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EGON SCHNEIDER
Logik für Juristen
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Der Begriff Der Sitzende ist aufgestanden. Wer aufgestanden ist, steht. Also steht der Sitzende.

Art und Gattung

Sagt man von einem noch weiter bestimmbaren Begriff (Artbegriff, species) einen übergeordneten Begriff aus, dann bezeichnet man seine Gattung (genus) und damit sein Wesen, wenngleich nur unvollständig.
    Beispiel:
    Der Vertrag ist ein Rechtsgeschäft.
    Vertrag = species
    Rechtsgeschäft = genus
Sagt man von einem nicht weiter bestimmbaren Begriff (Individualbegriff) einen übergeordneten Begriff aus, dann bezeichnet man seine Art (species). Sie bestimmt ebenfalls das Wesen, aber vollständig.
    Beispiel:
    Die Vereinbarung vom 23. 10. 1994 zwischen Kozlowski und Sackmann ist ein Vertrag.
    Vereinbarung vom 23. 10. 94 = Individualbegriff
    Vertrag = species
Sagt man von einem Artbegriff eine Eigenschaft aus, durch die eine Art von allen anderen unter den Gattungsbegriff fallenden Arten abgegrenzt wird, dann bezeichnet man damit den Artunterschied (differentia specifica).
    Beispiel:
    Der Vertrag ist zweiseitig.
    Vertrag = species
    zweiseitig = differentia specifica
("Rechtsgeschäft" ist dabei die nächste Gattung zu "Vertrag". Jedes Rechtsgeschäft, das zweiseitig ist, fällt unter die Art "Vertrag".)

Auch der Gesetzgeber arbeitet so. Er sagt z.B. von den Sachen aus, sie seien "körperliche Gegenstände" (vgl. §90 StGB). Damit grenzt er die Art ab. Die Eigenschaft "körperlich" ist der Artunterschied. Denn alle Gegenstände, die körperlich sind, gehören zu der Art "Sache"; die nähere Bestimmung "körperlich" grenzt die unter die Gattung "Gegenstand" fallenden Arten von den Verfassern des BGB in zwei  Arten  geschieden wird: in Sachen und Rechte.

Ebenso kann man z.B. die Gattung "Lebewesen" in Arten zerlegen durch Angabe des Wesensmerkmals einer Art: "vernunftbegabt". Damit hat man die Art "Mensch" gekennzeichnet; denn nur der Mensch ist vernunftbegabt.

Der dritten Aussageweise, dem Artunterschied, kommt hiernach offenbar im Denken besondere Bedeutung zu. Man nennt ihn auch  Differenz.  Die Differenz ist immer  ein Begriff:  eben jener, der einen allgemeinen auf einen nicht oder weniger allgemeinen beschränkt: "differenziert". So ist "flexibel" die Differenz, durch die die Gattung "staatliches Zahlungsmittel" zu der Art "Geldschein" differenziert wird. Die "Vernunftbegabtheit" differenziert die Gattung "Lebewesen" zum Menschen und so fort.

Eine Differenz, die eine höhere Gattun auf eine niedere einschränkt, nennt man  generische Differenz.  Beispiel: Der Hundertmarkschein verkörpert einhundert Einheiten Kaufkraft (das Verkörpern von gerade einhundert Einheiten Kaufkraft macht Geldscheine zu Hundertmarkscheinen).

Eine Differenz, die eine Art auf das Einzelding beschränkt, nennt man eine  individuelle  Differenz. Beispiel:Dieser Hundertmarkschein hier trägt die Nummer 8 212 741 452 (ein Hundertmarkschein, der eine bestimmte Nummer trägt, kann nur ein  einzelner  Schein sein).


Die Begriffsbestimmung (Definition)

Die Einteilung, mit der wir uns vorhin befasst haben, ist das Hilfsmittel für die systematische Darstellung. Sie bezweckt, mehrere Begriffe möglichst voneinander zu scheiden. Die Einteilung hat es also immer mit der klaren Abgrenzung der Einteilungsglieder zu tun. Sie gibt den  Umfang  eines Begriffs durch Abgrenzung an.

Ganz anders die Definition. Diese soll die in der Einteilung vorkommenden Begriffe  jeden für sich  klarstellen, indem sie alle in einem Begriff enthaltenen wesentlichen Merkmale deutlich herausarbeitet. Sie gibt als den  Inhalt  des Begriffes an. Die Definition des "Vertrages" z.B. hat nicht dessen Begriff von anderen Artbegriffen abzugrenzen, sondern darzulegen, welche Merkmale vorhanden sein müssen, damit von einem Vertrag die Rede sein kann.

Für die menschliche Einsicht gibt es nur  einen  Weg, Unbekanntes bekannt, Undeutliches deutlich zu machen: Das Unbekannte muß durch Bekanntes, das Undeutliche durch Deutlicheres - kurzum:  das Verwickelte muß durch Einfacheres erklärt werden.  Das ist der Grund dafür, warum wir uns so ausgiebig mit den Aussageweisen beschäftigen mußten.
    Da die Gattung stets weniger Wesensmerkmale enthält als die Art, ist sie das Einfachere, die nächstuntere Art das Verwickeltere. Definieren bedeutet nun nichts anderes, als die Gattung aufzuzeigen und den Artunterschied hinzuzufügen.
Damit hat ein Begriff seinen deutlichsten Ausdruck gefunden. Denn die vierte und die fünfte Aussageweise (Eigentümlichkeit und zufällige Eigenschaft) geben, wie wir bereits wissen, keine wesentlichen Merkmale an. In einer Gleichung ausgedrückt sieht eine Definition daher so aus:


Begriffsbestimmung = Gattung + Artunterschied

Beispiel:
Der Begriff "Sache" soll bestimmt werden. Die nächsthöhere Gattung (genus proximum) ist "Gegenstand". Der Artunterschied (differentia specifica) ist "körperlich". Also lautet die Definition: "Eine Sache ist ein körperlicher Gegenstand" (vgl. §90 BGB).

Es ist nicht schwer einzusehen, daß allem Definieren nach oben und nach unten Grenzen gesetzt sind. Was keine Gattun mehr über sich hat, kann nicht definiert werden, z.B. nicht das Sein, das Werden, das Gerechte, Gott usw. Was keine Art mehr bildet, kann ebenfalls nicht definiert werden: Das Einzelwesen kann nur gezeigt oder gezählt werden, z.B. das auf meinem Schreibtisch liegende Nachschlagewerk, die Angeklagten Max Meier und Anton Bienek.

Es ist jedoch zweierlei, zu wissen, was eine Definition ist, und zu definieren! Die Gattung aufzufinden, die als nächst höhere in Betracht kommt, ist manchmal schon schwierig genung; noch schwieriger ist es aber in der Regel, die differentia specifica zu erkennen. Es ist nicht zufällig, daß sich in Prüfungen betretenes Schweigen ausbreitet, wenn der Prüfer die anscheinend harmlose Frage stellt: "Was  ist  der Fund, die Urkundenfälschung, das Rechtsgeschäft?"  Definieren kann man nämlich nur, was man genau verstanden und erkannt hat. 

Ganz genau verstanden hat man etwas erst dann, wenn man dessen Grenzen zu anderen Dingen kennt, die man dazu aber auch wieder verstanden haben muß.

Ich bitte den Leser, auf der Stelle zu sagen, was eine Socke, ein Schriftstück oder ein Sofa  ist.  - Die Schwierigkeiten, die ihm diese Aufforderung behauptet sind aufschlußreich. Die Mehrzahl der Menschen ist nämlich nicht imstande, die einfachsten und alltäglichsten, tausendfach erfahrenen Dinge exakt zu bezeichnen. Und nun mache man sich einmal klar, wie es bei  komplizierten  Begriffen steht: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und dergleichen. Solcher Begriffe bedienen sich beispielsweise unsere Politiker täglich:  und sind nicht in der Lage zu sagen, was sie darunter verstehen!  Sie haben nur das  Wort,  aber keinen klaren Begriff. Überall und ständig reden Menschen aneinander vorbei, weil sie nicht von übereinstimmenden Begriffsinhalten ausgehen.

In schwierigen Fällen kann man sich manchmal damit behelfen, daß man beschreibt oder erklärt, anstatt zu definieren.

Die Beschreibung hält sich an das  Was  und  Wie.  Sie ist die Darlegung eines Sachverhaltes mit dem Zweck, eine klare und deutliche Vorstellung von ihm zu vermitteln. Zum Beispiel: V-Männer sind Vertrauenspersonen, die der Polizei Informationen aus der Verbrecherszene liefern, um die Ermittlungen zu erleichtern, und dafür eine Vergütung oder Vergünstigung erhalten.

Erklären heißt, das Auftreten einer Tatsache durch Darlegung der Ursachen und Wirkungen begreiflich, als das  Weil  und  Warum  einsichtig machen. "Die Rechtskraft  schafft  Rechtsfrieden." Oder: "Die Handlung  führt  den Erfolg  herbei."  Solche Beschreibungen können sehr nützlich sein. Man darf die Erklärung aber nicht als Definition nehmen; sonst überfordert man sie. Immer, wenn aus Begriffen Folgerungen abgeleitet werden, müssen sie im strengen Sinne definiert werden.

Keine Definitionen im logischen Sinne sind weiter die sogenannten Verbal-, Real-, und Nominaldefinitionen.

Die Verbaldefinition bestimmt ein Wort durch Zurückgehen auf seine  sprachliche  Bedeutung oder auf ein anderes bekanntes Wort. "Demokratie ist die Herrschaft des Volkes". "Straftat ist eine Tat, die Strafe nach sich zieht." "Dolus ist Vorsatz."

Die Realdefinition  kennzeichnet  einen Gegenstand durch seine Eigenschaften, ohne ihn - wie die echte Definition - in seinem Wesen eindeutig zu bestimmen. "Enteignung ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz."

Die Nominaldefinition (Benennungsdefinition) gibt den Sinn an, den  der Definierende  mit einem Wort verbunden wissen will. Der Wortsinn wird dabei in bestimmter Weise festgelegt, um Mißverständnissen vorzubeugen. Damit wird bezweckt, einen einheitlichen Ausgangspunkt, eine gemeinsame Denkgrundlage für die Erörterung eines Themas oder die Beantwortung einer Vorfrage zu schaffen. Die Nominaldefinition will also weder den wesentlichen Inhalt eines Begriffs wiedergeben noch seinen Ort im Begriffssystem eindeutig bestimmen. Sie ist vor allem für den Gesetzgeber unentbehrlich. Er kann z.B. vorschreiben, daß unter "Genehmigung" nur die nachträgliche Zustimmung zu verstehen ist, oder daß als Erbe auch die Leibesfrucht anzusehen sei. Damit wird bei der Anwendung  des Gesetzes  (also nicht  allgemein!)  jeder Streit über das Wesen der Genehmigung oder des Erben überflüssig.

Solche Nominaldefinitionen kommen auch als Ergebnis der Gesetzesauslegung vor. So war etwa in einem Beschluß des Amtsgerichts Wuppertal zu lesen: "Ehefrauen" im Sinne des §2 Abs.3 ZuSEG (a.F.) sind auch Ehemänner, die die Tätigkeit wahrnehmen, die in der Regel die Ehefrau versieht."

Diese Zusammenhänge werden nicht selten verkannt. Unter Berufung auf sogenannte sachlogische Strukturen, die dem Gesetzgeber vorgegeben seien, wird ihm immer wieder einmal die Möglichkeit abgesprochen, rechtliche Gegenstände in einem bestimmten, ihm genehmen Sinne zu definieren. Das trifft jedoch nur zu für echte Definitionen (Essentialdefinitionen). Nur sie könne das Wesen eines Gegenstandes erfassen oder verfehlen. Es gilt nicht für Nominaldefinitionen. Das läßt sich an dem heute immer noch umstrittenen strafrechtlichen Vorsatzbegriff zeigen.

Den Vorsatz als Erscheinung der Wirklichkeit, als seienden Gegenstand, kann nur eine einzige Definition richtig erfassen, sofern sie echte Definition ist, als das Wesen vollständig bestimmt. Nominaldefinitionen dagegen sind in beliebiger Zahl denkbar. Der Gesetzgeber kann heute sagen, unter Vorsatz verstehe er dieses, und morgen kann er jenes darunter verstehen. Eine ganz andere Frage dagegen ist, ob er gut daran tut, Nominaldefinitionen aufzustellen, die von der echten Definition abweichen. Alles dies wird oft durcheinandergeworfen, und man streitet sich nur, weil keiner dasselbe meint.

Um zu Essentialdefinitionen zu gelangen, gibt es zwei Wege: die  Analyse  (das Auseinanderlegen) und die  Synthese  (das Zusammenfügen). Nehmen wir an, Herr Gold habe sich verpflichtet, an Herrn Silber einen Klubsessel zu liefern; dafür soll Silber 1000 Mark zahlen. Von diesem einmaligen, unvertauschbaren Lebensvorgang ausgehend, gelangt man durch Weglassen der unwesentlichen Merkmale, also durch Abstraktion, zum Arbegriff "Kauf", von dort zu "Vertrag" und schließlich zu "Rechtsgeschäft". Die zusammengesetzten, mit Einzelheiten erfüllten Begriffe werden in immer einfachere, inhaltsärmere Begriffe aufgelöst, zerlegt. Das ist die  analytische  oder  induktive  Methode.  Sie ist das Verfahren, das allein der Rechtswissenschaft angemessen ist. 

Juristische Begriffe müssen im Rechtsleben verwurzelt sein, sonst tun sie ihm Zwang an mit blutleeren, erkünstelten Schablonen. Die aus dieser Erkenntnis hervorgegangene Arbeitsweise ist die  Interessenjurisprudenz  oder  teleologische Rechtsfindung. 

Man kann auch umgekehrt verfahren, indem man vom Begriff "Rechtsgeschäft"  ausgeht.  Durch Hinzufügen von Artunterschieden gelangt man dann zu "Vertrag" und "Kauf". So verfährt die  synthetische  oder  deduktive  Methode. Sie steigt vom einfachen und inhaltsarmen Begriff hinab zum zusammengesetzten und inhaltsreichen. Der kritische Leser wird sogleich fragen: "Aber wie kommt man denn hier an den obersten Gattungsbegriff?"

Ich will offen darauf antworten: "Auf wissenschaftlich redliche Weise kann man ihn nicht finden!" Es gibt aber ein eingebürgertes Verfahren dafür. Man  behauptet  kurzerhand, ein höherer oder höchster Gattungsbegriff sei so und so beschaffen, z.B. der Staat sei ein "sozialer Kontrakt". Alsdann "belegt" man diese Behauptung durch die "Vernunft", das "Naturrecht", die "Rechtsidee" oder ähnlich tönende Wendungen.

Die Rechtsgeschichte hat uns einen solchen wissenschaftlichen Schelmenstreich ersten Ranges in der sogenannten "Begriffsjurisprudenz" überliefert. Man entnahm dem zweitausend Jahre alten Corpus Iuris des römischen Kaisers Justinian irgendwelchen dunklen Begriffe: hereditas iacens, Korrealobligationen, Besitzwille, Servitut und dergleichen. In stiller Studierstube, ohne Rücksicht auf das Leben und die Praxis, wurden sodann solche Allgemeinbegriffe zu "Systemen" ausgesponnen. Wem dieses Urteil zu hart erscheint, der schaue sich folgende Stelle aus einem Lehrbuch der Institutionen von 1848 an:
    Der Geist ist: rechtes  Ist, Sein,  esse, denn er ist nicht "das sein", sondern ist: " Sein  sein"; der Geist ist  Ge-ist."
Was definieren heißt und wie man die erforderlichen Gattungsbegriffe gewinnt, welche Schwierigkeiten und Gefahren bestehen, wissen wir nun. Wie bei der "Einteilung", so kennt die Logik auch hier Regeln, die beim Definieren zu beachten sind und richtiges Arbeiten gewährleisten. Sie zu kennen ist sehr wichtig!


Erste Regel:
 Die Definition muß deutlicher sein
als der zu bestimmende Begriff. 
    "Recht ist das unverletzbare selbstherrlich verbindende Wollen."
Wissen Sie jetzt, was Recht ist? Nein? Bitte, ich kann mit anderen Definitionen aus dem Schrifttum dienen:
    Recht ist die höchste, der Natur eigene Vernunft, die vorschreibt, was getan werden sollte und die das Gegenteil davon verbietet."
Oder:
    "Recht ist ein System sozialer Beziehungen, das dem Interesse der herrschenden Klasse dient und daher von deren organisierter Macht, das ist dem Staat, unterstützt wird."
Mir scheint, daß keine dieser Definitionen deutlich macht, was das Recht  ist. 

Gegen die erste Regel wird immer dann verstoßen, wenn der zu klärende Begriff beim Definieren wieder auftaucht:
    "Schuld ist das seelische Verhalten, das dem Täter bei einer Gesetzesverletzung  zum Verschulden  angerechnet wird." - "Erbe ist, wer den Verstorbenen  beerbt.  Oder weniger deutlich, aber nicht weniger falsch: "Sozialstaatlichkeit ist der Inbegriff aller Verpflichtungen des  Staates,  die Achtung der Menschenwürde im sozialen Bereich zu verwirklichen."
Auch  inhaltlich  recht einfältig ist folgende Definition aus einem Verwaltungsrechtslehrbuch:
    "Spielfilme sind solche Filme, die eine fortlaufende Spielhandlung enthalten, um derentwegen sie hergestellt werden."
Den geradezu ein logisches Ärgernis erregenden Begriff des "eigenständigen Delikts" hat ein fleißiger Jurist definiert als "selbständiges Delikt mit unselbständigem Tatbestand".


Zweite Regel:
 Die Definition darf nichts Überflüssiges enthalten und nichts Wesentliches weglassen. 


Hiergegen wird am meisten verstoßen. "Aussage ist die Äußerung eines bestimmten seelischen Inhalts des sich Äußernden." Stimmt das? Wenn eine Zeugin vor Gericht Weinkrämpfe bekommt oder aufschreit oder in Ohnmacht fällt, nachdem der Angeklagte hereingeführt worden ist - soll das "Aussagen" sein? - Die Definition ist zu weit, weil sie Wesentliches wegläßt. Es paßt zuviel darunter; und deshalb ist sie nutzlos, ja, sogar gefährlich, weil sie, von Buchstabengläubigen angewandt, Unheil anrichten kann.

Auch die verbreitete Begriffsbestimmung "Verwaltung ist die Tätigkeit des Staates zur Erfüllung seiner Zwecke" ist zu weit. - Eine Taxe - so heißt es in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes - sei "ein an einem Parkplatz für Mietautos stehender Kraftwagen". Hoffentlich stand zur Zeit der Entscheidung nicht zufällig die Müllabfuhr dort!

Berühmt, oder besser: berüchtigt ist die Begriffsbestimmung der Ehe bei Kant: "Ehe ist die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften." Ob ein  verheirateter  Kant auch so definiert hätte?


Dritte Regel:
 Die Definition muß umkehrbar sein. 

"Vollmacht ist die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht"
 Umkehrung:  "Die durch Rechtsgeschäft erteilte Vertretungsmacht ist die Vollmacht." Es klappt; die dritte Regel ist beachtet. Versuchen Sie die Umkehrung aber einmal hierbei:
    "Ein Vertrag ist ein Rechtsgeschäft" oder "Eine Sache ist ein Gegenstand".
Es ist in diesen Beispielen nicht statthaft, Satzgegenstand und Satzaussage zu vertauschen. Das sähe nämlich so aus: "Ein Rechtsgeschäft ist ein Vertrag" oder "Ein Gegenstand ist eine Sache". Das stimmt in beiden Fällen nicht, da auch einseitige Willenserklärungen wie Mahnung, Kündigung, Anfechtung und dergleichen Rechtsgeschäfte sind; und ebenso kann ein Gegenstand auch ein Patentrecht, ein Nießbrauch oder eine Hypothek sein. Die Umkehrbarkeit scheitert daran, daß nur die Gattung, nicht aber der artbildende Unterschied in die Begriffsbestimmung aufgenommen worden ist.


Vierte Regel:
 Die Definition muß bejahend sein. 


Man kann etwas nicht dadurch in seinem Wesen erhellen, daß man sagt, was ihm  fehlt.  Dennoch ist gerade dieser Definitionsfehler sehr verbreitet. "Verwaltung ist alles, was weder zur Rechtsprechung noch zur Gesetzgebung gehört". "Täter ist, wer weder Anstifter noch Gehilfe ist." Hinterher folgen dann gewöhnlich seitenlange Ausführungen darüber, was die Verwaltung oder der Täter  nicht  ist. Der arme Rechtsanwender mag zusehen, daß seine Rechnung am Ende aufgeht.


Das Wort als Zeichen des Begriffs
I. Der Mensch denkt in Begriffen. Er will und muß aber nicht nur  denken,  sondern er will und muß seine in Begriffe gefaßten Gedanken auch  mitteilen.  Dazu bedient er sich der Sprache. Der sprachliche Ausdruck des Begriffs ist das Wort. Je treffender der Ausdruck, den wir verwenden, um so schärfer hebt sich der Begriff heraus. Deshalb konnte SCHOPENHAUER mit Recht sagen: "Der Stil ist die Physiognomie des Geistes." Die meisten wissen nicht, wie wahr das ist! Es hängt mit folgendem zusammen:

Je klarer man denkt, umso klarere Worte stellen sich ein. Begriff und Wort lassen sich nicht voneinander lösen, sowenig wie die Farbe vom Gemälde oder der Druck vom Buch. Ja, einige Denker setzen sogar Wort und Begriff ohne weiteres in eins. Verwendet daher jemand unklare Worte, so hat er auch unklare Begriffe, - es sei denn, er ist zu nachlässig, sich richtig auszudrücken:
    "Die europäische Rechtsgeschichte ist seit dem Hochmittelalter Folge der Übertragung der rechtswissenschaftlichen Selbstbewegung auf die Wirklichkeit von Staat und Gesellschaft gewesen, die sich vermöge der für Europa kennzeichnenden Herrschaft des Bewußtseins über das geschichtliche Handeln jeweils mit Notwendigkeit vollzog."
Das ist noch ein ganz harmloser Satz. Aber erkennt man nicht schon daran, wie "großzügig" hier gedacht wird, wie schwierige Fragen mit einer alles einebnenden Antwort abgetan werden? Oder: "Was schließlich den Arbeitsgerichtsprozess angeht, so ergibt sich die Begrenzung des Verfahrens vor diesem Sondergericht aus der Natur der Sache." So schreiben, heißt bekennen, daß man es dem Leser überläßt, dem Satz einen Inhalt zu geben. Und wer sich nicht scheut, als letzte Erkenntnis dies von sich zu geben: "Zeit ist, was, wenn es nicht ist, ist, und wenn es ist, nicht ist" - mißbraucht die deutsche Sprache, um Tiefe vorzutäuschen.

Über das Verhältnis von Wort und Begriff ist sehr viel geschrieben worden. Es ist nicht notwendig, daß wir uns damit befassen. Nur auf  eine  Einteilung der Wörter muß ich hinweisen: auf die Einteilung in EINDEUTIGE und MEHRDEUTIGE (äquivoke) WÖRTER.

 Eindeutige Wörter  sind solche, die nur einen einzigen bestimmten Sinn haben, z.B. Reallast, Bundestag, BGB, Notwehr, Beleidigung. Dabei ist es natürlich unerheblich, ob dieses eindeutige Wort auf verschiedene Gegenstände angewendet werden kann. Das Recht der Notwehr steht dem Gläubiger ebenso zu wie dem Überfallenen, die Reallast kann für große und kleine, überschuldete und unbelastete Grundstücke eingetragen werden.

 Mehrdeutig  oder äquivok nennt man Wörter, die zwei oder mehr verschiedene Bedeutungen haben können, z.B. Anfechtung (Anfechtung nach BGB und Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz), Fahrlässigkeit (im bürgerlichen Recht und im Strafrecht), Partei (im Zivilprozeß und im Staatsrecht), Besitz (im Strafrecht und im Zivilrecht); Einrede, Einwendung (im BGB und in der ZPO); begründet (mit einer Begründugn versehen und sachlich gerechtfertigt).

Manche berühmten Sätze leben nur von der Mehrdeutigkeit. "Es gibt keinen Gott außer Gott". - "Der König ist tot, es lebe der König!"

Die Zahl der äquivoken Wörter ist größer, als man ahnt: Bank, Fuß, blau, rot, schwarz, links, rechts, Esel, Kindskopf, Flügel, Boden, Bauer, Dame, haarig, spinnen, versilbern, feuern und so weiter und so fort. Das beruth darauf, daß der Mensch neue Erfahrungen nur mit alten Begriffen meistern kann. Das erreicht er durch Übertragungen und Analogien. Diese Tatsache, zusammen damit, daß man sich ihrer so selten bewußt wird, ist eine wesentliche Ursache für Denkfehler.

Dabei spielt natürlich mit, daß die Mehrdeutigkeiten oft nur feine Nuancen ausmachen, die schwer zu erkennen sind, auf die es aber ankommt. Darauf haben z.B. die griechischen Sophisten abgestellt, die sich die Mehrdeutigkeit der Wörter zunutze gemacht haben, um ins Absurde argumentieren zu können.
    Der Sitzende ist aufgestanden.
    Wer aufgestanden ist, steht.
    Also steht der Sitzende.
II. Die Mehrdeutigkeit der Wörter ist eine der Nahtstellen, an denen die juristische Logik in die Lehre von der Auslegung der Gesetze und der Willenserklärungen übergeht. Angenommen, ein Gesetz verbiete es, im Wald Zelte aufzustellen und darin zu übernachten. Ist dann auch das Abstellen un Übernachten im Wohnwagen oder in einem Personenkraftwagen verboten? Oder: Ein Metzgermeister will seinen Laden sauber halten und hängt ein Schild an die Eingangstür: "Keine Hunde!" Darf eine Kundin dann ihre Katze oder ihr Meerschweinchen mit in die Metzgerei bringen?

Die Antwort auf solche Fragen hängt ab vom "Sinn des Gesetzes" oder vom "Wortsinn", also davon, was mit dem Gesetz oder dem Schild des Metzgers  bezweckt  wird. Diese Sinnermittlung von Begriffen und Wörtern ist Auslegung. Im Streitfall kann die Tragweite nahezu aller Wörter und Begriffe zweifelhaft werden, die in Gesetzen oder Verträgen oder einseitigen Erklärungen enthalten sind. Die Logik hilft dann nicht weiter; sie lehrt nur, was Begriffe  sind,  nicht, welche juristische Bedeutung sie im Einzelfall haben. Dies zu klären, ist allein Aufgabe der Juristen, die dabei in den §§ 133 und 157 BGB zwei Arbeitsanweisunen vorfinden:
    Bei der Auslegung einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Diese Interpretationsanweisungen gelten auch für die Gesetzesauslegung. Viel anzufangen ist damit natürlich wegen der ganz allgemeinen und wertenden Fassung nicht. Die juristische Methodenlehre hat deshalb differenzierte Arbeitsregeln entwickelt, den sogenannten "Auslegungskanon". Sieht man von den zahlreichen umstrittenen Einzelheiten ab, dann läßt er sich etwa auf den folgenden Prüfungsablauf verdichten:
  • Auszugehen ist vom üblichen Wortverständnis.
  • Führt dies nicht weiter, dann ist auf die geschichtliche Entwicklung und die Materialien zurückzugreifen.
  • Sodann ist der Systemzusammenhang herauszuarbeiten.
  • Da sich jede Gesetzesnorm als ein Versuch darstellt, widerstreitende Interessen auszugleichen, muß vor jeder endgültigen Festlegung auch die Interessenlage geklärt werden.
  • Soweit Anlaß dazu besteht, ist auch die Übereinstimmung des Ergebnisses mit den Grundsätzen der Verfassung zu prüfen.
  • Letzte Kontrollstation ist die nach dem Rechtsgefühl zu treffende Wertung, ob das so gefundene Auslegungsergebnis auch der Billigkeit entspricht. Psychologisch gesehen ist dieser Auslegungstopos der wichtigste von allen. Es gibt kaum eine Fortbildung des Rechts, die sich nicht auf den "Willen zum Ergebnis" zurückführen ließe.
Doch, wie gesagt, diese Inhalts- oder Wahrheitsfragen lassen sich nicht mit Hilfe der Logik beantworten. Ob die juristische Methodenlehre oder die Rechtsphilosophie eine zuverlässige und überzeugende Antwort darauf anzubieten haben, ist ebenfalls nicht unser Thema. Die Schwierigkeiten können insbesondere bei vertraglichen Vereinbarungen nahezu unüberwindbar werden. Das wußten und wissen auch die Gesetzgeber. So war schon im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 der Richter ermächtigt worden, Verträge "bey entstehendem Zweifel" zu ergänzen. Er hatte dabei "auf die wahrscheinliche Absicht der Parteyen bey dem Geschäfte; auch den Zweck ... und auf die übrigen bey Schliessung des Vertrags vorgewalteten Umstände Rücksicht zu nehmen."

Im BGB fehlt eine entsprechende Ermächtigung. Da aber ohne sie nicht auszukommen ist, haben Rechtsprechung und Schrifttum dasselbe Ergebnis erreicht, indem sie aus §157 BGB die Befugnis zur ergänzenden Vertragsauslegung, auch lückenschließende Rechtsfindung genannt, abgeleitet haben. Doch ungeachtet der dadurch geschaffenen weitreichenden Möglichkeiten der Vertragsergänzung kommen immer wieder Fälle vor, in denen keine wirklich überzeugende Lösung zu finden ist.
LITERATUR - Egon Schneider, Logik für Juristen, München 1995