde im Wahrnehmbaren nirgends angetroffen werden;  wenn  es aber bzw.  inwieweit  es irgendwo angetroffen wird, gilt für dieses Wahrnehmbare alles, bzw. ist als eventuell gleichfalls wahrnehmbar vorauszusetzen alles, was in diesem abstrakten Gebilde gefunden worden ist. Wir denken z. B. zwei Linien, welche, wie weit sie auch verlängert werden mögen, denselben Abstand bewahren, d. h. sich niemals treffen; ob es "wirklich" zwei solche Linien "gibt", d. h. ob sie irgendwo wahrnehmbar sind, ist für den Wert der Konsequenzen aus jenem Gedanken absolut gleichgültig.

93. Dasselbe Verfahren, welches die Unentbehrlichkeit von Raum und zeit für alle Wahrnehmung erkennen ließ, läßt auch die absolute Gleichartigkeit aller Raumteile und aller Zeitteile erkennen. Es ist nicht erfindlich, wie ein Raum- oder Zeitteil sich vom anderen unterscheiden kann; wenn wir die unvermeidlichen Nachbarräume und Zeiten hinzudenken, denken wir doch immer genau dasselbe hinzu, immer nur durch die etwaige Erfüllung, durch welche auch erst Gestalt und Größe gesetzt wird, unterscheidbar. Diese absolute Gleichartigkeit genügt, um die Bestimmbarkeit aller möglichen Größen und Gestaltungen unabhängig von einer weiteren Erfahrung zu erklären. Ein anderes Wo und ein anderes Wann kann nichts anderes zeigen. Apriorität der Raum- und Zeitanschauung anzunehmen, ist also nicht notwendig. Die Eigenart derselben im Gegensatz zu den Qualitäten erhellt sich und bleibt bestehen, auch wenn sie zum Gegebenen gerechnet werden. Nur freilich muß man auch den dargelegten Gegensatz nicht durch ihre Zugehörigkeit zum Gegebenen abschwächen oder aufheben wollen. Man kann deshalb (der Ausdruck ist unklar) die Raum- und Zeitanschauung zum tiefsten Wesen des Menschen rechnen. Ganz andere Empfindungsweisen sind noch eine vage Denkbarkeit, aber Unabhängigkeit von Raum und Zeit gibt es nicht. Weshalb auch die (durchaus nicht tadelnswerte Neigung begreiflich ist, alles Naturgeschehen auf Gesetze der Raum- und Zeitanschauung zurückzuführen, wobei bloß das  Eine  nicht zu vergessen ist, daß dann eine Erkenntnistheorie die absolut unentbehrliche Ergänzung ist.

94. Raum und Zeit sollen nicht Begriffe, sondern Anschauungen sein. Wenn alles, was man bei einem Wort als dessen Bedeutung denkt, indem die mehreren als wesentlich erkannten Prädikate als eine Einheit gedacht werden, ein Begriffe ist, so sind Raum und Zeit gewiß Begriffe. Schon die prädizierte Anschaulichkeit ist ja nicht selbst eine Anschauung, sondern ein Begriffsmoment, die Gleichartigkeit, die Unendlichkeit, der Charakter als bloßes Element des Gegebenen usw. vereinen sich zum Begriff des Raums und der Zeit. Aber wenn der Begriff Merkmale zusammenfaßt, welche mehreren verschiedenen Individuen bzw. Arten gemeinsam sind, welche sowohl untereinander, als auch zu den möglichen Differenzen der subsumierbaren Individuen, in einem bestimmten Kausalzusammenhang stehen, und welche selbst den Charakter der eigentlichen Gattung oder Art (die nächstfolgende Abstraktion) haben, so sind Raum und Zeit nicht Begriffe. Denn die verschiedenen Räume sind nur durch die Erfüllungen mit Qualitäten unterscheidbar, schließen sich also nicht durch ihre Natur  als Räume  voneinander ab. Raum und Zeit sind zwar das  principium individuationis,  sie allein machen das Individuelle aus, aber doch nur als wahrnehmbare, d. h. von Qualitäten erfüllt. In Abstraktion von diesen sind die Räume keine Individuen, denn sie haben aus sich selbst keine Grenzen und unterscheiden sich voneinander durch absolut nichts. Der Raum ist also auch eigentlich kein gattungsmäßiges Merkmal, welches in jedem zu subsumierenden Individuum angetroffen wird und mit seinen individuellen Eigenheiten in einem inneren Zusammenhang steht. Denn das subsumierbare Individuum hat als Raumteil keine individuellen Eigentümlichkeiten; was also sein Unterschied von anderen seinesgleichen erscheinen kann, ist die Erfüllung, welche doch nicht ihm, dem (erfüllten)  Raumteil, als seine Eigenschaft  beigelegt werden kann. Was "der Raum" meint, ist also nicht ein gattungsmäßiges Moment in der räumlichen Bestimmtheit eines Gegebenen, sondern fällt mit ihr zusammen. Das einzige, wodurch er sich von ihr unterscheidet, ist die Größe der Ausdehnung, indem wir alle Nachbarräume zusammen als das eine Ganze "des Raums" denken. Aber eben das weist uns schon auf die Anschauung hin und ist nur aus ihr verständlich. Die Räume sind nur Teile des Raumes. Alles, was oben vom Raum (als Momente dieses Begriffs) ausgesagt wurde, fordert sich allerdings gegenseitig, aber es selbst und sein Zusammenhang ist wiederum nur aus der Anschauung verständlich. Was Anschauung ist, läßt sich nicht definieren; wer das Eigentümliche des Gemeinten nicht herausmerkt, wenn er auf Raum und Zeit aufmerksam gemacht wird, im Gegensatz etwa zu einem Begriff wie  Hund  oder  Katze,  dem ist nicht zu helfen.

95. Diese Anschaulichkeit macht die Evidenz der mathematischen Erkenntnisse aus und auf ihr beruth auch ihres absolute Stringenz. Die speziellen Verhältnisse unter den Größen und Gestalten bzw. deren Elementen (Linien und Winkeln) werden Inhalt von Begriffen, aber diese haben zu ihrer Unterlage doch die Raumanschauung, in welcher sie entdeckt worden sind. Wenn man behauptet hat, daß auch hier nicht aus dem bloßen Begriff deduziert wird, so ist das insoweit richtig, als er gewiß nur dann, was alles in ihm liegt, sehen läßt, wenn ihm eine klare Anschauung zugrunde liegt. Insofern diese nicht a priori ist, sind es auch die aus ihr fließenden Erkenntnisse nicht; insofern aber aufgrund der einmal gewonnenen Raumanschauung Erkenntnisse gemacht werden, ohne sich auf weitere Wahrnehmungen zu stützen, sind sie nicht a posteriori, sondern stehen - mag man auch den Ausdruck a priori verabscheuen - doch jedenfalls im Gegensatz zu denjenigen Erkenntnissen, welche immer nur aufgrund spezieller Beobachtung mit Sinnen gemacht werden können.

Die Unentbehrlichkeit des Raums für jedes Sinnesdatum, d. h. die oben angegebene Natur des Gegebenen allein rechtfertigt den Schluß aus  rot  auf  nicht grün  und  nicht blau  etc.; er gründet sich nur darauf, daß jedes Sinnesdatum  seinen  Raum braucht und daß die einzelnen Sinne jeder für sich mit seinen Daten Raum setzen. Deshalb allein kann derselbe Raumteil nicht von 2 Daten desselben Sinns eingenommen sein, wohl aber von je einem Datum verschiedener Sinne. Alles, was sich aus der Raum- Zeitanschauung ergibt, gehört zur elementaren Notwendigkeit.


Die eigentliche Gattung.
- Abstraktion im engeren Sinn.

96. Abstraktion im engeren und eigentlichen Sinn soll die Unterscheidung der nächsthöheren eigentlichen Gattung des Spezifischen im einfachsten Element heißen. Waren die Elemente nur in gattungsmäßiger Allgemeinheit mit absoluter Notwendigkeit aneinander geknüpft, ihre Spezialitäten dagegen alle für alle möglich, einander gleichgültig, so sind Gattungsmoment und Spezifisches in der innigsten Weise verbunden. Die Allgemeinheit der Elemente, die der Gattung, besteht spezieller in dem eigentümlichen Verhältnis, daß das gattungsmäßige Moment, Farbe z. B. oder eben Figur, in jeder Spezies enthalten ist, besteht darin, daß das Spezifische, z. B. die Röte oder die Dreieckigkeit, wenn wirklich dieses Generische dabei gar nicht mitgedacht werden soll, auch sofort undenkbar wird. Dieses gattungsmäßige Moment bedingt also die Denkbarkeit des Spezifischen, und in ihm muß auch die ganze Möglichkeit spezifischer und individueller Differenzen begründet sein. Das Spezifische der Röte kann begreiflicherweise keine andere Gattung determinieren als die Gattung  Farbe,  das der Rundheit oder Dreieckigkeit keine andere als die Gattung  ebene Figur.  An diesem Moment liegt es also, daß es so und so viele und nur so und so viele Spezies dieser Gattung gibt, und daß es nur in  einer  von ihnen und einer von  ihnen  an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Zeit konkrete Wirklichkeit haben kann. Jede der Spezies braucht, um wahrnehmbare Existenz zu haben, ihren Ort für sich, wenn also mehrere zugleich wahrnehmbar sein sollen, können sie es nur  neben einander, und jede hat zur Bedingung ihrer Denkbarkeit das generische Moment, und dieses hat zur Bedingung seiner wahrnehmbaren Existenz nur eine von diesen Spezies. Darin besteht ihre Koordiniertheit und Exklusivität. Es ist also für die Gattung charakteristisch und drückt gewissermaßen ihr Wesen aus, daß sie gerade diese so und so viele Spezies hat und nicht mehr und nicht andere.

Das Gattungsmäßige scheint ohne die Spezies gedacht werden zu können. Aber wenn auch der Zusammenhang der Gedanken nur dieses meinen läßt, so wird es doch (psychologisch) immer im Beispiel einer Spezies gedacht; nur weiß der Denkende, daß es auf die zur Veranschaulichung mitgedachte spezifische Differenz nicht ankommt. Es wirklich ganz für sich allein zu denken, aus und in welchen es allein entdeckt worden ist, ist unmöglich. Hat es also auch für sich allein keinen vorstellbaren Inhalt, so ist es nichtsdestoweniger  wirklich im  Wahrgenommenen enthalten, ist  mitwahrgenommen. 

Diese Unterscheidung zeigt also abermals eine Zusammengehörigkeit (begriffliche Notwendigkeit) und eine Einheit, aber anderer Art, als die Unterscheidung der Elemente sie gezeigt hat. Auch hier ist es nicht Aufgabe, zu zeigen, wie ursprünglich Verschiedenes eine Einheit ausmacht, zu zeigen, wie ursprünglich Verschiedenes eine Einheit ausmacht, sondern in dem ursprünglich Einen, dem Element des Gegebenen, ist durch die Abstraktion ein Unterschied entdeckt worden, und die Undenkbarkeit jedes dieser Momente ohne das andere schließt die Frage, wie eines zum andern kommt und sich mit ihm verbindet, aus, da eins ohne das andere nicht sein kann.

Die Existenzart dieser Begriffsmomente ist auch die des Enthaltenseins oder des Ausgesondertseins, aber nicht in oder aus dem wirklichen Eindruck, sondern dem Element eines solchen.

97. Der Begriff des Allgemeinen der Gattung besteht in dem dargelegten kausalen Verhältnis, nicht darin, daß das generische Moment wirklich  vielen  gemeinsam ist. Wenn viele Data, die es gemeinsam haben, vorliegen, so wird es (psychologisch) leichter herausgefunden, aber wenn auch nur ein Datum vorliegt, und wenn es eben deshalb nicht herausgefunden würde, so wäre es dennoch vorhanden und nicht minder allgemein.

Im Verhältnis des gattungsmäßig Allgemeinen des Elements zum Spezifischen sehen wir das Vorbild für alle Klassifikation, die wissenschaftlichen Wert haben soll. Hier versteht es sich leicht, weil keine Mehrarbeit von Merkmalen vorliegt, welche erst zur Einheit verbunden werden sollen; und aus demselben Grund bedarf es für die Determination dieser Gattung durch spezifische Differenzen keines Einteilungsprinzips. Diese Gattung soll eigentliche  oikeion genos  [reale Gattung - wp] heißen. Ob und wie in den Dingen, welche Eigenschaften haben, ein Allgemeines gefunden werden kann, welches sich ebenso determinieren läßt und sich zu diesen Determinationen ebenso verhält, wie die Gattung des Elementes zum Spezifischen, gehört noch zu den Aufgaben der Logik.

Das Allgemeine (sowohl das ausgesonderte Element als auch das gattungsmäßige Moment) soll als ein Abstraktum ein bloßes Gedankending sein, und als solches der tätigen Einwirkung auf etwas anderes unfähig. Nur das Individuelle oder Konkrete wird in diesem Gegensatz als das Wirkliche gedacht, und nur dieses ist fähig, zu wirken. Der Gegensatz des bloßen Gedankendings zum Wirklichen ist falsch; nur das Phantasieprodukt stünde in diesem Gegensatz zum Wirklichen. Das Abstrakte ist Bestandteil des Wirklichen, und der Schein, daß es im Gegensatz zu ihm etwas bloß Subjektives ist, entsteht nur daher, daß es abgesondert von den anderen Wirklichkeit konstituierenden Elementen oder Momenten ins Bewußtsein tritt oder in ihm festgehalten wird. In dieser Abgesondertheit existiert es allerdings nicht als konkret Wirkliches, aber das ist eigentlich eine Tautologie, nachdem wir uns überzeugt haben, daß das (konkret) Wirkliche eben das Zusammen solcher Elemente und Momente ist. Es heißt ja nur, daß Röte für sich allein, d. h. ohne Wo und Wann gedacht, eben  als solche d. h. ohne Wo und Wann nicht irgendwo und wann wahrnehmbar ist. Daraus folgt aber nicht, daß die Röte, auch wenn ich sie für sich allein ohne Wo und Wann denke, nicht wirklich irgendwo und wann wahrnehmbar ist und ein realer Bestandteil dieses gegebenen Roten ist. Wenn das Wirken als wahrnehmbare Veränderung gedacht wird, so kann das Abstraktum, da als solches nicht wahrnehmbar, auch nicht wirken. Aber wir fanden ja das Wirken in letzter Instanz nur in der Notwendigkeit der Sukzession bzw. Koexistenz. Und wenn das Gesetz (und jede Einwirkung geht doch immer nach Gesetzen vor sich) zugestandenermaßen Allgemeinheit beansprucht (wo und wann auch immer), so kann auch die Notwendigkeit, in welcher es besteht, nur Elemente oder Momente bzw. Komplexe von solchen (also Allgemeines) verknüpfen. Die wahrnehmbare Sukzession oder Koexistenz hier oder da ist eine notwendige, nur weil in diesem Einzelfall eben diejenigen allgemeinen Elemente oder Momente vorhanden sind, an welche das Gesetz den bestimmten Nachfolger oder Begleiter knüpft. Dann ist also jedes dieser Elemente und Momente, da die Wirkung ohne dasselbe nicht zustande kommt, von tiefgreifendster Wirksamkeit.

98. Hiermit ist zugleich das oft behandelte Problem gelöst, wie wir zu wirklich allgemeinen Sätzen kommen. Das Allgemeine wird nur aus dem Besonderen gewonnen, wie ich selbst gelehrt habe, aber doch nur das gattungsmäßige Moment, welches schon im einzelnen Eindruck enthalten ist. Urteile, welche einer ganzen Klasse von an irgendeinem Merkmal erkennbaren Dingen ein anderes Merkmal beilegen und zwar für alle Vergangenheit und Zukunft, können nicht durch eine Zahl einzelner gleichartiger Wahrnehmungen, auch wenn keine widersprechende bekannt ist, zustande kommen. Wirkliche Allgemeinheit eines Urteils ist nur durch die Notwendigkeit der Verknüpfung von Subjekt und Prädikat möglich. Zählung ergibt nur partikulare Urteile: so oft dies wahrgenommen worden ist, wurde auch jenes dabei wahrgenommen, also so und so oft. Und alle Urteile, welche Notwendigkeit behaupten, sind eo ipso allgemeine. Die obige Darlegung des induktiven Verfahrens galt nur der formalen Schlüssigkeit, welche auf dem Identitätsprinzip beruth. Voraussetzung ist dabei, daß unter den Bestandteilen, in welche die konkrete Wahrnehmung zerlegt wird, von welchen jeder eo ipso etwas begrifflich Allgemeines ist, eines ist welches in einem Kausalszusammenhang mit dem zu erklärenden  X  steht, und das Ausschlußverfahren ließ nur erkennen, welcher von diesen Bestandteilen das ist.

Die Verknüpfung erfolgt also schon unter Allgemeinbegriffen. Was auf diesem Weg an die Röte als solche oder an die Größe als solche angeknüpft erscheint, gilt eo ipso wo und wann auch immer, in welcher Umgebung, unter welchen Umständen, in welcher Determination auch immer Röte oder Größe wahrnehmbar ist oder gedacht wird. Und wenn wirklich gewisse Umstände oder Determinationen das angeknüpfte Prädikat aufhöben, so wäre doch der so eingeschränkte Satz im gleichen Sinn allgemein. In den Ausnahmefällen ist die Aufhebung jenes Prädikats gleichfalls nach derselben gesetzlichen Notwendigkeit an Bestandteile geknüpft, welche ein Allgemeines sind. Der Widerspruch gegen diese Darstellung beruth auf einer Schwäche der Abstraktion, welche nicht gestattet, das generische Moment, welches an mehreren Orten in vielleicht ganz verschiedener Umgebung und Determination erscheint, als solches und somit als das ein und dasselbe festzuhalten, sondern (nicht nur im sprachlichen Ausdruck, sondern auch logisch) immer wieer als ein anderes  X,  eine andere Röte oder Größe anzusehen verführt, für welche das an dieses  X  als solches geknüpfte Prädikat noch nicht erwiesen ist.
LITERATUR: Wilhelm Schuppe, Grundriß der Erkenntnistheorie und Logik, Berlin 1910