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(1679 -1754) Vernünftige Gedanken von den Kräften des menschlichen Verstandes [1/2]
Vorrede Geneigter Leser Halle, den 18. Oktober 1712 Erinnerung wegen der andern Auflage Man hat erst für nützlich gefunden mehrere Exempel aus allen Arten der Wissenschaften zur Erläuterung den Regeln beizufügen, damit auch diejenigen, welche die Erklärung bei mir nicht anhöhren, sich desto leichter darin einfinden können: indem jedermann bekannt ist, daß die Exempel nicht allein dienen, die Regeln besser zu verstehen, sondern auch zeigen, wie man sie an gehörigem Orte anbringen soll. Dieses ist besonders im ersten Kapitel von den Begriffen geschehen, weil dieses eine Hauptmaterie ist, daran sehr viel gelegen ist, und die man in anderen Büchern nicht so ausgeführt antrifft. Und habe ich die Hoffnung, es werde hieraus ein jeder sehen, daß meine Regeln allgemein sind, und nicht allein in der Mathematik, sondern überall gelten, wo man nach einer gründlichen Erkenntnis strebt. Weil ich im Kapitel von den Schlüssen zeige, daß man im Erfinden sich der förmlichen Schlüsse bedienen muß, wenn man ordentlich denken und ohne Fehltritte fortgehen will; so habe ich nicht undienlich zu sein erachtet, daß es gleich hinter das Kapitel von den Sätzen kommt, vor die beiden Kapitel, darinnen gezeigt wird, wie die Sätze teils aus der Erfahrung, teils aus den Erklärungen und andern vorhin erkannten Sätzen gezogen werden. Auf solche Weise geht vorher, was in den nachfolgenden Kapiteln gebraucht wird. Das erste Kapitel von den Begriffen und das vierte von den Schlüssen sind die beiden wichtigsten. Denn wo man gründliche Erkenntnis liebt, kommt es hauptsächlich auf deutliche Begriffe und ordentliche Beweise an. Ich weiß wohl, daß es Leute gibt, die beides verwerfen. Sie verachten, was sie nicht nachtun können. Und sie tun wohl daran: weil sie nichts weiter als Ansehen bei Unverständigen suchen, das ihnen einträglicher ist, als ein wohlbegründeter Ruhm bei Verständigen: allein da bei mir die Wahrheit über alles geht; so kann ich sie wohl bei ihren fünf Sinnen lassen, werde aber nimmermehr aus interessierten Absichten von gründlicher Erkenntnis ablassen. Wer die Regeln von deutlichen Begriffen und ordentlichen Beweisen ohne Anstoß brauchen will, der muß, wie ich schon öfters erinnert habe, die Mathematik dabei studieren. So werden sie ihm klar und leicht werden, und wird ihn nicht mehr ein jeder Wind der Lehre bald hierher, bald dorthin treiben dürfen, wie wir sehen, daß denjenigen widerfährt, die ihre fünf Sinne anstatt des Verstandes brauchen wollen. Halle, den 5. März 1719 Erinnerung wegen der dritten Auflage Was in diesem kleinen Büchlein steht, habe ich jederzeit mit unter das Beste gerechnet, was ich weiß: denn ich habe den Nutzen der darin gegebenen Regeln in Untersuchung und Beurteilung der Wissenschaften, selbst der mathematischen, vielfältig erfahren, und erfahre ihn noch täglich, indem ich damit beschäftigt bin. Ich kann auch sagen, daß ich auf keine Sache mehr Zeit aufgewendet habe, als auf die Hauptmaterien, die ich in diesem Buch vorgetragen habe und welche der Grund der übrigen sind, und schließlich nach vielen Umwegen und vielfältiger Überlegung befunden und festgestellt, was ich hierin vorgebe. Gleichwie ich aber für meine Person mich um diese wichtigen Wahrheiteen von der Leitung des Verstandes in Erkenntnis der Wahrheit bloß zu dem Ende bekümmert bin, damit ich in den Stand kommen möchte, die Wahrheit gründlich und mit Gewißheit zu erkennen, und andern einen ebenen Weg zu bahnen, darauf sie sicher ohne Anstoß und Umweg zu nützlicher Erkenntnis gelangen möchten; so habe ich sie aus dieser Absicht bekannt gemacht, damit andere gleichfalls den Nutzen genießen können den ich davon überflüssig genieße. Ich erfreue mich demnach nicht wenig, daß ich aus dem häufigen Abgang dieses Büchleins und vielen von allerhand Orten erhaltenen Nachrichten erlerne, wie andere den Nutzen meiner Regeln eingesehen und sie so wert als ich zu halten beginnen. Sie werden aber auch mit so gutem Fortgang wie ich, sich derselben bedienen können, wenn sie sich in den mathematischen Demonstrationen zu üben Zeit und Gelegenheit haben, oder, im Fall daß die Umstände es nicht leiden wollen, die von mir herausgegebenen Schriften von der Weltweisheit danach mit Fleiß untersuchen. Damit sie dieses desto leichter bewerkstelligen möchten; so habe ich ihnen in dieser neuen Auflage einige Anleitung dazu geben wollen. In dieser Absicht sind die Grundregeln mit mehreren Exempeln erläutert worden, damit man sie desto besser verstehen lernt, und dabei habe ich angezeigt, wo man Materien in meinen Schriften findet, dadurch diese Regeln erläutert werden. Und dieses ist die Ursache gewesen, warum ich bei dieser dritten Auflage noch auf einige Vermehrung gedacht habe. Es ist wohl freilich nur was weniges, was hin und wieder dazu gekommen ist: allein dieses wenige ist höher zu schätzen, als das wenige Geld, was man für ein so kleines Büchlein zu geben pflegt. Die Einteilung der Kapitel und dieser in ihr Paragraphen ist völlig wie in der vorhergehenden Auflage geblieben, aus eben der Ursache, warum ich in diesem Stück keine Änderung in der neuen Auflage meiner Gedanken von GOtt, der Welt und der Seele des Menschen vorgenommen. Gleichwie ich aber gleich anfangs in dieses Büchlein nichts gebracht habe als dasjenige, was von gewissen Nutzen ist und einer die ganze Zeit seines Lebens zu behalten vonnöten hat, wenn er in Wissenschaften glücklich fortgehen will; so finde ich auch keine Ursache, warum ich jetzt meine Meinung ändern soll. Denn ungeachtet dessen, daß noch viel mehreres hätte hineingebracht werden können, das auch seinen Nutzen hat, aber nicht einem jeden so unentbehrlich ist wie dasjenige, was ich vorgetragen habe (2); so schickt es sich doch nicht zu dem gegenwärtigen Vorhaben und würde ich dadurch das Büchlein für viele unbrauchbar gemacht haben. Es wird sich künftig schon Gelegenheit geben, da ich diese Materien für die, welche in Regeln unersättlich sind, noch weiter ausführen werde und mit vielem vermehren, was für die gehört, die weiter gehen wollen, als insgemein zu geschehen pflegt. Jetzt vergnüge ich mich mit dem, was höchst nötig ist, zumal da ohnehin es in Erkenntnis der Wahrheit nicht auf viele Regeln, sondern auf oftmaligen Gebrauch weniger Regeln ankommt. Die Übung muß mehr tun als die Regeln. Wer wenige Regeln recht brauchen lernt, kann nach diesen selbst mehrere finden, wenn er sie vonnöten hat. Wer die Algebra auf eine solche Weise studiert, wie ich sie vorzutragen gewohnt bin, wird meinen Worten gleich völligen Glauben geben, und die andern werden mit der Zeit durch die Erfahrung überführt werden, daß ich die Wahrheit rede: welches ich einem jeden, der nach der Wahrheit dürstet, von Herzen wünsche. Halle, den 10. Februar 1722 Erinnerung wegen der vierten und fünften Auflage Als anno 1725 die vierte Auflage zum Vorschein kam, gaben mir die damaligen Umstände Gelegenheit an die Hand im 14. Kapitel zwei Punkte zu berühren, an welche ich in den vorhergehenden nicht gedacht hatte. Nämlich weil ich aus eigener Erfahrung lernte, daß man die liederliche Konsequenzenmacherei mit dem methodo demonstrandi per indirectum verwirrte und gleichwohl viel daran gelegen ist, daß man in Widerlegung anderer beides wohl voneinander unterscheidet so zeigte ich den Unterschied auf das deutlichste, wiewohl ich nach diesem in dem klaren Beweise Seite 107f, denselben noch handgreiflicher vor Augen legte. Ja, weil ich nicht weniger inne wurde, daß man Schutzschriften mit Streitschriften vermengte und auf jene deuten wollte, was ich von diesen in dem angeführten Kapitel geschrieben hatte; so hielt ich für ratsam, auch diesen Irrtum dem Leser zu benehmen und fügte demnach zum Beschluß desselben bei, wie man Verfolgern zu begegnen hat, welches ich nach diesem gleichfalls in dem klaren Beweis Seite 227f weiter auszuführen Gelegenheit bekam. Da man nun den Nutzen dieses Buches einsieht, daß ich zu der fünften Auflage (3) schreiten muß; so habe ich es auch noch fruchtbarer zu machen gesucht und dann nicht allein hin und wieder etwas weniges, jedoch wichtiges, eingerückt, sondern auch das ganze 16. Kapitel von neuem hinzugesetz, darin ich zeige, wie man zu einer Fertigkeit die Logik auszuüben gelangen soll. Unter dasjenige, was von neuem mit eingerückt worden ist, gehört, was ich im 1. Kapitel § 48 vom Unterschied des Wesentlichen und der Eigenschaften erinnert habe, weil es zum rechten Verstand der Erklärungen nicht wenig dient, und ich gefunden habe, daß man aus Mangel dieser Erkenntnis sich in wohl eingerichtete Erklärungen gar nicht zu finden weiß. Auch wenn man mich aber gleich in diesem Stück aus Unwissenheit sehr nachteilig angefallen hat; so habe ich es doch bloß auf eine solche Art, gleichwie auch die vorhin berührten Punkte eingerückt, daß der Leser nicht anders vermeinen kann, als wenn es gleich am Anfang wäre dabei gewesen. Denn ich bleibe bei meiner Art, daß ich für Scheltworte Unterricht erteile, und Zank und Streit, so viel mir nur immer möglich ist, zu vermeiden suche. Im übrigen ist alles geblieben, wie es vorher von der erstem Auflage an bis hierher gewesen ist: denn ich habe nichts geschrieben, was ich nicht schon dazumal, wie dieses Buch das erste mal ans Licht trat, durch eigene Erfahrung vielfältig als wahr befunden hatte. Und eben dieses erfahren alle diejenigen, welche sich dasselbe zu ihrem Führer in ihrem Studieren erwählen. Ich wünsche, daß es noch viele erfahren mögen; so wird Verstand und Tugend unter den Menschen zunehmen und ich werde das Ziel erreichen, das ich mir in meinen vielen und weitläufigen Bemühungen vorgesetzt habe. Marburg, den 5. April 1727 Vorbericht von der Weltweisheit § 1. Die Weltweisheit ist eine Wissenschaft aller möglichen Dinge, wie und warum sie möglich sind. § 2. Durch die Wissenschaft verstehe ich eine Fertigkeit des Verstandes alles, was man behauptet, aus unwidersprechlichen Gründen unumstößlich darzutun. Welche Gründe unwidersprechlich sind und wie man etwas auf eine unumstößliche Weise dartut, wird in gegenwärtigen Gedanken vom Gebrauch der Kräfte des Verstandes in Erkenntnis der Wahrheit dargetan werden. § 3. Möglich nenne ich alles, was sein kann, es mag entweder wirklich sein oder nicht. § 4. Weil von nichts sich nichts gedenken läßt, so muß alles, was sein kann, einen zureichenden Grund (oder eine raison) haben, daraus man ersehen kann, warum es vielmehr ist, als nicht ist: welches an seinem Ort (§ 30 und 31) weiter erwiesen wird. § 5. Solchergestalt muß ein Weltweiser nicht allein wissen, daß etwas möglich ist, sondern auch den Grund anzeigen können, warum es sein kann. Es ist z. B. nicht genug, daß ein Weltweiser weiß, es könne regnen, sondern er muß auch sagen können, wie es zugeht, daß es regnet, und aus was für Ursachen es regnet. § 6. Hierdurch wird die gemeine Erkenntnis von der Erkenntnis eines Weltweisen unterschieden. Nämlich einer, der die Weltweisheit versteht, kann wohl auch aus der Erfahrung vieles lernen, was möglich ist: allein er weiß nicht den Grund anzuzeigen, warum es sein kann. Zum Beispiel: er lernt aus der Erfahrung, daß es regnen könnte, kann aber nicht sagen, wie es zugeht, daß es regnet, noch die Ursachen anzeigen, warum es regnet. § 7. Nun könnten wir zwar meinen, die gemeine Erkenntnis sei zulänglich genug um die Glückseligkeit des menschlichen Lebens zu befördern: allein, da alle Dinge nur unter gewissen Umständen angehen; so kann derjenige, der nur eine gemeine Erkenntnis davon hat, öfters einen Umstand übersehen, und alsdann für allgemein ausgeben, was nur in gewissen Fällen eintrifft. Die Erfahrung lehrt solches zur Genüge. Zum Beispiel: Man sieht, daß man gegen einen Notleidenden mitleidig wird, wenn man seinen Jammer erkennt und bildet sich daher als allgemein ein, so man einen mitleidig machen will, müsse man ihm nur die Not des Elenden vorstellen. Gleichergestalt sieht man in den Gärten, daß der Rosmarin fortgepflanzt wird, wenn man junge Zweiglein abschneidet und mit dem unteren Teil in die Erde steckt. Man würde sich aber sehr betrügen, wenn man solches mit allen Gewächsen, die beständig sind, vornehmen wollte. Hingegen ein Weltweiser darf sich nicht fürchten, daß er seine Sätze unrecht anbringt, indem der die Ursache weiß, warum und wenn sie zutreffen müssen, wie in dem ersten Exempel, daß die Vorstellung der Not des Elenden alsdann erst mitleidig macht, wo das Gemüt vorher geneigt ist an des andern Glück sich zu vergnügen; und im anderen Exempel, daß ein Zweiglein, wenn es in die Erde gesteckt wird, Wurzeln schlägt, wenn ein Knoten in die Erde kommt und das Zweiglein nicht leicht verwelkt und die Rinde von den durchbrechenden Wurzeln sich leicht durchbohren läßt. Er kann überdies aus den erkannten Wahrheiten andere unbekannte erfinden, und schöpft aus seiner Erkenntnis ein so süßes Vergnügen, dergleichen uns nichts anderes in der Welt gewähren kann. § 8. Vielleicht werden sich einige verwundern, daß sich die Weltweisheit auf alle möglichen Dinge erstrecken soll, da doch der Allerweiseste unter der Sonne sich nicht weiter rühmen kann, als habe er nur einen ganz geringen Teil davon begriffen. Wäre es also nicht besser, daß man die Beschreibung der Weltweisheit nicht so hochmütig einrichtete? § 9. Wem diese Gedanken einfallen, dem gebe ich zu bedenken, daß es allerdings viel ratsamer ist, man richte die Beschreibung der Weltweisheit nach ihrer größten Vollkommenheit ein, die sie in sich haben kann, als entweder nach seinem eigenen, oder eines anderen Mannes Begriff, den er davon erlangt. Denn auf solche Weise werden dem Wissen keine unnötigen Schranken gesetzt, wodurch viele abgehalten werden den Sachen weiter nachzudenken, und demnach viele nützliche Erfindungen zurückbleiben: wie es diejenigen Zeiten zur Genüge ausweisen, da man glaubte, ARISTOTELES habe in der Weltweisheit das weiseste Beispiel erreicht, dahin menschlicher Verstand gelangen kann. Vielmehr wird ein jeder aufgemuntert weiter als seine Vorgänger zu gehen, indem er sieht, daß noch gar viel zu erfinden übrig ist: wie es die gegenwärtigen Zeiten sonderlich bei den Mathematicis zeigen. Man wird auch zugleich gedemütigt, daß man sich seiner vermeinten hohen Gaben nicht überhebt, indem man erkennt, der größte Teil desjenigen, das wir wissen, sei der geringste von den Dingen, die wir noch nicht wissen. Und überhaupt ist bekannt, daß man die Sachen, welche verschiedene Grade haben können, jederzeit allgemein, ohne auf einen gewissen Grad seine Absicht zu richten, zu erklären pflegt. Zum Beispiel: unter denen, die mäßig sind, besitzt nicht ein jeder die Mäßigkeit in einem gleichen Grad. Wenn man nun die Mäßigkeit erklären soll: richtet man sich nicht nach dem Grad, in welchem die Mäßigkeit bei diesem oder jenem Mann anzutreffen ist, sondern man erklärt sie so, wie sie sein soll, wenn sie den höchsten Grad erreicht, damit nichts weiter daran auszusetzen ist. § 10. Wenn wir auf uns selbst achthaben, so werden wir überführt, es sei in uns ein Vermögen zu gedenken was möglich ist, welches wir den Verstand zu nennen pflegen. Allein wie weit sich dieses Vermögen erstreckt, und wie man sich desselben bedienen muß sowohl durch eigenes Nachsinnen die uns verborgene Wahrheit zu erkennen, wie die von anderen ans Licht gestellte vernünftig zu beurteilen, fällt nicht gleich einem jeden in die Augen. Deswegen damit wir wissen, ob wir zur Weltweisheit geschickt sind, oder nicht; soll dies unsere erste Arbeit sein, daß wir die Kräfte des menschlichen Verstandes und ihren rechten Gebrauch in Erkenntnis der Wahrheit erkennen lernen. Der Teil der Weltweisheit, darin dieses gezeigt wird, heißt die Logik, oder Vernunftkunst, oder auch Vernunftlehre. § 11. Unter den Dingen, die möglich sind, muß eines notwendig selbständige sein, denn sonst wäre etwas möglich, davon man keinen Grund anzeigen könnte, warum es ist, welches dem zuwider liefe, so wie bereits oben bestätigt worden ist. Das selbständige Wesen GOtt: die anderen Dinge, welchen ihren Grund, warum sie sind, in einem selbständigen Wesen haben, heißen Kreaturen. Da nun die Weltweisheit den Grund zeigt, warum etwas sein kann; so muß billig die Lehre von GOtt, oder dem selbständigen Wesen erst vorgenommen werden, ehe man sich auf eine genaue Erkenntnis der Kreaturen legt, die man bis auf die ersten Gründe hinaus führt oder vielmehr aus ihnen herleitet, auch wenn wir nicht leugnen, daß einer eine gemeine Erkenntnis derselben zuvor haben muß, die er aber nicht nötig hat aus der Weltweisheit zu holen, indem wir durch die tägliche Erfahrung von Jugend auf dazu gelangen. Der Teil der Weltweisheit, darin von GOtt und dem Ursprung der Kreaturen von ihm gehandelt wird, heißt die natürliche Theologie oder Gottesgelehrtheit. § 12. Die Kreaturen äußern ihre Tätlichkeit entweder durch Bewegung, oder durch Gedanken. Jene nennen wir Körper; diese Geister. Da nun die Weltweisheit sich bemüht von allen Dingen richtigen Grund anzuzeigen; muß sie sowohl die Kräfte und Wirkungen derer Dinge untersuchen, welche das ihrig durch Bewegung verrichten, als der anderen, welche durch ihre Gedanken ihnen selbst bewußt sind. Also zeigt sie, was in der Welt möglich ist, sowohl durch die Kräfte der Körper, wie der Geister. Derjenige Teil der Weltweisheit, darin man erklärt, was durch die Kräfte der Geister möglich ist, wird die Pneumatologie oder Geisterlehre genannt: der andere hingegen, darin man zeigt, was durch die Kraft der Körper möglich ist, bekommt den Namen der Physik oder Naturwissenschaft oder Naturlehre. § 13. Das Wesen, welches in uns denkt, nennen wir die Seele. Da nun die Seele unter die Zahl der Geister gehört und außer dem Verstand auch einen Willen hat, davon viel in der Welt herrührt; so muß in der Weltweisheit auch gewiesen werden, was durch den Willen der Seelen möglich ist: wohin alles dasjenige gehört, was insgemein vom Recht der Natur, der Ethik oder Sittenlehre, Politik oder Staatskunst etc. gesagt wird. § 14. Weil alle Dinge, sie mögen Körper oder Geister oder Seelen betreffen, in einigen Stücken einander ähnlich sind; so hat man auch zu erwägen, was allen Dingen überhaupt zukommt und worin der allgemeine Unterschied derselben anzutreffen ist und nennt man den Teil der Weltweisheit, darin die allgemeine Erkenntnis der Dinge abgehandelt wird, die Ontologie oder Grundwissenschaft, Geisterlehre und natürliche Gottesgelehrtheit machen die Metaphysik oder Hauptwissenschaft aus. § 15. Unsere Erkenntnis steht entweder still, wenn wir wissen, durch was für Kräfte etwas in der Natur gewirkt werden kann, oder sie geht weiter fort und mißt sowohl die Größe der Kräfte, als auch der Wirkung auf das genaueste aus, damit sich augenscheinlich erhelle, daß eine Wirkung von gewissen Kräften herrühren kann. Wie zum Beispiel: ich lasse mich entweder vergnügen, wenn ich weiß, die mit Gewalt zusammengepreßte Luft kann das Wasser in einem Springbrunnen sehr hoch treiben, oder ich bemühe mich genau zu erfahren, wie stark das Vermögen der Luft zunimmt, nachdem sie in den halben oder dritten, vierten Teil des vorigen Raums gepreßt worden ist und wieviel Fuß hoch sie in jedem Fall das Wasser treiben kann. Der letztere Grad der Erkenntnis erfordert, daß man alle Dinge, die eine Größe haben, auszumessen weiß: aus welcher Absicht die Mathematik erfunden wurde. Von deren unterschiedenen Teilen habe ich in den Anfangsgründen der mathematischen Wissenschaften und in dem daraus gemachten Auszug gehandelt. § 16. Solchergestalt bringt uns die Mathematik zu der allergenauesten und vollkommensten Erkenntnis, welche zu erlangen möglich ist. § 17. Da aber nicht jedermanns Werk ist sich mit der Weltweisheit so weit einzulassen; so werden wir uns um diesen vollkommenen Grad in gegenwärtigen Anfangsgründen nicht bemühen, sondern damit zufrieden sein, daß wir die Kräfte der Dinge richtig erkennen und daraus urteilen lernen, was durch sie in der Natur möglich ist. Die aber nach dem weiter zu gehen gesonnen sind, denen soll, wo GOtt will, bei anderer Gelegenheit mit dienlichem Unterricht aufgewertet werden: ganz zu schweigen, daß sie in meinen mathematischen Schriften, sonderlich denen, die in lateinischer Sprache herausgekommen sind, schon gute Anweisung dazu finden.
1) Der Inhalt eines der königlichen Reskripte ist dieser: Es sollen alle Professoren, welche auf unserer Universität Halle sich aufhalten und von ihren eigenen Mitteln studieren, sie mögen sein, wer sie wollen, diensame Vorstellung tun, daß sie das erste Jahr vornehmlich auf die studia philosophica elegantiorem litterarum sich befleißigen, hernach aber, wenn sie gute fundamenta geleget, alsdenn zu ad superiores Facultates [höheren Fähigkeiten - wp] schreiten möchten. Diejenigen aber, welche unsere eigenen, oder in unseren Landen fundierten Stipendien und vor einiger Zeit neu aufgerichtete Freitische genießen, nicht minder alle Conventualen unseres nach Halle transferierten Klosters Hillersleben, habt ihr mit Ernst und Nachdruck dahin anzudeuten, daß sie zuvörderst die studia philosophica und politiorem litteraturam zumindest ein Jahr lang allein traktieren, und hernach nebst dem studio theologico damit fortfahren: ... wenn sie aber darin nachlässig befunden, solche collegia praevia exhortatione versäumen würden, sie sofort des benefici verlustig gehen und andere an ihre Stelle angenommen werden sollen. 2) Man kann dieses an dem lateinischen Werk sehen, welches 1728 unter dem Titel: "Philosophia rationalis, sive Logica, methodo scientifica pertractata" herauskommt. 3) Und nun anno 1730 zu der sechsten. |