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Kant und die Epigonen [3/3]
Die idealistische Richtung - Fichte, Schelling, Hegel -
Nachdem wir im vorigen Abschnitt die Kantische Lehre, mit ihrem immanentem Irrtum, als die leuchtende Sonne betrachtet haben, deren Strahlen sich nach verschiedenen Richtungen hin in die moderne deutsche Philosophie ergießen, wenden wir uns zunächst zu jener Richtung, welche man kat exochen [schlechterdings - wp] die idealistische nennen darf. Mit ihr gerade machen wir deshalb den Anfang, weil sie historisch KANT am nächsten steht, besonders aber auch, weil sie auf jeer ihrer drei Entwicklungsstufen, die in ununterbrochener Reihe auseinander hervorgingen, bei Eingeweihten und Laien sich das größte Ansehen zu erringen gewußt hat. Bei dieser Betrachtung ist es dem in der Einleitung entwickelten Plan gemäß nötig, daß wir fürs Erste von den letzten Resultaten des vorhergehenden Kapitels absehen, d. h. die Kantische Lehre, ohne des nachgewiesenen Fehlers zu gedenken, so hinnehmen, wie sie ist, und nun mit unparteiischem Blick aus ihr sich die Gedankenreihe entwickeln lassen, welche direkt zu FICHTEs, SCHELLINGs und HEGELs Systemen geführt hat. Unsere Kritik wird immer dann erst eingreifen, wenn nach Ablauf eines Gedankenkreises der immanente Widerspruch in seinen Folgen klar zutage getreten ist. - Zunächst also müssen wir uns die Entwicklung des FICHTEschen Standpunktes aus der Kantischen Lehre vergegenwärtigen. Der Gedankengang ist folgender: Daß für mich eine empirische, objektive Welt überhaupt existiert, ist, wie KANT nachgewiesen hat, notwendig bedingt durch meinen Intellekt und die Gesetze desselben; ohne diese würde ich weder von mir noch von der äußeren Welt irgendetwas wissen. Aber nicht bloß daß, sondern auch was ich von ihr weiß, hängt nach KANT von der Art meines Erkenntnisvermögens, den Funktionen meines Intellekts ab, welche a priori, d. h. im Subjekt gegeben sind, und außerhalb derer nichts Empirisches existieren kann. Innerhalb jener subjektiven Erkenntnisformen tritt uns nun die sinnliche Mannigfaltigkeit entgegen, welche, durch die Kategorien zu räumlich-zeitlichen Objekten vereinigt, uns als Welt erscheint und so in der Erfahrung als etwas "Gegebenes, d. h. scheinbar ohne unser Zutun Daseiendes, gegenübersteht. Abgesehen aber davon, daß die notwendigen Grundformen dieser "gegebenen" Welt der Objekte nichts anderes sind, als Funktionen meines eigenen, intelligenten Subjekts, wird mir doch auch das sinnliche, empirische Material der Objekte nur durch meine Empfindung geliefert; es ist also nicht nur das, was a priori, sondern auch das, was a posteriori in den Bereich der Erkenntnis tritt, durch subjektive Geistesvermögen geliefert; und darauf deutet schon KANT selbst hin, indem er eine "gemeinsame Wurzel der beiden Stämme menschlicher Erkenntnis, Sinnlichkeit und Verstand" erwähnt. (1) Jene gemeinsame Wurzel liegt eben offenbar in meinem eigenen Subjekt, welches mir als Rezeptivität sinnliche Empfindungen liefert und als Spontaneität diese sinnlichen Empfindungen zu anschaulichen Gegenständen verknüpft. Ich bin mir freilich im Akt des sinnlichen Empfindens selbst immer eines Zwangs, eines Leidens bewußt, ohne die Ursache desselben zu kennen, so daß die Empfindungen von außen zu kommen, durch ein unabhängig von mir seiendes Etwas meiner Sinnlichkeit überliefert zu werden scheinen; und jenes antizipierte unabhängige Etwas hat KANT "Ding ansich" genannt. Aber es liegt nicht im Sinne KANTs, daß dasselbe wirklich unabhängig ist, sondern nur, daß es so gedacht, vom Subjekt gesetzt wird. Wenn also die Skepsis hierin eine Inkonsequenz des Kritizismus findet, da dieser weder weiß, ob das, was er "Erscheinung" nennt, nicht "ansich" ist, noch auch die Kategorie der Kausalität auf etwas außerhalb der Formen des Intellekts Stehendes anwenden darf, so muß darauf hingewiesen werden, daß bei KANT selbst das Ding ansich nur ein theoretisches Postulat der Vernunft ist. Denn KANT behauptet nicht, daß es etwas vom Subjekt Unabhängiges gibt, sondern daß wir ein Solches als intelligiblen Grund der Erscheinung anzunehmen gezwungen sind. (2) - Wir sehen also, daß alles, was für uns ist, aus dem Subjekt stammt, und etwas anderes, als was für uns ist, kennen wir nicht. Alles Objektive erhält seine Dignität nur dadurch, ist nur deshalb real, weil ihm die Realität vom Subjekt beigelegt wird. Ich aber, das Subjekt, bin mir meiner bewußt als eines innerlich und wesentlich identischen, einen Ichs, und diese Einheit des Selbstbewußtseins ist wiederum Bedingung allen Erkennens und Vorstellens. Auch das hat KANT bereits erwähnt, indem er sagt: "daß alles empirische Bewußtsein eine "notwendige Beziehung hat auf ein transzendentales (aller Erfahrung vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich das Bewußtsein meiner Selbst, als die ursprüngliche Apperzeption", und daß "der synthetische Satz: Alles verschiedene empirische Bewußtsein muß in einem einigen Selbstbewußtsein verbunden sein, schlechthin erster synthetischer Grundsatz unseres Denkens überhaupt sein. (3) Aber er hat das nur beiläufig erwähnt; er hat jenen Satz nicht bestimmt als Grundsatz aufgestellt; (4) er hat weder das empirische Bewußtsein wirklich aus dem transzendentalen abgeleitet, noch die angedeutete gemeinsame Wurzel von Sinnlichkeit und Verstand klar beleuchtet, noch auch die Entstehung der Funktionen unseres Intellekts aus dem transzendentalen Subjekt des Erkennens dargelegt und entwickelt. Trotzdem er aber all dieses nicht selbst unternommen, sondern nur angedeutet hat, so findet sich doch in seiner Lehre der Punkt ganz genau bezeichnet, von dem aus dies geschehen muß. - Wenn wir nämlich in der Betrachtung des eigenen Subjekts noch höher steigen, so finden wir, daß KANT außer dem, bisher nur in Betracht gezogenen, theoretischen Gebrauch der Vernunft, oder der Intelligenz, einen praktischen, oder ein freies Handeln kennt, welches uns unmittelbar im moralischen Pflichtgebot, im kategorischen Imperativ zu Bewußtsein kommt. Dieses freie Handeln führt das Primat über die Intelligenz, (5) es ist das Noumenon, welches der Intelligenz als Phänomenon, (6) der intelligible Charakter, welcher unserem empirischen zugrunde liegt (7); es ist als solches absolut, spontan, frei (8), den Gesetzen und Formen des theoretischen Intellekts (Raum, Zeit und Kategorien) nicht unterworfen, da diese vielmehr, wie überhaupt alle Erkenntnis und alles Bewußtsein durch jenes bedingt werden; kurz, es ist der eigentliche Kern, das transzendentale Wesen und Zentrum des Subjekts, - das absolute Ich. - Aus all diesem geht nun hervor, daß KANT zwar sämtliche Stücke geliefert hat zum System der, aus dem innerlich identischen, ein Subjekt durch dessen freie Tätigkeit sich entwickelnden, Mannigfaltigkeit von Objekten, daß er aber dieses System selbst aus dem gefundenen Material nicht wirklich aufgebaut, daß er (ich weiß nicht aus welchen Gründen) nicht alles gesagt hat, was er wußte; wie denn aus seinen eigenen Aussprüchen hervorgeht, daß er "in seinen Kritiken die Wissenschaft nicht, sondern nur die Propädeutik derselben aufstellen wollte." (9) Da nun das Subjekt, mein frei handelndes und erkennendes ICH, wesentlich Einheit ist, so ist es ein Erfordernis, ein Postulat der Vernunft, dieses System des absoluten Ich auszuführen. Und indem ich an die Aufstellung dieses Systems gehe, trete ich nur die Erbschaft der Kantischen Philosophie an. - Damit hat FICHTE einen festen Standpunkt zu einer neuen, eigentümlichen Spekulation gewonnen. Er ist überzeugt, daß alle die Fäden, die in KANTs Lehre noch nebeneinander laufen, sich in einem absoluten Ich vereinen und verknüpfen lassen müssen; und indem er all das, was (nach seiner Ansicht) KANT teils halb, teils dunkel, teils zusammenhangslos gibt, mit rücksichtsloser Energie des Gedankens hervorzieht und mit kräftigem Griff zusammenfaßt, ist er in dem festen Glauben, nur im Geiste des Meisters zu handeln. - Wenn sich nun auch im Verlauf unserer Betrachtung herausstellen sollte, daß FICHTE trotzdem geirrt hat, weil er KANTs Lehre nicht sorgfältig genug prüfte, bevor er sie fortzubilden unternahm, daß er mit der stürmenden Gewalt seines Denkens die behutsame, sorgfältige Schärfe, welche gerade in der Aufsuchung der Prinzipien nötig ist, überrannt und zermalmt hat, so kann ich doch nicht umhin, hier ausdrücklich zu bekennen, daß ich ihm die aufrichtigste Hochachtung zolle, - zwar nicht wegen der Resultate seines Denkens, aber wegen dessen Tendenz; weil es ihm in der Tat Ernst war mit der Wahrheit, weil aus jedem seiner Worte der Eifer eines Ehrenmannes, der echte, wirkliche Enthusiasmus des nach Gewißheit trachtenden und ringenden Geistes hervorleuchtet.
[Er war ein Mann, nimm ihn alles in allem. - wp] Verfolgen wir nun zunächst, wie sich sein eigener Gedankengang aus dem, oben abgeleiteten, Prinzip entwickelt. Das absolute Ich ist also der Punkt, von dem alles Erkennen ausgeht, aus dem alles Wissen entspringt und mit demm also die Wissenschaft des Wissens oder Wissenschaftslehre beginnen muß. Dieses absolute Ich ist nicht jenes im gewöhnlichen, empirischen Selbstbewußtsein vorkommende, welches jedem Kind mit der Sprache und dem Denken zugleich aufgeht und es dann durch's Leben begleitet, nicht das bloße Subjekt in allen Vorstellungen; es ist vielmehr etwas viel tiefer Liegendes, das primum moves [erste Beweger - wp] unserer ganzen, moralischen und intellektuellen Persönlichkeit, aus dem das empirische Selbstbewußtsein produziert wird, aus dem die Erkenntnisformen, welche wir als Tatsachen vorzufinden meinen, Raum, Zeit und Kategorien, erst als Tathandlungen enstpringen. Das absolute Ich ist freies Handeln, reine Tätigkeit; seine ursprünglichen Tathandlungen erzeugen in theoretischer Hinsicht jene a priori erkannten Formen des Intellekts, in praktischer das moralische Pflichtgebot, den kategorischen Imperativ. Es ist, wie gesagt, der intelligible Charakter, der dem empirischen vorausgeht. Wir freilich werden uns unserer zunächst als einer empirischen, vergänglichen Erscheinung bewußt. Bevor dies aber möglich ist, muß das empirische Selbstbewußtsein, welches zwar freilich in allem Vorstellen gegenwärtig und mit sich identisch ist, doch selbst erst hervorgebracht sein; das absolute Ich, als tieferer Grund meiner eigenen Persönlichkeit, muß es aus sich erzeugen. Daher ist der erste, schlechthin unbedingte Grundsatz der Wissenschaftslehre: "Das Ich setzt das Ich, oder Ich = Ich", d. h. die Identität des Selbstbewußtseins ist eine Tat des absoluten Ich. Diese Identität des Selbstbewußtseins geht allem Erkennen und allen Formen des Erkennens, selbst den logischen Grundgesetzen, als Bedingung voraus. So erhält namentlich auch der Satz der Einerleiheit A = A (unter den scheinbar jener oberste Grundsatz: Ich = Ich zu sublimieren ist) erst seine Berechtigung von jenem. Denn was ist es denn, das auch im ersten logischen Prinzip berechtigt, das Gleichheitszeichen zwischen die beiden A zu setzen? Offenbar nur die Identität des Selbstbewußtseins. Denn wenn mein Ich in diesem Augenblick nicht identisch wäre mit dem Ich im vorangegangenen und nächstfolgenden Zeitpunkt, so würde jene logische Identität gar nicht ausgedacht werden können, der Satz A = A würde, eher er ausgesprochen wäre, gewissermaßen mir auf den Lippen ersterben. Kurz, die logische Identität ist nur eine formale, abstrakte, und erhält als solche ihre Berechtigng erst von der transzendentalen Identität des Ich, welche eine zugleich formale und materiale ist. Das Ich, welches durch und durch Leben, Tätigkeit ist, muß sich fortwährend als ein mit sich Identisches reproduzieren, setzen. Ohne diese Reproduktion und Selbstsetzung wäre es kein Ich; und es ist also dasselbe, ob ich sage das Ich ist" oder "das Ich setzt sich." Aber es ist ferner offenbar, daß das intelligente Subjekt oder erkennende Ich nur insofern zu wirklicher Äußerung seines Wesens kommen kann, als es ein Objekt seines Erkennens hat; denn ein Vorstellen ohne Vorgestelltes, eine Erkennen ohne Erkanntes wäre eine ganz leere, formelle Tätigkeit ohne Anhalt und Inhalt. Wenn ich bloß die Formen des Erkennens hätte, ohne daß mir etwas gegeben wäre, worauf ich sie anwenden könnte, so wäre sogar das Selbstbewußtsein unmöglich; denn dieses besteht wesentlich in der Unterscheidung des Ich, als Subjekt des Erkennens, vom erkannten Objekt. Deshalb setzt sich das absolute Ich ein Verschiedenes, ein Nicht-Ich als Objekt gegenüber, und wir finden so als zweiten, seinem Gehalt nach bedingten Grundsatz: "Das Ich setzt sich schlechthin ein Nicht-Ich entgegen." - Auf diesem Satz beruth ebenso alle logische Entgegensetzung, wie auf dem ersten alle logische Identität. - Wenn es nun aber notwendig ist, daß dem Ich, als intelligentem Subjekt, ein Nicht-Ich, als Objekt der Erkenntnis, gegenüber gestellt werde, so können doch beide nicht toto genere [völlig - wp] verschieden sein. Denn im wirklichen Akt des Erkennens sind sie ja identisch; die Vorstellung ist die Einheit von Subjekt und Objekt. Da nun das Ich überhaupt das einzige Wirkliche ist, und ich außer seiner Sphäre durchaus gar nichts kennen, so ist es klar, daß das, dem erkennenden Subjekt als erkanntes Objekt gegenübergesetzte Nicht-Ich selbst in die Sphäre des absoluten Ichs hineinfallen muß: Das absolute Ich beschränkt innerhalb seiner Sphäre das intelligente Ich, das Subjekt des Selbstbewußtseins, indem es ihm ein Nicht-Ich als Objekt entgegensetzt. So gewinnen wir den dritten, seiner Forma nach bedingten Grundsatz: "Ich setze im Ich dem teilbaren Ih ein teilbares Nicht-Ich entgegen." Auf ihm beruth alle logische Einschränkung oder Limitation. So ist das Fundament des Systems gelegt. Diese drei Grundsätze, die unmittelbar aus dem absoluten Ich hervorgehen, sind die Säulen, auf denen die ganze Welt ruht. Im ersten Satz ist als Thesis das Selbstbewußtsein gegeben, im zweiten als Antithesis die Selbstunterscheidung, beide werden im dritten Satz der Selbstbeschränkung als Synthesis vereinigt. - Alle weitere Spekulation besteht nun bloß darin, daß man aufweist, wie durch jene drei Grundsätze alles bedingt ist, was in das Gebiet des Wissens und der Wissenschaftslehre gehört. - (11) Wenn wir nun aber den bisherigen Gedankengang FICHTEs betrachten, so muß uns Mehreres auffallen, was dem natürlichen Bewußtsein teils unbegreiflich, teils geradezu widersprechend erscheint. Zunächst setzt FICHTE tatsächlich schon bei der Auffindung seines ersten Grundsatzes die Gültigkeit der logischen Gesetze voraus, während doch ein schlechthin erster Grundsatz seinem Begriff gemäß ohne alle Voraussetzung sein muß. Er gesteht dies auch offen ein, verspricht, die logischen Gesetze, welche er schon vorausgesetzt hat, später abzuleiten und erklärt dieses Verfahren für "einen notwendigen Zirkel. (12) - Aber abgesehen von diesem formalen Bedenken, muß uns folgendes materiale aufstoßen. Nach FICHTE setzt das absolute Ich nicht bloß das Ich, sondern auch das Nicht-Ich; oder mit anderen Worten: nicht allein unser Subjekt, sondern auch das Objekt ist eine Tat unseres eigenen intelligiblen Subjekts. Nun wird zwar jeder zugeben müssen, daß alles Existierende, Objektive für uns ganz allein insofern da ist, als es in unser Bewußtsein tritt; schwerlich aber, daß alle ins Bewußtsein tretenden Vorstellungen von Gegenständen durch uns selbst produziert sind. Wenn ich den blauen Himmel sehe, so werde ich freilich bei einiger Überlegung inne, daß dieses Gewölbe und diese blaue Farbe, ohne die bestehende Einrichtung meines sinnlichen Erkenntnisvermögens und ohne Aufnahme in mein Bewußtsein, verschwinden müßten, und daß daher in diesem Sinne mein Subjekt die Begingung jenes Objekts ist; daß aber überhaupt meinem so beschaffenen Intellekt ein Objekt entgegentritt, welches ich als blauen Himmel vorstelle, das werden wir nimmer als unsere Tat anerkennen wollen; vielmehr werden wir überzeugt sein, daß jedes Objekt ohne unser Zutun uns "gegeben wird." Kurz, das "Was" aber nicht das "Daß", das "ho, ti", nicht aber das "hoti" des Objekts werden wir auf unsere Rechnung schreiben. - Hierauf hat nun FICHTE entgegnet: dem gewöhnlichen Bewußtsein erscheint freilich sowohl das logische Gesetz, als das Dasein eines uns gegenüberstehenden Objekts als ohne unser Zutun gegeben. Dies kommt aber allein daher, weil das gewöhnliche Bewußtsein selbst erst mit dem Dasein des Objekts und den logischen Gesetzen durch freie Tätigkeit des absoluten Ich gesetzt wird und, da jene freie Tätigkeit ihm selbst vorausgeht, nun jenes scheinbar von Subjekt Unabhängige vorfindet. Die Tätigkeit des absoluten Ich fällt eben nicht in die Sphäre des empirischen Bewußtseins, sondern bedingt dasselbe; und deshalb weiß dieses nicht, daß mit ihm zugleich die Gesetze der Intelligenz und das Objekt vom absoluten Ich gesetzt werden. Wir sind also an das "absolute Ich" gewiesen und müssen es zur Rede stellen, wie es denn dazu kommt, ohne unser Wissen gleichsam hinter unserem Rücken, Tathandlungen zu begehen, von denen wir keine Ahnung hatten. - Das absolute Ich ist kein ruhendes Sein, sondern reine, unendliche Tätigkeit, Produktion; als solches ist es nicht "im wirklichen Bewußtsein gegeben, sondern für dasselbe unerreichbar." (13) KANT selbst soll, nach FICHTEs Überzeugung, unter anderen Prämissen auch vor allem das absolute Ich "seinem kritischen Verfahren stillschweigend zugrunde gelegt haben." (14) Dafür sind die Lehren vom "intelligiblen Charakter", vom "kategorischen Imperativ" usw. sprechende Zeugnisse. - Nur ein namhafter Unterschied zwischen der Kantischen und Fichtischen Theorie des Erkennens tritt hervor. Während nämlich KANT die Kategorien und Raum und Zeit als Voraussetzung allen Erkennens und Spekulierens nachweist, deduziert FICHTE die Kategorien als Tathandlungen aus dem absoluten Ich und führt Raum und Zeit erst nachträglich ein, weil er "ihrer bedarf, um die idealen Objekt unterbringen zu können", welche nämlich schon vorher von anderswo (aus dem absoluten Ich) gekommen sind (15). Da nun alle jene von KANT aufgewiesenen Funktionen des Intellekts, jene allgemeinen und notwendigen Formen des Vorstellens (Raum, Zeit und Kategorien), welche immer bei jeder geistigen Handlung schon vorausgesetzt sind, von FICHTE erst aus dem absoluten Ich abgeleitet werden, so muß offenbar das absolute Ich, als Produzent derselben, ihnen vorausgehen, d. h. unabhängig von ihnen sein; seine Tathandlungen, durch die jene Funktionen des Intellekts erst hervorgebracht werde, können ihnen nicht untergeordnet sein, dürfen "gar nicht Tatsachen des Bewußtseins werden." (16) So steht also das absolute Ich gleichsam als unsichtbarer Schauspieldirektor hinter den Kulissen des Weltalls und läßt an den unsichtbaren Fäden seiner absoluten Tätigkeit die bunten Marionetten auf dem theatrum mundi [Bühne der Welt - wp] sich vor unseren Augen bewegen. Es selbst aber ist weder räumlich noch zeitlich, noch den Kategorien unterworfen; es ist also ein Etwas, was sich nicht vorstellen läßt, weil es, von allen Formen des Vorstellens emanzipiert, diese erst erzeugt; kurz, es ist ein alter Bekannter, nämlich niemand anders, als das Kantische "Ding ansich". FICHTE ist sich dessen auch sehr wohl bewußt und nennt deshalb sein absolutes Ich auch "Ich ansich", was eben nichts anderes bedeutet, als dasjenige "Ding ansich", dessen Erscheinung Ich bin. Während er daher, von den gerechten Angriffen der Skeptiker auf die Kantische Inkonsequenz angeregt, den Ansprüchen derselben dadurch zu genügen sucht, daß er dem "Ding ansich" auf der Seite des Objekts sein selbständiges Dasein nimmt und es zu einem Produkt des Ichs macht (17), legt er unserem, in Raum, Zeit und Kategorien sich bewegenden, intelligenten Subjekt selbst ein solches Ding ansich als absoluten Grund unter, welches den Intellekt aus sich gebiert, wie ZEUS die PALLAS ATHENE, wendet dan hierauf ebenfalls die Kategorie der Kausalität an und begeht also genau denselben Fehler, den AENESIDEMUS an KANT gerügt hatte, und den er verbessern wollte. Wenn man überhaupt ein von den Gesetzen des Intellekts unabhängiges "Ding ansich" gelten ließ, so lag es allerdings nahe, dasselbe in das eigene Subjekt zu verlegen, oder darin zu suchen. Denn mein eigenes Ich ist dasjenige, von dessen Existenz ich die sicherste Kunde zu haben glaube; da nun die ganze Welt nur "Erscheinung" sein durchgängig von meinem Subjekt abhängen soll, so muß wohl der Kern, das Wesen, das "Ding ansich", in meinem intelligiblen Ich selbst liegen. - Aber man soll eben das bedenken (was wir im vorhergehenden Kapitel dargelegt haben), daß in unserem Vorstellen und Erkennen weder etwas unabhängig Subjektives, noch ein unabhängig Objektives, sondern immer nur Subjekt und Objekt als unzertrennliche Korrelate gegeben sind. - FICHTE hingegen ist von der Kantischen Freiheitslehre vom Primat der praktischen Vernunft, (die in ihrer eigentümlichen Fassung ohne die vorhergehende fehlerhafte Annahme eines "Dings ansich" unmöglich gewesen wären) so ergriffen, daß ihm das "absolute Ich" über allen Zweifel erhaben dasteht. Wer nicht daran glaubt, gilt ihm für flach und kurzsichtig. In dieser Hinsicht bedient er sich bekanntlich des drastischen Ausdrucks, daß "die meisten Menschen eher dahin zu bringen sein würden, sich für ein Stück Lava im Mond, als für ein "Ich" (bzw. absolutes Ich) zu halten." (18) Nehmen wir ihn beim Wort! Man kann sich mit ebensovielem, ja mit viel mehr Recht daran machen, ihm seine Kategorien aus der Lava im Mond, als aus dem "Ich ansich" zu deduzieren. Denn jene Lava wäre doch wenigstens das Objekt einer möglichen Erkenntnis, das "Ich ansich" aber ist ein außerhalb der Formen allen Vorstellens Angenommenes, eine Vorstellung, die nicht vorgestellt werden kann, ein hölzernes Eisen; und was hieraus deduziert werden mag, dessen spekulativer Wert liegt bedeutend unter dem Nullpunkt. - Seiner Hauptidee, dem absoluten Ich, zuliebe, läßt sich FICHTE nebenbei gänzlich über das eigentliche Wesen der kritischen Philosophie verblenden, sucht er das charakteristische Merkmal derselben an einer ganz falschen Stelle. - Das Wesen des Kritizismus besteht nämlich in der Einsicht, daß wir, bevor an irgendeine Spekulation gegangen wird, genau untersuchen und uns Rechenschaft darüber geben müssen, was wir überhaupt zu erkennen vermögen, welches die Formen, Funktionen, Grenzen unseres Intellekts sind; daß wir die Frage an uns richten: "Was kann ich wissen?" (19) Daß KANT bei der Beantwortung dieser Frage unter anderem auch die Apriorität (nicht "den Ursprung aus dem Subjekt") gewisser allgemeiner Vorstellungen findet, die man vor ihm für aus der Erfahrung geschöpft ansah, gibt unter allen Umständen seiner Philosophie nicht den kritischen, sondern den idealistischen Charakter. Weit entfernt davon, das einzusehen, richtet FICHTE jene Frage nicht an sich, sondern spekuliert (ganz unkritisch) ins Blaue hinein, woraus sich nun alle seine Widersprüche, vor allem aber die enorme petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] mit der er beginnt, erklären; und dann behauptet er noch obendrein: "Das Wesen der kritischen Philosophie bestehe darin, daß ein absolutes Ich als schlechthin unbedingt und durch nichts Höheres bestimmbar aufgestellt werde." (20) Weit gefehlt! - Dieser einzige Satz enthält den Keim des ganzen Fichtischen Irrtums. Aus ihm ersehen wir erstens, daß er nicht gewußt hat, weshalb KANT seine Lehre den Kritizismus nannte; dann aber wird ein Begriff an die Spitze der Philosophie gestellt, der allen Wahrheiten des Kritizismus geradezu widerspricht, der von allen Gesetzen und notwendigen Formen des Intellekts emanzipiert gedacht werden soll, und dann doch in demselben Intellekt die Hauptrolle spielt, eine besondere Spezies der Gattung "Ding ansich". Die ganze Wissenschaftslehre aber ist von vornherein ein hypothetisches Unternehmen; sie ist nämlich der versuchte Nachweis, wie das Selbstbewußtsein in allen seinen Bestimmungen aus dem "Ich ansich" zu deduzieren sein würde, wenn uns ein solches "Ich ansich" überhaupt bekannt wäre. Ein solches ist uns aber nicht nur nicht bekannt, sondern es ist ein sich widersprechende, also nichtige Vorstellung. Demnach fällt alles, was auf diese Annahme gegründet war, d. h. die Wissenschaftslehre, hinweg. Schon früh hat FICHTE sein Mißverständnis schwer gebüßt, indem KANT in jener, schon oben erwähnten, unmittelbar provozierten Erklärung ihm geradezu sagt: "daß er seine Wissenschaftslehre für ein gänzlich unhaltbares System halte." Wir sind also vollkommen zur Anwendung unseres (in der Einleitung aufgestellten) kritischen Verfahrens berechtigt. Das Resultat unserer Untersuchung lautet:
Er hat die Lehre vom "Ding ansich" gekannt und aus den skeptischen Angriffen gegen dieselbe gewußt, daß sie eine Inkonsequenz war. Er hat aber durch die Aufstellung eines "Ichs ansich" denselben Fehler begangen, also die Kantische Philosophie in diesem Punkt nicht korrigiert. Also muß auf KANT zurückgegangen werden. FICHTE hatte den ganzen Kosmos, sowohl den Mikrokosmos des Geistes, als auch den Makrokosmos der Natur, für ein Produkt oder eine Tat des uns innewohnenden intelligiblen Subjekts oder absoluten Ichs erklärt. Dadurch war der Natur, welche in ihren zahllosen Erscheinungen und ewigen Kräften unserem Intellekt als ein so überaus erhabener und mächtiger Gegenstand gegenübertritt, jene Selbständigkeit entzogen worden, welche jedes unbefangende Gemüt in ihr sucht und findet; sie war zu etwas Sekundärem, zu einem Erzeugnis desselben Subjekts herabgesetzt, das sie doch mit staunender Ehrfurcht betrachten muß; ihre Gestalten waren zu selbstlosen Marionetten in der Hand des einzig-realen absoluten Ich geworden. Durch dieses Mißverhältnis wurde SCHELLING stutzig gemacht, vom ursprünglichen Fichtischen Standpunkt abgelenkt; mit einer lebhaften, poetischen Auffassungsgabe für das Leben und Weben der großen Natur ausgestattet, suchte er dasjenige Verhältnis des einzelnen Subjekts zur Welt, welches dem gesunden, natürlichen Gefühl als das richtige erscheint, in philosophischer Spekulation aus einem höheren Gesichtspunkt wieder herzustellen. Da man aber, solange die Kantische Inkonsequenz nicht aufgedeckt und entfernt, das Fichtische Mißverständnis nicht durchschaut war, die Schranken des absoluten Ichs nicht durchbrechen konnte, so versuchte er es auf folgendemm Weg. FICHTEs Lehre lät sich in den Satz zusammenfassen: "Ich = Alles". Durch Konversion gewinnt SCHELLING hieraus das Urteil: "Alles = Ich. (21) - Ohne uns weiter darauf einzulassen, ob eine solche Umkehrung gestattet ist, sehen wir zu, was sich SCHELLING beim letzteren Satz denkt, und was er aus ihm gewinnt. Das absolute Ich, welches nach FICHTE Alles produziert oder dessen Erscheinung Alles ist, muß als Wesen und Grund sowohl des im empirischen Bewußtsein gegebenen Subjekts, als des Objekts angesehen werden; das Objekt oder die Natur ist also ihrem inneren Sein nach mit dem Subjekt ein und dasselbe, nämlich Ich, absolutes Ich; in ihm sind Ideales und Reales, Natur und Geist identisch. Es gibt daher weder irgendetwas rein Ideales, Subjektives, noch etwas bloß Reales, Objektives; vielmehr erscheint es nur im empirischen Bewußtsein als different, während beides im Absolutum indifferent ist. Denken und Sein sind identisch. So bilden Natur und Geist, welche dem gemeinens Verstand für Antipoden gelten, nicht, wie SPINOZA will, zwei parallel laufende Reihen, sondern eine einzige; und in diesem Sinne gilt also das: ordo et connexio idearum idem est ac ordo et connexio rerum [Die Ordnung und Verknüpfung der Ideen ist die gleiche wie die Reihenfolge und Verknüpfung der Dinge. -wp]. (22) Wir können uns dessen schon im gewöhnlichen Selbstbewußtsein bei einiger Vertiefung anschaulich bewußt werden. In den niederen, dunklen, halb bewußtlosen Empfindungen, welche, außer dem Fokus unserer Aufmerksamkeit liegend, vom klaren Licht des Denkens wenig oder gar nicht beleuchtet sind, fühlen wir uns verwachsen und Eins mit der scheinbar selbstlosen Naur, während wir auf der anderen Seite uns als rein geistiges, intelligentes Subjekt wissen; dennoch sind wir ein einiges, identisches Ich. Jener subjektive und objektive Pol des eigenen Ich, jene Duplizität ist aufgehoben, zerschmolzen in der Einheit des Selbstbewußtseins. Wie nun hier innerhalb der beschränkten Sphäre unseres endlichen Bewußtseins das Bewußtlose und Bewußte im identischen Ich Eines, indifferent sind, so (ins Unendliche erweitert) muß man sich die Indifferenz von Realem und Idealem, die Identität von Denken und Sein, die Einheit von Subjekt und Objekt im ewigen Welt-Ich oder dem Absolutum vorstellen. An jenem Beispiel im Kleinen können wir es uns begreiflich machen, wie das Absolute, welches durch und durch Tätigkeit ist, als identisches Ich sich auf einer Reihe von Stufen entwickelt vom starren, leblosen und bewußtlosen Mineral, dem scheinbar nur Objektiven, bis in den subjektiven Kulminationspunkt, den erkennenden, denkenden Menschengeist. - Nun kann man aber diese Selbstschaffung und Entwicklung des Absoluten von zwei verschiedenen Standpunkten aus betrachten: "Entweder nämlich wird das Objektive zum Ersten gemacht und gefragt: Wie ein Subjektives zu ihm hinzukommt, das mit ihm übereinstimmt," oder "das Subjektive wird zum Ersten gemacht und die Aufgabe ist die: Wie ein Objektives hinzukommt, das mit ihm übereinstimmt." (23) Die Lösung des ersten Problems ist die Naturphilosophie", die des zweiten "die Transzendentalphilosophie". Die erstere ist nun freilich gerade das, worin SCHELLING wirklich originall erscheint und wodurch er besonders seinem Zeitalter imponiert hat. Dennoch gestehen wir offen, daß, selbst wenn wir uns auf den SCHELLINGschen Standpunkt stellen, die Transzendentalphilosophie von viel größerer Bedeutung sein muß; denn in ihr sollen ja erst die Bedingungen entwickelt werden, unter denen für unser intelligentes Subjekt überhaupt eine Natur da sein, also eine Naturphilosophie konstruiert werden kann. Wir müssen daher die wesentlichen Sätze des transzendentalen Idealismus betrachten. Im Allgemeinen ist hier nur dasselbe zu leisten versucht, was FICHTE in der Wissenschaftslehre getan hat, nämlich aus dem Begriff eines absoluten Ich alle Formen und Vermögen des Geistes, Empfindung, Anschauung, Reflexion usw. zu deduzieren. All das ist nur Erzeugnis der Tätigkeit des absoluten Ich; es gilt nur "diese Tätigkeit, oder das, was in allem anderen Denken, Wissen oder Handeln das Bewußtsein flieht und absolut nicht objektiv ist, zu Bewußtsein zu bringen, objektiv zu machen," wozu nach SCHELLING eine besondere "transzendentale Kunst gehört;" (24) eine Kunst, die (wenn man das "transzendentale" Flittergold abstreift) schon der, nebst vielen anderen bedeutenden Männern, von SCHELLING "verachtete" LOCKE kennt. (25) Er nämlich sagt: "The understanding, like the eye, whilst it makes us see, and perceidve all other things, takes no notice of itself; and it requires arts and pains to set it at a distance, and make it its own object. [Das Verständnis wie das Auge nimmt, während es uns sehen und alle andere Dinge wahrnehmen macht, nimmt von sich selbst keine Notiz und es erfordert Kunst und Mühe, es aus der Distanz zu betrachten und es zum eigenen Objekt zu machen. - wp]. (26) Freilich ist das Selbstbewußtsein "der lichte Punkt im ganzen System des Wissens, der nur vorwärts, nicht rückwärts leuchtet" (27); aber da SCHELLING nicht, wie der verachtete Empirist LOCKE auf dem Niveau gemeiner Wirklichkeit steht, sondern mit transzendentaler Kunst aus dem Reich des Seins in das des ewigen Werdens sich geschwungen hat, aus der mechanischen Schale, welche dem bornierten Verstandespöbel als Grenze des Erkennbaren gilt, in das dynamische Herz der Welt (Ding ansich) gedrungen ist, so kann er wohl auch die Regionen untersuchen, wohin das Selbstbewußtsein nicht leuchtet. Jenseits des Selbstbewußtseins ist nun das Ich bloße Objektivität, - das Einzige ansich, was es gibt (28), und "das Ding ansich" ist nichts anderes als der Schatten der ideellen, über die Grenze hinausgegangenen Tätigkeit, der dem Ich durch die Anschauung zurückgeworfen wird, und insofern selbst ein Produkt des Ichs." (29) Da nun aber die Philosophie nicht (wie KANTs beschränkte Ansicht war) "die Intelligenz schon als fertig voraussetzt, sondern sie im Werden betrachtet, sie vor ihren Augen entstehen läßt" (30), so muß es offenbar ein gaz besonderes Geistesorgan für die Erkenntnis jenes der Intelligenz vorausgehenden Ansichs geben, in dessen Besitz nur bevorzugte Geister, wie SCHELLING, sind. Denn wenn ein gewöhnlicher Verstandesmensch "ohne Voraussetzung der Intelligenz" irgendetwas erkennen wollte, so würde man ihn für irrsinnig halten; und wenn er mittels seiner Geisteskräfte versuchen wollte, das zu erfassen, was diese seine Geisteskräfte erst produziert, so würde er demjenigen gleichen, der da versuchte, über seinen eigenen Schatten zu springen, und sehr bald gewahr werden, daß etwas derartiges für Leute seines Schlags unmöglich ist; oder er wäre auch demjenigen zu vergleichen, der, in frühester Kindheit auf einer einsamen Insel ausgesetzt, ohne Anblick irgendwelcher lebendiger Wesen, auf den Gedanken käme, das Geheimnis seiner leiblichen Entstehung durch Nachgrübeln zu finden. - SCHELLING also ist im Besitz dieses Organs, demnach muß er es kennen. Und er hat es nicht bloß gekannt, sondern auch benannt! - Anfangs freilich wußte er selbst nicht (oder wollte aus Bescheidenheit nicht wissen), wie sehr er vor den übrigen Menschen bevorzugt war, und gestand daher, daß man "nur durch Schlüsse" (also auf gewöhnlichem Weg) in jenes Gebiet gelangen kann. (31) Nachdem er aber zu dem Bewußtsein gekommen ist, welches exquisite Kleinod in seinem Acker vergraben liegt, oder eingsehen hat, daß seine Bescheidenheit übel angebracht war beim besagten Verstandespöbel, mahnt er: "den Zugang zur Philosophie scharf abzuschneiden und nach allen Seiten hin vom gemeinen Wissen zu isolieren, daß kein Fußsteig zu ihr führt. (32) - Dieses außerordentliche Geistesorgan, dieses übersinnliche Auge der Transzendentalphilosophie ist: - die intellektuelle Anschauung. Diese also stempelt SCHELLING zum bevorzugten Geist, zum Clairvoyant [Hellseher - wp]. Eine genaue Beschreibung derselben findet man in der Schrift "Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie", welche 1802 in der Neuen Zeitschrift für spekulative Physik zuerst erschienen ist. (Sämtl. Werke, Abt. I, Bd. 4, Seite 333). Dort heißt es unter anderen (§ 2.): "Die intellektuelle Anschauung sei das Vermögen überhaupt, das Allgemeine im Besonderen, das Unendliche im Endlichen, beide zur lebendigen Einheit vereinigt zu sehen." An einer anderen Stelle wird sie "ein Wissen, das zugleich Produzieren seines Objekts sei," genannt. "Von ihr muß beständig das transzendentale Philosophieren begleitet sein: alles angebliche Mißverstehen jenes Philosophierens hat seinen Grund nicht in seiner eigenen Unverständlichkeit, sondern im Mangel des Organs, mit dem es aufgefaßt werden muß." (33) Wir werden belehrt, daß gar nicht einzusehen ist, warum unter dieser (intellektuellen) Anschauung etwas Mysteriöses - ein besonderer nur von einigen vorgebener Sinn verstanden wurde;" und daß dies allein daher kommt, "weil manche desselben wirklich entbehren, welches aber ohne Zweifel ebensowenig befremdend sei, als daß sie noch manches anderen Sinns entbehren, dessen Realität ebensowenig in Zweifel gezogen werden kann." (34) - "Wer - möchte man mit KANT ausrufen - sieht hier nicht den Mystagogen, der nicht bloß für sich schwärmt, sondern zugleich Klubist [Vereinsmeier - wp] ist, und indem er zu seinen Adepten, im Gegensatz zum Volk (worunter alle Uneingeweihten verstanden werden) spricht, mit seiner vorgeblichen Philosophie vornehm tut;" (35) - - - Aufgrund dieser intellektuellen Anschauung fühlt sich nun SCHELLING zu dem Ausspruch gemüßigt: daß dem Kritizismus KANTs "wenig (oder gar keine) Ansprüche bleiben können Philosophie, oder auch nur Grundlage von Philosophie zu sein"! (36) Ja noch besser! Nach seiner Ansicht "hat die Kantische Lehre eine tiefe und gründliche Gemeinheit der Vorstellungen eingeführt!" (37) - Wir haben ihn ganz ausreden lassen. Nun aber können wir nicht umhin, die Sache genauer zu erörtern, damit man die ganze Tiefe, ja - Bodenlosigkeit jenes extraordinären Geistesorgans durchschaue, durch dessen Besitz sich SCHELLING berechtigt glaubt, einen Denken wie KANT, der doch zu den größten Geistern der Welt gehört, in der eben angeführten Weise zu schmähen. Zunächst ist die "intellektuelle Anschauung" nicht von ihm zuerst entdeckt worden, sondern aus KANTs schmutziger Wäsche hervorgesucht. KANT erwähnt sie nämlich unter anderem in der "Kritik der praktischen Vernunft" Seite 56, 178, 247 und "Prolegomena" Seite 107 und 172. Er nennt sie dort bald eine "nichtsinnliche Anschauung", bald einen "anschauenden Verstand", - Begriffe, die, wie man sieht, zu jenen contradictionibus in adjecto [Widersprüche insich - wp] gehören, welche KANT hier und da gleichsam zum warnenden Beispiel aufstellt. Ziemlich ausführlich läßt er sich über diesen Gegenstand in der eben genannten Schrift: "Über einen vornehmen Ton usw." aus. Dort sagt er z. B. "Der diskursive Verstand muß mittels der Begriffe viel Arbeit verwenden und viele Stufen mühsam besteigen, um in der Erkenntnis Fortschritte zu machn, statt dessen eine intellektuelle Anschauung den Gegenstand unmittelbar, und auf einmal fassen und darstellen würde. - Wer sich also im Besitz der letzteren zu sein dünkt, wird auf den ersteren mit Verachtung herabsehen; und umgekehrt ist die Gemächlichkeit eines solchen Vernunftgebrauchs eine starke Verleitung, ein dergleichen Anschauungsvermögen dreist anzunehmen, desgleichen eine darauf gegründete Philosophie bestens zu empfehlen." - Diese Worte sind geschrieben, ehe SCHELLING an intellektuelle Anschauung gedacht hat, wenigstens ehe er sich unterstand, die oben angeführten Blasphemien gegen KANT auszusprechen. - FICHTE hat die intellektuelle Anschauung auch zu besitzen geglaubt; dagegen wissen sehr viele bedeutende Denker von ihr gar nichts. So erklärt z. B. SCHOPENHAUER "daß es ihm gänzlich an ihr mangle", und "daß daher, es sei seltsam zu erzählen, bei jenen Lehren tiefer Weisheit (den SCHELLINGschen Konstruktionen durch intellektuelle Anschauung) ihm immer zu Mute ist, als höre er nichts als entsetzliche und obendrein noch höchst langweilige Windbeuteleien." (38) - Eine intellektuelle Anschauung, als besonderes Geistesorgan für die Erkenntnis des "Dings ansich" ausposaunt, ist mindestens eine leere Fiktion. Hierin stimmen wir mit SCHOPENHAUER überein, wenn auch aus ganz anderen Gründen als er. Welche Kombination, welches Zusammenwirken von geistigen Tätigkeiten und Vermögen aber SCHELLING in der Tat unter jenem Namen begriffen hat, das wissen wir sehr gut, und es sei hier kurz mitgeteilt. Es hat damit folgende, ganz natürliche Bewandtnis. Nachdem man den Grund allen Denkens und Seins in der übersinnlichen Tätigkeit eines Weltichs oder Absolutums gefunden zu haben meinte, welches - selbst außer den Formen des Intellekts (Raum, Zeit und Kategorien) liegend - diese vielmehr erst produzieren mußte, handelte es sich darum, ein subjektives Korrelat dieses Absolutums, (welcher Begriff freilich undenkbar, aber Konsequenz aus jener Inkonsequenz ist), d. h. ein bestimmtes Vermögen, womit man das Wesen und Treiben des Absoluten auffassen könnte, nachzu weisen. Nun fand sie aber natürlicher Weise, daß man jenen außerräumlichen und außerzeitlichen Unbegriff wenigstens nicht unmittelbar vorstellen oder erkennen kann, weil ja eben Vorstellen und Erkennen nur innerhalb von Raum und Zeit vor sich gehen kann. Man schuf sich daher, willkürlich oder unwillkürlich, ein mittelbares, räumlich-zeitliches Schema, des vorgeblichen Weltichs in der Einbildungskraft, ein vages, unbestimmtes Phantasma, ohne bestimmte Dauer und Grenze. Für die absoluten Tätigkeiten usw. dieses Weltichs bildete man sich dann die entsprechenden Schemata, etwa in der Form von gehemmten und sich äußernden Bewegungen und Kräften etc. und fragte dann: Wie muß ich nun diese Schemata sich gerieren lassen, um ein Bild von diesem (irrationalen) Prozeß zu bekommen, durch den das Absolutum den Intellekt mit allen seinen Fähigkeiten und Funktionen, und die Natur mit allen ihren Gesetzen und Kräften aus sich erzeuge? Indem man nun auf verständige Weise diese Frage beantwortete, und sich nach den Gesetzen der Kausalität usw. ein dunkles, räumlich-zeitliches Phantasma jenes Prozesses bildete, bis das Schema einer Deduktion des empirisch Gegebenen aus dem vorausgesetzten Intelligiblen fertig war, schob man heimlich das Bild für die Sache unter und suchte anderen (und wohl auch sich selbst) einzureden, man habe das Absolutum geschaut. So war unter der Hand ein X für ein U gemacht. Jenes Schema war das Absolutum, und dieses planvolle Zusammenwirken von Verstand und Phantasie war - die intellektuelle Anschauung. Das ist des Pudels Kern! Wer sich daher durch Vorschützen einer intellektuellen Anschauung zu der Überzeugung vom Dasein oder der unmittelbaren Erkennbarkeit eines Absolutums bereden läßt, der ist ungefähr ebenso dupiert wie jemand, der das in dunkler Stube mittels eines Hohlspiegels auf Dämpfe oder Milglas geworfene Bild eines lebendigen Menschen für eine überirdische Geistererscheinung hält. So wenig dies ein Gespenst, so wenig ist jenes ein Absolutum; so wenig hier Zauberei, ebensowenig dort eine intellektuelle Anschauung. Es geht beides ganz mit natürlichen Dingen zu. Demnach zeigt sich das vornehme Gebaren der SCHELLINGschen Philosophie als "Sand in die Augen"; ihr bevorzugtes subjektives Organ zuerfällt in die allbekannten, natürlichen Geistesgaben, die jeder gesunde Mensch in höherem oder niederem Grad hat, sie selbst aber in - Nichts; denn ihr vorgeblicher Gegenstand ist durchweg ein "Ding ansich". Man kann daher von SCHELLING in Beziehung auf KANT dasselbe sagen, was EPIKTET von einem unverständigen Anhänger des Stoikers CHRYSIPPOS sagte: "Nisi obscure scripsisset ille, nihil haberet hic, quo gloriaretur." [Wäre es nicht dunkel geschrieben, würde es sich nicht rühmen. - wp] Was aber die oben zitierten Verunglimpfungen anlangt, die SCHELLING seinem Herrn und Brotgeber angedeihen läßt, so bleibt es dem Temperament, oder wenigstens der Laune des Lesers überlassen, ob er sie von der ernsten oder von der komischen Seite auffassen, d. h. ob er sie für empörend oder für lächerlich erklären will. - Nach allem Gesagten endlich können wir uns eine eingehende Kritik in bewußtem Sinne diesmal ersparen. Wir schließen einfach:
Daher war es dann auch gekommen, daß SCHELLING, nicht etwa bloß unbewußt, sondern eingeständlich in den vorkantischen Dogmatismus zurückgesunken war, denn er hatte ganz offen und naiv erklärt, "das der LEIBNIZsche Idealismus, gehörig verstanden, vom transzendentalen (d. h. Schellingschen) in der Tat nicht verschieden sei." (41) - Das war also die Fruch der intellektuellen Anschauung, jenes Pseudophilosophierens ohne alle strikte Begründung. - Jenen Mangel fühlte nun HEGEL. Während er daher mit dem allgemeinen Resultat der FICHTE-SCHELLINGschen Spekulation, nämlich der Idee des Kosmos als intelligibler Entwicklung und Selbstproduktion eines absoluten Weltichs, übereinstimmte, suchte er den festen Weg auf zu der abstrakten Gewißheit jener Weltansich. Nicht, wie sein Vorgänger, wollte er "ohne tiefere Arbeit gleich an den Genuß der Idee gehen; " (42) denn so hatte jenes Philosophieren, das "sich zu gut für den Begriff und durch dessen Mangel für ein anschauendes und poetisches Denken hielt, willkürliche Kombinationen einer durch den Gedanken nur desorganisierten Einbildungskraft zu Markte gebracht, - Gedbilde, die weder Fisch noch Fleisch, weder Poesie noch Philosophie waren." (43) Während also SCHELLING auf dem steuerlosen Schiff seiner intellektuellen Anschauung den Ozean des Kosmos als Abenteurer durchirrt hatte und so endlich an den dunklen Küsten des Mystizismus gestrandet war, suchte HEGEL den Ariadnefaden, an dem er sicher durch das Weltlabyrinth den Weg fände. Und diesen fand er in "dialektischen Methode". Die "dialektishe Methode" war keine neue Erfindung HEGELs. Ganz abgesehen von den sehr deutlichen Antezedentien im Altertum, hatte FICHTE sie aufgestellt und angewendet in der "Wissenschaftslehre" (44), SCHELLING hatte sie ausdrücklich anerkannt im "transzendentalen Idealismus", ohne sie zum Organon seiner Naturphilosophie zu machen. (45) HEGEL aber macht Ernst mit ihr und teilt ihr die Hauptrolle zu. Um nun die tiefe, wesentliche Bedeutung zu begreifen, welche jenes trichotomische Fortschreiten des Gedankens in der HEGELschen Philosophie haben muß, um einzusehen, daß hierin weder (wie seine blinden Gegner glauben), ein ganz willkürliches, äußerliches Schema, noch (wie seie blinden Anhänger behaupten) das ewige Denkgesetz des absoluten Weltgeistes zu finden sei, dazu bedarf es eines Einblicks in die allgemeine Idee, welche in diesem vielgerühmten und vielgeschmähten System dargestellt wird, ihren Ausdruck findet. Wir schicken daher folgendes voraus. Der großartige, ganz originelle und charakteristische Gedanke der HEGELschen Philosophie (dessen Kehrseite freilich zugleich ihr Grundfehler ist) ist der ernsthafte Versuch, den Kosmos als Makrokosmos und Mikrokosmos, also Alles, in bloßes Denken aufzulösen, allein im abstrakten Intellekt zu erfassen. Sie erscheint hierin nur als die äußerste Spitze jener Gedankenrichtung, die im Kartesianischen cogito ergo sum ihren Ursprung hat, die von der abstrakten Selbstgewißheit ausgeht, deren ganze Tendenz es ist, alle Autorität zu entfernen, das Denken zu emanzipieren, nur von seinen immanenten Gesetzen abhängen zu lassen. Es wäre interessant, näher zu verfolgen, wie jene Tendenz sich graduell erweitert, wie ein Vorurteil nach dem andern gestürzt, eine Autorität nach der andern angezweifelt und entfernt wird. Ihr natürliches Maximum hatte diese Gedankenrichtung bereits in KANT erreicht. Denn er hatte durch die Aufweisung der Erkenntnisse a priori die immanenten Bedingungen, also Schranken des menschlichen Geistes entdeckt und beiläufig dadurch, daß er die Empfindungseindrücke (ganz richtig) als "gegeben" ansah, die äußeren Grenzen des Intellekts anerkannt. Die nachkantischen Idealisten suchten nun aber diese letzten, notwendigen Autoritäten zu entfernen. FICHTE und SCHELLING hatten alle Formen und Funktionen des Intellekts für etwas Sekundäres, für Produkte der absoluten Tätigkeiten des "Ichs ansich" erklärt. Bei HEGEL bleibt nun ganz allein das Denken als Wirkliches übrig. Empfindung, Anschauung, Reflexion gelten nun für nichts mehr als für überwundene Standpunkte des sich entwickelnden Denkens, - abgelegte Gestalten, die nur Bedeutung haben als Momente im dialektischen Fortschritt des Geistes, ein "ewig Gestriges" für den Standpunkt der absoluten Vernunft. Das reine, absolute Denken ist das wahre Wesen des Alls, der anschauliche Faktor der Erkenntnis ist keine Autorität mehr und "das Unsagbare, Gefühl, Empfindung, ist nicht das Vortrefflichste, Wahrste, sondern das Unbedeutendste, Unwahrste;" (46) das "sinnliche Dieses" und "das Unaussprechliche", welches "für die Sprache "unerreichbar" ist, ist "unwahr." (47) Damit hat HEGEL den äußersten Schritt auf dem Pfad des Idealismus getan. es ist nur Denken, Allgemeines; das Einzelne, Individuelle in Gefühl und Empfindung hat nur Bedeutung als überwundenes Moment des Allgemeinen, des absoluten Denkens. - Indem also HEGEL es ignoriert, daß dieser abstrakte Intellekt vielmehr selbst etwas Sekundäres und Beschränktes ist, aus einer Frage entspringt und wiederum mit einer Frage aufhört, daß das Unaussprechlich, Individuelle, das sinnliche Dieses anstatt "unwahr" zu sein, vielmehr die Basis aller Wahrheit und allen Erkennens ist, welches da noch unmittelbare Gewißheit gibt, wo die Sprache und das Denken in ihrer Allgemeinheit nicht mehr imstande sind, sich zu schmiegen, endlich, daß der abstrakte Intellekt alle Bedeutung, seine ganze Dignität verliert, wenn er sich nicht nachweisbar fortwährend auf jenes "Unaussprechliche" bezieht, - indem er, sage ich, all das ignoriert (absichtlich ignoriert), besteht seine ganze Philosophie in der Durchführung der Idee: Alles und Jedes als Moment in der Entwicklung des Denkens nachzuweisen. Es ist aber natürlich, daß bei diesem Unternehmen der abstrakte Intellekt fortwährend an seine, ihm gesetzten Schranken stößt, an das subjektive Gefühl, die objektive Empfindung oder sinnliche Qualität und die reinen Erkenntnisformen a priori, Raum, Zeit und Kategorien. Indem er nun diese Schranken zu erfassen, zu besiegen, zu begreifen strebt, ist jene Entwicklung durchweg ein perennierender (und nach HEGELs Ansicht "siegreicher") Kampf des abstrakten Intellekts mit den unsagbaren, nichtdenkbaren Faktoren des Kosmos. Und dieser Kampf ist eben die Dialektik. Nur wenn man diese allgemeine Grundidee der HEGELschen Philosophie kennt, vermag man dieses System zu verstehen; kennt oder versteht man sie nicht, so erscheint es als absurd. Wenn zum Beispiel GOETHE von HEGEL sagt:
Im Widerspruch fand er's; Nun glaubt er alles besser zu wissen, Und weiß es nur anders." (48)
Der Intellekt, der sie erfassen muß, tritt in Gegensatz zu ihr (negiert sie) und erhebt gegen das Unsagbare "Gedankenlose" in ihr Widerspruch. (Antithesis) Der Intellekt erfaßt die "gegebene" Vorstellung als Moment eines höheren Begriffs, in dessen Sphäre die Ansprüche des abstrakten Denken und der gegebenen Vorstellung ausgeglichen werden. Nun ist die Vorstellung gedacht, ist Moment des Denkens geworden, und der Widerspruch ist gehoben. (Synthesis). Als allgemeinster und erster Begriff ist dem abstrakten Intellekt der des Seins gegeben. Das Mindeste, was ich von irgendeinem Objekt sagen kann, aber auch das Erste, was von ihm gesagt werden muß, ist: das es ist. Nun versteht die gewöhnliche Vorstellung unter dem *Sein die starre unabhängige Position. Da aber alles Sein seine Bedeutung nur gewinnt, indem es gedacht wird, da überhaupt "Sein" und "im abstrakten Intellekt sein", d. h. "Gedanke sein" dasselbe ist, und da dieser Intellekt das gerade Gegenteil jener starren Position, nämlich seinem Wesen nach lebendige Tätigkeit ist, so erklärt er dieses Sein für Nichts und hebt es auf im Begriff des Werdens. (49) Und wie sich hier im Kleinen die Anfangsbegriffe gestalten, so gruppiert sich im Großen dieses ganze System. Iin der Logik ist der Geist ansich, als subjektiver Intellekt betrachtet; in der Naturphilosophie wird er sich äußerliches Objekt, tritt er zu sich selbst in Gegensatz, ist er selbst in seinem Anderssein; indem er sich selbst in der Natur erfaßt, hat er die Schranken seiner Endlichkeit überwältigt, ist freie Intelligenz, absoluter Geist geworden. So ist der Zyklus geschlossen, der Kosmos ganz im abstrakten Intellekt erfaßt, Alles ist in Denken aufgelöst, und dem lebendigen Inhalt der sinnlichen Empfindungen, welcher, in tausend ursprünglichen Qualitäten und Kräften erscheinend, Stoff und Anlaß zu allen Vorstellungen gibt, -
Bei HEGEL sind nun von vornherein alle jene anschaulichen, unmittelbaren Bedingungen jedes Vorstellens und Erkennens, Empfindung, Raum, Zeit etc. vernachlässigt. er sagt z. B.: "Die Knospe verschwindet im Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird, ebenso wird durch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle "von dieser." (50) Hier offenbart sich jener Grundirrtum klar. Nur bei gänzlicher Mißachtung des räumlichen Nebeneinander und zeitlichen Nacheinander, als Grundformen allen Vorstellens und Seins, ist es möglich, diese Veränderung und Entwicklung für ein "Widerlegtwerden" der vorangehenden Stufe durch die folgende zu halten. "Widerlegt" würde die Blüte nur dann durch die Frucht, wenn die Blüte versprochen hätte, Blüte zu bleibe. Aber das ist durchaus nicht der Fall. Die Natur spricht für einen von Raum und Zeit abhängigen Intellekt immer nur die Wahrheit des Augenblicks, der momentanen Gegenwart aus und kann einem solchen gegenüber über die Zukunft auch nicht eines einzigen ihrer Produkte sichere Auskunft geben oder garantieren. Geschieht in der Natur etwas Anderes, als der abstrakte Intellekt erwartet hatte, so hat die Natur nicht sich, sondern ihn widerlegt. Überhaupt aber ist jede Entwicklung die, am Faden der Zeit sich fortpflanzenden, ununterbrochene Verknüpfung einander bedingender Zustände; sie kann nur in der Zeit stattfinden und würde ohne sie verschwinden. Dies gilt natürlich auch von der bedeutendsten aller Entwicklungen nämlich der des Geistes. Anstatt aber dies einzusehen will HEGEL in der Dialektik jene formalen Grundbedingungen allen Vorstellens und Denkens, Raum und Zeit, erst als Resultat einer langen, vorhergehenden Gedankenreihe erscheinen lasse, während sie doch allen Gedanken vorausgehen. Ja sie erscheinen nicht einmal in der Logik, sondern erst in der Naturphilosophie. - Wie, frage ich, kann man von "Sein", von "Qualität und Quantität", von "Innerem und Äußerem" sprechen, ehe Raum und Zeit da sind, ohne daß sie vorausgesetzt sind? - Diese Begriffe sind ebenso gztm wie "rechts und links" sinnlos ohne vorausgehende räumlich-zeitliche Anschauung. Wer diese letztere, anstatt sie vorauszusetzen, als Resultat einer Gedankenreihe darstellen will, begeht, gerlinde gesagt, ein unmögliches hysteron proteron [das Spätere vor dem Früheren - wp]. Hierin liegt nun eigentlich schon das Urteil über die HEGELsche Philosophie; denn so kann sich nur jemand täuschen, dem Raum und Zeit als für das Denken gleichgültig und unwesentlich gelten, dessen Denken außer ihnen liegt, also im Gebiet des "Dings ansich". - Aber, kann man einwenden, HEGEL hat doch ausdrücklich das Kantische Ding ansich für ein "caput mortuum" [wertloses Überbleibsel - wp], für "das Negative der Vorstellung, des Gefühls, des "bestimmten Denkens" erklärt. (51) Ganz richtig! Aber erstens gilt ihm dieser Unbegriff immer noch als ein "überwundener Standpunkt", der auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Philosophie notwendig war, während er in der Tat nach den eigenen Prinzipien KANTs eine unmögliche Hilfshypothese zur Erklärung einer falschen Behauptung, eine unvorstellbare Vorstellung ist; dann aber ist HEGEL selbst wiederum in denselben Fehler gefallen. Lassen wir ihn mit seinen eigenen Worten reden. Im Anfang der Phänomenologie, welche bestimmt ist, uns auf den Standpunkt des absoluten Denkens zu erheben, sagt er: "Indem sich das Bewußtsein zu seiner wahren Existenz forttreibt, wird es einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein anderes ist, behaftet zu sein, oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird, seine Darstellung hiermit mit eben diesem Punkt der eigentlichen Wissenschaft zusammenfällt, und endlich, indem es selbst dieses Wesen erfaßt, wird es die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen." (52) Am Ende der Phänomenologie wird dann auch der versprochene Punkt, wo das Bewußtsein "das Fremdartige, womit es behaftet ist", ablegt und sein eigenes Wesen erfassend in absolutes Wissen übergeht, deutlich genug bezeichnet. Dort heißt es nämlich: "Der Geist erscheine so lange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, d. h. die Zeit tilgt." (53) Damit ist also klar und deutlich gesagt, daß das Wesen des Geistes außerhalb der Zeit ist. Somit haben wir gefunden, was wir suchen, nämlich das Verhältnis des Hegelschen Systems zum Kantischen "Ding ansich". - Das Unternehmen, den Kosmos als Äußerung oder Erscheinung eines absoluten Geistes darzustellen, muß uns, in welcher Form auch ausgeführt, unbarmherzig in ein Dilemma reißen:
Oder er ist absolut, Raum und Zeit werden nicht vorausgesetzt; dann ist er außerräumlich, außerzeitlich, also eine Vorstellung, die nicht vorstellbar ist, - "Ding ansich."
Er hat ferner das Kantische "Ding ansich" sehr gut gekannt und genauer besprochen. Trotzdem hat er es nicht nur nicht aus der Kantischen Philosophie hinausgeworfen, sondern ist selbst in denselben Fehler geraten, da sein absoluter Geist, als außerräumlich und außerzeitlich, in die Sphäre des "Dings ansich" fällt. Er hat also die Kantische Philosophie in diesem Punkt nicht korrigiert. Also muß auf KANT zurückgegangen werden.
1) Kritik der reinen Vernunft, Seite 15 2) Über den Begriff der Wissenschaftslehre" von JOHANN GOTTLIEB FICHTE, 2. Ausgabe 1798. Vorrede: "Der Verfasser dieser Abhandlung wurde durch das Lesen "neuerer Skeptiker, besonders des Aenesidemus und der vortrefflichen Maimonschen Schriften überzeugt, daß die Philosophie noch nicht zum Rang einer evidenten Wissenschaft erhoben ist." usw. 3) Kritik der reinen Vernunft, Seite 117, Anmerkung. 4) "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von J. G. FICHTE, Ausgabe II, 1802, Seite 14. 5) Kritik der praktischen Vernunft, 1788, Seite 218 6) Kr. r. V. Seite 546 7) Kr. r. V. Seite 551 8) Kritik der praktischen Vernunft, Seite 72 und 84 9) Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Seite 142, Anmerkung. FICHTE bezieht sich an dieser Stelle u. a. auf das, was am Schluß der Kr. d. r. V. und in der Vorrede zu den Prolegomenen gesagt wird. Freilich ein Mißverständnis, wogegen sie KANT in einer öffentlichen Erklärung verwahrt. Siehe "Jenaische Allgemeine Literaturzeitung", 1799, Intelligenzblatt Nr. 109. Dort heißt es: "Hierbei muß ich bemerken, daß die Anmaßung, mir die Absicht zu unterschieben: ich habe bloß eine Propädeutik zur Transzendental-Philosophie, nicht das System dieser Philosophie selbst liefern wollen, mir unbegreiflich ist. Es hat eine solche Absicht mir nie in Gedanken kommen können usw." 10) SCHOPENHAUER, der die eigentümliche Manie hat, jedem der nachkantischen Philosophen, der nicht mit seinen Ansichten übereinstimmt, einen besonderen Spitznamen beizulegen, nennt FICHTE einen "Windbeutel". Abgesehen davon, daß jene Manie etas ganz Taktloses, Unpassendes, ja Unanständiges ist, kann dieser Beiname nicht einmal eine treffende Persiflage genannt werden, er schlägt durchaus fehlt. Viele eher hätte man FICHTE einen "Polterer" nennen können. Doch - Scherz beiseite! 11) FICHTE, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Seite 1 - 51. 12) FICHTE, a. a. O. Seite 3 13) FICHTE, a. a. O. Seite 272 14) FICHTE, a. a. O. Seite 249, Anmerkung 15) FICHTE, Grundriß des Eigentümlichen der Wissenschaftslehre, 2. Ausgabe 1802, Seite 81f, 108. Schlußanmerkung. Vgl. Grundriß der gesamten Wissenschaftslehre, Seite 141 und 142, Anmerkung. 16) FICHTE, a. a. O. Seite 2 17) FICHTE, a. a. O. Seite 100, 141, 209, vgl. 277. "Dies, daß der endliche Geist notwendig etwas absolutes außer sich setzen muß (ein Ding ansich) und dennoch von der anderen Seite anerkennen muß, daß dasselbe nur für ihn da sei (ein notwendiges Noumen sei) ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann." 18) FICHTE, a. a. O. Seite 126, Anmerkung 19) Kritik der reinen Vernunft, Seite 805 20) FICHTE, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Seite 44 21) Siehe "Darstellung meines Systems der Philosophie", 1801. In der Zeitschrift für spekulative Physik. F. W. J. von SCHELLINGs Sämtliche Werke, I. Abteilung, Bd. 1, Seite 109. "Um diese Entgegensetzung auf das Verständlichste auszudrücken, so mußte der Idealismus in subjektiver Bedeutung behaupten, das Ich sei Alles, der in der objektiven Bedeutung umgekehrt: Alles sei = Ich, und es existiere nichts als was = Ich sei." 22) SPINOZA, Ethik II, Proposition 7. Vgl. KUNO FISCHERs "Logik und Metaphysik", 1852, Seite 15 23) SCHELLING, System des transzendentalen Idealismus, 1800, Sämtliche Werke I, Bd. 3, Seite 340 und 341. 24) SCHELLING, a. a. O. Seite 340 und 341; § 1, 4. 25) In einer philosophischen Unterhaltung mit VICTOR COUSIN äußerte SCHELLING gegen diesen "Je méprise [ich verachte - wp] Locke". 26) JOHN LOCKE, An Essay concerning Human Understanding, Bd. 1, Chap. I, 1. 27) SCHELLING, Sämtliche Werke I, Bd. 3, Seite 257 28) SCHELLING, a. a. O. Seite 390. Vgl. "Darstellung meines Systems der Philosophie", Sämtliche Werke I, Bd. 4, Seite 115. Dort ist die philosophische Erkenntnis "eine Erkenntnis der Dinge, wie sie ansich, d. h. wie sie in der Vernunft sind." Raum und Zeit werden für Produkte der Einbildungskraft, also gleichgültig in der Vernunfterkenntnis erklärt, und somit auf der einen Seite das, was wirklich wahr und unumstößlich in der Kantischen Philosophie ist (die transzendentale Ästhetik) umgestoßen und dagegen der Hauptfehler (das "Ding ansich") für das einzig Wahre genommen. Um hierüber ja keinen Zweifel zu lassen, sagt SCHELLING ausdrücklich: "Kant habe dadurch, daß er das "Ding ansich" in die Philosophie einführte, wenigstens den ersten Anstoß gegeben, der die Philosophie über das gemeine Bewußtsein hinausführen konnte." (!) Bd. 3, Seite 461. 29) SCHELLING, Sämtliche Werke, Bd. 3, Seite 422 30) SCHELLING. a. a. O. Seite 427 31) SCHELLING, Sämtliche Werke, Bd. 3, Seite 395 32) SCHELLING, Sämtliche Werke, Bd. 4, Seite 362 33) SCHELLING, Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 3, Seite 369 34) a. a. O. Seite 370 35) "Von einem neuerdings erhobenen vornehmen Ton in der Philosophie" 1796, Kants Werke, Ausgabe ROSENKRANZ, Bd. 1, Seite 633 36) SCHELLINGs Sämtliche Werke, 1. Abt. Bd. 4, Seite 350 37) SCHELLING, a. a. O. Seite 365 38) ARTHUR SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, Seite 30 und 31 39) Siehe u. a. JAKOB FRIEDRICH FRIES, Polemische Schriften, Bd. 1, 1824, Seite 127 40) FRIES, ebd. Seite 91 41) SCHELLINGs Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 3, Seite 453 42) G. W. F. HEGELs Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, 2. Ausgabe, 1827, Vorrede Seite XXXV. 43) HEGELs Phänomenologie des Geistes (SCHULZE Ausgabe) 1832, Seite 54. 44) FICHTE, Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Seite 37f 45) SCHELLING, Sämtliche Werke !. Abteilung, Bd. 3. Seite 394 und 412 46) HEGEL, Enzyklopädie § 20, Seite 31 47) HEGEL, Phänomenologie, Seite 83 48) GOETHE, Zahme Xenien, Abteilung II. 49) Hiermit stimmt die Interpretation KUNO FISCHERs überein, welche ich für die einzig mögliche und deshalb richtige halte. Siehe K. FISCHERs "Logik und Metaphysik", § 28 - 30. - Wie sich auch bei dieser Gelegenheit zeigt, ist es ein Hauptmangel der HEGELschen Philosophie, daß ihr Denken in einem Netz von Worten fixiert ist, deren Sinn nirgends durch genaue Definitionen hinreichend bestimmt wird. Daher kommt es dann, daß denselben Worten von verschiedenen Anhängern und Interpreten die verschiedensten Bedeutungen beiegelegt werden. Obgleich man nun überzeugt sein muß, daß HEGEL selbst sich bei jedem dieser Worte etwas ganz Bestimmtes gedacht hat, so wrid doch seine Philosophie durch jenen Mangel der Willkür eines jeden überlassen und erscheint daher als etwas ganz Unbestimmtes, Schwankendes, Vages. - In einer kürzlich erschienenen, höchst seltsamen Schrift wird trotzdem mit auffallendem Pathos verkündet: "die HEGELsche Logik besitzt drei große "Forcen". Eine dieser "Forcen" sei die Aufstellung der Kategorien des Seins (Qualität - Quantität - Maß) und des Wesens (Grund - Erscheinung - Wirklichkeit). Mit jenen drei "Forcen" gleicht sie einer "großartigen Felsenburg." - Wozu der Lärm? - Hier kann doch höchstens eine Felsenburg von jener bekannten Sorte gemeint sein, welche der Franzose "des chateaux en Espagne" [Luftschlösser - wp] nennt. 50) HEGEL, Phänomenologie, Seite 4 51) HEGEL, Enzyklopädie, § 44, Seite 49 52) HEGEL, Phänomenologie, Seite 72 53) HEGEL, Phänomenologie, Seite 604 |