cr-3Alfred Biese - Philosophie des Metaphorischen 
 
FRITZ MAUTHNER
Die Metapher
II-34

"Die Metapher ist die typische Vergleichung von zwei Verhältnissen, wobei es gewöhnlich ist, den geläufigsten Begriff unausgesprochen zu lassen."

Der Begriff Metapher, wie er in unseren Schulen erklärt wird, geht in Wort und Bedeutung auf ARISTOTELES zurück. So gilt seit zweitausend Jahren die Metapher für die (bewußte) Übertragung einer Benennung, die eigentlich etwas anderes bedeutet, sei es die Übertragung vom weiteren Begriff auf den engeren, oder vom engeren Begriff auf den weiteren. Die Absicht dieser Definition ist, die poetische Bildersprache logisch zu erklären. Diese Absicht und darum die Beschränkung auf die künstliche Metapher ergibt sich deutlich aus der Art, wie ARISTOTELES jede Metapher in eine vollständige oder unvollständige mathematische Proportion aufzulösen sucht. Es verhalte sich z. B. die Trinkschale des DIONYSOS zu diesem Gotte wie der Schild zum Gotte ARES; man könne darum ganz mechanisch die Glieder der Proportion miteinander vertauschen und geistreich sagen, die Trinkschale sei der Schild des DIONYSOS (was immerhin nicht ohne Witz wäre, füge ich hinzu), oder der Schild sei die Trinkschale des ARES (was schon recht abgeschmackt wäre). Ein anderes Beispiel. "Alter: Menschenleben = Abend: Tag"; danach kann man sagen, das Alter ist der Abend des Lebens, oder der Abend ist das Alter des Tages. Der Reiz dieser poetischen Ausdrucksweise (die übrigens im Zeitalter SHAKESPEAREs besonders als Marinismus, als Gongorismus, als Euphuismus oder als "estilo culto" in England, Italien und Spanien übel gewütet hat, selbst in den Schriften der Meister, und der heute wieder als l'art pour l'art gefährlich wird) beruht natürlich in dem Fortlassen, in dem Erratenlassen eines der vier Glieder der Proportion. Wo die Vergleichung noch leichter zu erraten ist, da werden gleich zwei Glieder fortgelassen; ARISTOTELES gibt das Beispiel vom Ausstreuen (nach dem Bilde des Sämanns) der Sonnenstrahlen.

Der Gedanke des ARISTOTELES, die Metapher aus einer mathematischen Proportion zu erklären, hat nichts mit dem psychologischen Vorgang oder Zustand zu tun, als welchen sich uns die Metapher noch enthüllen wird; aber scharfsinnig ist der Einfall dennoch. Er kann uns helfen, den scheinbar so wohlbekannten Begriff der Metapher von sehr zahlreichen und nahen Begriffen zu unterscheiden. Es gibt nämlich - ich bleibe damit vorläufig auf dem Gebiete der Poetik - Vergleichungen, bei denen es auf mehr und auf weniger ankommt als auf die vier Glieder einer Proportion. Ist die Vergleichung komplizierter, so kann sie zu jener Art von Gleichnissen auswachsen, die besonders als die Homerischen Gleichnisse bekannt sind, bei denen aber freilich die Phantasie des Dichters die vergleichende Tätigkeit zu vergessen pflegt und auf dem neu bestiegenen Pferde eine Strecke weiter reitet; enthält die Vergleichung dagegen nicht einmal indirekt jene vier Glieder, liegt anstatt einer Proportion gewissermaßen ein Regeldetri vor (Haar schwarz wie Kohle), so nennt man das im engeren Sinne eine Vergleichung. Ich muß etwas pedantisch werden, ehe ich weiter gehe; das bringt die Beschäftigung mit alten Definitionen so mit sich. Ich möchte nämlich bemerken, daß das berühmte Tertium comparationis weder in der Regeldetri noch in der Proportion eines der drei oder vier Glieder ist; es ist immer ein höherer Begriff (die Farbe, wenn Haare und Kohle, das Attribut, wenn die Trinkschale des DIONYSOS mit dem Schilde des ARES verglichen wird). An dem Erratenlassen des Vergleichungszeichens liegt es, daß die Metapher poetischer ist als die Vergleichung. "Das Wie oder Gleichsam ist eine Verwahrung vor der vorausgesetzten Prosa, daß man Bild und Inhalt nicht verwechsle; und stürzt ebendaher in diese."

Bei der Vergleichung (im engeren Sinn) ist es sehr leicht nachzuweisen, daß der psychologische Vorgang zur Sprachentwicklung fährt. Selbst von den ältesten und uns vergleichlos erscheinenden Farbenbezeichnungen ist es wahrscheinlich, daß sie früher Vergleichungen waren; bei Worten wie lila (französisch Flieder, während unser violett das französische Veilchen) ist die Vergleichung offenbar; und die Bezeichnung von Modefarben (rostrot, resedagrün, "Eiffelturm" u. dgl.) läßt nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob noch eine bewußte Vergleichung oder schon ein neuer Farbenbegriff vorliege.

Die Metapher ist also, im Gegensatze zu der dreigliedrigen Vergleichung im engeren Sinne und zu dem ausgeführten Gleichnis, die typische Vergleichung von zwei Verhältnissen, wobei es gewöhnlich ist, den geläufigsten Begriff unausgesprochen zu lassen. In dem Satze "Vorsicht ist die Mutter der Weisheit" versteht jeder: es verhalte sich die Weisheit zur Vorsicht, wie die Tochter zur Mutter. Das Tertium comparationis dabei - um die Pedanterie nicht aufzugeben - ist, daß die Mutter die Tochter erzeugt habe. Man könnte ja auch daran denken, die Tochter sei der Mutter ähnlich, die Tochter sei der Mutter gehorsam; die Wirklichkeitswelt in unserer Seele läßt uns aber solchen Unsinn gar nicht vorstellen. Hören wir die drei Begriffe "Vorsicht, Mutter und Weisheit", so schlägt die Gedankenassoziation eine Brücke zwischen ihnen nur über den Begriff des Erzeugens, nicht über den Begriff des Gehorsams. Wir werden bald erfahren, wie wichtig diese Notwendigkeit, dieser Zwang der Bilderverbindung auch für die Metapher ist.

Noch eins. Wenn ich den Ausdruck Metapher hier in ziemlicher Übereinstimmung mit der Erklärung des ARISTOTELES (der griechisch sprach, bei dem also das Wort Metapher, Übertragung, noch kein ausländischer technischer Ausdruck war) auf die ganze Gruppe der sogenannten poetischen Bilder oder der Tropen anwende, so bleibe ich in Übereinstimmung mit dem neueren Sprachgebrauch, der mit den Unterscheidungen der alten Rhetorik nicht mehr viel anzufangen weiß. Es scheint mir in die Augen zu springen, daß eine große Zahl der Arten, in welche die Tropen herkömmlich eingeteilt werden, ohnehin unter den alten Begriff der Metapher, das heißt der Vertauschung der Begriffe zweier verglichener Gegenstände, fällt. Es ließe sich darüber eine überflüssige Abhandlung schreiben: daß die alten Lehrer der Rhetorik die unfruchtbaren logischen Kategorien benutzt haben, um solche Unterabteilungen zu erfinden. Noch MAIMON hat an ein solches Tropensystem gedacht, das dem Systeme der Kategorien ähnlich (oder gleich?) geworden wäre. Ich will diese Abhandlung gern einem anderen zu schreiben überlassen und nur einige Beispiele geben. Wird Art und Gattung, Teil und Ganzes miteinander vertauscht (sie hatte 15 Lenze gelebt), so nennt man das eine Synekdoche, wird Ursache und Wirkung vertauscht (er ist ein dicker Geldsack), so nennt man das eine Metonymie, wird Lebendes mit Totem verglichen (der Fuß des Berges), so nennt man das eine Personifikation; es entspricht aber gar nicht mehr unserer Denkgewohnheit, solche scholastische Distinktionen zu machen. Wir beruhigen uns dabei, daß allen solchen Redewendungen der psychologische Vorgang der Vergleichung zugrunde liegt; und über das Bedürfnis der Beruhigung hinaus braucht der Mensch nicht zu denken.

Es gibt einige andere Tropen, die auf den ersten Blick nicht unter den Begriff der metaphorischen Vergleichung zu fallen scheinen, z.B. die Hyperbel und die Ironie. Aber es scheint nur so. Solange wir auf dem Gebiete der Poetik stehen bleiben, ist ja die Absicht jedes derartigen bildlichen Ausdrucks eine verstärkte Anschaulichkeit. Sagt jemand Lenz anstatt Jahr, Geldsack anstatt reicher Mann oder Fuß des Berges (was schon Sprache geworden ist, wofür wir also keinen eigentlichen Ausdruck mehr haben), so will er doch die Vorstellungen nur stärker beleuchten, womit immer eine Art von Vergrößerung verbunden ist. Es liegt in jeder Metapher etwas Hyperbolisches. Und die Ironie erreicht dieselbe Absicht auf einem kleinen Umwege, wenn sie z.B. den Chimborasso einen Zwerg nennt, und so die Größe des Berges besonders anschaulich macht, indem sie zum Widerspruche reizt. Mag man mir nun diese Erklärung der Hyperbel zugestehen oder nicht, ich gebrauche dennoch das Wort  Metapher  im Sinne des Tropus oder der bildlichen Vergleichung überhaupt, was mein gutes Recht ist, wenn ich es nur ausdrücklich gesagt habe.

Gehen wir von der poetischen Sprache zu der Sprache im allgemeinen über, so wird die Definition des QUINTILLIAN, es sei die Metapher ein abgekürztes Gleichnis, sofort richtig. Der Übergang von der bewußten Metapher des Dichters zur unbewußten Metapher der Gemeinsprache interessiert uns hier aber zumeist.

Bei HOMER heißt es vom Geschoß einmal, es fliege dahin, ein andermal, es verlange in den Haufen hinein zu fliegen. Übersetzen wir das in die Sprache der Gegenwart. Die Kugel fliegt, die Kugel wünscht in den Feind hinein zu schmettern. Das erste ist Sprache, das zweite ist ein dichterisches Bild. Die Bewegung der Kugel können wir sprachlich gar nicht anders ausdrücken als durch "fliegen". Sagt aber jemand von der Kanonenkugel, daß sie blutdürstig sei, so belebt, so personifiziert er sie. War das aber mit dem Worte fliegen ursprünglich anders? Als der Pfeil erfunden worden war und (wohlgemerkt) dem Vogel nachgemacht worden war, indem man ihm Federn als einen steuernden Schwanz einfügte, da war es ein dichterisches Wort, die Bewegung mit dem Fluge des Vogels zu vergleichen. Vorher war die Waffe des Menschen wohl ein Stein gewesen. Ich zweifle, ob man vor der Erfindung des Pfeils den geworfenen Stein mit dem Fluge des Vogels verglich. Der Stein war wohl noch reines Objekt; er wurde geworfen. Der Pfeil jedoch forderte zur Vergleichung mit dem Vogel heraus. Er wurde nicht mehr geworfen, er flog, er wurde zum beseelten Subjekt. Dann entschwand bei dieser Anwendung des Wortes" fliegen" das Bewußtsein, daß man an Flügel oder Federn gedacht habe. Was sich schnell durch die Luft bewegte, das flog, bis auch der Stein durch die Luft "flog".

Es wäre falsch, wenn man alle Metaphern aus solcher Personifikation heraus erklären wollte. Kinder und Naturvölker personifizieren gern; diesen ursprünglichen Personifikationen liegt eine irrige Vergleichung, eine irrtümliche Gleichsetzung zugrunde. Nur die dichterische Personifikation, die der unbewußten gemeinsprachlichen zugrunde liegt, ist sich des bloßen Witzes, des bloßen Spieles bewußt.

Das unbewußte Personifizieren der Kinder und der Naturvölker ist für das menschliche Denken freilich von entscheidender Wichtigkeit; wir wissen, daß die tiefste und letzte Schablone des Denkens, der Begriff der Kausalität, ohne welchen die Wissenschaft und die Welterkenntnis aufhören, auf dieser Gewohnheit, auf diesem Bedürfnis des Personifizierens beruht. Man sollte glauben, noch ursprachlicher könne es keine psychologische Tätigkeit mehr geben. Und doch liegt der Metapher (mitsamt der Personifikation) ein noch älteres, ein noch elementareres Bedürfnis zugrunde, das der psychologischen Vergleichung.

Ich wähle den Ausdruck Vergleichung nur, weil er weit genug ist. Was ich meine, das ist natürlich der noch unerklärte, das heißt noch unbeschriebene, also auch noch namenlose psychologische Vorgang, durch welchen eine neue Beobachtung der Summe oder dem System der im Gedächtnis angesammelten Beobachtungen angegliedert wird, der Vorgang also, den wir in anderem Zusammenhange Apperzeption nennen. Es ist ein feines Vergnügen, aus den Metaphern in unserer Sprache eine sogenannte Philosophie des Metaphorischen heraus zu destillieren; es ist eine ernste Arbeit, die Psychologie der Metapher bis auf den elementaren Vorgang der Apperzeption zurück zu verfolgen. BIESE, in seiner trotz kleiner Mängel sehr lesenswerten Philosophie des Metaphorischen, hat von dem Ernste der psychologischen Aufgabe keine ganz zureichende Vorstellung. Er operiert ganz harmlos mit den alten Seelenvermögen.
"Wäre der Mensch nur Verstand, so würde er nur in Begriffen denken; aber da er auch Phantasie ist und diese beständig ihre bunten Bilder zwischen die Abstraktionen hineinschiebt, ... so ist das Metaphorische das Übertragen des in der Innenwelt ... bekannten und des in der Außenwelt geschauten und innerlich verarbeiteten auf alles, was wieder neu zuströmt und Einlaß in unser Seelenleben begehrt".
Ein solcher Satz beweist doch, daß BIESE die bei ihm ab und zu aufdämmernde richtige Vorstellung von der metaphorischen Grundlage alles Denkens nur so beiläufig erblickt hat, daß ihm aber die Bedeutung dieser Tatsache wieder entgangen ist. Ihm sind Verstand und Phantasie verschiedene Seelenvermögen. Wir haben zu zeigen, daß es nur verschiedene redensartliche Anschauungsweisen des gleichen psychologischen Vorgangs sind, daß die Phantasie sich nicht zwischen die Tätigkeiten des Verstandes hineinschiebt, daß die Phantasie ebensogut wie der Verstand nur Erinnerung ist, daß der Verstand oder das menschliche Denken oder die Sprache durch und durch metaphorisch ist.

Ohne die uns bis jetzt mögliche letzte Analyse des Denkens vorzunehmen, hat der von BIESE angeführte KURT BRUCHMANN doch das Metaphorische in der Sprache besser begriffen. Allerdings geht er in seinen "psychologischen Studien zur Sprachgeschichte" auf eine zu mathematische Konstruktion von AVENARIUS zurück, auf ein angebliches Prinzip des kleinsten Kraftmaßes. Solche Hilfskonstruktionen sind immer gefährlich und erinnern an die für uns unerträgliche Naturphilosophie der Griechen, welche Erscheinungen der Mechanik aus der metaphysischen Vollkommenheit der Kreislinie ableiten wollten. Man muß selbst da zwischen Ursachen und Zweckursachen unterscheiden. Wenn die Planeten auch mathematisch vollkommene Kugelgestalt besäßen, so würde doch kein denkender Kopf mehr die Kugelgestalt als das vorausgegangene Ideal, als die Zweckursache der Planetenbildung betrachten; der wirkliche Vorgang kann doch für unser modernes Vorstellen kein anderer sein, als daß die Planeten aus irgend natürlichen Ursachen diese Form angenommen haben, daß ähnliche Ursachen (gleiche Entfernung von einem Mittelpunkte) die gleichen abstrakten Kugel- und Kreisformen entstehen lassen und daß der Mensch aus der Beobachtung dieser Formen nachträglich zu dem Begriff der Kugel kam. Hinter der Bewunderung der Kugelform verbirgt sich die alte Teleologie. Sie verbirgt sich aber auch hinter der Annahme eines Prinzips vom kleinsten Kraftmaß, welches tätig sein soll, wenn die Seele eine angebotene fremde Vorstellung in ihrem bereits vorhandenen Besitz unterbringen soll. BRUCHMANN sagt:
    "Sie möchte vielleicht am liebsten diese Vorstellung als Störenfried hinauswerfen, wenn sie nur könnte. Sie hat außer dem Vergessen jedoch noch ein Mittel, die geforderte Mehrleistung mit einiger Kraftersparnis zu vollziehen; sie nimmt die gebotene Vorstellung auf, verwandelt aber das, was an ihr ungewohnt ist, in Gewohntes. Sie führt also das Neue auf Altes, das Fremde auf Geläufiges, das Unbekannte auf Bekanntes, das Unbegriffene auf solches zurück, was bereits als Begriffenes oder vermeintlich Begriffenes geistiger Besitz ist."
Im einzelnen sind diese Sätze ganz richtig und führen BRUCHMANN, der dabei den Spuren von STEINTHAL und MISTELI nachgeht, ziemlich nahe an die richtige Erkenntnis heran. "Dann wäre also  fast  die ganze Sprache Analogie oder Metapher." Fast! Er vermag nicht recht über die noch bewußten oder noch historisch nachweisbaren Metaphern der Sprache hinaus zu kommen, er vermag das Wichtigste nicht einzusehen, daß auch der älteste geistige Besitz der Seele bereits metaphorisch, vergleichsweise erworben sein muß, daß sogar die minimale vorsprachliche Welterkenntnis bereits auf metaphorischer Grundlage beruhen mußte. Und ich glaube, daß dieses Unvermögen gerade von seinem Ausgangspunkte herrührt, von der Annahme eines Prinzips des kleinsten Kraftmaßes. Womit will er denn die Kraft vergleichen? Was weiß denn er und AVENARIUS davon, was die Seele möchte und was sie nicht möchte? Was wissen die Herren denn davon, warum der Keim in einer Eichel immer eine Eiche hervorbringt und niemals einen Birnbaum? Man könnte das ja auch auf ein Prinzip des kleinsten Kraftmaßes zurückführen, denn es wäre offenbar Kraftverschwendung, wenn der Keim der Eichel zuerst ein Birnbaum oder eine Rose werden wollte und nachher erst die Versuche aufgäbe. Oder man könnte es auf ein Prinzip des kleinsten Kraftmaßes zurückführen, daß der menschliche Magensaft nicht erst zu denken versucht, sondern gleich verdaut. Ich möchte richtig verstanden werden. Sicherlich macht es sich das Gehirn so bequem wie möglich; auch der Magensaft macht es sich so bequem wie möglich. Aber diesen Begriff der Bequemlichkeit, des kleinsten Kraftmaßes legen wir doch in den Vorgang erst hinein. Er ist so wenig eine Zweckursache, wie die vollkommene Kugelgestalt das vorausgegangene Idealbild bei der Planetenbildung war.

Vollends aber die Vergleichung vom Denkgeschäft zu trennen und sie eine Kraftersparnis beim Denken zu nennen, ist für uns ganz sinnlos, weil doch auch das, was uns als Denken oder als Sprache so bekannt scheint, eben nichts anderes ist als Apperzipieren oder Vergleichen. Nicht eine Erleichterung der Denkarbeit ist dieses Vergleichen, sondern die ganze Arbeit. Das Gehirn tut gar nichts anderes, als diese einzige und ungeheure Arbeit verrichten, die uns schließlich als eine Erleichterung des Denkgeschäftes erscheint, weil uns das Denken durch Gewohnheit leicht geworden ist und wir ein Gespenst des Denkens von der Gewohnheit des Denkens künstlich ablösen.
rückerLITERATUR - Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache II,
Zur Sprachwissenschaft, Stuttgart/Berlin 1906