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JULIUS BERGMANN
Zur Beurteilung des Kritizismus
vom idealistischen Standpunkt

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"Von bloßen Tatsachen, die sie der äußeren und der inneren Wahrnehmung, der Beobachtung der Außenwelt und der eigenen seelischen Zustände und Ereignisse entnehmen, gehen alle nicht philosophischen Wissenschaften aus. Auch die Mathematik verfährt so. Die Grundsätze der Mathematik, wie daß es zwischen zwei Punkten nur eine gerade Linie geben kann, drücken allerdings keine bloßen Tatsachen und überhaupt keine Tatsachen aus; wir sind der derselben nicht deshalb gewiß, weil wir sie aus Messungen abstrahiert hätten, sondern es ist ein innerer Zwang des Bewußtseins, sie anzuerkennen, worauf wir sie gründen, ein Zwang, der es uns unmöglich macht, ernsthaft an ihrer Wahrheit zu zweifeln."

"Die Entdeckungen der Mathematik erfüllen uns mit einem Gefühl des Staunens über die unerschöpfliche Fülle gesetzmäßiger Beziehungen, welche den Raum und die Welt der Zahlen beherrschen; sie würden es nicht tun, wenn das Beweisen ein wahrhaftes Begreifen wäre."

"Die einfachste Überlegung sagt uns, daß wir mittels unserer Sinne nur Eigenschaften, Verhältnisse, Beziehungen, Veränderungen wahrnehmen, niemals die Dinge selbst, auf welche wir die Eigenschaften usw. beziehen, - nur das Wie der Körper, nicht das Was. Wir fühlen Wärme, Druck, Widerstand usw., sehen Farben, Ausdehnung, riechen Düfte, hören Töne, aber was dasjenige ist, was warm ist, drückt, Farbe hat, ausgedehnt ist, sich bewegt, duftet, tönt, nehmen wir nicht wahr. Ja wir nehmen nicht einmal wahr, daß es überhaupt ein solches gibt, daß alle jene Eigenschaften wirklich Eigenschaften sind und als solche einen Träger haben, einer Substanz inhärieren."

I.
Der idealistische Begriff der Philosophie
und die Bedeutung des Kritizismus im Allgemeinen


Alle Erkenntnisse, lehrte KANT, stammen dem Inhalt nach aus der Anschauung; Begriffe ohne Anschauungen sind leer; durch logisches Denken nach dem Satz des Widerspruchs können wri nur einen bereits vorhandenen Erkenntnisinhalt zergliedern und erläutern, keinen neuen erzeugen.

Für die gegenwärtige Untersuchung soll dieser Satz KANTs als ausgemachte Wahrheit gelten. Es soll aber an demselben strenger festgehalten werden als in KANTs Lehre selbst geschieht. Denn diese beruth zugleich auf der entgegengesetzten Annahme, daß es einen Erkenntnisinhalt gebe, der nicht aus der Anschauung stamme und überhaupt schlechthin unanschaulich sei, nämlich denjenigen, welcher in den Kategorien und den Grundsätzen des reinen Verstandes, in den letzteren allerdings mit Anschaulichem gemischt, seinen Ausdruck findet. KANT sagt zwar von den Kategorien, daß sie  leere  Begriffe seien, aber es liegt doch auf der Hand, daß durch sie etwas gedacht wird, wenn dasselbe auch für uns Menschen kein selbständiges Denken hat, sondern nur in oder am anschaulichen Inhalt existiert. Und er nennt sie zwar  Formen,  aber inwiefern er es mit Recht tut, bedeutet Form nicht den Gegensatz zum Erkenntnis inhalt,  sondern gehört, wie auch Raum und Zeit, die Formen der sinnlichen Anschauung, selbst zum Erkenntnisinhalt und ist innerhalb desselben dem Erkenntnis stoff  entgegengesetzt. Aus dieser Inkonsequenz KANTs haben sich die Methoden FICHTEs, SCHELLINGs und HEGEL entwickelt, welche wieder, wenn auch zum Teil ohne sich dessen klar bewußt zu sein, durch anschauungsloses Denken Erkenntnisse zu erzeugen unternahmen.

Der Begriff der Anschauung oder unmittelbaren Erkenntnis ist ein allgemeine und faßt (auch nach KANT) die besonderen Begriffe des  direkten  Erfassens und Habens des Erkenntnisinhaltes, nach der gewöhnlichen Bezeichnung der Wahrnehmung und des  indirekten  mittels Erinnerungsbilder, nach der gewöhnlichen Bezeichnung der Vorstellung im engeren Sinne des Wortes, unter sich. Es ist ganz im Sinne KANTs, wenn die gegenwärtige Untersuchung sich den obigen Satz so aneignet, daß sie ihn auf den Begriff jenes direkten Erfassens bezieht. Denn, wie schon CARTESIUS hervorhebt und auch KANT ausdrücklich lehrt, stammen die Elemente, aus welchen die Einbildungskraft alle ihre Bilder zusammensetzt und auch, wie man hinzufügen kann, die allgemeinen Weisen der Zusammensetzung aus der direkten Auffassung der Gegenstände. Nun nennt man alles in diesem engeren Sinne des Wortes Angeschaute (als möglichen Urteilsinhalt) eine  Tatsache.  Der vorangestellte Grundsatz kann also auch so ausgedrückt werden, daß aller Erkenntnisse von Tatsachen ausgehen und ausschließlich an Tatsachen ihren Inhalt haben.

Hiermit würde der nackte Empirismus ausgesprochen sein, wenn alle Tatsachen von der Art derjenigen wären, an welche man bei diesem Wort natürlicherweise zuerst denkt. Denn wenn auch nachgewiesen würde, daß einige von diesen uns nicht durch die  Sinne  gegeben, sondern vermöge der eigentümlichen Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens uns gegenwärtig seien, z. B. die drei Dimensionen des Raumes hat, so ist doch nicht einzusehen, inwiefern dies für die Erforschung derselben, für die Einordnung der betreffenden Anschauungen in die Formen des Begriffs, Urteils und Schlusses von Bedeutung sein könnte, - inwiefern die aufgrund solcher Tatsachen entwickelten Erkenntnisse auf einen höheren Rang als die übrigen sollten Anspruch machen können. Wenn KANT solche Erkenntnisse reine nennt und ihnen absolute Allgemeinheit und Notwendigkeit im Gegensatz zur höchstens komparativen Allgemeinheit und relativen Notwendigkeit der auf Empfindungen beruhenden zuschreibt, so macht er doch nirgends auch nur einen Versuch zu zeigen, wie jener Zusammenhang mit der zufälligen Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens diese Eigenschaften verständlich mache, z. B. zu zeigen, warum es uns notwendiger sein soll, drei Dimension des Raumes vorzustellen, wenn der Raum mit drei Dimensionen eine unserer Seele eingepflanzte Anschauungsform ist, als wenn er uns in drei Dimensionen als eine ansich seiende Daseinsform überall umgibt, wohin wir uns auch wenden mögen. Unmittelbar verständlich würden die Eigenschaften der Allgemeinheit und Notwendigkeit nur dann sein, wenn wir den Inhalt der betreffenden Erkenntnisse schon dadurch, daß wir überhaupt logisch über Gegenstände denken, also durch die bloße Form des logischen Denkens voraussetzten, denn dann würde man sie nicht leugnen können, ohne sie zugleich anzuerkennen, also ohne sich zu widersprechen. Aber von dieser Art ist der Inhalt, welchen KANT den reinen Erkenntnissen zuschreibt, nicht. Es sind ja nach ihm logisch denkende Wesen möglich, für welche sich die Dinge weder in Raum und Zeit noch in den Kategorien, wenigstens nicht in den mit den Schematen verknüpften Kategorien, darstellen. Auch würden Tatsachen, welche in einem solchen inneren Zusammenhang mit dem logischen Denken stehen, eben nicht mehr zu denjenigen gehören, welche durch den obigen Ausdruck, daß sie uns vermögeder  eigentümlichen  Natur unseres Erkenntnisvermögens gegenwärtig seien, passend bezeichnet werden können.

Jene Tatsachen, deren ausschließliches Dasein nur den nackten Empirismus übrig lassen würde, sind  bloße  Tatsachen, d. h. solche, welche die Vernunft, die sie erforschen will, als ein Gegebenes hinnimmt, das nun einmal so ist, wie es ist, das aber unbeschadet des Denkens und seiner Gesetze auch ganz anders sein könnte oder von dem sie doch nicht einsieht, daß es nicht anders sein könnte. Ob es Tatsachen anderer Art gibt, Tatsachen, welche man, nach dem oben gebrauchten Ausdruck, wegen ihres inneren Zusammenhangs mit dem Wesen des Denkens nicht leugnen könnte, ohne sie zugleich anzuerkennen, ob es also unbeschadet des vorangestellten Grundsatzes eine Erkenntnis aus reiner Vernunft gibt, soll hier zunächst dahingestellt bleiben, nur ihre Möglichkeit soll offen gehalten werden. -

Von bloßen Tatsachen, die sie der äußeren und der inneren Wahrnehmung, der Beobachtung der Außenwelt und der eigenen seelischen Zustände und Ereignisse entnehmen, gehen alle nicht philosophischen Wissenschaften aus. Auch die Mathematik verfährt so. Die Grundsätze der Mathematik, wie daß es zwischen zwei Punkten nur  eine  gerade Linie geben kann, drücken allerdings keine bloßen Tatsachen und überhaupt keine Tatsachen aus; wir sind der derselben nicht deshalb gewiß, weil wir sie aus Messungen abstrahiert hätten, sondern es ist ein innerer Zwang des Bewußtseins, sie anzuerkennen, worauf wir sie gründen, ein Zwang, der es uns unmöglich macht, ernsthaft an ihrer Wahrheit zu zweifeln. Aber dieser innere Zwang selbst ist eine bloße Tatsache und  er  bildet den ersten Inhalt des mathematischen Erkennens. Vielleicht ist er ansich mehr als eine bloße Tatsache, vielleicht hat er im Wesen der Vernunft seinen Ursprung, vielleicht gehört es zum Begriff der Vernunft überhaupt, daß sie die Anschauung des Raumes zur Unterlage hat, - jener innere Zwang des Bewußtseins deutet darauf hin -, aber der Mathematiker schöpft seine Grundsätze nicht aus dem Wissen der Vernunft um ihr eigenes Wesen, er bemüht sich nicht darum, jenen inneren Zwang zu begreifen, für ihn ist derselben eine bloße Tatsache und seine Wissenschaft ist eine im weiteren Sinne des Wortes empirische.

Sätze, welche ein bloß Tatsächliches ausdrücken, welche also die Vernunft nicht aus sich selbst schöpft, sondern deren Inhalt sie in sich aufnimmt, sich ihm gleichsam als einer absoluten Macht unterordnend, sind Voraussetzungen; die Vernunft setzt sich mit ihnen etwas voraus, wonach sie sich zu richten hat, etwas anderes als sich selbst. Voraussetzungen sind als solche etwas Unbegriffenes. Aus Unbegriffenem aber kann nichts wahrhaft Begriffenes gefolgert oder geschlossen werden, denn nur das kann durch Folgerungen und Schlüsse aus den Voraussetzungen gezogen werden, was schon in versteckter Weise darin liegt; es kann nur geschlossen werden, daß unter diesen mehr oder weniger gewissen Voraussetzungen auch dieses oder jenes gewiß sei, weil es nämlich in versteckter Weise schon mit vorausgesetzt sei. Indem daher die empirischen Wissenschaften ihre ganze Aufgabe daran setzen, teils durch Sammeln von Tatsachen in den Besitz ihrer Voraussetzungen zu gelangen, teils aus den Voraussetzungen alle möglichen Folgerungen und Schlüsse zu ziehen, bringen sie es zu keinem wahrhaften Begreifen.

Man pflegt daher zu sagen, daß die Tatsachen, welche den Inhalt der Voraussetzungen bilden, durch die aus ihnen gezogenen Schlüsse  erklärt  werden. Dieses Erklären besteht aber bloß darin, daß man von den Sätzen, die man aus den Tatsachen abgeleitet hat, wieder rückwärts geht und aus ihnen die Tatsachen ableitet, und auch das nur unter einer neuen Berufung auf bloß Tatsächliches (im Untersatz); mag man es daher immerhin Erklären nennen, jedenfalls ist es kein Begreifen. Ebensowenig ist es ein Begreifen, wenn unter die abgeleiteten Sätze  neue  Tatsachen subsumiert werden, denn, wie schon die alten Skeptiker wußten, solange noch neue Tatsachen unter dieselben subsumiert werden können, ist ihre tatsächliche Grundlage eine unvollständige, wie groß auch, Dank der Vernunft, welche aus der Ordnung und Gesetzmäßigkeit der Erscheinungswelt zu uns spricht, ihre Wahrscheinlichkeit sein mag. In der Mathematik meint man umgekehrt die  abgeleiteten  Sätze dadurch, daß sie abgeleitet sind, begriffen zu haben. So meint man, wenn man zum Pythagoreischen Lehrsatz dessen Beweis kennengelernt hat, man habe nun begriffen, daß das Hypotenusen-Quadrat gleich der Summe der Katheten-Quadrate ist. Dieser Beweis hat uns aber nur zu Bewußtsein gebracht, daß wir, indem wir voraussetzten, es gebe einen Raum, in welchem Dreiecke und Vierecke konstruiert werden können und von welchem gewisse Axiome gelten, bereits mit voraussetzten, die Hypotenuse jedes in diesem Raum möglichen rechtwinkligen Dreiecks stehe zu den Katheten in jenem bestimmten Größenverhältnis. Dieses Größenverhältnis selbst ist so wenig begriffen, wie der Zwang unseres Bewußtseins, sich einen so beschaffenen Raum vorzustellen und solche auf denselben bezügliche Axiome für wahr zu halten. - Die Entdeckungen der Mathematik erfüllen uns mit einem Gefühl des Staunens über die unerschöpfliche Fülle gesetzmäßiger Beziehungen, welche den Raum und die Welt der Zahlen beherrschen; sie würden es nicht tun, wenn das Beweisen ein wahrhaftes Begreifen wäre.

Weil die empirischen Wissenschaften sich auf diese Weise im Unbegriffenen bewegen, so vermögen sie niemals, wie weit sie sich auch vollenden mögen, in die Dinge, in das Seiende selbst hineinzudringen. Wir betrachten, so lange wir bloß empirisch zu Werke gehen, nur die Außenseite, welche die Dinge uns zuwenden; wir kommen mit unserem Denken nicht in sie hinein, fremd und rätselhaft bleiben sie uns gegenüberstehen. Und auch uns selbst bleiben wir, inwiefern ir uns auf diese Weise erforschen, fremd und rätselhaft, wir kommen in uns selbst nicht hinein. Die empirische  Psychologie  hat in dieser Hinsicht, soweit sie sich ausschließlich auf die  innere  Wahrnehmung, die direkte Auffassung des  bloß  Tatsächlichen in uns gründet, zwar einen Vorzug vor denjenigen empirischen Wissenschaften, welche von den Tatsachen der Sinne ausgehen, diese haben es bloß mit Scheinbarem, sie mit Realem zu tun, aber dieses Reale ist kein substantielles, sondern ein bloß akzidentielles Sein.

Die einfachste Überlegung sagt uns, daß wir mittels unserer Sinne nur Eigenschaften, Verhältnisse, Beziehungen, Veränderungen wahrnehmen, niemals die Dinge selbst, auf welche wir die Eigenschaften usw. beziehen, - nur das Wie der Körper, nicht das Was. Wir fühlen Wärme, Druck, Widerstand usw., sehen Farben, Ausdehnung, riechen Düfte, hören Töne, aber was dasjenige ist, was warm ist, drückt, Farbe hat, ausgedehnt ist, sich bewegt, duftet, tönt, nehmen wir nicht wahr. Ja wir nehmen nicht einmal wahr, daß es überhaupt ein solches gibt, daß alle jene Eigenschaften wirklich  Eigenschaften  sind und als solche einen Träger haben, einer Substanz inhärieren [innewohnen - wp]. Wir  nennen  ihre Substanz Materie, aber kein Sinn hat jemals die Materie selbst erfaßt, sondern immer nur Eigenschaften, die auf sie bezogen werden. Wir  denken  sie zu den Tatsachen der Sinne  hinzu, fingieren  sie, allerdings nicht willkürlich, sondern gezwungen durch die Natur unseres Vorstellungsvermögens. Wie weit nun auch die Tatsachen der Sinne erforscht werden, so ist es doch unzweifelhaft, daß dadurch auf jenen unbekannten Träger, auf welchen wir sie beziehen, auch nicht ein Schimmer von Licht fallen kann, eben deshalb nicht, weil in den Tatsachen von demselben gar nichts liegt, sondern wir ihn hinzudenken, und weil aus Voraussetzungen niemals etwas gefolgert werden kann, was nicht auf irgendeine Weise darin liegt.

Auch die  Substanz  jedes Dinges muß allerdings irgendwie beschaffen sein, mindestens kann selbstverständlich von einer anderen Erkenntnis einer Substanz, als einer solchen, welche die Eigenschaften derselben erfaßt, auch nicht einmal hypothetisch die Rede sein. Aber die einem substantiell Seienden zukommenden Eigenschaften, mögen sie nun Attribute sein, d. h. Eigenschaften des Substantiellen als Substantiellen oder Akzidentien, d. h. Bestimmtheiten, welche eine Vielheit in die Einheit, einen Wechsel in die Beharrlichkeit der Substanz bringen, müssen von der Art sein, daß, wenn sie aufgefaßt werden, die Substanz selbst mit aufgefaßt wird und nicht erst hinzugedacht zu werden braucht, oder, was dasselbe ist, von der Art, daß sie nicht anders aufgefaßt werden können als mit ihrer Eigenschaften, Eigenschaften zu sein. Eine Eigenschaft, an welcher ihre Eigenschaftlichkeit, ihre Inhärenz in einer Substanz, nicht mit aufgefaßt würde, wäre eben, soweit sie das ist, als was sie aufgefaßt wird, nicht Eigenschaft einer Substanz; sie ist ja, so weit sie aufgefaßt wird, nur das, als was sie aufgefaßt wird. Die Inhalte unserer sinnlichen Empfindungen nun sind nicht dieser Art; wer keinen Denkakt zu seinen sinnlichen Empfindungen  hinzuzutun  vermöchte, würde gar keine Vorstellung von Substanzen,  Dingen  haben. Die Inhalte unserer sinnlichen Empfindungen sind mithin weder Attribute noch Akzidentien, nämlich den Empfindungen als pyschischen Zuständen), und nicht die mindeste Erkenntnis der ihnen zugrunde liegenden, d. h. der die sinnlichen Empfindungen in uns bewirkenden Substanzen kann aus ihnen geschöpft werden.

Hiermit ist zugleich dargetan, daß die sinnlich wahrgenommenen Qualitäten bloßer  Schein  und daß die Materie, sofern darunter nicht allgemein die Substanz verstanden wird, welche uns affizierend jenen Schein in uns bewirkt, sondern diese Substanz unter der Voraussetzung der Realität wenigstens einer der wahrgenommenen Qualitäten, der Ausdehnung, eine  bloße  Fiktion ist. Wäre sie mehr, so müßte sie durch Angabe von Eigenschaften definiert werden können, deren Anschauung zugleich die Anschauung ihrer selbst als Substanz wäre.

Bekanntlich lehrt die empirische Naturwissenschaft selbst, daß die im engeren Sinne des Wortes sinnlichen Qualitäten, die Farben, Töne etc. nur für das wahrnehmbare Subjekt da sind. Die Ausdehnung und die Bewegung sieht sie hingegen für Eigenschaften der Dinge ansich an. Und sie tut recht daran; nur sollte sie sich bewußt sein, damit eine ansich  unwahre,  aber zu dem Zweck, Ordnung und Zusammenhang in unsere Vorstellungen von der Erscheinungswelt zu bringen,  nützliche  Fiktion zu machen. Denn, abgesehen vom vorliegenden für den Empiriker zu subtilen Beweisgrund, liegt es nicht nur auf der Hand, daß sie gänzlich außerstande ist, die Realität des Raums zu beweisen (sie müßte denn einen Weg finden, auf welchem wir aus unserem Bewußtsein, unserem Vorstellen, herausgehen können, um uns zu überzeugen, ob das, was wir in unserem Bewußtsein mit der Bestimmung setzen, daß es auch außerhalb desselben und unabhängig von demselben da sei, sich in der Tat auch außerhalb desselben und unabhängig von demselben finde), sondern es ist auch absolut undenkbar, daß etwas, was wir als Bestimmtheit unseres Ich in unserem Ich finden, zugleich eine Bestimmtheit einer außerhalb unseres Ich vorhandenen Substanz sei, - daß eine Substanz, uns affizierend, ihre eigenen Eigenschaften zu unseren Zuständen mache, und nicht minder, daß unsere Zustände  Kopien  von Eigenschaften anderer Dinge seien und daß also z. B. der Raum doppelt existiere, einmalin unserem Ich und dann auch ansich.

Die  innere  Wahrnehmung ist von KANT für ebenso unfähig, Bestimmtheiten der Dinge ansich zu erfassen, wie die äußere erklärt worden. Auch wir selbst sind uns nach ihm als bloße Erscheinung (was trotz seines Protestes soviel Schein besagt) geben. Der Standpunkt, welchen ich hier zu entwickeln gedenke, würde unverändert bleiben, wenn ich mich dieser Ansicht anschließen könnte, und meine Aufgabe würde dadurch erleichtert werden, denn für die Begründung dieses Standpunktes reicht zunächst das von KANT gemachte Zugeständnis aus, daß wir uns im reinen Selbstbewußtsein nicht, wie wir zu sein  scheinen,  erfassen. Ich glaube aber annehmen zu müssen, daß alle Bestimmtheiten, deren wir uns als solcher unseres Ich unmittelbar bewußt sein, demselben auch wirklich zukommen, und daß wir das Ich nicht erst in der Weise zu ihnen hinzudenken, wie wir zu den Sinnesinhalten die Materie hinzudenken. Zwar bin ich überzeugt, daß die Inhalte der inneren Wahrnehmung ebensowenig wie diejenigen der äußeren ein Dasein außerhalb des Bewußtseins haben, und wenn also jede Bestimmtheit, welche nur insofern da ist, als sie perzipiert wird, Schein zu nennen wäre, so müßte ich diese Bezeichnung auch auf das innerlich Wahrgenommene anwenden. Aber nur das, was ein Wesen bloß für das Bewußtsein eines  anderen  ist, ist Schein, nicht auch das, was es nur für sein eigenes Bewußtsein und in demselben ist; vielmehr ist dies das allein Wirkliche. Das Bewußtsein selbst ist nur als bewußtes, das Ich ist nur, inwiefern es sich selbst setzt, sein eigenes Gedankending ist; das Ich  macht  sich wirklich, indem es sich selbst auffaßt, mit all demjenigen, was es von sich auffaßt.

Will man unter innerer Wahrnehmung das unmittelbare Bewußtsein überhaupt verstehen, welches wir von uns selbst haben, so folgt aus der angedeuteten Auffassung, daß wir nicht nur akzidentielle Eigenschaften unseres substantiellen Ich, sondern auch Attribute desselben, und  in  beiden unser Ich selbst (welches nicht noch hinter seinen Attributen etwas sein kann, wie überhaupt keine Substanz noch hinter ihren Attributen  etwas  sein, d. h. noch Eigenschaften außer ihren Eigenschaften haben kann) innerlich wahrnehmen. Und dann gilt von der inneren Wahrnehmung der oben aufgestellte Satz, daß sie zwar reales, aber kein substantielles, sondern bloß akzidentielles Sein zum Inhalt habe, nicht. Ich verstehe dagegen, wie bereits angedeutet worden ist, unter innerer Wahrnehmung das unmittelbare Bewußtsein von uns selbst nur insofern, als es sich auf  bloße  Tatsachen bezieht. Und dann ist unmittelbar klar, daß wir auf dem Weg der inneren Wahrnehmung nur zur Kenntnis unserer  akzidentiellen  Eigenschaften gelangen können und daß also auch die auf diesem Weg sich bewegende Empirie nicht in das Innere der Dinge hineinzudringen vermag. Denn die  Attribute  (oder das Attribut) unseres Ich, d. h. die ihm als reinem Ich zukommenden, die den Begriff des Ich konstituierenden Eigenschaften, sind für das Ich keine bloßen Tatsachen. Sie sind in den akzidentiellen Eigenschaften und somit in bloßen Tatsachen mit enthalten, so wie die geometrischen Eigenschaften der Körper in den im engeren Sinne des Wortes sinnlichen Qualitäten mit enthalten sind, sie sind aber nicht selbst bloße Tatsachen und nach dem angegebenen Sprachgebrauch nicht wahrnehmbar; man muß vom bloß Tatsächlichen und Wahrnehmbaren abstrahieren, um sie ansich zu erfassen. Das vernünftige Ich - und nur ein solches, oder, was dasselbe heißt, ein wirkliches Ich seiendes Ich kann natürlich auf diese Eigenschaften reflektieren - setzt sich, wenn es  so  reflektiert, kein Anderes mehr voraus; seine Vernunft erkennt aus  inneren  Gründen.

Diejenigen empirischen Wissenschaften, welche sich, wie die Geschichte, die Sprachwissenschaft, in etwa auch die Physiologie, nicht bloß der äußeren, sondern auch der inneren Wahrnehmung als Erkenntnisquelle bedienen, und die empirische Psychologie, von welcher es wenigstens denkbar ist, daß sie sich  ausschließlich  auf eine innere Wahrnehmung gründe, beweisen ihre Unfähigkeit, in das innere Sein der Dinge zu dringen, dadurch, daß sie sich sämtlich auf den Standpunkt des gemeinen Bewußtseins stellend, die Realität der Körperwelt voraussetzen. Inwiefern nämlich eine Wissenschaft die Realität der Körperwelt voraussetzt, ist sie materialistisch; denn für eine geistige Substanz ist kein Raum in der ansich seienden Welt, wenn das Körperlich zu derselben gehört; die Materie bejahen, heißt den Geist verneinen, die Materie läßt sich nicht damit abfinden, daß man ihr einen Teil der Wirklichkeit zuweist, sie will Alles sein oder Nichts und ebenso der Geist. Auch liegt  tatsächlich  all jenen empirischen Wissenschaften die Vorstellung zugrunde, als seien die geistigen Erscheinungen Produkte oder Äußerungen der Materie. Die Substanz der Dinge überhaupt aber als materiell setzen, ist, wie sich aus dem erhellt, was oben über die von der äußeren Wahrnehmung ausgehenden Wissenschaften gesagt wurde, gleich bedeutend mit dem Verzicht auf die Erkenntnis des Inneren der Dinge.

Sobald sich, umgekehrt, jemand über den Standpunkt des gemeinen Bewußtseins erhebt, sie es auch nur dadurch, daß er über ihn reflektiert und an seiner Wahrheit zu zweifeln beginnt, hat er den Boden der bloßen Empirie verlassen. Es ist nicht möglich, wenn man sich allein auf die Wahrnehmung stützt, sich der Tatsache denkend zu bemächtigen, daß alles dasjenige, dessen wir uns unmittelbar bewußt sein, in Bestimmtheiten unseres Ich besteht und daß also unser Ich selbst das einzige Ding ist, welches wir unmittelbar kennen, und vollends, daß auch unser Ich selbst nur in seinem eigenen Bewußtsein existiert. Mit Folgern und Schließen aus Wahrgenommenem läßt sich überhaupt keine Ansicht über den Erkenntniswert der Wahrnehmung gewinnen. Das vernünftige Ich kann den Grundgedanken jener Einsicht nur aus sich selbst als Ich nehmen, ihn nur auf dem Weg der Selbstbestimmung auf sich als Ich finden, wenn auch diese Selbstbestimmung zunächst noch nicht die ihr adäquate Form, sondern noch die der inneren Wahrnehmung hat, als sei sich nämlich auch das Ich selbst eine  bloße  Tatsache.

In dem Maße, in welchem die empirische Psychologie sich auf Betrachtungen über die Realität des Wahrgenommenen einläßt oder das Resultat solcher Betrachtungen voraussetzt, hört sie auf, bloß empirische Psychologie zu sein. Wenn sie dann doch das empirische Verfahren als das allein berechtigte behauptet (wie bei LOCKE, BERKELEY, HUME, BENEKE), so widerspricht sie sich.

Ich fasse den Inhalt dieser Betrachtung zusammen. Die nicht philosophischen Wissenschaften sind ihrer Erkenntnisweise nach empirisch und bestehen demnach nur in einem Sammeln und Entwickelns von Voraussetzungen; ihre Erkenntnisweise ist die  doxa,  wie PLATON, die  imaginatio,  wie SPINOZA sagt. Ihr Gegenstand ist, soweit sie mittels äußerer Wahrnehmung (met aistheseos [Erkenntnis durch Wahrnehmung - wp]) hervorgebracht werden, das zu sein Scheinende, soweit mittels innerer, ein zwar wirklich, aber nur akzidentiell Seiendes, - oder auch  überhaupt  das zu sein  Scheinende,  da sie sämtlich materialistisch sind -, oder auch überhaupt das akzidentiell Seiende, da auch die Erscheinungen der äußeren Sinne als wirkliche Zustände, Akzedentien, des Ich betrachtet werden können. Oder, um wieder mit PLATON zu reden, ihr Gegenstand ist das zwischen Sein und Nichtsein in der Mitte Liegende. Auch von der Mathematik, welcher PLATON eine Ausnahmestellung einräumt, gelten sowohl hinsichtlich ihrer Erkenntnisweise, als auch hinsichtlich ihres Gegenstandes die obigen Sätze.

Mit diesem Begriff der nicht-philosophischen Wissenschaften ist zugleich der Begriff der Philosophie aufgestellt. Die Philosophie ist die Wissenschaft, welche nicht jene Erkenntnisweise und nicht jenen Gegenstand hat. Sie ist, positiv ausgedrückt, die Wissenschaft aus reiner Vernunft vom substantiell Seienden; ihre Erkenntnisweise ist die Spekulation, die  noesis meta logon  [überlogische Erkenntnis - wp], ihr Objekt das  ontos on  [seiende Sein - wp].

Die folgenden Betrachtungen werden nachweisen, daß dieser Begriff die ganze Geschichte der Philosophie hindurch das treibende Prinzip gewesen ist, und daß die ihm nur zum Teil entsprechenden und die ihm entgegengesetzten Standpunkte ihm ihr Dasein verdanken und seiner Entwicklung haben dienen müssen. Ich nenne ihn den  idealistischen  Begriff der Philosophie, weil er seinen entschiedensten und in gewissem Sinne vollkommensten Ausdruck in demjenigen System gefunden hat, auf welches das Wort Idealismus zurückweist, im platonischen. Seitdem freilich Idee gleichbedeutend mit Vorstellung geworden ist, pflegt als Idealismus die Ansicht bezeichnet zu werden, daß die sinnliche Außenwelt nur in unseren Vorstellungen existiere, welche Auffassung von der Kraft der Vernunft und ihrer Beziehung zum Seienden sich auch mit derselben verbinden mag. Daß die sinnliche Außenwelt bloßer Schein ist, ist allerdings eine notwendige Konsequenz der idealistischen Ansicht, deren Wesen darin besteht, daß sie das Reale seiner Substanz nach für ein rein  Intelligibles  erklärt. Dieser innere Zusammenhang hat es aber nicht verhindert, daß Systeme von echt idealistischer Denkungsart, z. B. dasjenige SPINOZAs, die Ausdehnung für ebenso wirklich gehalten haben wie das Denken, und daß umgekehrt Lehren, in denen von platonischem Geist kaum eine Spur zu finden ist, z. B. diejenige BERKELEYs, der sinnlichen Welt das Ansichsein abgesprochen haben und so zur Ehre einer gleichen Benennung mit dem System PLATONs gelangt sind.

Der Idealismus ist diesem Begriff nach hinsichtlich der Erkenntnisweise  Intellektualismus  (im Gegensatz zum Empirismus). Wer aber die Vernunft zum  Erkenntnis prinzip macht, muß sie konsequenterweise auch für das  Real prinzip erklären, sein allgemeinstes Ergebnis muß die Identität der Vernunft, oder, wie in diesem Zusammenhang besser gesagt wird, des vernünftigen Geistes und des Seienden, der  Spiritualismus  sein. Als das Wesen des Idealismus kann demnach allgemein dieses angegeben werden, daß er die Vernunft zum Prinzip mache und zwar sowohl hinsichtlich der Erkenntnisweise als auch des Ergebnisses oder sowohl in subjektiver als auch in objektiver Hinsicht. -

Es gehört nicht zum Zweck dieser Schrift, die Möglichkeit der spekulativen Erkenntnis in direkter Weise tiefer zu begründen. Nur  eine  darauf bezügliche, bereits im Vorigen angedeutete Bestimmung muß sie wegen ihrer prinzipiellen Bedeutung für die folgenden Untersuchungen hervorheben.

Aus sich selbst kann der vernünftige Geist nur  sich selbst  erkennen. Die Gedanken, welche er, mit CARTESIUS zu sprechen, auf einem Grund aufbaut, der ganz in ihm selbst liegt, können auch nur ihn selbst betreffen. Denn wenn wir von allem gegebenen, bloß tatsächlichen Erkenntnisstoff abstrahieren, so ist der einzige Inhalt, in dessen Besitz dabei die Vernunft bleibt, sie selbst, vorausgesetzt, daß ihr ihrem Wesen nach, ursprünglich und unmittelbar, eine Anschauung, ein Bewußtsein von sich selbst eigen ist, oder, was dasselbe heißt, daß das vernünftige Ich, inwiefern es überhaupt vernünftig denkt, sich seiner als vernünftig Denkenden bewußt ist. Nur diese  intellektuelle Anschauung  oder dieses  intuitive Denken  kann die Erkenntnisquelle sein, aus welcher die Philosophie, genauer die reine Philosophie, wenn sie sich der ihrer systematischen Entwicklung adäquaten Methode bedient, schöpft. Es kann keine Erkenntnis geben, welche sich nicht aus dem unmittelbaren Besitz ihres Gegenstandes, d. h. aus der Anschauung eines Tatsächlichen, entwickelte, und zwar in einer Weise entwickelte, für welche die in den nicht philosophischen Wissenschaften allgemein anerkannten allgemeinen Denkgesetz gelten. Die Philosophie will sich hinsichtlich ihrer Erkenntnisweise nicht dadurch von den anderen Wissenschaften unterscheiden, daß sie gleichsam aus dem Nichts ein Wissen herauszauberte, sondern nur dadurch, daß die Anschauung, von welcher sie ausgeht, nicht eine dem vernünftigen Denken zufällige, sondern eine mit demselben notwendig verbundene oder vielmehr in ihm enthaltene ist, daß dieselbe darum durch das Wesen des vernünftigen Denkens vollständig bestimmt ist, und daß mithin das Tatsächliche, welches den Gegenstand derselben bildet, kein bloß Tatsächliches, sondern zugleich ein  Denknotwendiges  ist.

KANT verwirft den Begriff der intellektuellen Anschauung. Alle Anschauung ist nach ihm sinnlich. Das Ich-Bewußtsein inessen erklärt auch er für nicht-sinnlich, für intellektuell. Aber es soll eben deshalb keine Anschauung sein, sondern ein bloßer Gedanke, der als bloßer Gedanke leer ist. Deshalb sollen wir auch durch das Ich-Bewußtsein zwar nicht vorstellen, wie wir zu sein scheinen, aber auch nicht, wie wir an uns selbst sind, sondern nur,  daß  wir überhaupt sind. Der Beweis, den KANT dafür bringt, daß das Ich keine Anschauung sei, beruft sich darauf, daß das reine Ich-Bewußtsein nur die Form des Bewußtseins ist, welche übrig bleibt, wenn von allem mannigfaltigen Inhalt abstrahiert wird. Wenn wir aber fragen, warum die Vorstellung, die das bewußte Wesen von sich als bewußtem überhaupt nach Abstraktion von allem mannigfachen Inhalt hat, nicht mehr Anschauung heißen soll, so läßt sich bei KANT keine andere Antwort finden, als daß nur der mannigfaltige Inhalt, der zur reinen Form hinzukomme, sinnlich sein könne, alle Anschauung aber sinnlich sei. Abgesehen davon, daß KANT selbst in den reinen Anschauungen und den Kategorien einen nicht aus den Sinnen stammenden Bewußtseinsinhalt annimmt, bewegt sich diese Argumentation offenbar im Kreis; denn nur unter der Voraussetzung, daß das Ich-Bewußtsein keine Anschauung ist, kann der Satz von der Sinnlichkeit aller Anschauung richtig sein. Man könnte einwenden, es handle sich hier nur um einen Wortstreit, KANT nenne eben nur die  sinnliche  Auffassung des Erkenntnisinhaltes Anschauung. Allein KANTs Begriff der Anschauung ist ursprünglich durch den Satz bestimmt, daß die Anschauung ist ursprünglich durch den Satz bestimmt, daß die Anschauung die Quelle für den gesamten Erkenntnisinhalt sei; indem er mithin weiter bestimmt, alle Anschauung sei sinnlich, behauptet er auch, aller Erkenntnisinhalt stamme aus den Sinnen, und dasjenige, was nicht aus den Sinnen stamme, wie das Ich, sei kein Erkenntnisinhalt. - Oder hat KANT vielleicht nachgewiesen, daß der Begriff des Ich in der Tat ein leerer sei und sich deshalb nicht auf die Anschauung gründen könne? So viel ich sehe, beweist er nur umgekehrt aus seiner vermeintlichen Unanschaulichkeit seine Leerheit. Der Begriff des leeren Begriffes ist überhaupt eine Erfindung KANTs, die er brauchte, um die schlimmsten Folgen der Behauptung, daß alle Anschauung sinnlich sei, zu umgehen. Leere Begriffe sind aber eine  contradictio in adjecto  [Widerspruch in sich - wp].  Worte  können leer, d. h. bedeutungslos sein, denn das Wort ist auch ohne einen Gegenstand, den es bezeichnete, noch etwas, ein Laut; was aber jemand noch an einem  Begriff  besitzen sollte, durch welchen er absolut gar nichts mehr dächte, ist völlig unerfindlich. - Vielleicht wendet man ein, es sei nicht KANTs Meinung, daß wir durch den Begriff des Ich und überhaupt durch die leeren Begriffe (die Kategorien, den Begriff des Dings ansich) schlechterdings gar nichts mehr denken, sondern nur, daß das Gedachte kein Anschauliches und deshalb kein Erkanntes sei. Allein nicht bloß Erkannte, sondern auch alles Gedachte muß anschaulich sein, wenn es wahr ist, daß Begriffe ohne Anschauungen leer sind. KANTs Unterscheidung zwischen Erkanntem und Gedachtem ist übrigens wieder eine Folge des Satzes von der Sinnlichkeit aller Anschauung, während umgekehrt dieser auf jene Unterscheidung gegründet werden müßte; es ist wieder der alte Zirkel. Indessen, ob anschaulich oder nicht, wenn wir durch den Begriff des Ich noch etwas denken, so hat er einen Inhalt und wenn dies der Fall ist, so wird er auch wohl wie andere Begriffe einer wissenschaftlichen Entwicklung fähig und bedürftig sein.

Daß KANT mit einem gewissen Recht das Ich-Bewußtsein als solches die bloße einheitliche  Form  des Bewußtseins nennt, tut natürlich nichts zur Sache, denn die Form darf in diesem Zusammenhang nicht dem Inhalt, sondern nur dem Stoff entgegengesetzt werden, sie gehört ebensogut zum Erkenntnisinhalt, wie die Formen des Raumes und der Zeit, das Bewußtsein hat eben sich selbst als Bewußtsein überhaupt zu seinem allgemeinsten Inhalt, es selbst ist im Inhalt des Bewußtseins dasjenige, was übrig bleibt, wenn wir von allem in diesem Inhalt abstrahieren, wovon wir abstrahieren können, ohne auch davon zu abstrahieren, daß derselbe überhaupt Inhalt ist, es ist der Bewußtseinsinhalt als solcher.

Wenn endlich eingewandt werden sollte, daß KANT doch mit Recht behaupte, aller Erkenntnisinhalt müsse ein Mannigfaltiges sein, indem das schlechthin Einfache nichts mehr zu erkennen darbiete, so ist darauf hinzuweisen, daß doch KANT selbst Allerlei vom Ich zu sagen weiß. Ist nicht in der Tat das Ich seinem Begriff nach das bewußte Subjekt und zugleich das Objekt als solches, oder ist nicht das Ich-Bewußtsein zugleich Form und allgemeinster Inhalt des Bewußtseins, und ist etwa diese Natur des Ich von vornherein so vollkommen klar, so frei von allen scheinbaren Widersprüchen, daß sie nichts mehr zu bedenken gäbe? Gibt ferner nicht das Ich-Bewußtsein allem besonderen Inhalt Einheit? Ist es nicht der Grund, daß wir alle Empfindungen der äußeren Sinne in Vorstellungen von äußeren, ausnahmslosen Gesetzen unterworfenen Gegenständen umwandeln müssen? Gehört es nicht zum Wesen des Ich, daß es nicht bloß überhaupt sich selbst vorstellt, sondern auch empirische Bestimmtheiten und daß es diese nicht ausschließlich auf sich selbst, sondern wenigstens zum Teil auch auf ein Nicht-Ich bezieht, kurz, daß es innerlich und äußerlich wahrnimmt, - ferner, daß es als Ich im höchsten Sinn des Wortes auch denkt und die Fähigkeit hat, auch die Vorstellung, die es von sich selbst als Ich hat, wenigstens problematisch als wissenschaftliches Objekt hinzustellen, und daß es will und ein absolutes Sollen in sich findet? Wo hat endlich KANT bewiesen, daß die Zeit nicht zum Wesen der Ichheit gehört? Und dieses Ich, von dem sich so vielerlei sagen und fragen läßt, soll keine Erkenntnisinhalt sein?

Der Ausdruck Ich-Bewußtsein bedarf übrigens einer näheren Bestimmung, die auch oben angedeutet worden ist. Nämlich auch solche Wesen, welche es nicht bis zum logischen Denken und noch wenigr bis zum Denken über sich selbst bringen, haben doch, inwiefern sie überhaupt bewußte im weitesten Sinn des Wortes sind, d. h. inwiefern wir sie überhaupt noch nach der Analogie unseres Ich denken und dadurch von der blinden Materie unterscheiden können, ein Bewußtsein von sich selbst. Auch bei ihnen ist der allgemeinste Inhalt des Bewußtseins das bewußte Subjekt als solches selbst und dieses Subjekt-Objekt des Bewußtseins kann man auch im weitesten Sinn des Wortes als Ich bezeichnen. Ferner muß auch dieses Ich-Bewußtsein der niedrigsten Wesen von der inneren Wahrnehmung als dem Erfassen ihrer mehr oder weniger wechselnden Bestimmtheiten unterschieden werden, und kann ebenfalls als intellektuale Anschauung oder intuitives Denken bezeichnet werden. In gewissem Maße gibt KANT das auch zu, nur daß auch das niedrigste Ich-Bewußtsein nach ihm einerseits nicht schon der Wahrnehmung (der sinnlichen Anschauung) immanent ist, sondern als ein Höheres zu dieser als einer ganz einheits- und selbstlosen Vorstellungsweise erst hinzukommt, und daß es nach ihm andererseits notwendig wenigstens eine gewisse Fähigkeit zum diskursiven Denken einzuschließen scheint. In KANTs Entwicklungen findet sich aber nichts, was die Ansicht widerlegte, daß die Subjekt-Objektivität die Bedingung des Bewußtseins, des Vorstellens und all dessen, was wir durch innere Wahrnehmung von uns selbst entdecken können,  überhaupt  sei, daß es also keine einheits- und selbstlose Anschauung gebe, die Behauptung einer solchen vielmehr auf der unlogischen Entgegensetzung des allgemeinsten mit der bloßen Form zusammenfallenden Bewußtseinsinhaltes als eines Späteren und der empirischen Bestimmtheiten dieses Inhalts als eines Früheren beruhe. Mit mindestens demselben Recht, mit welchem KANT die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit nicht hinterher zum sinnlichen Erkenntnisstoff hinzukommen läßt, sondern sie als die Bedingungen, ohne welche es einen solchen Stoff gar nicht geben kann, betrachtet, kann man auch das Selbstbewußtsein als eine ursprüngliche Beziehung des Bewußtseins betrachten. Ebensowenig findet sich in KANTs Entwicklungen eine Widerlegung der Annahme, daß das reine Ich diskursiv denkender Wesen mehr sei als jenes der bloß anschauenden, eine höhere Wesenheit, indem zu dem Attribut, unter welchem es sich selbst anschaut, nicht bloß das sinnliche Wahrnehmen und das darin enthaltene intellektuelle Anschauen oder intuitive Denken, sowie das sinnliche Begehren und ein etwa darin enthaltenes intellektuelles Begehren oder intuitives Wollen, sondern auch das diskursive Denken und das überlegte Wollen als Seiten oder Momente gehören.

Vorausgesetzt, daß in der Tat zwischen den Substanzen höherer und niedrigerer bewußter Wesen, also auch zwischen einer höheren reicheren und einer niedrigeren ärmeren intellektuellen Anschauung zu unterscheiden ist, bedarf der Begriff der Philosophie einer näheren Bestimmung, indem angegeben wird, ob das philosophierende Ich aus derjenigen Anschauung, die es als diskursiv denkendes oder  vernünftiges  Wesen von sich als vernünftigem Wesen überhaupt hat, oder bloß aus derjenigen, die es als  bewußtes  Wesen von sich als bewußtem Wesen überhaupt hat und die in jener wie das Niedrigere im Höheren und wie das Allgemeinere im Besonderen enthalten ist, den zu verarbeitenden Inhalt zu schöpfen habe. Es versteht sich aber von selbst, daß die Philosophie die  ganze  ihr zu Gebote stehende intellektuelle Anschauung auszunutzen suchen muß.

Der Schwierigkeiten, welche diese Auffassung der spekulativen Erkenntnis mit sich führt, bin ich mir wohl bewußt, ich glaube in Folge langer und intensiver Beschäftigung mit ihnen behaupten zu dürfen, klarer und bestimmter als irgendein Gegner derselben. Ich weiß, daß der Begriff eines sich ganz und gar zum Objekt habenden bewußten Subjektes, einer sich selbst zum Inhalt habenden allgemeinsten Form des Bewußtseins auf eine unendliche Reihe zu führen scheint, ähnlich wie der Begriff der  causa sui  [Ursache seiner selbst - wp]. Ich weiß auch, daß die für die Philosophie in Anspruch genommene absolute Denknotwendigkeit nicht anders statthaben kann, als indem dieselbe ihren ganzen Inhalt mit logischer Strenge aus einem Prinzip entwickelt (unter steter Mitwirkung der den Sinn des Prinzips offenbarenden intellektuellen Anschauung), welches unmittelbar absolut gewiß ist nicht in der Weise der mathematischen Sätze, die sich auf einen unbegriffenen Zwang des Bewußtseins berufen müssen, sondern in der Weise identischer Urteile, falls es solche gäbe. Was ich zu Lösung dieser Schwierigkeiten beizutragen vermag, gehört nicht in die gegenwärtige Schrift, welche den intellektualistisch-spiritualistischen Standpunkt auf indirekte Weise, durch historisch-kritische Untersuchungen, begründen soll. Ich kann hier nur darauf hinweisen, daß dem entgegengesetzten Standpunkt nicht geringere Schwierigkeiten anhaften. Denn wie will er ein Bewußtsein begreiflich machen, von welchem das Wesen, dem es eigen ist, selbst kein Bewußtsein hätte, welches also für das bewußte Wesen selbst so gut wie gar nicht da wäre? Wie will er die Tatsache, daß wir ein Bewußtsein von unserem Bewußtsein haben, erklären? Wie will er den Widerspruch lösen, daß das substantiell Seiende, das Ding ansich, dessen Begriff jede Bedeutung verliert, wenn es nicht als das Objekt der reinen Vernunft gefaßt wird, dennoch gänzlich unerkennbar sein soll? Wie kann er hoffen, zu irgendeiner absoluten Gewißheit, auch nur der eines singulären Wahrnehmungsurteils zu gelangen, wenn es kein Urgewisses gibt, mag es nun  cogito ergo sum  oder anders lauten, welches die Möglichkeit seines Gegenteils ausschließt? Wie könnte nach ihm der Satz des Widerspruchs selbst oder der Satz, daß das unverfälschte Tatsächliche wahr sei, auf absolute Gewißheit Anspruch machen? Wenn übrigens auch alle diese Schwierigkeiten nicht da wären und nichts von einem Ausweg aus den den idealistischen Standpunkt bedrängenden Schwierigkeiten sich mir zeigte, würde ich dennoch die Überzeugung festhalten, daß der vernünftige Geist sich selbst und in sich das substantiell Seiende (vorbehaltlich der gleich zu besprechenden Einschränkung auf das Endliche) mit absoluter Denknotwendigkeit zu erkennen berufen ist und seinen Begriff nicht völlig realisieren kann, ohne diese Erkenntnis zu erlangen. Ich würde mich eher bescheiden, für meiner Person ein so geringes Maß von Vernunftkraft zu besitzen, daß ich nichts Entscheidendes zur Begründung jener Überzeugung beizubringen vermöge, als an jenem dem vernünftigen Geist überhaupt durch sein Wesen gesetzten Berufe zweifeln, sowie ich mich lieber bescheide, ein durch und durch sündhaftes Wesen zu sein, als die Bestimmung des vernünftigen Geistes zur Heiligkeit bezweifle. Freilich würde diese Überzeugung eine lediglich subjektive sein, ein bloßer Glaube, aber in dieser zunächst lediglich subjektiven Überzeugung liegt das eigentlich treibende Motiv der Philosophie, die entwickelnde Kraft in ihrer Geschichte von THALES bis HEGEL, dieser Glaube an die Macht der Vernunft muß der Betätigung derselben vorangehen. Wer dafür absolut kein Verständnis hat und das scheint gegenwärtig das Gewöhnliche auch unter den Männern der Wissenschaft zu sein, auch unter denjenigen, die sich Philosophen nennen, für den würde die Philosophie, auch wenn sie sich in der Form der absoluten Denknotwendigkeit vollendet hätte, ein Buch mit sieben Siegeln, eine Torheit und ein Ärgernis bleiben.

Eine mit dem eben entwickelten Begriff der spekulativen Erkenntnis verbundene Schwierigkeit kann und muß hier mit wenigen Worten beseitigt werden. Wenn nämlich die Vernunft rein aus sich selbst auch nur sich selbst erkennen kann, wie kann dann das substantielle Sein der Dinge überhaupt ihren Gegenstand bilden? Oder wird etwa der Philosoph behaupten, daß sein eigenes Ich das einzig Substantielle, alles Andere aber Akzidentien desselben seien? Soll die Philosophie als Wissenschaft der sich selbst begreifenden Vernunft zugleich das substantielle Sein der Dinge überhaupt enthüllen, so ist dies nur so denkbar, daß die Vernunft Bestimmungen und Gesetze enthalte, denen sich die Dinge fügen müssen, oder, wie KANT sagt, daß die Vernunft sich nicht bloß nach den Dingen, sondern daß sich auch die Dinge nach der Vernunft richten müssen (und die Vernunft nach sich selbst). Alsdann ist die Erkenntnis, deren Gegenstand die Vernunft als solche Gesetzgeberin bildet, zugleich eine Erkenntnis der Dinge; wir erkennen alsdann die Dinge dadurch, daß wir erkennen, wie die Vernunft sie denken muß.

Die Art und Weise, auf welche die Vernunft Gesetze über die Natur der Dinge überhaupt in sich hat, läßt sich aufgrund der bisherigen Betrachtung im allgemeinen angeben. Es gibt, dies ist zunächst festzustellen, nur  einen  Begriff  a priori,  das ist derjenige, der seinen Inhalt aus der Anschauung schöpft, welche das vernünftige Ich  a priori  von sich selbst hat, - der Begriff, dessen Inhalt vollständig dadurch bestimmt ist, daß er Begriff ist, während alle übrigen wahrhaften Begriffe, die ihm untergeordnet sein müssen, zu diesem Inhalt noch weitere, durch die Form des Begriffs nicht bestimmte, also empirische Merkmale hinzutung - der Begriff des vernünftigen Ich. Alle apriorischen Bestimmungen müssen in diesem Begriff zusammengefaßt, also solche sein, welche das vernünftige, sich selbst denkende und anschauende Ich in sich setzt. Soweit dieselben aber das vernünftige Ich nicht als dieses besondere Seiende, sondern als Seiendes überhaupt betreffen, ist es nicht bloß zulässig, sie auf alle anderen Dinge in sich zu übertragen, sondern wir können ohne diese Übertragung nicht einmal von Seiendem, von Dingen reden, wofern wir mit diesen Worten einen Sinn verbinden. Aus dem reinen Bewußtsein unserer selbst haben wir alle den Begriff des Seienden, des Dinges geschöpft und wir können auf keine andere Weise angeben, was wir durch denselben denken, als indem wir die allgemeinsten im Begriff des Ich zusammengefaßten Bestimmtheiten entwickeln. Indem daher die Philosophie diese Entwicklung ausführt, bringt sie eine Erkenntnis hervor, welche eine Erkenntnis zugleich von der Vernunft (dem vernünftigen Geist) und vom substantiellen Sein überhaupt ist.

Es mag auf den ersten Blick vermessen erscheinen, für die menschliche Vernunft das Recht in Anspruch zu nehmen, über alles was war, ist und sein wird, ein Gesetz aufzustellen, da sie es doch nicht ändern könnte, wenn ein Ding anders wäre, als sie es verlangte. Der Beschränktheit endlicher Wesen scheint es angemessener, wofern man den Gedanken einer Abhängigkeit der Objekte des Denkens von der Vernunft nicht ganz aufgeben will, denselben wenigstens nur auf die  Erscheinungen  der Dinge in unserem Bewußtsein zu beziehen. Daß sich die Erscheinungen der Dinge den Bedingungen der Bewußtseinsräumlichkeit, in welche sie aufgenommen werden, fügen, gleichsam ihre Gestalt den Winkeln und Ecken, in welche sie hineingepreßt werden, anschmiegen müssen, scheint leicht verständlich und auch bescheidene Gemüter scheinen keinen Anstoß daran nehmen zu müssen; daß aber auch die Dinge  ansich  in einer solchen realen oder idealen Abhängigkeit von unserem vernünftigen Bewußtsein stehen sollen, - daß der Mensch, inwiefern er Vernunftwesen ist, nicht bloß das Maß der Erscheinungen, sondern der Dinge selbst, der seienden, daß sie sind, der nicht seienden, daß sie nicht sind, sein solle, erscheint vielleicht als ein an Selbstvergötterung grenzender Gedanke. Indessen ließe sich auch wohl für das Gegenteil dieser Ansicht etwas sagen; es ließe sich daraus, daß den endlichen Vernunftwesen eine solche Macht eigen ist, wohl auch die Vermutung anstellen, daß sie die Wurzeln ihres Daseins in einem absoluten Vernunftwesen haben, das ihnen und allen Dingen ihre Gesetze vorschreibt und das eigentliche Maß aller Dinge ist. Jedenfalls ließe sich diese Auffassung historisch eher rechtfertigen, als jene. Es mag hier genügen, meine subjektive Überzeugung auszusprechen, daß für endliche Vernunftwesen das substantielle Sein auch nur der endlichen Dinge erkennbar ist, daß aber auch dem Unendlichen, Absoluten eine reine Vernunfterkenntnis entspricht, deren Subjekt auch hier mit dem Objekt identisch ist, also das Wissen Gottes von sich selbst und daß jedes endliche Vernunftwesen nicht bloß sich selbst, sondern mittels seiner selbst auch alle anderen ihrem substantiellen Sein nach im allgemeinen darum zu denken vermag, weil sie alle von der  einen  göttlichen Vernunft umfaßt werden. Wie dem aber auch sei, sobald man dem aufgestellten Begriff der Philosophie gemäß diese drei Sätze anerkennt, erstens, daß das Sein (die Substantialität, Dingheit) eine allgemeinste, allem Seienden ansich zukommende Bestimmtheit ist und nicht bloß gleichsam der Widerschein unseres Verhaltens zum Seienden, zu etwas, was ansich nicht ist, der Widerschein unserer Positition desselben, zweitens, daß die Vernunft die Bedeutung des Wortes Sein aus der Betrachtung ihrer selbst feststellen kann und drittens, daß nur Seiendes sein, existieren kann, erkennt man auch an, daß die Vernunft  a priori  zu einem auf alle Dinge bezüglichen Wissen gelangen kann, wie dürftig dasselbe wegen seiner Allgemeinheit auch sein mag.

Als Korrelat des Intellektualismus, welches mit ihm zusammen den Idealismus ausmacht, wurde oben der Spiritualismus bezeichnet. Hierzu ist nunmehr eine erläuterne Bemerkung zu machen. Nicht jede Weltansicht, für welche sich wohl der Name Spirtualismus rechtfertigen ließe, könnte als Korrelat des Intellektualismus bezeichnet werden. Die Annahme z. B., daß nichts existiere als Monaden, welche zwar nach der Analogie unseres Ich zu denken, aber ihrem substantiellen Wesen nach in bloßen dumpfen Empfindungen und Begehrungen gleichsam versenkt wären, und daß das diskursive Denken und Wollen nur in einigen derselben sich in Folge zufälliger Umstände als akzidentielle Eigenschaften entwickelten, könnte nicht in dem Sinn des Wortes Spiritualismus genannt werden, in welchem darunter eine Seite des Idealismus verstanden wird. Denn das Wesen des Idealismus beruth darin, daß er die  Vernunft  zum Prinzip macht, und der zu ihm gehörige Spiritualismus muß daher nicht seelenartige Wesen überhaupt, sondern  vernünftige Geister  für das allein substantiell Seiende erklären. Mit diesem Spiritualismus ließe sich indessen jene Annahme seelenartiger, in dumpfen Empfindungen und Begehrungen beharrender Wesen in mehrfacher Weise vereinigen. Es ließe sich zunächst von den Tierseelen annehmen, daß auch sie, wie die Menschenseelen, ihrem Wesen nach vernünftige Geister seien und nur wegen ihrer ungünstigen Verknüpfung mit anderen Wesen, mit Monaden, deren Zusammenhang als Materie erscheint, nicht zur Entwicklung und Betätigung ihrer Vernunft zu gelangen vermögen und dieselbe Auffassung ließe sich dann weiter auch auf die der Materie zugrunde liegenden Monaden übertragen. Man könnte hinzufügen, alle Monaden seien bestimmt, im Laufe der Zeit dennoch zur Entfaltung ihres eigentlichen Wesens zu gelangen, auch alle Menschen-Geister seien aus der untersten Schicht der Wesen hervorgegangen, die ganze Materie müsse sich in ein Reich vernünftiger Geister auflösen. Es ließe sich aber auch annehmen - und diese Annahme stimmt mit demjenigen überein, was oben über die höhere Natur des vernünftigen Ichs und später über das Verhältnis desselben als eines Besonderen zum Seienden als dem Allgemeinen gesagt wurde -, daß es verschiedene  Stufen  des substantiellen Seins gebe und daß nur unter der Bedingung, bloß die höchste Stufe solle im engsten und strengsten Sinn des Wortes substantielles Sein heißen, die alleinige Substantialität der vernünftigen Geister behauptet werden dürfe. In diesem Fall würden also Tierseelen zugelassen werden, die unter keinen Umständen und Bedingungen zur Vernunft gelangen können, weil ihnen die Anlage zu derselben, der entwicklungsfähige Keim fehlt, sondern auf ein Verhalten beschränkt sind, welches zwar seine allgemeinen Natur nach auch den Geistern eignet, aber nur gleichsam die Unterlage des eigentlichen Lebens derselben bildet, - und in ähnlicher Weise auch ganz nackte Monaden, nach dem Ausdruck LEIBNIZ'. Inwiefern alle endlichen Wesen im absoluten vernünftigen Geist enthalten sind, ließe sich auch von dieser Annahme aus noch sagen, es sei nichts als vernünftiger Geist, d. h. es sei nichts als Gott und was Gott in sich setzt. -

Die in den letzten Bemerkungen enthaltene nähere Bestimmung des Begriffs der Philosophie gibt zugleich eine Einteilung desselben an die Hand. Es scheint zunächst natürlich, einen Einschnitt da zu machen, wo die Entwicklung derjenigen Bestimmungen, welche dem vernünftigen Ich insofern zukommen, als es überhaupt  ist,  endet und diejenige der Bestimmungen, welche ihm nicht mit allen Dingen gemeinsam sind, anfängt, und einen zweiten Einschnitt da, wo die dem vernünftigen Ich als solchem  eigentümlichen  Bestimmungen aufzutreten beginnen. Der erste der sich hierdurch ergebenden Teile würde als Metaphysik, der zweite etwa als (rationale) Psycholgie, der dritte als Philosophie des Geistes zu bezeichnen sein.

Über die Bedeutung, welche diesen Teilen beizumessen sein würde, füge ich noch folgende Bemerkung bei, welche zugleich einen Punkt der vorhergehenden Erörterung zu erläutern geeignet sein wird. Die Gedanken-Entwicklung der Philosophie geht zugleich vom Allgemeinen zum Besonderen und vom Niedrigeren zum Höheren. Die Bestimmungen nämlich, welche dem Ich insofern zukommen, als es überhaupt  ist,  konstituieren  vollständig  das Sein der niedrigsten Wesen, indem die Determination, welche vom Begriff des Seienden überhaupt zu demjenigen des Seienden der niedrigsten Stufe führt, lediglich  negativer  Art ist, nämlich nur besagt, daß den niedrigsten Wesen alles das fehle, worin die Besonderheit der höheren beruth. Die Metaphysik als die Wissenschaft vom Seienden, inwiefern es ist, ist also auch die Wissenschaft von den positiven Bestimmungen, welche das Sein der niedrigsten Wesen ausmachen. Indem die Entwicklung sodann zu denjenigen Bestimmungen übergehen würde, welche dem vernünftigen Ich nicht mit allen, sondern nur mit einigen anderen Wesen, die nicht vernünftige Ichs sind (etwa den Tierseelen), gemeinsam wären, würde sie wiederum das Positive, welches das Sein einer Klasse von Wesen ausmachte, erschöpfen. Die Philosophie des Geistes endlich entwickelt die positive Determination, welche vom nächst allgemeineren Begriff zu demjenigen des vernünftigen Ichs führt, und damit auch die höhere Natur, durch welche sich die vernünftigen Geister über die vernunftlosen Seelen erheben.

Bei näherer Betrachtung erscheint es indessen fraglich, ob eine mittlere Stufe zwischen den niedrigsten Wesen und den vernünftigen Ichs anzunehmen sei. Alsdann würde an die Stelle der Dreiteilung eine Zweiteilung treten müssen. Da eine solche auch dem Zweck, zu welchem ich hier eine Einteilung der Philosophie angebe, angemessener ist, so sehe ich im Folgenden von dem oben als rationale Psychologie bezeichneten Teil ab.

Die Philosophie des Geistes ist Logik, inwiefern sie den Geist von seiner theoretischen Seite, unter dem Attribut des Denkens, Ethik, inwiefern sie ihn von seiner praktischen Seite, unter dem Attribut des Wollens betrachtet. (Von zwei Attributen eines substantiellen Wesens kann freilich, streng genommen, nicht die Rede sein, sondern nur von zwei Seiten oder Momenten, welche das abstrahierende Denken an dem  einen  Attribut zu unterscheiden vermag. Der Einteilung der Philosophie des Geistes in die Logik und in die Ethik, entspricht diejenige der Metaphysik in die Ontologie und die Teleologie. Für die Einteilung der Philosohie, genauer der reinen Philosophie, ergibt sich demnach folgendes Schema:

Theoretische Philosophie
|
Ontologie
|
Logik
Metaphysik -> <- Philosophie
des Geistes
Theologie
|
Ethik
|
Praktische Philosophie

Die Philosophie im weiteren Sinne des Wortes muß außerdem noch einen propädeutischen Teil haben, der die theoretische und die praktische Vernunft in mehr empirischer Weise, d. h. so, als ob die Vernunft sich selbst eine bloße Tatsache wäre, betrachtet, und muß weiterhin die unermeßliche Aufgabe der Anwendung der Resultate der reinen Philosophie auf das gesamte Gebiet der Erfahrung in Angriff nehmen.



Suchen wir uns darüber Rechenschaft zu geben, was wir eigentlich damit meinen, wenn wir von etwas sagen, daß es sei, so stoßen wir alsbald auf zwei Bestimmungen, die einander auszuschließen scheinen. Das Seiende ist zunächst Gedachtes; wir setzen etwas als seiend dadurch, daß wir es überhaupt denken; wir können gar nichts denken, ohne es als seiend zu setzen, auch die willkürlich zusammengesetzten Phantasiebilder nicht, wir können nur zugleich, unser eigenes Denken beurteilend, uns der Ungültigkeit dieser Setzung bewußt werden. Von dieser Beziehung des Seins zum Denken können wir gar nicht abstrahieren, ohne überhaupt jeden Inhalt für seinen Begriff zu verlieren. Andererseits aber wollen wir, wenn wir von etwas sagen, es sei, ihm eine Selbständigkeit beilegen, die wir einem Gedankendinge, einem Gebilde in unserem Bewußtsein, nicht glauben zugestehen zu können. Ein Seiendes scheint also, inwiefern es ist, gerade Nicht-Gedachtes zu sein, vielmehr jedem, der es zu denken meint, statt seiner selbst höchstens sein Bild zum Inhalt darzubieten. Diese beiden Bestimungen liegen auch in unserer Auffassung, wenn wir von uns selbst als denkenden Wesen sagen, daß wir seien; wir setzen uns in unserem Denken, durch unser Denken, in Beziehung auf unser Denken, und meinen doch kein bloßes Bild im Spiegel unseres Denkens, sondern ein Selbständiges, ein Original zu sein. Der Widerstreit dieser beiden Bestimmungen im Begriff des Seienden ist es, der sich in den Ausdruck  Rätsel des Daseins  oder  Welträtsel  gekleidet hat. Das Sein erscheint uns als etwas absolut Rätselhaftes, sobald wir zu fühlen beginnen, daß es nur für unser Bewußtsein (und  als  Sein nur für unser  denkendes  Bewußtsein) besteht und doch als ein Selbständiges unserem Bewußtsein entgegentritt, und daß unser denkendes Bewußtsein sich selbst gleichsam in sich spaltet, insofern es denkt und in sich, insofern es ist, - daß wir vom Sein zum Denken und vom Denken wieder zum Sein getrieben werden, wenn wir uns auf die Grundlage aller unserer Gedanken zu besinnen versuchen.

Der Mensch beginnt zu philosohieren, sobald sich ihm dieses Rätsel des Daseins, der Welt, seiner selbst fühlbar macht. Es ist derselbe Gedanke, wenn PLATON und nach ihm ARISTOTELES die Verwunderung, das  thaumatein,  für den Anfang der Philosophie erklärten; nur müßte man hinzufügen, nicht die Verwunderung über diese oder jene Einzelheit, diese oder jene überraschende Erscheinung oder ein derartiges Erlebnis, sondern die Verwunderung über die Welt als Ganzes oder ein in allen Dingen wiederkehrendes Allgemeines. Wie kommt es, daß überhaupt eine Welt da ist, wie wird sie enden, wo fängt sie an, wo hört sie auf? In solchen Fragen etwa wird sich zuerst jene Verwunderung äußern, welche der Anfang der Philosophie ist, - im einzelnen Menschen sowohl als auch in der Menschheit.

Nachdem der philosophische Trieb erwacht ist, kann er nicht sofort darauf ausgehen, sich in der Weise Rechenschaft über sich selbst zu geben, wie das in der vorstehenden Betrachtung versucht worden ist, und in ähnlicher Weise fortfahren, um den gleichsam im Umriß gezeichneten Begriff der Philosophie und das zu seiner Verwirklichung führende Verfahren näher zu bestimmen. Die Vernunft wird vielmhr sofort ihre Befriedigung suchen und für eine Weile finden, indem sie aus sich selbst die sinnliche Vorstellung der Welt nach der Seite hin ergänzt, nach welcher dieselbe sich ihr als mangelhaft kund getan hatte. Heutzutage wird sich der Knabe, der in philosophische Verwunderung geraten ist, etwa zunächst beruhigen, indem er sich auf Fragen, wie die eben aufgestellten, die Antwort gibt: Gott hat die Welt aus nichts geschaffen. Die Völker des Altertums haben sich geantwortet: die Welt ist aus der Nacht geboren, oder: die Welt ist aus dem Weltenein entstanden, und dergleichen. Bei solchen Antworten kann es auf die Dauer sein Bewenden nicht haben. Das philosophische Bedürfnis entwickelt sich weiter, indem es befriedigt wird, wie der Hunger des Kindes durch die Nahrung, welche es zu sich nimmt, für eine Weile gestillt wird, sich dann aber umso stärker wieder eingestellt, weil durch die Nahrung sein Körper zugenommen hat und mit ihm das Nahrungsbedürfnis. Und in dieser Entwicklung wird auch die Reflexion über das philosophische Bedürfnis selbst auftreten und dieses wird immer mehr zum Verständnis seiner selbst gelangen.

Ich wünsche über den Lauf der Entwicklung, durch welche die Philosophie zum Begriff ihrer selbst gelangt, zwei Bemerkungen zu machen, welche für den Gegenstand dieser Schrift von Belang sind.

Die erste ist diese, daß der philosophische Trieb nicht sogleich als ein reiner, unvermischter Erkenntnistrieb auftritt, sondern daß er ursprünglich ebensosehr ein Trieb der Phantasie ist und deshalb ebensosehr oder mehr durch diese als durch begrüngendes Denken seine Befriedigung sucht und daß er ferner auch ebenso sehr ein Trieb des Gemütes ist, sich zwar einerseits als frei und selbständig, andererseits aber als abhängig von höheren Mächten zu fühlen und diese Mächte verehren und anbeten und auf ihren Schutz und ihre Leitung vertrauen zu dürfen. Der philosophische Trieb tritt, mit einem Wort, ursprünglich verschmolzen mit dem dichterischen und dem religiösen auf. Das Bewußtwerden desselben in seinem Unterschied von jenen ist einer wichtigsten Wendepunkte in seiner Entwicklung. Erst mit ihm beginnt eigentlich die Geschichte der Philosophie, vor ihm liegt ihre Vorgeschichte.

Auf einen zweiten gleich wichtigen Wendepunkt bezieht sich die zweite Bemerkung. Es ist natürlich, daß die Philosophie, nachdem sie sich von der Mythologie emanzipiert hatte, zunächst noch ihren Blick auf die Außenwelt gerichtet hielt und unmittelbar zu bestimmen, gleichsam herauszuschauen suchte, was an derselben kein substantielles Dasein habe und nicht zum substantiell Daseienden gehöre, ein mehr oder weniger Richtiges sei, und wie dagegen ihre Substanz zu denken sei. Erst im Laufe dieser Bemühungen konnte die Vernunft den Begriff ihrer selbst, den Begriff des  nous  finden, und weiterhin die Entdeckung machen, daß sie es in der Philosophie unmittelbar nur mit sich selbst zu tun habe, - daß sie den Schlüssel zur Lösung des Welträtsels, soweit dieselbe endlichen Wesen möglich ist, in der Erkenntnis ihrer selbst finden müsse.

Das zwischen den genannten beiden Wendepunkten liegende Stadium möge das naive oder dogmatische, das auf den zweiten, denjenigen der Einkehr der Vernunft bei sich selbst, folgende das reflektierende genannt werden.

Die Geschichte der Philosophie berichtet nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, von einer Reihe äußerlich und lose zusammenhängender Systeme, deren eines das andere verdrängt hat, um bald einem ebenso unhaltbaren Platz zu machen, von einem fortwährenden Streit der Meinungen, der es nie zu einem positiven Resultat von wirklicher Bedeutung für die Lösung des Welträtsels gebracht hat, sondern sie stellt eine organische Entwicklung dar, in der es allerdings an Gegensätzen, Krisen, Umwälzungen nicht fehlt und die ihren Inhalt fortwährend von Grund auf erneuert, statt Fertiges Fertigem hinzuzufügen, und die insofern allerdings den Schein eines "bloßen Herumtappesn" erwecken kann, die aber in einem bestimmten Gebild ihr Ziel hat und durch die Anlage zu diesem Ziel von Anfang an beherrscht wird. Es ist die idealistische Weltanschauung, welche den Inhalt dieser Entwicklung bildet. Statt eines dogmatischen und eines reflekttierenden Stadiums der Philosophie überhaupt kann also bestimmter ein Zeitalter des dogmatischen und ein solches des reflektierenden Idealismus unterschieden werden.

Der dogmatische Idealismus unterscheidet sich vom reflektierenden zunächst durch seine Forschungsweise. Beide wollen das substantielle Sein aus reiner Vernunft erkennen, der erstere aber, wenn auch ohne ausdrücklich das Denken der Anschauung entgegenzusetzen, durch ein den Erkenntnisinhalt nicht aus der Anschauung entwickelndes, sondern ihn erzeugendes Denken, der andere durch Denken aufgrund der intellektuellen Anschauung, die dem denkenden Geist, insofern er denkt, von sich als denkendem eigen ist. Der dogmatische Idealismus wird sich gleichsam in das Absolute zu versetzen suchen und von hier aus das gesamte Dasein in seinen Grundzügen zu bestimmen und zu konstruieren suchen; der reflektierende wird dagegen sein Prinzip im anschaulichen Begriff des endlichen vernünftigen Geistes erblicken und auf die Erkenntnis des Absoluten, soweit sie nicht in der Erkenntnis des Endlichen enthalten ist, verzichten, nur dem Absoluten selbst die Kraft, sich zu erkennen, zuschreibend. Der dogmatische Idealismus wird das Dasein des Absoluten durch reines Denken aus seinem bloßen Begriff darzutun unternehmen, er wird also zu seinem eigentlichen Fundament den ontologischen Beweis für das Dasein Gottes machen. Der reflektierende Idealismus wird an die Stelle des ontologischen Beweises die Gewißheit des Daseins setzen, welche der Begriff nicht des endlichen vernünftigen Geistes überhaupt, sondern des einzelnen, der philosophiert, verbürgt, und zwar nicht der anschauungslose oder sich nur auf eine außer ihm seiende Anschauung beziehende, sondern der die Anschauung seines Objektes, die unmittelbare Auffassung des tatsächlich existierenden einschließende Begriff.

Ohne noch die Tatsachen der Geschichte zu Hilfe zu nehmen, werden wir behaupten dürfen, daß der Übergang vom dogmatischen zum reflektierenden Idealismus nicht bloß eine Veränderung der Forschungsweise, sondern auch das Auftreten neuer Disziplinen bedeutet habe. In ihrem dogmatischen Stadium mußte, wie sich unmittelbar ergibt, die reine Philosophie ausschließlich Ontologie, die angewandte ausschließlich Physik sein. Im reflektierenden Stadium mußte hinzukommen die Ethik, welche der bisher allein vertretenen Ontologie diametral gegenübersteht, die Logik, welche insofern zwischen der Ethik und der Ontologie vermittelt, als sie wie jene zur Philosophie des Geistes, wie diese zur theoretischen Philosophie gehört, und die Teleologie, welche insofern zwischen der Ethik und der Ontologie vermittelt, als sie wie jene zur praktischen Philosophie, wie diese zur Metaphysik gehört (vgl. das Schema oben)

Mit großer Wahrscheinlichkeit ließe sich ferner a priori annehmen, daß die Philosophie in ihrem reflektierenden Stadium  zunächst  ihren Schwerpunkt in derjenigen Disziplin werde gefunden haben, welche der bisher ausschließlich bearbeitenden diametral entgegengesetzt ist, in der Ethik, daß in der Ontologie nicht bloß die Lehre von Gott in seinem unendlichen Wesen, sondern die ganze Ontologie werde aufgegeben, sogar für unmöglich erklärt, und die Logik und die Teleologie in den Dienst der Ethik werden gestellt worden sein. Ich nenne die reflektierende Philosophie in dieser ihrer ersten Gestalt  Kritizismus,  eine Bezeichnung, die im Folgenden ihre Rechtfertigung finden wird.

Endlich wird sich auch  a priori  das Auftreten der Unphilosophie oder Misosophie, welche als Skeptizismus die Vernunft als Erkenntnisprinzip und als Materialismus die Vernunft als Realprinzip leugnet, erwarten und näher bestimmen lassen. Sie wird zur Herrschaft gelangt sein in der Zeit, da der Dogmatismus durch seine Ergebnisse sich selbst aufgelöst hatte, das Prinzip der Reflexion aber noch nicht gefunden war, und ihre Bedeutung wird darin beruth haben, daß sie die Philosophie zur Erneuerung ihrer selbst zunächst im Kritizismus getrieben hat.

Um in den Tatsachen der Geschichte eine Bestätigung dieser Konstruktion zu erkennen, muß man von der Bemerkung ausgehen, daß es gewissermaßen zwei Geschichten der Philosophie gibt. Wir treffen demgemäß die oben bezeichneten Hauptwendepunkte zweimal an: sie teilen sowohl die Geschichte der griechischen als auch die der christlichen Philosophie. Es ist die Zeit vor THALES, in welcher die erstere, es ist diejenige vor CARTESIUS, in welcher die letztere im Mutterschoß der Mythologie, bzw. der Theologie, zu selbständigem Leben erstarkte. Die Einkehr der Vernunft bei sich selbst vollzieht sich dort mit SOKRATES, hier mit KANT; SOKRATES und KANT sind also die Urheber des Kritizismus.

Über das Verhältnis der griechischen Philosophie zur christlichen wird später eingehend gehandelt werden. Vorläufig möge nur darüber die Ansicht ausgesprochen werden, daß zwar dort wie hier auf ein Stadium der dogmatischen ein solches des refelektierenden Denkweise folgt, daß aber in der griechischen Philosophie gewissermaßen die dogmatische Denkweise (man könnte sie in Beziehung auf die griechische Philosophie auch die naive nennen), welche das vorsokratische Zeitalter charakterisiert, noch im folgenden, dem nachsokratischen, fortwirkt, daß also die Einkehr der Vernunft bei sich selbst sich in der griechischen Philosophie nicht mit voller Entschiedenheit vollzieht, während umgekehrt im ersten Zeitalter der christlichen Philosophie, dem vorkantischen, bereits die reflektierende Denkweise des zweiten gleichsam antizipiert wird, so daß im Ganzen in der griechischen Philosophie die dogmatische, in der christlichen die reflektierende Denkweise das Übergewicht hat. Oder in Beziehung auf die Entwicklung der Philosophie als Idealismus: die griechische Philosophie vermochte den Gegensatz des Geistes und der Materie nicht zu überwinden, den reinen Spiritualismus, obwohl sie ihn im Prinzip aufstellte, und dem entsprechend auch den reinen Intellektualismus nicht durchzuführen, und sie beann daher zu verfallen gleich nachdem sie über den Kritizismus hinaus zum ausgebildeten reflektierenden Idealismus fortgeschritten war; die christliche Philosophie hingegen, auf welche die Resultate der griechischen einwirkten und welche (was gleichfalls nicht ohne die griechische möglich gewesen wäre) aus einer tieferen und wahreren Religion erwuchs, hatte von vornherein den Dualismus des Geistes und der Materie im Prinzip überwunden und den Weg zum reinen Spiritualismus und mit ihm zum reinen Intellektualismus eingeschlagen.

Obwohl demnach die christliche Philosophie ein höheres Gebilde als die griechische ist, ist ihr doch der Fortschritt vom Kritizismus zum uneingeschränkten reflektierenden Idealismus, der sich in jener vollzogen hat (durch PLATON), noch nicht geglückt, wie vollständig sie ihn auch (namentlich durch FICHTE) vorbereitet haben mag. Indem die folgenden Betrachtungen daher die eben skizzierte Auffassung des Entwicklungsganges der Philosophie historisch zu begründen und zu erläutern suchen sollen, sind sie bestimmt, zu einer Beurteilung des Kritizismus zu dienen, welche den Weg, endgültig über ihn hinauszukommen, zu öffnen vermag.
LITERATUR - Julius Bergmann, Zur Beurteilung des Kritizismus vom idealistischen Standpunkt, Berlin 1875