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MAXIMILIAN DROSSBACH
Eine Untersuchung über die Wahrnehmbarkeit
der Erscheinungen und die Unwahrnehmbarkeit
der Wesen

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"Was will die Abstammungslehre anderes als zeigen, daß es keine Sprünge in der Natur gibt, daß alles zusammenhängt und die verschiedenartigsten Formen auseinander hervorgehen? Dazu gehört jedoch, daß alles verwandt ist, daß es keine heterogenen Dinge in der Natur gibt, daß also auch zwischen dem Unorganischen und Organischen keine unüberschreitbare Kluft besteht. Die Kluft besteht nur zwischen den Erscheinungen; diese erscheinen oft ganz unvergleichbar: der Ton ist etwas anderes als die Elektrizität, das Eisenmolekül etwas anderes als das Sauerstoffmolekül, das Materielle etwas anderes als das Geistige und so ist auch die Unempfindlichkeit etwas anderes als die Empfindung; aber diese heterogenen Dinge sind nichts als unsere Vorstellungen."

"Was man gegenwärtig als Positivismus (oder auch Wirklichkeitsphilosophie) bezeichnet, ist Empirismus und dieser unterscheidet sich vom Subjektivismus nur dadurch, daß er die Erscheinungen für wirkliche Dinge hält, während der Subjektivismus unwiderleglich darlegt, daß sie Vorstellungen sind. Was vom Positivismus als Wirkliches behauptet wird, ist Erscheinung, also Vorstellung und die Kräfte und die Naturgesetze sind Begriffe, also wieder Vorstellungen, wie beim Empirismus."

"Das Wahrnehmen eines Objekts ist für sich allein genommen ein bloßes Anstarren ohne Verständnis; das Tier, das Kind nimmt wahr, hat sinnliche Empfindungen und Anschauungen, aber kein Verständnis derselben, es fehlt ihm der klare Verstand, das Urteil. Das Denken, die Reflexion muß zum sinnlichen Wahrnehmen hinzukommen, wenn klare Erkenntnis entstehen soll."

II. Der Subjektivist behauptet, die Vorstellung sei deswegen das Wahrnehmbare, weil sie sein eigener Gemütszustand ist, weil sie sein eigen ist im Gegensatz zum Fremden und Anderen; er meint, nur was er besitzt, kann er wahrnehmen, das andere ist außerhalb seiner selbst und für ihn gar nicht vorhanden. Es wurde sogar als der erste feste Punkt der Erkenntnistheorie bezeichnet, daß wir von unserem eigenen psychischen Inneren eine unmittelbare Wahrnehmung haben, und man war im Grunde gezwungen, diese Annahme zu machen, denn wenn wir vom Anderen, Fremden nichts wissen können und auch von unserem eigenen Innern keine Wahrnehmung haben, wie sollte da irgendeine Erkenntnis entstehen? -

Aber alles Wahrnehmen ist ein Aufnehmen, ein Empfangen und ein solches kann nur stattfinden, wenn mir etwas gegeben wird; ich muß Einwirkungen empfangen, sie müssen mir gegeben werden, wenn ich eine Kenntnis von ihnen erhalten soll. Gegeben kann mir nur werden und empfangen kann ich nur, was ich nicht habe, was ich nicht besitze - also nur das, was nicht mein Eigenes ist. Was ich schon besitze, kann mir nicht gegeben werden, ich kann mir nichts geben und nichts von mir empfangen, es findet hier kein Geben und kein Nehmen statt - Alles bleibt beim Alten. Das Wahrnehmende kann nicht zugleich auch das von ihm Wahrgenommene sein, es kann sich nicht in zwei zerteilen, von welchen das eine wahrnimmt und das andere wahrgenommen wird; das Auge kann sich oder seine eigene Beschaffenheit nicht unmittelbar selbst sehen etc. Ich kann meine Vorstellungen nicht wahrnehmen, weil sie meine eigenen Zustände sind. Soll ein Wahrnehmen stattfinden, so muß etwas anderes vorhanden sein, welches wahrgenommen wird. Kann Wahrnehmen, Aufnehmen, Vernehmen, Empfinden und infolgedessen Erkennen nur stattfinden, wenn dem wahrnehmenden Subjekt Eindrücke gegeben werden, so muß das Gebende ein Anderes sein als das Nehmende. Wenn mir eine Einwirkung gegeben wird, so wird sie mir immer von einem Anderen (nicht von mir) gegeben, indem ich dieselbe empfange, empfinde, aufnehme, wahrnehme - empfange ich das Wirken eines Andern und erst durch die Vermittlung Anderer kann mir mein eigenes mitgeteilt werden. Das Ich ist nicht möglich ohne das Du. Ohne die Andern hätte ich überhaupt keine Vorstellung; die inneren psychischen Zustände entstehen wert, nachdem ich von Anderen Einwirkungen empfangen habe. Wenn eine Einwirkung auf mich ausgeübt wird, empfange ich etwas, was ich vorher nicht besaß, wovon ich vorher keine Kenntnis hatte, durch jede neue Einwirkung erhalte ich eine neue Kenntnis und bilde infolgedessen eine neue Vorstellung. Der Objektivist hat das richtige Gefühl, daß etwas anderes objektiv vorhanden ist, aber da er das Erscheinungsding, welches doch nur seine eigene Vorstellung ist, für dieses Andere hält, so kann er seine Behauptung dem Subjektivisten gegenüber nicht aufrechterhalten. Der wahre Objektivismus oder die wahre Wirklichkeitslehre ist nur möglich, wenn wir das wirklich Andere, das, was nicht Erscheinung ist, wahrnehmen und erkennen.

Die Behauptung des Subjektivisten, daß das Andere nicht in mir sein, daher mit mir in keinerlei Beziehung stehen kann, beruth auf der Voraussetzung, daß wir ähnlich wie die Erscheinungen beschränkt sind, daß wir Grenzen haben, die verhindern, daß wir mit Anderen zusammenkommen. Das Irrige dieser Voraussetzung wird sich im Folgenden zeigen.

Der Subjektivist hat wohl die Vorstellung des Anderen, des für sich Bestehenden, des Wirklichen, aber da er nur diese Vorstellung wahrzunehmen meint, so ist für ihn das wirklich Andere, das, was ihn zwingt das was ihn von allen Seiten drückt, schlägt, reizt, gar nicht vorhanden, er kennt nur die Vorstellung des Zwangs, des Drucks, des Kausalen und bemerkt nich, daß er zu diesen Vorstellungen gar nicht gekommen wäre, wenn er nicht vorher das Zwingen und Nötigen erfahren hätte; daher kommt er nie aus seiner Subjektivität heraus. Auf ihn paßt das Wort des Dichters vom Tier auf dürrer Heide und ringsumher ist fette grüne Weide.

Wir nehmen nicht bloß Einwirkungen wahr, sondern über auch solche auf Andere aus; dies zeigt vor allem der Verkehr der Menschen miteinander; all unser Tun im gewöhnlichen Leben ist ein solches gegenseitiges Einwirken und der Naturforscher tut dasselbe in seinen Experimenten oder Versuchen mit denjenigen Dingen, welche die Vorstellung von Körpern in uns veranlassen. Lassen sich dieselben aber durch unser Einwirken lenken, so müssen sie dasselbe zuvor erfahren und aufnehmen, sonst würde unser Einwirken keinen Erfolg haben. Beim Verkehr der Menschen miteinander liegt es klar vor Augen, daß die Einwirkungen des Einen vom Andern wahrgenommen werden, weil sie es einander durch Zeichen und Worte etc. mitteilen; aber auch alle übrigen Dinge, auch die sogenannten unbewußten, müssen unser Einwirken wahrnehmen, erfahren, wenn ein Einwirken auf sie möglich sein soll. Wie die Dinge nur auf uns wirken können, weil wir ihr Wirken wahrnehmen, so können auch wir nur auf sie wirken, wenn sie unser Wirken wahrnehmen; so wenig ich bewegt oder erregt werden kann, wenn ich die bewegende oder erregende Kraft nicht spüre, so wenig können es andere Dinge. Wohl nehme ich nicht wahr, daß sie wahrnehmen, ich nehme nur wahr, daß sie auf mich wirken, aber nimmt denn ein Anderer wahr, daß ich wahrnehme? Da ich weiß, daß ich wahrnehme, obgleich ein Anderer dies nicht an mir wahrnimmt, warum sollen nicht auch Andere wahrnehmen können, obwohl ich es nicht von ihnen wahrnehme? Ich kann zwar nicht direkt schauen, daß Andere wahrnehmen, aber ebensowenig kann man erkennen, daß Andere nicht wahrnehmen - ich kann aus den Handlungen der Anderen erkennen, daß sie wahrnehmen, aber niemand kann nachweisen, daß Andere nicht wahrnehmen; daraus, daß wir nur von Menschen oder Tieren (bzw. den diese Vorstellungen bedingenden Ursachen) wissen, daß sie wahrnehmen, folgt nicht, daß die anderen Dinge nicht wahrnehmen; wenn die Dinge, welche die Vorstellungen "Mensch und Tier" in uns veranlassen, Organe besitzen, durch die sie uns mitteilen, daß sie empfinden, während der Stein (bzw. die Ursache der Vorstellung "Stein") keine hat, so folgt daraus nicht, daß nur diejenigen Wesen eine Empfindung haben, welche auf eine empfangene Wirkung in menschlicher Form reagieren, alle andern keine; weil der Stein keinen Schmerzensschrei ausstößt, wenn wir auf ihn schlagen, so hätte er keine Empfindung? Wir sehen jedoch, daß er dem Schlag einen energischen Widerstand leistet, könnte er dies, wenn er nichts gespürt hätte? Jedenfalls werden alle Reaktionen infolge empfangener Anregung vollführt und alle Dinge reagieren, nur nicht alle in der vollkommenen Form wie der Mensch. Wenn ich gestoßen werde, empfinde ich und handle, reagiere hiernach. Bei den die Vorstellung "Stein" bedingenden Dingen soll dies ganz anders sein, diese sollen nicht empfinden und doch reagieren sie so gut wie ich. Dieses Reagieren ist eine Kraftentfaltung, die von den Dingen selbst ausgeht, es ist eine Bewegung, von der man nicht sagen kann, daß sie ihnen von anderen Dingen mitgeteilt oder übertragen worden ist, wie kommen sie nun dazu, aus sich selbst, spontan, eine Gegenwirkung und eine wirkliche Bewegung zu veranlassen, wenn sie von diesem Stoß nichts inne geworden sind? Wenn beim Menschen die Reaktion nur nach vorhergehender Empfindung stattfindet, warum soll dies bei anderen Dingen nicht der Fall sein? Wäre es nicht vollkommen unbegreiflich, wenn ich reagieren würde, ohne einen Anstoß empfunden zu haben? Und nun soll es doch vollkommen selbstverständlich sein, daß die Dinge, welche die Vorstellung des Steins in mir bewirken, reagieren ohne eine einwirkende Kraft empfunden zu haben! Der Unterschied zwischen mir und den Ursachen der Vorstellung des Steins besteht nur darin, daß ich mit Bewußtsein empfinde und reagiere - diese ohne dasselbe. Aber das Bewußtsein ist nicht Bedingung des Empfindens und Bewegens, sondern Folge desselben, denn es gäbe kein bewußtes Empfinden und Bewegen, wenn es kein Empfinden und Bewegen überhaupt gäbe. Daher kann das Bewußtsein beim Menschen nicht der Grund sein, daß dem Handeln desselben das Empfinden vorausgeht und man kann nicht sagen, daß das Reagieren unbewußter Dinge ohne eine vorhergehende Empfindung stattfindet, weil ihnen das Bewußtsein abgeht.

Das Wort "Wahrnehmen oder Empfinden" bildet den Stein des Anstoßes: es ist der Ausdruck für das menschlhiche bewußte Wahrnehmen oder Empfinden; das bewußte Wahrnehmen ist aber kein bloßes Wahrnehmen des Objekts, sondern ein Wahrnehmen davon, daß wir das Objekt wahrnehmen, ein Wahrnehmen, welches erst durch Reflexion darüber entsteht, daß wir wahrnehmen, dem aber das Wahrnehmen eines Objekts vorausgehen muß; denn wer nichts wahrnimmt, der kann auch nicht darüber reflektieren und sich bewußt werden, daß er wahrnimmt. Das Wahrnehmen eines Objekts kann man als unbewußtes Wahrnehmen bezeichnen, zum Unterschied von einem Wahrnehmen, daß etwas wahrgenommen wir, zum Unterschied vom reflektierten Wahrnehmen. Dieses unbewußte Wahrnehmen findet bei allen Dingen statt, auch beim Menschen, nur daß dieser über dasselbe reflektiert und so zu dem ihm eigentümlichen Wissen um sein Wahrnehmen, zum bewußten Wahrnehmen kommt. Und da hierzu ein geeigneter Apparat, ein menschliches gesundes Nervensystem gehört, so weiß nur der Mensch (solange er ein solches besitzt), daß er etwas wahrnimmt und daher können die anderen Dinge, die diesen Apparat nicht haben - die niedriger organisierten und die in unorganischer Verbindung befindlichen, nicht wissen, daß sie wahrnehmen.

Wenn man nun von ihnen sagt, daß sie wahrnehmen, so gebraucht man ein Wort, welches nur für ganz spezielle Fälle gebräuchlich ist, in einer allgemeinen Bedeutung und daher muß dasselbe Anstoß erregen. Da sich aber in der Sprache kein passendes Wort für das unreflektierte Wahrnehmen vorfindet, so bleibt wohl nichts anderes übrig, als dasselbe nach vorangegangener Verständigung beizubehalten. Wir müssen also den die Erscheinungen bedingenden Dingen eine empfindende oder wahrnehmende Kraft in der eben erörterten allgemeinen Bedeutung zuschreiben, weil sie auf unsere Einwirkungen reagieren, antworten, denn sie verraten dadurch, daß sie unser Einwirken wahrgenommen haben. Und da sie nicht bloß von uns Einwirkungen empfangen, sondern auch selbst aufeinander wirken, so ist klar, daß der Wechselprozeß von Wirken und Wahrnehmen nicht bloß zwischen dem Menschen und den übrigen Naturdingen, sondern auch zwischen diesen besteht: wenn das Eisen von einem Magneten angezogen wird, wenn der Stein zur Erde fällt, wenn ein fester Körper dem Eindringen eines anderen Widerstand leistet, so geschieht dies infolge des gegenseitigen Wirkens und Wahrnehmens der Ursachen jener Erscheinungsdinge.

Wie es kein Wahrnehmen gibt ohne Etwas (ohne ein Objekt), welches bewegt oder erregt - so gibt es kein Bewegen oder Erregen ohne Etwas (ohne ein Subjekt), welches dasselbe aufnimmt oder empfindet; alle Dinge sind sich gegenseitig Subjekt und Objekt, Wahrnehmendes und Wahrgenommenes; die wahrnehmende ist wie die wirkende Kraft in allen Fällen prinzipiell und ursprünglich vorhanden; alles was geschieht, ist ein Wechselprozeß von Wahrnehmen und Bewegen; beide bedingen sich gegenseitig, es kann keines ohne das andere bestehen; es gibt nur insofern ein Wirken, als es wahrgenommen wird und nur insofern ein Wahrnehmen als es angeregt wird.

Man will das Empfinden aus dem Bewegen ableiten, weil man sieht, daß in vielen Fällen das Bewegen dem Empfinden vorausgeht; man glaubt, das Bewegen sei älter als das Empfinden, weil das Letztere erst beim Menschen (und Tier) beobachtet wird. Denken wir uns aber die Welt anfänglich in Ruhe und lassen sie durch einen unbekannten Anstoße in Bewegung bringen, so ist dies nur möglich, wenn die Naturdinge für die Anstoß gebende Kraft empfänglich sind, wenn sie (in der allgemeinen Bedeutung des Wortes) empfinden, und kein Gott vermag sie zu bewegen oder zu erregen, wenn sie für seine Einwirkung nicht schon ursprünglich empfänglich sind. Die bewegende Kraft allein kann nichts ausrichten, es muß eine Kraft da sein, welche sie aufnimmt und gegen sie reagiert, wenn etwas geschehen soll.

Weil das Empfinden ebenso wie das Bewegen die Bedingung jeder Verbindung ist, so kann es auch nicht durch irgendeine Verbindungsform hervorgebracht werden; die Bemühungen der Materialisten durch eine Stoffverbindung das Empfinden hervorgehen zu lassen, sind vergeblich, weil das Bewegen, welches die Verbindung zur Folge hat, nicht möglich ist ohne Empfinden. Wie das Bewegen, so wird auch das Empfinden nicht durch die Verbindung hervorgebracht, sondern umgekehrt die Verbindung durch diese Tätigkeiten, ohne sie ist gar keine Verbindung möglich; nicht das Nervensystem macht das Empfinden, wie es nicht das Bewegen macht, sondern Empfinden und Bewegen machen das Nervensystem.

Sieht man die empfindende Kraft als ein dem Menschen eigentümliches Monopol an, so ist nicht nur die menschliche Empfindung, sondern auch alle Bewegung in der Natur unerklärbar. Betrachtet man den Menschen als eine Ausnahme von der Natur, dann ist weder er noch die Natur zu erklären. Ist er aber ein Naturwesen, wie jedes andere, hat er keine anderen Fähigkeiten als alle anderen Dinge und sind seine Fähigkeiten nur zeitweilig höher entwickelt, deutlicher entfaltet als die der andern, dann wir uns die Betrachtung dieser unserer höher entwickelten und daher deutlicher erkennbaren eigenen Kräfte zur Erkenntnis der andern, die sich nur unvollkommen offenbaren können, hinleiten. Weil dem empirischen Sinn das Empfinden in der Regel nur beim Menschen bekannt ist, darum soll eine Lehre, welche dasselbe allen Dingen zuschreibt, abenteuerlich sein? Empfindet und erkennt aber nur das menschliche Wesen, so gibt es im ganzen Universum nichts dem menschlichen Wesen Verwandtesf, so ist der Mensch losgetrennt von den Dingen ein nicht bloß absolut eigentümliches, sondern auch ein unerklärliches, wunderbares Wesen. Wir müßten ihn ansehen, wie etwa der Historiker ein Volk ansieht, das er nicht weiter ableiten, dem er kenen Platz in der Völkerverwandtschaft anweisen kann, ein solches Volk heißt Autochthonen oder Aboriginer; das ist ein Name, der im Zusammenhang der Geschichte im Kontext der Ethnographie eine Lücke bezeichnet. Ist die Kraft des Empfindens nur im Menschen einheimisch als ein Monopol, das er mit keinem anderen Wesen teilt, so ist zwischen dem Menschen und den übrigen ein Hiatus und wie dort der Faden der Geschichte zerreißt in der Hand des Historikers, so hier der Faden der Natur in der Hand des Philosophen. Eine solche Lücke annehmen, hieße den Zusammenhang in den Dingen verneinen und damit die Möglichkeit der Erkenntnis aufgeben. Kein Ding darf von der Natur aller übrigen eine absolute Ausnahme machen; eine gewisse Verwandtschaft muß unter allen stattfinden nach dem Satz des HIPPOKRATES: sympnoia panta [alles stimmt zusammen - wp].

Die Kraft, welche im Menschen mit voller Energie gegenwärtig ist, kann in keinem Ding vollkommen abwesend sein, sie regt sich in allen, nur daß sie in den niederen mit geringerer Macht handelt, nicht so deutlich hervortritt und daher von uns nicht so deutlich wahrgenommen wird (vgl. KUNO FISCHERs "Leibniz"). Was will die Deszendenztheorie [Abstammungslehre - wp] der Gegenwart anderes als zeigen, daß es keine Sprünge in der Natur gibt, daß alles zusammenhängt und die verschiedenartigsten Formen auseinander - hervorgehen? Dazu gehört jedoch, daß alles verwandt ist, daß es keine heterogenen Dinge in der Natur gibt, daß also auch zwischen dem Unorganischen und Organischen keine unüberschreitbare Kluft besteht. -

Die Kluft besteht nur zwischen den Erscheinungen; diese erscheinen oft ganz unvergleichbar: der Ton ist etwas anderes als die Elektrizität, das Eisenmolekül etwas anderes als das Sauerstoffmolekül, das Materielle etwas anderes als das Geistige und so ist auch die Unempfindlichkeit etwas anderes als die Empfindung; aber diese heterogenen Dinge sind nichts als unsere Vorstellungen. Der Chemiker hat 63 verschiedene Grundstoffe, er unterscheidet sie nach ihren verschiedenen Wirkungen. Aber sie sind keine heterogenen Dinge; alle sind wirkende und für Wirkungen empfängliche, also ihrem eigentlichen Wesen nach gleiche Dinge, nur in der Form ihres Wirkens und Empfangens von Wirkungen verschieden - und dies ist nur empirisch gesprochen: sie sind in Wahrheit verschiedene Vorstellungen und die wirklichen Dinge veranlassen sie in uns, indem diese in verschiedenen Formen aufeinander und auf uns einwirken. Es gibt in der ganzen (richtig verstandenen) Erfahrung keine andere als wirkende und für Wirkungen empfängliche Dinge. Wirken und Empfinden sind die allen Dingen wesentlichen Tätigkeiten und alle besonderen Unterschiede nur verschiedene Formen derselben. Alle Erscheinungen werden hervorgebracht durch wesensgleiche Ursachen; ich bin die gleiche Ursache für die Vorstellungen des Empfindungslosen wie für die des Empfindenden und die Ursachen, welche mich zu denselben veranlassen, sind ebenfalls die gleichen, nämlich wirkende Kräfte, nur daß deren Wirkungsform für die Vorstellung des Empfindungslosen eine andere ist, als für die Vorstellung des Empfindenden. Die Verschiedenheit der Vorstellungen von empfindungslos oder physikalisch und empfindend oder physisch hängt ab von der verschiedenen Form des Wechselprozesses der wirkenden und aufnehmenden Ursachen, es gibt wohl psychische und physikalische Erscheinungen, nicht aber psychische und physikalische Wesen, nicht Geister und Körper.

III. Die Ursachen der Erscheinungswelt oder unserer Vorstellungen sind also wirkende und empfindende Kräfte. Die Erfahrung lehrt uns, daß dieselben noch eine weitere wesentliche Beschaffenheit haben: indem wir nämlich irgendein Wirken wahrnehmen, sehen wir auch, daß es stets von einem bestimmten Ort ausgeht und zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet; es findet sich kein Wirken und kein Empfinden ohne ein Wo und ein Wann.

Wir nehmen von verschiedenen Orten aus wirkende Kräfte wahr und nur von verschiedenen Orten aus ist ein Wirken und Wahrnehmen möglich; denn fiele der Ort a mit dem Ort b in einem Punkt zusammen, so hörte das Wirken und damit das Wahrnehmen auf. Verschiedene Orte sind entfernte Orte, wären sie nicht voneinander entfernt, sondern an einem Ort, so wären sie nicht verschieden. Die Kraft wirkt von einem Ort aus in vielen, in allen möglichen Richtungen, der Ort ist der Mittelpunkt dieser Richtungen. Aber der Ort und die Richtungen sind nichts für sich Bestehendes, sie sind nur insofern eine Kraft von diesem Ort aus in den verschiedenen Richtungen wirkt; wir nehmen nicht den Ort und die Richtungen als solche wahr, sondern die von einem bestimmten Ort in bestimmten Richtungen wirkende Kraft. Sowie wir keine Kraft wahrnehmen, die nicht von einem Ort in den ihm entsprechenden Richtungen wirkt, so nehmen wir auch keinen Ort und keine Richtungen wahr ohne die wirkende Kraft. Also: Ort, Richtung und Kraft lassen sich nicht trennen, sie sind ein solidarisches Ganzes (1). Indem wir die Kräfte von verschiedenen Orten aus wirken sehen, bilden wir die Vorstellung des Raums. Wie wir die Vorstellung der Kraft bilden, weil wir ein Wirken empfinden, so bilden wir die Vorstellung des Raums, weil wir sehen, daß dieses Wirken von verschiedenen Orten ausgeht. Wie aber der Empirist alle in ihm hervorgerufenen sinnlichen Vorstellungen für reale Dinge, für Gegenstände seines Wahrnehmens hält, so hält er auch die Vorstellung des Raumes für etwas Reales; wie die Orange, so hält er auch den Raum für einen Gegenstand seiner Anschauung und zwar für ein Ding, in welchem sich alle anderen befinden wie in einem Behältnis. Ist aber der Raum etwas für sich Bestehendes, von den wirkenden Kräften Verschiedenes, so kann er kein Gegenstand unseres Wahrnehmens sein und wir könnten keine Kenntnis von ihm haben, da wir nur wirkende Kräfte wahrnehmen, der Raum für sich allein aber keine Kraft hat um auf uns zu wirken und sich bemerkbar zu machen; und wenn er ein uns umgebendes Behältnis wäre, so wäre er außerhalb von mir, so wäre er an einem anderen Ort als ich; damit ist aber der Raum schon vorausgesetzt: es wären 2 Orte vorhanden: in dem einen wäre der Raum, in dem andern ich; aber eine Verschiedenheit der Orte ist eben Raum, diese beiden Orte sind selbst im Raum, also kann der Raum nicht an einem derselben sein und ich an einem anderen, er ist an beiden, also ist der Raum nicht außerhalb des Ortes, an dem ich bin und ich nicht an einem anderen Ort als der Raum; er ist da wo ich bin, ich bin da, wo der Raum ist, folglich ist der Raum nicht außerhalb von mir. Der Raum ist kein Ding außerhalb der Dinge, keine von den Dingen verschieden Existenz; der Ort und die von ihm ausgehenden Richtungen meines Wirkens sind in mir, untrennbar von meinem Wirken und nennt man den Ort mit seinen Richtungen Raum, so ist der Raum in mir; indem ich mich fortbewege, trage ich den Ort samt den Richtungen meines Wirkens, also den Raum, mit mir fort und indem ich einen anderen Ort wahrnehme, ist es eine andere wirkende Kraft, welche sich mir von dort aus bemerkbar macht; diese Kraft hat einen anderen Ort als ich und auch die von demselben ausgehenden Kraftrichtungen sind andere als die meinigen und so hat jedes Ding seinen eigenen Ort als Mittelpunkt seiner Kraftrichtungen, d. h. seinen eigenen Raum. Der Raum ist nur insofern objektiv als ich selbst, als die wirkenden Dinge objektiv sind; hätte er eine von diesen abgesonderte objektive Existenz für sich, so müßte man ihn den wirkenden Dingen absprechen und wir hätten dann zwei Dinge, von welchen keines sinnlich wahrgenommen werden, d. h. Gegenstand unserer Erfahrung sein kann, denn der Raum ansich ist nicht sinnlich wahrnehmbar und das raumlose Ding ebensowenig, d. h. es gäbt nichts Wahrnehmbares, wir hätten nichts wahrzunehmen, folglich keine Vorstellungen und die Erscheinungswelt wäre unerklärbar. Wir bilden die Vorstellung des Raumes, weil wir von verschiedenen Orten Wirkungen ausgehen sehen, wie wir die Vorstellung der Kraft bilden, weil wir überhaupt Einwirkungen erfahren; sowie diese Wirkungsakte die notwendig vorausgehende Bedingung sind der Vorstellung der Kraft oder des Kausalitätsbegriffs, so ist die eigentümliche Weise, daß die Wirkungsakte von bestimmten verschiedenen Orten in den denselben entsprechenden Richtungen ausgehen, die Bedingung der Vorstellung des Raums.

Ohne diese Verschiedenheit der Orte wäre nichts zu unterscheiden, hätten wir keine klaren Vorstellungen, wäre die Erscheinungswelt ein unentwirrbares Chaos und von einer Erkenntnis könnte keine Rede sein. Durch das Hier und das Dort sind die wirkenden Kräfte absolut voneinander unterschieden und unterscheidbar als dieses und jenes wirkendes Einzelding. Die Einzelheit oder die Individualität ist bestimmt durch den Ort, von welchem aus die Kraft nach allen möglichen Richtungen wirkt. Durch den Ort und die zu ihm gehörigen Richtungen ist die wirkende Kraft als dieses, von allen anderen unterschiedene Individuum bestimmt. - Ich nehme nicht nur viele solche Einzeldinge wahr, sondern finde auch durch Reflexion, daß ich selbst ein solches bin; ich bin mir bewußt, daß ich ein von allen andern unterschiedenes, von einem bestimmten Ort oder Standpunkt aus nach allen Richtungen hin wirkendes Subjekt bin; ich weiß auch, daß ich an diesem Ort von allen Seiten her Einwirkungen von Andern erfahre; das Erfahren oder das Wahrnehmen hat wie das Wirken seinen bestimmten, eigentümlichen Ort und wie die wirkende Kraft in allen möglichen Richtungen von diesem Ort auf Andere wirkt, so nimmt die wahrnehmende Kraft von allen möglichen Richtungen die Kräfte der Andern in sich auff. Durch den Ort und die ihm entsprechenden Richtungen unterscheidet sich jedes Wirkende und Wahrnehmende vom andern. -

Es können an ein und demselben Ort nicht Mehrere wirken und empfinden; es kann das Wirken eines Wirkenden nicht zu gleicher Zeit von mehreren Orten ausgehen und es kann das Empfinden eines Empfindenden nicht zu gleicher Zeit an mehreren Orten stattfinden. Somit sind alle Dinge ohne Ausnahme von verschiedenen Orten aus nach allen möglichen Richtungen hin Wirkende und von allen möglichen Richtungen her Wahrnehmende.

Daher können sie alle mit ihren Kräften zusammenkommen, aufeinander wirken und einander wahrnehmen; denn wo wäre die Grenze ihres Wirkens, wo die Schranke, welche sie in ihrem Wirken aufhält? Jede Grenze ist nur scheinbar: die Sonne scheint begrenzt, sie wirkt aber auf die Erde und bedingt das organische Leben auf ihr, jeder Stein auf der Erde wirkt mit seiner anziehenden Kraft im ganzen Weltall. Man kann die Begrenztheit der Dinge nicht dadurch festhalten, daß man sagt, sie wirken nur auf die ihnen zunächst liegenden und diese wirken dann weiter auf ihre nächste Umgebung usw., wonach also die Atome der Sonne auf die ihnen zunächst liegenden Ätheratome wirken und diese die Wirkung von der Sonne durch den Weltraum auf die Erde übertragen; denn immer sind es die Atome der Sonne (empirisch gesprochen), welche das Wachstum der Pflanzen etc. auf der Erde veranlassen - nicht die Ätheratome. Wenn ich brieflich einem Freund in Wien einen Auftrag erteile, so ist es nicht der Briefträger, welcher diesen zum Vollzug meines Auftrages veranlaßt, sondern ich, mein Wille hier in Berlin hat die Wirkung in Wien hervorgebracht. Die Grenze ist eine aus der gemeinen Empirie geschöpfte Vorstellung; im Reich des wirklich Wahrgenommenen finden wir keine Grenzen. Dieses ungetrennte Beisammensein kann im Gegensatz zu mechanischer Mengung - Durchdringung oder Durchwirkung genannt werden. Die Anziehungskraft der Erde ist in allen Teilen meines Leibes tätig, ebenso die einwirkende Kraft der Sonne etc. An denselben Orten, wo die Schwerkraft, das Licht, die Wärme tätig ist, wirkt auch die elektrische, die Kohäsionskraft etc., im Wasser durchdringen sich Wasserstoff und Sauerstoff, d. h. die Kräfte, welche die Erscheinung des Wasserstoffs bedingen, wirken auch da, wo die des Sauerstoffs wirken usw. Die richtig aufgefaßte Erfahrung lehrt uns, daß die Kräfte des einen Wesens zugleich auch an den Orten wirken, wo die der andern wirksam sind.

Da mein Wesen den Raum in sich hat, so ist auch Platz für Andere in mir und da die Andern ebenfalls den Raum in sich haben, so ist auch Platz für mich in ihnen, somit ist ein gegenseitiges Affizieren und Wahrnehmen möglich. Nur wenn die Dinge den Raum in sich besitzen, können sie sich einander gegenseitig umfassen, ist Wechselwirkung, Verbindung, Zusammenhang, ist Erkenntnis, ist Leben möglich. Die Wesen stehen mit ihren Mittelpunkten in bestimmten Entfernungen und durchwirken sich gegenseitig in den diesen Mittelpunkten eigentümlichen Richtungen und nur bei einer Durchwirkung ihrer Kräfte ist ein wahre Verbindung und einheitliches Weltganzes möglich. Ich empfange Einwirkungen von denjenigen Einzeldingen, welche die Vorstellung des Sirius in mir hervorrufen, wie könnten sie auf mich wirken, wenn sie außer mir oder wenn sie durch Grenzen von mir abgesperrt wären? Während die Monaden des LEIBNIZ unzugängliche, geschlossene, fensterlose, unendlich kleine Häuser sind, stehen die wirklichen Wesen ganz offen, von allen Seiten zugänglich, dem geselligen Verkehr keine Schranken bietend. - Aber dieses Ineinandersein oder Durchwirken darf nicht als ein Aufgehen des Einen im Andern, als ein Aufgaben des individuellen Wirkens und Wahrnehmens gefaßt werden; es ist ein rein dynamisches oder (um den dualistischen Ausdruck zu gebrauchen) geistiges Ineinandersein, welches die selbständige individuelle Existenz der Wesen nicht antastet. Ein jedes Wesen bleibt unversehrt dieses bestimmte, eigentümliche, von seinem Mittelpunkt aus in den diesem entsprechenden Richtungen wirkende Individuum und es gehen weder sein Zentrum noch seine Wirkungsrichtungen in die eines Andern über oder vermischen sich mit ihm so, daß es als solches gar nicht mehr vorhanden wäref. Das Wesen kann vielmehr aus jeder speziellen Verbindung austreten und ist nachher dasselbe Ding wie vorher, ehe es in die Verbindung eintrat. Wenn Sauerstoff (um empirisch zu reden) sich mit Eisen zu einem Oxyd verbindet, so haben die einzelnen Atome desselben ihren Ort und ihre Kräfte nicht aufgegeben, sind nicht in die Atome des Eisens übergegangen, sondern haben nur die Form ihres Zusammenseins mit dem Eisen, sie haben nur ihre Beziehungen zu demselben geändert und können aus dieser Verbindung wieder ausgeschieden und in ihrer früheren Form hergestellt werden. Gingen bei einer Verbindung die Dinge ineinander über, so daß sie ihre Individualität aufgeben, ihre Mittelpunkte und die diesen entsprechenden Kraftrichtungen verlieren, so würden sie den beiden Löwen gleichen, die sich gegenseitig auffressen, nur mit dem Unterschied, daß nicht einmal die Schwänze übrig bleiben - d. h. sie würden anstatt eine Verbindung zu bilden, sich gegenseitig vernichten. Wollte man dagegen die Dinge, um ihre Individualität zu sichern, als voneinander ausgeschlossen betrachten, so würden sie zwei Löwen gleichen, welche sich in verschiedenen Käfigen befinden und durch feste Wände voneinander abgesperrt sind: hierbei wäre aber jeder Verkehr zwischen ihnen unmöglich.

Umfassen die Wesen alles, so ist außer ihnen Nichts vorhanden, was sie erschaffen oder vernichten oder verändern könnte, so brauchen sie auch nicht durch eine außer ihnen befindliche Macht in Bewegung gesetzt zu werden, sondern alle Bewegung kann von ihnen selbst ausgehen, indem sie sich gegenseitig anregen und wahrnehmen. Umfassen sie alles, so ist jedes eine Verbindung aller, und doch unzersetzbar, unteilbar - denn wohin sollte man die (jede solche Verbindung bildenden) Wesen legen, da jedes das All erfüllt? Kein Wesen kann aus dem allgemeinen Zusammenhang heraustreten, es ist nur dann ein wirkliches Wesen, sofern es in ihm, sofern es mit allen Anderen in Verbindung ist. Die Verbindung ist ursprünglich, denn die Wesen konnten niemals auseinander oder getrennt voneinander gewesen sein, da jedes den ganzen Raum in sich hat. Der Zusammenhang eines jeden mit allen anderen ist unauflöslich, nur die Form desselben kann geändert werden und wird von den Wesen fortwährend geändert, denn in diesem Ändern besteht das Leben und von der wechselnden Form desselben hängt die verschiedene Form der physischen und psychischen Akte ab. Wollte man sich das Wesen außerhalb eines allgemeinen Zusammenhangs vorstellen, so wäre es nur als eine Möglichkeit des Empfindens und Wirkens zu denken, aber wirklich oder tatsächlich empfinden und bewegen kann es nur im Zusammenhang mit Anderen. Man kann sagen das ganze Universum ist der unvergängliche Leib des Wesens und das, was wir unseren Leib nennen, nur eine gewisse vorübergehende spezielle Form innerhalb dieses Zusammenhangs.

Umfassen die Wesen alles, so kann auch von außerhalb ihrer bedindlichen Dingen keine Rede sein, so kann es nicht zweierlei Arten von Dingen, außerweltliche und innerweltlich, geben, sondern die Welt ist ein einmütiges Ganzes gleichartiger Wesen.

Der Empirist nimmt seine Atome als unendlich klein oder auch als raumlos an und da solche diskrete Dinge nicht miteinander in Verbindung sein können, muß er noch weiter annehmen, daß sie über sich hinaus wirken. Ein solches Wirken in die Ferne, also an Orten, wo das wirkende Ding sich nicht befindet, ist unbegreiflich und die Unbegreiflichkeit wird nicht geringer, wenn man sie nur in sehr kleine oder in unendlich kleine Fernen wirken läßt, als wenn sie in Millionen Meilen großen Entfernungen wirken. Sind die wirkenden Dinge begrenzt, also durch Grenzen voneinander getrennt, so bilden sie stets nur ein loses Gemenge, niemals eine wirkliche Verbindung. Will man, um die Fernwirkung zu vermeiden, annehmen, die Dinge seien raumlose Punkte, die sich berühren, so muß man auch annehmen, daß kein Raum, keine Entfernung zwischen ihnen ist, denn voneinander entfernte Punkte können sich nicht berühren; aber raumlose Punkte in raumloser Entfernung sind nicht mehr voneinander verschieden, sondern ein einziger Punkt, dann schrumpft die ganze Welt auf einen Punkt zusammen und der Raum ist nicht erklärt. Der Empirist will sein Atom raumlos haben, um es vor der Zerteilung sicherzustellen, denn das Räumliche ist nach seiner Ansicht teilbar. Aber man zerteile doch einmal den Raum, man versuche einen einzigen Teil loszutrennen, durch welche Mittel sollte dies bewerkstelligt werden? durch Spalten, Zerbröckeln, durch eine chemische Zersetzung? Und wenn es geschehen könnte, wenn ein Teil loszubringen wäre, was wäre an der Stelle, von welcher der Teil weggenommen worden ist? wohin wollte man den abgetrennten Raumteil bringen, da doch überall schon Raum ist?

Daß das Raumlose nicht zerteilt werden kann, ist keiner ernsthaften Erwähnung wert, es ist dasselbe als wenn man sagen wollte, daß der Tote nicht getötet werden kann. Das Raumlose ist so unteilbar wie der Tote unsterblich.

Man hat in neuerer Zeit angefangen, das Atom als Krafteinheit ohne stofflichen Kern zu fassen; es ist dies jedenfalls ein Fortschritt; aber solange die Kraft für etwas Unwahrnehmbares gehalten wird, ist nicht zu erklären, wie aus lauter unwahrnehmbaren Krafteinheiten das Wahrnehmbare - nämlich die für wahrnehmbar gehaltene Erscheinung - entsteht. Soll die Einsicht, daß die Atome Krafteinheiten sind, fruchtbar sein, so muß die andere Einsicht noch hinzukommen, daß sie das sinnlich Wahrnehmbare sind. Auch der Zusammenhang läßt sich mit diesen Krafteinheiten nicht erklären, da sie, wie die stofflichen Atome, Grenzen haben, über welche sie nicht hinüber zu anderen kommen und auf sie wirken können. Läßt man sie aber hinüber wirken, dann hat man auch die Grenzen beseitigt und kann nicht mehr sagen, sie seien auf einen bestimmten Raum beschränkt. Ferner besitzen sie wie die Stoffatome, nur physikalische, bewegende Kräfte und sind daher ebensowenig wie diese zur Erklärung der Empfindung oder der psychischen Phänomene brauchbar. -

Überhaupt ist aus derartigen Atomtheorien jede Erklärung der Erscheinungen (nicht bloß der psychischen, sondern auch der physikalischen) prinzipiell unmöglich, weil ihre Atome immer wieder Erscheinungsdinge - also das, was eben erklärt werden soll - sind; es ist bei jeder solchen Erklärung das zu Erklärende schon vorausgesetzt, die Erscheinungen wollen aber erklärt, abgeleitet, auf ihre Ursachen zurückgeführt sein.

Sowie der Raum, ist auch die Zeit nichts für sich Bestehendes, nichts vom Wirken und Wahrnehmen Verschiedenes, diesem Äußerliches oder Etwas, worin das Wirkende sich befände und bewegen würde; es ist ein eben solcher Widersinn zu sagen, die Dinge sind in der Zeit, wie daß sie im Raum sind; ein Ding in der Zeit, also ein Ding, welches die Zeit nicht in sich hätte, müßte sie außerhalb von sich haben, somit müßte die Zeit zu einer anderen Zeit sein als das Ding; die Zeit wieder der Raum sind in und mit dem Wirken und Wahrnehmen zugleich, keines ist ohne das andere. Die Zeit kann auch eingeteilt werden wie der Raum, aber sie kann so wenig wie er in Teile zerteilt werden; die Dinge sind der Zeit nach ebensowenig teilbar wie dem Raum nach. Da die Zeit wie der Raum die notwendige Form des Dings ist, so kann sie nicht von ihm abgetrennt werden. So wie das Ding den ganzen Raum, so hat es auch die ganze Zeit als die Form seines Wirkens und Wahrnehmens; die Erfahrung zeigt keine Grenzen der Zeit, wie sie auch keine Grenzen des Raums zeigt; nur die empirischen Räume und Zeiten haben Grenzen, aber diese sind bloße Vorstellungen. Was gegenwärtig ist, ist es nur, insofern es Vergangenheit und Zukunft hat. Es gibt so wenig einen Zeitpunkt ohne Zeit wie auch einen Raumpunkt ohne Raum. Indem die Wesen aufeinander wirken, bewirken sie die Aufeinanderfolge ihrer Verbindungen und Zustände, aber sie selbst folgen nicht aufeinander.

Die richtig verstandene Erfahrung zeigt, daß nicht die Wesen in der Veränderung begriffen sind, sondern daß die Veränderung in den Wesen vor sich geht. Die Erscheinung tritt zu gewissen Zeitpunkten in die Zeit ein und verläßt dieselbe wieder zu gewissen Zeitpunkten, nicht aber die Wesen; jede Vorstellung hat eine gewisse Dauer, jede ist eine gewisse Zeitgröße; die Reihe unserer Vorstellungen ist daher zugleich eine Reihe von Zeitgrößen; diese Reihe ist in uns, die Zeit ist in uns, wir sind die Zeit, wie wir der Raum und die Kraft sind. Die Vorstellungen kommen und gehen, aber die Wesen, sowie der Verkehr, durch welchen dieses Kommen und Gehen bedingt ist, bleiben.

Auf der Unveränderlichkeit der Wesen beruth die allgemeine und notwendige Gültigkeit der mathematischen und physikalischen Grundvorstellungen; wir haben diese nur, weil es unveränderliche Wesen gibt, weil sie uns dazu nötigen und weil wir dieses Nötigens inne werden. Seit KANT steht fest, daß diese Begriffe nicht aus der gemeinen Empirie stammen. Der Empirist hat in seiner angeblichen Erfahrung nur Veränderungen; so weit er seine Kenntnisse ausbreiten mag, er gelangt niemals zu etwas Festem und Beständigem. Was er Materie, Stoff, Atom etc. nennt, ist Vorstellung und seine Kräfte wie seine Naturgesetze sind nichts als Begriffe, abhängig von seiner Subjektivität. Er glaubt auf dem festen Boden des Objektiven zu stehen, befindet sich aber in einem Bereich seiner veränderlichen Vorstellungen und Begriffe. Was er objektiv nennt, ist nur subjektive Vorstellung, Erscheinungf. Aus seiner Erfahrung sind anerkanntermaßen keine absolut gültigen Begriffe zu gewinnen. Die kritische Philosophie will diese Grundbegriffe aus dem subjektiven Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes erklären. Da auch sie noch in dem Vorurteil befangen ist, daß die veränderlichen Erscheinungen das Erkennbare und die wirklichen Objekte unerkennbar sind, so muß sie sich mit dem menschlichen Erkenntnisvermögen allein behelfen. Aber das bloße Vermögen zu erkennen ist und wird niemals ein wirkliches Erkennen, wenn die wirklichen Gegenstände unerkennbar sind; wo nichts Sichtbares ist, kann das beste Auge nicht sehen; man kann von Erkennen gar nicht reden ohne Bezug zu nehmen auf das Erkennbare, es besteht nur in einer Beziehung auf dieses (darum kann man auch keine Erkenntnistheorie schreiben ohne Metaphysik). Es ist unbegreiflich, wie ein Vermögen für sich allein zum Erkennen und infolgedessen zu Anschauungen und Begriffen kommen kann, es ist auch nicht einzusehen, warum es gerade solche und keine andern bilden soll und warum die einzelnen Vorstellungen gerade diese und keine anderen Eigentümlichkeiten haben.

Solange man an der Voraussetzung festhält, daß die veränderlichen Erscheinungen das allein Erkennbare sind, bleibt die absolute Gewißheit, die wir von unseren Grundbegriffen haben, unerklärbar, ja es ist überhaupt jede Erklärung der Erscheinungen, der physischen wie der psychischen, unmöglich und daher enden auch sowohl die idealistischen wie die empiristischen Systeme in der Unbegreiflichkeitslehre. Weder durch die gemeine Erfahrung, welche die Erscheinung wahrzunehmen glaubt, noch durch das Denken, welches von dieser angeblichen Wahrnehmbarkeit der Erscheinungen ausgeht, ist das Wirkliche zu erreichen; denn ein Denken, welches von einer falschen Voraussetzung ausgeht, kann überhaupt zu keinem wahren Resultat gelangen. Nur wenn es eine Erfahrung von den wirklichen Wesen gibt, nur wenn wir das Wirkliche mit unseren sinnlichen Augen schauen, ist wirkliche Wissenschaft möglich. Die Erfahrung beruth auf dem sinnlichen Wahrnehmen von Gegenständen und es ist eben die Frage, was dies für Gegenstände sind; sind die Erscheinungen diese Gegenstände, so beruth die Erfahrung auf der Wahrnehmung der Erscheinungen und das Wesen ist ihr ein für allemal verschlossen - sind aber die Erscheinungen Vorstellungen, bloße Gedankendinge - also keine sinnlich wahrnehmbaren Objekte, so kann die Erfahrung nicht auf einer sinnlichen Wahrnehmung derselben beruhen. Und da das Ergebnis vorstehender Untersuchung war, daß wir umgekehrt das, was nicht Erscheinung ist, sinnlich wahrnehmen und nur urteilen, es sei Erscheinung, wie man lange geurteilt hat, daß sich die Sonne um die Erde dreht, während in Wirklichkeit das Umgekehrte stattfindet, so ist unter Erfahrung gerade das Gegenteil von dem zu verstehen, was man bisher darunter verstanden hat, inde sie auf der sinnlichen Wahrnehmung der wirklichen Dinge - nicht der Erscheinungen beruth. Die beiden kantischen Sätze: nur in der Erfahrung ist Wahrheit - und: in der Erfahrung findet sich weder Allgemeinheit noch Notwendigkeit - widersprechen sich; denn was wäre allgemein und notwendig, wenn es das Wahre nicht wäre?

Das Wort "Erfahrung" ist hier unbewußt in einem zweifachen Sinn gebraucht; es läßt sich der Widerspruch aufheben, wenn unter "Erfahrung" im ersten Satz die wirkliche - die Erfahrung der wirklichen Dinge - und unter der im zweiten Satz die scheinbare, die gemeine Empirie, verstanden wird. In dieser gibt es keine Allgemeinheit und Notwendigkeit, dagegen in der Erfahrung, welche die unveränderlichen Wesen zu ihren Objekten hat, muß, was in einem einzigen Fall gilt, auch in allen Fällen gelten und es kann in ihr unmöglich jemals Widersprechendes oder das Gegenteil von dem geschehen, was geschieht. Es bleibt der Satz bestehen, daß nur in der Erfahrung Wahrheit ist - aber es muß unter ihr diejenige verstanden werden, welche im Anschauen und Empfinden der ewigen allumfassenden Wesen besteht (2). Nur wenn die ewigen Ursachen alles Geschehens anschaulich erkennbar sind, kann die Überzeugung vom Vorhandensein ewiger Gesetze begründet und gerechtfertigt werden, ist eine gegründete Einsicht möglich, haben unsere Forschungen ein sicheres Fundament, nur dann kann die Notwendigkeit in den Naturvorgängen erklärt und eingesehen werden, warum wir mit Gewißheit vorauszusagen vermögen, daß bestimmte Erscheinungen auf bestimmte vorhergehende folgen. Sowie die Mathematik nur deswegen eine absolute Gewißheit gewährt, weil ihre Größen anschaulich sind, so kann die Philosophie nur dann zu unzweifelhafter Gewißheit gelangen, wenn sie erkannt hat, daß die Wesen, mit denen sie sich beschäftigt, ebenso anschaulich sind wie die Größen der Mathematik. Die Erkenntnis, daß der gerade Weg zwischen zwei Punkten der kürzeste ist, wird durch ein unmittelbares Anschauen, die, daß es wirkende Kräfte gibt, durch unmittelbares Empfinden gewonnen. Wer nie räumlich und zeitlich Wirkendes geschaut und empfunden hat, den könnte man durch nichts vom Vorhandensein desselben überzeugen und die Vorstellungen von Raum, Zeit und Kausalität wären ihm unmöglich zu bilden - wer es geschaut und empfunden hat, der braucht keine Demonstration, keinen Beweis dafür und muß notgedrungen die genannten Vorstellungen bilden. Durch das Denken kommt man nicht zum Wahrnehmen eines Objekts, sondern zum Bewußtsein, daß wir es wahrnehmen. Das menschliche Denken ist ein Reflektieren über das sinnliche Wahrnehmen und dessen Objekte und dieses Reflektieren ist selbst ein Wahrnehmungs- und Bewegungsprozeß zwischen dem Ich und den die Erscheinung des Nervensystems hervorrufenden Wesen. Es gibt in der ganzen Welt nichts Anderes als Wahrnehmbares (d. h. Wirkendes) und Wahrnehmendes. Jedoch das Wahrnehmen eines Objekts ist für sich allein genommen ein bloßes Anstarren ohne Verständnis; das Tier, das Kind nimmt wahr, hat sinnliche Empfindungen und Anschauungen, aber kein Verständnis derselben, es fehlt ihm der klare Verstand, das Urteil. Das Denken, die Reflexion muß zum sinnlichen Wahrnehmen hinzukommen, wenn klare Erkenntnis entstehen soll. Weder das Urteil allein noch die sinnliche Wahrnehmung allein ist Erkenntnis - diese ist durch das urteilende Denken zu einem klaren Verständnis gebrachte sinnliche Wahrnehmung. Wir müssen uns durch das Denken zu klarem Bewußtsein bringen, daß wir schon vor allen Vorstellungen die räumlich und zeitlich wirkenden Wesen wahrnehmen und alle unsere Begriffe aus dem Wahrnehmen entnehmen. Die Begriffe von Raum, Zeit und Kausalität sind allerdings a priori, d. h. wir haben sie nicht aus der gemeinen Empirie, aber wir haben sie auch nicht aus dem Denken, welches von der falschen Voraussetzung ausgeht, daß diese Empirie eine wahre Erfahrung ist, sondern aus derjenigen Erfahrung, welche dieser vorausgeht und wir müssen uns durch das Denken zu Bewußtsein bringen, daß wir eine solche (a priori'sche) Erfahrung haben.


Das sinnliche Wahrnehmen ist die Grundlage, von der alles Denken überhaupt und das philosophische insbesondere ausgehen muß, denn das menschliche Denken entfaltet sich erst infolge der Anregungen, die wir im sinnlichen Wahrnehmen empfangen. Es ist daher notwendig, daß man vor allem diese Grundlage untersucht und klar macht, denn nur wenn man eine klare und richtige Vorstellung von ihr hat, können klare und richtige Gedankensysteme auf ihr errichtet werden. Die erste zur Klarstellung derselben erforderliche Frage ist aber: was nehmen wir wahr? (denn es gibt nur dann, wie schon gesagt, ein Wahrnehmen, wenn ein Wahrnehmbares vorhanden ist; das Wahrnehmen kann nur stattfinden, insofern etwas wahrgenommen wird. -) Die Beantwortung dieser Frage war die Aufgabe der gegenwärtigen Untersuchung und sie wurde dahin beantwortet, daß es das Wesen ist, was wir wahrnehmen; wir nehmen die Wesen überall und zu jeder Zeit mit allen unseren Sinnen (mit bloßen und mit durch die Anwendung von Instrumenten verschärften) wahr; wir haben sie kennen gelernt ihrer inneren Beschaffenheit nach als wirkende und empfindende Kräfte, als die Prinzipien der Kausalität und Intelligenz - ihrem Umfang oder ihrer Form nach als schrankenlose Raum- und Zeitgrößen, als Größen, welche den Raum und die Zeit umfassen; wir haben sie kennengelernt als individuelle, besondere, unterscheidbare Einzeldinge mit ihren örtlich verschiedenen Mittelpunkten und den diesen zugehörigen verschiedenen Richtungen ihres Wirkens und Wahrnehmens, sowie als allgemeine Konkretionen oder kosmische Verbindungen, als universale Existenzen, indem sie sich mit ihren Kräften wechselseitig durchdringen, und es ist dargelegt worden, daß sie durch diesen gegenseitigen Wechselverkehr eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen in ihrem Innern hervorrufen, welche wir Erscheinungen nennen, womit also auch die Erscheinungen, die physischen wie die psychischen, auf ihre Ursachen zurückgeführt - folglich erklärt sind. Diese Ursachen sind beschrieben worden wie z. B. der Botaniker eine Pflanze beschreibt; wie dieser die wesentlichen Merkmale der Pflanze aufzeigt, so wurden die wesentlichen Merkmale der Ursachen nachgewiesen und wie der Botaniker die Gewißheit vom wirklichen Vorhandensein der Merkmale der Pflanze aus der (von ihm vorausgesetzten) sinnlichen Anschauung derselben hat, so wurde auch der Nachweis vom Vorhandensein der wesentlichen Tätigkeiten der Ursachen durch die sinnliche Anschauung geliefert. Aber da die Pflanze mit ihren Eigenschaften eine Erscheinung, also eine Wirkung ist, so fordert sie als solche eine Ableitung aus ihren Ursachen und diese überläßt der Botaniker dem Metaphysiker. Anders verhält es sich bei der Beschreibung der Ursachen der Erscheinungen; hier fällt die Forderung einer Ableitung aus Ursachen ganz weg, weil Ursachen nicht wieder Ursachen haben können, da sie sonst keine Ursachen, sondern Wirkungen von Ursachen (d. h. Erscheinungen) wären (3).

Hiermit ist die Grundlage des philosophischen Denkens festgestellt. und seine Aufgabe besteht darin, vor allem die den sinnlich wahrgenommenen Wesen adäquaten Vorstellungen und Begriffe zu bilden, um dadurch zu einem klaren Bewußtsein, zu einem deutlichen Verständnis derselben zu gelangen, dann die Wesen in ihren mannigfaltigen Zusammenhangsformen und fortschreitenden Entwicklungen immer klarer und vollständiger kennen zu lernen, sowie auch jene Erkenntnisse zu vermitteln, welche durch unmittelbare Anschauung nicht gewonnen werden können.

Die hier entwickelte Anschauung steht im diametralen Gegensatz zur bisher bestehenden. Alle bisherige Philosophie (sowohl die empiristische und realistische wie auch die idealistische und subjektivistische) geht von dem Satz aus, daß wir die Erscheinung wahrnehmen und daß dagegen das Wirkliche oder das Wesen sinnlich unwahrnehmbar sind. - Wenn man bedenkt, wie verlockend es ist, die eigenen Empfindungen für objektiv bestehende Dinge zu halten, wie zudringlich der Schein ist, daß das Süße geschmeckt, die Röte gesehen, das Bild im Spiegel wahrgenommen wird etc., so ist es wohl begreiflich, warum man so geneigt ist, den Erscheinungen eine sinnliche Wahrnehmbarkeit zuzuschreiben, warum die Menschen in den ältesten Zeiten in der Kindheit ihrer Entwicklung, wo das kritische Urteil noch nicht geschärft war, diesem Schein folgten und warum diese Meinung auch noch heutzutage die verbreitetste ist.

Aber man muß bedenken, daß schon Manches für sichere Wahrheit gehalten wurde, was sich bei genauer Untersuchung als falsch herausgestellt hat und daß die ältesten und weit verbreitetsten Anschauungen nicht immer die richtigsten - ja daß sie oft die unreifsten sind (auch können in der Wissenschaft keine Rechte durch Verjährung erworben werden, wie in der bürgerlichen Gesellschaft). Und die Meinung, daß wir das wahre Wesen nicht erkennen können, beruth auf der geringen Wertschätzung, welche die große Masse der Menschen zu allen Zeiten und auch gegenwärtig von sich hat. Weil der gewöhnliche Mensch seine oft das Unmögliche verlangenden Wünsche nicht sofort und mühelos realisieren kann, so hält er sich für beschränkt und schwach und somit auch unfähig zu wirklicher Erkenntnis (die gleiche niedrige Ansicht von der eigenen Würde hat er auch im Ethischen: weil er seine Leidenschaften nicht zu beherrschen weiß, hält er sich für unselbständig, für den Sklaven fremder Mächte und somit unfähig zu wahrhaft sittlichem Handeln). Aber obwohl diese niedrige Meinung von unseren Fähigkeiten eine althergebrachte und allgemein verbreitete ist und obwohl nicht geleugnet werden kann, daß wir in unserem Streben oft auf Hindernisse und Schwierigkeiten stoßen, die unübersteiglich zu sein scheinen, so gibt uns dies doch nicht das Recht, dieselbe als eine ausgemachte Wahrheit hinzunehmen, weil es möglich wäre, daß wir diese Schwierigkeiten nicht wegen Mangels an eigener Kraft, sonder nur wegen zeitweiliger und vorübergehender ungünstiger Verhältnisse nicht zu überwinden vermögen da es ja Fälle gibt, wo Entdeckungen gemacht wurden, die Jedermann für unmöglich gehalten hat. Der oben genannte Satz, von welchem die bisherige Philosophie ausgeht, ist aus der durch vieljährige Gewohnheit, durch Vererbung und Erziehung mit unserer ganzen Denkweise verwobenen Anschauung entnommen, ohne daß vorher untersucht worden wäre, ob diese richtig ist. Er ist also dogmatisch.

Der Zweck der vorstehenden Abhandlung war, dieses Dogma zu untersuchen und es wurde gefunden, daß dasselbe einen Widerspruch enthält, denn die Erscheinung (bzw. die Vorstellung) kann nicht das Wahrgenommene sein, weil sie erst entsteht, nachdem etwas wahrgenommen worden ist; es wurde gefunden, daß nicht das Wirkliche ein unserer anschaulichen Erkenntnis Unzugängliches, nur als Gedankending Erfaßbares ist, sondern im Gegenteil die Erscheinung; daß nicht die Erscheinung wahrgenommen und das Wirkliche vorgestellt wird, sondern daß das Wirkliche das Wahrgenommene - die Erscheinung dagegen unwahrnehmbar ist und daß es nur infolge eines falschen Urteils geschieht, wenn wir die Erscheinung für etwas sinnlich Wahrgenommenes halten. - Das als Ausgangspunkt der bisherigen Philosophie angenommene Dogma von der Wahrnehmbarkeit der Erscheinungen und der Unwahrnehmbarkeit der Wesen erweist sich also als ein falsches Urteil.

In den mir bis jetzt zu Gesicht gekommenen Beurteilungen meiner neueren Schriften ist dieser prinzipielle Gegensatz meiner Anschauung zu den bestehenden nicht erfaßt worden; ich habe ihn daher hier in entschiedenster Weise dargelegt und damit, wie ich hoffe, den Kernpunkt meiner Lehre so deutlich gemacht, daß künftige Beurteilungen ihren kritischen Blick auf diesen richten können.

Wohl kann man auch die Sache durch Stillschweigen umgehen und sich auf eine solche Untersuchung gar nicht einlassen; allein es ist die Frage, ob dies auf die Länge durchführbar ist, da gerade gegenwärtig das niemals ganz zu unterdrückende Gefühl sowohl der Erkenntnismöglichkeit des Wirklichen als des Bedürfnisses einer solchen Erkenntnis immer deutlicher hervortritt und man doch endlich, wie ich glaube, überdrüssig wird, die vom Empirismus immer wiederholte und vom Idealismus ebenso oft widerlegte Behauptung, daß die Erscheinung etwas Wirkliches ist, anzuhören.
LITERATUR: Maximilian Drossbach, Eine Untersuchung über die Wahrnehmbarkeit der Erscheinungen und die Unwahrnehmbarkeit der Wesen, Philosophische Monatshefte, Bd. 11, Leipzig 1875
    Anmerkungen
    1) Die Annahme eines Ortes ohne den Raum ist wie die eines Raumes ohne Ort eine Abstraktion, welche von den beiden realiter untrennbaren Prädikaten "Ausgedehntsein und einen Ort einnehmen" das eine festhält, während sie das andere völlig beseitigt. Des Leibniz Monadenlehre wie auch die Annahme Herbarts einfacher realer Wesen involviert den Fehler, die nur in der Abstraktion bestehende Trennbarkeit beider Prädikate für real zu nehmen (vgl. Überwegs "System der Logik", § 77).
    2) Was man gegenwärtig als Positivismus (oder auch Wirklichkeitsphilosophie) bezeichnet, ist Empirismus und dieser unterscheidet sich, wie gesagt, vom Subjektivismus nur dadurch, daß er die Erscheinungen für wirkliche Dinge hält, während der Subjektivismus unwiderleglich darlegt, daß sie Vorstellungen sind. Was vom Positivismus als Wirkliches behauptet wird, ist Erscheinung, also Vorstellung und die Kräfte und die Naturgesetze sind Begriffe, also wieder Vorstellungen, wie beim Empirismus.
    3) Wollte man aber doch nach irgendwelchen Ursachen dieser Ursachen fragen, so müßte erst die Möglichkeit dargelegt werden, daß Ursachen wieder Ursachen haben können. Und auch angenommen, daß eine solche Möglichkeit vorhanden wäre, so könnte man doch nicht zu einer letzten Ursache gelangen, weil man niemals bestimmen könnte, welche die letzte wäre, da die Möglichkeit, eine Ursache zu haben, bei der letzten ebenso angenommen werden müßte wie bei der ersten. - - - Wohl aber kann man fragen, warum die Wesen nicht ruhig nebeneinander verharren, sondern in einem fortwährenden gegenseitigen Bewegung und Wahrnehmen begriffen sind; diese Frage ist berechtigt, aber sie greift über das erkenntnistheoretische Gebiet hinaus in das ethische, in das Gebiet der freien Selbstbestimmung und muß auf diesem ihre Lösung erwarten.