Kant und die Epigonen | ||||
Der Stoff vom philosophischen Standpunkt [1/2]
Die konsequente Anwendung der Gesetze des Denkens führt zum Widerspruch mit den Grundsätzen des gesunden Menschenverstandes - das ist der Stein, welcher bis jetzt die Bemühungen der Philosophen zu Fall brachte. Oder war vielleicht die Anwendung der Gesetze des Denkens in ihrem weitesten Ziel, in der auf die Lösung des Welträtsels gerichteten Arbeit nicht regelrecht genug? Mit dieser ersten Frage steht eine andere Verbindung: Kann die menschliche Vernunft ein genügendes Gegengewicht (1) für die verworrende Mannigfaltigkeit des Seins abgeben? Es ist dies eine Frage, die noch keiner Antwort fähig sein durfte - doch müssen wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, daß nur die Vernunft allein dem Sein ein Gegengewicht bieten kann und daß wir überhaupt die Hoffnung aufgeben müßten, falls sie sich als unzureichend erwiese. Für die Möglichkeit eines solchen Gleichgewichtes scheint jener ewige Instinkt der menschlichen Vernunft zu sprechen, welcher sie seit ihrer Entstehung in Pendelbewegungen um das Rätsel des Seins schwingen läßt und die langsame Annäherung zum Ziel, wenngleich alles, was bis dahin getan worden ist, eher als Vorbereitung für den Weg gelten kann. So eine praktische Regel folgt aus unserer Analyse. Hierher gehören die uralten, prinzipiellen Widersprüche, welche das Problem des Stoffes mit sich bringt, jenes Problem, das vor einigen tausend Jahren LEUKIPP oder DEMOKRIT der Menschheit schenkte und mit dem jene bis heute nicht fertig geworden ist. Die sinnliche Mannigfaltigkeit durch eine Einheit des Begriffs auszudrücken, so lautete die Aufgabe, welche die Philosophie seit ihrem Beginn als die ihrige anerkannte und Leukipp glaubte, die ersehnte Einheit im - Atom zu finden. Die stoffliche Auffassung der Welt hat im Laufe der Jahrhunderte festen Fuß gefaßt, trotzdem es an zahlreichen, kräftgen Widersprüchen (die idealistischen Richtungen in der Philosophie) nicht fehlte; aber die weitere Entwicklung des Begriffs "Stoff" hat gezeigt, daß derselbe mit dem grundsätzlichen Streben zur begrifflichen Einheit nicht in Einklang gebracht werden kann. Trotzdem die Schwere als ein allgemeines Merkmal des Stoffes anerkannt worden ist, besagt die heutige Wissenschaft, daß zweierlei Arten von Stoff nötig seien, der schwere und der unwägbare, um die physikalischen Erscheinungen einigermaßen zu erklären. - Aber was heißt das: der unwägbare Stoff? Es ist dies ein näher nicht bestimmbares Etwas, das sich gewaltsamerweise dem allgemeinen Gesetz der Einheit entzieht, welches über die physische Welt herrscht. Wir brauchen ihn zur Erklärung der Bewegung, aber welche Kraft bewegt ihn selber, da er dem Gesetz der Schwere nicht gehorcht? Er soll eine Stütze der Erfahrung sein, aber die Erfahrung hat keinen unwägbaren Stoff aufzuweisen. Wir verstehen nicht, warum er an den schweren Körpern hängt, sie umgibt, wenn er die Herrschaft der Schwere von sich weist? Was für eine Kraft hält ihn fest? Wir verstehen überhaupt nur das eine, daß wir in ein Land unentwirrbarer Widersprüche geraten sind. Auf diese Weise kommt bei der materiellen Auffassung der Welt nicht nur jenes elementare Streben des menschlichen Geistes zur begrifflichen Einheit zu kurz, sondern auch das andere grundsätzliche Bedürfnis, das logische, wird hier vor den Kopf gestoßen. Der Materialismus als solcher ist zur Erklärung der Erscheinungen des Seins unbrauchbar, weil wir mit dem Begriff des Stoffes den Begriff der Passivität verbinden. In der Entwicklungsgeschichte des menschlichen Gedankens hat er als Atomistik eine Rolle gespielt, leider aber hat der Mensch dafür unzählige Widersprüche in Kauf genommen. Das Atom erklärt, streng genommen, gar nichts; es stellt sozusagen nur zerkleinerten Stoff dar. Trotzdem hat man es aus dem Nichts berufen, die Bewegung, d. h. die grundlegende Eigenschaft des Seins zu erklären. Man hat sich nicht lange besonnen: die Kraft, eine unverständliche Erscheinung des Seins, die Klippe, an welcher die ersten Bestrebungen der Philosophie zerschellten, hat man auf die Atome übertragen und alles andere außer acht gelassen: "In der Meinung besteht das Süße, in der Meinung das Bittere, in der Meinung das Warme, das Kalte, die Farbe; in Wahrheit besteht nichts, als die Atome und der leere Raum" ruft der Schüler des LEUKIPP aus. Man möchte glauben, daß der große HERAKLIT umsonst lebte, daß seine Stimme ohne Widerhall ertönte: "Diese eine Ordnung der Dinge hat keiner der Götter, so wenig als einer der Menschen gemacht, sondern sie war immer, sie ist und sie wird sein ewig lebendes Feuer, das sich nach Maßen entzündet und nach Maßen verlischt". - "Das Sein ist nicht mehr als das Nichtsein ... die Veränderung ist das Wesen der Dinge" - "panta rhei" [alles fließt - wp]. Auch heute noch staunen wir, wie jener Mensch der dämmernden Vergangenheit auf der Schwelle des erwachenden Geistes, ohne die Hilfsmittel der heutigen Wissenschaft zu jener tiefen Synthese gelangen konnte. "Skoteinos" [Finsternis - wp] hallt es durch die Jahrhunderte wieder. Eine jede geistige Größe ist dunkel für die Zeitgenossen, denn sie reicht in Höhen hinein, die über ihrem Horizont stehen. HERAKLIT blieb dunkel, d. i. unverstanden nicht nur für die Zeitgenossen, sondern auch für die Nachkommen. Wir finden bei PLATO Spuren seiner Gedanken, aber es ist dies kein Bau, der auf den Fundamenten der Lehre des großen Ephesiers errichtet wäre. Wohl war der dunkle Denker der Begründer neuer Richtungen in der Philosophie, wohl haben seine Ideen die besten entfernter Zeiten beseelt - die Atome blieben doch ein dauernder Besitz der Menschheit. Vierundzwanzig Jahrhunderte lang hat der menschliche Gedanke geschwankt und geirrt - man höre, was eine Koryphäe (2) der Atomistik schreibt:
Durch diese von den Molekülen auf jede ihrer Bewegung Widerstand leistende Wand ausgeübten Stöße erklärt sich die Expansivkraft des Gases, wie weiterhin noch näher besprochen werden soll. Indessen liegt darin, daß die fortschreitende Bewegung der Moleküle zur Erklärung der Expansivkraft ausreicht, kein Beweis dafür, daß sie die einzig vorhandene Bewegung sei, sondern es können gleichzeitig mit ihr auch noch andere Bewegungen existieren und es liegen sogar bestimmte Gründe vor, solche anzunehmen. Zunächst liegt es nahe, neben der fortschreitenden Bewegung auch eine rotierende Bewegung der Moleküle anzunehmen, da bei jedem Stoß zweier Körper gegeneinander, wenn er nicht zufällig zentral und gerade ist, außer der fortschreitenden auch eine rotierende Bewegung der Moleküle anzunehmen, da bei jedem Stoß zweier Körper gegeneinander, wenn er nicht zufällig zentral und gerade ist, außer der fortschreitenden Bewegung auch eine rotierende entsteht. Ferner glaube ich, daß innerhalb der einzelnen, in fortschreitender Bewegung begriffenen Massen auch eine Vibration stattfindet. Solche Vibrationen sind in verschiedener Weise denkbar. Selbst wenn man sich auf die Betrachtung der ponderablen [vergleichbaren - wp] Atome allein beschränkt und diese als absolut starr ansieht, so bleibt es doch noch möglich, daß ein Molekül, welches aus mehreren Atomen besteht, nicht ebenfalls eine absolut starre Masse bildet, sondern daß in ihm die einzelnen Atome innerhalb gewisser Grenzen beweglich sind und daher gegeneinander schwingen können. Zugleich will ich noch bemerken, daß dadurch, daß man den ponderablen Atomen selbst eine Bewegung zuschreibt, nicht ausgeschlossen ist, daß jedes ponderable Atom noch mit einer Quantität eines feineren Stoffes begabt und dieser, ohne sich vom Atom zu trennen, doch in seiner Nähe beweglich sein könne." Wir wissen übrigens, daß die Gase den allgemeinen Gesetzen der Schwere gehorchen, man sollte also erwarten, daß dieses auch ihre Bestandteile, die Moleküle und die Atome täten. Wenn aber in der Tat die Molekularbewegungen diesem Gesetz unterworfen sind, so dürfen wir fragen, warum die Moleküle und die Atome sich nicht zu einer zusammenhängenden Masse zusammenballen? Die verbundenen Molekülgruppen müßten die benachbarten frei schwebenden Moleküle anziehen, die mittlere Masse müßte größer und von überwiegendem Einfluß werden und wir können nicht umhin, anzunehmen, daß unter dieser Anziehung alle in den Bereich ihrer Anziehung fallenden Teile sich zu einer zusammenhängenden Molekularmasse vereinigen müßten. Dasselbe gilt auch von den Atomen des einzelnen Moleküls. Überhaupt erregt der Bau des Moleküls ernste Bedenken. Es ist dies ein aus Atomen, welche durch leere Räume voneinander geschieden sind, bestehender Körper - und doch bewegen sich die Atome gemeinsam und bilden ein Ganzes. Ähnliche Erscheinungen sind in der Natur bekannt und heißen kosmische Schwärme. Sie unterscheiden sich jedoch grundsätzlich von den Molekülen einerseits dadurch, daß sie dem Gesetz der Schwere unterworfen sind, andererseits dadurch, daß jeder Teil für sich einen besonderen Körper bildet. Wenn ein Stoffteil eines kosmischen Schwarmes auf seinem Weg irgendeinem Hindernis begegnet und von ihm aufgehalten wird, ziehen die anderen trotzdem ihren ewigen Weg weiter. - Ganz anders die Moleküle. Es sind das Stoffteile, die eigentlich durch nichts miteinander verbunden sind, denn auch die Schwere ist hier, wie wir gesehen haben, in Frage gestellt. Dennoch bilden sie, der Doktrin gemäß, ein Ganzes, das durch keine mechanische Mittel geteilt werden kann. Ja, sogar die radikale chemische Einwirkung ist nur unter der Bedingung der Substitution anderer Atome anstelle der entferten fähig, ein Molekül in seine Bestandteile zu zerlegen. Wir müssen annehmen, daß bei erfolgender Begegnung zweier Moleküle nur ein Teil der Atome am Zusammenstoß teilnimmt, vielleicht sogar auf beiden Seiten nur ein Eckatom. - Was für eine Kraft nötigt hier auch die anderen Atome, die am Zusammenstoß nicht teilnahmen, zurückzuprallen und ihre Bewegungsrichtung zu ändern? In der atomistischen Theorie stellt man der Möglichkeit des Zusammenballens der Atome einerseits jene in ihrer Art einzige, mystische Bewegung, andererseits die Elastizität der Moleküle entgegen. Lassen wir uns der Reihe nach auch jene Elastizität betrachten. Wir haben hier Ansammlungen von Atomen vor uns, die durch Räume voneinander getrennt sind und sich gemeinsam bewegen. Die Atome sind aber nach der Doktrin unteilbare, gleichmäßige, feste, materielle Teilchen. Es erscheint sehr fraglich, ob sie als solche elastisch sein können. Bei festen Körpern ist eine Änderung der Gestalt durch die Wirkung äußerer Gewalten, z. B. durch einen Schlag, Bedingung der Elastizität. Falls die Wirkung der äußeren Kraft wächst, steigert sich auch der elastische Widerstand, doch nur bis zu einer gewissen, für den gegebenen Körper auf experimentellem Weg festzustellenden Grenze. Weiterhin erweist sich der Zusammenhang der Teile unzureichend, der Körper zerbricht. Die elastischen Atome bilden eine Ausnahme des allgemein gültigen Gesetzes; sie besitzen die Fähigkeit, ihre Gestalt zu ändern und wieder dieselbe herzustellen, denn sonst könnten sie nicht elastisch sein, bleiben aber trotzdem unteilbar - sie gehorchen zugleich den Naturgesetzen und bleiben unnahbar für dieselben, wie wenn sie Wesen von einer anderen Welt wären. Man hat bis jetzt keinen Körper gefunden, welcher vollkommen elastisch wäre, die Atome beanspruchen auch nach dieser Richtung eine besondere Stellung. Da die "lebendige Kraft im Durchschnitt gleich bleibt", sowohl vor als auch nach dem Zusammenstoß zweier Moleküle, müßte ihre Elastizität eine vollkommene sein. Doch wir dürfen nicht vergessen, daß die Atome außer der fortlaufenden Bewegung noch andere haben: Drehbewegungen, denn als Bestandteile des Moleküls müssen sie an seinen Drehungen teilnehmen und Vibrationen, welche schon auf ihre eigene Rechnung gehen. Unter solchen Umständen ist der Zusammenstoß zweier Moleküle nicht so einfach, wie sich das die Atomisten vorstellen mögen. Da die Räume, welche die Atome trennen, im Verhältnis zu ihrer Ausdehnung groß sind, können und müssen Fälle vorkommen, daß die Atome des einen Moleküls in ihren Bewegungen zwischen die Atome des anderen geraten. Soll auch in solchen Fällen das gegenseitige Stoßen und die unvermeidliche Reibung der Atome gegeneinander ohne Einfluß auf die lebendige Kraft der molekularen Bewegung bleiben? - Nach den bekannten Gesetzen der Mechanik ist das unmöglich; die periodisch wiederkehrenden Schwächungen der "lebendigen Kraft" müßten aber schließlich zu einer allgemeinen Starre der Atome führen. Wir nahmen die "lebendige Kraft" zum Ausgangspunkt unserer Betrachtung und indem wir logisch die Wege atomistischer Theorien durchstreiften, sind wir zur Starre gelangt; das bedeutet, daß die Atomistik Widersprüche enthält, sich selbst aufhebt, daß wir also eine andere Richtung einschlagen müssen, um die Natur zu erklären. Die exakte Wissenschaft darf, falls sie ihr Ziel erreichen will, auf ihrem Entwicklungsgang keine Widersprüche mit sich führen. Wir müssen also das Rätsel, welches der Stoff mit sich bringt, auf einem anderen Weg, nicht auf dem atomistischen zu entwirren suchen. Übrigens sind die hier berührten Widersprüche der atomistischen Theorie nicht die einzigen - wir können nicht alle aufzählen, doch wird es genügen auf die Antinomien KANTs hinzuweisen, welche die endliche, bzw. unendliche Teilbarkeit der Körper betreffen; ferner auf die notwendigen Grundlagen des Stoffes, den Raum und Zeit, als an sich seiende Dinge und damit auch alle Widersprüche, die daraus entspringen, annehmen. Schließlich (und dies ist wohl nicht das Geringste) alle atomistischen Theorien weisen eine vollkommene Unzulänglichkeit auf, wenn es gilt, die allerrealsten Erscheinungen des Seins, die Erscheinungen des Geistes zu erklären. Die Verwerfung der Atomistik ist noch keine Verwerfung des Stoffes, sie bringt ihn im Gegenteil in den Vordergrund, denn sie führt zu der Frage: wenn das Atom nicht die Grundlage des Stoffes ist, worin besteht dann sein Wesen? Wir wollen uns hier mit der Prüfung gegebener Definitionen des Stoffes nicht abfassen, denn wir sind überzeugt, daß die begriffliche Analyse hier nicht helfen kann und daß wir eine genügende Aufklärung nur dadurch erhalten können, daß wir die einzelnen physischen Merkmale des Stoffes analysieren. Nur nebenbei wollen wir erwähnen, daß KANTs Bestimmung des Stoffes, als einer "undurchdringlichen, leblosen Ausdehnung" nicht ausreichend ist, da die Ausdehnung als ein räumliches Moment nach seiner Theorie zum Subjekt gehört; dagegen hat die Undurchdringlichkeit, wie unsere Analyse zeigen wird, keine wesentliche Bedeutung. Die Bezeichnung "leblos" schließlich ist negativ und erfordert, bevor sie angenommen werden könnte, eine genaue Definition des Lebens, was jedenfalls nicht zu den leichten Dingen gehört. Die Bestimmungen KANTs geben zusammen noch keine Qualität und doch gehört diese zu den wesentlichsten Eigenschaften des Stoffes. Doch hindert obige Definition KANT nicht, alle Dinge der äußeren Welt als einfache Bestimmungen des Subjekts aufzufassen; auf diese Weise beseitigt er in der Tat mit einem Mal das Atom mit allen ihm anhaftenden Widersprüchen. Sollte die Grundlage des Stoffes in Wirklichkeit nichts objektives enthalten? Indem wir etwas wahrnehmen, haben wir das Gefühl, daß wir im Verhältnis zu irgendetwas stehen, was vorläufig nicht näher bestimmt ist. Wir folgern jedoch, daß außer unserem wahrnehmenden Geist irgendetwas da ist, denn sonst wäre das erwähnte Verhältnis ein Verhältnis des Geistes zum Nichts, was widersprechend ist und nicht eine Wahrnehmung zur Folge haben könnte. Nach der Theorie KANTs, welche die Wahrnehmung als eine bloße Modifikation des Gemüts auffaßt, könnten wir hier ein Verhältnis dieses letzten zu sich selbst annehmen, was durch die Mannigfaltigkeit der geistigen Kräfte begründet werden könnte. Doch steht mit einer solchen Auffassung das die Wahrnehmung begleitende Gefühl im Widerspruch, welches uns sagt, daß das Wahrgenommene nicht mit uns identisch ist. Wir empfinden nämlich ganz deutlich das Wahrgenommene als etwas von uns Verschiedenes, als: "nicht ich". - Es ist dies eine Erscheinung, die wir berücksichtigen müssen, umso mehr, als es gewisse Kategorien von Wahrnehmungen gibt, zu denen unser Subjekt in näheren Beziehungen steht, als zu den übrigen Gegenständen der äußeren Welt und die wir infolgedessen als zu unserem "ich" gehörig betrachten; es sind dies Wahrnehmungen, welche durch unseren Leib verursacht werden. Somit führen uns bloße Wahrnehmungen zu dem Schluß, daß unserem Gemüt in der äußeren Welt etwas gegenübersteht. Bevor wir jedoch auf die Natur jenes unbekannten X und auf seine nähere Bestimmung eingehen, müssen wir zunächst feststellen, wodurch überhaupt das Verhältnis von irgendetwas zu unserem Gemüt bedingt wird. Denn auch in dem Fall, daß wir ein besonderes, von unserem wahrnehmenden Gemüt unabhängiges Sein annehmen, wird hierdurch das sich im Erkennen kundgebende Verhältnis dieses Wesens zu uns nicht gleich verständlich. Es ist bekannt, daß gewisse Bedingungen unerläßlich sind, damit eine Wahrnehmung zustande komme. Im Dunkeln kann z. B. ein Gegenstand sich in unserer unmittelbaren Nähe befinden, ohne daß er zur Wahrnehmung kommt; wenn aber unsere ausgestreckte Hand den Gegenstand berührt, stellen wir sofort sein Dasein fest. - Was berechtigt uns dazu? Die Berührung mit der Hand hat in uns ein bestimmtes Gefühl erweckt, mit anderen Worten: der Gegenstand übt auf unsere Gefühlsnerven eine Wirkung aus. Da eine Wahrnehmung ohne Reizung der Gefühlsnerven unmöglich ist, können wir schließen, daß unser Verhältnis zu dem Wahrgenommenen in der Wirkung besteht, welche dasselbe durch Vermittlung unserer Sinnesorgane auf das Gemüt ausübt. Das Wort Stoff ist ein abstrakter Begriff, welcher außer unserem Gemüt nicht existiert, es existieren lediglich einzelne Gegenstände, die unserem sowohl der Analyse als auch der Synthese fähigem Gemüt auf diesen Weg zur Bildung jenes Begriffes dienten. Sofern wir also eine ausreichende Bestimmtung haben wollen, müssen wir uns an die Gegenstände der äußeren Welt halten. Die an denselben beobachteten Merkmale sind ihrer Dignität nach ungleich und lassen sich demnach in drei Gruppen einteilen. Wir bezeichnen als notwendige Merkmale solche, ohne die ein Körper überhaupt nicht gedacht werden kann, z. B. die Ausdehnung, als allgemeine solche, die wir an allen Gegenständen ohne Ausnahme beobachten, wenngleich hierzu keine innere Notwendigkeit vorliegt, z. B. die Schwere u. a. und als zufällige solche, die sich bloß an einigen Gegenständen finden lassen, wie z. B. Farbe. Nur durch eine Analyse sämtlicher Merkmale können wir ermitteln, worin das eigentliche Wesen des Stoffes besteht. Wir werden weiter unten sehen, daß die Summe aller notwendigen Merkmale uns noch keinen vollen Begriff eines materiellen Gegenstandes gibt und daß wir dazu wenigsten eine allgemeine, respektive zufällige Eigenschaft brauchen, denn nur diese können dem Körper eine bestimmte Qualität verleihen. - Die oben erwähnte Definition KANTs war somit auch nach dieser Richtung unzureichend. Die allgemeinen und die zufälligen Eigenschaften der Körper können wir unter einem Namen, der physischen Merkmale zusammenfassen. Wir wollen mit diesen letzten beginnen. Das hierher gehörige Merkmal der Farbe können wir als eine Wirkung auf den Gesichtssinn bestimmen. Jene Bestimmung erschöpft das ganze Gebiet des Merkmals in Beziehung auf den erwähnten Sinn und wenn wir die Analyse noch so weit treiben, können wir nichts mehr darin finden. Es gibt auch farblose Gegenstände, welche selbst auf den Gesichtssinn nicht wirken, diese sind die Leiter der Wirksamkeit farbiger Gegenstände auf das Auge - so z. B. die Luft. Die Farbe ist als eine Wirkung auf den Gesichtssinn eine bedingte Tätigkeit, wir nennen jene Bedingung - Licht. Die Farbe ist sozusagen ein zerlegtes und zurückgestrahltes Licht. Jene Bedingung der Wirksamkeit kann jedoch auch eine unmittelbar tätige Rolle übernehmen, dann nennen wir sie: Glanz oder Funkeln. Die Sterne funkeln, heißt, genau genommen, so viel als: die Sterne wirken unmittelbar auf den Gesichtssinn. Zwar sagen wir ebenso, daß der Diamant funkelt, doch ist sein Glanz abhängig von äußerem Licht und verschwindet zugleich mit der Lichtquelle. In Wirklichkeit funkelt also nicht der Diamant, sondern das Sonnenlicht bzw. irgendeine andere Lichtquelle; der Diamant vermittelt hier nur eine Änderung der Richtung jener ersten Lichtquelle. Das Verhältnis der Wirksamkeit zwischen dem Licht und den farbigen Gegenständen einerseits, zwischen beiden Arten der Tätigkeit und dem Gesichtssinn andererseits, bestimmt solche Eigenschaften der Körper, wie die Phosphoreszen, Fluoreszenz u. ä. - Die Farbe ist im Vergleich zum Licht eine abgeschwächte, geteilte Tätigkeit, was jedoch nicht hindert, daß beide Tätigkeiten sich gelegentlich miteinander verbinden. Sie stellt gewissermaßen den von zweien einander bekämpfenden Elementen zurückbleibenden Rest der Tätigkeit dar. Wenn wir z. B. eine farbige Sonne ansehen, stehen wir unter der Wirkung eines Rests der Tätigkeit, welcher aus dem Kampf zweier sich gegenseitig aufhebenden Elemente, des Lichtes und der dasselbe aufsaugenden Atmosphäre verbleibt. Wir haben hier die eigentümliche Erscheinung vor uns, daß eine geschwächte Tätigkeit mitunter auf den lebenden Organismus mächtigere Wirkung ausübt - die rote Farbe hat die Fähigkeit, das Auge und das Gemüt in einen Reizzustand zu versetzen u. ä. Eine ähnliche Rolle, wie die Farbe gegenüber dem Auge spielt, übernimmt der Ton gegenüber dem Ohr. Tönende Gegenstände wirken auf den Gehörsinn - das ist das eigentliche Wesen jenes Merkmals im Verhältnis zum genannten Sinn. - Allerdings können sowohl das Licht, als auch der Ton auch auf andere Gegenstände ihre Wirkung ausüben; sie wirken chemisch, mechanisch, sind von Einfluß auf das Wachstum von Organismen, erwecken gewisse Gefühle in sinnlichen Wesen usw. Doch bildet die Wirksamkeit die gemeinsame Grundlage aller hier erwähnten Möglichkeiten, wir müssen hiermit die Tätigkeit als das Wesen aller physischen Merkmale ansehen, welche das Licht, die Farbe und den Ton betreffen. Die Härte ist der Widerstand gegen die äußere Einwirkung, die wir Reibung nennen und da Tätigkeit lediglich durch Tätigkeit aufgewogen werden kann, so stellt auch die Härte eine gewisse Art von Tätigkeit dar. Eine mehr allgemeine Art von Widerstandsfähigkeit ist die Festigkeit, sie ist nämlich die Fähigkeit einer jeden Tätigkeit zu widerstehen, welche auf Trennung der Teile des gegebenen Körpers ausgeht, sei es durch Schlag, Auseinanderreißen oder auf irgendeine andere Art und Weise. Von diesem Standpunkt wäre die Härte nur ein bestimmter Teil der Festigkeit. Die Weichheit, die Sprödigkeit u. a. stellen rein negative Eigenschaften dar, d. h. das Fehlen oder einen geringen Grad der Widerstandsfähigkeit gegenüber den oben erwähnten Arten der äußeren Einwirkung. Hingegen müßen wir die Elastizität als eine weitergehende Art der Tätigkeit betrachten, nämlich als eine festsetzen, nämlich als eine Tätigkeit. Jene Reaktion wächst nach Massen der wachsenden äußeren Einwirkungen und könnte ins Unendliche wachsen, wenn die Grenzen der Festigkeit, die für jeden Körper gegeben sind, dies nicht verhinderten. Da die einzelnen Teile des Körpers nur in beschränktem Maße aneinander halten, so muß, sobald die betreffende Kraft die gegebenen Grenzen übersteigt, eine Zertrümmerung bzw. Zerreißung des Körpers erfolgen. Die Fähigkeiten der Körper, ihre Eigenschaften zu ändern, wobei durch feststehende Naturgesetze bestimmte Schwankungen der Widerstandskraft gegen äußere Wirkungen nebst Schwankungen der Aktivität zustande kommen, nennen wir das Aggregat. Wärme ist die Kraft, welche jene Tätigkeit in Bewegung setzt, indem sie das feste Aggregat in das flüssige und das letzte in das gasförmige überführt. Es handelt sich hier hauptsächlich um eine Umsetzung der Widerstandsfähigkeit gegen äußere Angriffe in die Fähigkeit, aktiv zu werden. Corpora non agunt nisi fluida [Körper wirken nicht, wenn sie nicht fließen. - wp] - ist nach dem, was wir oben gesagt haben, kein Satz von unbeschränkter Geltung, doch weißt er auf die Steigerung der Wirkung hin, welche erfolgt, wenn ein fester Körper in den flüssigen Zustand übergeht. Die Explosionsgewalt der gasförmigen Körper veranschaulicht noch deutlicher die Steigerung der Kraft, welche bem Übergang der festen und der flüssigen Körper in den gasförmigen Zustand stattfindet. Alle chemischen Umsetzungen stellen bloße Änderungen der körperlichen Merkmale aufgrund der gegenseiten Wirkung dar, d. h. sie sind Änderungen der körperlichen Tätigkeit. Eine besondere physische Tätigkeit stellt die schon erwähnte Wärme dar. Wir können die Gegenstände der äußeren Welt in solche einteilen, die Wärme produzieren und in Leiter der Wärme. Die Tätigkeitsskala, welche das Merkmal Wärme birgt, ist vielfältig; sie wirkt auf die Ausdehnung der Körper, fördert das organische Wachstum, bewirkt die Änderung der Aggregate und ist hierdurch die Grundlage verschiedener, zielbewußter, mechanischer Arbeit. In Beziehung zum lebenden Organismus, d. h. zum Bereich des Gefühls, umfaßt die Wärme gleichfalls einen ausgedehnten Wirkungskreis, auf den wir nicht näher eingehen wollen, da er allgemein bekannt ist. Solche Eigenschaften, wie Glätte, Rauhigkeit u. a. können ebenfalls auf den fühlenden Organismus einwirken, insoweit sie den Gefühlssinn treffen, im übrigen gehören sie zum Merkmal der Gestalt, von dem beim Besprechen der notwendigen Eigenschaften die Rede sein wird. Auch die Schwere (welche gleich der Wärme zu den allgemeinen Merkmalen gehört) kann durch Tätigkeit aufgewogen werden, sei es durch Muskelkraft (Tragen von Lasten), sei es durch Bewegung im Raum, wobei die Schnelligkeit der Schwere angemessen sein muß, wie wir das bei den Himmelskörpern zu beobachten Gelegenheit haben. Wir müssen demnach auch die Schwere als eine besondere Art von Tätigkeit auffassen. - Verwandt mit der Schwere sind magnetische und elektrische Kräfte, die ebenfalls unter gewissen Umständen eine Anziehung oder auch eine Abstoßung der Körper untereinander bewirken. Sie können auch eine Abstoßung der Körper untereinander bewirken. Sie können auch auf den lebenden Organismus ihre Wirkung ausüben, der Magnetismus mittelbar, die Elektrizität unmittelbar. Die Masse bezeichnen wir als die Gesamtsumme der in einem Körper vorhandenen latenten oder wirkenden Tätigkeit; die Dichte ist das Verhältnis der Masse zur Ausdehnung. Beide Merkmale stehen an der Grenze der allgemeinen und der notwendigen Eigenschaften der Körper. Wir können alle physischen Merkmale der Körper in vier Gruppen teilen. In die erste würden unter dem Namen: Angriffsmerkmale Licht, Farbe, Ton u. ä. zu setzen sein. Die Benennung bezieht sich auf ihre eigentümliche Fähigkeit, selbständig Sinnesorgane in Bewegung zu versetzen. Hierher gehört nocht die nicht besprochenen Merkmale des Geruchs und des Geschmacks. Die zweite Gruppe trägt den Namen: Widerstands-Merkmale und umfaßt die Eigenschaften der Härte, Festigkeit, Elastizität u. a. Der Name erklärt sich von selbst, es handelt sich hier um den Widerstand, welchen die Körper äußeren Eingriffen gegenüber leisten. Die dritte Gruppe der dynamischen Merkmale im engeren Sinne würden Schwere, Magnetismus, Elektrizität, Wärme, Bewegung und schließlich die chemischen Eigenschaften einnehmen. In die vierte und letzte gehören Übergangsmerkmale, wie die Aggregate, die Masse und die Dichte, welche bereits einen Übergang zu den notwendigen Merkmalen bilden. Die Einteilung ist keine ganz strikte und soll lediglich der allgemeinen Orientierung dienen. Die Wärme z. B. würde auch unter den Angriffsmerkmalen Platz finden, das Licht könne man umgekehrt auch unter die dynamischen Merkmale versetzen, welche sich dadurch kennzeichnen, daß die eine Art der Tätigkeit leicht in eine andere übergeführt werden kann. Eigenschaften, wie Glätte oder Rauhigkeit haben wohl die meiste Verwandtschaft mit den Angriffsmerkmalen, im übrigen gehören sie, wie bereits erwähnt, in den Bereich der Gestalt. Die Bewegung, als Änderung der Lage im Raum, stellt eine besondere Eigenschaft der Körper dar. Daß sie ebenfalls Tätigkeit ist, braucht wohl nicht erst bewiesen zu werden, näher kann sie als eine Änderung im Wirksamkeitsverhältnis der Körper zueinander bezeichnet werden. Man kann sich nämlich ohne räumliche Bewegung keine Änderung in der erwähnten Beziehung vorstellen und umgekehrt, man kann sich keine Bewegung vorstellen, die nicht zugleich eine Änderung der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Körpern wäre. Es gibt ohne Zweifel noch andere physische Eigenschaften der Körper, wir wollen sie jedoch nicht aufzählen, um Wiederholungen zu vermeiden, es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß sie sich in die oben aufgestellten Gruppen einreihen würden und jedenfalls als Tätigkeit bezeichnen lassen. Ohne Wirkung auf die Sinnesorgane können wir ja zur Feststellung des Daseins eines Gegenstandes überhaupt nicht gelangen. Es ist dies also der einzige Fund, den uns unsere Analyse gebracht hat. Ist vielleicht die Analyse der notwendigen Merkmale imstande, uns neue Horizonte über der Wesen der Körper zu öffnen? Nach der oben gegebenen Bestimmung zählen wir zu denselben die Undurchdringlichkeit, die Gestalt, die Ausdehnung und die Dauer. - Wir wollen mit der Undurchdringlichkeit beginnen. Da die zufällige und die allgemeinen Merkmale in der Tat die physische Qualität der Körper erschöpfen, bleibt nichts davon für die Undurchdringlichkeit übrig, - zwei Körper können nicht gleichzeitig denselben Raum einnehmen, so lautet das Gesetz der Undurchdringlichkeit. Eine solche Bestimmung kann uns, ihrer Natur gemäß, keinerlei neue Gesichtspunkte im Erkennen des Körpers eröffnen, indem sie nur als unzweifelhaft feststellt, daß, wenn wir im gegebenen Raum und in gegebener Zeit irgendeinen Körper angenommen haben, es uns nicht mehr frei steht, unter denselben Bedingungen (was Raum und Zeit betrifft) einen anderen anzunehmen. Über die Qualität und über das Wesen des Körpers erfahren wir hier nicht das geringste. - Dagegen birgt eine solche Bestimmung mancherlei Eigentümliches. Zunächst erscheint es sonderbar, daß wir, um die Undurchdringlichkeit zu bestimmen, nicht am gegebenen Körper bleiben dürfen, sondern dazu durchaus noch einen zweiten Körper nötig haben. Aber auch dieses ist nicht ausreichend, da uns die Bestimmung noch überdies an die Begriffe: Raum und Zeit, d. i. an zwei andere Rätsel des Daseins verweist. Damit steht in Verbindung, daß wir, um die Undurchdringlichkeit zu bestimmen, bereits ein anderes wesentliches Merkmal, nämlich die Ausdehnung voraussetzen müssen. Jener gegegebene Raum, welchen der Körper einnimmt, kann hier nämlich keinesfalls ein bloßer mathematischer Punkt sein, sondern wirklicher, dreidimensionaler Raum, falls er zum Begriff eines Körpers überhaupt kommen soll. Ähnlich steht es mit der Zeit, die ebenfalls hier keine Grenzbestimmung ist, sondern wirkliche Dauer aufweisen muß. - Wir können also kaum zugeben, daß die Undurchdringlichkeit zu den wesentlichen Merkmalen des Körpers gehört, da wir, um sie zu bestimmen, bereits Körper (mindestens zwei) nötig haben, d. h. wir müssen bereits über dasjenige verfügen, was Körper bestimmt, sie von anderen Dingen unterscheidet. Die ganze Bestimmung ist ein identisches (KANT würde sagen: analytisches) Urteil, da es auf dem Gesetz des Widerspruchs beruth.
1) KREIBIG, Psychologische Grundlegung eines Systems der Werttheorie, 1902, Seite 3f 2) Das Wort "Gegengewicht" in Beziehung auf die Vernunft angewandt, erheischt vielleicht eine Erklärung. In der neuen Psychologie bricht sich die Meinung Bahn, daß der sinnliche Eindruck eine Störung des psychischen Gleichgewichts zustande bringt. Sobald die Vernunft den Eindruck umfaßt und sich davon Rechenschaft gegegeben hat, kehrt sie zugleich zu ihrem Gleichgewicht zurück. Das Verhältnis der allgemein-menschlichen Vernunft zur Gesamtheit der Eindrücke, dem Sein, ist nun ein ähnliches, wie das Verhältnis der individuellen Vernunft zum einzelnen Eindruck. Würde es möglich sein, die Gesamtheit zu umfassen und sich davon Rechenschaft zu geben, so könnte man das in gewissem Sinne, als ein Aufwiegen des Seins durch die allgemein menschliche Vernunft betrachten. |