p-3tb-3Die deutsche Ideologie
 
ADAM SCHAFF
Über allgemeine Semantik

Marxistische Sprachkritik
Unscharfe Ausdrücke
über Allgemeine Semantik
Die Widerspiegelungstheorie
"Das begriffliche Denken besitzt verallgemeinernden Charakter, da es mit Hilfe der Sprache der sprachlichen Zeichen vorgenommen wird, die dem Denken einen abstrakten und verallgemeinernden Charakter aufzwingen.

Ich habe mich vor einigen Jahren gleichsam moralisch verpflichtet, auf die Problematik der allgemeinen Semantik zurückzukommen. Ich tat dies, als ich in der  Einführung in die Semantik  diese Richtung einer Kritik unterzog. Ich fühle mich gedrängt, dieser Verpflichtung nachzukommen, weil ich - außer den negativen Seiten, auf die ich in meiner Kritik eingegangen bin - in der allgemeinen Semantik auch Positives sehe, vor allem in ihren Anschauungen über die gesellschaftliche Funktion der Sprache, denen man sonst nirgends begegnet.

Es geht mir hier in erster Linie um die Beobachtungen über den Einfluß, den die Sprache auf das menschliche Verhalten ausübt. Während die Kritik oft hemmungslos über die schwachen Seiten der allgemeinen Semantik herfiel, vergaß sie häufig eine sachgerechte Bewertung der positiven Antriebe, die in einigen Gedanken dieser Doktrin

enthalten sind. Die These, um die es mir hier geht, und die man aus verschiedenen Äußerungen der Vertreter der allgemeinen Semantik extrapolieren kann, ist zwar einfach, aber von großer heuristischer Bedeutung:
Die Verhaltensweisen der Menschen sind oft durch die Sprache bedingt, und zwar mittels gedanklicher Impulse, die das Denken in eine bestimmte Richtung lenken und somit gewisse Gemütsbewegungen, Willenskräfte usw. auslösen.
Freilich stammt die Formulierung dieser These von mir, und ich darf behaupten, daß keiner der Repräsentanten der allgemeinen Semantik eine solche These  explicite  aufgestellt hat. Nichtsdestoweniger kann man diesen Gedanken aus ihren Arbeiten herauslesen, und ich habe ihn lediglich maßvoll hervorgehoben.

Man kann natürlich sagen, daß diese These nicht besonders originell ist. Denn in der Sprachphilosophie ist mindestens seit HERDER und HUMBOLDT bis zur modernen Sprachfeldtheorie, in der Philosophie vom Konventionalismus(1) bis zum Neopositivismus bekannt, daß die Form des Denkens mit der Form der Sprache zusammenhängt, d.h. daß die Sprache das Denken beeinflußt. Da nun aber die Verhaltensweisen der Menschen auf diese oder jene Weise mit dem Denken zusammenhängen, insbesondere dort, wo mit aller Bewußtheit ein Ziel verfolgt wird, liegt es auf der Hand, daß die menschlichen Verhaltensweisen zumindest indirekt auch mit der Sprache in Zusammenhang stehen, daß die Sprache in irgendeiner Weise auf jene wirkt.

Obwohl nun diese Feststellung völlig evident scheint, ist  dieser  Gedanke niemals zuvor so deutlich ausgesprochen worden, und hierin liegt eben ein großes Verdienst der allgemeinen Semantik. Dieser Gedanke mag  ex post  banal erscheinen (so etwas kommt häufig sogar bei bedeutenden Entdeckungen vor), aber das ändert nichts an der Sachlage. Und dies um so mehr, als dieser Gedanke bisher weder gebührend gewürdigt noch auch durch die Forschung auf die konkrete Wirklichkeit angewandt wurde, obwohl er von großer heuristischer Potenz ist.

ANATOL RAPOPORT, der zweifellos zu den bedeutendsten Vertretern der allgemeinen Semantik gehört, charakterisiert diese Richtung folgendermaßen:
"Die Grammatik befaßt sich ausschließlich mit Wort-Wort-Relationen ... Die Logik geht weiter. Für einen Logiker sind die Sätze Aussagen, denn er interessiert sich für die Relationen zwischen Aussagen (wenn  dies  wahr ist, dann ist auch  jenes  wahr) ... Der Semantiker geht noch weiter als der Logiker. Für ihn haben Wörter und Aussagen nur dann eine Bedeutung, wenn sie in Beziehung zum bezeichneten Gegenstand ( referent ) stehen.

Der Semantiker definiert nicht nur die Gültigkeit (wie der Logiker), sondern auch die Wahrheit. Der Vertreter der allgemeinen Semantik geht am weitesten. Er hat nicht nur mit Wörtern, Aussagen und bezeichneten Gegenständen ( referents ) zu tun, sondern auch mit ihrer Wirkung auf die menschlichen Verhaltensweisen.

Für den Vertreter der allgemeinen Semantik bedeutet Kommunikation nicht nur Wörter in der richtigen Reihenfolge und den richtigen Flexionsformen (wie für den Grammatiker) oder Aussagen, die in der richtigen Relation zueinander stehen (wie für den Logiker), oder auch Aussagen, die in der richtigen Relation zu den bezeichneten Gegenständen stehen (wie für den Semantiker), sondern für ihn bildet all das zusammen eine Kette:  Tatsache - Nervensystem - Sprache - Nervensystem - Handlung. (2)
Wenn wir von der allgemeinen Semantik sprechen, dürfen wir nicht vergessen, daß ihr Begründer ALFRED KORZYBSKI vor allem Sozialtherapie im Sinn hatt. Der Titel seines  opus magnum  SCIENCE and SANITY war kein zufälliger. KORZYBSKI war tatsächlich überzeugt - und diese Überzeugung trägt bei ihm geradezu den Stempel der Besessenheit -, daß alle Erkrankungen semantogener Natur sind. Zur Überwindung der Krankheit genüge es folglich, auf die Sprache entsprechend einzuwirken - indem man den Menschen die semantische Wurzel ihrer fehlerhaften Überzeugungen, ihrer Gemütsstörungen, Hemmungen usw. erklärt -, um die Erkrankung zu überwinden. Daher ist auch KORZYBSKIs semantisches Interesse hauptsächlich auf therapeutische Eingriffe gerichtet, deren Ziel die Gesundheit der Gesellschaft ist.

Abstrahieren wir jedoch von der an Besessenheit grenzenden Seite des Problems, bleibt immer noch ein Rest übrig, dem man rationalen Charakter nicht absprechen darf (in diese Verlegenheit kommen wir öfter, wenn wir die Thesen der allgemeinen Semantik analysieren; sooft wir die schwachen Seiten dieser Theorie bloßlegen, bleibt häufig ein Rest bestehen, der einen rationalen Charakter aufweist und zum Nachdenken zwingt).

Mit Gewißheit bezieht sich das auf die drei Grundpostulate der allgemeinen Semantik für die Sprachtheorie, und zwar: Auf das Postulat der Nicht-Identität (Das Wort ist nicht die Sache, die es bezeichnet, nicht nur im Sinne einer verbalen Identifikation, was offensichtlich ist, sondern auch im Sinne der nichtidentischen menschlichen Reaktionen auf Wörter, was nicht mehr offensichtlich ist), das Postulat der Unvollständigkeit ("Die Landkarte ist nicht das Territorium", d.h. daß das Zeichen keinen Anspruch auf die vollständige Repräsentation des Gegenstandes erheben darf) sowie das Postulat der Unterscheidung von Hierarchien von Zeichen (die Unterscheidung zwischen der Objektsprache und der Metasprache).

Diese Postulate sind keineswegs neu, im Gegenteil, sie alle sind historisch bekannten Quellen entnommen, auf die sich übrigens die Vertreter der allgemeinen Semantik in loyaler Weise berufen. Aus diesen Postulaten, insbesondere den ersten beiden, ergeben sich Anweisungen für eine Verwendung der Sprache, die es ermöglichen würde, Fehler zu vermeiden, die ihrerseits semantogene Erkrankungen hervorrufen.

Es geht hier um folgende Anweisungen: Man sollte allgemeinen Namen mit Indizes versehen, um die Verwechslung des Einzelnen mit dem Allgemeinen zu vermeiden (man muß sich also klarmachen, daß z.B. das Wort "Österreicher" immer Individuen "Österreicher 1", "Österreicher 2" meint); man sollte Aussagen mit Daten versehen, um verschiedene Phasen der genannten Erscheinungen voneinander zu unterscheiden (man soll also nicht allgemein z.B. KARL MARX sagen, sondern immer konkret "KARL MARX 1844", KARL MARX 1857" usw.); man sollte schließlich allen Beschreibungen und Beurteilungen das Wörtchen "etc." beifügen, um sich klarzumachen, daß "die Landkarte kein Territorium", d.h. daß die Beschreibung immer unvollständig ist.

In der Schule der allgemeinen Semantik wurde das geflügelte Wort von der "Tyrannei der Wörter" geprägt. Diese metaphorische Redewendung drückt den Gedanken aus, daß die Sprache, deren sich die Menschen bedienen, einen entscheidenden Einfluß auf ihre Verhaltensweisen ausübt. Die Radikalisierung dieses Gedankens, die zu den offensichtlichen Übertreibungen führte, die für die ganze Konzeption der semantogenen Pathologie in der allgemeinen Semantik chrakteristisch sind, liegt der Tendenz zugrunde, auch gesellschaftliche Probleme (wie Kommunismus, Faschismus etc.) ausschließlich auf die Sphäre der Sprache zurückzuführen.

Wir möchten jedoch an dem Grundsatz festhalten, die Übertreibungen und Absurditäten nicht mit einer leichten Handbewegung abzutun, sondern uns vielmehr die Mühe machen, den rationalen Kern des Gedankens zutag zu fördern, auch dann, wenn man sich dabei durch Unkraut und Spreu hindurcharbeiten muß. Und der Gedanke von der "Tyrannei der Wörter" enthält zweifellos einen solchen rationalen Kern; ähnlich übrigens wie die praktischen Anweisungen zum Gebrauch der Sprache, die diese Tyrannei stürzen sollen.

Um diese Frage besser zu verstehen, müssen wir zuerst die Implikationen der These vom Zeichencharakter der Sprache in dieser Hinsicht durchanalysieren. Wir sagen, daß die Sprache ein Zeichensystem ist, wobei wir das Wort "Zeichen" so weit fassen, daß diejenigen, die diese These verneinen, einfach von einer anderen Definition der Sprache ausgehen müssen.

Eben dank dieser weiten Fassung des Wortes "Zeichen" können wir die sprachlichen Zeichen als Zeichen mit spezifischen Merkmalen auffassen, durch welche sie eine Unterklasse innerhalb der allgemeinen Zeichenklasse bilden. Wie ich anderswo dargelegt habe, beruht dieses spezifische Merkmal der sprachlichen Zeichen darauf, daß eine Bindung zwischen dem materiellen Träger und der Bedeutung besteht, wodurch die sprachlichen Zeichen für den Prozeß der Abstraktion besonders geeignet sind und es sich folglich erklären läßt, warum nur diese als Namen auftreten können.

Halten wir diese Beobachtung fest und machen wir uns die sich daraus ergebenden Konsequenzen klar. Die sprachlichen Zeichen funktionieren, genau wie alle anderen Zeichen, im Prozeß der gegenseitigen Verständigung, außerhalb dessen sie ihren Zeichencharakter einbüßen und nichts anderes sind als materielle Gegenstände. Indem sie im Prozeß der menschlichen Kommunikation funktionieren, bilden sie ein unentbehrliches Element des Denkens (wir sprechen hier vom  menschlichen , d.h. begrifflichen Denken), welches ohne irgendeine Art von Zeichen nicht bestehen kann.

Wir radikalisieren diese These und stellen fest: Beim Denkvorgang kommen Zeichen aller Art vor, notwendige Bedingung des Denkens aber sind die sprachlichen Zeichen. Anders ausgedrückt behaupte ich, daß das spezifisch menschliche Denken verbaler Natur ist. Ich möchte diese These hier nicht näher begründen, da ich dies schon anderswo in eingehender Weise getan habe. Aber welche Schlußfolgerungen sind aus dem hier vertretenen Standpunkt zu ziehen?

Wenn wir an etwas denken, denken wir immer mit Hilfe von Zeichen, die dieses "etwas" vertreten (im Sinne der Fähigkeit, sich bei einer Handlungweise Folgen vorzustellen, die den Folgen der sinnlichen Wahrnehmung ähnlich sind). Nun haben die sprachlichen Zeichen ganz besondere Eigenschaften, nicht nur in dem Sinne, daß sie für den Prozeß der Mitteilung unserer Gedanken an andere geeignet sind, sondern auch - und das ist hier besonders wichtig - insofern, als sie sich zu einer verallgemeinernden Sicht der Wirklichkeit eignen.

Das eben meinte ich, als ich von der Eigenart der sprachlichen Zeichen sprach, dank der sie zu einem unentbehrlichen Instrument der Abstraktion auf der Stufe des begrifflichen Denkens werden. Warum es sich so verhält, und worauf der Mechanismus dieser Abstraktion beruht, kann vor allem von der Physiologie der höheren Nervenfunktionen beantwortet werden; und obwohl sie dies bisher - meiner Meinung nach - noch nicht in befriedigender Weise geleistet hat, ist gerade sie uns diese Antwort schuldig.

Jedes Wort verallgemeinert. Dieser Behauptung stimmen die verschiedenen Richtungen der Sprachtheorie zu. Damit hängt gerade die besondere Wichtigkeit des sprachlichen Zeichens für den Denkprozeß zusammen, aber daher kommen auch manche Schwierigkeiten, die im Denken auftreten, und unter anderem auch die, die uns hier besonders interessieren.

Die Behauptung, daß jedes Wort verallgemeinert, hat man so zu verstehen, daß das begriffliche Denken, das immer verbal ist (obwohl dies nicht immer deutlich an der Oberfläche der Erscheinungen zutage tritt, und wir uns daher nicht immer Rechenschaft darüber ablegen), sich auf einem hohen Niveau der Abstraktion und Verallgemeinerung befindet. Dabei entsteht zwischen dem Denken und der Sprache, die sich zu einem unauflöslichen Ganzen verbinden, eine Beziehung der Wechselwirkung.

Das begriffliche Denken besitzt verallgemeinernden Charakter, da es mit Hilfe der Sprache der sprachlichen Zeichen vorgenommen wird, die dem Denken einen abstrakten und verallgemeinernden Charakter aufzwingen. Aber anderseits hat die Sprache der sprachlichen Zeichen einen solchen Charakter, weil dieser durch die Bedeutungen der Zeichen bedingt ist, welche in einer bestimmten Auffassung des Wortes "Bedeutung" mit Denken gleichzusetzen sind.

Das Wort hält also in seiner Bedeutung das Allgemeine der Dinge und Erscheinungen fest. Das ist sowohl ein Merkmal der Namen, die Dinge und Eigenschaften bezeichnen, wie z.B. "der Mensch", "der Tisch", "die Tugend", "das Rot" usw., wie auch der Namen von Tätigkeiten wie "gehen", "essen" usw., wie auch schließlich jeglicher Art von sonstigen Wörtern, Konjunktionen u.ä.m. wie "ist", "oder", "und" etc. Es ist folglich auch eine Eigenart des Denkens, daß es sich dieser Zeichen als Instrumente bedient.

Diese verallgemeinernde Funktion der Sprache und des verbalen Denkens hat zur Folge, daß das Individuelle bei der Erkenntnis sowohl Ausgangspunkt ist wie Zielpunkt, Resultat. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die sinnliche Wahrnehmung, und somit auch das Denken mit einzelnen Gegenständen beginnt. Aber ebenso unzweifelhaft, wenn auch keineswegs so offensichtlich und das Ergebnis einer tiefschürfenden Überlegung ist die Behauptung, daß das, was wir aus unsere Umwelt als einzeln herauslösen, das  Ergebnis  der Erfahrung ist und eines Erkenntnisprozesses, dem eine bestimmte Sprache zugrunde liegt.

In diesem Sinne hatte WILHELM von HUMBOLDT recht, als er behauptete, daß wir denken, wie wir sprechen (wir wollen nicht vergessen hinzuzufügen, daß wir so sprechen, wie wir denken). Das Einzelne existiert zwar objektiv, "objektiv" im ontologischen Sinne des Worts, aber im Sinne des Erkenntnisprozesses ist es ein Produkt der Erkenntnis, und in einem bestimmten Sinn des Wortes kann man sagen, daß es ein Konstrukt der Erkenntnis sei. In dem Sinne nämlich, daß wir zu dem Einzelnen, das in gewissem Sinne der Ausgangspunkt unserer Erkenntnis ist, im begrifflichen, verbalen Denken  immer  über das Allgemeine gelangen.

Und dies schon allein deshalb, weil wir das Einzelne nicht denken können, ohne - in dieser oder jener Form - die Bedeutung eines entsprechenden Wortes zu erleben, ohne das wir nicht begrifflich zu denken vermögen. Und die Bedeutung  jedes  Wortes ist immer allgemein. Da es sich hier um eine vom Standpunkt der modernen Psychologie und insbesondere Psycholinguistik banale Behauptung handelt, werden wir diese Thesen weder belegen noch auch entwickeln.

Zu dem Einzelnen gelangen wir erkenntnismäßig nicht nur über das Allgemeine, sondern auch dadurch, daß wir das Allgemeine entsprechend formen. Es geht mir hier um sprachlich-gedankliche Mittel, die es ermöglichen, das Einzelne vermittels des Allgemeinen zu erfassen und den so geformten Inhalt im Kommunikationsprozeß weiterzugeben. Das Wort "Baum" verallgemeinert, genau wie alle anderen Wörter. Aber wir haben Mittel an der Hand, die es uns erlauben, mit Hilfe dieses und anderer allgemeiner Wörter etwas individuell Konkretes auszusagen.

Das geschieht gewöhnlich auf dem Wege der Kombination einer Reihe von Wörtern, von denen jedes allgemein ist, aber deren inhaltliche Verbindung zur Folge hat, daß die verschiedenen allgemeinen Inhalte sich überlagern, so daß eine spezifische Individualisierung entsteht. Man kann dabei verschiedene Grade dieser Individualisierung erreichen, die wir manchmal mit besonderen Namen versehen, wenn es sich um Unterklassen handelt, die für die Erkenntnis und Praxis wichtig sind (z.B. "Nadelbaum", oder noch tiefer in der Klassifikation - "Fichte", "Kiefer" u.ä.m.).

Individualität gewinnt man immer durch eine Kombination von Wörter, d.h. durch die Kombination allgemeiner Inhalte (z.B. "der Laubbaum, der zur Gattung  Kastanie  gehört und am Eingang des Parkes ganz vorne rechts in der Hauptallee steht"), da Individualnamen in solchen Fällen prinzipiell nicht gebräuchlich sind.

Freilich könnte man sich eine Sprache vorstellen, die ausschließlich aus Namen zusammengesetzt wäre, deren Allgemeinheits- und Abstraktionsniveau begrenzt ist. Und dies um so mehr, als wir auf Beispiele solcher Sprachen hinweisen können, die in der Lebenspraxis von Gemeinschaften auf sehr niedrigem Entwicklungsniveau funktionieren (z.B. gewisse Sprachen der australischen Eingeborenen). In solchen Sprachen gibt es z.B. Namen für bestimmte Arten von Fischen, aber es fehlt ein Wort für "Fisch"; es gibt  individuelle  Namen für Sträucher und Bäume, die weit verbreitet sind, aber es fehlt an einem allgemeinen Namen für "Baum" oder "Strauch"; es gibt Zeitwörter, die eine konkrete Tätigkeit ausdrücken, wie z.B. "im Galopp reiten", "im Schritt reiten", aber es fehlt eine Wort für "reiten".

Solche Sprachen haben den Vorzug der Konkretheit, durch den die verschiedenen Fallen auf der höheren Ebene der Verallgemeinerung umgangen werden können, es fehlt ihnen jedoch etwas sehr Wesentliches; sie eignen nicht zur abstrakten Reflexion über die Wirklichkeit, die eine notwendige Bedingung darstellt für eine wissenschaftliche Erkenntnis der Welt. Anders ausgedrückt: das mag eine höchst praktische Sprache sein, die gewissen Formen menschlichen Handelns sehr angepaßt ist, aber man kann mit ihrer Hilfe z.B. die Relativitätstheorie weder ausdrücken noch folglich überhaupt auf sie kommen, was - natürlich - davon zeugt, daß diese Sprache im Vergleich zu einer in bezug auf Abstraktions- und Verallgemeinerungsfunktion höher entwickelten Sprache ein niedrigeres Niveau aufweist.

Eine Sprache, die jedoch  ausschließlich  aus individuellen Zeichen bestünde, was man sich theoretisch vorstellen könnte, würde zweifellos zu einer intellektuellen Katastrophe führen, da sie ein begriffliches Denken unmöglich machen und somit das menschliche Handeln, das sich doch auf das Denken stützt, lahmlegen würde.

Die entwickelte Sprache der sprachlichen Zeichen (sagen wir des Typus der indoeuropäischen Sprachen) weist keinen solchen Mangel auf. Aber gerade weil sie so weitgehend verallgemeinert, daß sie das Individuelle (die Eigennamen bilden hier eine Ausnahme) nur durch das Allgemeine ausdrücken kann, und zwar als besondere Kombination des Allgemeinen, treten andere Schwierigkeiten beim Erkenntnisprozeß und praktischen Handeln zutage, die hier der Gegenstand unseres Interesses sind.

Es geht nämlich darum, daß das Allgemeine die erkenntnismäßige Erfassung des Besonderen und Einzelnen erschwert. Darauf weist gerade die allgemeine Semantik hin, wenn auch auf Grund der Analyse menschlichen Verhaltens und nicht auf Grund einer abstrakten Analyse der Funktion der Sprache im Erkenntnisprozeß.

Wir kommen auf die Postulate der allgemeinen Semantik zurück und auf die daraus hervorgehenden Direktiven für den Sprachgebrauch. Sie alle bewegen sich in einer Richtung: Es geht um die Vermeidung des Mißverständnisses, das sich auf die Verhaltensweisen der Menschen auswirkt, nämlich das der Wortinhalt die Wirklichkeit  vollständig  widerspiegle.

Es geht darum, daß unsere Reaktionen auf die Wörter nicht mit unserer Reaktion auf die Wörtern nicht mit unserer Reaktion auf die Wirklichkeit identifiziert werden, daß man aus einer gegebenen Reaktion auf Wörter nicht deduzieren darf, daß die Wirklichkeit, auf die sich die Wörter beziehen, so sei, wie es jene Reaktionen annehmen lassen. Nein, sagt die allgemeine Semantik, das Wort ist nicht die Sache selbst, die Landkarte ist kein Territorium, und die Sprache, in der wir von einer anderen Sprache sprechen, ist mit dieser nicht identisch.

Umd diese unangenehmen Mißverständnisse zu vermeiden (die zur Ursache von semantogenen Erkrankungen werden können), muß man die Sprache durch Anwendung besonderer Hilfsmittel konkretisieren, und zwar indem man den Zeichen andere Zeichen anfügt, die Hierarchie der Sprachen erlernt und somit die Stufen der Allgemeinheit des Denkens.

Wir kommen also auf das Problem des Allgemeinen und des Individuellen im sprachlichen Zeichen zurück.

Das Wort ist nicht die Sache, die Landkarte ist kein Territorium. Wenn wir "Österreicher" sagen, müssen wir dabei im Sinn haben, daß es sich hier um den Namen einer Klasse individueller Gegenstände handelt und wir es in Wirklichkeit eben mit den Einzelwesen: "Österreicher 1", "Österreicher 2" usw. zu tun haben. Man muß dies den Menschen mit allen möglichen Mitteln beibringen, auch mit Hilfe des sogenannten semantischen Differentials mit Löchern auf verschiedenen Ebenen. Dadurch daß man lernt, Stäbchen in diese Löcher richtig einzusetzen, wird einem die simple Wahrheit mechanisch eingetrichtert, daß es verschiedene Ebenen der Allgemeinheit gibt, daß die Klasse der Individuen etwas anderes ist als die Einzelwesen, aus denen sie besteht.

Hilft das gegen Zahnfäule, Magengeschwüre und andere Leiden, wie KORZYBSKI behauptete? Ich weiß es nicht, und wenn es wirklich hilft, so nicht aus den Gründen, die dem Schöpfer der allgemeinen Semantik vorschwebten. Wie das Wasser von Lourdes oder die Berührung der Hand eines Wundertäters nicht aus den Gründen, die offiziell dafür angegeben werden, heilt, so muß man doch zugeben, daß gewisse Menschen tatsächlich gesunden. Denn die Wirkungsweisen verschiedener Heilmethoden bei der Behandlung neurogener Erkrankungen sind überhaupt nicht erforscht, und für deren Heilung ist der Glaube, der den Willen mobilisiert, von entscheidender Bedeutung.
LITERATUR - Adam Schaff, Die Sprache und das menschliche Handeln, in Adam Schaff, "Essays über die Philosophie der Sprache", Wien/Frankfurt/Zürich 1968
    Anmerkungen
  1. Konventionalismus: philosophische Richtung, wonach Begriffe, Definitionen, Axiome, Hypothesen auf einer rein zweckmäßigen Übereinkunft der Wissenschaftler beruhen.
  2. ANATOL RAPOPORT: What is Semantics?, in S.I. HAYAKAWA: Language, Meaning and Maturity, New York 1959, Seite 14