ra-2A. Schäfflevon EhrenfelsA.LiebertG. Myrdal    
 
HEINRICH COHN
Die subjektive Natur des Wertes
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    § 1. Der Begriff "Gut"
§ 2. Der Begriff "Wert"
§ 3. Verhältnis der Begriffe Wert und Gut.
§ 4. Die Bildung des Werturteils
§ 5. Der Tausch
§ 6. Die objektiven Werte
§ 7. Preis und Wert
§ 8. Angebot und Nachfrage
§ 9. Preis und Herstellungskosten

"Ohne die individuelle Verschiedenheit der Bedürfnisse, ohne die verschiedenartige, subjektive Schätzung der Gegenstände nach ihrer Tauglichkeit, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wäre es nicht möglich, daß ein Tausch zustande käme. Denn wenn allen Menschen dieselben Sachen lieber wären, würde der, welcher im Besitz der Sache ist, sie nicht fortgeben wollen. Müller hat einen Apfel, aber eine Birne ist ihm lieber. Schulze hat eine Birne, die ihm weniger wert erscheint, als der Apfel. Diese Verschiedenheit ihrer Werturteile gereicht beiden zum Vorteil, beide gelangen damit zu ihrem Ziel, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse."

"Der Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert liegt die (oft unbewußte) Annahme eines objektiven Wertes zugrunde. Man denkt sich den Gebrauchswert im wesentlichen durch die Person des Besitzers bestimmt, den Tauschwert an den Dingen selbst haftend. Daß es seinen solchen Wert der Dinge ansich nicht gibt, zeigt sich am deutlichsten bei Wertpapieren. Ohne daß sich die Verhältnisse eines Unternehmens oder eines Staates ändern, werden die Aktien des Unternehmens oder die Schuldverschreibungen dieses Staates im Laufe weniger Tage um viele Prozente verschieden bewertet."

"Die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert gründet sich darauf, daß Gegenstände sehr häufig für ihren Besitzer einen anderen Wert haben, als voraussichtlich im Tausch; verschiedene Bewertung ist indessen kein Grund, hier zwei verschiedene Phänomene anzunehmen. Es handelt sich vielmehr um  dieselbe Werterscheinung, deren subjektive Natur ja geradezu voraussetzt, daß der Wert der Dinge mit den Personen wechselt, in deren Machtbereich sie liegen  und daß er auch bei demselben Menschen wechselt, je nach der Stimmung, in der er sich befindet."

"Tatsache und Umfang sind nichts begrifflich Verschiedenes; jede Tatsache setzt einen bestimmten Umfang voraus, wenn der Mensch ein Bedürfnis hat, so hat er ein konkretes, seinem Umfang nach bestimmtes Bedürfnis - nicht nach einem abstrakten Ding, genannt Nahrung oder Fleisch, sondern nach einer bestimmten Quantität Fleisch."


§ 5.
Der Tausch

Dem Streben eines Menschen nach Befriedigung seiner Bedürfnisse steht häufig nur der Umstand entgegen, daß die Gegenstände, welche geeignet sind, als Mittel zur Befriedigung zu dienen, sich in anderen Händen befinden. Im Urzustand der Menschheit nahm der Stärkere sie dem Schwächeren fort; im Kulturzustand, in welchem der Besitz gesetzlichen Schutz genießt, bleibt demjenigen, welcher ein in den Händen des anderen befindliches Gut erhalten will, nichts anderes übrig, als ein in seinem Besitz befindliches Gut dafür hinzugeben, das ihm selbst weniger wertvoll als das zu erringende, dem anderen dagegen wertvoller erscheint. (1) Dieser sich täglich unendlich oft wiederholende Vorgang, auf dem das ganze Verkehrsleben der menschlichen Gesellschaft beruth, heißt der Tausch. Ohne die individuelle Verschiedenheit der Bedürfnisse, ohne die verschiedenartige, subjektive Schätzung der Gegenstände nach ihrer Tauglichkeit, diese Bedürfnisse zu befriedigen, wäre es nicht möglich, daß ein Tausch zustande käme. Denn wenn allen Menschen dieselben Sachen lieber wären, würde der, welcher im Besitz der Sache ist, sie nicht fortgeben wollen. MÜLLER hat einen Apfel, aber eine Birne ist ihm lieber. SCHULZE hat eine Birne, die ihm weniger wert erscheint, als der Apfel. Diese Verschiedenheit ihrer Werturteile gereicht beiden zum Vorteil, beide gelangen damit zu ihrem Ziel, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse.

Das Verhältnis von Apfel und Birne erscheint hier in doppeltem Licht, auf der einen Seite ist der Apfel mehr wert als die Birne, auf der anderen weniger. Apfel und Birne sind hierfür nicht verantwortlich zu machen, ihre Eigenschaften bleiben dieselben, ob MÜLLER sie ansieht oder SCHULZE. Die Schuld kann also nur an MÜLLER und SCHULZE liegen. Die Tatsache, daß bei der Wertbestimmung nicht die Eigenschaften der Sache, sondern allein die Individualität des Menschen entscheidend ist, gelangt also beim Tausch zum klarsten Ausdruck.

Trotzdem ist diese Tatsache häufig verkannt worden, wo der Gesichtspunkt der individuellen Verschiedenheit der Menschen nicht genügende Beachtung fand. Man betrachtete immer nur die Sache, man fand, daß sie im Tausch einen anderen Wert hat als im Gebrauch und so entstanden die Gegensätze Tauschwert und Gebrauchswert. Und da der Tausch die Grundlage des gesamten Verkehrs bildet, während der Gebrauch einer Sache sich der öffentlichen Betrachtung eher entzieht, trat bald der Gebrauchswert als das unwesentlichere zurück und die wissenschaftliche Forschung nahm sich hauptsächlich des Tauschwertes an. MÜLLER liegt an dem Apfel, den sie hat, gar nichts, sie will den Apfel nicht essen, der Apfel hat für sie also gar keinen unmittelbaren Wert. Sie kann aber den Apfel gegen die Birne des Herrn SCHULZE eintauschen, an der ihr gelegen ist. Der Apfel hat also im Tausch oder schon durch die Möglichkeit des Tausches einen ganz anderen Wert für sie erlangt, als bevor diese Möglichkeit gegeben war. In dieser Tatsache liegt die Verleitung zu dem Trugschluß, daß der Apfel einen besonderen vom Subjekt, dem Menschen, unabhängigen Wert habe, der im Tausch offenbar wird. Der Tauschwert, den der Apfel hat, das ist indessen nichts anderes als der Wert, den er für SCHULZE hat und durch diesen Wert, den er für SCHULZE hat, erlangt er mittelbar größeren Wert auch für MÜLLER, weil sie ihm mittelbar zur Befriedigung ihres Wunsches nach der Birne verhilft. Aber trotzdem wird für MÜLLER dadurch der Wert des Apfels nicht gleich dem der Birne, die Birne bleibt ihm immer lieber, denn sonst würde er den Apfel dafür nicht hingeben. Es ist daher irrig, den Schluß zu ziehen: Da Apfel gegen Birne eingetauscht wir, ist der Tauschwert des Apfels gleich dem der Birne. Gerade die Verschiedenartigkeit ihrer Bewertung hat erst den Tausch zuwege gebracht.

Durch den Tausch lernen die Menschen die Bedürfnisse anderer Menschen kennen und sie lernen dann die Gegenstände nicht mehr allein danach beurteilen, ob sie die eigenen Bedürfnise, sondern auch ob sie die Bedürfnisse anderer Menschen zu befriedigen imstande sind. Aber immer bleibt die Befriedigung des eigenen Bedürfnisses das Ziel, immer erhält der Gegenstand, der kein eigenes Bedürfnis befriedigen kann, nur durch die Überlegung Wert, daß man für ihn einen anderen im Wege des Tausches erhalten kann, den man zur Befriedigung seines Bedürfnisses braucht.

Das Hauptbeispiel einer solchen durch Reflexion erzeugten Wertbestimmung ist der Wert des Geldes. Der Wert, den das Geld hat, ist von denen, welche Tauschwert und Gebrauchswert als Gegensätze hinstellen, als bestes Beweisstück angesehen worden, denn der Gebrauchswert des Geldes steht in keinem Verhältnis zum Tauschwert. Die Tatsache, daß der unmittelbare Gebrauchs- oder Genußwert oder wie man sonst die Eigenschaft nennen will, unmittelbar zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu dienen, nicht dasjenige ist, was den Wert des Geldes ausmacht, kann nicht bestritten werden. Aber diese Tatsache beweist nichts für die Notwendigkeit, einen besonderen Tauschwert anzunehmen. Im Gegenteil zeigt gerade der Wert des Geldes, wie wenig die Eigenschaften einer Sache den Dingen Wert verleihen und wie es der Mensch ist, der den Wert schafft.


§ 6.
Die objektiven Werte

Der Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert liegt die (oft unbewußte) Annahme eines objektiven Wertes zugrunde. Man denkt sich den Gebrauchswert im wesentlichen durch die Person des Besitzers bestimmt, den Tauschwert an den Dingen selbst haftend. Daß es seinen solchen Wert der Dinge ansich nicht gibt, zeigt sich am deutlichsten bei Wertpapieren. Ohne daß sich die Verhältnisse eines Unternehmens oder eines Staates ändern, werden die Aktien des Unternehmens oder die Schuldverschreibungen dieses Staates im Laufe weniger Tage um viele Prozente verschieden bewertet. Wenn jetzt zum Beispiel beim Ausbruch des spanisch-amerikanischen Krieges die italienische Rente einige Prozente zurückging, so hatten sich tatsächlich die Verhältnisse der italienischen Rente nicht geändert. Geändert hatte sich nur die Stimmung vieler Besitzer italienischer Rententitel. Durch ihre Verluste an die Spanier war sie "flau" (2) geworden; sie werteten Papiere im Verhältnis zum Geld geringer, der "Tauschwert" der Italiener ging zurück. Gibt es selbst bei einem so abstrakten Ding wie einem Wertpapier keinen Wert ansich, sondern variiert auch dessen "Tauschwert" unaufhörlich, so ist natürlich ein solches Schwanken des Wertes umso mehr bei anderen Waren und Gegenständen festzustellen.

Die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert gründet sich darauf, daß Gegenstände sehr häufig für ihren Besitzer einen anderen Wert haben, als voraussichtlich im Tausch; verschiedene Bewertung ist indessen kein Grund, hier zwei verschiedene Phänomene anzunehmen. Es handelt sich vielmehr um  dieselbe Werterscheinung, deren subjektive Natur ja geradezu voraussetzt, daß der Wert der Dinge mit den Personen wechselt, in deren Machtbereich sie liegen  und daß er auch bei demselben Menschen wechselt, je nach der Stimmung, in der er sich befindet.

Der "Gebrauchswert" ist der Wert für den  jetzigen  Besitzer der Sache, der Tauschwert der Wert für den Käufer. Da dieser nicht bekannt ist, müssen wir ihn uns als normalen Durchschnittsmenschen denken und dadurch erhält der Tauschwert oder richtiger der Wert für den vermutlichen Ersteher eine scheinbar objektive, d. h. im Gegenstand selbst beruhende Grundlage. Der Durchschnittsmensch ist aber ebensowenig eine Wirklichkeit wie die Durchschnittstemperatur. Kommt es zum Abschluß eines Geschäfts, so sieht man, daß auch der Käufer keine Abstraktion, sondern ein Mensch ist; mit allen Eigenheiten, Schwächen und Besonderheiten einer Individualität.

Das allgemeine Landrecht unterscheidet gemeinen Wert, den eine Sache für jeden Besitzer hat und außerordentlichen Wert, den sie unter gewissen Bestimmungen oder Verhältnissen hat, wobei das Gesetzbuch zweifellos davon ausgeht, daß der außerordentliche Wert keinesfalls niedriger sei als der gemeine, (3) ebenso wie bei der Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert der Tauschwert als eine normale Größe gedacht ist, zu der beim Gebrauchswert noch ein Mehrwert hinzukommt. Beim freihändigen Verkauf (im Gegensatz zur Expropriationen [Enteignung - wp] oder Entschädigungen) muß indessen nach dem Urteil des Verkäufers der Wert für den Käufer (Tauschwert) notwendig größer sein, als der für den Verkäufer (Gebrauchswert), da es andererseits nicht zum Verkauf hätte kommen können. Wenn ich eine Bronzestatue für 100 Mark verkaufe, so sind mir die hundert Mark lieber, als die Statue, sonst hätte ich sie nicht verkauft.

NEUMANN (4) versucht einen Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Werten in der Weise zu konstruieren, daß er den subjektiven Wert auf gewisse Personen und die Gesamtheit ihrer Bedürfnisse bezieht, während der objektive Wert, von gewissen Personen absehend, bestimmten Bedürfnissen als solchen entspreche. Er nennt eine ganze Anzahl derartiger objektiver Werte: Heizwert, Nährwert, Dungwert usw. NEUMANNs subjektiver Wert ist identisch mit dem, was wir Wert nennen, sein objektiver Wert aber erhebt die Tauglichkeit der Dinge, bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen, zu einem selbständigen Wert. Ein solcher Wert könnte vielleicht anerkannt werden, wenn es Dinge gäbe, die unter allen Umständen und zu jeder Zeit benutzt würden, ein bestimmtes Bedürfnis zu befriedigen; das würde wieder zur Voraussetzung haben, daß dieses Bedürfnis jederzeit und unter allen Umständen gleich empfunden wird. So lange indessen die Frage der Tauglichkeit einer Sache vom Urteil des Menschen abhängt, kann man die Tauglichkeit nicht als gleichberechtigt mit dem Urteil des Menschen hinstellen. Was also NEUMANN als objektiver Wert erscheint, das sind physikalische oder andere Eigenschaften, welche geeignet sind, das Werturteil zu beeinflussen, aber diesen Einfluß doch nicht immer und überall ausüben, und nirgends in gleichem Maße. Versteht man unter Heizwert oder Nährwert indessen ein Mehreres, soll dieser Wert außer den physischen Eigenschaften der in Betracht gezogenen Tiere, Holzarten usw. schon ihre wirtschaftliche Bedeutung markieren, soll also  Heizwert  nicht identisch sein mit  Heizkraft,  so tritt das subjektive Moment des (wirtschaftlichen) Wertes sofort wieder zutage, in diesem Sinne kann man vom Nährwert von Schweinefleisch im Orient oder vom Heizwert des Holzes in tropischen Ländern, nicht sprechen.

Ebenso liegt der von JULIUS WOLF (5) gemachten Unterscheidung zwischen allgemeinem und selbständigem Wert, welcher gegenüber der Tatsache der Begehrung konstatiert wird und dem speziellen abhängigen Wert, welcher konstatiert wird gegenüber dem Umfang der Begehrung, die instinktive Unterscheidung von subjektivem und objektivem Wert zugrunde. Tatsache und Umfang sind nichts begrifflich Verschiedenes; jede Tatsache setzt einen bestimmten Umfang voraus, wenn der Mensch ein Bedürfnis hat, so hat er ein konkretes, seinem Umfang nach bestimmtes Bedürfnis - nicht nach einem abstrakten Ding, genannt Nahrung oder Fleisch, sondern nach einer bestimmten Quantität Fleisch. Deshalb findet WOLF fälschlich einen Widerspruch darin, daß ich sage, fünf Pfund Fleisch, die ich zuviel besitze, haben für mich keinen Wert, während ich zugleich mit Rücksicht auf fünf Pfund Fleisch, die ich benutzt habe, sage: Fleisch hat Wert, die ersten fünf Pfund haben eben für mich Wert, die zweiten haben  für mich  keinen Wert, so meine ich damit nicht für andere Personen und unter anderen Umständen. Indirekt als Tauschobjekt dann auch für mich. Daß aber auch hier, wenn auch unbewußt, der Gedanke an einen objektiven Wert der Vater der Unterscheidung ist, ergibt sich aus der Bemerkung, daß das Fleisch "Wertträger" sei. In Wirklichkeit ist kein Objekt Wertträger, keines besitzt Wert an sich, der Wert beruth lediglich auf der Beziehung des Objekts zu den Bedürfnissen gewisser Personen, Wertträger ist die Notwendigkeit zwischen der Befriedigung mehrerer Bedürfnisse zu wählen, die Notwendigkeit zu "wirtschaften".


§ 7.
Preis und Wert

Wenn der Tausch vollzogen ist, dann haben die beiden Wertbestimmungen, die seine Grundlage bildeten, zu einem äußerlich erkennbaren Abschluß geführt; durch Verzicht auf einen Gegenstand haben wir einen anderen erhalten, welchen wir als Preis zu bezeichnen pflegen. (6)

Da der Preis nur die äußere Erscheinungsform des Wertes ist, so kann es eine Differenz zwischen Wert und Preis nicht geben; eine Sache kann weder über noch unter ihrem Wert fortgegeben werden. Trotzdem begegnet man ähnlichen Redewendungen, wie: "diese Sache ist bedeutend über ihrem Wert bezahlt worden" sehr häufig. Darunter ist nichts anderes zu verstehen, als: der Käufer hat ihr einen bedeutend höheren Wert beigelegt, als eine große Anzahl Menschen es tun würden.

Würde bei der Wertbestimmung der eine Faktor konstant bleiben, würde beispielsweise das Geld, das ja als allgemeiner Wertmesser angesehen wird, für alle Menschen von gleichem, unveränderlichem Wert sein, dann würde ein Wertverhältnis nur durch die verschiedene Schätzung des mit dem Geld zu vergleichenden Gegenstandes bestimmt werden. Dann würde beispielsweise der Wert des Eisens dem Geld gegenüber lediglich von der Schätzung der Qualität des Eisens als Mittels zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse abhängig sein, und  a  Einheiten Eisen würden bald mehr bald weniger wert sein, als  b  Einheiten Geld, je nachdem die Qualität des Eisens mehr oder weniger geschätzt wird. Es gibt indessen keinen solchen konstanten Faktor, der die Wertbestimmung in dieser Weise vereinfachen könnte. Auch der Wert des Geldes ist, wie wir oben bereits hervorgehoben haben, keineswegs gleichmäßig und feststehend. Die Wertbestimmung wird daher immer durch die Schätzung der Qualitäten zweier Gegenstände beeinflußt. Treten einander im Tausch zwei Wertbestimmungen gegenüber, so haben vier Faktoren gewirkt:
    a) SCHULZEs Bedürfnis nach Eisen,
    b) SCHULZEs Bedürfnis nach Geld,
    c) MÜLLERs Bedürfnis nach Eisen,
    d) MÜLLERs Bedürfnis nach Geld.
Wenn sowohl MÜLLER als SCHULZE  x  Einheiten Eisen für zweimal so viel wert halten als  y  Einheiten Geld, dann wird ein Tausch überhaupt nicht zustande kommen. Wenn beide ein gleiches Bedürfnis nach Geld haben, so kann ein Tausch nur zustande kommen, wenn sie das Eisen in verschiedenem Maße begehren und umgekehrt. - Dem endlichen Ergebnis der Abschätzung dieser vier Faktoren, dem Preis, kann man nicht mehr ansehen, welche einzelne Schätzungsdifferenz schließlich den Ausschlag gegeben hat; derselbe Preis kann zustande kommen, wenn SCHULZE das Eisen stärker begehrt hat als MÜLLER oder wenn er nach Geld weniger Bedarf hat als dieser.

Wenn also MÜLLER für sein Eisen von SCHULZE mehr Geld erhalten hat, als er voraussichtlich von den meisten Menschen erhalten hätte, so ist die landläufige Redensart, daß der Preis des Eisens seinen Wert überstiegen habe, entweder darauf zurückzuführen, daß SCHULZE dem Eisen mehr Wert beilegt oder daß er dem Geld geringeren Wert beilegt, als hundert andere. Der Preis ist in beiden Fällen der richtige Ausdruck des Verhältnisses, in welchem SCHULZE Eisen und Geld als Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse schätzt. Reichere Leute sind geneigt, Gegenständen mehr Wert beizulegen, als Ärmere es tun, weil sie das Geld, mit dem die Gegenstände verglichen werden, geringer schätzen; umgekehrt verlieren bei hereinbrechender Not eine große Anzahl von Gegenständen, die man als Zierde und Schmuck des Hauses hochhielt, an Wert und werden veräußert, nicht etwa deswegen, weil man an ihrem Anblick weniger Freude hätte als früher, sondern weil sich das Verhältnis geändert hat, in welchem man sie zum Geld schätzt, weil man dem Geld jetzt im Verhältnis höheren Wert beilegt, als dem Mittel, andere, dringendere Bedürfnisse zu befriedigen. Der Besitzer eines wertvollen Gemäldes wird durch hereinbrechende Not gezwungen, dieses Gemälde zu veräußern. Es findet sich ein Käufer, der 3000 Mark für das Bild bietet. Der Besitzer schätzte früher den Wert des Bildes viel höher und es waren ihm einmal 5000 Mark geboten worden. In früheren, besseren Zeiten würde er daher das Angebot gar nicht beachtet haben; nun aber kann er vom Käufer einen höheren Preis nicht erhalten, andere Reflektanten [mögliche Käufer - wp] sind, da die Zeiten schlecht sind, nicht zu erwarten. Der Besitzer verkauft deshalb das Bild für 3000 Mark. Ist nun der Preis hinter dem Wert des Bildes zurückgeblieben? Nein, sondern der Wert des Bildes ist gesunken und diese Tatsache lediglich ist im Preis konstatiert. (7) Daß aber der Wert des Bildes gesunken ist, daran ist das Bild unschuldig, keine der Eigenschaften hat sich verändert, die einst den Besitzer erfreuten; das Bedürfnis nach Geld hat beim Besitzer zugenommen und dadurch ist der Wert des Bildes für ihn im Verhältnis gesunken. Der Wert des Bildes ist auch für andere Menschen im Verhältnis zum Geld gefallen, sonst hätten sich Käufer zu höherem Preis gefunden. Aber auch hier muß wieder betont werden, daß dieses Verhältnis nicht nur nach der Lage des Falles veränderlich, sondern auch nach der subjektiven Empfindung der einzelnen Personen, die die Wertbestimmung zu treffen haben, verschieden ist; ein anderer als der obige Besitzer des Bildes würde in derselben Lage vielleicht erklärt haben, daß er das Bild für diesen Preis nicht hergibt und sich lieber bestimmte Entbehrungen auferlegt haben. Der Verkäufer, der sich entschlossen hat, das Bild "unter seinem Wert" für 3000 Mark wegzugeben, erlebt es vielleicht, daß es für 2000 Mark weiter verkauft wird, wo dann das Bild bei demselben Preis von 3000 Mark nach üblicher Redeweise das eine mal "über seinen Wert" und das andere mal "unter seinem Wert" bezahlt gewesen wäre.

Als Ergebnis dieser Ausführungen ist festzuhalten, daß der Wert einer Sache immer das Verhältnis dieser zu einer andern Sache bedeutet und daß der Preis als der Ausdruck dieses Verhältnisses nicht im Gegensatz zum Wert stehen kann. Und nur darin besteht der Unterschied zwischen Wert und Preis, daß der Wert eine Schätzung und der Preis eine Tatsache ist. Schätzung des Preises und Preis aber verhalten sich zueinander etwa wie eine Linie zu einem Punkt, der sich auf ihr befindet. Der Wert ist eine Schätzung, die sich zwischen einem Maximum und Minimum bewegt; der Preis muß innerhalb dieser Grenzen eine bestimmte Größe sein.

Gehen wir auf den Tausch des MÜLLERschen Apfels gegen die SCHULZEsche Birne zurück. Wenn MÜLLER nur einen Apfel hat und SCHULZE nur eine Birne und beiden das was der andere hat, lieber ist, dann kommt es zum Tausch. Indessen hat das geschäftliche Leben mit der komplizierten Aufgaben zu rechnen, als dieser Fall sie bietet. In der Regel handelt es sich beim Tausch weniger um die Frage: Was gegen was? als um die Frage: Wieviel gegen wieviel? weniger um: "Birne oder Apfel" als um: wieviel Birnen gegen wieviel Äpfel? MÜLLER hat 10 Äpfel und erwidert auf die Frage von SCHULZE, wieviele Birnen er für seine Äpfel haben will: zwanzig Birnen. SCHULZE erklärt, daß er nur fünfzehn geben will. Schließlich einigen sich beide dahin, daß MÜLLER für seine zehn Äpfel von SCHULZE siebzehn Birnen erhält. Hier scheint nun der Preis etwas anderes zu sein, als der Wert, denn MÜLLER hat den Wert seiner zehn Äpfel auf zwanzig Birnen geschätzt und nur siebzehn erhalten. Tatsächlich hat sich die Schätzung des Wertes der Äpfel seitens des MÜLLER auf einer Linie bewegt, deren beide Endpunkte siebzehn Birnen und zwanzig Birnen bildeten. Auf der anderen Seite, bei SCHULZE, bewegte sich die Schätzung des Wertes der Äpfel auf einer Linie zwischen fünfzehn und siebzehn Birnen. Der niedrigste Punkt der einen und der höchste Punkt der anderen Linie, Maximum der Wertschätzung des Nachfragenden und Minimum der Wertschätzung des Anbietenden fielen zusammen und so entstand der Preis. Wären achtzehn Birnen das Minimum der Wertschätzung der Äpfel seitens des MÜLLER gewesen, dann wäre ein Tausch und ein Preis nicht zustande gekommen und ebensowenig wären Tausch und Preis erzielt worden, wenn SCHULZE als Maximum des Wertes der Äpfel nur sechzehn Birnen angesehen hätte. Der wirklich erzielte Preis steht also in keinem Gegensatz zum Wert, sondern stellt den Punkt dar, in welchem die Wertschätzungen beider Parteien sich treffen.

Auch der eben betrachtete Fall des Tausches einer bestimmten Quantität Ware gegen eine bestimmte Quantität anderer Ware, der in den Anfangsstadien der Entwicklung der Kultur der allgemeine war, ist vom Verkehrsleben längst überwunden worden und der Preis einer Quantität Äpfel wird nur noch selten durch eine bestimmte Quantität Birnen bestimmt. Das geschäftliche Leben vollzieht sich vielmehr in der Form des Verkaufs gegen Geld.

MÜLLER bringt hundert Äpfel auf den Markt. Er rechnet nicht mehr auf seinen Freund SCHULZE, der ihm die Äpfel abnehmen und ihm dafür eine bestimmte Anzahl Birnen geben wird; er weiß, daß eine Anzahl ihm fremder Personen an ihn herantreten und ihn fragen wird, welchen Preis die Äpfel haben. Es wird bereits als selbstverständlich angenommen, daß dieser Preis in Geld ausgedrückt wird. MÜLLER hat sich zunächst zu überlegen, welchen Wert er selbst den Äpfeln im Vergleich zum Geld beilegt. Im Allgemeinen ist ihm das Geld lieber als die Äpfel, sonst würde er sie nicht verkaufen. Dieses Lieberhaben des Geldes hat aber eine bestimmte Grenze, ausgedrückt in einer bestimmten Summe, unter der er die Äpfel verkaufen will. Das ist das Minimum seiner Wertschätzung. Ein Maximum würde er, wenn es nach ihm allein ginge, überhaupt nicht aufstellen, denn er hat keine Veranlassung, den Wert seiner Ware nach oben hin zu begrenzen. Indessen zwingt ihn die Rücksicht auf den Käufer, sich zu überlegen, welches das Maximum sein könne, das ein Käufer zahlen würde. Dies wird auch das Maximum seiner eigenen Wertschätzung sein, die sich nun zwischen den beiden Grenzpunkten des Minimums und Maximums bewegt. Das Publikum verlangt aber von ihm, daß er auf der Linie, die sich vom Minimum seiner Wertschätzung bis zum Maximum erstreckt, einen Punkt aussuche, indem sich seiner Meinung nach seine eigene Wertschätzung der Ware mit den Wertschätzungen anderer Personen berührt. Sein eigenes Interesse wird ihn dazu veranlassen, wenn nicht das Maximum, so doch einen Punkt, der dem Maximum näher ist als dem Minimum als Preis im Voraus festzusetzen; andererseits aber läuft er Gefahr, je höher er den Preis ansetzt, umso mehr über das Maximum der Wertschätzung der Käufer hinauszugehen. Er ist in der schwierigen Lage, daß er den schließlichen Käufer nicht kennt, daß er dessen Individualität, die Stärke und den Umfang seines Bedürfnisses, auch dessen Wertschätzung des Geldes nicht in Rechnung stellen kann; er muß sich also einen Durchschnittskäufer konstruieren mit einer Durchschnittswertschätzung seiner Ware, nach welcher er dann den Preis der Ware vorher bestimmt. Ob nun dieser vorherbestimmte Preis mit dem nachher wirklich gezahlten Preis übereinstimmt, das hängt von der Individualität des Käufers ab; sollte das Maximum der Wertschätzung beim Käufer unter den als Durchschnittswert angenommenen Preis fallen, dann wird sich der wirklich gezahlte Preis nach dem Minimum der Wertschätzung des Verkäufers hin verschieben, unter dieses Minimum wird der Preis nicht sinken.

Der Preis einer Ware kann also niemals unter ihren Wert sinken oder über ihren Wert steigen; er drückt immer das Verhältnis aus, in welchem diese Ware im Vergleich zu einer anderen, in der Regel zum Geld, geschätzt wird und alles, was dieses Verhältnis verändert, wird auch den Preis verändern. Nur muß man, wie nochmals betont werden mag, immer im Auge behalten, daß aus der Veränderung des Preises zwar auf die Veränderung des Wertverhältnisses geschlossen werden kann, aber nicht darauf, welche Faktoren das Wertverhältnis geändert haben; daß also der Preis einer Ware in demselben Maße steigt, gleichviel ob die Ware höher geschätzt wird als bisher, oder ob das Geld, mit welchem sie verglichen wird, geringer geschätzt wird, als bisher. In jedem Fall aber bleibt der Preis die nach außen hin erkennbare Form, welche der Wert angenommen hat.
LITERATUR - Heinrich Cohn, Die subjektive Natur des Wertes, Berlin 1899
    Anmerkungen
    1) Daß beide Teile ein "Mehr" eintauschen siehe HERRMANN, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, München 1870, Seite 22
    2) In den Börsenberichten findet die subjektive Natur der Bewertung in der "Stimmung" ihren Ausdruck. Bei flauer Börse kann ein politisches Ereignis zu großen Wertverminderungen führen, welches bei fester Stimmung unbeachtet bleiben würde.
    3) Das trifft nicht immer zu, für den unfähigen Besitzer eines Gutes oder industriellen Unternehmens ist der außerordentliche Wert vermutlich geringer als der gemeine.
    4) FRIEDRICH JULIUS NEUMANN in GUSTAV von SCHÖNBERG, Volkswirtschaftslehre, 4. Auflage, Seite 151
    5) JULIUS WOLF, Zur Lehre vom Wert, Zeitschrift für die gesamte Staatswisssenschaft, Bd. 42, Tübingen 1886
    6) Soweit Geld in Frage steht, scheint der Sprachgebrauch umkehrt als Preis zu bezeichnen, was man hingibt. Man spricht zum Beispiel vom Preis, den man bezahlt hat, die Redewendung ist indessen vom Standpunkt des Verkäufers aus gedacht, man hat den von diesem verlangten Preis bezahlt. Und man braucht nur an Preisausschreiben, Verleihen von "Preisen", dem Preis unserer Bestrebungen und ähnliches zu denken, um sich zu überzeugen, daß Preis der zu erwerbende Gegenstand ist.
    7) Es ist klar, daß es unter diesem Gesichtspunkt einen Wucher durch Ausbeutung der Notlage nicht gibt. Es klingt hübscher, jemandes Bedürfnisse befriedigen, als jemandes Notlage ausbeuten, es ist aber ungefähr dieselbe Sache. Bei einem Wirtschaftssystem, in welchem der Preis sich durch Angebot und Nachfrage regelt, ist die gegenseitige Ausbeutung kein Auswuchs, sondern das System selbst. Choleratropfen bezahlt man nur dann, wenn Cholera herrscht. Daher war es auch nicht möglich, vom Standpunkt unseres Wirtschaftssystems den Wucher zu definieren. Unser neues Wuchergesetz, welches als Requisit des Wuchers ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung festsetzt, setzt eigentlich ein anderes Wirtschaftssystem voraus und ist deshalb ein toter Buchstabe geblieben. Eine ähnliche Auffassung vertritt ROSCHER, "Grundlagen der Nationalökonomie", Seite 186