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Händler und Helden [ 2 / 2 ]
Zweiter Abschnitt Deutsches Heldentum Fünftes Kapitel: Der deutsche Geist Wenn Ausländer über den gegenwärtigen Krieg philosophieren, so kommen sie seltsamerweise immer auf den einen Gedanken zurück: der Krieg von 1914 ist der Krieg NIETZSCHEs. Deutschland hat ihn entfacht, und Deutschland ist dazu beseelt worden von NIETZSCHEs Geist. Das ist, wenn wir von der Unwahrheit absehen, daß wir den Krieg allein gewollt haben, nicht unrichtig. Aber es ist einseitig. So gut nämlich, wie man diesen Krieg den Krieg NIETZSCHEs nennen kann, kann man ihn auch den Krieg FRIEDRICHs des Großen, oder GOETHEs, oder SCHILLERs, oder BEETHOVENs, oder FICHTEs, oder HEGELs oder BISMARCKs nennen: es ist eben der deutsche Krieg. Und FRIEDRICH NIETZSCHE ist nur der letzte Sänger und Seher gewesen, der, vom Himmel hoch dahergekommen, uns die Mär verkündet hat, daß aus uns der Gottessohn geboren werden soll, den er in seiner Sprache den Übermenschen nannte. NIETZSCHE war nur der letzte, der uns in Gewissen geredet hat, wohl mit ein wenig anderen Worten, aber doch im gleichen Sinne wie alle unsere großen Deutschen vor ihm, und wie nur, ja nur ein Deutscher jemals reden konnte, wenn er selbst sich auch lieber als "guten Europäer" ansehen lassen wollte. Aber was hat er uns denn anderes gepredigt, als daß wir uns nicht verlieren sollen an das Niedrige und Gemeine, das von unten her an uns herankriecht, dessen Brutstätte aber kein anderer so deutlich wie NIETZSCHE jenseits der Grenzen des Reichs der deutschen Geister liegen sah. Wenn er sich auch oft und eindringlich dagegen gewehrt hat, daß man ihn mit Früheren verglich: wir, die wir ruhigen Auges zurückschauen auf die Ernten der vergangenen Zeit: wir wissen, daß FRIEDRICH NIETZSCHE mit dem Besten, was er uns gesagt hat, heimatberechtigt in Potsdam und Weimar ist, die beide zusammen recht eigentlich des deutschen Geistes Heimstätten sind. (Sie liegen im Zentrum Deutschlands, dessen peripherische Enden durch Königsberg und Wien gebildet werden.) Ist denn aber dieser deutsche Geist etwas Einheitliches, das man mit einem Wort bezeichnen kann? Die Aufzählung auch nur jener vier Städte, neben denen doch Wittenberg und Hamburg und Köln und Münschen auch ihr Recht behaupten wollen, möchte den Versuch, deutsches Wesen eindeutig zu bestimmen, als aussichtslos erscheinen lassen.
Die Deutschen "entschlüpfen der Definition und sind damit schon die Verzweiflung der Franzosen", meinte NIETZSCHE, der es als ein Kennzeichen der Deutschen ansah, daß bei ihnen die Frage: "Was ist deutsch?" niemals ausstirbt. Und vielleicht ist das einzige, was man an allem deutschen Wesen wiederfindet, das ewig Wechselnde, das immer Anderssein, weshalb der Deutsche nicht eigentlich ist, sondern ewig wird, die unendliche Mannigfaltigkeit, der unerschöpfliche Reichtum an Einzelheit und Sonderheit, der "Abyssus [Abgrund - wp] von Individualität", wie es im Überschwang der romantischen Sprechweise hieß. Freilich, das wäre schon viel, was man von der deutschen Seele aussagen könnte. Aber mir will dünken, daß man noch genauer einzelne Wesenseigentümlichkeiten des deutschen Geistes bezeichnen kann, die ihn scharf von allen andern unterscheiden, und die vor allem deutlich eine ganz bestimmte deutsche Weltanschauung erkennen lassen, so wie wir unschwer eine spezifisch englische Weltbetrachtung wahrnehmen konnten. Deutsches Denken und deutsches Empfinden äußert sich zunächst einmal in der einmütigen Ablehnung all dessen, was auch nur von ferne englischem oder insgesamt westeuropäischen Denken und Empfinden nahe kommt. Mit innerstem Widerwillen, mit Entrüstung, mit Empörung, "mit tiefem Ekel" hat sich der deutsche Geist gegen die "Ideen des 18. Jahrhunderts", die englischen Ursprungs waren, erhoben; mit Entschiedenheit hat jeder deutsche Denker, aber auch jeder Deutsche, der deutsch dachte, zu allen Zeiten den Utilitarismus, den Eudämonismus, also alle Nützlichkeits- und Genußphilosophie abgelehnt: darin waren sich die feindlichen Brüder SCHOPENHAUER und HEGEL, und FICHTE und NIETZSCHE, waren sich Klassiker und Romantiker, waren sich Potsdamer und Weimarer, waren sich alte und neue Deutsche einig. Um nur zweier deutscher Denker Worte zu nennen, die in manchem Sinne als schärfste Gegner in Fragen der Lebensbetrachtung erscheinen (und doch im Grunde freilich so verwandt sind!), vernehmen wir, wie FICHTE und NIETZSCHE die Pöbelart des englischen Gedankes beurteilen:
Daß man um seiner Erhaltung und seines Wohlseins willen im Leben sich regen und bewegen könne, muß er (der Zögling) gar nicht hören und ebensowenig, daß man deswegen lerne oder daß das Lernen dazu etwas helfen könne." Darin eben besteht die Schlechtigkeit, daß man nur sein sinnliches Wohlsein liebe und nur durch Furcht oder Hoffnung für dieses, sei es nun im gegenwärtigen, oder in einem künftigen Leben, bewegt werden könne." - FICHTE "So will ich ihnen vom Verächtlichsten sprechen: das aber ist der letzte Mensch ... Wir haben das Glück erfunden, sagen die letzten Menschen und blinzeln." "Was von Weibsart ist, was von Knechtsart stammt, und sonderlich der Pöbel-Mischmasch: dies will nun Herr werden alles Menschen Schicksals - oh Ekel! Ekel! Ekel! Das frägt und frägt und wird nicht müde: Wie erhält sich der Mensch am besten, am längsten, am angenehmsten? Überwindet mir, ihr höheren Menschen, ... den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen, das Glück der Meisten - !" - NIETZSCHE
[Seefahrt tut not, Leben nicht.]
"Versuche deine Pflicht zu tun, und du weißt gleich, was an dir ist. Was aber ist deine Pflicht? Die Forderung des Tages." - GOETHE "Nehmen wir die Betrachtung des Menschengeschlechts hinzu ... Auch hier stellt das Leben sich keineswegs dar als ein Geschenk zum Genießen, sondern als eine Aufgabe, ein Pensum zu Abarbeiten." - SCHOPENHAUER
"Was ist das Größte, das ihr erleben könnt? Das ist die Stunde der Verachtung ... Die Stunde, wo ihr sagt: Was liegt an meinem Glück! Es ist Armut und Schmutz und ein erbärmliches Behagen ..." "Wir (Immoralisten) sind in ein strenges Garn und Hemd von Pflichten eingesponnen und können da nicht heraus - darin sind wir eben Menschen der Pflicht, auch wir! Bisweilen, es ist wahr, tanzen wir wohl in unseren Ketten und zwischen unseren Schwertern; öfter, es ist nicht minder wahr, knirschen wir darunter und sind ungeduldig über all die heimliche Härte unseres Geschicks. Aber wir mögen tun, was wir wollen: die Tölpel und der Augenschein sagen gegen uns das sind Menschen "ohne" Pflicht; wir haben immer die Tölpel und den Augenschein gegen uns."
Diese deutsche Philosophie erhebt sich wirklich und durch die Tat ihres Denkens zu dem unwandelbaren "Mehr denn alle Unendlichkeit", wie FICHTE es in ein großes Wort geprägt hat, und findet allein in diesem das wahrhafte Sein.
Ist nur Gleichnis ..." Nein: nur der scheint mir den Sinn und Wert auch der deutschen Dichtung ganz auszuschöpfen, der als ihren tiefsten Grundton aus allem diesen Glauben an die beiden Welten herausklingen hört, denen wir Menschen angehören. Zwei Leben leben wir auf Erden: ein niederes sinnliches und ein höheres geistiges. Mit jenem sind wir vereinzelt, mit diesem vereint. Und aller Sinn des Erdenwandels ist der: daß wir aus jenem niederen Sinnenleben aufsteigen in das höhere des Geistes, in dem wir mit der Geisterwelt, der wir entstammen, wieder eins werden. Also ist Lebensüberwindung, Lebensaufgabe das, was wir vollbringen sollen. In seltsamer Übereinstimmung haben wir zwei unserer größten Dichter im Bild des Verbrennens diese Läuterung und Emporhebung des sinnlichen Menschen zu den höheren Daseinsformen des geistigen Menschen auszudrücken versucht in Worten, die jeder kennt:
Dieses: stirb und werde, Bist Du nur ein trüber Gast Auf der dunkeln Erde ..." Das ist ja der Grundgedanke der Philosopie NIETZSCHEs, der sich in Worten gar oft monistisch gebärdet und dessen Denken doch im Innersten transzendental gewesen ist. Sonst hätte seine Lehre von der Selbstüberwindung, die er als der Weisheit letzten Schluß verkündet, ja ganz und gar keinen Sinn: es sei denn, wir wollten sein Ideal des Übermenschen in ein simples Züchterideal vertölpeln. Hören wir die wundervollen ZARATHUSTRA-Worte:
Und dies Geheimnis redete das Leben selber zu mir: Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selber überwinden muß ... Mit meinen Tränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder. Ich liebe den, der über sich selber hinaus schaffen will und so zugrunde geht." So findet auch der Pflichtgedanke seine tiefste Begründung. In der deutschen Sprache, und nur in ihr, der einzigen "Ursprache", Wie FICHTE wollte, enthält ein Wort, deucht mich, den ganzen Sinn all unseres Denkens und Dichtens und Strebens: das Wort "Aufgabe". Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, indem wir leben, eine Aufgabe, die sich in tausend Aufgaben des Tages auflöst. Aufgabe ist das Leben, sofern es uns aufgegeben ist von einer höheren Macht. Indem wir aber den Inhalt unseres Lebens ausschöpfen, geben wir uns in allen unseren Werken auf; und diese Aufgabe unseres eigenen Ichs gibt uns die einzige tiefe Befriedigung, die das irdische Leben bieten kann, gibt uns unseren Seelenfrieden, weil wir durch sie jene Vereinigung mit dem Göttlichen vollbringen, von dem getrennt und losgerissen zu sein, auf Erden unser tiefstes Weh und Leiden ausmacht. Es ist aber die lichteste Eigenart unseres deutschen Denkens, daß wir die Vereinigung mit der Gottheit schon auf Erden vollziehen, und sie vollziehen nicht durch Abtötung unseres Fleisches und unseres Willens, sondern durch kraftvolles Handeln und Schaffen. Daß die Aufgabe unserer selbst durch unausgesetztes Stellen und Vollbringen neuer Aufgaen im tätigen Leben erfolgt: das gibt unserer Weltauffassung die sieghafte Kraft, gibt ihr die Unüberwindlichkeit auf dieser Erde. Deshalb aber nenne ich sie auch eine heroische, heldische, und nun sieht der Leser, bis zu welchem Punkt ich ihn geführt habe: deutsch sein, heißt ein Held sein, und dem englischen Händlertum im Geiste und im Leben setzen wir ein deutsches Heldentum entgegen. Händler und Held: sie bilden die beiden großen Gegensätze, bilden gleichsam die beiden Pole aller menschlichen Orientierung auf Erden. Der Händler, sahen wir, tritt an das Leben heran mit der Frage: was kannst du Leben mir geben; er will nehmen, will für möglichst wenig Gegenleistung möglichst viel für sich eintauschen, will mit dem Leben ein gewinnbringendes Geschäft machen; das macht: er ist arm; der Held tritt ins Leben mit der Frage: was kann ich dir Leben geben? er will schenken, will sich verschwenden, will sich opfern - ohne Gegengabe; das macht: er ist reich. Der Händler spricht nur von "Rechten", der Held nur von Pflichten, die er hat. Und auch, wenn er seine Pflicht erfüllt hat, fühlt er sich immer noch zu geben geneigt:
weil man sich nie ganz genug getan." - GOETHE "Also will es die Art edler Seelen: sie wollen nichts umsonst haben, am wenigsten das Leben. Wer vom Pöbel ist, der will umsonst leben; wir andern aber, denen das Leben sich gab, - wir sinnen immer darüber, was wir am besten dagegen geben!" "Das ist euer Durst, selber zu Opfern und Geschenken zu werden: und darum habt ihr den Durst, alle Reichtümer in eure Seele zu häufen ..." "... ein Grauen ist uns der enartende Sinn, welcher spricht: alles für mich". Also sprach wiederum ZARATHUSTRA. ![]() |