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Das Beschreiben [Eine logische Untersuchung zur positivistischen Methodenlehre] [1/4]
E i n l e i t u n g Diese Bewegung ist jedoch nichts weniger als einheitlich. Sie begreift die mannigfachsten Standpunkte in sich, von bloßer Ablehnung metaphysischer Spekulation bsi zum extremsten Empirismus, der die Begriffe der Kraft, Substanz und Ursache gänzlich ausschalten, die gesetzliche Notwendigkeit in eine Tatsächlichkeit verwandeln und alle Hypothesenbildung verwerfen will. Wenn man z. B. den Positivisten MACH, den Energetiker OSTWALD miteinander, mit dem Empiriokritizismus von AVENARIUS und PETZOLDT, oder mit Naturforschern wie DUHEM, PEARSON u. a., mit denen sie sich für gesinnungsgleich erklären (3), vergleicht, wird man sich dem Eindruck großer Inkongruenzen [Nichtübereinstimmung - wp] nicht entziehen können. Trefflich kennzeichnet CASSIRER diese Sachlage, wenn er sagt (4):
Diese Verschiedenheit der Standpunkt bringt es mit sich, daß in der reichen Kampfliteratur, die um die Frage: Beschreiben oder Erklären? entstanden ist, auch der Sinn des Schlagwortes "Beschreibung" entsprechend den verschiedenen erkenntnistheoretischen oder metaphysischen Voraussetzungen schwankt. So ist es zu verstehen, daß sich, obwohl schon so viel über diese Frage verhandelt ist, eine eindeutige, allgemein anerkannte Definition des strittigen Begriffs nicht findet. Er gehört eben zum Bestand von Voraussetzungen und Begriffen, die unbesehen aus dem vorwissenschaftlichen Denken in die Einzelwissenschaft aufgenommen sind und ebenso unbesehen mitgeführt und als allgemein bekannt vorausgesetzt werden (5). Daher ist auch sein Verhältnis zum Begriff der Erklärung nichts weniger als eindeutig festgelegt. Finden sich doch Bestimmungen, die einen scharfen Gegensatz zwischen beiden Begriffen betonen, neben solchen, in denen die Grenzen bis zur Gleichsetzung und Vertauschbarkeit beider verwischt sind. Nicht nur im praktischen Sprachgebrauch und der Anordnung ihrer Teile "beschreibt", sondern sogar bei den Vertretern der Beschreibungsforderung finden sich Ausführungen wie die:
Angesichts dieser Unklarheiten dürfte sich der vorliegende Versuch rechtfertigen, durch eine logische Untersuchung des Begriffs der Beschreibung einer endgültigen Lösung der Streitfrage die Wege zu ebnen. 1. Kapitel Historische Vorbemerkungen Bevor die eigentliche Aufgabe in Angriff genommen wird, ist ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung des Problems und sein Verhältnis zu den allgemeinen wissenschaftlichen Tendenzen der Gegenwart zu werfen. Der Möglichkeit einer zweifachen Aufgabe des wissenschaftlichen Forschens ist man sich lange bewußt gewesen, ehe am Ende des 19. Jahrhunderts diese Doppelseitigkeit in den Gegensatz von Beschreiben und Erklären gefaßt wurde. Ist es doch derselbe Gegensatz wie der alte aristotelische des hoti [das "ist es" - wp] und dioti [das "warum" - wp]. Nur hat sich in der Wertung der beiden Fragestellungen eine Wandlung ins Umgekehrt vollzogen, wenn heute die Beschreibung, also das hoti, als einzige Aufgabe der Wissenschaft hingestellt wird, während sie bei ARISTOTELES nur als Vorstufe zum eigentlichen wissenschaftlichen Forschen, dam Bestimmen des dioti, gilt. Dieses Fragen nach dem Warum, also den Gründen und Ursachen, erscheint sogar nicht nur als Inhalt der ursprünglichen Wissenschaft, sondern es ist älter als sie selbst. Es ist die Äußerung des menschlichen Geistes, die in der Mythenbildung, der Zurückführung der Naturerscheinungen auf Willkürhandlungen menschenähnlicher Götter, die erste Befriedigung eines ihm eigentümlichen Triebes suchte, der als Kausalitäts- oder metaphysisches Bedürfnis zwar keine psychologische Begründung, aber doch eine zutreffende Bezeichnung gefunden hat. (8) Neben der Not des Lebens ist dieses Kausalitätsbedürfnis als in der Struktur des menschlichen Geistes begründetes Motiv der unvergleichlich stärkere Antrieb zur Entstehung und häufig der einzige zur Fortführung der Wissenschaft (9). Doch ist das Argument abzuweisen, daß mit der Berufung auf die Tatsache dieses Triebes die Forderung einer beschreibenden, ganz ohne den Kausalbegriff arbeitenden Physik a limine [von vornherein - wp] ablehnen und jeder Wissenschaft mit der Aufhebung dieses Motivs die Lebensfähigkeit absprechen wollte. Denn es ist prinzipiell durchaus möglich, daß - ebenso wie durch KANT der jahrhundertelang gepflegten Metaphysik die objektive Gültigkeit mit einem Mal genommen wurde - auch hier die Entwicklung der Wissenschaft eine derartige Einschränkung ihres Gebietes, die sich ganz vom Ausgangspunkt entfernt, mit sich brächte. Eine einheitliche Richtung dieser Entwicklung von den Anfängen der Wissenschaft bis zur Gegenwart ist jedenfalls nachzuweisen. Aus den religiösen Erklärungsversuchen entwickelt sich die Wissenschaft, indem die bunten mythologischen Erklärungsgründe durch die Annahme eines gesetzmäßigen Zusammenhangs der Welt oder zumindest durch die Konstruktion eines einheitlichen Weltbildes ersetzt werden (10). So sieht THALES im Wasser das "Wesen" aller Dinge, eine "Erklärung", die ihrer logischen Funktion nach nicht verschieden ist von der Energetik OSTWALDs (11). Der weite Entwicklungsweg, der trotzdem zwischen den beiden Lehren liegt, kennzeichnet sich durch ein allmähliches Einschränken der Erklärungsgründe auf "natürliche", durch fortgesetzte Verminderung der antropomorphen Elemente der Erklärungen (12), wie auch schon der Übergang vom Mythos zur Wissenschaft durch dieselben Merkmale bestimmt ist. So werden die Götter mehr und mehr zurückgedrängt und den Dingen Kräfte zugeschrieben, die ihnen analog den menschlichen Willensregungen als eigentümliches Streben innewohnen. Das Streben des fallenden Körpers nach seinem "Ort" sei ein Beispiel. Andererseits, auch in Analogie zum Willenserlebnis, werden die Zusammenhänge durch Zweckursachen begreiflich gemacht. Es ist dies eine Periode der Naturerklärung, wo Philosophie und Naturforschung unzertrennt ein und dieselbe Wissenschaft bilden, nach dem Vorbild des ARISTOTELES im Großen und Ganzen das Mittelalter erfüllend. Eine letzte Zusammenfassung dieser mittelalterlich-aristotelischen Naturlehre bildet zu einer Zeit, wo sich schon an vielen Stellen die neuen physikalischen Ideen gezeigt hatten, die Historia Naturalis oder Sylva Sylvarum von BACON, dessen eigenen Anpreisungen, daß er allein die wahre induktive Methode der Naturwissenschaft begründet habe, man allzulange Glauben und unverdientes Lob geschenkt hat, bis JUSTUS von LIEBIG, allerdings mit unhistorischer Schärfe, 1863 die ganze Hohlheit seiner Lehre aufwies. (13) Selbst die großen Entdeckungen, welche die neue Zeit vorbereiteten und einleiteten, stehen noch unter solchen Gesichtspunkten. Waren von KOPERNIKUS, selbst von KEPLER noch spiritus rectores [lenkende Geister - wp] der Gestirne als Ursachen ihrer Bewegung herangezogen worden, glaubte man in Physik und Medizin, welche die Chemie einschloß, an den horror vacui [Gespenst der Leere - wp], die Sympathie und Antipathie der Dinge usw. (14), so wurden alle diese anthropopathischen Deutungen der Naturerscheinungen dem Prinzip nach mit einem Schlag ausgeschlossen durch GALILEIs große wissenschaftliche Tat. Sie ist oben bereits mit MACHs Worten als eine Änderung der Fragestellung aus dem Warum in das Wie und als die Begründung der Physik als selbständiger Wissenschaft gekennzeichnet worden. Ihrem Inhalt nach bestand sie darin, daß GALILEI mit Hilfe der durch Experiment und exakte Messung zum erstenmal wissenschaftlich instrumentierten Beobachtung die Gesetze der Erscheinungen in der Form mathematischer Formeln ermittelte (15). Den üblichen Spekulationen über das Wesen und die verborgenen Ursachen der Dinge war damit in der Tat der Boden entzogen, und vergeblich suchte die aristotelische Philosophie in einem heißen Kampf ihre Autorität zu behaupten, die sie sich entrissen und der Macht der Tatsachen vindiziert sah. In diesem Sinne ist es zweifellos sehr treffend, den Gegensatz zwischen GALILEIs Methode, die Gesetze des Tatsächlichen aufzustellen, und jener Spekulation über verborgene Ursachen als den zwischen den Fragen Wie und Warum zu bezeichnen. Nur darf nicht übersehen werden, daß GALILEI bei der wissenschaftlichen Erforschung der Tatsachen das Gesetz strenger Ursächlichkeit allen Geschehens und als grundlegende Begriffe die der Kraft und Substanz mit Bestimmtheit voraussetzt (16). Seiner Methode kommt also diese Charakteristik in ganz anderer Bedeutung zu als derjenigen der modernen Empiristen, die gerade ein Arbeiten ohne jene Voraussetzungen für das von ihnen erstrebte Forschen nach dem bloßen Wie der Erscheinungen halten. Ob dieser Unterschied in einer wesentlichen Verschiedenheit beider Methoden begründet oder ob er nur ein gradueller ist derart, daß es GALILEI nur noch nicht vollkommen gelungen sei, sich von den Vorurteilen seiner Zeit zu befreien, ob auch RIEHL recht hat, wenn er sagt, GALILEIs Begriff der Wissenschaft decke sich der Sache nach völlig mit dem Begriff (der beschreibenden Physik), den KIRCHHOFF an den Eingang seiner Mechanik gestellt hat (17) - das muß sich aus der sachlichen Untersuchung ergeben. Die neue Hochschätzung des Tatsächlichen war es auch, die unter den Schülern GALILEIs in den ersten Zeiten die weitere physikalische Forschung bestimmte. Die von GALILEI selbst als ebenso wichtige Seite seiner Methode gepflegte mathematische Theorie trat neben der Beobachtung in den Hintergrund, wohl deswegen, weil ihre prinzipielle Bedeutung gegenüber den seit dem Altertum bekannten, wenig fruchtbringenden mathematischen Sätzen der Statik nicht genug in die Augen fiel. Dagegen schien das Experiment alle Wege zu eröffnen. Im Glauben an die alleinige wissenschaftliche Macht der experimentellen Beobachtung zeigt sich einer der heutigen ähnliche Strömung. So betont z. B. die Florentiner Akademie, eine der damals zwecks experimenteller Forschung begründeten Gesellschaften (18), ausdrücklich, sie wolle beobachten, nicht erklären. (19) Es bedurfte eines Genies wie NEWTON, um GALILEIs Werk in seiner ganzen Tragweite und Vielseitigkeit aufzunehmen und fortzubilden. Die Methode, aus den beobachteten Erscheinungen mathematisch formulierte Sätze abzuleiten, die wieder durch Beobachtung verifiziert werden müssen, ist erst durch NEWTON und nach seinem Vorbild in der Entdeckung der Gravitation, unterstützt durch die gleichzeitige Entdeckung und Ausbildung der höheren Analysis, Allgemeingut der Physik geworden. Was seine Stellung zu unserem Problem betrifft, so wird keine geringere als seine Autorität heute von den Vertretern der Beschreibungsforderung zu Hilfe gerufen unter Hinweis auf sein berühmtes Wort: Hypotheses non fingo. [Ich bilde keine Hypothesen. - wp] (20) Es ist jedoch schon häufig dargelegt worden, daß der Zusammenhang, in dem dieser Satz steht (21), lediglich auf Spekulationen über das Wesen der Schwere als ursprünglich eingepflanzter Eigenschaft der Materie oder als Folge eines alle Körper durchdringenden Fluidums und über Gott als Urheber dieser Kraft ausgeht. Dazu kommt die Tatsache, daß NEWTON in seiner Optik Untersuchungen über das Wesen des Lichts gebracht und die Emissionstheorie des Lichts begründet hat, daß seine Schüler offenbar unter seiner Zustimmung und in seinem Sinne über das Wesen der Materie und der Gravitation erbitterte Kämpfe geführt haben. Das alles macht eine Auslegung des Wortes im Sinne einer absoluten Hypothesenfreiheit unmöglich. Andererseits ist es ein großes Verdienst NEWTONs, die Physik von den metaphysischen Spekulationen gereinigt zu haben, die sie trotz GALILEIs Vorbild seit DESCARTES wieder beherrschten. Im Gegensatz zu DESCARTES' nicht nur unbeweisbarer, sondern sogar mit den Tatsachen in Widerspruch stehender Wirbeltheorie betont NEWTON, daß nur causae verae, Ursachen, die in den Erscheinungen gegeben sind, zur Erklärung der natürlichen Dinge herangezogen werden dürfen. (22) Es ist also als zweifellos festzustellen, daß NEWTON - ebenso wie GALILEI im Kampf gegen die herrschende Philosophie - mit voller Schärfe das Prinzip ausgesprochen hat, nur solche Sätze gehörten in die exakte Physik, die in den Tatsachen begründet sind, so zwar, daß er - ebensowenig wie er in den Begriffen von Raum und Zeit eine Schwierigkeit findet - die Begriffe des Gesetzes, der Ursache, der Kraft usw. zwar nicht als schon damals stark verdächtige qualitates occultae, doch aber als in den Tatsachen gegeben ansieht. Eine Kritik dieser Begriffe setzt in der Physik erst durch den Einfluß der durch LOCKE begründeten empiristischen Philosophie ein, deren Gedanken allerdings wiederum in großem Maß von NEWTON abhängen. Überhaupt ist mit diesem Zeitpunk eine Periode eingeleitet, in der aus dem ursprünglichen Gegensatz zwischen Physik und Philosophie ein Zustand gegenseitiger Beeinflussung und Durchdringung geworden ist: konnte einerseits die Philosophie die glänzenden Resultate der Naturwissenschaft nicht unbeachtet lassen, so fühlte diese sich andererseits zu jener hingezogen, als auch sie die Erfahrung als alleinige Quelle aller Erkenntnis behauptete. So entwickelte sich, abhängig vom englischen Empirismus, sich auf NEWTON berufend, mit dem großartigen Aufschwung der mathematischen Physik zugleich der französische Positivismus (23). Zum ersten Mal wird man sich hier der Schwierigkeiten und Unklarheiten bewußt, die in den Grundbegriffen der Mechanik enthalten sind, und beginnt die Reihe der Lösungsversuche, die bis zur Gegenwart keinen befriedigenden Abschluß gefunden haben. Die größte Bedeutung für unser Problem hat dabei der Begriff der Kraft. d'ALEMBERT ist wohl der erste, der diesen Begriff ausdrücklich auf die Bedeutung reduzieren will, daß er nicht als vermeintliches Wesen gedacht wird, das im Körper seinen Wohnsitz hat, sondern lediglich als Abkürzung des Ausdrucks für eine Tatsache (dafür, daß der Körper ein Hindernis von bestimmter Größe überwindet) (24). Doch kann ihn diese programmatische Definition nicht zurückhalten, zwei Seiten später davon zu sprechen, daß ein Körper das Streben hat, sich zu bewegen, wenn ihm durch ein allzugroßes Hindernis nicht die Ausführung der Bewegung ermöglicht wird. Die mathematische Physik, deren hauptsächliche Entwicklung das 18. Jahrhundert durch d'ALEMBERT, LAGRANGE usw. brachte, war mit ihrer voraussetzungslosen, durchsichtigen Exaktheit, ihrem "Betrieb, in dem ein positiver Geist immanent lebt", (25) der beste Boden für das Wachstum der phänomenalistischen, anti-metaphysischen Gedanken des Positivismus, der nach einer kontinuierlichen Entwicklung durch ein Jahrhundert hindurch von COMTE sein einheitliches, alle Wissensgebiete umfassendes System erhalten hat. Hier wird mit allem Nachdruck ausgesprochen, daß uns nichts gegeben ist als Phänomene, und daß die Feststellung der Gleichförmigkeiten in einer Koexistenz und Sukzession dieser Phänomene die einzige Aufgabe der Wissenschaft ist, die sich in dem überwundenen metaphysischen Stadium mit dem - in sich unmöglichen - Forschen nach dem Wesen, den Ursachen und den Kräften der Phänomene vergeblich bemüht hat. Während in England und Frankreich von NEWTON bis ins 19. Jahrhundert eine ununterbrochene Reiche empiristisch-positivistischer Gedanken zu verfolgen ist, zeitigte der Empirismus in Deutschland ganz andere Folgen. Denn es ist ja zum Teil der Einfluß HUMEs, der als historische Vorbedingung für KANTs Kritizismus in Betracht kommt. Aber die rationalistische Grundstimmung KANTs führte zu einem System, in dem die inneren Gründe für eine völlig anti-empiristische Fortbildung lagen. Unter seinen Nachfolgern kam es aufs Neue zu metaphysisch-naturphilosophischen Spekulationen, durch die sie alle Erkenntnis von Tatsachen aus dem reinen Denken gewinnen zu können glaubten. Wie zu GALILEIs Zeiten mußte diese Philosophie mit dem völligen Zusammenbruch enden. Der Triumph der auf den Tatsachen bauenden Naturwissenschaft war umso größer, als sie gerade damals in der sich fast überstürzenden Folge großer Entdeckungen ihre höchsten Erfolge erlebte, und für die Bekämpfung jener Spekulation eben in COMTEs Positivismus und bei den Engländern - sowohl dem Logiker MILL wie den Naturforschern, FARADAY u. a. - wirksamste Unterstützung fand. Die Forderung der Beschränkung auf das Tatsächliche lag also in der Luft. In diesem Sinne hatte GOETHE die Aufgabe der Wissenschaft als "künstlerische Anordnung der Tatsachen" bestimmt (26). So hatte auch ROBERT MAYER gesagt, eine Erscheinung sei erklärt, wenn sie nach allen Seiten bekannt ist. Und so begann KIRCHHOFF seine Vorlesungen über Mechanik mit dem Satz: "Aufgabe der Mechanik ist, die in der Natur vor sich gehenden Bewegungen vollständig und auf die einfachste Weise zu beschreiben." (27) Während er im ersten Paragraphen seines Werkes der Formulierung dieser Aufgabe nur eine Erläuterung der darin vorkommenden Begriffe "Bewegung" und "Vollständigkeit und Einfachheit der Beschreibung" folgen läßt, die erst an späterer Stelle zu berücksichtigen sind, begründet er die Forderung in der Vorrede folgendermaßen:
So ist die gegenwärtige Diskussion, die eingangs in ihrer bunten Vielseitigkeit gekennzeichnet wurde. Die Mannigfaltigkeit der in ihr vertretenen Ansichten ist umso größer, als sie sich nicht lediglich aus den bisher aufgewiesenen Quellen, der Entwicklung des physikalischen Denkens und dem philosophischen Empirismus, ableiten lassen, sondern auch in Beziehung stehen zu verwandten Bestrebungen auf anderen Gebieten. So ist in der Psychologie der durch die Kontroverse zwischen DILTHEY (29) und EBBINGHAUS (30) eingeleitete Streit über beschreibende oder erklärende Psychologie kaum weniger heftig als in der Physik (31). Auch in den Geisteswissenschaften machen sich vielfach Stimmen geltend, die eine Phänomenologie, d. h. die bloße Darstellung der Erscheinungen, als vornehmste Aufgabe der Wissenschaft erklären. In diesem Sinne hat sich EDUARD von HARTMANN um eine phänomenologische Erkenntnistheorie und Ethik bemüht; (32) so werden phänomenologische Grundlagen der Logik gesucht von LIPPS (33), ursprünglich auch von HUSSERL (34), der neuerdings seiner Lehre aber einen mehr platonisierend idealistischen Sinn gegeben hat (35). Von ähnlichen Gesichtspunkten aus bestrebt sich die ideologische Geschichtswissenschaft, nur Individuelles zu konstatieren. Aus dem Bewußtsein dieser Verwandtschaft heraus wird jetzt häufig auch die geforderte beschreibende Physik als "Phänomenologie der Natur" bezeichnet (36). Die einzelnen Zusammenhänge und Verbindungen zwischen diesen Ansichten herzustellen, ist nicht die Aufgabe der nachstehenden Erörterung, ebenso kann auf eine genaue Darstellung der Lehren der oben genannten hauptsächlichen Vertreter der Beschreibungsforderung verzichtet werden. Es sollte hier nur die gegenwärtige Problemlage in ihrer historischen Entstehung skizziert und ihr Hauptgrund, die Unklarheit in den Grundlagen der exakten Physik, dargestellt werden. Fixierung eines Ausgangspunktes für die logische Untersuchung § 1. Methodische Bemerkungen Eine allgemeingültige Begriffsbestimmung zu suchen und auf sie eine sachliche Entscheidung zu gründen, erscheint als undankbare Aufgabe. Kann doch ein solcher Gedankengang sich niemals die Hoffnung machen, geschweige denn den Anspruch erheben, zwingend zu überführen. Denn es steht jedem frei, die betreffenden Termini in einem willkürlich anderem Sinn zu gebrauchen. Trotzdem ist ein solches Unternehmen nicht aussichtslos, und zwar aus zwei Gründen. Einmal wird jeder Sachverständige Argumenten zugänglich sein, die eine bestimmte Definition aus Gründen der Zweckmäßigkeit, der Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch, der größeren Klarheit und Verständlichkeit usw. festlegen. Ohne solche Rücksichten kämer er zu einer privaten, für niemand anders verständlichen Wissenschaft, die in absurdester Konsequenz etwa, um ein drastisches Beispiel STUMPFs (37) anzuführen, mit dem Wort Empfindung ausdrücken dürfte, was man sonst Ofenklappe nennt. Ein zweiter Gesichtspunkt gibt diesen immerhin noch subjektiven Begründungen eine allgemeinere Gültigkeit. Das Bestreben, einen bisher gebräuchlichen Ausdruck durch einen neuen zu ersetzen, beruth stets auf der Erkenntnis, daß der benannte Gegenstand andere Bestimmungen enthält als bisher angenommen wurde und daß dieser Sachlage durch einen neuen Ausdruck Rechnung getragen werden muß. So wird eine Frage der Terminologie stets zugleich eine sachliche; und so muß auch die vorliegende Erörterung die Bedingungen für die Lösung der Streitfrage in sachlichen Problemen aufweisen, deren Entscheidung jenen Einwänden der Willkür und des Geschmacks nicht mehr ausgesetzt ist. Um einen eindeutigen Begriff der Beschreibung festzulegen, sind verschiedene Wege denkbar. Von vornherein abzulehnen ist jeder Versuch einer Begriffsbestimmung aus einer etymologischen Ableitung. Wer z. B. das Be-schreiben als "mit einem Schriftzeichen versehen" genügend bestimmt glaubt, vergegenwärtige sich, daß sowohl der Briefbogen durch das Bedecken mit Schriftzügen, wie eine Kurve durch die Bewegung eines Punktes, wie schließlich der anschauliche Gegenstand durch Worte "beschrieben" wird (39). Nur im letzteren Sinn ist selbstverständlich hier das Wort aufzufassen, dessen ursprüngliche Bedeutung mehr als beim Erklären, wo sich in jeder Form wohl der Sinn des "Klar"-Machens erhalten hat, verwischt und verändert ist. Aus dem lebendigen Gebraucht des Wortes heraus muß man vielmehr zu seiner Inhaltsbestimmung kommen. Zunächst läge es nahe, die herkömmlich als Typen beschreibender Wissenschaft betrachteten Naturwissenschaften Botanik und Zoologie zum Vorbild zu nehmen und den aus ihrer Methode abgeleiteten Begriff der Beschreibung dann mutatis mutandis [unter vergleichbaren Umständen - wp] auf die Physik anzuwenden. Natürlich ist dabei nur an den systematisch klassifizierenden Teil dieser Wissenschaften zu denken, der früher deren ganzen Charakter ausmachte, jetzt aber so hinter den biologischen und physiologischen Untersuchungen zurücktritt, daß auch Botanik und Zoologie gelegentlich schon erklärende Wissenschaften genannt werden. Das Prinzip einer solchen Übertragung wäre darin gegeben, daß, was in der ursprünglichen Methode auf Dinge und ihre Eigenschaften gerichtet war, in der Physik auf Vorgänge und Veränderungen anzuwenden ist. Da in der logischen Einteilung der Gegenstände des Denkens die Vorgänge den Eigenschaften koordiniert werden (40), ist von logischer Seite gegen diese Parallelisierung nichts prinzipiell einzuwenden, sie wird sogar von SIGWART ausdrücklich durchgeführt. (41) Auch von Seiten der Physik fände sich eine hervorragende Unterstützung in den Ausführungen von HELMHOLTZ, der die Gesetze der physikalischen Naturwissenschaft mit den Gattungsbegriffen von Botanik und Zoologie in einem solchen Maß auf eine logische Stufe stellt, daß er in beiden Wissenschaften das gleiche logische Verfahren sieht, nur mit dem Unterschied in der sprachlichen Bezeichnung, die das eine Mal von Begriffen, das andere Mal von Gesetzen zu sprechen zwingt. (42) Einem Bedenken jedoch wre dieses vergleichende Verfahren bei der Lösung der vorliegenden Aufgabe ausgesetzt: es ginge von der unbesehenen Voraussetzung aus, daß Botanik und Zoologie wirklich das Musterbild rein beschreibender Wissenschaften sind, was nicht nur nicht bewiesen ist, sondern auch durch den Hinweis auf die Behauptung, keine Wissenschaft könne rein beschreibend sein (43), in Zweifel gesetzt werden könnte. Hinfällig würde nun jener Einwand, wenn die Vertreter der Beschreibungsforderung für die Physik sich ausdrücklich auf jene Naturwissenschaften beriefen und ihre Methode zum Vorbild setzten, wenn in der Formulierung ihrer Forderung der Ton auf der Analogie zu diesen Wissenschaften und nicht auf dem Beschreiben als solchem läge. Das ist jedoch nicht der Fall; bei KIRCHHOFF findet sich nicht die geringstes Andeutung einer solchen Analogie und bei den andern höchstens gelegentliche Anspielungen. Auch würde von vornherein ein fremdes Element die volle Parallelität unmöglich machen, daß der Physik als wichtiges Hilfsmittel die Mathematik zur Verfügung steht, deren Anwendung in den systematischen Erörterungen der biologischen Naturwissenschaften bisher nur im geringsten Maß in Betracht kommt. Also muß die Begriffsbestimmung der Beschreibung einen anderen Ausgangspunkt wählen. Wenn die Logik nicht aus der Wissenschaft schon bearbeitete Begriffe aufnehmen kann, wendet sie sich häufig an das vorwissenschaftliche Denken, um dessen meist unklare Begriffe durch eine exakte Abgrenzung und Definition zu fixieren und logisch brauchbar zu machen. So gehen die Analysen des Substanz-, des Kausalitätsbegriffes meist von der Anwendung dieser Begriffe im täglichen Leben aus. (44) Aber für den Begriff der Beschreibung wäre auch diese Grundlage unbrauchbar, da er nicht von einer so allgemeinen Bedeutung und Anwendung ist wie jene, sondern im Sprachgebrauch, wie schon oben angedeutet, einen sehr schwankenden Inhalt zeigt. Eine Definition aus einer solchen Quelle würde also niemals einer allgemeinen Zustimmung sicher sein können. - Andererseits ist es selbstverständlich, daß der Begriff der Beschreibung, wie er den Physikern vorschwebt, mit jenen beiden Begriffen - dem naturwissenschaftlichen und dem des praktischen Sprachgebrauchs - viel Gemeinsames hat, daß also aus beiden Gebieten Beispiele zur Erläuterung und Bestätigung herangezogen werden können, wenn dieser Begriff auf einer anderen Grundlage bestimmt wird. (Beschreibung und Definition) Eine letzte, nunmehr zu untersuchende Quelle ist die Geschichte der Logik. Hier tritt der Begriff der "Beschreibung" stets in Verbindung mit dem "Erklärung" auf. Von der Zeit an, wo die Logik überhaupt durch WOLFF eine deutsche Terminologie erhalten hat, werden diese beiden Begriffe einander gegenübergestellt. WOLFF übersetzt mit Erklärung den heute wieder fast durchweg mit dem lateinischen Namen bezeichneten Terminus Definition. Obwohl sich also von vornherein diese Gegenüberstellung keineswegs mit dem in der modernen Kontroverse gemeinten Gegensatz deckt, dürfte es doch von Nutzen sein, diese Unterscheidung ausführlich zu untersuchen, um so zumindest eine Abgrenzung der Beschreibung gegen die Definition zu gewinnen. WOLFF sagt (45):
Der Sache nach ist diese Unterscheidung der Definition in eigentliche Definition und Beschreibung bei WOLFF nicht neu. Angelegt ist sie bei ARISTOTELES, der in der Topik darauf hinweist, daß manchmal ein Akzidenz "beziehungsweise" als wesentliches Merkmal in die Definition eingehen kann, aber nur für gewisse Zeiten und in Bezug auf bestimmtes anderes (47). Diese im Griechischen hypographe genannte unvollkommene Art der Definition wird von CICERO und BOETHIUS (48) mit descriptio übersetzt; sie behält ihren Namen und mit geringen Schwankungen auch ihre Bestimmungen durch das ganze Mittelalter bis in die Neuzeit hinein bei, wie Stichproben aus PETRUS HISPANUS (49), PETRUS RAMUS (50), BURGERSDICIUS (51) und der Logik von Port Royal (52), in der deutschen Logik nach WOLFF auch bei CRUSIUS (53) und REIMARUS (54) zeigen. Ist diese jahrhundertelang übereinstimmende Behandlung einer Einzelfrage hinsichtlich des Inhalts, des logischen Ortes in der Darstellung, ja sogar zum Teil der angeführten Beispiel, ein Symptom für die Tatsache, daß die Logik von allen wissenschaftlichen Disziplinen am längsten und treuesten die aristotelischen Traditionen festhielt, so überdauerte andererseits die Tradition an diesem verhältnismäßig unwichtigen Punkt die bahnbrechenden Neuerungen im System der logischen Wissenschaft noch im 19. Jahrhundert. So ist es zu verstehen, wenn noch JOHN STUART MILL (im Anschluß an WHATELY) mit fast scholastischem Wortlaut diejenige Art von unvollkommener Definition, "in welcher der Name einer Klasse durch irgendeines ihrer Akzidenzien definiert wird, als Beschreibung bezeichnet sehen will, und sie näher dahin kennzeichnet [denoting], daß sie "in den Stand setzt, die durch den Namen bezeichneten Dinge von allen anderen Dingen zu unterscheiden. (55) Auch wo sich die logischen Untersuchungen immer weniger den überkommenen Formen anpassen, finden sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch Betonungen der nahen Verwandtschaf von Definition und Beschreibung, z. B. in dem Sinne, daß es "deskriptive Definitionen" geben soll, so bei DROBISCH (56), LOTZE (57), WUNDT (57). Tritt man mit den Voraussetzungen der modernen Logik an diese Lehre von der descriptio heran, so fällt zunächst eine Diskrepanz in den Beispielen auf. Denn wenn JOHN STUART MILL als Proben für die Beschreibung oder unvollkommene Definition anführt: "der Mensch ist ein Säugetier, das zwei Hände hat; der Mensch ist ein Tier, das seine Speisen kocht; der Mensch ist ein zweifüßiges Tier ohne Federn" (8) - so entspricht das etwa dem Beispiel des PETRUS RAMUS: homo est animal mortale capax disciplinae [Der Mensch ist ein sterbliches lernfähiges Tier. - wp] Aber diese Urteile zeigen sich als wesentlich verschieden von den Beispielen bei WOLFF, der die genaue Bestimmung einer herbeizuholenden Zitrone, oder REIMARUS, der eine ebensolche Bezeichnung eines Magneten als Beschreibung heranzieht. Als klassisches Beispiel gehörte hierher das von ARISTOTELES gewählte, daß ein oder mehrere Menschen als sitzend gekennzeichnet werden. Beiden Gruppen von Beispielen sollen erläutern, wie etwas durch akzidentielle Merkmale so bezeichnet wird, daß es von allen anderen Dingen unterschieden werden kann; unter der Voraussetzung, daß die Definition dagegen einen Begriff durch seine wesentlichen Merkmale vollständig darstellt. Betrachten wir unter diesem Gesichtspunkt zunächst die erste Gruppe von Beispielen. Die hier angeführten sogenannten Beschreibungen erscheinen nahe verwandt mit der eigentlichen Definition. Auch sie haben zum Subjekt einen Begriff, hier einen Gattungsbegriff; auch sie sind ihrem Inhalt nach generelle Urteile. Wie bei der Definition sind die ausgesagten Merkmale dem Begriff ausschließlich eigen, eine Bestimmung, die sich in der reinen Umkehrbarkeit der Urteile kennzeichnet und beide zu Beurteilungen im Sinne von ERDMANN (59) macht. Unterscheidend ist lediglich daß in der echten Definition eine vollständige Gleichheit zwischen Subjekt- und Prädikatinhalt bestehen soll, während in den sogenannten Beschreibungen nur einzelne Merkmale des Subjektinhalts im Prädikat formuliert sind. Diese Analyse zeigt, daß es sich bei dieser Art von Beschreibung um die von ERDMANN definitorische Urteile (60), von SIGWART diagnostische Definitionen (61) genannten Urteile handelt. Allerdings ist dieses Ergebnis nur aus der Analyse der Beispiele gewonnen. Ein Vergleich mit der theoretischen Bestimmung dieser Beispiele zeigt, daß diese nicht mit dem Wesen des definitorischen Urteils, also auch nicht mit ihren eigenen Beispielen zusammenfällt. Zutreffend ist nur, daß der Subjektbegriff tatsächlich von allen anderen unterschieden wird; aber es ist in sich unmöglich, daß eine solche Begriffsbestimmung durch akzidentelle Merkmale gegeben ist. Ein Begriff hat überhaupt keine akzidentellen Merkmale. Er ist ein künstliches Gebilde, das aus mehr oder weniger willkürlich zusammengesetzten Merkmalen besteht, die ihn in ihrer Gesamtheit als eben den bestimmten Begriff konstituieren, sodaß jedes Merkmal in gleicher Weise für den Begriff wesentlich ist, da er durch das Fortlassen, Hinzubringen oder Ändern eines Merkmals in seinem Inhalt geändert würde. Akzidentelle Mermale sind gerade solche, die von der konkreten Einzelvorstellung fortgelassen werden, um aus ihr den abstrakten Begriff zu bilden. Von einer Unterscheidung der Merkmale beim Begrif kann nur unter dem Gesichtspunkt die Rede sein, ob sie ursprüngliche oder abgeleitete Merkmale sind, d. h. solche, die zur Definition des Begriffs notwendig und hinreichend sind, oder die aus ihnen analytisch abgeleitet werden können. Die definitorischen Urteile können gleicherweise aus ursprünglichen und abgeleiteten Merkmalen gebildet sein. Wir stehen also vor der Alternative, entweder die Beispiele als Beschreibungen aufrecht zu halten und ihre Definition im Sinne eines definitorischen Urteils zu verändern oder die Definition der Beschreibung weiter gelten zu lassen und die bisher betrachteten Beispiele als unzulänglich zu verwerfen. Da die zweite Gruppe von Beispielen noch Aussicht auf zutreffende Erläuterungen läßt, da ferner der Unterschied zwischen echter Definition und definitorischem Urteil zu gering erscheint, um darauf eine zweckmäßige Entgegensetzung von Definition und Beschreibung zu gründen, ist das zweite Glied der Alternative zu wählen. Als erstes Ergebnis ist also festzustellen, daß jedenfalls definitorische Urteile nicht als Beschreibungen anzusehen sind. Die zweite Gruppe von Beispielen: "Der Mensch X sitzt; mein Magnet hängt in der zweiten Bücherkammer, zur Rechten am Fenster, in einem grünen Überzug, am Band usw." entspricht ohne Zweifel mehr als die vorige dem, was man sich unter Beschreibung vorzustellen pflegt. Es darf zudem als gewiß angenommen werden, daß auch die Positivisten ein derartiges Urteil als Beschreibung ansprechen würden. Vergleicht man aber nun diese Beispiele mit ihrer definierenden Bestimmung, so zeigt sich eine neue Divergenz. Allerdings ist das Sitzen für den Menschen oder Platz und die Umhüllung für den Magneten nichts Wesentliches; auch kann man durch diese Angaben unter Umständen die gemeinten Gegenstände von allen anderen unterscheiden. Aber das Subjekt dieser Urteile ist kein Begriffe mehr, wie sowohl WOLFF als auch REIMARUS ausdrücklich verlangen, sondern ein Einzelgegenstand, ohne daß dieser Wechsel im Subjekt von den genannten Logikern bemerkt worden wäre. Eine Tatsache, die umso erstaunlicher ist, als WOLFF die definitorischen Urteile, die, wenn man nicht auf das Subjekt achtet, große Ähnlichkeit mit diesen Beschreibungen haben, als identische Urteile (62) absondert. Andererseits ist das Übersehen dieses Subjektwechsels völlig aus der Eigenart der Schule zu begreifen, die ihr Augenmerk lediglich auf die allgemeinen Begriffe richtete. Durch den neuen Widerspruch zwischen der Definition der Beschreibung und ihren Beispielen stehen wir vor einem neuen Dilemma: Entweder verwerfen wir wieder die Beispiele und lassen von der Definition soviel wie möglich bestehen, dann kommen wir auf die vorhin gefundenen definitorischen Urteile. Oder wir halten die Beispiele aufrecht und ändern ihnen gemäß die Definition der Beschreibung. Außer den Gründen, die schon oben gegen die erste Möglichkeit sprachen, ist der zweite Weg deswegen vorzuziehen, weil diese Beispiele tatsächlich allgemein als Beschreibungen anerkannt werden dürften. Aus ihnen ergibt sich also, daß eine Beschreibung ein Urteil ist, in dem von einem Einzelding solche Eigenschaften ausgesagt werden, die es von allen anderen Dingen unterscheiden lassen. Von der Definition unterscheidet sich diese Beschreibung zunächst durch das ganz andere Subjekt. Als beiden gemeinsam kann vorläufig das Ziel zugestanden werden, daß das Subjekt gegen alle ähnlichen abgegrenzt werden soll. Geschieht dies in der Definition dadurch, daß der konstitutive Inhalt des Begriffs aufgezählt wird, so kann die Beschreibung, soweit sie bis jetzt bestimmt ist, beliebige, etwa die auffälligsten Merkmale des betreffenden Dings angeben. Um hier beim Vergleich mit der Definition der Schullogik zu bleiben, muß weiterhin betont werden daß die Forderung, die Beschreibung solle die akzidentellen Merkmale angeben, keinen Sinn hat. Denn so wenig, wie der Begriff wesentliche und akzidentelle Merkmale hat, ebensowenig gibt das Einzelding für sich genommen - innerhalb seiner Bestimmungsstücke zu irgendeiner derartigen Unterscheidung Anlaß. Diese Wertung kommt erst zustand durch einen von außen herangebrachten Gesichtspunkt, etwa den Vergleich des Gegenstandes mit einer Gruppe ähnlicher, deren gemeinsame Eigenschaften dann als wesentlich erklärt werden. Die Definitionen also, von denen wir ausgingen: "die Definition sagt, was ein Ding ist, durch seine wesentlichen Merkmale, die Beschreibung ist, wie es ist, durch akzidentelle [zufälligen - wp] Merkmale", müssen wir dahin abändern: die Definition gibt an, welche Merkmal mit einem Begriff, dem abstrakten Bestandteil unseres Denkens, gedacht werden sollen; die Beschreibung gibt Bestimmungen von einem Einzelgegenstand an. Hierdurch sind Definition und Beschreibung scharf getrennt. So wenig ein Begriff nunmehr beschrieben (63), ebensowenig kann ein Einzelding definiert werden. Diese letztere Behauptung wird bereits von FRIES (64) betont, der auch einen scharfen Unterschied macht zwischen der Beschreibung eines Begriffs und der Beschreibung von individuellen Gegenständen. Der Sache nach deckt sich diese Unterscheidung ganz mit der hier gemachten des definitorischen Urteils und der Beschreibung von Einzeldingen. Zur Betonung des Gegensatzes beider erscheint aber unsere Terminologie zweckmäßiger. Daß ein Einzelding nicht definiert werden kann, steht allerdings im Widerspruch zum gewöhnlichen Sprachgebrauch. Wir oft hört man sagen: "Dieses Gefühl (körperlicher Schmerz, Seelenstimmung) - oder den zum erstenmal gesehenen, unbekannten Gegenstand - kann ich nicht definieren." Logisch betrachtet kann das zweierlei, meist wird es wohl beides zugleich bedeuten. Einmal: ich kann das Gefühl, den Gegenstand, nicht analysierend in einzelne Bestimmungsstücke zerlegen; zweitens: ich kann ihn keinem mir bekannten Begriff subsumieren. Das erste, das analysierende Aufzählen der Bestimmungsstücke ist nach den bisherigen Ausführungen bereits als Beschreiben anzuerkennen. Man sieht wieder, wie weit verbreitet und naheliegend die Verwechselung dieser beiden, logisch so streng zu trennenden Arten der Urteile ist. Wo die Logiker nicht mehr unter dem Einfluß der Tradition stehen, fassen auch sie die Beschreibung in dem Sinn, wie er sich hier aus der historischen Betrachtung und dem Vergleich mit der Definition ergeben hat, mit dem auch die modernen Vertreter der Beschreibungsforderung übereinstimmen: Beschreibung - heißt es - ist die Darstellung von Tatsachen, von tatsächlich Gegebenem, von Wahrgenommenem, von Einzeldingen, Individuellem, usw. (65) Die Differenzen zwischen diesen Bestimmungen sind, weil diese selsbt ohnehin einer weiteren und genaueren Präsision bedürftig sind, gering genug, um sie der speziellen Erörterung zu überlassen, und hier als die grundlegende das unmittelbare Gegebensein des Gegenstandes der Beschreibung zum Ausgangspunkt für die nunmehr anzugreifende logische Erörterung zu machen, in welcher die Beziehung auf die Physik stets im Auge behalten werden soll. ![]()
1) MACH, Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt, sechste Auflage, 1908, Seite 129. Vgl. NATORP, Galilei als Philosoph, Philosophische Monatshefte 1882 und RIEHL, Über den Begriff der Wissenschaft bei Galilei, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 17, 1893. 2) RIEHL, a. a. O., Seite 9 3) Vgl. MACH, "Erkenntnis und Irrtum", zweite Auflage, Seite 450 und Vorrede "Erkenntnis und Irrtum", zweite Auflage; Vorrede zur Übersetzung von DUHEM, Ziel und Struktur der physikalischen Theorien. 4) ERNST CASSIRER, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Seite 183 5) Vgl. BENNO ERDMANN, Logik I, Seite 7, 13. 6) MACH, "Analyse der Empfindungen", Seite 274; vgl. auch "Die Prinzipien der Wärmelehre", zweite Auflage, Seite 436f und öfter; "Populärwissenschaftliche Vorlesungen", Seite 411f. 7) Annalen der Naturphilosophie, Bd. I, Seite 385: WOLFGANG OSTWALD, Über die Bildung wissenschaftlicher Begriffe. 8) Vgl. SCHOPENHAUER, Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 2, Kap. 17 und BENNO ERDMANN, Logik I, Seite 6. 9) Vgl. BENNO ERDMANN, Logik, Seite 6 10) ERDMANN, a. a. O., Seite 7 11) Vgl. MAX PLANCK, Einheit des physikalischen Weltbildes, Seite 4 12) PLANCK, a. a. O., Seite 8 und EDMUND KÖNIG, Entwicklung des Kausalproblems, Seite 6 13) von LIEBIG, Francis Bacon von Verulam und die Geschichte der Naturwissenschaften, Rede in der Münchener Akademie der Wissenschaften von 28. März 1863. Vgl. dazu SIGWART, Bacon - ein Philosoph und ein Naturforscher, Preußische Jahrbücher, Bd. 12, 1863, Seite 93f. 14) Vgl. E. KÖNIG, a. a. O., Seite 18 15) Vgl. A. RIEHL, a. a. O., Seite 4; ROSENBERGER, Geschichte der Physik, Bd. II, Seite 13 und 14f. 16) Vgl. NATORP, a. a. O., Seite 214 und 220 17) RIEHL, a. a. O., Seite 11 18) Accademica del Cimento in Florenz, Royal Society in London, Pariser Akademie der Wissenschaften, Leopoldina in Deutschland. (vgl. ROSENBERGER, Geschichte der Physik II, Seite 136f) 19) Vgl. ROSENBERGER, a. a. O., Seite 165. Zum Vorwiegen des Experiments vgl. ROSENBERGER, a. a. O., Seite 4f, und STEINMANN, Über den Einfluß Newtons auf die Erkenntnistheorie seiner Zeit, Seite 3. 20) So z. B. MACH, Mechanik, Seite 203. 21) NEWTON, Philosophiae naturalis principia mathematica, Scholium generale (am Schluß des Werkes). 22) NEWTON, Principia mathematica, Anfang des 3. Buches, Regula I. 23) Vgl. GEORG MISCH, Zur Entstehung des französischen Positivismus, Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. XIV, Seite 12f. 24) d'ALEMBERT, Discours preliminaire zum Traité de dynamique. Vorreden und Einleitungen zu klassischen Werken der Mechanik (zweiter Band der Veröffentlichungen der Philosophischen Gesellschaft an der Universität Wien, Seite 208 und 56. 25) MISCH, a. a. O., Seite 174. 26) vgl. HELMHOLTZ, "Die Tatsachen in der Wahrnehmung", Vorträge und Reden II, fünfte Auflage, Seite 242. 27) KIRCHHOFF, Vorlesungen über Mechanik, § 1, Seite 1. - Wie MACH, "Erkenntnis und Irrtum", Seite 450 bemerkt, ist der Ausdruck bereits in der Diskussion zwischen MILL und WHEWELL aufgetreten, durch KIRCHHOFF aber eingebürgert. (vgl. MILL, Logik I, 3. Buch, 2. Kap., § 4) 28) Die Formulierung, Begründung und prinzipiell programmatische Stellung, die KIRCHHOFF seiner Forderung gibt, machen die Vermutung MACHs (Wärmelehre, zweite Auflage, Seite 405) unwahrscheinlich, daß sie nur auf einem Apercu [geistreicher Einfall - wp] beruhe - auch wenn KIRCHHOFF in einem Gespräch mit F. NEUMANN es unterlassen hat, sie energisch zu vertreten. 29) WILHELM DILTHEY, Ideen zu einer beschreibenden und zergliedernden Psychologie, Sitzungsbericht der Berliner Akademie der Wissenschaften, 1894. 30) EBBINGHAUS, gleicher Titel, Zeitschrift für Psychologie, 1895. 31) vgl. z. B. CORNELIUS, Psychologie als Erfahrungswissenschaft, 1897, der die Beschreibungsforderung vertritt. 32) E. von HARTMANN, Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins, Prolegomena zu jeder künftigen Ethik, Berlin 1879. Das Grundproblem der Erkenntnistheorie, Leipzig 1889. 33) THEODOR LIPPS, Inhalt und Gegenstand, Sitzungsbericht der Bayerischen Akademie, Seite 511-669. 34) EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen I, Seite 11, 18 und öfter. 35) HUSSERL, Jahrbuch für Phänomenologie, Bd. I, Seite 1 36) z. B. MACH, Wärmelehre, Seite 403; HÖFLER, Studien zur gegenwärtigen Philosophie der Mechanik, Veröffentlichungen der Philosophischen Gesellschaft Wien, Bd. 3b. 37) vgl. CARL STUMPF, Tonpsychologie I, Seite 35. 38) Eine solche etymologische Erklärung z. B. STADLER, Logik, Seite 20. Über die verschiedenen Bedeutungen des Wortes "Beschreiben" vgl. GRIMM, Deutsches Wörterbuch, wo fünf verschiedene Formen genannt sind. 39) Vgl. BENNO ERDMANN, Logik, Seite 94; SIGWART, Logik I, Seite 34. Der Unterschied zu ERDMANN, daß hier Eigenschaft und Vorgang der Kategorie des Dings zugeordnet werden, macht, da Eigenschaft und Vorgang als Bestimmungen des Dings einander koordiniert sind, für unsere Frage nichts aus. 40) vgl. SIGWART, Logik II, § 93. 41) HELMHOLTZ, Posth. Mechanik, § 5, Seite 10. Vgl. auch Vorträge und Reden I, Seite 375 und öfter. 42) Vgl. WILHELM WUNDT, Logik II, Seite 366 43) vgl. SIGWART, Logik II, Seite 117f, 137f. 44) Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes, § 36. Vgl. auch Logica. 45) WOLFF, a. a. O., § 37. 46) Topik I, 5 47) Liber de Diffinitione, Paris 1891, Seite 901 48) Summulae Logicales, 1610, Seite 269 49) Dialectica, 1569, Seite 232, Kapitel 30. 50) Institutiones, 1640, Buch II, Kap. 2 und 3 51) II, 12: Definition de choses 52) Logik, II. Teil, drittes Kapitel. Von den Definitionen § 470: ... Ich verstehe nämlich durch eine Definition einen solchen abstrakten Begriff, welcher hinlänglich ist, das dadurch bezeichnete Objekt von allen anderen unterscheiden zu können ... Wenn man hingegen von einem Ding zwar etliche Prädikate denkt, welche man abstrahiert und deutlich unterscheidet, jedoch so, daß sie noch nicht hinreichen, das Ding von allen anderen zu unterscheiden, so nennt man es eine Deskription. Man hat dabei entweder den Zweck, nur so viel anzugeben als nötig ist, daß das Ding in einem gewissen vorhabenden Fall von anderen Dingen gewiß oder wahrscheinlich soll unterschieden werden können, ... oder man hat den Zweck, die Idee von einem Ding durch Angebung mehrerer Prädikate lebhafter und wirksamer zu machen. 53) Vernunftlehre. § 105: Eine Erklärung (definitio) ist nämlich ein ausführlich deutlicher Begriff von einem Ding: folglich soll dieselbe solche Merkmale in sich halten, welche zureichen, ein Ding zu allen Zeiten zu kennen und von allen anderen zu unterscheiden. - - - § 106: Zufällige Beschaffenheiten eines Dings gehören nicht in dessen Erklärung, weil das Zufällige da sein und auch nicht da sein kann ... Die zufällige Beschaffenheit eines Dings kann also nur zufälligerweise und unter gewissen Umständen zureichen, ein Ding zu kennen und von anderen zu unterscheiden. Meinen Magneten kann ich dem Dienstmädchen bezeichnen, daß er in meiner zweiten Bücherkammer, zur Rechten am Fenster, an einem Band hängt ... Aber das ist eine Beschreibung und keine rechte Erklärung. 54) Logik, 1. Buch, 8. Kap., § 4 (deutsch von SCHIEL, 1877, Seite 170. 55) Logik, Seite 138 56) Logik, Seite 209 57) Logik II, Seite 45 58) Logik I, Seite 171. 59) Logik, Seite 475, 495. 60) Logik, Seite 475 61) Logik I, Seite 395 62) Logica § 223, 270, 334 (zitiert nach ERDMANN, Logik, Seite 475). 63) Vgl. WUNDT, Logik I, Seite 177 64) Logik, Seite 276. Vgl. auch WUNDT, Über den naiven und kritischen Realismus, Philosophische Studien, Bd. XIII, Seite 100. 65) vgl. MACH, PETZOLDT, SIGWART, LOTZE usw. Vgl. auch MILL, Logik I, Seite 381. |