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BENNO ERDMANN
Der Grundsatz der Identität
als Grundsatz des Vorstellens


"Die Identität mit sich selbst muß als ein  einfaches  Merkmal des Gegenständlichen angesehen werden. Sie verträgt keine Analyse in eine Mehrheit von Bestandteilen; denn jede dieser Analysen würde die Identität eines jeden durch sie gewonnenen Merkmals mit sich selbst voraussetzen."

"Die Identität mit sich selbst ist schließlich das  einzige  ursprüngliche Merkmal der Gegenstände unseres Vorstellens. Denn indem wir den Gegenstand als Vorstellung, als Vorgestelltes, als Inbegriff, als Inhalt, als Umfang, als Etwas überhaupt, als höchste Gattung bestimmen, setzen wir sie in jeder dieser Bestimmungsweisen voraus."

"Gegenstand und Identität mit sich selbst ist ein und dasselbe; Gegenstand sein ist nichts anderes als mit sich selbst identisch sein."


Kapitel 33

203. Es ist eine triviale Bemerkung, daß jeder Gegenstand als dasjenige vorgestellt wird, als was er durch seinen Inhalt gegeben ist, d. h. daß er als mit sich selbst identisch vorgestellt wird. Die anscheinende Trivialität birgt jedoch in dieser Fassung eine Unklarheit. Mit scheinbar größerem Recht ließe sich die paradoxe Behauptung aufstellen, daß kein Gegenstand als mit sich identisch vorgestellt wird. Der Beweis für sie wäre einfach: Was vorgestellt wird, ist bewußt (43). Würde also jeder Gegenstand als mit sich selbst identisch vorgestellt werden, so würde das Bewußtsein dieser Identität mit sich selbst in jeder Vorstellung anzutreffen sein, ein konstanter Bestandteil, ein stets auftretendes Merkmal eines jeden Gegenstandes sein müssen. Dem widerspricht jedoch die Selbstbeobachtung allem Anschein nach entschieden. Indem wir einen Baum in der Wahrnehmung, ein Ereignis in der Erinnerung, das Schlaraffenland in der Einbildung, die Polizei in der Abstraktion vorstellen, finden wir in uns die Inbegriffe von Merkmalen, die jedem dieser Gegenstände eigen sind; keine Spur dagegen belehrt unsere Aufmerksamkeit für gewöhnlich darüber, daß wir außerdem in jedem von ihnen als gleiches Merkmal die Identität mit sich selbst vorstellen.

204. Ist demnach die Identität mit sich selbst ein eingebildetes, ein vom dürren Holz des Schulwissens herstammendes Merkmal? Es kann so scheinen, und ist so erschienen. Wäre dies jedoch richtig, so müßten wir weitergehen. Wir schreiben den Objekten der Gesichtswahrnehmung ausnahmslos eine Undurchdringlichkeit zu. Aber in den meisten Fällen der Wahrnehmung körperlicher Dinge mit Eigenschaften durch den bloßen Gesichtssinn fehlt das Bewußtsein der Undurchdringlichkeit, ersetzt sich das auf die Tast- und motorischen Sensationen zurückgehende Merkmal der Undurchdringlichkeit durch das Gesichtsmerkmaml der bloßen Raumerfüllung. Jeder Gegenstand ferner füllt einen Zeitraum aus, und zwar niemals einen verschwindend kleinen, sondern einen mittelbar meßbaren von verhältnismäßiger Größe, wie die psychophysischen Zeituntersuchungen gelehrt haben. Jeder Gegenstand ist überdies als Glied in die Zeitreihe der wechselnden Bewußtseinsinhalte eingeordnet. Und doch kommen uns jene wie diese Zeitbeziehungen nicht stets zu Bewußtsein (1).

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Merkmal der Identität. Auch dieses fehlt nicht ausnahmslos. Es zeigt sich vielmehr stets, sobald wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten,  wie das Vorgestellte vorgestellt wird.  Dann erscheint es so unumstößlich wie trivial, daß wir die Identität mit sich selbst in jedem Vorgestellten als solchen antreffen. Denn welche Art von Gegenständen wir auch immer wählen, jeden finden wir unter dieser Voraussetzung als das was er ist; keiner wird, während wir ihn als solchen vorstellen, zu einem anderen, oder vergeht in sich selbst. Ändert sich ein Gegenstand, so wird er eben, sofern er sich geändert hat, ein anderer. So wenig also etwa die Zeitbeziehungen der Gegenstände sich in einem konstanten Bewußtsein ihrer Zeitlichkeit offenbaren, so wenig hat die Identität jedes Gegenstandes mit sich selbst das Bewußtsein dieser Identität jedes Gegenstandes mit sich selbst das Bewußtsein dieser Identität in jedem Gegenstand zur Folge. Trotzdem uns das Zeitbewußtsein vielfach fehlt, schließen wir unbeirrt, daß jeder Gegenstand in der Zeit steht. Und wir schließen dies, weil wir ihn, wenn wir das Bewußte beachten, ausnahmslos in Zeitbeziehungen vorfinden. Ebenso müssen wir daran festhalten, daß jeder Gegenstand mit sich selbst identisch ist, obgleich die Vorstellung der Identität mit sich selbst nur ausnahmsweise in dem mit sich selbst identischen Gegenstand als Merkmal bewußt ist.

Wir müssen demnach eine frühere Betrachtung (151) aufnehmen, um sie weiterzuführen. Psychologisch genommen ist in einer Vorstellung enthalten, was in ihrem Gegenstand tatsächlich vorgestellt wird; logisch genommen dagegen ist jedem Gegenstand eigen, was nach dem Stand unserer Inhaltsanalyse in ihm klar unterschieden werden kann. Im tatsächlichen Bestand unseres wechselnden Vorstellungsverlaufs kann das eine Mal dies, das andere Mal jenes der Merkmale undeutlich sein, die im logisch bestimmten Gegenstand als deutliche gefordert werden. Auch jedes wesentliche Merkmal eines Gegenstandes kann zeitweilig tatsächlich undeutlich bleiben, wenn unsere Aufmerksamkeit nicht seiner Reproduktion zugewandt ist. Solche Merkmale können sogar in tatsächlichen Bestand auch unseres wissenschaftlichen Denkens gelegentlich fehlen. denn unser wissenschaftliches Denken entspricht in seinem tatsächlichen Verlauf doch nur ausnahmsweise den logischen Normen. Wenn es so unserer Vorstellung tatsächlich fehlt, dann kann es unbewußt erregt, oder selbst für diese Form der reproduktiven Erregung gehemmt sein. Es kann sogar zur Zeit oder dauernd unerregbar geworden, d. h. vergessen sein. Ausschaltungen dieser Art finden insbesondere dann statt, wenn sich überschwellenwertige Reize für die Wahrnehmung oder die assoziative Reproduktion regelmäßig wiederholen oder längere Zeit hindurch wirksam bleiben. Die psychologischen Modifikationen des Vorstellens berühren jedoch auch hier unsere logischen Kreise nicht. Ist logisch genommen jedem Gegenstand eigen, was nach dem Stand unserer Inhaltsanalyse in ihm aufgewiesen werden kann, so folgt, daß wir die Identität mit sich selbst als ein  Merkmal  ansehen müssen, das jedem Gegenstand, egal welchen Inhalt er haben mag, in gleicher Weise zukommt. Denn wir finden diese Identität mit sich selbst in jedem Gegenstand, sobald wir darauf achten, wie er vorgestellt wird.

205. Die Identität mit sich selbst ist ferner keine Merkmal des Gegenständlichen, das diesem mit anderen Bewußtseinsarten, die dann als nichtgegenständlich gefaßt werden müßten, gemeinsam wäre. Es ist vielmehr ein Merkmal, das nur dem Gegenständlichen zukommt, also ein diesem  eigenes,  und insofern ein  wesentliches  Merkmal.

Das muß auf den ersten Augenblick paradox erscheinen. Haben wir doch die Gegenstände des Denkens bisher von diesem selbst unterschieden, vom formulierten sowohl vie vom unformulierten Urteilen. In der Tat kann es niemandem einfallen zu bezweifeln, daß das Urteil, das formulierte Urteil, und weiterhin der Schluß, die Definition, die Beschreibung, die Einteilung, der Beweis, die Methode usw., kurz jeder Vorgang des Denkens als solcher, mit sich selbst identisch ist. Aber es kann ebensowenig einem Zweifel unterliegen, daß jede dieser Denkformen sowie jedes der spezifischen Worte, durch die wir sie bezeichnen,  Gegenstände  sind, die, wie alle Gegenstände, Inhalt und Umfang besitzen, also  Inbegriffe,  denen wir eine bestimmte Art der Zusammensetzung zuschreiben. Es liegt eben im Wesen des Denkens, daß es sich selbst, d. h. jede Art seiner Operationen, zum Gegenstand machen kann.

Aber der Einwurf läßt sich verallgemeinern. Steht nich auch unseren Gefühlen und Wollungen, und damit dem Bewußtsein überhaupt, der Anspruch zu, mit sich selbst identisch zu sein? Ist also nicht Identität mit sich selbst ein allen Arten des Vorstellens im weiteren Sinn mit allen Arten des Fühlens und Wollens gemeinsames, also eben ein Merkmal der Gattung  Bewußtsein?  Es erneuert sich hier in anderer Wendung ein Gedanke, dem schon an früherer Stelle zu begegnen war (193). Wir beseitigen diesen Einwurf auf demselben Weg, wie den eben besprochenen engeren. Ohne Zweifel müssen wir jedes einzelne Gefühl und jeden einzelnen Willensvorgang, ebenso wie jede Art von Gefühlen und Willensvorgängen, weiterhin die Gattungen des Fühlens und Wollens, und auf dieser psychologischen Stufenleiter schließlich die Gattung des Bewußtseins überhaupt als mit sich identisch  vorstellen.  Aber dies alles wird doch nur dadurch möglich, daß wir jedes einzelne Fühlen oder Wollen, sowie jede der ihnen übergeordneten Gattungen mit Einschluß des Bewußtseins gegenständlich fassen. Mit anderen Worten: wir erleben nicht nur Gefühle und Willensvorgänge, sodnern wir sind daraufhin auch imstande, durch Selbstwahrnehmung den Inhalt jedes Gefühls- und Willensvorgangs zu bestimmen, weiterhin das verschiedenen dieser Vorgänge Gemeinsame durch Abstraktion zu Arten und Gattungen zusammenzufassen, und diese schließlich zu psychologischen Ordnungsreihen zu verknüpfen. Kurz also: wir können nicht nur unser Denken, sondern auch unser Fühlen und Wollen gegenständlich fassen, d. h. Vorstellungen unseres Fühlens und Wollens gewinnen. Das Vorstellen reicht eben, wie wir bereits gesehen haben (49), über sein eigenes Gewicht gleichsam hinaus: es erstreckt sich über alles, was uns im Bewußtsein gegeben sein kann. Ist der Umstand, daß wir das Denken gegenständlich fassen können, die notwendige Bedingung für die Möglichkeit jeder logischen, so ist der Umstand, daß wir auch unser Fühlen und Wollen gegenständlich bestimmen können, die notwendige Bedingung für die Möglichkeit jeder psychologischen Untersuchung. Wir bestimmen ja den  Gattungs inhalt des Fühlens, indem wir sagen, wir seien uns in ihm eines Zustandes bewußt, in den wir durch irgendwelche Reize versetzt sind usw. Die Identität mit sich selbst ist also ein allgemeines  Merkmal  des Bewußtseins, und mithin jeder seiner Arten und Einzelformen, sofern das Bewußtsein und seine Arten eben gegenständlich gefaßt sind. Eben deshalb ist es ein  eigenes  Merkmal für alles, was uns gegenständlich wird.

Auf eine letzte mögliche Erweiterung des Einwandes brauchen wir hier nur hinzuweisen. Sie kann nur von Unbehutsamen vollzogen werden. Auch alles, was wir als von uns unabhängig wirklich erkennen, ist selbstverständlich als mit sich identisch - vorgestellt; ebenso das Transzendente, das wir für alles Wirkliche als Grundlage postulieren.

206. Die Identität mit sich selbst ist ferner ein  ursprüngliches  Merkmal unseres gegenständlichen Bewußtseins. Es kann nicht aus einem anderen Merkmal abgeleitet werden; denn es ist in jedem Merkmal, sofern dieses selbst ein Gegenstand ist, enthalten. Es ist deshalb auch nicht als eine Art der Gleichheit, etwa als "absolute" Gleichheit, zu deuten. Es kann weder eine analytische, noch eine synthetische Folgebestimmung der Gleichheit sein, weil jede Gleichheit eine Beziehung zwischen Gegenständen ist, von denen jeder, weil als Gegenstand, so auch als mit sich selbst identisch vorausgesetzt wird. Sie ist nicht eine Art, sondern der Grenzfall der Gleichheit, dem sich diese umso mehr nähert, je geringer alle möglichen Unterschiede zwischen zwei Gegenständen werden, und der erreicht wird, wenn alle möglichen Unterschiede fortfallen, die beiden Gegenstände also in ein und denselben zusammenfließen. Sie bleibt dabei als Grenze so eigenartig und selbständig, wie jede Grenze gegenüber der Variablen, die ihr ins Unendliche angenähert werden kann, ohne sie jemals anders, als mit der Aufgabe ihres Wesens, zu erreichen. Sie bleibt demnach von der Gleichheit so verschieden, wie etwa die Tangente von der Sekante, oder der Kreisbogen von der zugehörigen Sehne. Und diese logische Grenze der Gleichheit unterscheidet sich von den Grenzfällen mathematischer Gleichheit dadurch, daß die zu ihr führende Betrachtung nie eine grundlegende Ableitung werden, sondern nur eine für bestimmte Zwecke wertvolle Grenzbetrachtung sein kann, da jeder Fall von Gleichheit die Identität der verglichenen Gegenstände mit sich selbst voraussetzt.

207. Schon im Vorstehenden ist enthalten, daß die Identität mit sich selbst weiter als ein  einfaches  Merkmal des Gegenständlichen angesehen werden muß (107). Sie verträgt keine Analyse in eine Mehrheit von Bestandteilen; denn jede dieser Analysen würde die Identität eines jeden durch sie gewonnenen Merkmals mit sich selbst voraussetzen. Es gelten also hier die gleichen Betrachtungen, die eben über die Ursprünglichkeit dieses Merkmals entschieden haben. Die Identität mit sich selbst eines jeden Gegenstandes erwies sich uns als der Grenzfall jeder möglichen Beziehung dadurch, daß in ihr die jeder Beziehung zuletzt wesentliche Zweiheit der Glieder aufgehoben ist, da die beiden Glieder in ein und dasselbe zusammenfallen. Die Betrachtung, derzufolge wir die Identität mit sich selbst als Grenzfall der Gleichheit ansehen, ist also nur ein spezieller Fall derjenigen, die sie als Grenzfall jeder möglichen Beziehung auffassen läßt. Und hier wie dort bleibt die noch aufzuhebende Inkongruenz, daß die vorausgesetzte Grenze eine Bestimmung darstellt, die bereits der Möglichkeit jeder solchen Betrachtung zugrunde liegt.

208. Die Identität mit sich selbst ist schließlich das  einzige  ursprüngliche Merkmal der Gegenstände unseres Vorstellens. Denn indem wir den Gegenstand als Vorstellung, als Vorgestelltes, als Inbegriff, als Inhalt, als Umfang, als Etwas überhaupt, als höchste Gattung bestimmen, setzen wir sie in jeder dieser Bestimmungsweisen voraus. Alle diese früheren Bestimmungsweisen sind daher nicht nur Wechselbestimmungen zur Identität mit sich selbst, sondern auch dieser gegenüber abgeleitete.

209. Wir müssen deshalb sagen:  Gegenstand und Identität mit sich selbst ist ein und dasselbe; Gegenstand sein ist nichts anderes als mit sich selbst identisch sein.  Das scheint wiederum paradox. Aber es verliert diesen Charakter schon, wenn wir uns die logischen Beziehungen verdeutlichen, die all die verschiedenartigen Bestimmungen des Gegenstandes, die wir ableiten konnten, miteinander verknüpfen. Vom psychologischen Gesichtspunkt aus war uns der Gegenstand vorerst Vorstellung; vom logischen aus wurde er zum Vorgestellten, weiterhin zum Inbegriff, dann zum Inhalt und zum Umfang, von da aus zur höchsten Gattung oder dem  Etwas  überhaupt, schließlich zur Identität mit sich selbst. Wir gehen nunmehr davon aus, den Gegenstand  logisch = Vorgestelltes = Inbegriff  zu setzen, und identifizieren diese Bestimmungen sodann mit dem Umfang und der höchsten Gattung. Dann können wir die höchste Gattung vom Standpunkt der oben bestimmten sachlichen Kategorien der Substanz, des Vorgangs und der Beziehung aus auffassen. Damit ergibt sich:  der Gegenstand  ist, von der Kategorie der Substanz aus als höchste Gattung angesehen, der  Inhalt;  von der Kategorie des Vorgangs aus erscheint er in dieser höchsten Gattung  als Vorstellung,  und von der Kategorie der Beziehung aus als  Identität mit sich selbst.  Von einem anderen Gesichtspunkt aus können wir sagen: jeder Gegenstand zeigt sich bei abstraktester Betrachtung als Inbegriff, d. h., wie wir von unserem ursprünglichen Ausgangspunkt aus sagen mußten, als Gegenstand zweiter Ordnung; der Inbegriff aber ist die höchste Gattung, sofern er Beziehungen der Elemente untereinander einschließt; in jeder Beziehung schließlich steckt die Identität mit sich selbst als ein Moment, das auch als Grenze der Beziehungen überhaupt aufgefaßt werden kann. Von den beiden letzten Gesichtspunkten aus hebt sich demnach auch die Inkongruenz, die in der Betrachtung der Identität als Beziehung enthalten ist: die Identität mit sich selbst ist der Gegenstand, wenn diese als höchste Gattung aufgefaßt wird; sie ist der Grenzfall der Beziehungen von dem Standpunkt aus, der von dieser Kategorie zur höchsten Gattung emporführt.

210. Aus dieser Funktion der Identität folgt, daß das Urteil:
I.  Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch 

das Wesen unseres Gegenstandsbewußtseins, d. h. unseres Vorstellens, zum Ausdruck bringt. Es ist als formaler  Grundsatz der Identität  der allgemeinste Grundsatz unseres Vorstellens; in symbolischer Bezeichnung:  A = A. 

Ein Formaler  Grundsatz  ist dieses Urteil, weil es einen Beweis weder fordert noch verträgt. Es bedarf eine solchen nicht, weil es so einleuchtend oder evident ist, daß es nichtssagend erscheinen kann. Es läßt keinen Beweis zu, da jeder Beweis in jedem seiner Bestandteil die Identität mit sich selbst zur Voraussetzung hat, deren Fassung in Form eines Urteils die zu beweisende Behauptung ist. Eine zureichende Begründung kann ihm deshalb nur durch die Evidenz zuteil werden, mit der jeder Versuch es aufzuheben, d. h. zu verneinen, sich als denkwidrig, also unmöglich ergibt. Es ist ferner der  allgemeinste  Grundsatz unseres Vorstellens, weil es nichts enthält, als was das einfache Wesen des Vorstellens überhaupt ausmacht.

Allerdings ist es gewiß ein Satz, dessen Prädikat lediglich das Subjekt in einer anderen Bestimmung wiederholt, d. h. ein  identifizierendes  Urteil. Es ist sogar das Musterbild aller solchen Aussagen. Sein Prädikat kann nichts anderes wiedergeben, als was das Subjekt besagt. Denn es ist ein und dasselbe, was wir von zwei Seiten aus betrachten. Da ferner der Grundsatz nur formuliert, was jeden möglichen Gegenstand als solchen charakterisiert, und dies für jeden, der die nötige Abstraktion aufzuwenden vermag, unmittelbar einleuchtend ist, weil die unmittelbare Evidenz sich in jedem Versuch der Prüfung ohne weiteres bewährt, so ist selbstverständlich, daß er selbstverständlich sein muß. Man kann ihn leer oder nichtssagend schelten. Aber man muß zugleich zugestehen, jenes Leere sei dadurch bedingt, daß in ihm von jedem speziellen Inhalt, ja selbst von der logischen Immanenz, die erst bei der Betrachtung der höchsten Gattung von den  substantialen  Ordnungsreihen zum Vorschein kommen kann, vollständig abgesehen werden muß. Und man muß einräumen, das Nichtssagende entstehe dadurch, daß er nichts zu sagen hat, als das Einfache, das wir im Bewußtsein jedes Gegenstandes unmittelbar erleben.

211. Der Grundsatz der Identität sagt ferner lediglich asu,  was ist.  Er schreibt nicht vor, was sein soll. Er kann keine Regel enthalten, die unter Umständen auch nicht befolgt werden könnte, eben weil er das allem Vorgestellten als solchem tatsächlich eigene, nur diesem zukommende Wesen beschreibt. Er ist also  kein normativer Grundsatz.  Dennoch darf er als ein  logischer  Grundsatz angesehen werden. Denn er ist fürs Erste auf dem Weg einer rein logischen Untersuchung gewonnen worden, und kann nur auf einem solchen gewonnen werden. Er bestimmt ferner das Wesen der Gegenstände, das allem unserem Denken im eigentlichen Sinn, allem Vergleichen und Unterscheiden, als unaufhebbare Bedingung seiner Möglichkeit, sowie der Möglichkeit, daß das Denken sich selbst zum Gegenstand macht, zugrunde liegt. Daß hier die Logik eine Aufgabe übernimmt, die formell der Psychologie zusteht, darf nicht befremden. Es handelt sich eben um eine jener formalen Bestimmungen, die von der Logik für jede andere Wissenschaft übernommen werden, weil sie den Elementen der allen Wissenschaften gemeinsamen Methoden des Denkens zugehört.

212. Unterscheiden wir das Vorstellen, durch das uns Gegenstände gegeben sind, von einem Vorstellen, durch das diese Gegenstände urteilsmäßig, im formulierten Denken durch aussagende Urteile bestimmt werden, so stellt sich das Gesetz der Identität als das Grund gesetz  unseres Vorstellens im engeren Sinn dar. In dieser Fassung drückt es die wesentliche  Voraussetzung  unseres Denkens aus. Aber es ist von diesem Gesichtspunkt aus  kein  Denk gesetz  im engeren Sinne, eben weil es das Gesetz unseres Vorstellens im engeren Sinne ist. Zu dieser seiner Stellung als Voraussetzung unseres Denkens im engeren Sinne bekennt sich der Grundsatz durch die ihm als einem formulierten Urteil eigene logische Form. Er verwandelt die Grenze jeder möglichen Beziehung in eine elementare zweigliedrige Beziehung. Denn er zerlegt die Identität des Gegenstandes mit sich selbst in die funktionelle Differenz von Subjekt und Prädikat, die auch im identifizierenden Urteil nicht aufgehoben ist. Er zerlegt somit was als ein und dasselbe gegeben ist, in zwei Glieder, die als Subjekt und Prädikat einander gegenüberstehen. Er versucht, kann man geradezu sagen, das Unmögliche. Denn er bringt in der Weise des formulierten Denkens zum Ausdruck, was in der Weise dieses Denkens, ja in der Weise des Denkens überhaupt, nicht gefaßt werden kann. Die Identität jedes Gegenstandes mit sich selbst kann nicht im eigentlichen Sinn  gedacht,  d. h. durch ein Vergleichen oder Unterscheiden erfaßt werden. Jedem solchen Versuch widerspricht ihr einfaches Wesen. Das Symbol  A = A  enthält insofern einen Widerspruch in sich selbst. Es stellt die einfache Setzung des mit sich selbst Identischen als eine zweifache dar. Eben weil das gegenständliche Vorstellen als solches und das formulierte Urteilen auch in seiner einfachsten Form wesensverschieden sind, ist der unerläßliche Versuch, das Gegenstandsein in der Weise des Urteilens auszudrücken, ein notwendig mißlingender.

213. Der Grundsatz der Identität trifft als das Vorstellungsgesetz ausschließlich den Grenzfall der Beziehung, die nur uneigentlich als Beziehung ausdrückbare Beziehung jedes Gegenstandes auf sich selbst als den, der er ist. Jeder Gegenstand ist mit sich selbst identisch, sofern er, als eben dieser Inhalt, jedes einzelne Merkmal eines zusammengesetzten Gegenstandes, sofern es als eben dieses bewußt ist. Man ist seit ARISTOTELES daran gewöhnt, das Wort  Identität  auch in einem weiteren Sinn zu gebrauchen. Man nennt die gemeinsamen Merkmale verschiedener und die konstanten Merkmale eines einzelnen Gegenstandes identische; man läßt einen Gegenstand mit einigen seiner Merkmale, ein zum  n + l-ten  Mal Vorgestelltes mit dem zum  n-ten  Mal Vorgestellten, ja gar die Erinnerung an Wahrgenommenes mit diesem identisch sein; man trägt sogar kein Bedenken, vom hölzernen Eisen partieller Identität zu reden usw. (2) Von jeder solchen Erweiterung der Identität, die aus der Identität mit sich selbst eine Art Gleichheit macht, wird hier und auch weiterhin grundsätzlich abgesehen. Wo wir Anlaß haben, von einer vollständigen Inhaltsgleichheit zu reden, werden wir indessen, wie bisher, diese Gegenstände als "dieselben" bezeichnen.

214. Die Identität bildet den Kern dessen, was seit KANT als Position, Setzung, oder mit einem unglücklich gewählten, weil dem Urteilsgebiet entnommenen Ausdruck, als Bejahung bezeichnet worden ist. Läßt man die wechselnden Nebenbedeutungen fortfallen, die der Setzung durch metaphysische Hypothesen beigelegt worden sind, sieht man vor allem von aller Beziehung auf das Transzendente ab, die ihm schon von KANT (3) zuerteilt worden ist, so läßt sich das Wort für den Inhalt der höchsten Gattung beibehalten, um die Identität gegenüber gleich zu besprechenden logischen Beziehungen der Gegenstände zu benennen. Da die Setzung demnach eingegrenzt ist in der Beziehung jedes Vorgestellten auf sich selbst, also die Setzung irgendeines Gegenstandes als solche eine Beziehung auf die Setzung eines anderen weder fordert noch zuläßt, so ist die Setzung, wie einfach und ursprünglich, so auch  selbständig.  Jede Unterscheidung also setzt nicht weniger als jede Vergleichung die Identität des Verschiedenen und des Gleichen mit sich selbst voraus. Jeder Versuch, die Setzung an eine Unterscheidung zu binden, kehrt deshalb das Abhängigkeitsverhältnis beider irrig um.

215. Der Grundsatz der Identität stellt lediglich die Setzung  eines  Gegenstandes dar. Er würde gelten, auch wenn unser Bewußtsein nur von  einem  unveränderlichen Gegenstand erfüllt wäre. Uns ist jedoch eine Mehrheit von Gegenständen gegeben. Jeder von ihnen ist daher  nur mit sich  selbst identisch. Er ist deshalb von jedem anderen verschieden, wenn Gegenstände im weitesten Sinne des Wortes  verschieden  genannt werden, sofern sie nicht miteinander identisch sind. Diese Verschiedenheit in weitester Bedeutung ist  unbestimmt,  da der besondere Inhalt der Gegenstände, die nicht identisch sind, unberücksichtigt bleibt, vielmehr ausschließlich die Verschiedenheit der Setzung in Betracht gezogen wird. Bezeicnet man die einzelnen Gegenstände, um diese Verschiedenheit der Setzung auszudrücken, mit  A, B, C, D  ... so kann man sie in die Worte fassen:
     A  ist verschieden von  B, C, D. 
Für die einzelnen Gegenstände (B, C, D ...) kann man kurz  Non-A  setzen und demgemäß sagen:
     A  ist verschieden von  Non-A,  oder noch kürzer:
     A  ist nicht  Non-A 
Wem an einem Symbol für die Verschiedenheit gelegen ist, mag dafür schreiben:
     A ∨  [oder - wp]  Non-A. 
Das Symbol ist nach einer Analogie des Symbols für das Identitäts- und Gleichheitszeichen gebildet. Der durch diese Formeln ausgedrückte  Grundsatz der Nichtidentität  oder der  unbestimmten Verschiedenheit  lautet demnach:

I.  II. Jeder Gegenstand ist, sofern er nur mit sich
selbst identisch ist, von jedem anderen verschieden 

.216. Der Grundsatz der Nichtidentität besagt nicht it anderen Worten dasselbe wie der Grundsatz der Identität; er ist auch keine analytische Folgebestimmung dieses Grundsatzes, sondern steht zu ihm vielmehr im Verhältnis einer  synthetischen  Abhängigkeit (152). Er setzt den Grundsatz der Identität voraus. Aber er bedarf überdies einer Voraussetzung, die für jenen nicht in Betracht kommt, daß nämlich eine  Mehrheit  von Gegenständen gegeben ist. Es liegt nicht mehr der Grenzfall vor, daß die Beziehungspunkte in einen zusammenfließen, sondern es sind  zwei  solche Punkte,  A  und  Non-A,  dieser als der Inbegriff des mit  A  Nichtidentischen, gegeben.

In diesen beiden Beziehungen, der ursprünglichen der Identität und der abgeleiteten der Nichtidentität, erschöpfen sich die grundlegenden logischen Verhältnisse der Gegenstände als solcher. Alle übrigen verlangen eine Rücksichtnahme auf den besonderen Inhalt der Gegenstände, der nur durch die Urteilsbeziehungen entsprochen werden kann.

217. Der Einsicht in die Bedeutung des höchsten logischen Grundsatzes haben sich Schwierigkeiten in den Weg gestellt, die noch gegenwärtig die Auffassungen nach allen Richtungen auseinandergehen lassen. In erster Linie ist ihr die Vermischung von Identität und Gleichheit, die mehrfach bereits zu erwähnen war, zum Verhängnis geworden. Einen zweiten Hemmschuh bildete die Unklarheit über das Wesen des Denkens und seine Beziehung zum Vorstellen im engeren Sinn. Schließlich hat auch die Selbstverständlichkeit und der Schein des Nichtssagenden in diesem Grundsatz getäuscht.

Für den ersten dieser Mängel haben, wie erwähnt, aristotelische Ausführungen als vielen leuchtendes, immer wieder auftauchendes Irrlicht gewirkt. Dem Begründer der Logik ist die Identität lediglich ein besonderer Fall der Gleichheit. (4) Dementsprechend unterscheidet er verschiedene Arten der Identität, z. B. neben der Identität mit sich selbst, d. h. der Identität nach Zahl und Wesen, das nur der Zahl und das nur dem Wesen nach Identische (5). Einen Satz der Identität hat er nicht formuliert, geschweige denn als logischen Grundsatz nachgewiesen. Die Stellen, die als Ausdruck eines solchen Satzes angesehen worden sind, beweisen nicht mehr, als ähnliche Äußerungen bei PLATON und eine Behauptung im Lehrgedicht des PARMENIDES. Sie zeigen nur, daß Wendungen, in denen wir jetzt den Gedanken der Identität, auf die Urteile bezogen, wiedererkennen können, sich unwillkürlich aufdrängten (6). Wie es scheint, sind erst zur Zeit GALENs Versuche angestellt worden, logische Grundsätze zu formulieren (7). Derjenige, der das Gesetz der Identität, allerdings nicht logisch, auf das Vorgestellte, sondern metaphysisch, auf das Seiende bezogen ("ens est ens"), als ersten Grundsatz ausgesprochen hat, ist nach alter Tradition der Scotist ANTONIUS ANDRAE (8). Für die "Grundlage aller Demonstration", für ein Denkgesetz ist es, wie aus der Polemik LOCKEs hervorgeht, (9) schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts vielfach gehalten worden; wohl unter dem Einfluß der späteren Entwicklung der nominalistischen Logik. (10) LOCKE selbst erkennt die Identität jedes Vorgestellten mit sich selbst als notwendig an: "Die erste Tätigkeit des Geistes, so dieser Geist überhaupt irgendwelche Gefühle oder Ideen hat, seine Ideen wahrzunehmen, und falls er sie wahrnimmt, zu wissen, was jede von ihnen ist. ... Das ist absolut notwendig, denn ohne diesen Vorgang gäbe es kein Wissen, keine Vernunft, keine Phantasie und überhaupt keine bestimmten Gedanken. Deshalb versteht der Verstand klar und eindeutig jede Idee als mit sich selbst übereinstimmend, als etwas das ist, was es ist." Er meint jedoch infolge seiner Stellung zu den logischen Grundsätzen überhaupt, das Axiom "was auch immer ist, ist" oder "dasselbe ist dasselbe" sei ein wertloser Satz (trifling proposition [unbedeutende Angelegenheit - wp]). Denn es bereichert unsere Erkenntnis nicht, obgleich es denen gegenüber hin und wieder eine kritische Bedeutung hat, die gegen das Axiom verstoßen (11). LEIBNIZ deutet den Satz: "Chaque chose est ce qu'elle est" [Jedes Ding ist, was es ist. - wp] als allgemeine primitive affirmative  Vernunft wahrheit, und führt gegen LOCKE aus, "que les propositions identiques les plus pures et qui paraissent les plus inutiles, sont d'un usage considerable dans l'abstrait et general." [Diese identischen Aussagen scheinen nutzlose Hinweise zu sein, sind aber von erheblicher abstrakter und allgemeiner Bedeutung. - wp]. Er behauptet sogar geradezu: "Les consequences de Logique se demontrent par les principes identiques." [Logische Folgerichtigkeit wird durch das Prinzip der Identität demonstriert. - wp] (12) Für WOLFF ist der Grundsatz weder wo er als Prinzip der Gewißheit auftritt, noch wo er lediglich als allgemeinster der identischen Sätze erscheint, ein ursprünglicher, sondern aus dem hier erst in der Urteilslehre zu erörternden Satz des Widerspruchs abgeleitet (13). Bei BAUMGARTEN steht der Grundsatz, obgleich er ihn als  principium positionis  faßt, in gleicher Abhängigkeit. Er formuliert, Logisches und Metaphysische, Vorstellen und Denken vermischend: "Omne possibile A est A, seu quicquid est, illud est, seu omne subjectum est praedicatum sui." [Jedes mögliche A ist A, das heißt, es ist, was immer es ist oder das ganze Subjekt ist ein Prädikat seiner selbst. - wp] (14) Nach REIMARUS dagegen ist der Satz: "Ein jedes Ding ist das, was es ist", d. h. die "Regel der Einstimmung", eine selbständige, und zwar die ursprüngliche Regel der Vernunft. Er gibt ihr jedoch einen noch unbestimmteren Sinn als BAUMGARTEN. (15) KANT hat, allerdings selbst in der Periode seines Kritizismus nicht ohne Schwanken, die Annahme WOLFFs, daß der Grundsatz der Identität nicht ursprünglich ist, beibehalten (16). Die Keime der Erkenntnis, daß das Gesetz der Identität das höchste Gesetz des Vorstellens ist, finden sich, eingebettet in hier nicht zur prüfende metaphysische Annahmen, in den Ausführungen FICHTEs. Er bezeichnet den "logischen" Satz:  A = A  als "die höchste Tatsache des empirischen Bewußtsein", da durch ihn lediglich gesetzt wird: "wenn  A  ist, so ist  A",  "der notwendige Zusammenhang" also "zwischen beiden (X) schlechthin und ohne allen Grund gesetzt werde." Weil es ferner das Ich ist, "welches im obigen Satz urteilt, und zwar nach  X  als einem Gesetz urteilt", so muß das Gesetz "dem Ich durch das Ich selbst gegegeben sein". Es steht für ihn deshalb die "Form dieses Satzes, insofern er bloß ein logischer Satz ist, unter der höchsten Form, der Förmlichkeit überhaupt, der Einheit des Bewußtseins" (17). Ähnlich erklärt sich SCHELLING: "Das höchste Gesetz für das Sein der Vernunft, und da außer der Vernunft nichts ist, für alles Sein (insofern es in der Vernunft begriffen ist) ist das Gesetz der Identität. ... Der Satz  A = A bedarf  keiner Demonstration. Er ist Grund aller Demonstration. Das was durch ihn gesetzt ist, ist nur dieses unbedingte Gesetztsein selbst". (18) HEGEL ordnet dem Satz, wie vielfach, immer jedoch, wie sich zeigen wird, unberechtigterweise geschehen ist, die Verneinung gleich: " A  kann nicht zugleich  A  und nicht  A  sein". Er behauptet: "Dieser Satz, statt ein wahres Denkgesetz zu sein, ist nichts als das Gesetz des abstrakten Verstandes. Die Form des Satzes widerspricht ihm schon selbst, da ein Satz auch einen Unterschied zwischen Subjekt und Prädikat verspricht, dieser aber das nicht leistet, was seine Form fordert. ... Wenn man behauptet, dieser Satz könne nicht bewiesen werden, aber jedes Bewußtsein verfahre danach ..., so ist dieser angeblichen Erfahrung der Schule die allgemeine Erfahrung entgegenzusetzen, daß kein Bewußtsein nach diesem Gesetz denkt, noch Vorstellungen hat usw., noch spricht, daß keine Existenz, welcher Art sie auch sei, nach demselben existiert. Das Sprechen nach diesem seinsollenden Gesetz (ein Planet ist - ein Planet ...) gilt mit vollem Recht für albern." (19) Der treibende Grund zu dieser Ablehnung des Grundsatzes liegt in einem hier nicht zitierten Hinweis HEGELs auf seine dialektische Methode. Seine Bedenken, denen die richtige Erkenntnis zugrunde liegt, daß die Urteilsform des Grundsatzes mit seinem Gegenstand unverträglich ist, erledigen sich nach dem Obigen (212) leicht. Der übrigens nicht einwandfrei gefaßte Grundsatz: "Alles ist mit sich identisch" widerspricht in der Tat sich selbst. Aber so wenig, wie das Gras aufhört grün zu sein, weil wir in dem Urteil  das Gras ist grün  genötigt sind, Subjekt und Prädikat zu trennen, so wenig verletzt die prädikative Trennung des Vorgestellten in dem Urteil, das die Identität des Vorgestellten ausdrückt, die absolute Immanenz der Identität im Gegenstand. Der Albernheit aber, die HEGEL dem Denken zuschiebt, das dem Grundsatz folgt, macht sich doch nur der schuldig, der die Identität als  Denk gesetz annimmt, und sie trotzdem so eng versteht, wie sie als Vorstellungsgesetz verstanden werden muß.

Noch gegenwärtig herrscht, wie erwähnt, der Streit der Ansichten auch auf diesem höchsten Punkt logischer Abstraktion (20). Die weitestgehende Ablehnung hat dem Satz, sofern er durch die Formel  A = A  dargestellt wird, SCHUPPE zuteil werden lassen (21). Bedeutungslos erscheint er in der obigen Fassung u. a. FRIES, BENEKE, DROBISCH, ÜBERWEG, SIGWART (22), während TWESTEN, HAMILTON, JEVONS ihm die Ehrenstelle am Eingang der Logik zuweisen (23).

Die alte metaphysische Fassung des Grundsatzes ist selbst von Logikern wie FRIES, BENEKE, ÜBERWEG, JOHN STUART MILL, JEVONS unbedenklich beibehalten worden. In mannigfacher Nuancierung seines Sinnes wird er als  Denk gesetz, speziell als Grundsatz der bejahenden Urteile aufgefaßt. So innerhalb der kantischen Schule, wie es scheint, nach dem Vorbild von REIMARUS, bei KRUG, HAMILTON u. a. (24); ebenso bei DROBISCH, ÜBERWEG und, vermischt mit anderen Fassungen, bei WUNDT (25). Dementsprechend wird er, wie J. S. MILL in seiner Kritik der Hamiltonschen Philosophie ausdrücklich gefordert hat (26), häufig erst bei der Urteilslehre abgehandelt, von ÜBERWEG sogar erst vor der Schluß-, von WUNDT am Ende der Elementarlehre überhaupt. Auf die Konstanz im Gebrauch ein und derselben Vorstellung ist er von BOBRIK, SIGWART sowie von WUNDT in einer der Fassungen bezogen, die in seinen Angaben vermischt sind (27). In einem "erweiterten Sinn" hat ihn ÜBERWEG, gelegentliche aristotelische Wendungen festlegend, zum Kriterium der Wahrheit gestempelt; Verwandtes hat BERGMANN aus geführt (28). Einiges Treffendes hat BAUMANN dargelegt. (29)

Ein Versuch, die Identität zu definieren, der mißglücken mußte, ist von BOLZANO ausgeführt. Richtiges über die Bedeutung des Grundsatzes für die Identität dagegen bei JEVONS (30). Mehrfach hat man gemeint, das Gesetz beweisen zu können. So FICHTE, FRIES, ÜBERWEG. KROMANN dagegen läßt die Logik darüber nichts lehren, "wie weit die Behauptung  A = A  richtig ist" (31).

Der Grundsatz der Nichtidentität hat das Schicksal des Gesetzes der Identität geteilt. Er ist fast ausnahmslos nur als eine "andere Seite", die "negative Fassung" dieses Grundsatzes angesehen worden, während oben der Nachweis zu versuchen war, daß er nur ein Folgesatz der Identität, und zwar nur ein synthetischer Folgesatz des Vorstellungsgesetzes sei.
LITERATUR - Benno Erdmann, Logik, Halle 1892
    Anmerkungen
    1) Man vergleiche Weiteres in meiner Abhandlung zur Theorie der Apperzeption, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 10, Leipzig 1886, Seite 308f)
    2) GEORGE STUART FULLERTON,  On Sameness and Identity  in den "Publications of the University of Pennsylvania", Philosophical Series Nr. 1, Philadelphia 1890. Man vgl. auch EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen II, Halle 1901, Seite 112f.
    3) KANT, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (Kants Gesammelte Schriften, hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 2, Berlin 1905, Seite 73f
    4) ARISTOTELES, Metaphysik V 9, 1018 a 7: Das nämlich wird als dasselbe ausgesagt, dessen Stoff  einer  ist entweder der Art oder der Zahl nach, und das, dessen Wesen  eines  ist.
    5) ARISTOTELES, Metaphysik X 3, 1054 a 32: Da das Identische in vielfacher Bedeutung ausgesagt wird, bezeichnen wir in der einen Bedeutung damit Dinge, die der Zahl nach dasselbe sind, dann welche, die sowohl dem Begriff als auch der Zahl nach Eines sind, wie etwa du it dir selbst sowohl der Form als auch dem Stoff nach Eines bist: weiter bezeichnen wir Dinge als identisch, wenn der Begriff ihres Wesens  einer  ist, wie etwa gleiche gerade Linien identisch sind und ebenso gleiche gleichwinklige Vierecke, wiewohl es ihrer mehrere sind; doch bedeutet bei ihnen Gleichheit Einheit.
    6) ARISTOTELES, Analytica priora I, 47 a 8; Metaphysik IX, 10, 1051 b 3; PLATO, Republik, 477B, 478A
    7) PRANTL, Geschichte der Logik I, Seite 562
    8) ANTONIUS ANDRAE, Quaest. super XII libros metaphys., Venedig 1495 und 1513.
    9) JOHN LOCKE, An Essay concerning Human Understanding, Buch IV, Kap. 7, § 2f.
    10) CHRISTIAN WOLFF, Philosophia rationalis s. Logica, 1728, § 364
    11) JOHN LOCKE, a. a. O., Buch IV, Kap. 1, § 4; § 1-3;
    12) LEIBNIZ' Philosophische Schriften, hg. von GERHART, Bd. V, Seite 344, 347; Bd. VII, Seite 224, 228; ferner G. G. Leibnitii  Opera philosophica  ed. J. E. ERDMANN, Seite 43, 89 Anm.
    13) CHRISTIAN WOLFF, Ontologia, § 55, 288; Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, Frankfurt und Leipzig 1736, § 10.
    14) ALEXANDER BAUMGARTEN, Metaphysica, Halle 1779, § 11
    15) H. S. REIMARUS, Die Vernunftlehre, Hamburg und Kiel 1782, § 12f
    16) Vgl. M. STECKELMACHER, Die formale Logik Kants, Breslau 1879, Seite 45
    17) JOHANN GOTTLIEB FICHTE, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Werke Bd. 1, Seite 95, 93, 102
    18) SCHELLING, Werke I, Seite 4, 116; vgl. auch Werke I, Seite 3, 361f, 177f
    19) HEGEL, Enzyklopädie I, § 115, Werke IV, Seite 229
    20) Man vgl. den Streit zwischen MILL und SPENCER, für den sich die Belege in den oben zitierten Arbeiten von FULLERTON und HUSSERL finden.
    21) WILHELM SCHUPPE, Erkenntnistheoretische Logik, Bonn 1878, Seite 142f und "Das menschliche Denken", Berlin 1870, Seite 46f
    22) FRIES, System der Logik, Heidelberg 1811, § 42; BENEKE, System der Logik I, Berlin 1842, Seite 105; DROBISCH, Logik, § 58; ÜBERWEG, Logik, § 76; SIGWART, Logik I, Seite 103f.
    23) TWESTEN, Die Logik, insbesondere die Analytik, Schleswig 1825; WILLIAM HAMILTON, Lectures on Logic I, Seite 5; JEVONS, Principles of SCIENCE, § 5.
    24) H. S. REIMARUS, Vernunftlehre, § 115, 115; WILHELM TRAUGOTT KRUG, Logik, § 17, (vgl. HERBART, Werke I, Seite 544); HAMILTON, Lectures, Seite 79f;
    25) DROBISCH, a. a. O. § 58; ÜBERWEG a. a. O., Seite 183; WUNDT, Logik I, Seite 504f;
    26) MILL, An Examination of Sir William Hamiltons Philosophy, Seite 490
    27) BOBRIK, System der Logik I, 1838, Seite 247; SIGWART, Logik I, Seite 383, Logik II, Seite 37
    28) ÜBERWEG, a. a. O. Seite 183. Vgl. ARISTOTELES, Metaphysik III, 7, 1011 b 26, IX 10, 1051 b 3; BERGMANN, Reine Logik, Berlin 1879, Seite 252f, 260f.
    29) JULIUS BAUMANN, Philosophie als Orientierung über die Welt, Leipzig 1872, Seite 375. Vgl. SIGWART, Logik I, Seite 186 Anm.
    30) BOLZANO, Wissenschaftslehre I, Seite 430; JEVONS, a. a. O. Seite 5; Elementary Lessons in logic, London 1883, Seite 118.
    31) J. G. FICHTE, Werke I, Seite 98; FRIES, Logik, § 41; ÜBERWEG, Logik, Seite 189; Kroman, Unsere Naturerkenntnis, Seite 111.