tb-1F. Dahnvon Jheringvon Kirchmannvon RümelinO. GierkeGuy Oakes    
 
EMIL LASK
Die Methode der Rechtswissenschaft

Es gibt - wenn man von der Wissenschaft selbst absieht - keine Kulturerscheinung, die sich als begriffsbildender Faktor auch nur annähernd mit dem Recht vergleichen ließe.

Im ersten Abschnitt ist von der rechtsphilosophischen Begriffsbildung und vom Wertbegriff des Rechts selbst die Rede gewesen. Um die philosophische "Methode" durch Kontrastierung mit der empirischen zu beleuchten, mußten wir Philosophie und Empirie miteinander vergleichen und zu diesem Behufe beide auf einen gemeinsamen Nenner bringen, beide unter den Gesichtspunkt der Betrachtung, Lehre, Erkenntnis oder Wissenschaft subsumieren. Die Methodenlehre der Philosophie ist die Frage nach dem  Wissenschaftswert der Philosophie. Die Lehre von der Form der philosophischen Wissenschaft wird dadurch vergleichbar mit der Lehre von den speziellen Formen der empirischen Wissenschaft, also mit der Methodologie im engeren Sinne.

Die Methodologie der empirischen Rechtswissenschaft gehört, streng methodisch angesehen, nicht in die Philosophie des Rechts, sondern in die Philosophie der Wissenschaft. Handelt sie doch unmittelbar nicht von dem Werttypus  Recht,  sondern von dem Werttypus  Wissenschaft.  Es braucht nicht angeführt zu werden, wie sehr dieser Ausschnitt aus der speziellen Wissenschaftslehre in sachlicher Hinsicht trotzdem in den Rahmen der "Rechtsphilsophie" hineinpaßt. Die Logik der Rechtswissenschaft ist gerade das gegenwärtig bei weitem am meisten kultivierte Gebiet der Rechtsphilosophie, und die positive Jurisprudenz hat sehr wertvolle Beiträge hierzu geliefert.

So ordnet sich der gesamte Stoff der Rechtsphilosophie dem einheitlichen Begriff der Philosophie als der kritischen Wertlehre unter. Er zerfällt in die Lehre vom Wissenschaftswert der Rechtsphilosophie, vom Wert des Rechts selbst und endlich vom Wissenschaftswert der Rechtsempirie.

Die Rechtswissenschaft ist ein Zweig der empirischen "Kulturwissenschaften". Die über diese Wissenschaftsgruppe in neuerer Zeit angestellten Untersuchungen werden darum das allgemeinste Fundament für eine methodologische Kritik der Rechtswissenschaft bilden können. Bereits im ersten Abschnitt wurde an die Auffassung Rickerts angeknüpft, daß die kulturwissenschaftlich angesehene Welt durch eine rein theoretische Beziehung der unmittelbaren Wirklichkeit auf Kulturbedeutungen entsteht. Um die orientierenden Verbindungslinien zwischen der Logik der Rechtswissenschaft und den kulturwissenschaftlichen Grundbegriffen allmählich herauszupräparieren, müssen wir zunächst zwischen einer historischen und einer systematischen Tendenz innerhalb der Kulturwissenschaften unterscheiden.

Die systematisierenden Disziplinen lösen aus der Komplexität des Gegebenen typische Kulturmomente heraus, um sie nicht, wie die Geschichte es tut, als in einmaliger zeitlicher Entwicklung aufeinanderfolgende, unvergleichbare und unzerlegbare Bedeutsamkeiten des Individuellen darzustellen, sondern um sie gerade in ihrer ausdrücklich isolierten formellen Struktur zu Leitbegriffen der einzelnen Kulturdisziplinen zu erheben. Zur Verhütung von Mißverständnissen mag hinzugefügt werden, daß sich von  diesen  allgemein-begrifflichen Wissenschaften das  naturwissenschaftliche  Abstraktions- und Systematisierungsprinzip durch gänzliches Absehen von Kulturbedeutungen hinlänglich unterscheidet.

Die Einsicht in den schon öfter erwähnten Parallelismus methodologischer und reiner Wertprobleme, der analog wie zwischen Wertindividualitäts- und historischer Methode so zwischen philosophischer und empirisch- kulturwissenschaftlicher  Systematik  stattfindet, kann uns wiederum vor einer Vermengung des empirischen Kulturbegriffs als eines einzelwissenschaftlichen Ausleseprinzips mit dem absoluten Wert- und Weltanschauungsbegriff der Kultur bewahren.

Wie wir die Behauptung einer eigenartigen sozialen Wissenschaftsstruktur mit der Leugnung einer selbständigen sozialen Wertstruktur - z.B. bei STAMMLER - miteinander verträglich fanden, so läßt sich überhaupt eine rein methodologisch interessierte Sondierung der kulturwissenschaftlichen Methode von der naturwissenschaftlichen ohne gleichzeitige Anerkennung absoluter Kulturwerte immerhin denken. Man wird somit die methodologisch-empirische  Kulturbedeutung  und den absoluten  "Kulturwert"  zum mindesten in formalmethodischer Hinsicht auseinanderhalten müssen, mag auch letzterer sich zu sämtlichen empirischen Kulturwissenschaften in demselben Sinne als regulatives Prinzip verhalten, wie es früher bereits von der Wertindividualität im Verhältnis zur empirischen Geschichtsschreibung zugestanden wurde.

Unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten gilt die Wirklichkeit als ein Erzeugnis kategorialer Synthesen. Die Methodologie überträgt diesen Kopernikanischen Standpunkt auf die Schöpfungen der einzelwissenschaftlichen Auslesetätigkeit und sieht z.B. in den Atomen und Naturgesetzen Produkte der naturwissenschaftlichen, in den Ereignissen der Weltgeschichte, in den rechtlichen, staatlichen und wirtschaftlichen Phänomenen Produkte der kulturwissenschaftlichen Begriffsbildung.

Dem ungeübten Blick wird es nicht leicht, den Kopernikanischen Grundgedanken überall streng festzuhalten. Der Einwand liegt so nahe, daß den großen historischen Ereignissen ihre weltgeschichtliche Rolle doch nicht erst durch den Geschichtsschreiber zudiktiert wird, daß die verschiedenen typischen Kulturbedeutungen wie "Wirtschaft, Recht, Sprache usw." nicht erst von der Wissenschaft gegeneinander abgegrenzt werden. Auch der Methodologe wird in der Tat nicht umhin können, in der von ihm bereits vorgefundenen primitiven Disziplinierung des Stoffes gleichsam Vorarbeiten der wissenschaftlichen Tätigkeiten anzuerkennen. Allein wieweit auch diese "vorwissenschaftliche Begriffsbildung", wie RICKERT sie nennt, im einzelnen Fall bereits gediehen sein mag, stets muß ihr die eigentliche begriffliche Schärfe und wissenschaftliche Strenge fehlen.

Auf jeden Fall wird darum der Wissenschaft immer noch die Aufgabe zufallen, unbestimmte Versuche zu präzisen, begrifflich fixierten Ergebnissen weiterzubilden, z.B. die verschiedenen Kulturtypen exakt voneinander zu sondern und sie sodann in den einzelnen Disziplinen zu feineren Verästelungen fortzugestalten. Der Kopernikanische Beruf der Wissenschaft kann also zwar eingeschränkt und verhüllt, aber niemals dadurch ganz in Frage gestellt werden, daß die Heraushebung einer spezifisch kulturwissenschaftlichen Welt zum Teil bereits in das vorwissenschaftliche Denken fällt.

Die Tatsache der vorwissenschaftlichen Bearbeitung verbietet es, als das  Material  der Kulturwissenschaften ohne weiteres die unmittelbar gegebene Wirklichkeit zu betrachten. Zwischen diese und das von der Wissenschaft erstrebte Endziel schiebt sich vielmehr in den meisten Fällen, einem Halbfabrikat vergleichbar, vergleichbar, eine schon auf Kulturbedeutungen bezogene Welt, und diese komplexe Kulturrealität, nicht die ursprüngliche, von jeder Art der Wertbeziehung freie Wirklichkeit wird zum Material der eigentlichen Kultur wissenschaften. 

Nun verschwimmen aber die Grenzen zwischen vorwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Bearbeitung, und außerdem wird sehr häufig die vom vorwissenschaftlichen Bewußtsein abgebrochene Tätigkeit von der Wissenschaft zwar rektifiziert und vervollkommnet, aber trotzdem wieder in der gleichen Richtung aufgenommen. Aus diesem Grunde lassen sich die Gesichtspunkte methodologischer Kritik von der wissenschaftlichen auf die vorwissenschaftliche Funktion übertragen, und darum können vom einseitig methodologischen Standpunkt aus nicht nur die Kultur wissenschaften,  sondern auch die einzelnen Kulturgebiete selbst als geronnene theoretische Vernunft, eben als Verkörperungen von - allerdings vorwissenschaftlichen - "Begriffsbildungen" angesehen werden.

Das führt zu dem merkwürdigen und scheinbar widerspruchsvollen Resultat, daß die Methodologie unter Umständen etwas anderes zu ihrem Untersuchungsobjekt hat als  Wissenschaftsformen, daß sie sich nicht nur auf die Kulturwissenschaften, sondern zuweilen direkt auf die "Kulturwirklichkeit", nicht nur auf die Sozialwissenschaften, sondern auf das Soziale selbst und entsprechend auf das Recht usw. zu richten vermag.

Nichtsdestoweniger steht natürlich auch die auf die Kulturmächte selbst gerichtete methodologische Untersuchung unverwechselbar den das gleiche Objekt behandelnden Einzelwissenschaften gegenüber, da sie sich von diesen durch ihre andersartige Absicht deutlich unterscheidet und alle von ihr aufgeworfenen Fragen einseitig auf  Begriffsbildung sprobleme zuspitzt. Es wird sich später herausstellen, daß insbesondere zwischen der Methodologie der vorwissenschaftlichen und der der wissenschaftlichen Rechtsbegriffe keine grundsätzliche Trennung vorgenommen werden darf.

Über die Gliederung der systematischen Kulturwissenschaften soll an dieser Stelle nur die allgemeine Andeutung Platz finden, daß die verschiedenen Kulturtypen, die als Leitbegriffe die einzelnen Disziplinen konstituieren, nicht nur in dem Verhältnis der Nebenordnung, sondern auch in dem der Über- und Unterordnung stehen können. So dürfte z.B. in sämtlichen Kulturtypen das Moment des Sozialen stecken, das in seiner völligen Isoliertheit und unvermischten Reinheit erst einer letzten abstraktesten Analyse erfaßbar wäre, einer "Soziologie", wie SIMMEL sie postuliert, die die Endergebnisse der übrigen Disziplinen zu ihrem Ausgangspunkt hätte und sich zu ihnen wie ihr "allgemeiner Teil" verhielte.

Durch den Gedanken der formalistischen Kulturdisziplin wird die methodologische Struktur aller Arten von Rechtswissenschaft schon in unbestimmten Umrissen erkennbar. Die Herauslösung von homogenen Teilausschnitten aus dem komplexen Kulturmaterial, in dem sie in konkrete Zusammenhänge eingebettet sind, zeigt uns das allgemeinste Schema der Wissenschaftsklasse, der unter anderem die Rechtswissenschaft angehört.

Auch die Isolierung des Rechtsgebietes und überdies seine Hypostasierung [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] zu einer realiter abgesonderten Lebensmacht wird bereits vom vorwissenschaftlichen Bewußtsein geleistet. Und auch hier ist es die Aufgabe der Wissenschaft, dem vorwissenschaftlichen Ausleseprozeß erst die begriffliche Schärfe zu verleihen, es ist die Aufgabe der  Methodologie,  der Hypostasierung gegenüber den Kopernikanischen Gesichtspunkt hervorzukehren, das Abgegrenztsein eines spezifischen Rechtsgebietes als Ergebnis einer - z.T. vorwissenschaftlichen, z.T. wissenschaftlichen - Umarbeitung der erkenntnistheoretischen "Wirklichkeit" zu einer abstrakten, auf bestimmtgeartete Kulturbedeutungen bezogenen Welt zu begreifen.

Man kann nun in der Methodologie der Rechtswissenschaft keinen Schritt vorwärts tun, ohne zunächst den methodischen Dualismus zu berücksichtigen, dem alle Rechtserforschung unterworfen ist und den man mit Fug das ABC der juristischen Methodologie nennen könnte. In der Gegenwart hat vor allem JELLINEK auf eine Scheidung zwischen Jurisprudenz und Sozialtheorie des Rechts gedrungen, während sich von dieser fruchtbaren Gegenüberstellung bei früheren Schriftstellern nur geringe Ansätze finden. KISTIAKOWSKI hat die Bekämpfung des methodologischen Synkretismus durch logische Begriffs- und Urteilstheorien zu stützen und die sozialwissenschaftlichen Begriffe als den Niederschlag verschiedener Erkenntniszwecke zu würdigen gewußt.

Der rechtswissenschaftliche Methodendualismus beruht darauf, daß das Recht entweder als realer Kulturfaktor, als sozialer Lebensvorgang angesehen oder als Komplex von  Bedeutungen genauer von Normbedeutungen auf seinen "dogmatischen Gehalt" hin geprüft werden kann. Schon die Sozialtheorie des Rechts isoliert freilich wie alle formalistischen Kulturwissenschaften ein Abstraktum aus der konkreten Totalität, das in solcher Losgelöstheit von der außerrechtlichen Umgebung realiter nicht existiert. Allein ungeachtet dieser klar erkannten Abstraktheit projizieren wir das  sozialwissenschaftlich gedachte Recht wie alle "realen" Kulturerscheinungen dennoch gleichsam in die Fläche der Wirklichkeit, und es braucht sich, so argumentieren wir, bloß mit bestimmten anderen Partialrealitäten zu verbinden, um sofort als volle lebendige Wirklichkeit zu erscheinen.

Ganz in derselben Weise durchschauen wir ja, sobald wir einmal methodologisch darüber nachdenken, auch den Abstand, der sogar noch die komplexe und angeblich konkrete Kulturwirklichkeit von dem Konkretissimum der erkenntnistheoretischen Wirklichkeit trennt. Dessenungeachtet hören wir nicht auf, diese methodisch herauspräparierte Kulturwelt, trotz ihrer Einbuße an Inhaltlichkeit und trotz ihrer gleichsam entstellenden Bezogenheit auf Kulturbedeutungen, als Wirklichkeit anzusehen, was hinsichtlich der konkreten historischen Realitäten wohl jeder unbedenklich zugeben dürfte.

Aber auch die Objekte der einzelnen formalistischen Kulturdisziplinen, bei denen die künstliche Entfremdung von dem im erkenntnistheoretischen Sinne ursprünglichen Wirklichkeitssubstrat noch unendlich viel weiter fortgeschritten ist, scheuen wir uns nicht als  Realitäten  anzusprechen. Wir bilden den eigentümlichen Begriff der  Kulturrealität und zwar in diesem Falle der abstrakten  Partialrealität,  die wir den konkreten Kulturrealitäten der Geschichte gegenüberstellen. An diesem Punkte steht nun die Logik der formalistischen Kulturdisziplinen vor einer ihrer schwierigsten Aufgaben.

Sie wird sich nämlich durchgehends die Frage vorzulegen haben, inwieweit die kulturwissenschaftliche Bearbeitung bloß bis zu den auf Kulturbedeutungen  bezogenen  "Realitäten" vordringt und inwieweit sie das Reich reiner losgelöster Bedeutungen  selbst  zu ihrem Endziel macht. Die, wie LOTZE glaubt, schon von Platon erkannte Gegensätzlichkeit von  Realität  und  Bedeutung  muß hier in einem ganz eingeschränkten empiristischen Sinne für die  Methodologie  fruchtbar gemacht werden.

Auf einem Gebiete ist dies bereits mit dem größten Erfolg durchgesetzt worden, nämlich für die Rechtswissenschaft durch die Trennung von Sozialtheorie und Jurisprudenz. Das Recht im sozialen Sinne gilt als "realer" Kulturfaktor, das Recht im juristischen Sinne als Inbegriff von nur gedachten Bedeutungen. Die Abstraktheit der juristischen Welt muß deshalb in einem komplizierten Sinne als Inbegriff von nur gedachten Bedeutungen. Die Abstraktheit der juristischen Welt muß deshalb in einem komplizierten Sinne behauptet werden als die der sozialtheoretisch erforschbaren Objekte. Der Sozialtheoretiker oder auch der Rechtshistoriker nimmt eine "reale" Abgrenzung des Rechts gegen Sitte, Gewohnheit und andere Lebensäußerungen eines Volkes vor.

Gar keinen Sinn hat es dagegen, von einer Norm, die bloß  gilt,  zu meinen, sie könnte sich mit anderen isolierbaren Seiten des Kulturlebens zu einer selbständigen Realität ergänzen. Für den  Juristen  ist darum  begrifflich  die soziologische oder rechtsgeschichtliche Grenzregulierung eine bloße Voraussetzung und Vorarbeit - mag sie auch aus wissenschaftstechnischen Gründen von ihm selbst mit besorgt werden. Denn ihm kommt es lediglich darauf an, den gedankenmäßigen  Inhalt  der Normen, die auf Grund sozialtheoretischen Urteils als "Recht" erkannt sind, in einen systematischen Zusammenhang zu bringen.

Die These vom  juristischen  "Rechtsformalismus" kann sich somit nur auf eine ideelle Vergleichung juristischer  Bedeutungen  mit dem vom Recht ergriffenen vorjuristischen "Substrat" beziehen, das stets in den konkreten und abstrakten Kulturrealitäten  sowie in den Realitäten des gewöhnlichen "Lebens" liegen muß. Die juristische Isolierungs- und Systematisierungstendenz ist darum von der typisierenden Methode der meisten übrigen Sozialwissenschaften noch unterschieden und kann erst im folgenden genauer charakterisiert werden.

Zu den bekanntesten sozialwissenschaftlichen Rechtstheorien gehört die Marxistische Lehre. Neuerdings hat der Marxist Karner die Einordnung des Rechts in den Kausalnexus aller nichtrechtlichen Phänomene, die Erforschung seiner "sozialen Wirksamkeit" für das einzige der Wissenschaft würdige Thema erklärt gegenüber jeder bloß dogmatisch-technischen Bewältigung des juristischen Stoffes. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entstand eine allgemeine, auch von Nationalökonomen unterstützte Auflehnung gegen die Alleinherrschaft einer, wie man glaubte, um die realen Lebensverhältnisse unbekümmerten "Dogmatik", eine lebhafte Bewegung in der Rechtswissenschaft, die sich in der allmählichen Entwicklung der Schriften IHERINGs deutlich widerspiegelt.

Die Methodologie der soziologischen Rechtstheorien geht jedoch so sehr in der allgemeinen Logik der sozialwissenschaftlichen Kulturdisziplinen auf, daß sie in unserer auf die Methodologie der Jurisprudenz sich beschränkenden Darstellung nicht weiter berücksichtigt werden kann.

In der Entgegensetzung von Realitäts- und Bedeutungsforschung zeigt sich der Parallismus philosophischer und empiristischer Wissenschaftstendenzen in seiner verwirrendsten Gestalt. Nur allzu nahe liegt der Gedanke an den letzten spekulativen Gegensatz von Sein und Sollen, Normen und Naturgesetzen, normativer und genetischer Betrachtungsweise, und häufig ist dieser allgemeinste Methodendualismus zur Charakterisierung der Jurisprudenz verwertet worden. Allein es gäbe keine verderblichere Verwischung methodologischer Grenzlinien, als wenn über all den unbezweifelbaren Analogien andrerseits die Vieldeutigkeit des Normbegriffs, die Kluft zwischen seinem philosophischen und seinem empirischen Sinn, übersehen würde und dadurch die Jurisprudenz als "Normwissenschaft" etwa unvermerkt in einen Gegensatz zu den rein empirischen Disziplinen geriete.

Gewiß hat die Jurisprudenz ebenso wie die Philosophie nicht ein Existierendes, sondern ein bloß Bedeutendes, nicht ein Seiendes, sondern ein Seinsollendes, ein Befolgung heischendes zum Objekt. Aber während dieser Sollenscharakter in der Philosophie einer absoluten Werthaftigkeit entstammt, für die es keine empirische Autorität gibt, hat er in der Jurisprudenz seinen formellen Grund in positiver Anordnung durch Gemeinschaftswillen.

Der genaueren Betrachtung der juristischen Methode muß die Bemerkung vorausgeschickt werden, daß die Existenz einer vorwissenschaftlichen Begriffsbildung nirgends eine so große Rolle spielt wie auf juristischem Gebiet. Es gibt - wenn man von der Wissenschaft selbst absieht - keine Kulturerscheinung, die sich als begriffsbildender Faktor auch nur annähernd mit dem Recht vergleichen ließe. Das Recht  selbst  nimmt bereits eine weitgehende Auseinandersetzung zwischen sich und der außerrechtlichen Wirklichkeit vor und bildet Begriffe von so hoher technischer Vollendung, daß sie sich oft nur dem Grade nach von denen der Wissenschaft unterscheiden und der wissenschaftlichen Bearbeitung zuweilen nichts anderes als die bloße Fortsetzung des vom Gesetz begonnenen Formungsprozesses übrig lassen.

Sind doch auch umgekehrt zu allen Zeiten Ergebnisse der Wissenschaft zu kodifiziertem Recht geworden. Alle bisherigen Versuche einer juristischen Methodenlehre von IHERING bis zur Gegenwart haben diesen im Recht selbst steckenden begriffsbildenden Geist anerkannt und deshalb häufig zwischen einer Logik des Rechts und einer Logik der Rechtswissenschaft nicht einmal terminologisch einen Unterschied gemacht.

Die juristische Methodologie im weiteren Sinne, als Kritik sowohl der rechtlichen als der rechtswissenschaftlichen Begriffsbildung, hat zwei Hauptthemata: sie untersucht in erster Linie die eigentümliche und einheitliche Stellungnahme des Rechts und der Jurisprudenz zum vorjuristischen Lebens- und Kultursubstrat, also die Umprägung des vorrechtlichen Materials in Rechtsbegriffe, in zweiter Linie den systematischen Zusammenhang der juristischen Begriffe untereinander oder die Systemform der Jurisprudenz.

Die neueren Ansätze zu einer Logik der Rechtswissenschaft haben hauptsächlich den Erfolg gehabt, das von der Jurisprudenz stets angewandte  teleologische  Prinzip auch in der methodologischen Besinnung ausdrücklich zum Bewußtsein zu bringen.

Die teleologische Färbung sämtlicher Rechtsbegriffe läßt sich am besten an den Veränderungen und - vom bloß naturalistisch- psychologischen Standpunkt aus - unberechtigten Introjektionen studieren, die die Rechtsordnung an den psychischen Realitäten vorzunehmen genötigt ist. Das psychischen Sein ist für die juristische Betrachtung in genau demselben Sinn ein bloßes in die praktische Welt des Handelns erst hineinzuverarbeitendes Material wie die Körperwelt.

Gerade die Jurisprudenz ist deshalb vorzüglich zu dem Nachweis geeignet, daß die irreführenderweise "Geisteswissenschaften" genannten Disziplinen keineswegs in einer Analyse psychischer Phänomene bestehen. JELLINEK hat darauf hingewiesen, daß eine Untersuchung über die Verwendung, welche die Rechtsordnung von den  Willensakten  der Individuen machen kann, zur Feststellung der juristischen Grundbegriffe unentbehrlich sei. Es gibt in der Tat kaum ein juristisches Einzelproblem, dessen methodologische Beurteilung bisher nicht daran laboriert hat, daß man den Unterschied zwischen dem rein psychologischen und dem sehr veränderlichen juristischen Willensbegriff zuwenig beachtete.

Hier wird die Methodologie der Zukunft ein weites Feld für ihre Tätigkeit vorfinden. Noch fehlt jeder Versuch, die juristische Verarbeitung psychologischer Begriffe in ihre wahrhaft psychologisch- naturalistischen und in ihre teleologischen Elemente zu zerlegen. Freilich war ein solches Unternehmen von der Jurisprudenz um so weniger zu erwarten, als bisher die Logik der Psychologie ebensowenig wie diese selbst zu allgemein anerkannten Ergebnissen gekommen ist.

Vielleicht können durch eine Auseinandersetzung zwischen psychologischen und teleologischen Bestandteilen beiden Wissenschaften an methodologischer Selbsterkenntnis gewinnen, da in der Jurisprudenz das mit den psychischen Begriffen verschmolzene praktische Moment, von dem die naturalistische Psychologie gerade abzusehen hat, die höchste ihm überhaupt beschiedene Stufe begrifflicher Präzision erreicht.

Mit den Problemen der teleologischen Psychologie hängt die alte Streitfrage der "juristischen Person" und das Verhältnis zwischen Einzel- und Gesamtpersönlichkeit zusammen. Hier dürfte die von JELLINEK gefundene Lösung eine Klärung versprechen Das Substrat sowohl der Einzel- als der Gesamtpersönlichkeit erscheint nach ihm in  naturalistischer  Beleuchtung gleicherweise als Aggregat oder Gewühl unverbundener Realiäten, dagegen in vorjuristisch-teleologischer  Beleuchtung gleicherweise als selbständige, durch Zweckbeziehungen zusammengedachte Einheit, nämlich als einheitliches Individuum und als einheitlicher Verband.

An diese teleologischen Gestaltungen der vorrechtlichen Realitäten lehnt sich mit Fug das Recht an und prägt in  demselben  Sinne im Reiche der  juristischen  Bedeutungen die Begriffe der Einzel- und Gesamtpersönlichkeit. In keinem Fall bedeutet "Person" eine Fiktion, in beiden Fällen eine wissenschaftliche Abstraktion. Für das Recht gibt es nur "juristische" Personen. An die Stelle der involvierenden Gegenüberstellung von "physischer" und "juristischer Person" hat die von juristischer Einzel- und Gesamtperson zu treten. Verwertet man für das Persönlichkeitsproblem gleichzeitig den Begriff der teleologischen Willenseinheit, so wird man keine mythologische Personifikation mehr darin finden wollen, daß die von der Summe ihrer Mitglieder unterschiedene Personeneinheiteinen im teleologischen Sinne einheitlichen Willen haben kann.

Während über das Verhältnis der rechtlichen Begriffswelt zum vorrechtlichen Substrat eine gewisse Übereinstimmung herrscht, gehen die Ansichten über die  Wissenschafts- und  Systemform der Jurisprudenz  noch weit auseinander. Da bereits die "Technik" des Rechts selbst Systematisierungen des juristischen Stoffes in hoher Vollendung hervorbringt, kann auch hierin nicht eine ausschließliche Eigentümlichkeit der Rechtswissenschaft gesehen werden, und es darf nicht wundernehmen, wenn sich von jeher Zweifel gegen die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz erhoben haben.

Welche Lösung diese Frage auch immer durch eine einheitliche Fixierung des kulturwissenschaftlichen Erkenntnisbegriffs finden mag, soviel darf als ausgemacht gelten, daß die Jurisprudenz auf jeden Fall hinsichtlich ihrer Selbständigkeit einen wesentlichen Vorzug vor der sonstigen Technik aufweisen müßte. Während diese nämlich die in den Dienst ihrer praktischen Zwecke gestellten rein theoretischen Kenntnisse anderswoher und zwar den Naturwissenschaften entnimmt, erzeugt die Jurisprudenz alles zur Bewältigung ihrer praktischen Aufgabe Erforderliche durch eine nur ihr eigentümliche Begriffswelt, die es sich wohl verlohnt, methodologisch zu beleuchten.

Freilich wird die Methodologie überall den praktischen Beruf des Rechts im Leben als systembildenden Faktor anzuerkennen haben und sich nicht dazu versteigen dürfen, das Logische im Recht anders als in seiner Durchdringung mit dem Praktischen zu verstehen. Mit der Forderung exakter Erforschung der logischen Struktur der Rechtswissenschaft wird der mit Recht verspotteten "Begriffsjurisprudenz" keineswegs das Wort geredet.

Man kann der Jurisprudenz eine selbständige Bedeutung zunächst in einem formalen Sinne zuschreiben, nämlich eine Selbständigkeit gegenüber dem Recht, namentlich gegenüber dem Gesetz. Trotz seines auch für die Wissenschaft richtunggebenden Charakters beansprucht das Gesetz dennoch in gewisser Hinsicht lediglich die Stellung eines bloßen Materials, an dem noch gedeutet, dessen Zuverlässigkeit noch geprüft werden kann. Es gibt ein Auseinanderfallen von Recht und Gesetz. Nicht das Gesetz, sondern das Recht bildet das Objekt der Rechtswissenschaft.

Das Gesetz ist neben dem Gewohnheitsrecht, der richterlichen Gesetzesanwendung und anderen Anhaltspunkten nur eins der  Indizien,  aus denen die Jurisprudenz das dahinter steckende System der zu einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Gemeinschaft in Wahrheit "geltenden", "vom Gesetzgeber gewollten", also durchaus "positiven" Rechtsnormen erst durch zum Teil schöpferische Arbeit gewinnen muß. Es liegt außerhalb des Rahmens dieser Skizze, von all den gegenwärtigen Untersuchungen über Gesetzesauslegung, Analogiebildung, Lücken im Recht, Gesetz und Gewohnheitsrecht, Gesetz und Richteramt, freie Rechtsschöpfung usw. auch nur ein andeutendes Bild zu geben.

Am wenigsten ergiebig zeigt sich die gegenwärtige Methodologie, wenn man von ihr über die materiale Selbständigkeit der Jurisprudenz, über die inhaltliche Eigenart, die den spezifisch juristischen Systematisierungsformen im Unterschiede zu den Systembildungen sonstiger Wissenschaften zukommt, Aufschlüsse erwartet. Auch hier ist die einseitige Orientierung der bisherigen Logik an den Naturwissenschaften der böse Schaden der Methodologie gewesen. Häufig wird übersehen, daß die den juristisch geformten Stoff zu höheren systematischen Bildungen fortgestaltenden Operationen in ähnlicher, nur noch verwickelterer Weise von dem teleologischen Grundcharakter des Rechts durchherrscht werden wie die ursprünglichen, dem vorrechtlichen Substrat gegenüber betätigten juristischen Bearbeitungsfunktionen.

Kompliziert ist die methodische Stellung der Rechtsgeschichte. Um sie genau zu bestimmen, wird man den Begriff der historischen Kulturdisziplin mit relativ systematischen Bestandteilen zu konstruieren haben, ein Analogon zu dem von RICKERT untersuchten Begriff der Geschichtswissenschaft mit relativ naturwissenschaftlichen Bestandteilen. Sodann aber erwachsen noch besondere Schwierigkeiten daraus, daß diese Disziplin entweder als Geschichte der sozialen oder als Geschichte der juristischen Rechtswirklichkeit gedacht sein und endlich als Dogmengeschichte einen Zweig der Wissenschaftsgeschichte bilden kann.

Endlich hat die Logik der Jurisprudenz auch das Verlangen der Gegenwart nach einer "allgemeinen Rechtslehre", die Forderung, daß das Ganze der Rechtswissenschaft zu seinem "allgemeinen Teil" komme, methodologisch zu analysieren. Hierbei muß dem bereits am Anfang dieses Aufsatzes erwähnten, besonders von STAMMLER bekämpften Irrtum entgegengetreten werden, es könne die empirische Forschung durch bloße Steigerung und Generalisierung des Systematisierens plötzlich in "Philosophie" umschlagen.

Der Dualismus sozialwissenschaftlicher und juristischer Betrachtungsweise dringt auch in die obersten Begriffe der rechtswissenschaftlichen Prinzipienlehre ein und erzeugt die Spaltung in eine allgemeine Soziallehre des Rechts und in eine allgemeine Jurisprudenz, die jetzt beide noch ungeschieden mit einer Menge anderer Wissenschaftsbruchstücke in der "allgemeinen Rechtslehre" zusammengeworfen werden. Der allgemeinen Jurisprudenz stehen zwei einander gegenseitig ergänzende Mittel zu Gebote: die alle historischen Rechtsordnungen umspannende vergleichend dogmatische Behandlung und die aus einer Analyse der spezielleren Begriffe sich herausarbeitende Gewinnung der juristischen Grundbegriffe.

Die Rechtsvergleichung kann aber nicht nur juristisch-dogmatisch, sondern auch ethnologisch und soziologisch betrieben werden, und mit diesen Gegensätzen kreuzen sich die Unterschiede systematischer und historischer Methode. Überhaupt nicht zur vergleichenden, das "rationell Verwandte" zusammenstellenden Rechtswissenschaft gehört, wie LEIST treffend bemerkt hat, die auf einmalige Zusammenhänge zwischen verschiedenen Rechtsordnungen, also auf ein ausschließlich historisch Verwandtes, gerichtete Forschung, z.B. die "arische Stammesrechtsgeschichte".

Rechnet man, wie hier geschehen ist, die allgemeine Rechtslehre lediglich zum Untersuchungsobjekt der Methodologie, so ist damit nicht nur die sozialwissenschaftliche und kulturgeschichtliche Behandlung der lebendigen Zusammenhänge des Rechts mit den übrigen Lebensmächten aus der Philosophie verwiesen, sondern es bleiben auch die allgemeinsten juristischen, das Verhältnis von Recht und Staat, Recht und Zwang, objektivem und subjektivem Recht usw. betreffenden Probleme der empirischen Wissenschaft überlassen.

Nicht hierüber, sondern allein über die rein methodologischen Versuche der Jurisprudenz, ihr eigenes Wesen zu verstehen, sollte in den vorangegangenen Zeilen berichtet werden. Noch besteht die Methodologie der Rechtswissenschaft nur in einer Reihe zerstreuter Bemerkungen. Aber der gerade gegenwärtig in der Jurisprudenz stark hervortretende Trieb nach logischer Selbstbesinnung berechtigt zu der Erwartung, daß sie sich in Zukunft zu einem Ganzen fügen werden.
LITERATUR - Emil Lask, Rechtsphilosophie (1905) in "Die Philosophie im Beginn des 20.Jahrhunderts". Festschrift für Kuno Fischer. Hrsg. Wilhelm Windelband, Heidelberg, 1907