p-4ra-1MauthnerLockeWaismannCarnapWindelbandMeinong     
 
EUGEN MINKOWSKI
Identität als Grundsatz
unseres Vorstellens


"Handelt es sich nun darum, das Eigentümliche des Erblickten durch Worte wiederzugeben, so weiß ich mir zunächst nicht anders zu helfen, als dadurch, daß ich sage:  Das Vorgestellte wird so vorgestellt, wie es eben vorgestellt wird. Mir stehen im Erblickten gar keine Bestimmungen zur Verfügung, die mir erlaubt hätten, das Erblickte, ohne über dasselbe hinauszugehen, zu beschreiben und es auf einfachere Bestimmungen, als es selbst ist, zurückzuführen."

"Der Gesichtspunkt  A = A zeigt uns die Fähigkeit unseres Bewußtseins an, einen in ihm vorhandenen Gegenstand der Vorstellung in Bezug auf  die Form seines Vorgestelltseins zu  bejahen. Wir können jetzt sagen, daß das Vorgestellte so vorgestellt wird, daß es in Bezug auf die Form seines Vorgestelltseins während seines Seins im Bewußtsein  bejaht werden kann und bejaht wird."

Ich versuche im Folgenden den Inhalt wiederzugeben, welcher meines Erachtens das Wesentliche dessen ausmacht, was als Grundsatz der Identität im Sinne des Grundsatzes unseres Vorstellens im engeren Sinn bezeichnet wird. Mein Ziel ist es, die Leere zu vermeiden, die dem Symbol  A = A  und dem Urteil  A = A,  durch welche der Grundsatz der Identität gewöhnlich wiedergegeben wird, anhaftet; durch diese Wiedergabe wird meines Erachtens das Wesentliche des in Frage kommenden Verhaltens unseres Vorstellens keineswegs erschöpft.

Die Anregung zu den weiter unten dargelegten Betrachtungen verdanke ich in erster Linie den Auseinandersetzungen BENNO ERDMANNs in seiner Logik über "den Grundsatz der Identität als Grundsatz des Vorstellens" (1); beim Studium derselben erblickte ich zum ersten Mal, wenigstens in seinen allgemeinsten Umrissen, den im folgenden geschilderten positiven Inhalt.

Es sei ausdrücklich bemerkt, daß hier vom Grundsatz der Identität ausschließlich im Sinne  des Grundsatzes unseres Vorstellens  im engeren Sinn die Rede ist. Es wäre vielleicht sogar richtiger, das weiter unten Gesagte bloß auf das  anschauliche  Vorstellen anzuwenden, da es jedenfalls an ihm, wie mir scheint, am deutlichsten hervortritt. Eine derartige Einschränkung des Geltungsbereiches würde aber, falls sie notwendig sein sollte, keineswegs die Bedeutung der folgenden Auseinandersetzungen vermindern; einerseits in Anbetracht ihres eigenen Wertes, andererseits in Anbetracht der Stellung, die das anschauliche Vorstellen im Bereich unseres Vorstellungslebens einnimmt.


I.

Der Grundsatz der Identität soll uns eine Antwort auf die Frage geben: "Wie wird das Vorgestellte vorgestellt?" (2)

Der Weg, auf dem diese Frage beantwortet werden soll, ist das Fixieren einer bewußten Vorstellung unter dem Gesichtspunkt eben dieser Frage.

Ich erblicke bei einem derartigen Fixieren etwas ganz Bestimmtes, welches sich mir als Antwort auf die gestellte Frage darstellt. Handelt es sich nun darum, das Eigentümliche des Erblickten durch Worte wiederzugeben, so weiß ich mir zunächst nicht anders zu helfen, als dadurch, daß ich sage:  Das Vorgestellte wird so vorgestellt, wie es eben vorgestellt wird.  Mir stehen im Erblickten gar keine Bestimmungen zur Verfügung, die mir erlaubt hätten, das Erblickte, ohne über dasselbe hinauszusehen, zu beschreiben und es auf einfachere Bestimmungen, als es selbst ist, zurückzuführen.

In dieser Antwort ist nicht enthalten, daß der vorliegende Gegenstand speziell als identisch mit sich selbst vorgestellt wird, wobei die Identität den Grenzfall einer jeglichen Beziehung (nicht bloß der Beziehung der Gleichheit) darstellen soll (3). Ich finde bei der Beantwortung der obigen Frage kein Erlebnis einer Beziehung, geschweige denn des Grenzfalls einer Beziehung in mir vor.

Die gegebene Antwort scheint für sich betrachtet ganz leer zu sein und nichts mehr als das nichtssagende  A = A  zu enthalten. In wesentlich anderem Licht erscheint sie uns aber, wenn wir die speziellen Umstände berücksichtigen, unter welchen sie gegeben wurde, und sie nun auf dieselben zurückzuprojizieren. Diese speziellen Umstände bestanden hier darin, daß eine Vorstellung während ihres Seins im Bewußtsein unter dem Gesichtspunkt der Frage: "Wir wird das Vorgestellte vorgestellt" fixiert wurde.

Die Möglichkeit, überhaupt eine Antwort zu geben, wie sie im speziellen auch lauten mag, zeigt uns zunächst ganz allgemein an, daß die gestellte Frage in Bezug auf das Vorstellen während seines Seins im Bewußtsein  einen Sinn  hat. Die Frage nach einem "wie", auf das bewußte Vorstellen bezogen, verträgt sich mit seinem Sein im Bewußtsein und einen Sinn. Damit ist aber bereits etwas über das "wie" des Vorgestelltseins ausgesagt.

Fassen wir weiter, wiederum nicht den speziellen Inhalt der Antwort, der in  A = A  aufzugehen schien, sondern ihren Charakter einer behahenden Aussage ins Auge. Unter diesem Gesichtspunkt zeigt sie uns die Fähigkeit unseres Bewußtseins an, einen in ihm vorhandenen Gegenstand der Vorstellung in Bezug auf  die Form  seines Vorgestelltseins  ("wie"  wird das Vorgestellte vorgestellt?) zu  bejahen.  Wir können jetzt sagen, daß das Vorgestellte so vorgestellt wird, daß es in Bezug auf die Form seines Vorgestelltseins während seines Seins im Bewußtsein bejaht werden kann und bejaht wird, wenn es unter dem Gesichtspunkt der Frage: "wie wird das Vorgestellte vorgestellt" betrachtet wird.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß, wenn auch ursprünglich unsere Antwort nicht über das  A = A  hinauszugehen schien, sie dies im Grunde docht tut; wir sehen das, sobald wir nicht das  A = A  für sich in den Vordergrund stellen, sondern  die Möglichkeit,  ein in dieser Form zum Ausdruck gebrachte Antwort unter den speziellen hier in Betracht kommenden Umständen überhaupt zu geben.

Der Möglichkeit der Bejahung setze ich hier nicht die Möglichkeit der Verneinung, sondern die Unmöglichkeit der Bejahung entgegen. - Das Bejahen ist seinem Wesen nach viel ursprünglicher als das Fassen unter dem Gesichtspunkt einer Beziehung.

Die Möglichkeit der Bejahung in Bezug auf die Form während des Seins im Bewußtsein, als Eigenschaft der Vorstellung aufgefaßt, (die wir hier, wie es scheint, auf reduktivem Weg aus der gegebenen Antwort abgeleitet haben) drückt meines Erachtens nichts anderes aus, als die eigentümliche Beziehung, die in der Vorstellung zwischen dem vorgestellten Gegenstand und dem vorstellenden Subjekt besteht, und die wir bei einer ganz anderen Einstellung dadurch zum Ausdruck bringen können, daß wir sagen, daß in der Vorstellung das Subjekt und der Gegenstand "in einer Linie zu liegen kommen", beide durch die "Gegenwart" in gleicher Weise umfaßt und erschöpft werden, dem Selbstbewußtsein gleich gegenwärtig sind.

Im Obigen geht die Bejahung nicht auf den Inhalt des vorgestellten Gegenstandes, sondern auf die Form seines Vorgestelltseins. Die Antwort lautete nicht: der Gegenstand wird als identisch mit sich selbst vorgestellt, sondern: das Vorgestellte wird so vorgestellt, wie es vorgestellt wird. Hier geht die Bejahung in erster Linie auf das Vorstellen und nicht auf den vorgestellten Gegenstand. Aus diesem Grund ist die Wiedergabe durch das Symbol  A = A  oder durch das Urteil  A = A,  wobei unter  A  der Gegenstand der Vorstellung verstanden wird, dem geschilderten Verhalten unseres Vorstellens nicht adäquat und erschöpft es in keiner Weise. Dies wird hier besonders deutlich, wenn wir noch die geläufige Gegenüberstellung des Grundsatzes der unbestimmten Verschiedenheit  (A  ∨ Non-A) dem Grundsatz der Identität beachten. Hier kann es sich nur um den Inhalt des Gegenstandes handeln; dagegen können wir das  "A  ist nicht Non-A" auf unsere Auseinandersetzung gar nicht anwenden und mit einem bestimmten Sinn verbinden. Handelt es sich um ein bestimmtes  A,  so ist in der gegebenen Antwort, daß  A  so vorgestellt wird, wie es vorgestellt wird, und in allem, was wir darüber gesagt haben, gar kein Anknüpfungspunkt für ein selbstverständliches Abweichen des Non-A von  A,  welches durch das Symbol  A ∨ Non-A  wiedergegeben werden könnte, vorhanden.  A = A  und  A ∨ Non-A  sind eben ganz abstrakte Formeln; hier handelt es sich dagegen um die Wiedergabe der eigentümlichen Stellung der Gegenstände in unserem bewußten Vorstellen. Die Unanwendbarkeit dieser Symbole zu diesem Zweck wird auch noch aus dem folgenden deutlich werden.


II.

Das Erblickte wird dadurch nicht erschöpft, daß ich sage, daß ein einzelner, gerade jetzt vorliegender Gegenstand  A  so vorgestellt wird, wie er vorgestellt wird, sondern ich erblicke zugleich, daß die gestellte Frage durch die gegebene Antwort vollständig erschöpft wird, daß es sich um einen  Grundsatz  handelt.

Ich erblicke an der (scheinbar) einzelnen fixierten Vorstellung nicht nur, daß dieser einzelne Gegenstand so vorgestellt wird, wie er vorgestellt wird, auch nicht, daß jeder andere so vorgestellt wird, wie er eben vorgestellt wird, sondern daß alle anderen ebenso vorgestellt werden, wie dieser, daß  alle Gegenstände  in der Vorstellung  dieselbe Form des Vorgestelltseins  haben.

Etwas Bestimmtes über diese Form selbst wird dadurch nicht ausgesagt, ebensowenig wie das bei der Bejahung früher der Fall gewesen ist. Nicht irgendeine Bestimmung steht hier als Grundsatz im Vordergrund, sondern nur das  Grundsatzsein  selbst.

Sollen wir nun das erblickte Verhalten des Vorstellens symbolisch darstellen, so sehen wir leicht ein, daß wir das Wesentliche desselben durch  A = A, B = B  usw. nicht treffen; es ergibt sich vielmehr die Notwendigkeit, zu diesem Zweck das  A  mit dem  B, C  usw., ganz allgemein mit dem Non-A durch ein Gleichheitszeichen zu verbinden.

Die Bezeichnung  A = Non-a  wäre selbstverständlich nur irreführend, indem man gewohnt ist  A  als Bezeichnung des Inhaltes des Gegenstandes aufzufassen.

Nehmen wir nun "A ist A" und  A = A  als einfachsten Fall einer bejahenden Aussage, legen sie an das Erblickte von außen an und beziehen die Bejahung auf die Form des Vorgestelltseins, so können wir dem Erblickten meines Erachtens am nächsten durch folgendes Symbol kommen:

(A = A) = (Non-A = Non-A)

Gehen wir jetzt noch einmal auf den Sinn zurück, der gewöhnlich dem Grundsatz der Identität beigelegt wird, wobei die Identität als spezielle Bestimmung, als Grenzfall jeder Beziehung aufgefaßt wird. Auch dann läßt sich der Grundsatz der Identität in der  allgemeineren  Form aussprechen, daß alle Gegenstände in gleicher Weise vorgestellt werden; wir müssen aber noch hinzufügen: indem jeder von ihnen  speziell  als identisch mit sich selbst vorgestellt wird. (Analog wie wir sagen können, daß alle Körper in gleicher Weise fallen, indem sie alle dem Attraktionsgesetz folgen; oder daß alle Dinge sich in einer Beziehung gleich sind, indem jedes von ihnen mit sich selbst identisch ist). Allein dabei wird ein wesentliches Moment des Erblickten unberücksichtigt gelassen oder zumindest an eine falsche Stelle gebracht, nämlich, daß die Antwort auf die gestellte Frage uns von vornherein als Grundsatz erscheint, mit anderen Worten, daß der grundsätzliche Charakter der Antwort (das Grundsatzsein) vorne und nicht hinten steht, den eigentlichen Inhalt der Antwort ausmacht, während irgendwelche Beziehungen, die die Form des Vorgestelltseins näher charakterisieren sollten, sei es auch nur die selbstverständliche Identität mit sich selbst, in ihr nicht enthalten sind.

Das Vorgestellte wird so vorgestellt, daß an ihm die Gleichheit in Bezug auf die Form des Vorgestelltseins für alles Vorgestellte abgelesen werden kann. 


III.

Der Grundsatz der Identität soll als Grundsatz an  einer einzelnen  bewußten Vorstellung ablesbar sein.

Ich frage nun nicht, inwiefern dies möglich ist, bzw. behaupte nicht von vornherein, daß dies aus irgendeinem Grund unmöglich ist; vielmehr, indem ich davon als von etwas Feststehendem ausgehe, werfe ich die Frage auf, wie diese vermeintlich  einzelne  Vorstellung während ihres Seins im Bewußtsein beschaffen sein muß, damit an ihr der  Grundsatz  der Identität, so wie er oben dargelegt wurde, erblickt werden kann.

Als Leitfaden zur Beantwortung dieser Frage kann das oben angegebene Symbol dienen:  (A = A) = (Non-A = Non-A). 

Eine notwendige und genügende Bedingung dafür, daß an einer einzelnen Vorstellung der obige Grundsatz abgelesen werden kann, ist, außer der in Kapitel I besprochenen Möglichkeit der Bejahung, der Hinweis der einzelnen Vorstellung auf die Gleichheit mit ihr aller anderen Vorstellungen in dieser Beziehung.

Diese  einzelne  konkrete Vorstellung muß, wenn sie als solche zu Bewußtsein kommt, gleichzeitig als "nicht die anderen" zu Bewußtsein kommen. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, daß es sich dabei um eine logische Operation handelt, die dahin hinausgeht zu behaupten, daß, da sie eben diese einzelne Vorstellung ist, sie nicht die anderen Vorstellungen sein kann. Im Gegenteil, es muß sich gerade darum handeln, daß diese einzelne Vorstellung von vornherein, unmittelbar als "nicht die anderen" zu Bewußtsein kommt. Ja, sie könnte vor allem als "nicht die anderen" (unter dem  Primat des Negativen)  zu Bewußtsein kommen und nur deswegen diese einzelne sein, weil sie nicht die anderen ist.

Ich glaube, daß wir bei einer anderen Einstellung einen positiven Hinweise auf dieses Primat des Negativen in unserem Bewußtsein in dem eigentümlichen Charakter von Labilität und Vergänglichkeit finden, der immer im Bereich des bewußten Geschehens der "Gegenwart" (selbstverständlich nicht im Sinne eines physikalischen Zeitmoments) anhaftet, und daher auch jeder einzelnen bewußten Vorstellung, die als solche zum Bewußtsein kommt, und die, wie wir oben sagten, durch die "Gegenwart" umfaßt und erschöpft wird, unter diesem Gesichtspunkt eigen ist. Man möchte sagen, daß die "Gegenwart" so zu Bewußtsein kommt, als ob sie noch die Vergangenheit und bereits die Zukunft in sich enthielte, ja als ob sie erst durch Ausschluß der Vergangenheit und Zukunft aus der Zeit schlechthin entstände.

Da einer einzelnen Vorstellung, die als solche zu Bewußtsein kommt, die Totalität ihrer gegenständlichen Seite als einzelner Inhalt zugeordnet werden kann, so können wir jetzt auch sagen, daß ein einzelnes Vorgestelltes (wohl bemerkt als Totalität der gegenständlichen Seite einer einzelnen Vorstellung) so vorgestellt wird, daß es als einzelnes unmittelbar unter dem Primat des Negativen aufgefaßt wird. In diesem Sinne aufgefaßt, enthält das  A  das Non-A in sich, und die Bejahung am  A  geht über das  A  hinaus auf das Non-A.

Wir sehen hier noch einmal, inwiefern unsere Darstellungen vom Sinn, der gewöhnlich den Symbolen  A = A  und  A ∨ Non-A  beigelegt wird, abweichen. Während dort der Übergang vom ersten zum zweiten auf synthetischem Weg erfolgt, indem dieser Übergang der Voraussetzung bedarf, daß eine Mehrheit von Gegenständen gegeben ist (4), ist hier das Non-A im  A  unmittelbar enthalten. Das ganze Symbol  (A = A) = (Non-A = Non-A)  bezieht sich hier unmittelbar auf das  A. 

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier noch besonders hervorgehoben, daß eine einzelne, als solche bewußte Vorstellung und ihr Inhalt, als Totalität, keineswegs mit irgendeinem einzelnen Gegenstand, z. B. "einem" Haus oder "einer" roten Fläche, verwechselt werden darf, indem ein solcher sehr wohl bloß einen Teil der gegenständlichen Seite einer Vorstellung ausmachen kann. Einer einzelnen Vorstellung entspricht dagegen immer bloß ein einzelner Inhalt als Totalität der gegenständlichen Seite dieser Vorstellung (als dieser "gegenwärtige" Inhalt meines Vorstellens). Allerdings können in dieser Totalität einzelne Gegenstände unterschieden werden, sie kann aber auch unter Umständen durch einen einzigen solchen Gegenstand dargestellt werden; dies geschieht z. B. meines Erachtens jedesmal, wenn an irgendeinem solchen vorgegebenen Gegenstan der Grundsatz der Identität festgestellt wird. Dies sind aber bereits Verhältnisse, die hier beiseite gelassen werden können; sie gehören einem weiter fortgeschrittenen Studium der formalen Beziehungen der gegenständlichen Seite der Vorstellung an.

Wenn wir jetzt alles Gesagte kurz zusammenfassen, so können wir folgendes sagen: eine einzelne Vorstellung kommt als solche so zu Bewußtsein, daß im Falle, wenn sie während ihres Seins im Bewußtsein unter dem Gesichtspunkt der Frage: "wie wird das Vorgestellte vorgestellt?" ins Auge gefaßt wird, das Vorgestellte als gegenständliche Seite dieser einzelnen Vorstellung verneint, unter einem Primat des Negativen aufgefaßt wird, während dabei seine Form des Vorgestelltseins bejaht, unter einem Primat des Positiven aufgefaßt wird; ganz kurz ausgedrückt: die Form wird bejaht, der Inhalt als dieser einzelne verneint.


IV.

Wir wenden uns jetzt zu der Frage, die auch noch nach den obigen Auseinandersetzungen durch das so geläufige Induktionsverfahren der Erfahrungswissenschaften nahe gelegt wird. Wir fanden oben, daß das in einer einzelnen Vorstellung Vorgestellte so vorgestellt wird, daß an ihm der Grundsatz abgelesen werden kann, daß in allen Vorstellungen das Vorgestellte dieselbe Form besitzt. Zugegeben, daß dies möglich und richtig ist, entsteht da nicht doch die Frage, ob auch an  jeder  einzelnen Vorstellung der obige Grundsatz abgelesen werden kann, mit anderen Worten, ob auch  tatsächlich  alle Vorstellungen sich in dieser Beziehung gleich verhalten, und das Vorgestellte in ihnen tatsächlich dieselbe Form besitzt?

Diese Frage entsteht in der Weise, daß auch hier, wie wir das anderswoher gewohnt sind, der Einheit, "diesem einzelnen" von vornherein der Vorzug gegeben wird, und die ganze Situation von diesem Gesichtspunkt aus ins Auge gefaßt wird. Wir dürfen aber die speziellen Umstände, auf die sich diese Betrachtungen und ihre Resultate beziehen, keinen Augenblick außer acht lassen.
    Bemerkung.  Die Frage, ob, wenn auch alle einzelnen Vorstellungen so beschaffen sind, daß an jeder von ihnen der obige Grundsatz erblickt werden kann, in ihnen allen auch  tatsächlich  das Vorgestellte dieselbe Form hat, erledigt sich von selbst; wenn nämlich in jeder einzelnen Vorstellung das Vorgestellte so vorgestellt wird, daß an ihm der obige Grundsatz abgelesen werden kann, und dieses Grundsatzsein jedesmal die Frage in Bezug auf das "wie" des Vorgestelltseins erschöpft, so besagt das eben nichts anderes, als daß das Vorgestellte in ihnen allen sich allgemein gleich verhält.
Die Auseinandersetzungen in Kapitel III weisen bereits darauf hin, daß "diese einzelne" als solche zum Bewußtsein kommende Vorstellung keineswegs die Bedeutung eines gewöhnlichen Einzelfalls zu haben scheint und daher auch nicht als solcher ohne weiteres behandelt werden darf.

Die am Anfang dieses Kapitels gestellte Frage rückt in ein vollständig anderes Licht, sobald wir die Veranlassung zur Annahme haben, daß die bewußte Vorstellung nicht von vornherein "diese einzelne"  ist,  sondern erst unter gewissen Umständen zu dieser einzelnen  wird,  daß das "Eins-Sein" für das bewußte Vorstellen keineswegs die Regel, sondern vielmehr ein Sonderfall ist. Eine derartige Möglichkeit hatte ich bereits im vorigen Kapitel vor Augen, als ich sagte, daß die Zeit schlechthin zur Gegenwart dadurch  wird,  daß aus ihr die Vergangenheit und die Zukunft ausgeschlossen werden, was am Charakter der Gegenwart selbst, als eines Gewordenen und eines Vergehenden, an ihrer eigentlichen Labilität abgelesen werden kann. Hier können wir noch hervorheben, daß unser bewußtes Vorstellen keineswegs in einzelnen als solche zum Bewußtsein kommenden Vorstellungen der Regel nach abläuft, sondern erst bei einer entsprechenden Einstellung in solche zerfällt.

Die Momente, die für die Möglichkeit des Ablesens eines Grundsatzes an einer einzelnen Vorstellung in Anspruch genommen wurden, können auch, was eigentlich selbstverständlich ist, für das Eins-Werden dieser Vorstellung verantwortlich gemacht werden; (beim Ablesen des Grundsatzes kommt noch der spezielle Gesichtspunkt der Frage: "wie wird das Vorgestellte vorgestellt?" hinzu). Wenn daher die Auffassung des Eins-Werdens der Vorstellung berechtigt ist, so können wir sagen, daß es sich nicht mehr um eine einzelne Vorstellung handelt, die so beschaffen  ist,  daß sie das Non-A in sich enthält, was für das Ablesen des Grundsatzes an ihr genügen würde, und was als Grundlage für die am Anfang dieses Kapitels aufgeworfene Frage gedient hat, sondern um eine Vorstellung, die zu einer einzelnen so beschaffen  wird,  und zwar in diesem speziellen Fall dadurch, daß im Bereich unseres Vorstellens ein Grundsatz in Bezug auf das "wie" des Vorgestelltseins abgelesen wird. Es soll damit nicht gesagt werden, daß das Eins-Sein im Bereich des Vorstellens nur auf diesem Weg zustande kommen kann; das Gesagte würde aber genügen, um die hier erörterte Frage sinn- und bedeutungslos zu machen.

Zum Schluß dieser Auseinandersetzung sei noch auf die charakteristische Schwierigkeit hingewiesen, die dann entsteht, wenn man versucht, den Grundsatz der Identität als Resultat von Feststellungen an einzelnen Vorstellungen aufzufassen, und die darin besteht, daß dies nur mittels Vorstellungen geschehen kann, in Bezug auf welche der Grundsatz der Identität als richtig vorausgesetzt werden muß. Und wenn ich auch jetzt, nachdem ich mich mit dem Grundsatz der Identität eingehend beschäftigt habe, mich daran erinnern kann, daß ich ihn  mehrmals, an mehreren  einzelnen Vorstellungen vor Augen hatte, so verhält sich die Sache eben so, daß ich tatsächlich an mehreren Vorstellungen, aber in jedem Fall von vornherein mit  dem Charakter eines Grundsatzes  die oben geschilderten Feststellungen machte; dagegen finde ich in der Erinnerung keinen einzigen Fall mit dem Geltungsbewußtsein einer Einzelbeobachtung, geschweige denn einen Hinweis auf eine Verallgemeinerung aufgrund solcher einzelner Beobachtungen; die mehrmals gemachten gleichen Feststellungen haben bloß die Bedeutung einfacher Wiederholungen.

Ich möchte hier noch einen, wie es auf den ersten Blick scheint, schwerwiegenden Einwand erwähnen. Wir formulierten oben den Grundsatz auch so, daß alles Vorgestellte dieselbe Form des Vorgestelltseins hat. Dies scheint nun etwas Selbstverständliches zu sein: es hat immer dieselbe Form des Vorgestelltseins, weil es sich in jedem Fall um nichts anderes, als eben um ein Vorgestelltes handelt. Dieser Einwand berücksichtigt aber nicht einen Umstand, der hier eine wesentliche Rolle spielt und alle vorhergehenden Auseinandersetzungen notwendig machte; ich meine hier den Umstand, daß sich uns der Grundsatz, daß alles Vorgestellte dieselbe Form des Vorgestelltseins hat, als  vollständige und erschöpfende  Antwort auf die Frage: "wie wird das Vorgestellte vorgestellt?" dargestellt hatte. In diesem Punkt besteht eben ein wesentlicher Unterschied von solchen Aussagen, wie: alle fallenden Körper sind einander gleich, indem sie eben alle fallen, oder: die räumlichen Körper verhalten sich zum Raum alle in gleicher Weise, indem sie eben alle räumliche Eigenschaften besitzen, wenn wir diese Aussagen als Antworten auf die Fragen betrachten: wie fallen die fallenden Körper? bzw.: wie verhalten sich die räumlichen Körper im Raum?

Jetzt können wir auch hervorheben, daß die gegebene Antwort ihrem Charakter nach nur Wesentliches zum Ausdruck bringen kann. Da sie gar keine speziellen Bestimmungen in sich enthält, sondern nur das Grundsatzsein selbst, kann sie nur in  einem einzigen  Fall als  sinnvolle  Antwort auf Fragen der Form: wie wird das Vorgestellte vorgestellt? gelten, denn abstrakt genommen gilt sie eben immer, wie wir das oben gesehen haben. In diesem einzigen Fall stempelt sie ihn aber zu etwas Besonderem und kann sehr wohl zu seiner Charakterisierung benutzt werden. Daß dieser ausgezeichnete Fall gerade durch das bewußte Vorstellen dargestellt wird, ist selbstverständlich im Charakter der Antwort nicht enthalten; er besagt aber wohl, daß, wenn die Antwort im dargelegten Sinn für das bewußte Vorstellen gilt, sie in diesem Sinne nur für dasselbe Geltung haben kann.


V.

Nach dem oben Auseinandergesetzten braucht es wohl kaum nochmals hervorgehoben werden, daß der Grundsatz, von dem hier die Rede ist, weder mit dem, was man als logische Identität, noch mit dem, was man als reale Identität bezeichnet, verwechselt werden darf. Hier handelt es sich bloß um den  Grundsatz unseres Vorstellens  (oder, wie wir jetzt auch sagen können, um das Grundsatzsein unseres Vorstellens). Wir haben es nur mit Tatbeständen zu tun, die durch die "Gegenwart" umfaßt und erschöpft werden, während sowohl die logische wie die reale Identität sich auf mehrere zeitliche Momente, die durch zeitliche Dauer miteinander verbunden sind, beziehen.

Es entsteht jetzt die Aufgabe, zu versuchen, den geschilderten Grundsatz mit weiteren formalen Eigenschaften der gegenständlichen Seite unseres Vorstellens in einen Zusammenhang zu bringen, ihn in dieser Beziehung  produktiv  zu machen. Das Gelingen dieses Versuchs wäre selbstverständlich ein großer Vorteil in Anbetracht der Unproduktivität der geläufigen Auffassung des Identitätsgesetzes; es würde auch von selbst den am Ende des vorigen Kapitels erwähnten Einwand erledigen. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Produktivität in dieser Beziehung ist vielleicht in dem Umstand zu erblicken, daß die geschilderte Auffassung des Grundsatzes keineswegs etwas  Selbstverständliches,  ja man möchte sagen, gerade das Gegenteil davon, in sich enthält.

Fernerhin kommt im Bereich der übrigen psychischen Phänomene die Frage nach der Bedeutung des Vorstellens, als des Grundsätzlichen schlechthin, in Betracht.
LITERATUR - Eugen Minkowski, Inhalt, symbolische Darstellung und Begründung des Grundsatzes der Identität als Grundsatzes unseres Vorstellens, Archiv für systematische Philosophie, Neue Folge der Philosophischen Monatshefte, Bd. 20, Berlin 1914