p-4 A. PfänderE. BullatyA. BolligerM. W. DrobischPaul RéeG. F. Lipps    
 
ALEXANDER PFÄNDER
Das Bewußtsein des Wollens
[ 2 / 2 ]

"Soll nun das Tätigkeitsgefühl zu den Körperempfindungen in demselben Verhältnis stehen, wie die Klangempfindung zu den Tonempfindungen, so wäre damit zunächst zugestanden, daß das Tätigkeitsgefühl etwas von den Körperempfindungen als solchen Verschiedenes ist, daß es ein neuer einheitlicher Bewußtseinsinhalt ist, da ja auch die Klangempfindung, mit der es in Parallele gesetzt wird, den Tonempfindungen gegenüber etwas relativ Neues ist. Das Tätigkeitsgefühl wäre nicht mehr identisch mit jenen Körperempfindungen, sondern eben ein Verschmelzungsprodukt aus ihnen; und die Streitfrage würde sich dann nicht mehr um die Existenz desselben, sondern um die Grundlage oder die Herkunft desselben drehen."

James' Ansicht über das
Gefühl des Strebens und der Tätigkeit
(1)

Für JAMES ist der Wille eine Relation zwischen unserem Ich und unseren eigenen Bewußtseinszuständen. Die wesentliche Leistung des Willens bestehe darin, die Aufmerksamkeit auf die Vorstellung des Zieles zu richten und diese Vorstellung festzuhalten. Anstrengung der Aufmerksamkeit sei also das wesentliche Phänomen des Willens. Diese Anstrengung komme uns im Gefühl der Bemühung oder der Tätigkeit zu Bewußtsein. Die Existenz des Gefühls der Willensanstrengung als phänomenaler Tatsache unseres Bewußtseins könne natürlich weder bezweifelt noch geleugnet werden. Nur über seine Bedeutung (significance) herrsche Streit.

Mit der einfachen Konstatierung des Gefühles der Tätigkeit begnügt sich JAMES nun auch nicht, sondern er sucht dasselbe genauer zu bestimmen. Das Resultat seiner darauf bezüglichn Untersuchungen scheint an verschiedenen Stellen seines Werkes ein verschiedenes zu sein. Im Ganzen kann man dreierlei Gestalten des Gefühles der Tätigkeit bei JAMES unterscheiden; und man bleibt zweifelhaft, welches dieser verschiedenen Ergebnisse für JAMES das endgültige ist.

Zwei dieser Gestalten, in denen uns JAMES das Gefühl der Bemühung vorführt, stimmen darin überein, daß dieses Gefühl aus Körperempfindungen besteht. An verschiedenen Stellen seines Werkes läßt JAMES jedoch die Möglichkeit zu, daß außerdem noch ein, wie er sagt, "rein geistiges", nicht weiter analysierbares Element sich beim Wollen vorfinde. Er gibt demselben den Namen "Fiat des Willens" und der erklärt, es bezeichne eine ebenso ursprüngliche und undefinierbare Verhaltensweise des Geistes zu seinen Inhalten, wie das Wahrheitsbewußtsein oder die Bejahung. In welchem Verhältnis dieses "Fiat" zum Gefühl der Tätigkeit steht, ob es mit demselben identisch ist oder einen besonderen Bewußtseinsinhalt bildet, wird nicht deutlich. Da dieses Element außerdem von JAMES nur nebenbei zugelassen wird und als ein isoliertes mystisches Etwas der kritischen Betrachtung wenig greifbar ist, so werde ich dasselbe hier außer Acht lassen und mich auf die Prüfung der beiden anderen Gestalten des Willensgefühls beschränken. Und zwar fasse ich JAMES' Äußerungen hierüber zunächst ganz wörtlich auf, um nachher aufgrund einiger Anzeichen eine Vermutung darüber zu wagen, was JAMES im Grunde gemeint hat. Da diese mutmaßliche Meinung sehr plausibel erscheint und auch von anderen Psychologen vertreten wird, so werde ich auch sie einer Kritik unterziehen.

Für JAMES ist also, wenn man seine Behauptungen wörtlich nimmt, das Gefühl der Bemühung oder das  Willensgefühl identisch mit Körperempfindungen.  Natürlich darf man sich mit der allgemeinen Behauptung, das Gefühl der Tätigkeit bestehe aus Körperempfindungen, nicht zufrieden geben, sondern muß vor allem angeben,  welche  Körperempfindungen dabei gemeint seien.

Jenes  Gefühl  haben wir, wenn wir das Bewußtsein des Wollens haben.  Körperempfindungen  stehen nun mit dem Wollen in direktem Zusammenhang vor alle bei den sogenannten äußeren Willenshandlungen, d. h. bei solchen, für die irgendwelche Bewegungen unserer eigenen Körperteile Zweck oder Mittel sind; insofern nämlich dann, wenn wir die Bewegungen ausführen, durch die eine Kontraktion der Muskeln, eine Spannung der Sehnen, eine Reibung in den Gelenken und Druck der Haut an den bewegten Körperteilen, entsprechende Empfindungen ins Bewußtsein treten können. Obgleich sich das Willensgefühl auch bei sogenannten inneren Willenshandlungen, welche nicht Körperbewegungen als Zweck oder Mittel einschließen, qualitativ ganz gleichartig vorfindet, wie bei jenen "äußeren"; obgleich wir also auch im Aufmerken, Nachdenken, Wünschen, Sehnen, Erwarten etc. uns einer Tätigkeit bewußt sind, so könnte man trotzdem behaupten, in der ersteren Fällen, bei sogenannten äußeren Willenshandlungen bestehe das Gefühl der Tätigkeit hauptsächlich aus den Effektempfindungen, d. h. den Körperempfindungen, zu denen die Ausführung der Körperbewegungen Veranlassung geben kann.

Das scheint nun an einigen Stellen seiner Psychologie wirklich JAMES' Ansicht zu sein. Besonders in dem Teil, in welchem er gegen das Innervationsgefühl, [Nervenimpulse - wp]) welches von WUNDT und anderen mit dem Bewußtsein der Tätigkeit bei körperlichen Bewegungen identifiziert worden war, polemisiert. Was diese Polemik betrifft, so läßt sich gegen dieselbe, soweit sie sich gegen die Behauptung richtet, die Innervationsgefühle seien die Bewußtseinsbegleiter der zentralen motorischen Innervation, wohl nichts einwenden; denn für eine derartige Annahme liegen keine genügenden Tatsachengründe vor. Wenn JAMES aber dann weiter erklärt, die Analyse des Bewußtseinstatbestandes, der beim Wollen einer Körperbewegung gegeben sei, ergebe immer nur periphere Empfindungen und Vorstellungen, so kann ich ihm darin nicht zustimmen.

Es scheint also, als ob JAMES der Meinung wäre, das Gefühl der Tätigkeit sei bei willkürlichen Körperbewegungen identisch mit den Empfindungen, welche durch die Ausführung der Bewegung entstehen. Das Bewußtsein der Tätigkeit bei einer Bewegung des Armes bestehe also z. B. in den Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen, die durch die Bewegung des Armes hervorgerufen werden.

Gegen diese Ansicht würden aber mancherlei Erfahrungen sprechen. Wäre sie richtig, so müßte allemal, wenn Teile unseres Körpers eine Bewegung ausführen und wir die entsprechenden Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen haben, damit zugleich das Bewußtsein der Tätigkeit vorhanden sein, d. h. wir müßten uns in der Bewegung tätig fühlen. Wenn aber ein Glied eine Reflexbewegung ausführt oder sich krampfhaft zusammenzieht oder aufgrund von elektrischer Reizung der entsprechenden Nerven eine Bewegung vollzieht, so nehmen wir wohl in den Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen das Stattfinden der Bewegung wahr, haben aber nicht das Bewußtsein, in der Erzeugung der Bewegung tätig zu sein. Dieses letztere Bewußtsein haben wir nur dann, wenn die Aufeinanderfolge der Empfindungen, aus der für das Bewußtsein die Ausführung der Bewegung besteht, begleitet ist von einem  Gefühl  der Tätigkeit. Nur im letzteren Fall sagen wir dann auch,  wir  bewegen das Glied; sonst dagegen erklären wir, das Glied bewege sich und wir können dann nur im übertragenen Sinn behaupten, wir hätten das Glied bewegt, insofern wir eben die unmittelbaren Ursachen der Bewegung in den eigenen Körper, den wir zum Ich rechnen und hier dann als Ich bezeichnen, verlegen.

Einen anderen Einwand macht JAMES sich selbst. Es kommt vor, daß Personen, welche an einem Körperglied total gelähmt sind, dennoch eine Bewegung des Gliedes wollen. Es tritt dann natürlich keine Bewegung des Gliedes ein, die betreffenden Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen entstehen also gar nicht und trotzdem haben diese Kranken das Bewußtsein intensiver Tätigkeit oder des intensivsten Kraftaufwandes. Die Frage ist daher, aus welchen Bewegungsempfindungen soll hier das tatsächlich vorhandene Gefühl der Bemühung bestehen? Hierauf erwidert JAMES, man werde bei genauerem Zusehen immer erkennen, daß in solchen Fällen zwar nicht das gelähmte, wohl aber das korrespondierende gesunde Glied bewegt würde oder wenigstens die Muskeln desselben kontrahiert würden; daß also z. B. dann, wenn die Bewegung des gelähmten rechten Armes gewollt wird, der gesunde linke Arm eine Bewegung oder eine Muskelkontraktion erfahre. Und die Empfindungen, welche durch solche Bewegungen oder Muskelzusammenziehungen hervorgerufen werden, seien es hier, die das Gefühl der Bemühung konstituieren. Aber dieser Ausweg ist nur ein scheinbarer. Mögen die Bewegungen und Muskelkontraktionen im korrespondierenden Glied tatsächlich stattfinden, damit ist nicht notwendig verbunden, daß die zugehörigen Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen  zu Bewußtsein kommen.  Diese Empfindungen werden im Gegenteil, je intensiver sich das Wollen auf die Bewegung des gelähmten Gliedes richtet, umso weniger und und schließlich gar nicht ins Bewußtsein treten. Je größer aber die Konzentration auf die Bewegung des gelähmten Gliedes ist, umso intensiver ist das Gefühl der Anstrengung. Das Gefühl der Bemühung wächst also, während die Empfindungen, die es konstituieren sollen, verschwinden oder fehlen. Folglich kann das Gefühl nicht mit diesen Empfindungen identisch sein.

Nimmt man aber auch an, die Bewegungsempfindungen im  gesunden  Arm seien für das Bewußtsein wirklich vorhanden, so wäre es unbegreiflich, wie diese Empfindungen das Bewußtsein der Bemühung, den  anderen  gelähmten Arm zu bewegen, bilden können. da doch die Bewegungsempfindungen, welche durch die Bewegung des  rechten  Armes entstehen, von denjenigen, die durch Bewegung des  linken  Armes hervorgerufen werden, verschieden sind und sonst nicht miteinander verwechselt werden. Man sollte vielmehr vermuten, daß in dem Moment, wo die Empfindungen aus der Bewegung oder Kontraktion des  gesunden  Armes ins Bewußtsein treten, sie sofort als Empfindungen, die sich auf den gesunden Arm beziehen, erkannt würden, da sie ja andere sind, als diejenigen, deren Erzeugung gewollt war. Kurz, das Gefühl der Bemühung den  einen  Arm zu bewegen kann nicht das eine Mal aus Empfindungen  in diesem  Arm bestehen, das andere Mal aus Empfindungen im  anderen  Arm.

Aber auch abgesehen davon: einen Arm bewegen zu wollen, d. h. bestimmte Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen in bestimmter Aufeinanderfolge wollen. Diese Empfindungen sind also das Ziel des Wollens. Wie kann dann das Gefühl der Anstrengung, das sich auf die Herbeiführung der Empfindungen richtet, mit diesen Empfindungen selbst zusammenfallen? Das Ziel der Tätigkeit ist doch nicht die auf das Ziel gerichtete Tätigkeit selbst. Nach JAMES müßte das Wollen, das Bewegungsempfindungen zum Objekt hat, mit diesen Empfindungen identisch sein.

"Äußere" Willenshandlungen brauchen nun nicht immer Bewegungen von Körpergliedern als direktes Ziel zu haben, sondern können auch andere Ziele haben, zu deren Erreichung Körperbewegungen bloß Mittel sind. So z. B. dann, wenn die Bewegungen der Finger, Hände und Arme dazu dienen, um auf dem Klavier bestimmte Klangfolgen hervorzubringen. Auch in solchen Fällen ist ein mehr oder weniger intensives Tätigkeitsgefühl vorhanden; und zwar bleibt dasselbe hier bestehen, selbst, wenn sich das Wollen möglichst auf den zu erreichenden Effekt, also im obigen Beispiel auf die Folge von Klängen konzentriert, während die Bewegungsempfindungen unweigerlich zugleich aus dem Bewußtsein verschwinden. Das  Gefühl der Tätigkeit  ist auch dann  vorhanden,  wenn die  Bewegungsempfindungen,  die durch die zur Erreichung des Zieles notwendigen Bewegungen hervorgerufen werden könnten, im Bewußtsein  fehlen. 

Außerdem gibt es Fälle, in denen zwar ein Gefühl des Strebens von erheblicher Intensität vorhanden ist, die Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen aber, die bei der Ausführung der gewollten Bewegung entstehen, von relativ geringer Intensität sind. Das kann z. B. vorliegen, wenn man an einem kalten Wintermorgen aus dem Bett aufstehen und ein kaltes Bad nehmen will. (2) So gehören alle Fälle hierher, in denen die Ausführung einer gewohnten Bewegung deshalb große Willensanstrengung erfordert, also mit einem ungewohnt intensiven Strebungsgefühl verbunden ist, weil unangenehme Konsequenzen der Bewegung vorausgesehen oder gefürchtet werden. Die Bewegungsempfindungen sind dann während der Ausführung nicht notwendig intensiver, als wenn unter anderen Nebenumständen die Bewegung mit geringer Willensanstrengung, also relativ schwachem Strebungsgefühl, ausführbar ist. Die Intensität des Tätigkeitsgefühls wird also hier größer, während die Intensität der Bewegungsempfindungen sich nicht in gleicher Weise ändert. Tätigkeitsgefühl und Bewegungsempfindungen können also nicht identisch sein.

Das zeigen weiterhin auch noch Gründe allgemeiner Art. Das Gefühl der Tätigkeit bei Körperbewegungen ist überall qualitativ gleichartig, nur in der Intensität und im Lust- oder Unlustcharakter verschieden. Die Bewegungsempfindungskomplexe sind dagegen bei jeder Bewegung und bei jedem Körperteil andere und andere. Außerdem sind die Empfindungskomplexe immer, an verschiedenen Stellen des Körpers, räumlich lokalisiert, während das Gefühl der Tätigkeit weder eine räumliche Ausdehnung, noch im eigentlichen Sinn einen Ort hat, noch viel weniger aber jetzt an dieser, dann an jener Stelle des Körpers seinen Sitz hat. (3)

Das Gefühl der Tätigkeit ist daher nicht in den Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen zu suchen, welche bei der Ausführung einer Körperbewegung entstehen können.

Allen diesen Einwänden gegenüber könnte nun JAMES mit Unwillen auf jene oben erwähnte Anmerkung, die sich an einer späteren Stelle (Seite 562) des Kapitels über den Willen befindet, verweisen, in welcher er ja ausdrücklich eine strenge Scheidung zwischen Muskelanstrengung (muscular effort) und Willensanstrengung (volitional effort) fordere. Alles, was hier angegriffen sei, beziehe sich bei ihm auf die  Muskel anstrengung, während es hier als Behauptung über die  Willensanstrengung aufgefaßt werde.

Dann muß man aber fragen, was denn unter jener Muskelanstrengung (muscular effort) zu verstehen sei. Sieht man nämlich vom Gefühl der Tätigkeit ab, so kann mit dem Bewußtsein einer Muskelanstrengung nur das Bewußtsein von der Intensität, Art und Größe der stattgefundenen Muskelkontraktion oder der entsprechenden Bewegung gemeint sein. Die Behauptung, daß dieses Bewußtsein einer Muskelanstrengung in den Bewegungsempfindungen bestehe, erscheint dann allerdings als selbstverständlich. Denn nur durch Empfindungen können wir von der Art und Größe einer ausgeführten Bewegung etwas erfahren. Wenn ein Glied des Körpers durch Wollen oder aufgrund von Reizen sich bewegt, so haben wir ein unmittelbares Bewußtsein von dieser Bewegung, wenn wir die betreffenden Muskel-, Sehnen- und Gelenkempfindungen haben. Vielleicht wollte JAMES nur dies behaupten im Gegensatz zu denjenigen, welche das Bewußtsein von der Intensität und dem Umfang der stattfindenden Muskelkontraktion in einem Gefühl, das der zentralen motorischen Innervation entsprechen sollte, sehen wollten. Dann aber scheint für dieses Bewußtsein nicht der Ausdruck Anstrengung oder Bemühung zu passen, da diese Worte für gewöhnlich die Willensanstrengung mit umfassen, insofern man nur dann vom Bewußtsein einer muskulären  Anstrengung  spricht, wenn die Muskelkontraktionen  gewollte  sind, dagegen nicht, wenn sie unwillkürlich geschehen. Insofern ist jede Anstrengung oder Bemühung eine Willensanstrengung, also auch die Muskelanstrengung; und das Bewußtsein davon ist durch das Tätigkeitsgefühl charakterisiert. Muskel kontraktionen  und ein Bewußtsein von denselben sind dagegen sehr wohl ohne ein Gefühl der Tätigkeit möglich.

Wenn also das Bewußtsein der Muskelanstrengung nichts anderes sein soll, als das Bewußtsein einer bestimmtgearteten Muskelkontraktion, so wird man wohl das, was wir Willensgefühl oder Gefühl der Tätigkeit nennen, in dem zu suchen haben, was JAMES Bewußtsein der Willensanstrengung oder auch der "rein geistigen" Aktivitä nennt. Ich gehe daher zur Betrachtung der Analyse über, die JAMES vom Bewußtsein der Aktivität gibt. JAMES will allerdings für diese Resultate seiner Analyse zunächst nur subjektive Gültigkeit beanspruchen, da die innere Beobachtung auf diesem Gebiet verzweifelt schwierig sei. Dennoch darf man wohl untersuchen, ob sich diese Resultate aufrechterhalten lassen und ob sie etwas gegen die Existenz eines Willensgefühles beweisen.

JAMES behauptet, (4) es sei schwierig, im Bewußtsein der Aktivität ein "rein geistiges" Element aufzufinden. Allemal, wenn es gelinge, den inneren Blick schnell genug auf eine der Äußerungen der Spontaneität zurückzuwenden, könne man nichts anderes entdecken, als körperliche Prozesse, die meistens im Kopf vor sich gingen.

Beim Aufmerken auf eine Vorstellung oder Empfindung eines bestimmten Sinnesgebietes bestehe das Aktivitätsbewußtsein in den Empfindungen, die durch Einstellung der betreffenden Sinnesorgane auf die Empfindung oder den vorgestellten Ort der Vorstellung entstehen. Der Übergang von einem Inhalt eines Sinnesgebietes zum Inhalt eines anderen empfänden wir als Bewegungen, die durch das Gehirn von einem Sinnesorgan zum anderen zu gehen schienen.

Beim Besinnen und Nachdenken werden die Augen nach oben und außen eingestellt; die hieraus entstehenden Empfindungen zusammen mit scheinbaren Bewegungen innerhalb des Schädels bilden nach JAMES den Inhalt des Aktivitätsbewußtseins in diesem Falle.

Beim Bejahen und Verneinen und bei geistiger Anstrengung seien die Bewegungen komplizierter und schwieriger zu beschreiben. Das Öffnen und Schließen der Stimmritze und Bewegungen des weichen Gaumens treten bei jeder geistigen Hemmung und bei Abneigung gegen das Vorgestellte ein. Die Empfindungen, die beim Durchströmen der Luft durch Kehle und Nase entstehen, bilden einen Hauptbestandteil des Gefühles des Willensentschlusses. Dazu kämen noch Empfindungen, die durch Bewegungen der Brauen und Augenlider erzeugt werden.

Bei Anstrengung jeder Art treten außerdem noch Kontraktionen der Wangen- und Atemmuskeln hinzu und diese sollen durch die daraus entstehenden Empfindungen einen Beitrag zum Bewußtsein der Aktivität liefern.

JAMES faßt dann sein Ergebnis zusammen, indem er sagt: Unser ganzes Gefühl der geistigen Aktivität oder das, was man gewöhnlich mit diesem Namen meint, ist also in Wirklichkeit ein Bewußtsein von körperlichen Vorgängen, deren wahre Natur die meisten Menschen übersehen. Diese körperlichen Vorgänge sind minimale Reflexe, primäre Reaktionen, die ihrer Unwichtigkeit und ihres geringen Interesses wegen einzelnen wenig beachtet werden.

Alle diese körperlichen Vorgänge bezeichnet man gewöhnlich als Begleiterscheinungen der Tätigkeit oder des Wollens. Die Empfindungen also, die aufgrund solcher Begleiterscheinungen bewußt werden können, sollen nach JAMES das Gefühl der Tätigkeit ausmachen.

Da wohl bei allem Wollen, bei aller Tätigkeit solche Begleiterscheinungen vorkommen werden, so läßt sich diese Behauptung, gegenüber der früheren, allerdings für alle Willensphänomene aufstellen. Es könnte dagegen schon Bedenken erregen, daß nach JAMES das Tätigkeitsgefühl in den verschiedenen Fällen aus verschiedenartigen Empfindungskomplexen zusammengesetzt sein soll, während es doch in allen Fällen gleichartig ist und nur dasjenige, worauf es gerichtet erscheint, in verschiedenen Fällen etwas Verschiedenes ist. Vielleicht gelingt es jedoch, bei allem Wollen solche Begleiterscheinungen aufzufinden, die in allen Fällen genügend gleichartig sind, um für die Gleichartigkeit des Willensgefühls Rechenschaft geben zu können.

Nimmt man aber auch an, dies sei gelungen, es fänden sich also bei jedem Willensvorgang gleichartige körperliche Begleiterscheinungen vor; wenn dann auch, was durchaus nicht der Fall ist, diese Begleiterscheinungen immer für das Bewußtsein in Form von Empfindungen vorhanden wären, so wäre hiermit noch  nichts gegen  die Existenz eines Tätigkeitsgefühles als eines besonderen Bewußtseinsinhaltes bewiesen. Die Möglichkeit, daß neben jenen Empfindungen außerdem noch dieses Gefühl vorhanden wäre, bestände immer noch. Auch, daß die direkte Beobachtung des Aktivitätsbewußtsein immer nur Empfindungen zu konstatieren vermag und des Tätigkeitsgefühles nicht habhaft wird, wäre leicht verständlich, da sich Empfindungen wohl direkt beobachten lassen, nicht aber das Tätigkeitsgefühl, denn letzteres würde heißen, das Tätigkeitsgefühl solle sich auf sich selbst richten. Beobachten heißt innerlich tätig sein, sobald man zur Beobachtung übergeht, verläßt man diejenige Tätigkeit, die man beobachten möchte; die innere Tätigkeit, in der das Beobachten besteht, kann sich aber nicht auf eine Tätigkeit richten, die nicht mehr vorhanden ist; sie müßte sich also auf sich selbst richten. Das ist aber unmöglich, sie kann sich nur auf das  Erinnerungsbild  der eben vergangenen Tätigkeit richten. Sind dann die Begleiterscheinungen als Nachwirkungen der vergangenen Tätigkeit noch vorhanden, so ist es begreiflich, daß sich die ihnen entsprechenden Körperempfindungen der Beobachtung am leichtesten darbieten und damit die Treue des Erinnerungsbildes der Tätigkeit trüben.

Die angeführten Tatsachen beweisen also zwar die Existenz von Begleiterscheinungen psychischer Tätigkeit, aber sie beweisen  nichts gegen  die Existenz des Tätigkeitsgefühl als eines eigenartigen Inhalts des Bewußtseins der Tätigkeit.

Andererseits bleiben aber gegen die Behauptung, daß das Tätigkeitsgefühl aus dem die Empfindungen der Begleiterscheinungen  tatsächlich bestehen,  noch entscheidende Einwände bestehen.

Zunächst scheint mir, daß man sich nur hypothetisch vorzustellen brauche, alle jene Begleiterscheinungen, die bei jedem Wollen vorliegen, könnten durch künstliche Mittel, etwa durch elektrische Reizung der zugehörigen Nerven, herbeigeführt werden; und sie seien in einem konkreten Fall nicht nur künstlich erzeugt worden, sondern der Mensch, dessen Körper sie angehören, habe auch ein Bewußtsein von ihnen, d. h. er habe die entsprechenden Muskel- und Hautempfindungen; und man wird dann sofort erkennen, daß dieser Mensch in den Empfindungen nicht das Bewußtsein der Aktivität haben wird, auch wenn er nichts von der künstlichen Erzeugung der Begleiterscheinungen weiß. Er wird vielmehr das Bewußtsein haben, es geschehe ihm etwas, es sei ein sonderbarer Krampfzustand in seinem Körper auf rätselhafte Weise entstanden, nicht aber das Bewußtsein,  er  tue etwas,  er  sei geistig tätig.

Experimentell beweisbar ist diese Behauptung natürlich nicht, da sich jenes Experiment der künstlichen Erzeugung der Begleiterscheinungen des Wollens wohl nicht ausführen läßt.

Es gibt aber Gründe dafür, daß das Aktivitätsgefühl tatsächlich  nicht  mit den Empfindungen, die aufgrund der Begleiterscheinungen entstehen können, identisch  sein kann. 

Denn sollte jene Identität bestehen, so müßten doch wenigstens immer in den Fällen, wo bewußte geistige Aktivität vorhanden ist, auch jene Empfindungen bewußt sein. Diese Voraussetzung trifft aber nicht zu. Wer mit Bewußtsein tätig ist, wer also angespannt aufmerkt, sich besinnt, nachdenkt oder dgl., weiß für gewöhnlich nichts von jenen körperlichen Vorgängen, die während seines Tätigseins in den Augen, im Kopf, Hals in den Atmungsorganen stattfinden; er weiß nicht davon, d. h. die in Betracht kommenden Muskel- und Hautempfindungen sind nicht in seinem Bewußtsein vorhanden, während das Gefühl der Tätigkeit sehr wohl vorhanden ist. Jedenfalls, je mehr die Tätigkeit eine konzentrierte ist, je mehr der Mensch sich dem Gegenstand seiner inneren Tätigkeit ganz hingibg, umso mehr hat er auch das Gefühl der inneren Tätigkeit, der intensiven Bemühung, umso mehr aber treten gleichzeitig etwa vorhandene, von begleitenden Muskelkontraktionen herrührende, Empfindungen zurück und verschwinden schließlich ganz oder kommen von vornherein gar nicht zu Bewußtsein. Erst wenn die Aktivität aufhört, wenn das Aktivitätsgefühl verschwindet oder in Befriedigung übergeht, können nachträglich jene körperlichen Vorgänge Empfindungen bis zur unangenehmsten Intensität hervorrufen. Wird aber mit dem Anwachsen des Tätigkeitsgefühles jener Empfindungskomplex zurückgedrängt oder aus dem Bewußtsein ferngehalten und können mit dem Verschwinden des Aktivitätsbewußtseins die Empfindungen mit größter Intensität bewußt werden, so kann offenbar das Aktivitätsgefühl nicht mit jenen "Empfindungen von körperlichen Vorgängen" direkt identisch sein.

Außerdem unterscheiden wir, wenn wir sonst tätig sind, sehr genau unser Bewußtsein der Aktivität oder unser Tätigkeitsgefühl von den Objekten oder den Materien, auf die sich unsere Tätigkeit bezieht. Auch JAMES macht ja diesen Unterschied; es soll ja, wenn wir mit der Lösung eines wissenschaftlichen Problems oder mit dem Aufmerken auf eine Rede beschäftigt sind, das Tätigkeitsgefühl nicht etwa aus den Vorstellungen, die zu diesem Problem gehören oder aus den Empfindungen und Vorstellungen, die der Redende in uns erweckt, bestehen, sondern vielmehr in den Empfindungen, die unsere eigenen körperlichen Vorgänge begleiten; es soll also  Gegenstand der Betätigung und Bewußtsein der Aktivität  etwas ganz Verschiedenes sein. Nun können natürlich auch jene körperlichen Vorgänge Objekt der Tätigkeit sein, d. h. wir können die Empfindungen, aus denen sie für das Bewußtsein bestehen, herbeiführen  wollen.  Das schließt keinen Widerspruch in sich, sondern die Möglichkeit dazu besteht tatsächlich. Nach JAMES aber müßte es ein Widerspruch sein, da ja hier Tätigkeitsgefühl und Objekt der Tätigkeit zusammenfallen würden. - Sagt man dagegen, man könne eben jene Empfindungen in der Vollzähligkeit, in der sie das Tätigkeitsgefühl ausmachen sollen, nicht willkürlich erzeugen, so ändert das an der Sache nichts. Jene Unmöglichkeit kann man doch nur behaupten, wenn man die willkürliche Erzeugung der Empfindungen einmal versucht hat. Und den Versuch kann man doch wenigstens anstellen; d. h. aber, seine Bemühung, seine Tätigkeit auf die Erzeugung der Empfindungen richten. Also müßte auch hier das Objekt der Tätigkeit mit dem Tätigkeitsgefühl zusammenfallen. Bei jenem Versuch hat man ein Tätigkeitsgefühl. Man sagt nun, der Versuch schlägt fehl, die Empfindungen treten nicht ein. Wie kann dann aber das beim Versuch vorhandene Tätigkeitsgefühl aus den  nicht  eintretenden Empfindungen bestehen?

Endlich müssen wir beachten, daß das Tätigkeitsgefühl ganz andere Beschaffenheiten hat, als die Empfindungen, mit denen es identisch sein soll. Die Empfindungen haben räumliche Qualitäten, sie sind mehr oder weniger ausgedehnt und an Orte des Körperraumes lokalisiert, während das Tätigkeitsgefühl nicht ausgedehnt und im strengen Sinn ortlos, also überhaupt ohne räumliche Eigenschaften ist. Man kann daher das Tätigkeitsgefühl und jene Empfindungen nicht für dasselbe erklären. (5)

Es ließe sich nun noch ein allgemeiner Einwand gegen jede Identifikation des Willensgefühls mit Empfindungen überhaupt hinzufügen. JAMES erkennt, wie auch die meisten anderen Psychologen, gelegentlich die enge Beziehung, in welcher das Tätigkeitsgefühl zum Ich steht; er gibt zu, daß das Gefühl der Aktivität den zentralen Kern des Ich bildet, daß in ihm das "Selbst aller Selbste" besteht. (6) Wie nun das Aktivitätsgefühl zu dieser Vorzugsstellung als Kern des Ich kommen soll, wenn es aus Körperempfndungen besteht, ist nicht recht einzusehen. Obgleich aber an diesem Punkt die Tragweite der Streitfrage, ob das Willensgefühl aus Empfindungen besteht, besonders klar zutage treten würde, so muß ich doch hier auf die genauere Darlegung dieses Einwandes, da mich dieselbe zu weit führen würde, verzichten. Ich will jetzt vielmehr die eigentliche Meinung die JAMES' Ausführungen wahrscheinlich mitteilen wollen, deutlich zu machen suchen und diese interpretierte Meinung dann kritisch prüfen.

 Willensgefühl als Verschmelzungsprodukt aus Empfindungen.  Wenn JAMES behauptet, das Gefühl der Tätigkeit  bestehe aus  den Empfindungen, welche durch die Begleiterscheinungen des Wollens in Kopf und Kehle hervorgebracht werden, so kann mit dem Ausdruck "bestehen aus" auch ein anderes Verhältnis zwischen Tätigkeitsgefühl und jenen Empfindungen, als gerade dasjenige der Identität beider, gemeint sein. Wahrscheinlich hat JAMES nicht eine Identität behaupten wollen, denn einerseits soll das Tätigkeitsgefühl eine unleugbare Tatsache des Bewußtseins sein, andererseits sollen die Empfindungen, aus denen es bestehen soll, doch im einzelnen wenig beachtet, d. h. also für das Bewußtsein nicht vorhanden sein.

Folgende Stelle deutet genauer darauf ini, wie sich JAMES das Verhältnis von Aktivitätsgefühl und jenen Empfindungen gedacht hat. Diese Empfindungen seien Empfindungen von minimalen Reflexen, gering an Zahl, unaufhörlich wiederholt, konstant inmitten großer Schwankungen des übrigen Bewußtseinsinhaltes und ganz und gar unwichtig und uninteressant, außer dadurch, daß sie die Gegenwart mannigfacher Dinge und Geschehnisse im Bewußtsein fördern oder hindern. Diese Eigentümlichkeiten bewirkten, daß wir ihnen im einzelnen (en detail) wenig Aufmerksamkeit schenken, während wir ihrer zugleich als einer zusammenhängenden Gruppe von Prozessen gewahr würden, die zu allen anderen Inhalten des Bewußtseins in strengem Kontrast stehe.

In diesen Bemerkungen wird, wie man sieht, ein Unterschied zwischen dem Beachten von Empfindungen im einzelnen und der Gewahrwerden derselben als eines Ganzen aufgestellt. Dieselben Empfindungen sollen also einmal als solche, ein andermal mehr ähnlich einer verschwommenen Gesamtmasse im Bewußtsein sein. Und es scheint, als ob wir dann ein Tätigkeitsgefühl haben, wenn wir jene "Empfindungen von körperlichen Vorgängen" im einzelnen nicht unserer Beachtung würdigen, sondern sie im dämmrigen Seiten- oder Hintergrund stehen lassen. Etwas ähnliches hat ja auch die Ansschauung vergangener Tage behauptet, welcher zufolge alle Gefühle nur ein unklares Erkennen oder ein "verworrenes" Vorstellen sein sollten. Das Tätigkeitsgefühl wäre demgemäß ein unklar erkannter Empfindungskomplex aus körperlichen Vorgängen.

Aber vielleicht darf man entrüstet sein über solche Vergleiche und als ein wohlbekanntes Analogon für den Unterschied von Empfindungen im einzelnen und Empfindungen als Gesamtheit die Verschmelzung von Tönen zu Klängen anführen. Wie der Klang aus Tonempfindungen "besteht", so könnte ja das Tätigkeitsgefühl aus Muskel- und Hautempfindungen "bestehen". Jene Tonempfindungen werden ja ebenfalls von den meisten Menschen im einzelnen wenig oder nie beachtet; erst wenn sie den Klang analysieren, erkennen sie, er aus einzelnen Tönen besteht, erst dann beachten sie die Tonempfindungen im Einzelnen. Man nennt den Klang ein Verschmelzungsprodukt aus Tonempfindungen; so könnte man auch das Tätigkeitsgefühl als ein Verschmelzugne aus den Empfindungen der körperlichen Begleiterscheinungen innerer Aktivität bezeichnen.

Dann müssen wir das Analogon etwas näher betrachten, um daraus zu entnehmen, wie es sich mit dem Tätigkeitsgefühl verhalten soll. Sehen wir also genauer zu, in welchem Sinn ein Klang aus Tonempfindungen besteht. Wenn jemand einen "Ton" eines Klaviers, der bekanntlich in Wirklichkeit ein Klang ist, nur einfach, wenn auch mit Aufmerksamkeit, anhört, so befindet sich in seinem Bewußtsein die Klangempfindung als  eine einfache  Empfindung; nicht als Etwas, was aus Mehrerem sich zusammensetzte, sondern als etwas vollkommen Einheitliches; es sind die Töne, aus denen, wie man sagt, der Klang physikalisch zusammengesetzt ist, als solche für sein Bewußtsein gar nicht vorhanden. Obgleich also mit dem Erklingen des Klanges die physikalischen Bedingungen für eine Mehrheit von Tonempfindungen gegeben sind, findet sich diese Mehrheit im Bewußtsein des einfach Zuhörenden durchaus nicht vor, sondern  statt derselben  ist etwas ganz anderes, nämlich eben die  eine,  einheitliche Klangempfindung vorhanden. Und für die Mehrzahl der Menschen bleibt es endgültig bei diesen einheitlichen Klangempfindungen. Nun kann aber ein Klang analysiert werden. Geschieht das, so hört die einheitliche Klangempfindung als solche auf zu bestehen, an ihre Stelle tritt eine Mehrheit von Tonempfindungen. Eine Klangempfindung bestehe aus mehreren Tonempfindungen, das kann daher nur zweierlei bedeuten. Entweder gibt man dadurch der Tatsache Ausdruck, daß, während die Klangempfindung als eigenartiger Bewußtseinsinhalt vorhanden ist, zugleich doch die physikalischen oder auch physiologischen, Bedingungen für eine Mehrheit von Tonempfindungen gegeben seien; oder andererseits der Tatsache, daß an die Stelle der Klangempfindung unter anderen subjektiven Umständen, bei anderm subjektiven Verhalten eine Mehrheit von Tonempfindungen treten würde. Niemals kann man aber damit sagen, daß dann, wenn man einen Klang höre, die Tonempfindungen als solche im Bewußtsein vorhanden seien; höchstens könnte man die Tonempfindungen als unbewußt vorhanden erklären.

Soll nun das Tätigkeitsgefühl zu den Körperempfindungen in demselben Verhältnis stehen, wie die Klangempfindung zu den Tonempfindungen, so wäre damit zunächst zugestanden, daß das Tätigkeitsgefühl etwas von den Körperempfindungen als solchen Verschiedenes ist, daß es ein neuer einheitlicher Bewußtseinsinhalt ist, da ja auch die Klangempfindung, mit der es in Parallele gesetzt wird, den Tonempfindungen gegenüber etwas relativ Neues ist. Das Tätigkeitsgefühl wäre nicht mehr identisch mit jenen Körperempfindungen, sondern eben ein Verschmelzungsprodukt aus ihnen; und die Streitfrage würde sich dann nicht mehr um die Existenz desselben, sondern um die Grundlage oder die Herkunft desselben drehen.

Es bleibt aber dann in der so formulierten Ansicht JAMES noch unklar, weshalb das Tätigkeitsgefühl vorhanden sein kann, wenn doch, wie zugestanden wird, währen der inneren Aktivität den Empfindungen keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nehmen wir zur Verdeutlichung dieses Punktes wieder das Analogon zu Hilfe. Wenn man in einer Lektüre oder in Nachdenken vertieft ist, so kommen Klänge, die etwa während dessen erklingen, gar nicht zu Bewußtsein; unser Interesse ist auf den Gegenstand der Lektüre oder den Nachdenkens konzentriert, wir achten nicht auf die Tonempfindungen, deren objektive Bedingungen gegeben sind und dieses Nichtachten hat hier die Folge, daß die Klangempfindungen gar nicht zustande kommen. Wenn wir uns nun überhaupt in einem Zustand innerer Aktivität befinden, so heißt das doch, unser Interesse ist konzentriert auf die  Gegenstände  unserer  Betätigung,  es ist also von allen anderweitigen möglichen Empfindungen, also auch von den Körperempfindungen abgewandt. Die Körperempfindungen werden also in demselben Sinne nicht beachtet, wie oben die Tonempfindungen während der Lektüre oder des Nachdenkens. Weshalb hat nun hier das Nichtachten nicht dasselbe Resultat wie oben? Weshalb kommt hier das Tätigkeitsgefühl zustand, während doch im analogen Fall die, dem Tätigkeitsgefühl entsprechende, Klangempfindung  nicht  entsteht?

Nun kann freilich noch in einem anderen Sinne von Nichtbeachtung der Tonempfindungen die Rede sein. Wenn die Klangempfindung Gegenstand des Interesses ist, so ist sie im Bewußtsein vorhanden, obgleich die, für gewöhnlich uninteressanten Tonempfindungen, aus denen sie "besteht", nicht beachtet werden und deshalb auch für das Bewußtsein nicht als solche da sin. JAMES würde also vielleicht auf die obige Frage antworten, das Tätigkeitsgefühl sei eben auch Gegenstand des Interesses, da es ja "die Gegenwart mannigfacher Dinge und Geschehnisse im Bewußtsein fördere oder hindere", während die Körperempfindungen an sich ganz unwichtig seien. Aber diese Antwort würde unzureichend sein. Gegenstand des Interesses sein, das heißt eben: Objekt innerer Tätigkeit oder Objekt sein, auf das ein Tätigkeitsgefühl gerichtet ist. Es hat aber keinen Sinn, zu sagen, das Tätigkeitsgefühl habe sich selbst zum Objekt oder das Tätigkeitsgefühl sei vorhanden, weil auf dasselbe ein Tätigkeitsgefühl gerichtet sei.

Daß aber, wenn die Tätigkeit auch eine konzentrierte ist, das Tätigkeitsgefühl vorhanden bleibt, während alle anderen Empfindungen, also auch Körperempfindungen und Vorstellungen, die nicht gerade Objekt der Tätigkeit sind, vermöge der Enge des Bewußtseins oder, was dasselbe bedeutet, aufgrund der allgemeinen Konkurrenz psychischer Inhalte um das Bewußtwerden, aus dem Bewußtsein verdrängt oder ferngehalten werden; daß also das Tätigkeitsgefühl dem allgemeinen Konkurrenzgesetz nicht unterworfen ist, das ist ein Zeichen dafür, daß es von jenen "objektiven" Bewußtseinsinhalten, wie Empfindungen und Vorstellungen, ganz und gar verschieden ist und den der Lust und Unlust näher steht, die ebenfalls eine solche Ausnahmestellung einnehmen.

Noch in mehreren Punkten weicht aber das Tätigkeitsgefühl von einem Verschmelzungsprodukt aus Körperempfindungen ab. Verschmelzungsprodukte aus Empfindungen sind sonst immer neue eigenartige Empfindungen, die, wie die Empfindungen, aus denen sie entstehen, als etwas Objektives, als Teil der Außenwelt, erscheinen und welche, falls die Empfindungen, aus denen sie hervorgehen, räumliche Eigenschaften besitzen, sich ebenfalls räumlich darstellen. Dast Tätigkeitsgefühl aber hat, wie schon mehrfach erwähnt, keinerlei räumliche Qualitäten und erscheint als etwas durchaus Subjektives, nach JAMES eigenem Ausdruck als "Kern des Ich".

Man kann den Körperempfindungen die Aufmerksamkeit zuwenden; sie treten dann als einzelne hervor. Das geschieht ja z. B., wenn JAMES das Tätigkeitsgefühl analysiert. Diese Analyse, sagt er, sei besonders schwierig; das heißt doch wohl, bei dieser Tätigkeit der Analyse sei ein besonders intensives Gefühl der inneren Bemühung vorhanden. Wir hätten also gleichzeitig ein intensives Tätigkeitsgefühl und die einzelnen Körperempfindungen, deren Verschmelzungsprodukt es sein soll. Abgesehen nun vom Widersinn, daß hier das Tätigkeitsgefühl zugleich wieder  Objekt  eines Tätigkeitsgefühls sein müßte, entsteht hier die Frage, wie es möglich ist, daß das Verschmelzungsprodukt, das Gefühl innerer Bemühung, unverändert vorhanden ist und zugleich doch in die einzelnen Körperempfindungen aufgelöst ist; während dagegen bei der analogen Analyse der Klangempfindung die einheitliche Klangempfindung verschwindet und  an ihre Stelle  eine Mehrheit von Tonempfindungen tritt? Die Antwort auf diese Frage kann nur lauten: das Tätigkeitsgefühl ist eben  nicht  identisch mit dem Verschmelzungsprodukt aus Körperempfindungen; gerade die Tatsache, daß es bestehen bleibt, wenn das vermeintliche Verschmelzungsprodukt in die einzelnen Körperempfindungen aufgelöst wird, ist ein Beweis dafür.

Ein hartnäckiger Verteidiger der hier bekämpften Theorie könnte nun allerdings immer noch behaupten, wenn auch das Tätigkeitsgefühl alle hier behaupteten, es von den Empfindungen unterscheidenden Eigenschaften besitze, so sei es trotzdem eine Art von Verschmelzungsprodukt aus Muskel- und Hautempfindungen, nur liege eben hier ein besonderes Verhältnis zwischen dem Verschmelzungsprodukt und den Empfindungen vor, welches dem zwischen Klangempfindung und Tonempfindung nicht ähnlich sei.

Eine solche Behauptung bedürfte aber notwendig weiterer Begründung, sonst würde sie doch zu sehr einem der Bedrängnis entsprungenen Machtspruch gleichen. Da im übrigen Körperempfindungen niemals solche, zu allen anderen "objektiven" Inhalten des Bewußtsein "in strengem Kontrast" stehende Verschmelzungsprodukte haben, so müßte man verständlich zu machen suchen, weshalb gerade diese Körperempfindungen ein solches Bewußtseinsresultat, wie das Tätigkeitsgefühl es ist, haben. Die bloße Konstanz derselben gegenüber dem sonstigen veränderlichen Bewußtseinsinhalt würde dafür kein hinreichender Grund sein. In allen Fällen bleibt dann außerdem noch zu zeigen, wie der psychische Zustand oder die psychischen Bedingungen beschaffen sein müssen, damit jene Körperempfindungen unbewußt als Begleiterscheinungen entstehen und zum Bewußtseinsresultat das Tätigkeitsgefühl haben. Versucht man aber, diese Bedingungen festzustellen, so wird man vielleicht erkennen, daß die psychischen Bedingungen, die notwendig sind, damit jene körperlichen Prozesse (die sogenannten Begleiterscheinungen des Wollens) entstehen, zugleich auch die direkten Bedingungen für das Auftreten eines Tätigkeitsgefühles sind, daß also jene körperlichen Prozesse und etwa die daraus entspringenden Empfindungen in Wahrheit nur "Begleiterscheinungen" des Wollens sind, wie man das gewöhnlich auch annimmt. Jedenfalls, wenn es gelingt, aus dem psychischen Tatbestand, der zum Aktivitätsbewußtsein führt und der erst jene Begleiterscheinungen entstehen läßt, auch das Auftreten des Willensgefühls direkt verständlich zu machen, so brauchen wir die außer aller Analogie stehende Annahme nicht, daß das Willensgefühl ein eigenartiges Verschmelzungsprodukt aus Körperempfindungen sei. Ob die eine oder die andere Ansicht physiologisch vermeintlich verständlicher ist oder nicht, darum kann sich die Psychologie nicht kümmern.

Wir sehen also, daß diese Versuche, das Gefühl der Tätigkeit auf Körperempfindungen zurückzuführen oder aus ihnen abzuleiten, mißlingen. Vielleicht haben wir nun das, was hier Tätigkeitsgefühl genannt wurde, in demjenigen zu sehen, was JAMES als "Fiat" [Werden - wp] des Willens bezeichnet. Doch lasse ich das dahingestellt.

Es scheint mir hier die geeignete Stelle, noch eine Ansicht kurz zu erwähnen, welche der oben angeführten von JAMES ähnlich ist, aber von JAMES nicht ausgesprochen worden ist und wegen ihrer Unbestimmtheit auch wohl nicht ausgesprochen worden sein würde. Sie verrät in der Tat mehr guten Willen als sicheren wissenschaftlichen Scharfblick. Diese Meinung erkennt das Willensgefühl als besonderen, eigenartigen Bewußtseinsinhalt an, aber erklärt, es sei eben die Resultante aus allen im Moment vorhandenen bewußten oder unbewußten Körperempfindungen und den gleichzeitigen Vorstellungen, besonders der Zielvorstellung, also gleichsam der gemeinsame Zielpunkt oder die Totalwirkung alles dessen, was im gegebenen Moment bewußt oder unbewußt psychisch lebendig ist.

Nun wird ja gewiß der jeweils herrschende Gefühlszustand immer durch alle gleichzeitig vorhandenen psychischen Erregungen bedingt sein. Diese Erregungen sind aber natürlich von verschiedenartigster Natur. Sie können daher den Gefühlszustand nicht in dem Sinne bedingen, wie die Tonempfindungen die aus ihnen hervorgehende Klangempfindung bedingen; d. h. die Gefühle können nicht als Resultanten, im Sinne von Verschmelzungsprodukten, aller gleichzeitigen psychischen Erregungen betrachtet werden, denn die bisher bekannten psychischen Verschmelzungen sind nur zwischen Gleichartigem möglich. Sollte das Willensgefühl ein solches Verschmelzungsprodukt sein, so müßte es aus der Verschmelzung von völlig Disparatem, wie den unbewußten Körperempfindungen und allerlei anderen Vorstellungen, hervorgehen.

Und noch in anderer Hinsicht müßte diese Verschmelzung von der bisher bekannten total verschieden sein. Die Verschmelzung besteht ja immer gerade darin, daß die Elemente, welche verschmelzen, verschwinden und an ihre Stelle etwas Neues tritt, während hier die Elemente einen Beitrag zum Verschmelzungsprodukt liefern müßten und trotzdem für sich weiter existierten, da ja die Vorstellungen, besonders die Zielvorstellung, als solche noch im Bewußtsein vorhanden sind. Diese Verschmelzung würde daher, da ihr das Wesentliche fehlt, auf den Namen Verschmelzung wohl keinen Anspruch mehr haben. Es würde also nichts anderes übrig bleiben, als eine andere Art der Abhängigkeitsbezeichnung zwischen Gefühlszustand und gleichzeitigem bewußten oder unbewußten Vorstellungen und Empfindungen anzunehmen, als die bisher bekannte Verschmelzung es ist. Dann ist es aber eine unabweisbare Forderung, diese Art der Abhängigkeit genauer zu bestimmen.

Zu dieser genaueren Bestimmung würde es aber vor allem gehören, daß man über die allgemeine und unbestimmte Behauptung, das Willensgefühl sei Totalwirkung der gerade vorhandenen bewußten und unbewußten Vorstellungen und Empfindungen hinausgeht. Denn nicht bei jeder beliebigen Gesamtheit gleichzeitiger psychischer Erregungen ist das Willensgefühl in gleicher Weise vorhanden. Vielmehr ist es Tatsache, daß der Gefühlszustand ein anderer und anderer ist, je nach der augenblicklichen Empfindungs- und Vorstellungskonstellation. Man muß also zeigen,  wie beschaffen  der Empfindungs- und Vorstellungszusammenhang jedesmal sein muß, damit jene Änderung des Gefühlszustandes eintritt, die wir dadurch bezeichnen, daß wir sagen, es ensteht ein Willensgefühl. Kurz gesagt, es muß eine gesetzmäßige Beziehung zwischen dem Auftreten eines Willensgefühles und bestimmten Beschaffenheiten oder Veränderungen im übrigen psychischen Geschehen aufgezeigt werden. Tut man das nicht, so ist mit der allgemeinen Behauptung, das Willensgefühl sei Totalwirkung des gesamten vorhandenen psychischen Zustandes, gar nichts gesagt oder ebensowenig gesagt, wie mit der Erklärung, die Ursache einer bestimmten chemischen Reaktion sei der gerade vorhandene Weltzustand. Es ist Selbstmord der Wissenschaft, wenn sie sich bei solchen Allgemeinheiten beruhigt.



Ich füge noch kurz hinzu, wie einige andere Psychologen sich zur Frage nach dem Willensgefühl gestellt haben.

KÜLPE erklärt in seiner Psychologie zunächst: "Alles, was sich als innere Tätigkeit ... beobachten läßt, ist auf ein bestimmtes Phänomen reduzierbar, das wir als  Streben  vielleicht am unbefangensten und zutreffendsten bezeichnen können. Es ist ein von innen heraus erfolgender Drang, eine Spannung, eine Betätigung unseres Ich, die wir damit meinen." (7) Dann stellt er die Frage, ob wir in diesem Streben ein Gefühl oder eine Empfindung zu sehen haben.

KÜLPEs Ansicht ist nun die, daß das Streben ein Komplex von mehr oder weniger lebhaften Organempfindungen sei, die teils peripherisch, teils zentral erregte Spannungs- (Sehnen-) und Gelenkempfindungen zu sein schienen. Begründend bemerkt er hierzu:
    "Daß diese Empfindungen tatsächlich den Inhalt des Strebens bilden, geht wohl einerseits daraus hervor, daß die größere oder geringere Intensität der Strebungen der Stärke jener Organempfindungen parallel geht, andererseits daraus, daß regelmäßig, wo ein Streben beobachtet wird, aktuell oder ideell motorische Innervationen stattfinden. Endlich läßt sich, wie ich finde, der Vorgang des Strebens willkürlich erzeugen, indem man an eine angenehme Ortsveränderung denkt. Das Angenehme hat hierbei nur die Bedeutung eines wirksamen Reizes zur Entstehung der Bewegungsvorstellungen und der den bewegt gedachten Gliedern entstammenden Empfindungen. So reduziert sich dann die elementare Willensqualität allem Anschein nach auf bestimmte Empfindungsqualitäten."
Wenn ich dies unter Hinzunahme der weiteren Äußerungen richtig verstehe, so meint KÜLPE also, das Strebungsgefühl bestehe aus peripherisch oder zentral erregten Organempfindungen, die eine vorgestellte oder ausgeführte Bewegung begleiten. Peripherisch erzeugte Empfindungen sind nun für KÜLPE das, was man gewöhnlich einfach als Empfindungen bezeichnet, zentral erregte Empfindungen sind dagegen die entsprechenden Vorstellungen. Demnach würde für KÜLPE das Streben aus Organempfindungen oder aus ihnen entsprechenden Vorstellungen bestehen.

Hierzu ist zu bemerken, daß man zwischen den beiden hier unterschiedenen Möglichkeiten zu entscheiden hat; daß das Bewußtsein des Strebens nicht das eine Mal aus Organ empfindungen,  das andere Mal aus entsprechenden  Vorstellungen  bestehen kann. Das gefühlte Streben, im Unterschied vom bloß vorgestellten oder erinnerten Streben, also das tatsächliche Streben ist überall gleichartig charakterisiert; jedenfalls zeigt es nicht die Unterschiede auf, die zwischen den Organempfindungen und den ihnen entsprechenden Vorstellungen neben aller Ähnlichkeit wirklich vorhanden sind. Oder vielmehr, letzterem Unterschied entspricht nicht ein Unterschied verschiedener Strebungsgefühle, sondern der Unterschied zwischen tatsächlichem Streben und bloßer  Vorstellung  eines Strebens. Das Streben könnte also nicht aus Organempfindungen  oder  Vorstellungen bestehen, sondern nur aus einem von beiden. Die KÜLPEsche Ansicht enthält dann zwei sich ausschließende Behauptungen. Beide haben aber schon in der Kritik der JAMESschen und der MÜNSTERBERGschen Ansicht ihre Erledigung gefunden.

Was die Begründung, die KÜLPE für seine Meinung anführt, betrifft, so kann dieselbe keiner von beiden Behauptungen zur Stütze dienen. Soll unter Organempfindungen das verstanden sein, was man gewöhnlich darunter versteht, nämlich bestimmte  bewußte  Empfindungsinhalte, so geht der Intensität der Strebungen durchaus nicht die Stärke der Organempfindungen parallel. Vielmehr tritt, wie schon früher angeführt wurde, je intensiver das Streben nach einem Ziel ist, (falls dieses Ziel nicht gerade in Organempfindungen besteht), um so mehr ein etwa vorhandener Komplex von Organempfindungen aus dem Bewußtsein, er ist schließlich für das Bewußtsein gar nicht mehr vorhanden. Die Intensität des Strebens kann also nicht mit der Stärke der, gar nicht vorhandenen, Organempfindungen parallel gehen. Zwar mag sich mit der Intensität der Strebungen die Intensität der im Körper tatsächlich stattfindenden Erregungen steigern. Aber diese Erregungen als solche sind keine Empfindungen und sie bewirken nicht ohne weiteres im zugehörigen Bewußtsein die entsprechenden Empfindungen.

Nehme ich an, unter Organempfindungen seien an dieser Stelle zentral erregte, also Vorstellungen zu verstehen, so ist nicht recht deutlich, was mit der "Stärke" einer Vorstellung gemeint ist. Doch, was man auch darunter verstehen mag, die Stärke der Vorstellungen von Organempfindungen geht nicht parallel mit der Intensität der Strebungen, da, ebenso wie die Organempfindungen, auch die entsprechenden Vorstellungen bei einigermaßen intensivem Streben im Bewußtsein gar nicht vorhanden sind, also von einer Stärke derselben überhaupt nicht die Rede sein kann.

Das angeführte Argument KÜLPEs ist also nicht haltbar. Das zweite Argument, demzufolge regelmäßig, wo sich ein Streben findet, aktuell oder ideell motorische Innervationen stattfinden, beweist dagegen nichts für die Identität von Streben und Organempfindungen. Mögen sich in der Tat bei allem Streben motorische Innervationen vorfinden, so sind, da nicht alle motorische Innervationen, vor allem bei intensiverem Streben, zu den ihnen korrespondierenden Organempfindungen führen, nicht bei allem Streben Organempfindungen vorhanden. Also kann das Streben auch nicht in denselben bestehen.

Inwiefern das dritte Argument irgendetwas für die Identität von Streben und Organempfindungen oder Vorstellungen beweisen soll, bleibt ganz unverständlich. Denn erstens erzeugt nicht jedes Denken an eine angenehmen Ortsveränderung immer ein Streben. Wenn aber auch zweitens jedes Denken an eine angenehme Ortsveränderung ein Streben erzeugte, so folgt daraus doch keineswegs die von KÜLPE behauptete Identität. Mit demselben Recht könnte man sonst behaupten, das Gefühl der Lust bestehe aus Organempfindungen, denn es läßt sich willkürlich erzeugen, indem man an eine angenehme Ortsveränderung denkt. (KÜLPE selbst läßt das Gefühl der Lust als einen eigenartigen Bewußtseinsinhalt gelten.) Oder allgemein ausgedrückt: Wenn ich durch "Denken an ein  a"  ein  b  willkürlich erzeugen kann, so sind doch nicht notwendig die Vorstellungen oder die Empfindungen derjenigen Bewegungen, die zur Verwirklichung des  a  führen würden, identisch mit dem  b. 

Die KÜLPEsche Theorie widerstreitet also nicht nur den Tatsachen, sondern sie kann auch durch die zu ihrer Begründung angeführten Argumente nicht gestützt werden.

Ich bemerke übrigens, daß KÜLPE sein Resultat nich in die Form eines Entscheides kleidet, sondern in die der noch zweifelnden Vermutung. Er scheint überhaupt die Entscheidung der Frage nach der "elementaren Willensqualität" für ziemlich unwichtig zu halten, denn er behauptet, für die Erklärung und Analyse der Willenshandlung sei durch die Entscheidung der Frage noch nichts gewonnen.



RIBOTs Ansicht.  In seinem Buch über "den Willen" (8) kümmert sich RIBOT nicht um die Analyse des Bewußtseinstatbestandes, der beim Wollen vorliegt. Vielmehr betrachtet er den Willen nur in Hinsicht auf seine Voraussetzungen und seine vermeintlichen Leistungen. Diese Art der Untersuchung des Willens ist eine Konsequenz des prinzipiellen Standpunktes, von dem aus RIBOT meint Psychologie treiben zu müssen. Diesem Standpunkt zufolge ist eben "das Bewußtsein nur die an sich unwesentliche Begleiterscheinung eines Nervenprozesses, welcher für sich allein den wesentlichen Hauptvorgang ausmacht." (9)

In der Schrift "L'Attention" (1894) dagegen findet sich eine längere Erörterung über das Tätigkeitsgefühl (sentiment de l'effort). Für RIBOT ist es Tatsache, daß die willkürliche Aufmerksamkeit immer vom Gefühl der Bemühung begleitet ist, das in direktem Verhältnis zur Dauer und Schwierigkeit des Aufmerkens stehe. (10)

Die Anstrengung der Aufmerksamkeit ist nun auch für RIBOT ein besonderer Fall der Anstrengung überhaupt, deren gewöhnlichste und bekannteste Äußerung diejenige sei, welche die muskuläre Arbeit begleitet. (11) In der Beantwortung der Frage nun, worin das Gefühl der Anstrengung bestehe, schließt er sich der von JAMES vorgebrachten Theorie an und erklärt, es sei die Bewußtseinsreperkussion derjenigen physischen Zustände, welche die notwendigen Bedingungen der Aufmerksamkeit bilden; es sei peripherischen Ursprungs, wie jede andere Empfindung und hänge von der Größe und Qualität der Muskelkontraktionen, organischen Modifikationen etc. ab. (12) Doch wird es noch weniger deutlich als bei JAMES, ob das Gefühl mit Bewegungsempfindungen oder -Vorstellungen  identisch  sein soll,  oder ob  es ein Verschmelzungsprodukt aus solchen sein oder in welcher bestimmten Beziehung es zu denselben stehen soll.



BALDWINs Meinung.  Das Charakteristische der Willenszustände sei das Gefühl der Anstrengung oder der Bemühung. (13) Die sogenannte Muskelanstrengung sei nur ein besonderer Fall der intellektuellen Bemühung, da die willkürliche Bewegung nur ein besonderer Fall der willkürlichen Aufmerksamkeit sei. (14) Wenn er daher auch im Wesentlichen mit JAMES übereinstimme, so billige er doch nicht, daß JAMES zur Bezeichnung des Empfindungsinhaltes der muskulären Willenstätigkeit (muscular volition) den Ausdruck "Muskelanstrengung" (muscular effort) anwende. Denn die Anstrengung sei dieselbe, wie bei der willkürlichen Aufmerksamkeit und sie bestehe  nicht  "aus allen jenen peripheren Empfindungen, die durch eine Muskeltätigkeit entstehen können." (15)

Freilich stellt BALDWIN das Gefühl der Bemühung noch in Abhängigkeitsbeziehung zur Ausgabe nervöser Energie in den Zentren (16). Doch scheint damit wohl nur eine allgemeine Vermutung ausgesprochen zu sein, die für die Psychologie des Willens von geringer Bedeutung ist. Ob nun jenes Gefühl der Bemühung sich noch weiter zurückführen lasse oder nicht, darüber findet sich keine  ausdrückliche  Erklärung. Doch scheint es, als ob BALDWIN dasselbe als ein nicht weiter auflösbares Element des Bewußtseins betrachte. Auch die enge Beziehung des Gefühls der Bemühung oder des "Fiat" zum Selbstbewußtsein, zum Ich, hebt BALDWIN hervor. (17)



WUNDTs Standpunkt.  WUNDT erklärt, für alle Willenshandlungen, sowohl für "äußere" wie für "innere", sei das Gefühl der Tätigkeit charakteristisch. (18) Auch die Gefühlsseite der Aufmerksamkeit, als einer inneren Willenshandlung, stimme mit dem dem allgemeinen Gefühlsinhalt der Willensvorgänge überein. (19) Das Tätigkeitsgefühl ist als Gefühl für WUNDT ein reales und gleich wesentliches Element des psychischen Geschehens, wie die Empfindungen. (20) Denn Empfindung und Gefühl unterscheiden sich auch nach WUNDT allgemein in wesentlichen Eigenschaften. (21) Er hält es für eine haltlose und der Kritik nicht bedürftige Behauptung, daß die Gefühle mit speziellen Empfindungen, namentlich mit Haut- oder Muskelempfindungen identisch seien. (22) Das Ichgefühl ist auch für WUNDT auf das Engste an das alles Wollen begleitende Gefühl der Tätigkeit geknüpft. (23)

WUNDT stimmt also in den Hauptpunkten mit der hier verteidigten Ansicht vollkommen überein. Freilich war WUNDT früher, insbesondere in den früheren Auflagen seiner "physiologischen Psychologie", zu einem anderen Resultat gelangt. In allmählicher Umänderung desselben gewann er dann aber die eben bezeichnete Anschauung, wie sie in der letzten Auflage der "physiologischen Psychologie" und besonders im "Grundriß der Psychologie" niedergelegt ist.



LIPPS hat in seinen "Grundtatsachen des Seelenlebens" (1883) und in einigen kleineren Abhandlungen ausführliche Untersuchungen über Streben und Strebungsgefühle angestellt. Ich brauche jedoch seine Resultate hier nicht besonders mitzuteilen und einer Kritik zu unterziehen, da die vorangehenden Erörterungen im Wesentlichen auf den Darlegungen basieren, die LIPPs über das Bewußtsein des Wollens gegeben hat.

Aus den vorliegenden Betrachtungen wird sich nun hoffentlich zur Genüge herausgestellt haben, daß das Willensgefühl als ein eigenartiges Element des Bewußtseins des Wollens anzusehen ist und daß es sich in keiner Weise auf Vorstellungen oder Empfindungen zurückführen läßt. Mit diesem Ergebnis muß ich mich hier begnügen und auf weitere Untersuchungen über das Willensgefühl und das Bewußtsein des Wollens verzichten, mit der Absicht jedoch, das hier Begonnene in einer besonderen Abhandlung zu ergänzen und fortzuführen.
LITERATUR - Alexander Pfänder, Das Bewußtsein des Wollens, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Hamburg und Leipzig 1898, Bd. 17
    Anmerkungen
    1) Vgl. WILLIAM JAMES, Principles of Psychology, 1890, 2 Bde.
    2) Dieser Fall wir von JAMES selbst in einer Anmerkung (Principles of Psychology II, Seite 562) erwähnt. Er entzieht sich dort der Schwierigkeit, indem er eine Unterscheidung zwischen Muskel- und Willensanstrengung (muscular and volitional effort) einführt. Auf diese Unterscheidung komme ich gleich zurück.
    3) Vgl. THEODOR LIPPS, Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. XIII, Heft 2
    4) WILLIAM JAMES, Principles of Psychology I, Seite 300
    5) Vgl. THEODOR LIPPS, Bemerkungen zur Theorie der Gefühle, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. XIII, Heft 2
    6) WILLIAM JAMES, Principles of Psychology I, Seite 297
    7) OSWALD KÜLPE, Grundriß der Psychologie, Seite 274
    8) THEODULE RIBOT, Der Wille, (Übersetzung PABST), 1893
    9) RIBOT, ebenda Seite 7
    10) THEODULE RIBOT, La Psychologie de l'Attention, Seite 95
    11) RIBOT, ebenda Seite 96
    12) RIBOT, ebenda Seite 105
    13) JAMES MARK BALDWIN, Handbook of Psychology, Bd. I, Senses and Intellect, 1887, Seite 37
    14) JAMES MARK BALDWIN, Handbook of Psychology, Bd. II, Feeling and Will, 1891, Seite 363
    15) JAMES MARK BALDWIN, Handbook of Psychology, Bd. II, Feeling and Will, 1891, Seite 242f
    16) JAMES MARK BALDWIN, Handbook of Psychology, Bd. II, Feeling and Will, 1891, Seite 89
    17) JAMES MARK BALDWIN, Handbook of Psychology, Bd. II, Feeling and Will, 1891, Seite 143
    18) WILHELM WUNDT, Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. II, Seite 266 und Grundriß der Psychologie, Seite 222, 225, 257, 291
    19) WUNDT, Grundriß der Psychologie, Seite 256
    20) WUNDT, ebenda Seite 44
    21) WUNDT, ebenda Seite 39
    22) WUNDT, ebenda Seite 100
    23) WUNDT, ebenda Seite 259