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Beiträge zu einer Kritik der Sprache (Band III) Vorwort zur zweiten Auflage des dritten Bandes [1/3]
In dieser hochmütig-demütigen Stunde fühle ich die Stimmung eines Abschieds; meine Jahre sagen mir, daß ich das Werk nicht zum drittenmal werde selbst herausgeben können. Dieses Gefühl ist aber wahrlich nicht traurig. Ich glaube gern, daß ich meine Arbeit in allzu selbstgerechten Augenblicken, von Ungerechtigkeit gereizt, über Verdienst hoch eingeschätzt habe; aber ich weiß, daß mein Versuch, die mir selbst gestellte, die neue Aufgabe zu lösen, nicht ganz ergebnislos gewesen ist. Ich weiß, daß die sprachkritische Idee dereinst in der Entwicklungsgeschichte der menschlichen Vernunft ihren Platz behaupten wird. Ob einen kleinen oder einen größeren Platz, du lieber Himmel, das ist ja so unwesentlich, so relativ wie der Standpunkt des künftigen Betrachters. Je höher der Standpunkt und je weiter die Entfernung, desto kleiner der Wert meiner Beiträge; ich jedenfalls habe keine Distanz zu meinen sprachkritischen Ideen. Soll ich nun mit diesen Abschiedsworten dem Leser sagen, was ich ihm mit der sprachkritischen Idee gegeben zu haben glaube, so helfe ich mir mit einer kleinen Erinnerung. Erinnerung kann wieder zu etwas Heiterkeit und beinahe zu etwas Distanz verhelfen. Es ist just sechs Jahre her, da saß ich nach einer schönen Schwarzwaldwanderung in einer einsamen Wirtschaft bei einem guten Kaiserstühler. In erregtem Gespräch mit einem jungen "Philosophen", der mein sprachkritisches Werk ben erst mit Leidenschaft aufgenommen hatte und recht freundlich den Plan entwickelte, seine Doktordissertation über die Leitsätze dieses Werkes zu schreiben. Und die leitenden Gedanken, in wenigen Worten ausgedrückt, wollte er von mir formuliert haben; zu diesem Zweck hätte er mich eben in Freiburg aufgesucht. Ich warnte ihn fast väterlich, meinte aber dann in halbem Scherz - der Kaiserstühler war sehr gut -:
Weil man aber niemals vor seinen vermeintlichen Freunden sicher sein kann und das angedrohte Buch vielleicht dennoch einmal erscheinen könnte, weil endlich die neuen Anschauungen der gleichen Zeit immer einige Berührungspunkte haben, darum möchte ich an dieser Stelle erklären, aus welchen Gründen mir die plötzliche Eingebung des jungen Philosophen so unsinnig erschien. Zunächst hätte der Titel eine kleine chronologische Tatsache leider umgekehrt; F. C. S. SCHILLERs "Humanism" ist zwei Jahre später erschienen als der letzte Band meiner "Kritik der Sprache". Viel wichtiger scheint mir der Umstand der wertenden Stimmungen, die hinter den so ähnlichen Worten Humanismus und Hominismus etwa stecken. Wie der ganze Pragmatismus utilitaristisch und schon darum optimistisch ist, so hat insbesondere SCHILLERs "Humanismus" die hohe Schätzung, die in dem Begriff "human" jahrhundertelang mit ausgedrückt war, bei dem Bedeutungswandel durchaus nicht preisgegeben. SCHILLER lehrt, gut aber nicht ganz neu, daß der Mensch das Maß aller Dinge ist und daß es nur eine relative Wahrheit gibt. Mit JAMES scheint er anzunehmen: Wahrheit ist, was irgendwie wirkt; also doch keine Abkehr von HEGELs: "Was wirklich ist, das ist vernünftig." Mit JAMES scheint SCHILLER zu predigen, daß das wunderschöne Leben wertvoller ist als ein unpraktisches Denken. Ich weiß nicht, wie es beide Pragmatisten danach verantworten können, trotzdem die Wahrheitssuche auch auf theologische und metaphysische Gebiete auszudehnen. Wenn ich meine skeptische Sprachkritik nun in einer lachenden Stunde "Hominismus" zu nennen bereit war, mit einem neugebildeten Wort (dessen griechische Entsprechung mit damals noch gar nicht bekannt war), so war ich mir bewußt, den allzu geläufigen Ausdruck "Humanismus" nur darum vermieden zu haben, weil sich die Anthropolatrie - die Anbetung des Menschengeistes, die wie unlöslich mit dem Begriff "human" verbunden ist, die "Menschenwürde" des uns Deutschen bekannteren SCHILLER - gar so schlecht mit dem Kern und Wesen meiner Erkenntnistheorie verträgt. Denken ist Sprechen, das ist meine letzte Meinung, cum beneficio inventarii [nachdem ich das Inventar der Sprache ausreichend durchforstet habe - wp]. Es ist nicht genug, wenn man etwa sagt: Philosophie sei nur in Sprache möglich, sei nur aus Sprache möglich; in Menschensprache, aus Menschensprache. Philosophie ist die Grenze der Sprache selbst, der Grenzbegriff, der limes: ist Kritik der Sprache, der Menschensprache. In Engelszungen können wir nicht reden. Menschenanbetung und Menschenverachtung hat mit diesen Dingen nichts zu schaffen. Wir besitzen kein anderes Werkzeug der Erkenntnis als die Sprache, und mit diesem Werkzeug können wir nur gröblich an das Stoffliche der Tiere und Pflanzen und Steine herankommen, gar nicht an das Innere der Natur. Darum steht mein Hominismus so schroff dem alten und dem neuen dogmatischen Materialismus oder Mechanismus gegenüber. Ich glaube fest auf dem Boden von LOCKE und KANT zu stehen, die beide, KANT so viel tiefsinniger als LOCKE, schon alle Philosophie zu menschlicher Psychologie umgewandelt haben. Das Salz der Materialisten und Mechanisten ist, unbeschadet ihrer Verdienste, dumm geworden. Die Materialisten glauben mit dem Glauben frommer Leute, in das Innere der Natur dringen zu können durch die Angaben der menschlichen Sinne und durch die Ziffern dieser Angaben; sie haben nicht von mir lernen wollen, daß die menschlichen Sinne Zufallssinne sind, daß die Ziffern außerhalb des Menschenkopfes nicht wirklich sind. Haben wir sogar die Sinne und die Ziffern hoministisch zu deuten, dann ahnen wir vielleicht, wie beschränkt menschlich unser Weltbild ist. Und weiter. Ich habe gelehrt, daß es nicht eine einzige Philosophie gibt, sondern nur Philosophien. Und jetzt erfahren wir, daß alle Philosophien in Menschensprache hoministische, menschheitliche Weltbilder sein müssen, daß außerdem noch bei Tieren und Pflanzen und Kristallen und chemischen Stoffen Weltbilder oder Weltanschauungen bestehen können oder müssen, die der Natur vielleicht näher verwandt sind als die menschlichen Philosophien. So durfte ich in einer Stunde lachender Resignation meine ganz freie Erkenntnislehre doch unter die Fessel eines -ismus bringen. Und nun mögen sie kommen und tadeln: dieser Unzünftige hat schon wieder gegen die hergebrachten Regeln der Zunft verstoßen, hat schon wieder gelacht und diesmal gar, wo die Sitte des Vorworts zu besonderer Feierlichkeit hätte stimmen sollen; wie er seine Kritik der Logik an einen Scherz geknüpft hat. Nein, ich bin kein Diener am Wort, nicht einmal ein Diener an meinem eigenen Wort. Ich hab'es gesagt und nehm's nicht zurück: "Reine Kritik ist im Grunde nur ein artikuliertes Lachen." Niemals hielt ich es für eine Anstandspflicht des Philosophen, ein befreiendes Lachen zurückzudrängen, wenn es sich aufdrängte. Und ich möchte ein gutes Wort von LAMETTRIE hersetzen, das man im Zusammenhang nachlesen kann, wo es steht, am Ende seiner Epitre á mon esprit: Croiez que la bonne plaisanterie est la pierre de touche de la plus fine raison." [Ein guter Witz ist der Prüfstein für die beste Vernunft. - wp] Es versteht sich von selbst, daß ich nach Kräften bestrebt war, in dieser neuen Ausgabe die Darstellung zu verbessern und einige Heftigkeiten zu mildern. Zahlreiche kleine Zusätze hatten den Umfang des Bandes noch erweitert; doch die Wahl eines unmerklich komprimierteren Druckes hat dafür gesorgt, daß sich die Bogenzahl nicht vergrößert. Mein guter Leser, lebe wohl! Meersburg am Bodensee, Juli 1913 Fritz Mauthner ![]()
1) Es scheint ein "Gesetz" der Gelehrtengeschichte zu sein, daß wertlose Bücher, die nichts Neues bringen, beim bekannten Visitenkartenaustausch immer wieder lobend "berücksichtigt" werden, weil sie ungefährlich sind; daß man gerade die Bücher, deren Neues man heimlich zu nutzen weiß, zu sekretieren [unter Verschluß halten - wp] sucht. In den zwölf Jahren, die seit dem Erscheinen und dem Wirken meiner "Kritik der Sprache" verstrichen sind, habe ich aus eigentlich akademischen Kreisen nur vier Ausnahmen von der Regel erfahren. Profesor Richard M. Meyer hat öfter anerkennend von meinen beiden sprachkritischen Werken gesprochen; Professor Rauol Richter hat in seinem Werk "Der Skeptizismus in der Philosophie und seine Überwindung (Bd. 2, Seite 453) meinen "linguistischen Skeptizismus" eine halbe Seite gewidmet; Dr. Alfred Kühtmann hat in seiner Schrift "Zur Geschichte des Terminismus" (Heft 20 der "Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte) meine nominalistischen Gedanken, anknüpfend an den nominalistischen Empirismus von Ockham, Condillac und Helmholtz, gründlich vorgetragen und beurteilt; endlich hat Ernst Mach mir die Freude gemacht, meine Sprachkritik in "*Erkenntnis und Irrtum" zu empfehlen. (Eine Erwähnung meines Werkes in der zehnten Auflage von Überwegs "Grundriß der Geschichte der Philosophie", Bd. IV brauche ich wohl nicht zu registrieren, weil der Herausgeber, wie so mancher verlegene Bibliothekar, mein erkenntniskritisches Buch nur neben sprachwissenschaftliche Schriften gestellt hat.) Etwas häufiger als je einmal in drei Jahren bin ich von temperamentvollen akademischen Männern, die von ihren Studenten umd die Gründe des Totschweigens befragt worden waren, auch wohl totgeschlagen worden. Wie ein solcher Totschläger nachher sich zu einer recht ehrenvollen Leichenrede über meinem Kenotaphion [Ehrengrabmal ohne Leiche - wp] entschlossen hat, das hoffe ich noch einmal mit möglichst gutem Humor erzählen zu können. 2) Ich sehe keinen Grund, nicht auch in der Anmerkung zu einem Vorwort zu einem kleinen Zusatz zu der Wortgeschichte von "Humanität" zu machen, sobald die Gelegenheit sich darbietet. Ich habe schon aus mancherlei Anlässen darauf hingewiesen, daß das Wort humanitas in verwandten und doch wieder auseinandergehenden Bedeutungen (Menschennatur, Menschengeschlecht, Menschenfreundlichkeit, Bildung, Anstandsgefühl) aus dem klassischen Latein herübergenommen wurde; die Römer dachten bei dem Wort natürlich an die römischen Menschen, an römische Bildung usw.; das christliche Humanitätsideal der letzten drei Jahrhunderte etwa, das man seit einigen Jahrzehnten wiederum verächtlich genug "Humanitätsduselei" zu nennen pflegt, war dem klassischen Altertum fremd. Für dieses Ideal, das Ziel einer fortschrittlichen Entwicklung, ist das alte Wort Humanität seit Shaftesbury in Europa, seit Herder in Deutschland unter Verdrängung seiner übrigen Bedeutungen zum Schlagwort geworden. Optimismus, bei den besten Kämpfern der Glaube an den Sieg des kommenden dritten Reichs (Lessing, Ibsen) steckt in dem Begriff, wie in den abgeleiteten Begriffen "Menschenwürde" (Schiller), "Menschenrechte" (Französische Revolution). Diese beiden erklärenden Umschreibungen neben einigen anderen schlug Herder selbst als Übersetzung von humanitas vor, blieb aber dem Fremdwort treu, weil es ihm das Ganze all dieser Teilbegriffe zu bezeichnen schien. Campe wollte deutschtümlich "Menschentümlichkeit" dafür gebraucht wissen, "menschentümlich" für "human". - - - Die Neubildung "Humanismus beschränkte ihre Bedeutung auf den Begriff der Bildung, eigentlich auf den der Kenntnisse der alten Lateinschule (humaniora), seltsam genug also auf den Kreis der im 16. Jahrhundert endlich völlig neubelebten römischen Bildung; die Humanisten waren sich dabei bewußt, das Jenseits und die ganze christliche Bildung des Mittelalters abzulehnen. Die heutigen Philologen, die noch für das humanistische Gymnasium streiten, wissen nur selten etwas von dieser bedeutenden und tapferein Richtung der ersten Humanisten. - - - Nun finde ich aber eine griechische Vorlage der Neubildung bei Diogenes Laertius (II, 70); Aristippos habe gelehrt, es sei besser arm zu sein als unwissend, denn der Arme entbehrt nur des Geldes, der Unwissende aber der Menschlichkeit (anthropismou). Die alten Übersetzer haben das griechische Wort aber nicht durch humanismus, sondern durch humanitas wiedergegeben; ich vermute daher, daß "Humanismus" keine direkte Lehnübersetzung des seltenen anthropismus ist. |