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(1856-1938) [mit NS-Vergangenheit] Die Lehre vom richtigen Recht [ 1 / 2 ]
Eröffnung Aufgabe des richtigen Rechts I. Von zwei Arten der Rechtslehre "Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig." - Paulus Die Rechtslehre kann in zweifacher Absicht unternommen werden. Ich nenne jene die technische und die andere die theoretische Rechtslehre. Das Eigentümlich jeder Technik liegt darin, daß sie eine stofflich begrenzte Aufgabe zu erfüllen hat; ohne fragen zu dürfen: wie das ihr gerade gesteckte Ziel sich weiter in die unbedingte Einheit des Bewußtseins einreiht. Dagegen ist es das Wesen der Theorie, vom einzelnen bis zur obersten Gesetzmäßigkeit und wieder lückenlos hinauf auf methodisch gebauten Stufenreihen zur Lösung von besonderen Fragen zu schreiten. Die technische Rechtslehre hat es, ihrem eigenen Gedanken nach, nur mit Reproduktion zu tun; sie will bloß wiedergeben. Von ihr gilt, vielleicht zutreffender, was BÖCKH als Begriffsbestimmung der Philologie angab: Erkennen des schon einmal Erkannten. Mag sich dieses auf scharf umrissene Paragraphen eines Gesetzbuches beziehen oder auf die mehr verschwommenen Gebilde rechtlicher Gewohnheit und Übung, - mögen sich die Erörterungen um einen behaupteten eigentlichen Gedanken der Recht setzenden Gewalt drehen oder vielleicht notwendige Folgerungen juristischer Satzungen in feiner Einzelarbeit ausgemalt werden: immer umgrenzt es sich als eine Wiedergabe von einem Willensinhalt, welcher vorhanden ist und der hier in einem Interesse dargelegt wird, weil er da ist. Daß die technische Rechtslehre, indem sie sich vervollkommnet, mit abgezogenen Begriffen arbeitet, ändert hieran gar nichts. Denn diese sollen nur ein Rüstzeug für die Erfassung eines besonderen Rechts sein, zum Zweck der Reproduktion des letzteren zu brauchen; wobei sich der Plan der Arbeit mit der Ausführung dieser Wiedergabe ohne allen Rest erfüllt. Aus dieser Ursache führt auch die neuerdings stärker betonte allgemeine Rechtslehre oder juristische Prinzipienlehre uns im Grundgedanken nicht weiter. Diese Disziplin will die allgemeinen Begriffe behandeln, welche von besonderen juristischen Lehrabteilungen unabhängig sind und die beim Aufbau jeder Jurisprudenz verwendet werden. Doch auch hier ist es sofort klar, daß diese Arbeit innerhalb der Absichten einer technischen Rechtslehre verbleibt. Denn man kann damit immer wieder nur nebenher gehende Hilfsmittel zur Bewältigung der begrenzten Aufgabe erhalten, positive Rechtsordnungen in dem Sinne ihrer Bestimmungen zu erkennen. Die letzte Frage, die hier gestellt wird, das oberste Ziel, welches sich dabei zeigt, ist die Aufhellung des Inhaltes eines gewissen Rechtswillens: Dieser besondere Willensinhalt bedeutet für den ihn Durchsuchenden ein Problem für sich; und bei aller quantitativen Häufung von besonderen Rechtsinhalten, als Gegenständen einer eigenen Erkenntnis, kommt man über das bloß technische Vorhaben der Klarmachung eines gegebenen, einmal geäußerten Wollens nicht hinaus. Dieses Ziehen einer festen Grenzlinie hat für den juristischen Arbeiter zunächst gewisse Vorteile. Indem er sich zum Beruf macht, möglichst gut zu wissen, was das gesetzte Recht wirklich bestimmt (verbunden mit der Kunst der Rechtsanwendung): so vermag er, die also aufgegebene juristische Technik zu hoher Vollkommenheit zu bringen und sie zum Rang einer Wissenschaft zu erheben. Denn Wissenschaft ist jedes Bewußtsein, das auf Einheit geht und in der Umformung zu ihr sich vollendet. Durch das Streben nach Einheit scheidet sie sich von bloßer Kunde. Sie wird reine Wissenschaft heißen oder Theorie im besseren Sinn des Wortes, wenn die ins Auge gefaßte Einheit unbedingt ist und die Idee einer stofflich befreiten Vollkommenheit darstellt. Und sie ist zum andern eine technische Wissenschaft, falls sie sich mit einer Erkenntnis zufrieden gibt, welche in jedem Augenblick auf einen endlich begrenzten Stoff eingeschränkt ist. Aber diese freiwillige Selbstbegrenzung darf nicht zum Prinzip erhoben werden. Wer das tun - und mancher juristische Positivist hat es getan -, der erwählt sich zum Endziel seines Schaffens einen Gegenstand, der nur als ein bedingtes Mittel zu einem guten Ende einen sachlichen Wert haben kann. Dieser Satz bedarf im jetzigen Zusammenhang keines ausführlichen Beweises. Denn wie immer man sich die rechtliche Anordnung in ihrem Entstehen und Auftreten und Untergehen vorstellen mag, soviel ist sicher, daß ihre Satzung ein gewisses Verhalten der ihr Untergebenen beobachtet wissen will. Indem sie einen Zustand gebietet oder versagt, so fügt sie sich als ein Mittel für einen zu erreichenden Zweck oder ihrer mehrere und vielleicht sehr viele, bedingt und dienend ein. Erst der Wunsch nach voller Durchleuchtung des nun einmal so Gewollten erhebt dieses bei dem es Bearbeitenden zu seinem, des Technikers, Endzweck. Das besondere gesetzte Recht entschwindet aus dem unbegrenzten Mechanismus der Mittel, welche selbst wieder Zwecke waren und der Zwecke, die für sich wieder Mittel sind; es wird abseits gelagert und erhält ein eigenes Reich mit dem sonderbaren Gedanken einer bedingten Unbedingtheit unter sich. Das bleibt dann nicht ohne Nachteile in der Sache. Auch das geistige Auge akkomodiert sich [paßt sich an - wp]. Wer sich daran gewöhnt, immer und ausschließlich nach fester und begrenzter Flächer in der Nähe zu sehen und die Eigentümlichkeiten nur jener aufzuspüren, wird im Blick auf das um ihn Seiende leicht an Schärfe verlieren. Und so mag es kommen, daß bei bloßer technischer Rechtslehre sich vornehmlich jene Art ausbildet, welche man längst die formalistische Betrachtung der Juristen genannt hat. Was ist nun eine derartige formalistische Weise? Offenbar nichts anderes, als dieses: daß jemand als das Letzte, was für ihn in Betracht kommt, einen empirisch bedingten Gegenstand, hier eine besondere Satzung, behandelt. Er nimmt eine gesetzte Norm als das oberste Gebot, ohne ihre notwendige Eigenschaft, ein bloßes Mittel zu sein, in seinem Urteil zu beachten. Und dann kommt eine begründete Unzufriedenheit mit solch einer formalistischen Art. - Sobald einer nichts anderes gelernt hat, als nur Striche nach einem gegebenen Punkt zu ziehen, so wird er demjenigen beschränkt erscheinen, dessen Einsicht auf Geometrie überall geht; und wer die anscheinend so fest stehende Erde als den unbeweglichen Mittelpunkt des Weltalls wirklich annimmt, der wird vor dem auf das Ganze des Sternensystems gerichteten Blick mäßig bestehen. Für die Rechtslehre liegt die formalistische Gefahr besonders nahe. Denn die rechtliche Regelung bedeutet im Begriff der Gesellschaft die bedingende Form, während die zusammenstimmende Tätigkeit der verbundenen Menschen die durch jene bestimmte Materie des sozialen Daseins ist. In dem in Wirklichkeit ungetrennt vorkommenden Zusammenwirken von Menschen, woraus das Gemeinschaftsleben besteht, lassen sich die beiden Begriffselemente der Regelung und der zusammengefaßten Tätigkeit unterscheiden; und zwar so, daß jene, als formale Bedingung, für sich in ihrem Inhalt durchgegangen werden kann, während für die soziale Wirtschaft eine Erwägung, die von den bedingenden Regeln unabhängig wäre, unmöglich erscheint. Darum ist die Rechtslehre notwendigerweise formal, in der angegebenen Bedeutung. Ihre Ergebnisse sind von der wirklichen Ausführung innerhalb des betreffenden geordneten Zusammenwirkens unabhängig; sie hat den Inhalt einer bestimmten Rechtsordnung klar zu machen und kann dieses erledigen, ohne auf eine besondere Art sozialer Wirtschaft Bezug zu nehmen. Und das ist die Eigentümlichkeit jeder Gedankenreihe, die als formale Bedingung von anderen auftritt: Die Form kann für sich gesondert wissenschaftlich behandelt werden. Hiernach ergibt sich der Unterschied zwischen einer formalen Wissenschaft und einer formalistischen Weise der Betrachtung. Jene bedeutet eine Forschung, deren Ergebnisse die Bedingungen für andere Erkenntnisse sind, - das zweite heißt nur eine Richtung in irgendeinem Fach, welche ein konkret bedingtes Objekt nach Art der unbedingten Einheit des Bewußtseins behandelt. Die Rechtslehre gehört insgesamt zur formalen Wissenschaft, da sie auf die bedingende Form des sozialen Lebens gerichtet ist; es ist erst diejenige technische Rechtslehre, welche sich auch sich selbst beschränkt, die der Gefahr einer formalistischen Behandlungsart zum Opfer fällt. Man hat dem letzteren zu steuern versucht. Und es ist interessant zu sehen: wie sich innerhalb der technischen Rechtslehre noch einmal ein Gegensatz zwischen formalistischer und teleologischer Behandlung ausgebildet hat. Nach der letztgenannten soll die Erkenntnis eines bestimmten Rechtsinhaltes nicht bloß aus abgezogenen Rechtsbegriffen gewonnen werden, welche die bisherige Rechtswissenschaft im allgemeinen zutreffend für ihre Aufgabe gewonnen und verwertet hatte, sondern auch durch eine Beachtung der konkreten Zwecke, welche zur Satzung des jetzt zu behandelnden Rechts hingeführt haben. Jenes erste würde dann in einer zweiten, engeren Bedeutung des Wortes eine formalistische Darlegung heißen können. Das ist jedoch eine sehr flüssige Abteilung. Es wird bei der Feststellung des wirklichen Sinnes eines bestimmten Rechts bald das eine oder das andere Mittel anzuwenden sein. Und daß die Juristen einer bestimmten Zeit ausschließlich von diesem oder dem zweiten Verfahren Gebrauch gemacht haben, wird schwer gezeigt werden können; es dürfte sich wohl nur um ein relatives Vorwiegen einer der beiden Deduktionen handeln. In jedem Fall hat die gemachte Trennung mit der hier durchgeführten Erwägung nichts weiter zu tun. Sie verbleibt, wie bemerkt, innerhalb der technischen Rechtslehre, weil es den beiden genannten Arten der Erörterung immer nur auf die Klärung des Sinnes eines gegebenen Rechtes ankommt, ihnen beiden es aber gleichmäßig zu eigen sein kann, daß sie ihre Aufgabe bloß technisch auffassen und ihr beschränktes Ziel wie ein unbedingtes Gesetz nehmen. Das Einschalten der konkreten Einzelzwecke, die bei der Setzung von bestimmtem Recht sich maßgeblich erwiesen haben, vermag an jener Begrenzung auf bloß technische Arbeit umso weniger etwas zu ändern, als sie dort ja auch nur als Tatsachen hingenommen werden. In der Gestalt, in der sie auftraten und da waren, hält man sie fest: nicht, um sie in das Ganze der teleologischen Gesetzmäßigkeit einzuschmelzen und in der Einheit dieser zu richten und zu bestimmen, sondern weil man sie als Handlanger anstellt, damit sie einen etwa zweifelhaften Sinn von positiver Satzung ins Klare bringen, dann aber gehen möchten. Das hilft jedoch dem Zweifel nicht ab: Wozu eigentlich die spezifisch juristische Tätigkeit gut sei? Darauf muß sich doch ein befriedigender Bescheid aus dem Ganzen der menschlichen Geistesarbeit her ableiten lassen; in welches Ganze dann freilich das dem Juristen eigentümliche Tun geschlossen einzufügen wäre. Wer eine solche Besinnung trotzig ablehnen und gar die Auskunft versuchen wollte, daß jene zu seiner, des Rechtsgelehrten, Aufabe nicht zähle, der ist jedem radikalen Angriff auf die Würde und den Wert seiner Mühewaltung schutzlos ausgesetzt und gegen eine grundsätzliche Bezweiflung ohne Wehr und Waffen. Man hat häufig und bitter über die mangelnde Popularität der spezifisch juristischen Arbeit geklagt, auch wohl von einer Entfremdung zwischen Juristen und Volk gesprochen; aber dabei, wie es scheint, den wahren Grund jener gesellschaftlichen Erscheinung nicht getroffen. Denn dieser kann in sachlichem Betracht kein anderer sein, als die Isolierung der Jurisprudenz in ihrer Eigenschaft als technischer Rechtslehre. Da sie diese ihre technische Aufgabe zu einem kleinen unbedingten Prinzip erhob und sich und ihren Gegenstand nicht mehr als dienendes Glied im Ganzen des sozialen Daseins empfand, so mußte sie notwendig die Fühlung mit dem gesamten Geistesleben der Mitwelt einbüßen. Und diese positive Einengung wiederum ist es, welche das Wort LUTHERs stehen läßt: "Ein Jurist, der nicht mehr denn ein Jurist ist, ist ein arm Ding!" Vergebens schlägt man den seltsamen Ausweg vor, den sonstwie Arbeitenden größere juristische Kenntnisse zu verschaffen, um damit die Kluft, die genannt wurde, auszufüllen. Aber wer sich der Einsamkeit ergibt und nun doch nicht gerne allein ist, tut nicht sehr logisch, wenn er zu sich, dem Einsiedler, das andere Volk hinausruft. Nicht der Mangel an Kenntnissen positiver Rechtsbestimmungen hat jene Entfremdung bewirkt, so daß sie mit der Vermehrung des juristischen Wissens verschwinden müßte; sondern die Behandlung des gesetzten Rechtes und seiner Lehre als Selbstzweck ist die Ursache des Zwiespaltes. Und bei diesem Gegensatz ist derjenige, der das Mittel zum Endziel macht, im Unrecht. Nimmermehr kann er dem genügend ausweichen durch eine etwaige Personalunion mit anderen geistigen Interessen. Das ginge bloße seine Person an; und würde der Sache nicht frommen, von der hier die Rede ist. Sonach gilt es, die juristische Betrachtung wieder harmonisch in die Einheit unseres wollenden Bewußtseins einzufügen und im Reich der Zwecke dem Recht seine gute Stellung anzuweisen. Es ist zu lehren: Unter welchen Bedingungen ein Rechtsinhalt das richtige Mittel zum rechten Ziel sei; in was für einer Methode man dessen habhaft werden könne; - und wie eine praktische Durchführung dieses Wollens möglich erscheine. So tritt neben die vorbereitende Tätigkeit der bloß technischen Jurisprudenz ergänzend und vollenden die theoretische Rechtslehre. Von der theoretischen Rechtslehre Bei der Unterscheidung von zwei Arten der Rechtslehre darf nicht an eine Verschiedenheit des behandelten Stoffes gedacht werden. Beide Richtungen der Betrachtung haben vielmehr mit der gleichen Sache zu tun; es ist allemal ein und derselbe Stoff, der ihnen gemeinsam sich bietet: Es steht für beide nur eine Behandlung geltenden Rechts in Frage. Das ist vor allem für die theoretische Rechtslehre festzuhalten. Sie will nicht ein ideales Rechtsbuch entwerfen; sondern hat nur die Absicht, geschichtlich werdendes Recht zu bearbeiten. Und sie geht nicht auf Ersinnung besonderer rechtlicher Satzungen durch bloßes Denken; ihr ist vielmehr jedes in der Erfahrung mögliche Recht ein Gegenstand der Untersuchung und auf eine eigentümliche Art der Erzeugung des Rechts kommt es ihr gar nicht an. Wer das Wesen der theoretischen Rechtslehre in ihrem Verhältnis zur technischen zutreffend erfassen will, muß von vornherein den Gedanken ablehnen, als ob es dabei auf einen Gegensatz in der Genesis des Rechts hinausliefe: als wenn die technische Rechtslehre vielleicht mit einem Recht arbeite, das innerhalb der geschichtlichen Erfahrung geboren werde und die Theorie eine rechtliche Ordnung ins Auge fasse, die sonst woher gekommen sei. Nein, mit Rücksicht auf die Entstehung des Rechts ist gar kein Unterschied zwischen den beiden Arten seiner Lehre. Die mögliche Einteilung, von der wir sprechen, wird durch die verschiedene Richtung der Untersuchung gegeben. Es ist ein Unterschied in der formalen Behandlung eines und desselben Gegenstandes, des geschichtlich entstehenden Rechts, der hier eingebracht und durchgeführt werden soll. Während die technische Behandlung, wie früher ausgeführt wurde, das gesetzte Recht in seiner besonderen Bestimmtheit nach Art eines Endzwecks aufnimmt, so will die theoretische Erwägung jede bedingte Satzung in ihrer Eigenschaft als Mittel erfassen. Sie fragt deshalb nach dem sachlichen Wert des angewandten Mittels; und unternimmt es, den Inhalt der rechtlichen Normen zu richten - in des Wortes doppelter Bedeutung. Wer wollte auch, bei rechtem Bedenken, dieser Frage scheu ausweichen? - Nun kommt es darauf an, ihre Lösung im weiteren nicht einer persönlichen Eingebung aus zufällig zusammengerafften Eindrücken zu überlassen, sondern die Methode zu finden und zu lehren und zu üben, nach der es möglich ist, einen kritischen begründeten Beweis für die jeweils erteilte Antwort mit objektiver Überzeugungskraft zu bringen. Sobald man nun den Inhalt von menschlichem Wollen richtet, so wird als Maßstab und Ziel unvermeidlich ein solcher Willensinhalt gesetzt, der das Prädikat richtig verdient. Da es sich beim Recht um jenes handelt, so erhalten wir als Problem die Lehre vom richtigen Recht. Im Sinne einer theoretischen Rechtslehre ist die Aufgabe zu stellen: in welcher Weise sich methodisch gesichert feststellen läßt, ob der Inhalt von bestimmten rechtlichen Satzungen richtig ist oder nicht; und welche andere Rechtsnorm statt dessen gerade in der besonderen Lage des gegebenen Falles der Forderung nach einer objektiv begründeten Anordnung entspricht? Die theoretische Rechtslehre ist mithin eine Methodenlehre. Indem sie, ebenso wie die technische Betrachtung, als Stoff ein in der Erfahrung werdendes Recht nimmt, so untersucht sie ihn doch in einer selbständigen Richtung; und bedarf für den Ausbau dieser Gedankenreihe einer festen Lehrart. Freilich nicht bloß einer solchen, welche eine allgemeine Möglichkeit kritischer Billigung oder Verwerfung gewähren kann, sondern auch einer grundsätzlichen Anweisung, nach welcher sich in positiver Art das richtige Recht für einen besonderen Fall angeben läßt. In welchem Gang der Überlegung wird sich nun diese Methode herausschälen lassen? Die Antwort liegt in der Vermeidung eines inneren Widerspruches. Es darf richtiger Weise kein Verhalten gebilligt werden, dessen Verallgemeinerung den Grundgedanken der rechtlichen Gemeinschaft aufheben würde. Vielmehr ist das Zusammenleben so zu ordnen, daß es in jedem besonderen Fall mit dem Endzweck des Rechts in Einklang steht. Fac ea, lautet ein bekannter Satz des THOMASIUS, quae finem cuiusque societas necessario promovent, et omitte ea, quae istum necessario turbant. Danach ist also überall die Untersuchung auf das Grundgesetz des Rechts zu richten; und eine Lehre davon zu geben, wie sich zusammenhängend von der Gesetzmäßigkeit des Rechts als solcher für die Frage des einzelnen Falles eine ununterbrochene Ableitung vornehmen läßt. Und es ergibt sich die Bestimmung: Richtiges Recht ist dasjenige Recht, welches in einer besonderen Lage mit dem Grundgedanken des Rechts überhaupt zusammenstimmt. Nun wird sich auch die Beziehung der beiden Arten von Rechtslehren, die oben beschrieben wurden, in ihrer Trennung und andererseits ihrem schließlichen Zusammenwirken deutlicher machen lassen. Sie haben nach den gegebenen Darlegungen den gleichen Stoff zu behandeln und nehmen ihn nur in verschiedener Richtung in Untersuchung, indem sie ihn entweder bloß technisch zergliedern und danach darstellen oder aber denselben weiterhin als Glied einer Kette nehmen, die sich im Mechanismus der Mittel unter dem obersten Gesetz des Wollens bildet. Somit kann es nicht anders sein, als daß die beiden Bearbeitungen des gleichen Gegenstandes miteinander in einheitliche Verbindung gebracht werden. Die technische Jurisprudenz erscheint danach als die Bedingung für die Erlangung richtigen Rechts; und zwar als eine notwendige Vorbedingung. Nichts wäre verkehrter, als aus der Klarlegung des in jedem Zeitpunkt begrenzten Ziels eine Geringschätzung der technischen Rechtslehre herleiten zu wollen. Ihre Arbeit, die scharf Durchleuchtung des empirischen Rechtsstoffes, seine Versetzung in Ordnung und konkrete Einheit ist eine unentbehrlich Vorstufe für die theoretische Rechtslehre mit der beschriebenen Aufgabe des richtigen Rechts. Ehe nicht der Inhalt einer rechtlichen Gesetzgebung in seinem wirklichen Wollen deutlich gemacht ist, kann an eine richtige Bestimmung des sachlichen Wertes selbstredend nicht herangetreten werden. Andererseits gibt es keine zweite Möglichkeit, die Berechtigung für das Dasein der technisch juristischen Tätigkeit darzutun, als diese, daß sie die unumgängliche Bedingung des richtigen Rechtes ist. Jeder andere Versuch eines dahin gehenden Beweises und eines dem entsprechenden Maßstab für den Wert und die sachliche Bedeutung einer rechtswissenschaftlichen Arbeit muß notwendig in sich scheitern. Lobt man ein Gesetzbuch oder eine lehrende Darstellung wegen der Klarheit und Schärfe und vielleicht des tiefen Eindringens in den Sinn von bestimmter positiver Rechtsordnung, so verbleibt man selbstverständlich nur innerhalb der technischen Rechtslehre selbst und hat jene Rechtsschöpfung oder Untersuchung, gerade weil sie wegen ihrer technischen Leistung gerühmt wurde, noch gar nicht als bedeutungsvoll für den geistigen Fortschritt der Menschheit erwiesen. Dazu ist nötig, daß sich jene Arbeit als brauchbares Mittel in das Ganze dieser Entwicklung inhaltlich einstellt; daß sie sich als unentbehrliches Rüstzeug für einen guten Zustand des sozialen Leben erweist; - was durch die Erkenntnis ihrer formalen Notwendigkeit zur Erlangung des richtigen Rechts geschieht, aber nicht anders. Sehr zu Unrecht hat man es wohl mit einer Bezugnahme auf eine praktische Brauchbarkeit versucht. Denn Theorie und Praxis können sich in klarer Weise nur als Lehre und als Anwendung unterscheiden, nicht aber durch einen grundlegenden sachlichen Gesichtspunkt; wie es bei Theorie und Technik nach den oben gegebenen Darlegungen allerdings der Fall ist. So gibt es (man hat das in früheren Zeiten längst erwiesen) kaum einen dürftigeren Satz, als den Ausspruch, daß etwas wohl in der Theorie gut sein mag, für die Praxis aber nicht tauge. Denn ob etwas nicht taugt, das will doch gerade dahin bewiesen sein, daß es nicht das richtige Mittel zu rechten Zwecken ist; muß also auch wieder durch theoretische Erwägung erhärtet werden. Dabei mag der Versuch einer anwendenden Betätigung wohl die Anregung dazu geben, die frühere theoretische Lehre als unrichtig zu erkennen. Niemals aber ist es möglich, daß die Praxis für sich einen zweiten und selbständigen Maßstab der sachlichen Berechtigung eines Tuns liefert. Sonach gibt es für die technische Jurisprudenz keinen anderen Weg, ihre Existenzberechtigung und den etwaigen inneren Werte des Inhalts ihrer Arbeiten darzutun, denn als Mittel und notwendige Bedingung für die Durchführung der theoretischen Rechtslehre in ihrem Streben nach dem richtigen Recht. Hierdurch schiebt sie sich in die Einheit des wollenden Bewußtseins harmonisch nützend ein. In diesem Gedanken verliert sie die Isolierung und gewinnt den Anschluß an das Ganze wieder. Nun vermag sie in ihrer Einzelarbeit den Fehler der Überschätzung des Positiven zu vermeiden, welcher sie notwendig in Konflikt mit jedem bringen muß, der nicht geneigt ist, den schlimmen Gedanken eines unbedingten Wollens mitzumachen. Ihre Ergebnisse werden alsdann, in besserer grundsätzlicher Befestigung, als früher, auch in ihrer besonderen Ausgestaltung nichts verlieren können. Ich schließe diese Einführung mit den Worten SCHILLERs aus seiner akademischen Antrittsrede:
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