Conrad-MartiusPlanckNatorpNachtragErwiderung | |||||
Über Ernst Machs und Heinrich Hertz' prinzipielle Auffassung der Physik
MACHs philosophische Ansichten sind erst vor kurzem in diesen Blättern Gegenstand einer Besprechung gewesen, HERTZ' grundlegendes Werk über die Prinzipien der Mechanik erfuhr eine solche durch COHEN in der Einleitung zur 5. Auflage zu LANGEs Geschichte des Materialismus. Beide Physiker haben wenigstens im Prinzip dieselbe Grundanschauung über das Wesen der physikalischen Wissenschaft; das sagt HERTZ selbst, das wird jeder bestätigt finden, der zum mindensten HERTZ' Einleitung in die Mechanik und MACHs "Prinzipien der Mechanik, historisch-kritisch entwickelt" gelesen hat. Die Beurteilung, welche beide Physiker von Seiten obengenannter Kritiker erfahren haben, ist indessen keineswegs eine übereinstimmende und in der Tat ist sowohl HERTZ von COHEN, als MACH von BAUMANN mißverstanden worden. Allerdings hat MACH keine systematische Darstellung seiner Ansichten gegeben und HERTZ war es nicht mehr vergönnt, die Drucklegung seines Werkes zu erleben, woraus sich wohl manche Schwierigkeiten der Vergleichung ergeben; im Großen und Ganzen kann man aber ruhig behaupten, daß die Ansichten beider Physiker miteinander gut harmonieren, sich zum Teil gegenseitig ergänzen und andererseits in prinzipieller Hinsicht sowohl von den herkömmlichen Ansichten in der Physik, als auch in der Philosophie grundverschieden sind, sodaß sie allerdings ein vorurteilsfreies Entgegenkommen erfordern. Die um die Mitte dieses Jahrhunderts in der Physik allgemein übliche Anschauungsweise, an die sich noch heute ein großer Teil des physikalischen Publikums hält, wird am besten durch die Wiedergabe der Worte von HELMHOLTZ aus seiner berühmten Abhandlung "Über die Erhaltung der Kraft" charakterisiert. Es heißt dort:
"Also näher bestimmt: Die Naturerscheinungen sollen rückgeführt werden auf Bewegungen von Materien mit unveränderlichen Bewegungskräften, welche nur von den räumlichen Verhältnissen abhängig sind." "Bewegung ist Änderung der räumlichen Verhältnisse. Räumliche Verhältnisse sind nur möglich gegen abgegrenzte Raumgrößen, nicht gegen den unterschiedslosen leeren Raum. Bewegung kann deshalb in der Erfahrung nur vorkommen als Änderung der räumlichen Verhältnisse wenigstens zweier materieller Körper gegeneinander, Bewegungskraft als ihre Ursache also auch immer nur erschlossen werden für das Verhältnis mindestens zweier Körper gegeneinander, sie ist also zu definieren als das Bestreben zweier Massen, ihre gegenseitige Lage zu wechseln. Die Kraft aber, welche zwei ganze Massen gegeneinander ausüben, muß aufgelöst werden in die Kräfte all ihrer Teile gegeneinander; die Mechanik geht deshalb zurück auf die Kräfte der materiellen Punkte d. h. der Punkte des mit Materie gefüllten Raums. Punkte haben aber keine räumliche Beziehung gegeneinander als ihre Entfernung, denn die Richtung ihrer Verbindungslinie kann nur im Verhältnis gegen mindestens noch zwei andere Punkte bestimmt werden. Eine Bewegungskraft, welche sie gegeneinander ausüben, kann deshalb auch nur Ursache zur Änderung ihrer Entfernung sein d. h. eine anziehende oder abstoßende. Dies folgt auch sogleich aus dem Satz vom zureichenden Grund. Die Kräfte, welche zwei Massen gegeneinander ausüben, müssen notwendig ihrer Größe und Richtung nach bestimmt sein, sobald die Lage der Massen vollständig gegeben ist. Durch zwei Punkte ist aber nur eine einzige Richtung vollständig gegeben, nämlich die ihrer Verbindungslinie; folglich müssen die Kräfte, welche sie gegeneinander ausüben, nach dieser Linie gerichtet sein und ihre Intensität kann nur von der Entfernung abhängen." "Es bestimmt sich also endlich die Aufgabe der physikalischen Naturwissenschaften dahin, die Naturerscheinungen zurückzuführen auf unveränderliche, anziehende und abstoßende Kräfte, deren Intensität von der Entfernung abhängt. Die Lösbarkeit dieser Aufgabe ist zugleich die Bedingung der vollständigen Begreiflichkeit der Natur." "... Ihr Geschäft wird vollendet sein, wenn einmal die Zurückleitung der Erscheinungen auf einfache Kräfte vollendet ist und zugleich nachgewiesen werden kann, daß die gegebene die einzig mögliche Zurückleitung sei, welche die Erscheinungen zulassen. Dann wäre dieselbe als die notwendige Begriffsform der Naturauffassung erwiesen, es würde derselben alsdann also auch objektive Wahrheit zuzuschreiben sein."
1) Es gibt Gegenstände der Außenwelt. 2) Eine Veränderung derselben ist undenkbar ohne Einwirkung einer (real gedachten) Ursache. 3) "Ursache" ist seiner ursprünglichen Wortbedeutung nach das hinter dem Wechsel der Erscheinungen unveränderlich Bleibende oder Seiende, nämlich der Stoff und das Gesetz seines Wirkens, die Kraft." 4) Es ist möglich, alle Erscheinungen aus den Ursachen logisch streng und eindeutig abzuleiten. 5) Die Erreichung dieses Zieles ist gleichbedeutend mit dem Besitz objektiver Wahrheit, deren Erlangung somit als denkbar erscheint. Diese Aufstellungen haben in ihren Konsequenzen zu einer Reihe unlösbarer Verwicklungen und Probleme geführt. Wie kann man sich z. B. die Einwirkung eines Realen auf ein zweites denken oder vorstellen, die von HELMHOLTZ als das Selbstverständlichste betrachtet; wie kann ein Ding Ursache eines zweiten sein, wei kann Kraft Ursache sein? Wie kann man oder soll man sich denn das Dasein von Kraft und Materie überhaupt denken? Es hält wohl schwer, sich hiervon eine exakte Vorstellung zu bilden und von HELMHOLTZ selbst scheint diese Schwierigkeit gefühlt zu haben, indem er bei Besprechung dieser Frage Redewendungen gebraucht, die einigermaßen an die rein begriffliche Auffassung dieser Worte von Seiten MACHs erinnert, hingegen wieder mit anderen Äußereungen von HELMHOLTZ' in Widerspruch stehen. Und dann: wer fühlt sich befriedigt durch die Zurückführung der Erscheinungen auf konstante Fernkräfte? Erscheint uns die Lösung dieser Aufgabe - gesetzt den Fall, sie wäre gelungen - wirklich als eine Erklärung der Natur? Gewiß wird ein Gefühl des Unbehagens, des Unbefriedigtseins in uns zurückbleiben. Nun, es ist nicht schwer, die Quelle desselben aufzuspüren, wenn wir uns MACHs so schöne und klare Worte vergegenwärtigen. Die falsche Auffassung der Worte Masse, Kraft etc. ist es, an der die ganze Ableitung von HELMHOLTZ' krankt. Das sind ja nur Begriffe, Gebilde unserer Phantasie, aber keine außerhalb des Denkens existierende Realitäten. Wir sind ja gar nicht imstande, so etwas zu erkennen. Aus den Beobachtungen unserer Sinne sind wir wegen ihrer Unvollständigkeit überhaupt nicht imstande, auch nur einen eindeutigen Rückschluß zu ziehen. Niemals können wir behaupten, daß wir z. B. durch Ablesen einer Skala eine bestimmte Zahl gewinnen, stets sind ihrer - zwischen bestimmten Grenzen - unendlich viele vorhanden, die gleich gut mit dem Tatbestand der Beobachtung übereinstimmen. Und gar etwas außer uns liegendes Reales zu erkennen - dazu fehlt uns jede Möglichkeit. Gesetzt aber den Fall, es wäre möglich und wir hätten Realitäten erkannt, dann dürften wir wieder nicht die Gesetze der Logik auf sie anwenden, die ja unsere Gesetze sind und nur auf unsere Begriffe, unsere Denkprodukte sich anwenden lassen. Zwischen Tatsachen gibt es keinen logischen Zusammenhang, sondern nur einfache Aufeinanderfolge; es sind da keine apodiktischen [logisch zwingenden, demonstrierbaren - wp] Urteile denkbar. Es ist also falsch, zu sagen, daß eine Tatsache die Ursache einer anderen ist und damit fällt die ganze auf diesem Begriff aufgebaute Deduktion von von HELMHOLTZ. Und möglich ist schließlich die Erreichung einer objektiven, d. h. unabhängig von jedem Subjekt bestehenden Wahrheit, nicht allein wegen der Beschaffenheit unserer Sinne, sondern weil wir als Menschen überhaupt niemals eine Ahnung davon erhalten können, was ganz unabhängig von uns existiert. Alle diese Schwierigkeiten fallen hingegen fort, wenn wir MACH folgend unter Kraft, Masse usw. eben nichts anderes verstehen, als Begriffe, Denkmittel, die wir uns selbst zu unserem Gebrauch geschaffen haben. Wir können sie so definieren, wie es uns paßt, von einer "Erforschung" ihres Wesens, von "Auffindung" von Kräften, Massen usf., etwa durch Beobachtung, kann logischerweise nicht die Rede sein. Andererseits können wir mit diesen Begriffen logisch operieren, eben weil es Begriffe sind, Schöpfungen unseres Geistes und dessen Gesetzen untertan.
"Es wird nun nicht mehr befremden, wenn ich sage: die Definition eines Begriffs, und, falls sie geläufig ist, schon der Name des Begriffs, ist ein Impuls zu einer genau bestimmten, oft komplizierten, prüfenden, vergleichenden oder konstruierenden Tätigkeit, deren meist sinnliches Ergebnis ein Glied des Begriffsumfangs ist. ... Der Begriff ist für den Naturforscher, was die Note für den Klavierspieler ... Wohlgeübte Tätigkeiten, die sich aus der Notwendigkeit der Vergleichung und Darstellung der Tatsachen durcheinander ergeben haben, sind also der Kern der Begriffe." Ebenso wird es jetzt klar, wieso ein Ding mehrere Eigenschaften besitzen kann und die Frage nach der Möglichkeit der Inhärenz [die Möglichkeit eines Dings mit Eigenschaften - wp] entfällt. "Ding" ist nämlich stets ein Begriff. Überhaupt kann man von den meisten "Problemen" dieser Art sagen, daß die Schwierigkeit im Denken durch eine reale Auffassung des Begriffes hervorgerufen wird und somit verschwindet, sobald diese vermieden wird. Das Sophisma von der Unmöglichkeit der Veränderung gehört z. B. auch hierher. Früher hieß es: "Ein Reales kann sich nicht verändern" oder aber " das Reale bestehe gerade in der Veränderung"; jetzt müssen wir sagen: Der menschliche Geist kann Begriffe denken, die in dem Festhalten eines Unveränderlichen bestehen: Substanzbegriffe, aber auch solche, die eine Veränderung ausdrücken: Zahl- und Verbalbegriffe. Mit diesen Begriffen operieren wir nach den Regeln der Logik und Mathematik; die Logik ist die Wissenschaft des Substanz-, die Mathematik des Zahlbegriffes. Es konnte demnach MACH die naturwissenschaftliche Tätigkeit vergleichen mit der theatralischen; auf unserer Gedankenbühne führen wir durch unsere Begriffe, d. h. durch eine bestimmte Aufeinanderfolge bestimmter Geistestätigkeiten ein Drama auf, das möglichst analog ist jenem, das in unmittelbarem Anschluß an die Tätigkeit unserer Sinne sich in uns abspielt. "Die Mitteilung ist im wesentlichen eine Anweisung zur Nachbildung der Tatsachen in Gedanken." So weit geht MACH unzweifelhaft in seinen Äußerungen über das Wesen der Begriffe, d. h. der Bausteine, aus denen unsere wissenschaftlichen Systeme sich aufbauen. HERTZ bekundet dieselbe subjektivistische Auffassung vom Wesen unserer Begriffe, geht jedoch noch ein wenig weiter ein auf die Beschreibung ihrer Eigenschaften. In wahrhaft klassischer Weise charakterisiert er das Wesen der Physik mit den Worten:
Und HERTZ selbst erklärt sich noch bestimmter: "Die Bilder, von denen wir reden, sind unsere Vorstellungen von den Dingen; sie haben mit den Dingen die eine wesentliche Übereinstimmung, welche in der Erfüllung der genannten Forderung liegt, aber es ist für ihren Zweck nicht nötig, daß sie irgendeine weitere Übereinstimmung mit den Dingen haben. In der Tat wissen wir auch nicht und haben auch kein Mittel, zu erfahren, ob unsere Vorstellung von den Dingen mit jenen in irgendetwas anderem übereinstimmen als allein in eben jener einen fundamentalen Beziehung." "Können wir das Wesen irgendeines Dinges durch unsere Vorstellungen, durch unsere Worte erschöpfend wiedergeben? Gewiss nicht." Hier zeigt sich also dieselbe Auffassung vom Wesen des Begriffes, wie bei MACH und man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man sie auf seinen Einfluß zurückführt; sagt ja doch HERTZ selbst von sich: "In allgemeiner Hinsicht verdanke ich sehr viel dem schönen Buche über die Entwicklung der Mechanik von Mach." HERTZ geht nun aber einen Schritt weiter ein auf die Beschreibung der Beschaffenheit unserer Bilder, indem er deren notwendige Eigenschaften aufzählt. Zuvor sagt er noch, im schroffen Gegensatz zu der ihm von COHEN beigelegten Ansicht:
Gewisse Eigenschaften müssen indessen alle Bilder haben. Als solche notwendige Eigenschaften zählt HERTZ drei auf: Die Bilder müssen 1) logisch zulässig sein, d. h. sie "dürfen keinen Widerspruch gegen Gesetze unseres Denkens in sich tragen; 2) sie müssen richtig sein, d. h. ihre wesentlichen Beziehungen dürfen nicht den Beziehungen der äußeren Dinge widersprechen", sie müssen "jener ersten Grundforderung" Genüge leisten; 3) müssen die Bilder zweckmäßig sein. Es heißt dann weiter wörtlich:
Auch MACH hat sich in ähnlichem Sinne, wenn auch nicht so bestimmt wie HERTZ, ausgesprochen. Gemeinsam ist somit beiden Männern die Auffassung der physikalischen Begriffe als Erzeugnisse unseres Geistes; beide erkennen an, daß die Tätigkeit desselben keine eindeutig bestimmte ist. "Verschiedene Bilder derselben Gegenstände sind möglich." Deshalb ist es falsch, aus dem subjektiven Ursprung eines Begriffes auf seine unbedingte, notwendige und allgemeine Gültigkeit zu schließen. Die Sätze der Physik stammen alle aus der Tätigkeit des Subjektes, deswegen braucht aber nicht ein einziger richtig zu sein. Haben sich MACH und HERTZ nach der idealistischen Seite hin das Verdienst erworben zu betonen, daß alle unsere Begriffe und deren Verknüpfung - nicht bloß einige - subjektiven Ursprungs sind, so haben sie sich nach der empiristischen Seite hin das nicht geringe Verdienst erworben, zu erkennen, daß es die Erfahrung ist, die über die Richtigkeit derselben als eine vom Denken ganz unabhängige Instanz zu entscheiden hat. Es gibt keinen einzigen noch so allgemeinen Satz in der Physik, der nicht durch Erfahrung bekräftigt oder widerlegt werden könnte; es gibt keinen, der ohne Erfahrung bestehen könnte. MACH entwickelt diese Ansicht schon in seinem ersten größeren Werk erkenntnistheoretischer Richtung, der Entwicklung der Prinzipien der Mechanik. Er faßt das Resultat seiner dort geführten Untersuchungen in den Worten zusammen:
HERTZ zählt die Übereinstimmung unserer Bilder mit der Erfahrung unter den notwendigen Eigenschaften derselben auf. Damit auf ihn aber auch nicht der Schatten eines Verdachtes komme, als hielte er ohne Erfahrung gewonnene physikalische Sätze für möglich, erklärt er in ganz unzweideutiger Weise:
Wiewohl also sowohl HERTZ wie MACH den subjektiven Ursprung nicht nur einiger, sondern aller Begriffe anerkennen, geben sie doch andrerseits die volle Souveränität der Erfahrung zu, die als eine ganz unabhängige Instanz über Richtigkeit oder wenigstens über Unrichtigkeit unserer Begriffsbilder entscheidet. Eine physikalische Theorie kann z. B. mathematisch vollständig richtigt durchgearbeitet sein und doch den Tatsachen entweder gar nicht oder nur annäherungsweise entsprechen. Diese vollständige Unabhängigkeit der Erfahrung ist für viele Denker ein Stein des Anstoßes gewesen und es verlohnt sich wohl, darauf noch etwas näher einzugehen. Zunächst muß bemerkt werden, daß "Erfahrung" nicht zu verwechseln ist mit "Erfahrungswissen", denn letzteres muß natürlich eine bestimmte Form besitzen, die ihm durch unser Denkorgan gegeben wird. Unter "Erfahrung" hingegen versteht der Physiker das Eintreffen gewisser Empfindungen, in den bei weitem meisten Fällen, wie beim Ablesen einer Skala, das Eintreffen einer Lichtempfindung. Es handelt sich also darum: ist diese Empfindung von unserem Subjekt unabhängig oder nicht? Abhängig ist sie ihrer Beschaffenheit nach: wir können nur eine bestimmte Reihe von Farben wahrnehmen und was dem einen rot vorkommt, kann dem andern gelb erscheinen etc. Aber es gibt auch etwas, was vom Subjekt ganz unabhängig ist, nämlich das Eintreffen oder Nichteintreffen der Empfindung und gerade darauf allein kommt es dem Physiker an. Ob eine Farbe rot oder gelbst ist, wird nicht durch die Qualität der Empfindung, sondern durch die Bestimmung der Wellenlänge entschieden und dieser Vorgang läuft schließlich darauf hinaus zu entscheiden, ob das Gesichtsfeld eines Fernrohres hell oder dunkel zeigt. Alle Fragen, welche der Experimentator an die Natur stellt, geschehen derart, daß die Antwort im Eintreffen oder Nichteintreffen einer Empfindung zu erfolgen hat. Und das ist etwas, was sich völlig ohne unser Zutun abspielt, worauf wir nicht den geringsten Einfluß zu üben imstande sind. Es hatte bereits HUME diesen charakteristischen Unterschied gewisser "Vorstellungen", wie er sich ausdrückt, herausgefühlt; seine Leugnung der Willensfreiheit hatte ihn jedoch nicht den wahren Unterscheidungsgrund finden lassen, der eben nicht in einer bloß graduellen Verschiedenheit einer und derselben Eigenschaft bestehen kann, sondern dadurch gegeben ist, daß zwar das Eintreten der einen Art von Vorstellung nach Belieben erfolgen kann, aber nicht das der anderen Art. Jeder Begriff, jede reproduzierte, eingebildete Vorstellung kann nach unserem Belieben ins Bewußtsein gerufen oder aus demselben abkommandiert werden (was natürlich nicht ausschließt, daß auch ohne einen Willensakt derartige Vorstellungen sich einfinden können). Bei einem "Eindruck" ist dies nicht möglich, wir können nicht eine Hand ins Feuer halten und dabei die Vorstellung "kalt" haben und so lange dies der Fall ist, müssen wir an die Existenz einer Außenwelt glauben, d. h. die Annahme einer solchen ist eine notwendige Hypothese, um gewisse Erscheinungen unseres Seelenlebens begreiflich zu finden, die ohne Annahme einer solchen uns ganz unerklärlich wären. Es mag dabei bemerkt werden, daß auch der menschliche Körper zur Außenwelt zählt und daher eventuell physiologische Prozesse in demselben Zwangsvorstellungen hervorrufen können. Zusammenfassende können wir nun sagen: MACH wie HERTZ gehen von der Tatsache aus, daß die physikalische Wissenschaft gerade so wie irgendeine andere reine Schöpfung des menschlichen Geistes ist, d. h. daß sie aus reinen Denkelementen aufgebaut ist, ohne Beimischung irgendwelcher dem Denken fremder Bestandteile. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß das Denken als solches eine physikalische Wissenschaft - oder einen Teil derselben - von unbedingter und alleiniger Gültigkeit schaffen könne. Einmal arbeitet der menschliche Organismus nicht so wie eine (unorganische) Maschine in eindeutiger Weise; es sind vielmehr "mehrere Bilder derselben Gegenstände möglich" (HERTZ); zweitens aber unterliegen unsere Bilder noch der Prüfung einer zweiten Behörde, die von der ersten ganz unabhängig ist, nämlich der Erfahrung. Allerdings ist diese zweite Instanz nur eine unvollkommene, sie lehrt uns niemals, daß ein Bild richtig ist, sie kann uns nur mit Bestimmtheit sagen, daß es falsch ist. Aus dieser Unabhängigkeit der beiden Instanzen voneinander erklärt sich der in der Physik übliche Dualismus zwischen Experimental und theoretischer Physik, welche gewöhnlich zwei fast völlig getrennte Arbeitsgebiete darstellen. Am prägnantesten ist diese Zweiteilugn der Physik aber zum Ausdruck gebracht worden durch HERTZ selbst, indem er sein Werk über die Prinzipien der Mechanik in zwei Bücher schied: das erste enthält begriffliche Konstruktion ohne irgendeine Berufung auf Erfahrung, das zweite vergleicht dieselbe mit der Erfahrung und benützt das konstruierte Bild dazu, um "die erfahrungsmäßigen Zusammenhänge zwischen Gegenständen der äußeren Beobachtung" darzustellen. Dies geht so weit, daß ein und dieselben Worte, wie z. B. Raum und Zeit bei HERTZ eine doppelte Bedeutung erhalten: "Die Zeit des ersten Buches ist der Raum der Vorstellung". Ob uns diese Vorstellung angeboren ist, etwa im Sinne KANTs, darüber spricht sich HERTZ nicht aus, das läßt er dahingestellt; genug an dem, daß sie ein Besitz des Subjektes ist. "Es ist gleichgültig für uns, ob man diese Eigenschaften ansieht als gegeben durch die Gesetze der inneren Anschauung oder als denknotwendige Folgen willkürlicher Definitionen." Nachdem uns jedoch die absolute Geometrie lehrt, daß mehrere Räume denkbar sind, muß diese Frage zugunsten der zweiten Annahme beantwortet werden. Hingegen heißt es dann am Anfang des zweiten Buches: "In diesem zweiten Buch werden wir unter Zeiten, Räumen, Maßen Zeichen für Gegenstände der äußeren Erfahrung verstehen, deren Eigenschaften übrigens den Eigenschaften nicht widersprechen, welche wir vorher den gleich benannten Größen als Folgen unserer inneren Anschauung oder durch Definition beigelegt hatten." Eigentlich lassen sich drei Stufen der physikalischen Forschung unterscheiden: die erste hat es mit der Wahl und Konstruktion der Grundbegriffe zu tun, die zweite entwickelt die logisch-mathematischen Konsequenzen der gewählten Begriffe, die dritte vergleicht sie mit der Erfahrung. Die erste Leistung ist die originellste, sie kann mit der Tätigkeit eines Künstlers in Parallele gesetzt werden, die zweite ist die gewöhnliche Arbeit des mathematischen, die dritte die des Experimentalphysikers. Es möge in Kürze noch darauf verwiesen werden, wie diese Anschauungsweise vom Wesen der physikalischen Wissenschaft entstanden ist und was sie zu bieten vermag in physikalischer wie in philosophischer Beziehung. MACH knüpfte wohl an KANT an, indem er mit seiner ersten größeren Arbeit erkenntnistheoretischer Richtung, der "Entwicklung der Prinzipien der Mechanik", eine Kantische These bekämpfte und widerlegte, nämlich die Lehre vom Vorhandensein einer apriorischen Wissenschaft. Hier findet sich bereits die korrekte Anschauung vom Wesen des Begriffs, die später allgemeiner ausdrücklich ausgesprochen wurde und die hier an einzelnen Beispielen zur Verwendung gekommen war. MACH kam zu seinen Resultaten, indem er das historische Wachstum der Wissenschaft psychologisch untersuchte; er ist derjenige Forscher, der am meisten sein Augenmerk auf die philosophische Seite des Gegenstandes gerichtet hatte; der Einzige vielleicht, dem diese als Selbstzweck erschien. Alle anderen Forscher betrachteten Fragen allgemeiner Natur eigentlich nur als Mittel zum Zweck; so vor allem KIRCHHOFF, der in der möglichsten Zurückdrängung derartiger Erörterungen so weit ging, daß er darob vielfach unverstanden blieb oder auch direkt mißverstanden wurde. Und doch könnte man KIRCHHOFF eine von der obigen abweichende Anschauungsweise der Physik schwerlich nachweisen. Wo er sich über derlei Fragen überhaupt ausgelassen hat, tat er dies in demselben Sinn wie HERTZ oder MACH. Man betrachte nur seine Definition der Mechanik und seine Entwicklung des Kraftbegriffes. Man hat gegen ihn die merkwürdige Anklage erhoben, als hätte er den Kraftbegriff aus der Physik eliminieren wollen und habe ihn dann durch Hintertüren wieder sich einschleichen lassen. Es wäre wirklich interessant zu erfahren, als welcher Stelle auf eine derartige Absicht gefolgert worden ist. Ganz im Gegenteil ist ja die KIRCHHOFFsche Mechanik geradezu auf den Kraftbegriff aufgebaut, der Begriff der Energie ist z. B. mehr, als er es verdienen dürftef, in den Hintergrund gedrängt. Allein dagegen hat sich KIRCHHOFF auf das entschiedenste verwahrt, daß man die Kraft definiere als Ursache der Bewegung. Daß Ursachen nicht existieren, daß zwischen Tatsachen kein anderes Verhältnis bestehen kann, als das der bloßen zeitlichen Aufeinanderfolge, daß es Aufgabe der Wissenschaft ist, einfach die Tatsachen in dieser zeitlichen Aufeinanderfolge zu beschreiben, daß die Begriffe der Physik nur Mittel sind, die Tatsachen zu beschreiben, daß sie als Schöpfungen unserer Phantasie nach Belieben von uns abgeändert werden können, um diesen Zweck aufs beste zu erfüllen, das alles war schon KIRCHHOFF recht geläufig. Und deshalb kennt KIRCHHOFF den Kraftbegriff nur in der Form einer bei der Betrachtung der Bewegung sich uns aufdrängenden Konstante. Die Erfahrung lehrt, daß bei einer großen Zahl von Bewegungen der zweite Differentialquotient des Weges nach der Zeit ein Konstante ist, diese nannte KIRCHHOFF "beschleunigende Kraft". Später stellte es sich heraus, daß bei einer großen Anzahl von Bewegungen der zweite Differentialquotient nach der Zeit nicht mehr die Eigenschaft der Konstanz besitzt, daß hingegen dieselbe einem neuen Begriff zukomme, der aus dem ersteren durch multiplikative Verbindung mit einer zweiten Konstanten, der "Masse" entsteht. Der neugebildete Begriff heißt "bewegende Kraft" oder kurzweg "Kraft". Aber auch seine Konstanz ist durchaus keine allgemeine. Es gibt Fälle, wo "Kraft" verloren geht, wie beim Stoß unelastischer Körper und man gelangt so zu einem noch konstanteren Begriff, dem der Energie. Der Kraftbegriff KIRCHHOFFs ist also ein Substanzbegriff. Deshalb "existiert" aber "Kraft" ebensowenig wie "Substanz" oder "Energie" oder "Masse". Das alles sind vielmehr nur von uns ersonnene Hilfsmittel, um Tatsachen zu beschreiben. HERTZ zitiert MACHs Werk als eine der Hauptquellen des seinigen. Wirklich auf seine mechanischen Arbeiten geführt wurde er indessen durch Verfolgung seiner elektrischen Untersuchungen. Hier wurde es ihm klar, daß ein tieferes Eindringen auf diesem Gebiet nicht möglich ist, ohne zuvor auf dem mechanischen völlige Klarheit geschaffen zu haben. "So ist z. B. der Versuch verfrüht, die Bewegungsgleichungen es Äthers auf die Gesetze der Mechanik zurückführen zu wollen, solange man sich nicht eindeutig darüber verständigt hat, was man mit diesem Namen bezeichnen will." So steht es im Vorwort zu den "Prinzipien" und am Schluß seines berühmten Heidelberger Vortrages heißt es:
Man sieht an dieser Geschichte des Problems der Materie, welche Bedeutung die HERTZsche Auffassung für die Wissenschaft der Physik selbst besitzt und wie dieselbe andererseits wieder direkt aus einem praktischen Bedürfnis herausgewachsen ist. Es ist mir nicht bekannt, daß HERTZ philosophische Studien als Selbstzweck betrieben hätte; als sich ihm jedoch auf seinem Forschungsgebiet Hindernisse philosophischer Natur in den Weg stellten, räumte er sie hinweg und machte die Bahn frei für die Arbeit des mathematischen Physikers, die nun ungehindert stattfinden kann und sich auch tatsächlich in der von HERTZ vorgezeichneten Richtung zu entwickeln beginnt. (3) HERTZ und MACHs Leistung ist aber auch für die Philosophie von grundlegender Bedeutung. Jahrtausende alte Probleme erhalten eine überraschend einfache und klare Erledigung. Es ist bereits oben darauf verwiesen worden, wie es durch die dargelegte Auffassung vom Wesen des Begriffes ermöglicht wird, sich ein "Ding mit mehreren Eigenschaften" widerspruchsfrei zu denken. Das "Kausalproblem" klärt sich in ebenso einfacher Weise auf. Zwischen Tatsachen ist ein Kausalverhältnis undenkbar, denkbar ist es nur zwischen den Begriffen, die wir uns von den Tatsachen machen. Die Grundlage der Begriffsbildungen bilden aber die Substanzbegriffe. Mit Substantiven bezeichnen wir "Dinge", die sich durch eine bestimmte Zeit hindurch konstant erhalten. Tritt nun aber an denselben eine Veränderung ein, so würde der von uns gebildete Substanzbegriff aufhören, richtig zu sein; wir haben also die Wahl, ihn zu verwerfen oder, wenn wir ihn doch aufrechterhalten wollen, einen neuen Begriff zu konstruieren, durch dessen Hinzutreten eine logische Erklärung der Veränderung möglich wird. So gebrauchen wir z. B. das Wort "Stein" als ein "Gedankensymbol für einen Komplex von relativer Stabilität". Diese Stabilität ist aber keineswegs eine absolute, "es gibt in der Natur kein unveränderlich Ding". Wir bemerken tatsächlich gewisse Veränderungen am "Stein", z. B. ändert sich die Wärmeempfindung, welche derselbe bei Berührung hervorruft; es wird infolge dessen der ursprüngliche Begriff "Stein" korrigiert durch Adjungierung [Zuordnung - wp] eines Zahlbegriffs, der diese Veränderung wiedergibt - des Temperaturbegriffes. Dieser neue Begriff hängt mit dem alten derart zusammen, daß zu jeder bestimmten Zeit ein bestimmter Wert der unveränderlichen Größe zugeordnet ist. Dazu ist es notwendig, daß eine Regel da ist, nach der diese Verknüpfung stattzufinden hat. Diese Regel würde z. B. nicht stattfinden und die ganze Begriffskombination hätte infolgedessen keinen Sinn, wenn die Temperatur des Steins sich - scheinbar willkürlich - nach einem uns unbekannten Gesetz ändern würde. Dann ständen wir einem "Rätsel" gegenüber; unsere Begriffsbildung müßte fallen gelassen werden. Sie kann nur dann als richtig beibehalten werden, wenn wir jedesmal einen entsprechenden "Grund" für die Änderun der Temperatur angeben können. So gelangen wir zu dem Schluß "die Sonne erwärmt den Stein". Dieser Satz ist durchaus nicht apodiktischer Gewißheit, er kann auch falsch sein. Wir schließen nur deshalb so, um unser Bild widerspruchsfrei zu gestalten, ob aber das ganze begriffliche Bild überhaupt richtig ist, das ist eine andere Frage. Wir kommen auf diese Weise zu einer physikalischen Theorie, die aus einer logisch zusammenhängenden Kette von Begriffen besteht. Allein diese Theorie kann sicht stets nur auf die Vergangenheit beziehen, wie kommen wir zu einem Schluß auf die Zukunft, d. h. mit welchem Recht kann die Physik prophezeien? Offenbar kann sie keine einzige Tatsache wirklich mit apodiktischer Gewißheit vorausbestimmen, denn das Eintreffen einer solchen liegt jenseits der Sphäre unseres Denkens. Schließen können wir auf die Zukunft nur unter der Voraussetzung, daß unsere Bilder richtig sind. Ist dies der Fall, so ist ein streng logischer Schluß aber wirklich möglich. Diese Möglichkeit beruht auf der Beschaffenheit unseres Zeit- (und Raum-)begriffs. Raum wie Zeit werden nämlich von der Physik als vollständig gleichförmig vorausgesetzt. "Im Raum sind keine Marksteine; ein Teil des Raumes ist genau gleich jenem andern Teil, so daß wir nicht wissen können, wo wir sind. Wir befinden uns wie auf ungewellter See, ohne Sterne, ohne Kompass und Sonde, ohne Wind und Flut und können nicht sagen, in welcher Richtung wir uns bewegen." (MAXWELL) Dasselbe gilt für die Zeit und daraus erschließt MAXWELL folgenden "allgemeinen Grundsatz der Physik":
Indem uns also dieses Gesetz eine Definition "gleicher Ereignisse" gibt, läßt es uns aus unseren Bildern einen Schluß auf zukünftige Ereignisse ziehen. Nochmals möchte ich aber betonen, daß für die Natur ein Zwang, unsere Logik mitzumachen, nicht besteht, unser Schluß kann sich als richtig, kann sich aber auch als falsch erweisen. Sehr einfach erledigen sich auch alle Fragen, welche das "Sein" betreffen. Alle unsere Wissenschaften sind Begriffskombinationen, also Schöpfungen unseres Geistes, vom "Sein" ist in ihnen gar nicht die Rede. Wir haben auch kein Mittel, das "Sein" zu erkennen. Somit hat dieser Begriff gar keine Berechtigung, er ist einfach zu streichen. Zwei physische Körper können sich z. B. ganz gut berühren, sie können einen Punkt gemeinsam haben, mit demselben Rechte als es bei zwei geometrischen Gebilden der Fall sein kann; es herrscht diesbezüglich zwischen geometrischen und physischen Körpern kein Unterschied, der eine ist so gut ein Begriff, eine Schöpfung unserer Phantasie, wie der andere. Überhaupt "existieren" die Begriffe der Mathematik gerade so, wie die der konkreten Wissenschaften. Ob ein Begriff möglich ist oder nicht, hängt nur davon ab, ob unser Geist imstande ist, denselben zu konstruieren. So ist zum Beispiel der Begriff einer unendlichen Reihe, eines Integrals, einer irrationalen Zahl möglich, denn er läßt sich eindeutig definieren, derart, daß Operationen mit ihm möglich sind. So sind auch mehrere Raumbegriff möglich usw. Eine andere Frage ist allerdings die, ob alle diese möglichen Begriffe auch brauchbar und zweckmäßig sind, d. h. ob sie geeignet sind, uns ein Bild des Weltganzen und seines Laufes zu geben. Darüber kann nur die Erfahrung entscheiden. Der Ausgleich zwischen Rationalismus und Empirismus erfolgt also derart, daß ersterem vollständig die Konstruktion der Begriffe, letzterem ebenso uneingeschränkt die Entscheidung über ihre Richtigkeit anheimfällt. Die konstruktive Tätigkeit des Denkens ist zur Entstehung eines naturwissenschaftlichen Systems daher zwar notwendig, aber nicht hinreichend. So weit hat sich HERTZ auf philosophische Fragen eingelassen, d. h. auf die Konsequenzen seiner Auffassung für philosophische Probleme ging er nicht ein; es war für seinen Zweck nicht nötig. MACH ging jedoch weiter auf die Untersuchung des Wesen der Wissenschaft überhaupt ein. Inwiefern kann die Physik auf den Namen einer Wissenschaft Anspruch erheben? Der Kantische Rechtstitel ist hinfällig geworden; enthält sie doch, wie wir gesehen haben, keinen einzigen Satz von apodiktischer Gewißheit. Behalten wir die alte Ansicht bei, nach der "Wissenschaft" ein Inventarium der "ewig wahren" Gesetze ist, dann ist die Physik keine Wissenschaft. Allein auch hier trifft es zu, daß der Angriff die beste Verteidigung ist. Die Physik kann fragen: Ja gibt es denn überhaupt "Wissenschaft"? Enthält etwa die Mathematik allgemeingültige Wahrheiten? Können wir einen einzigen Satz in derselben auffinden, der allgemein, d. h. von allen Menschen angenommen wird? Gewiß nicht. Die Sätze der Mathematik sind nur für jenes Subjekt gültig, das sie geschaffen, d. h. unter bestimmten, sich selbst auferlegten Beschränkungen seiner Denkfreiheit abgeleitet hat. Für dieses Subjekt haben allerdings die Sätze apodiktische Gewißheit, aber auch nur für dieses allein. Für ein zweites Subjekt ist ein derartiger Zwang nicht mehr vorhanden. Erst, wenn sich das letztere entschließt, dieselben Annahmen, wie das erste, zuzulassen, gelten für dasselbe die den Annahmen gezogenen Schlüsse. Daraus folgt, und das ist eben wichtig, daß die Sätze der Mathematik keine Gültigkeit besitzen für ein Wesen, das gar nicht denkt und ein solches ist die Natur; d. h. also die Sätze der Mathematik haben keine vom Subjekt unabhängige Geltung. Ganz so ist es auch mit der Gültigkeit der logischen Gesetze bestellt. Sie sind nichts anderes als Annahmen, die wir alle übereingekommen sind, zum machen, zu dem Zwecke um "wissenschaftlich zu denken". Die Richtigkeit der Mathematik und Logik ist also eine formale, gerade so, wie die der mathematischen Physik. Aus dem allen folgt, daß es eine objektive, d. h. über Menschen und Göttern thronende Wahrheit, wie sich die alten Griechen dieselbe vorstellten, nicht gibt. Sie ist uns Menschenkindern unerreichbar. Daraus ergibt sich, daß der Begriff der Wissenschaft, wie er seit PLATOs Zeiten bis auf den heutigen Tag sich so ziemlich unverändert erhalten hat, gar keinen Umfang besitzt, somit als völlig unbrauchbar ganz zu streichen ist. Es entsteht da die Frae, ist uns überhaupt etwas gewiß? Und sie ist keineswegs im verneinenden Sinne zu beantworten, wie es nach dem vorhergehenden scheinen möchte. Niemand von uns fühlt zum Beispiel ein Bedürfnis, seine Existenz bewiesen zu sehen; das ist jedem unmittelbar gewiß. (4) Es ist aber auch jedem einzelnen Individuum ganz gewiß, daß es in einem bestimmten Moment eine gewisse Empfindung besitzt. Wir wissen aber auch aus Erfahrung, daß der Besitz dieser Empfindung nicht von unserer Willkür abhängig ist. Wir wissen also, daß es Tatsachen gibt. Wollen wir uns von der Richtigkeit einer Wissenschaft des Tatsächlichen überzeugen, so bleibt nichts anderes übrig, als dieselbe durch Vergleichung mit den direkten Empfindungen zu prüfen. Die Wissenschaft muß also zunächst so konstruiert werden, daß sie diese Probe jederzeit zuläßt. Ist dies der Fall und findet ein Subjekt, daß die Theorie in der Tat sich durch derartige ganz willkürlich gewählte Vergleiche bestätigen läßt, so entsteht in ihm die subjektive Überzeugung von der Richtigkeit derselben. Dies ist ein Ziel, das sich erreichen läßt; damit ist jedoch das Wesen der Wissenschaft noch nicht erschöpft. Es ist in ihrem Begriff noch ein sehr wichtiges Merkmal enthalten, das sie eigentlich erst so recht charakterisiert, indem es die Richtung bestimmt, in der die Entwicklung einer Wissenschaft zu erfolgen hat. Wir können nämlich aus physischen Gründen von der Methode der Vergleichung der Theorie mit der direkten Erfahrung nur in sehr sparsamer Weise Gebrauch machen, wir müssen deshalb trachten, unser Wissenschaftssystem derart einzurichten, daß diese Notwendigkeit so selten als möglich an uns herantritt. Deshalb stellen wir an unsere Wissenschaft (und nicht an die Natur, wie HERTZ treffend hervorhebt), die Forderung der Einfachheit; denn je einfacher der Ausdruck eines wissenschaftlichen System ist, desto leichter läßt sich dasselbe auf seine Richtigkeit prüfen. Dann aber besteht die Leistung der Wissenschaft darin, daß sie direkte Erfahrung ersetzt. Das Brechungsgesetz des Lichtes steht z. B. an der Stelle zahlloser Einzelbeobachtungen. Wir sind aber stets in der Lage, nach unserem Belieben eine Prüfung, eine Stichprobe vorzunehmen. Ein Hauptwert liegt auch darin, daß das Gesetz eine einfache Mitteilung von Tatsachen erlaubt. Bedenken wir nun, daß wirkliches Wissen nur unsere direkten Erfahrungen enthalten, so müssen wir zu dem Schluß kommen, daß es zwar nicht Sache der Wissenschaft ist, Wissen zu enthalten, wohl aber jedem einzelnen von uns zur Erreichung eines solchen behilflich zu sein. Damit sinkt die Wissenschaft allerdings von der unnahbaren Höhe des klassischen Altertums, wo sie über Menschen und Göttern thronte, herab zu einer Dienerin, einem Werkzeug des Menschen. Es ist dem Einzelnen nicht möglich, sich durch direkte Erfahrung all sein Wissen zu verschaffen, er sieht sich genötigt, "ökonomisch geordnete Erfahrung" anderer zu Hilfe zu ziehen. Allerdings ist diese nicht direkt übertragbar; jeder einzelne muß sich vor allem von der Übereinstimmung der Grundannahmen des fremden Subjekts mit dem seinigen überzeugen. Ist dies jedoch geschehen, dann gelten für ihn alle Konsequenzen, die der erstere gezogen hat. Jedes wissenschaftliche System besteht ja aus einer Reihe von Annahmen und daraus gezogenen Konsequenzen. Nur die letzteren sind beweisbar, von der Richtigkeit der ersteren muß sich jeder persönlich überzeugen. Hingegen wird er der Mühe enthoben, sich auch von der Richtigkeit der letzteren überzeugen zu müssen; der Zweck, den die Wissenschaft verfolgt, ist somit ein ökonomischer. Das Prinzip der Ökonomie der Wissenschaft ist somit, weit entfernt, wie BAUMANN wähnt, ein lediglich praktisches zu sein, vielmehr von hochtheoretischer Bedeutung, es enthält die Definition der Wissenschaft. Dadurch daß MACH zwischen Wissen und Wissenschaft scharf unterscheidet und die letztere als ein Mittel betrachtet zum ersteren zu gelangen, glückte es ihm, eine ganz neue Definition von "Wissenschaft" aufzustellen, die ganz wesentlich von allen früheren Begriffsbestimmungen abweicht und vor ihnen eben den Umstand voraus hat, daß sie unserem Streben ein erreichbares Ziel setzt. Von beiden Forschern, MACH und HERTZ, kann man aber sagen, daß sie uns über die faktische Bedeutung unserer Begriffszeichen aufgeklärt haben und uns so die Tragweite der Wissenschaft überhaupt erkennen ließen.
1) ERNST MACH, Prinzipien der Mechanik 2) Rede MACHs auf dem Wiener Naturforschertag 1894, "Über das Prinzip der Vergleichung in der Physik". 3) Man vergl. BOLTZMANN "Die Principe der Mechanik" und die Diskussion über Energetik in Annalen für Physik und Chemie, 1896 4) Allerdings darf dabei nicht an ein "Existieren" im Sinne DESCARTES' gedacht werden. |