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(1856-1938) [mit NS-Vergangenheit] Über die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie
I.
Nun bedeutet aber die Grundlehre der "geschichtlichen Rechtsschule" eine bestimmte Rechtsphilosophie. Sie zielt auf eine Meinungsgabe über das Recht, auf eine Aufspürung der Entstehung des Rechts in der Absicht einer allgemeingültigen Feststellung. Sie gründete nicht eine Zeitschrift für die Erforschung der Geschichte des römischen, germanischen oder sonst eines Rechts, sondern schuf ein Organ für "geschichtliche Rechtswissenschaft". Alle ihre konkreten Ansichten leiten sich aus eine grundsätzlichen Betrachtung her, welche gar nicht mehr einen besonderen Rechtsinhalt zum Gegenstand hat, vielmehr, gänzlich von einem solchen abstrahierend, die wirklichen Quellen des Rechts darzutun bezweckt. Indem wir der grundsätzlichen Eigentümlichkeit der historischen Schule nachgehen, bleibt also die Frage nach der guten Behandlung einer bestimten Rechtsordnung hier außer Betracht: vielmehr ist es die Rechts- und Staatstheorie der geschichtlichen Juristenschule, wofür nun auch kurz geschichtliche Rechtstheorie gesagt werden mag, die in Nachstehendem auf ihren Wert hin geprüft werden soll. Worin liegt nun das Kriterium dieser geschichtlichen Rechtstheorie? Hat die große Anzahl der historischen Juristen, die sich in Meinungen und Ausführungen oft weit voneinander entfernen, einen berufenen Vertreter ihrer Interessen? Gibt es für den weiten Kreis von Mitarbeitern eine verantwortliche Schriftleitung? Man wird heutzutage Bedenken tragen müssen, in diesem Sinne etwa die Gründer der historischen Rechtsschule selbst zu nennen. Die Neueren haben sie an zu vielen Punkten bewußt verlassen; vor allem in der Frage, die vorzugsweise den Anlaß zum festen Aneinanderschließen der geschichtlichen Juristen gegeben hatte: der Frage der Kodifikation. Denn daß SAVIGNY nicht sowohl seiner Zeit, als vielmehr jeder Zeit den Beruf zur (kodifizierenden) Gesetzgebung abgesprochen hat, ist oft genug schon mit Fug hervorgehoben worden; die Neueren aber sind, wie sie sagen, hier anderer Ansicht. Wenn jedoch wirklich ein Zwiespalt zwischen der älteren Richtung und der neueren gemeinen Ansicht vorliegt, so wird es sich fragen: wie trotz desselben ein gemeinsamer Untergrund behauptet werden darf. Die nicht selten beliebte Auskunft, daß sich in den Erörterungen SAVIGNYs manches "Einseitige" findet, oder auch, daß das "Extreme" in seiner Auffassung überwunden ist, kann unmöglich befriedigen; wenn die Grundsätze, von denen er ausging, wissenschaftlich feststanden, so gab es für sie derartige Prädikate, wie die gesagten, überall nicht mehr, und ebensowenig für die Konsequenzen, welche sich notwendigerweise aus jenen ergaben. In der Tat ist nur von einem Juristen, soviel mir bekannt ist, der Nachweis versucht worden, daß man unter voller Festhaltung der SAVIGNYschen Grundsätze bei tiefer gehender Untersuchung zu anderen Folgerungen hinsichtlich der Gesetzgebung kommen müßte. Es ist BRINZ, welcher in einer ihm hier eigentülichen Abgrenzung "Gesetz" von "Recht" scheidet, (1) wovon jenes "einer politischen, d. h. staatlichen, dieses einer lediglich geistigen Potenz" entspringt und
So hat dann auch die Mehrzahl der neueren Juristen weniger auf die Folgerungen, wie auf die Vordersätze der älteren historischen Schule den prüfenden Blick gerichtet. Manchmal zweifelnd, ob die dort als wirkend aufgeführten Faktoren genügend präzisiert und analysiert, die Art ihrer Wirkung ausreichend festgestellt wurde; zuweilen versuchend, die Lehre durch weiter gehende philosophische Erwägungen sicherer, als bisher zu erweisen, wie es mit ernster Gründlichkeit zulezt noch von KÜHNAST unternommen worden ist (2); doch auch gelegentlich mit der Behauptung, daß jene Gedanken "mystisch und nebelhaft" sind, und man den Grundbegriff der Rechtsüberzeugung "im eigentlichen Sinn" PUCHTA-SAVIGNYs erst selber noch aufzufinden und klar zu stellen hat. (3) Somit geht die Dissonanz weit über die Gesetzgebungsfrage hinaus; und diese war es ja auch nicht, von der wir hier sprechen wollten. Aber symptomatisch ist ihr Schicksal immerhin: auch unabhängig von ihr wuchs die Verschiedenheit der Meinungen unablässig. Begeisterte Anhänger des Historismus haben die ältere Richtung des Irrtums bezichtigt, daß sie als Verband, in welchem das Recht entsteht und durch den sein Charakter bestimmt wird, immer nur die Nation angibt; während andere Genossenschaften, wie Familie, Sippe, Gemeinde es ursprünglich verwirklicht hätten, auch innerhalb derselben Nation verschiedene Rechtsbildung aufkommen kann und schließlich auch ein internationales Recht möglich ist. Und in anderer Weise ist, schroff abweichend von der älteren Lehre, das Prinzip der Universalität für die Rechtsentwicklung aufgestellt worden. Wie aber erst einmal die Rückführung auf den produzierenden Geist des "Volkes" in dem ganz besonderen und eigentümlichen Sinne PUCHTAs fallen gelassen war, da war die Gemeinsamkeit der Lehre in ihrem letzten seitherigen Kennzeichen angegriffen und alle gemeinschaftliche Grundlage bedrohlich in Frage gestellt. Der "Volksgeist" war das Schibboleth [Parole - wp] der alten historischen Rechtsschule gewesen; nun kam dies immermehr abhanden. Durch etwas anderes wurde versucht, es zu ersetzen; - geschichtliche Juristen haben denselben philosophierend ignoriert; - seine Existenz ist zu mehreren Malen unmittelbar geleugnet worden. So schreitet die Zersetzung weiter vor. Recht deutlich wird sie auch bei den beständigen Besserungsversuchen für Einzelfragen, besonders der Rechtsquellenlehre. Stets neue Wendungen tauchen auf, in denen man anhand einer geschichtlichen Wahrnehmung die treibenden Faktoren bei der Entstehung neuen Rechts zu fassen sucht; und immer wieder geschieht eine Reassumtion [Erneuerung - wp] und versuchte bessere Führung des Grenzstreites zwischen Staatsgesetzgebung und Gewohnheitsrecht. Hier wird sich um die Bedeutung der tatsächlichen Übung und Gewohnheit für die Rechtsbildung bemüht; und dort sehen wir der Ansicht von einem in der Stille schreitenden Entwicklungsprozeß die Behauptung von der Begründung des Rechts im Kampf, durch Macht entgegengesetzt. Nach solchen und vielen anderen gleichgehenden Beobachtungen könnte es scheinen, als ob die historische Rechtsschule den gemeinsamen Ausgangspukt abgebe; als wenn eine gemeinschaftliche Grundstimmung lediglich in der negierenden Position gegenüber der vor der geschichtlichen Rechtswissenschaft gewesenen Rechtstheorie gelegen wäre. Allein dem ist nicht so. Eines hat vielmehr die heutige Jurisprudenz von der geschichtlichen Rechtsschule bewahrt, ein gemeinsames Kriterium von positivem Inhalt und bestimmender Bedeutung für alle: die Art und Weise des wissenschaftlichen Verfahrens, die Methode. In das unbekannte Innere des Landes gedachten sie forschend einzudringen; aber die Punkte der Küste, von denen aus die Einzelnen es unternahmen, waren hundertfältig verschieden, und diejenigen, so sie denselben Ausgang hatten, trennten sich zumeist gar bald, um auf eigene Faust ein jeder voranzugehen. Verschieden war dann auch der Erfolg, und nur dies allen gemeinsam zu eigen: in gleicher Weise übten sie die Kunst des Wegebaus und nach denselben Regeln warfen sie ihre Straßen auf. Die Art und Weise der Fragestellung, welche durch die historische Rechtsschule aufgekommen ist, kennzeichnet sich dadurch, daß man sucht: welche Faktoren tatsächlich bei der Erzeugung von Recht beteiligt sind. Was ist die wirklich Wurzel von Recht und Staat; wie beschaffen sind die tatsächlich treibenden Ursachen der Rechtsbildung; welches die faktischen Quellen des Rechts? Man ist bemüht, die bei einer Rechtsentstehung tatsächlich wirkenden Kräfte in eine einheitliche Formel zu fassen; man hat das Bestreben, die Schaffung von Recht auf einen letzten festen Faktor zurückzuführen. Und die Methode, in welcher sich diese Richtung vollendet, besteht in der Verallgemeinerung von geschichtlichen Vorgängen, die sich bei rechtlichen Neubildungen beobachten lassen; verbunden aber bei den Neueren mit der bewußten Forderung, daß dieses ausschließlich das zutreffende Vorgehen für philosophische Erwägungen in Dingen des Rechts sei. Prinzipien des Rechts zu suchen, sagt beispielsweise FELIX DAHN, ist "nur möglich in der empirischen Erforschung der geschichtlichen Rechte." (4) Eine einheitliche Formulierung der tatsächlichen Gründe aller Rechtsentstehung aufgrund verallgemeinernder geschichtlicher Forschung, - darin erscheint die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie beschlossen. Hiermit ist die oben aufgeworfene Frage nach einem gemeinsamen Kriterium der Grundstimmung in der heutigen Jurisprudenz beantwortet. Die Probe mit weiteren ausführlichen Belegstellen zu machen, dürfte wohl unnötig sein; es ist ja oben genügend angedeutet worden, daß auch die sogenannten Gegner der historischen Schule sie regelmäßig nur in ihren Ergebnissen, und nicht in der Fragestellung und Methode, wie sie soeben konstatiert wurde, angegriffen haben. Und daß auch ganz abgesehen von ausdrücklichen literarischen Kundgebungen die gekennzeichnete Art und Weise des wissenschaftlichen Vorgehens und Verfahrens bei den Juristen der Neuzeit als die allein richtige und allein berechtigte gilt, so daß man sie als die bei ihnen durchweg herrschende Meinung betreffs der Theorie des Rechts bezeichnen kann, ist mir zweifellos. Andererseits ist die Einheit innerhalb der jetzigen Rechtswissenschaft bezüglich unserer Fragen auf das genannte formale Moment beschränkt; im Übrigen ist in allem und jedem ein eigenartiges Auseinandergehen und eine wirre Fülle der Meinungen zu beobachten. Noch werden die immer zahlreicher gewordenen Autoren durch das nun öfter genannte Band, durch die Art der Frage und des Verfahrens, zusammengehalten, allein um ein gemeinsames Ergebnis im Dienste jenes Bindeglieds zu erreichen, erweist sich dieses viel zu schwach, die Selbständigkeit der Einzelnen schon allzu groß. Wer heute das Auge über das bunte Gewirr der hierher gehörigen Literatur schweifen läßt, den mag leicht ein Gefühl überkommen, wie beim Anblick des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in dessen letzten Zeiten: viele, sehr viele partikulare Existenzen mit mehr oder weniger Unabhängigkeit, und doch für die akademische Betrachtung wenigstens all ihre Macht ableitend von dem der aktuellen Gewalt selber ziemlich bar gewordenen Kaiser. Als Mittel und Weg zu allgemeingültiger Rechtserkenntnis ist diese Methode in der Tat erst von der historischen Rechtsschule aufgebracht worden und seitdem als gemeinsam bei den Juristen geblieben. Während aber die Älteren, wie wir sehen werden, gar nicht so ausschließlich eine Beschränkung auf sie als allein zulässige rechtsphilosophische Methode behaupteten, tut dies die heute herrschende Meinung vollständig. Es wird dies von ihr augenscheinlich für einen Fortschritt gehalten und danach eine immer schärfer durchgeführte Exklusivität in der Art und Weise der wissenschaftlichen Untersuchung erstrebt. Wir gehen nun dazu über, die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie auf ihre Tüchtigkeit und ihr Können hin zu prüfen.
Wenn man von der Art und Weise des Vorgehens und Verfahrens in Wissenschaften spricht und die Methode einer bestimmten Richtung auf ihre Tauglichkeit hin in das Auge faßt, so muß begreiflicherweise vor allem das Ziel klar stehen, auf welches man losstrebt. Was verlangt man eigentlich zu wissen? Was kann letztlich vernünftigerweise gefragt werden? Wenn darüber erst Einvernehen herrscht, wird auch über den Wert der einzelnen Lehrart, vermöge welcher man ein zufriedenstellendes Ergebnis erhofft, eine Übereinstimmung erzielt werden können. Nun handelt es sich, wie gesagt, bei der geschichtlichen Rechtstheorie um eine rechtsphilosophische Betrachtung, um Erwägungen, welche außerhalb der Erkenntnis irgendeiner besonderen Rechtsordnung gelegen sind. Damit ist von jeher etwas vom Hauch des Zwiespalts, der der Aufgabe und dem Beruf der Philosophie überhaupt obwaltet, auch über unser Feld hinweggezogen. Hat doch sogar, nach DAHN (5), der Philosoph das Bedürfnis, "sein Prinzip auch an dem in der Geschichte vorgefundenen wichtigen Rechts- und Staatsgebilde zu erproben"; so daß, wer dies wollte, auch einen Streit über philosophische "Prinzipien" hereinziehen könnte. Jedoch auch derjenige, welcher nicht als Rechts-Philosophie, sondern als philosophischer Jurist an unsere Frage herantritt; der nicht von einem philosophischen "Prinzip" zur konkreten Erscheinung des Rechts herunterzusteigen gedenkt, vielmehr über die Kenntnis von bestehenden Rechtsordnungen hinaus etwas vom Recht zu wissen wünscht: ein Jurist, welchem beim Suchen nach demjenigen, was sich allgemeingültig und notwendig in Dingen des Rechts feststellen läßt, eine Philosophie, die Wissenschaft ist, zum Leitstern und methodischen Vorbild dienen kann und soll, aber nicht das Problem selber zu liefern vermag, - auch ein solcher wird eine Sicherheit und eine Einheit in der Aufwerfung von Grundfragen in den seither vorliegenden Schritten vermissen. Denn wenn man auch von der famosen Auskundschaftung nach dem allerersten Anfang des Rechts in dieser Welt überhaupt gänzlich absieht, so war mit den beliebten Auskünften, daß man "Wesen", "Prinzipien", "Natur", "Urgrund" erforschen möchte, für die Frage: Was man letztlich wissen will, wenig genug gewonnen. Dabei kommt es zu leicht doch wieder auf die Hineinschiebung der Betrachtung des Rechts in ein inhaltlich schon ausgeführtes und geschlossenes philosophisches System hinaus. Zumindest bleiben jene Fragen, wenn sie nicht gar in sich selber heimlich schon die Antwort tragen, zunächst unverständlich und harren noch der Erläuterung und Darlegung des Sinnes, in welchem sie gemeint sein. Ein festes Ziel wissenswerter Erkenntnis, allen sicher erkennbar, tauglich zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit eines bestimmten wissenschaftlichen Vorgehens, sind jene ganz gewiß nicht. Allerdings hat man des öfteren auf eine einheitliche Formulierung des Problems verzichtet und die letzte Frage in eine Summe von einzelnen Fragestellungen aufgelöst. In recht viele, gewöhnlich; wenn man erst aufzuzählen beginnt, reiht sich bald eines an das andere; schnell ist der Hörer mit einigen Dutzend von Fragen überschüttet, und der wirre Katalog schließt mit einem "und so weiter" oder der Versicherung seiner leichten Vermehrung (6). Allein dies kann für die hier gewünschte Auskunft nichts nutzen; denn soweit nicht überhaupt nur in das Blaue hinaus gefragt ist, stellen sich die einzelnen Zweifelspunkte lediglich als bestimmte Ansichten und Ausführungen rechtsphilosophischer Schriftsteller dar, nur für diesmal in einem fragenden Gewand vorgeführt. Da nun bei diesen die Aufwerfung des Problems schon vorausgesetzt sein muß, sei es auch nur stillschweigend angenommen oder versteckt zugrunde liegend: so sind wir der Klarleung einer vernünftigen Grundfragestellung mit der lediglichen Anführung mannigfacher allgemein gehaltener Betrachtungen über das Recht um nichts näher gerückt. - Es wird darauf ankommen, zuzusehen: ob es nicht Zweifelsfragen allgemeiner Art gibt, zu deren Aufwerfung der Jurist im Nachdenken über eine bestimmte Rechtsordnung von selbst getrieben wird, ohne daß er sie doch aus der Erkenntnis seines besonderen Rechts oder irgendeines anderen beantworten könnte. Es müssen scharf gefaßte, jedem Verständigen klar erkennbare Probleme sein, die gerade in ihrer Aufwerfung auch noch gar keinen Hinweis auf irgendeine erwartete Antwort enthalten. Solche Probleme gibt es nun zwei. Denn es frägt sich
Und Zweitens: Wie es möglich ist, daß aus Rechtsbruch wieder Recht entstehen kann? Vor allem - womit wir auf unseren Eingang wieder zurückkommen - kann nun auch mit Gewißheit einiges über Wert und Tauglichkeit eines bestimmten wissenschaftlichen Verfahrens ausgemacht werden. Es kann schon jetzt gefragt werden, ob die Methode der geschichtlichen Rechtsschule zu einer ausreichenden Auflösung unserer Aufgaben und einer darauf sich erst aufbauenden allgemeingültigen Theorie des Rechts überall zu führen vermag. Nun mag es sein, daß man auch hier in kritischer Absicht kaum etwas wird ausführen können, ohne zugleich andeutend zu verraten, was man darüber im eigenen Kopf trägt. Dennoch werden sich die nachstehenden Erwägungen ausschließlich mit der geschichtlichen Rechtstheorie befassen und sollen namentlich auch auf andere, methodisch davon abweichende rechtsphilosophische Untersuchungen nur insofern eingehen, als dadurch die Rechtstheorie jener Schule eine klärende Beleuchtung erhalten kann. Zweifel und Bedenken sind es, welche der kommenden Erörterung ihren Inhalt verleihen. Hat man aber auf die oben gekennzeichnete durchgängige Grundstimmung unserer einstigen Jurisprudenz Acht, so wir, wie ich meine, die gesagte Begrenzung des Themas genügend veranlaßt erscheinen, mag auch unsere nachstehende Ausführung - die aus einem weiteren Kreis der Studien des Verfassers genommen wurde - für die positiv lösende Antwort nur einen, sozusagen, programmatischen Charakter haben. Denn das wird das Ergebnis unserer heutigen Betrachtung sein: daß die Art der Fragestellung und die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie unseren beiden Problemen überhaupt nicht gerecht werden kann; daß das Verfahren und Vorgehen der historischen Rechtsschule in seiner Eigenart gar nicht imstande ist, jene beiden, dem Juristen immer wieder entgegentretenden Aufgaben zufriedenstellen zu lösen. Die nach dieser Lehrart voranschreitende Untersuchung vermag das nicht zu leisten, was man von einer philosophischen Grundlegung für die Rechtswissenschaft verlangen muß; sie ist zu Klarstellung und Erweisung einer Theorie des Rechts ungenügend, und mithin die Meinung mancher Anhänger jener Richtung, daß die mit ihr gegebene Beschränkung das allein Richtige sei, wissenschaftlich unhaltbar.
Die erstere unserer Fragen haben wir dahin gefaßt: "ob dasjenige, was Recht ist, auch Rechtens sein sollte;" sie lautet schon dahin: "Was Recht sein sollte." Das würde bereits voraussetzen, daß man ein solches Allgemeines überhaupt zu bestimmen imstande wäre, und könnte mithin gar nicht mehr eine letzte sichere Fragestellung liefern. Unsere Frage läßt also die Möglichkeit, unabhängig von der Erkenntnis geschichtlichen Rechts inhaltlich etwas über das Recht auszumachen, ganz dahin gestellt; sie nimmt nichts vorweg, als daß Recht wirklich ist, um daran die Bedenken, die wir nannten, anzuknüpfen. Denn mit der Kunde von dem Recht, welches gilt, beruhigt sich menschliches Denken niemals. Aus hundertfältigem Anlaß steigt der Zweifel am tatsächlich Gewordenen auf; in tausendfachem Auflodern tritt allezeit die unwillige Skepsis drohend vor das Bestehene, Antwort und Ausweis erfordernd. Die äußerste Frage, die dem "Rechtsgelehrten" nahen kann, ist die nach dem Recht seines Rechts. Vor welchem Richterstuhl kann dieses ausgemacht werden? Wie soll das Prozeßverfahren sein, um es festzustellen? Indem wir sehen wollen, wie die geschichtliche Rechtswissenschaft hierzu Stellung nimmt, mag zunächst konstatiert sein, daß die Tätigkeit, in welcher sie ihren Schwerpunkt sieht, die Erforschung einer rechtsgeschichtlichen Entwicklung für diese hier aufgeworfene Frage selbstverständlich außer Betracht bleiben muß. Auch durch die genaueste Darlegung des Entwicklungsganges, den eine Rechtsregel oder ein Rechtsinstitut genommen hat, kann der Zweifel, von dem die Rede ist, nicht zum Schweigen gebracht werden; Frage und Antwort decken sich gar nicht ihrer Art nach. Wer möchte einer sozialdemokratischen Forderung mit der Geschichtserzählung begegnen, wie sich beispielshalber die jetzige kapitalistische Produktionsweise oder diese oder jene Gestaltung des Privateigentums entwickelt hat? Oder bedarf es noch des besonderen Hinweises, daß die verhängnisvolle Auskunft "es erklärt sich geschichtlich" letztlich noch nichts bedeutet, als daß das so "Erklärte" jetzt - wie man gemeinhin zu sagen pflegt - keinen Sinn und Verstand mehr hat? Nun kann ein solches Urteil in concreto ja lediglich sagen wollen, daß eine Einzelerscheinung innerhalb einer Rechtsordnung nur im Zusammenhalt mit anderen ihres Gleichen begreiflich war. Aber unsere Zweifelsfrage beschränkt sich nicht auf eine derartige Relation einzelner Rechtserscheinungen. Sie fordert die rechtlichen Satzungen in ihrer Berechtigung auch außerhalb des Zusammenhangs des historischen Rechts und geht über die Betrachtung des Inneren eines Rechtssystems ganz hinaus: sie mißt (mag der Aburteilende sich dessen bewußt sein oder nicht) notwendigerweise an einem vom geschichtlichen Recht unabhängigen Maßstab; und begehrt nach einem objektiven Prinzip, das bei der Beurteilung eines besonderen Rechts als sichere Norm zugrunde gelegt werden kann. Was verspricht nun die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie zur Lösung dieser Aufgabe beizutragen? Diese Art und Weise des Vorgehens ist, wie wir gesehen haben, zuletzt darauf gerichtet, die Kräfte allgemein zu suchen, welche bei der Bildung von Recht tatsächlich wirken, die Bestimmungsgründe möglichst einheitlich zu formulieren, unter denen die Rechtsentwicklung wirklich zu stehen pflegt. Nun sind die Ergebnisse dieses Suchens gelegentlich ja sehr abweichend gewesen, und die Antworten nach den tatsächlichen Einflüssen und faktischen Ursachen oft verschieden ausgefallen. Aber wie dieselben auch immer lauten mögen: das läßt sich ganz von vornherein zeigen, daß zwischen ihnen und unserem Problem zunächst eine breite Kluft besteht, und beide in ihrer Eigenart niemals zur Deckung gebracht werden können. Denn ob jene tatsächlichen Bestimmungsgründe der Rechtsbildung so und nicht anders wirken mußten, ob sich die vorliegende Entwicklung notwendigerweise vollzog, - das ist die erste Frage. Sind es denn ausschließlich "Naturkräfte", die hier in Betracht kommen; steht die Bildung von Recht unter einer zwingenden Kausalität der aufgespürten Ursachen? Ist mithin die Frage, ob das bestehende Recht auch so sein sollte, nicht von vornherein als inept [ungeeignet - wp] abzuweisen, der vorhin genannte Zweifel lediglich wegen einer natürlichen Eigenschaft des Bezweifelten gänzlich unberechtigt?
Denn sind die rechtlichen Gesetze nicht vielleicht auf das Wollen vernünftiger Subjekte zurückzuführen, für welche nun allererst die Frage: Wie sie bei Setzung heteronomer Regeln, welche das Recht ausmachen, handeln sollen, - möglich ist? So daß sich die Bildung des Rechts nicht in Naturnotwendigkeit vollendet, sondern auf eine Freiheit des Gesetzgebers (um mich jetzt kurz so auszudrücken) zurückgeht? Es ist bekannt, in welchem schlimmen Sinn diese Frage schon aufgefaßt worden ist. "Hierüber lehren die Einen, daß jedes Zeitalter sein Dasein, seine Welt, frei und willkürlich selbst hervorbringt;" daher wird - glaubt SAVIGNY - nach dieser Meinung "das Recht in jedem Augenblick durch die mit der gesetzgebenden Gewalt versehenen Personen mit Willkür hervorgebracht, ganz unabhängig vom Recht der vorhergehenden Zeit, und nur nach bester Überzeugung, wie sie der gegenwärtige Augenblick gerade mit sich bringt." (9) Und in anderer Wendung nur sagt ein späterer geschichtlicher Jurist "Es ist eine naive kindliche Vorstellung, daß das Recht von den Königen gemacht wurde, und daß sie es nach Belieben so oder so wendeten." (10) - Wird es nötig sein, auch heute, da wieder, wie man versichern hört, die philosophische Erwägung begriffen ist, derartige Suppositionen [Bedeutungen - wp] von der eben formulierten Frage abzuwehren? Ausdrücklich zu versichern, daß der "freie Gesetzgeber" als nichts weniger, denn als höheres Wesen vorzustellen ist, das von der Sinnenwelt geschieden in seinen Handlungen einer Kausalität nicht unterworfen wäre? Freilich steht ja die Setzung von "Recht" ebenso selbstverständlicherweise unter empirischen Bestimmungsgründen, wie irgendeine andere menschliche Handlung. Aber sind jene so nötigend, daß es gar nicht anders sein konnte - oder aber ist nicht der Recht Setzende von bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt dahin unabhängig, daß er durch Vernunft zu demjenigen bestimmt werden kann, was geschehen soll? Bei dieser Frage halten wir inne. Denn an dieser Stelle, nämlich zum Zweck der Klärung einer notwendig letzten Fragestellung genügt es vollständig, wenn die Möglichkeit der Alternative in Erinnerung gerufen wird: daß von ihr die ganze Erwägung und Beschlußfassung auf die an der Spitze gestellte Frage abhängig ist, liegt ja klar zutage. An das Recht als lediglich naturnotwendiges Erzeugnis kann unser Zweifel mit Fug nicht gerichtet werden - gegen das Recht als Wollen vernünftiger Subjekte, welches Andere bindet, wird er sich ohne Aufhören erheben; und keine Macht der Erde mag ihn zum Schweigen bringen zu können, als gute Gründe aus wohl gefestigten Prinzipien. Die erste Forderung für die Auflösung unseres Problems ist demnach, daß Jeder Stellung nimmt auf einer Seite der Alternative, die andere dann, daß bei einer Bejahung der zweiten der obigen Fragen (- und wie wollte man dem auch überhaupt ausweichen?) nach der Methode der kritischen Philosophie Maßstab und Norm gesucht und in ihrem Geltungswert festgestellt werden. Dem kann keine verschiedene Begriffsbestimmung vom Recht entgehen. Auch der PUCHTAsche "Volksgeist", der das Recht, das ist "eine" gemeinsame Überzeugung der in "rechtlicher" Gemeinschaft Stehenden (11), bewirken soll, würde vor allem doch Rede und Antwort zu stehen haben, ob er unwiderstehliche Naturkraft besäße. Und nun behaupte ich: die geschichtliche Rechtsschule und die unter ihrem Einfluß stehende herrschende Lehre der heutigen Jurisprudenz sind den genannten Postulaten nicht näher getreten und haben dieselben als unumgänglich notwendige nicht klar gemacht. Sie haben im Gegenteil die elemantare Alternative zurückgestellt und können, indem sie nur eine Verallgemeinerung tatsächlicher Genesis suchen, den prinzipiellen Maßstab, auf den es für die Abschätzung empirischen Rechts ankommt, nun gar nicht angeben. Wohl finden sich allüberall landläufige Erwägungen des Verhältnisses von Recht und Moral, seltener schon der Beziehung jenes zur Natur; aber einmal sind dieselben regelmäßig deskriptiver Art, mehr in der Beschreibung tatsächlicher Funktionen aufgehend, von dem Interesse getragen, das Gebiet des Recths, um es dann für sich zu durchstreifen, nach Außen hin abzuschließen; zum Anderen nehmen diese Betrachtungen durchgängig das Einzelindividuum zum Ausgangspunkt, um dessen Freiheit oder notwendige Bestimmtheit erörternd auszuführen, wie es beispielsweise durch PUCHTA vom Standpunkt der ihm eigenen dogmatisch aufbauenden Metaphysik aus unternommen wurde (12). Dagegen ist die grundlegende entscheidende Fragestellung gar nicht mit Bezug auf den Recht Setzenden zur Anwendung gekommen. (13) Man hat beim Gegensatz von heteronomer und autonomer Regel, in den sich doch schließlich alle Scheidung von Rechts- und Sittengesetzt auflöst, wohl den einzelnen dem Gesetz Unterworfenen auf seine Eigenschaft als freies oder pathologisch bestimmbares Wesen angesehen, aber sich nicht einfallen lassen, zu prüfen: ob die Rechtserzeugung ihrerseits unter der Kausalität naturnotwendig wirkender Ursachen oder unter der der Vernunft steht. Man konnte es auch nicht, da man sonst der Devise des "Historismus", der ausschließlichen empirischen Erforschung der geschichtlichen Rechte untreu geworden wäre. Bloß mit dieser Art der Fragestellung aber war es unmöglich, über die Art der Kausalität bei der Rechts-Setzung ins Klare zu kommen; das geht nur mit der Methode der kritischen Philosophie, ohne welche jenes dunkel und unsicher bleiben muß mit all den schlimmen Folgen, welche sich an die Verschleierung eines fundamentalen Gegensatzes notgedrungen knüpfen. Oder sollte es vielleicht der "geschichtlichen" Anschauung vorbehalten geblieben sein, ein Drittes neben jenen beiden Arten von Kausalität zu entdecken, ein Anderes, als entweder Naturnotwendigkeit oder Freiheit? Vielleicht eine Mischung? Gewohnheitsrecht - naturnotwendig, Gesetzgebung - frei? Obgleich nun hiernach über diese grundlegende Frage ein klares Aussprechen seitens der geschichtlichen Rechtstheorie fehlt, und damit die erste und unerläßliche Bedingung zur Lösung des hier aufgeworfenen Problems ermangelt: so hat man andererseits auf das Suchen nach einem Zielpunkt, auf den Recht gerichtet sein soll, niemals ganz verzichtet; auch nicht seitens der nur geschichtlichen Juristen. Das Bedürfnis nach einer Kritik des gewordenen Rechts, aufgrund welcher der Gesetzgeber für die Weiterbildung verantwortlich gemacht werden soll, wird man ja niemals los; daß ein Rechtssatz tatsächlich geschaffen worden ist, läßt die Frage nach dem Recht, auch da zu bleiben, ganz offen, ja regt dieselbe immer wieder an. An irgendeinen Maßstab müssen die rechtlichen Satzungen angelegt werden können, um sich als berechtigt auszuweisen. In diesem Bestreben nach einem Richtmaß für das Recht muß man nun notwendigerweise und ganz von selbst auf einer Seite der genannten fundamentalen Alternative Stellung nehmen. Aber die geschichtliche Rechtstheorie verschmäht es, dies als grundlegende Erwägung von vornherein sicher auszumachen und klar zu legen; und sie fordert, indem sie ohne dieses voranzuschreiten gedenkt: die Alleinberechtigung der empirischen Forschung auch für die Lösung der hier in Erwägung stehenden Probleme. Es ist die Meinung dieser rechtsphilosophischen Richtung, daß man durch eine geschichtliche Erkenntnis zu demjenigen gelangen möge, was statt des Gewordenen Recht sein soll. Dies ist in zweifach verschiedener Weise unternommen worden: einmal wähnte man, zu dem, was sein sollte, lediglich aus der Erkenntnis des bestehenden Rechts gelangen zu können; zum Zweiten zumindest durch die Erforschung anderer geschichtlicher Tatsachen jenes zu erreichen. Das Erste ist von einem sonst scharf denkenden Juristen allen Ernstes vertreten worden. (14) Das Bestehende, meint er, könne den Maßstab für seine eigene Beurteilung und die Musterbilder für seine Umbildung gewähren; das zeige die Analogie anderer Wissensgebiete: so der Medizin, wobei man aus der Beobachtung des gesunden und kranken Menschen das Bild einer normalen Konstitution erhalte, oder der Botanik, worin sich ein Bild von den normalen Formen einer Pflanzenspezies, welches verkrüppelte und unvollkommene Exemplare von normal gebildeten unterscheiden läßt, entwickelt. - Hier scheint zuvörderst übersehen zu sein, daß weder der "normale" Mensch, noch die "normale" Pflanze Objekte der Erfahrung sind, sondern nur in der Idee bestehen. Wenn man glauben wollte, daß man zu diesen durch Beobachtung der in der Erfahrung aufzuweisenden Gegenstände gelange, so wäre das ein Irrtum: nicht empirische Wahrnehmung, sondern Vernunftschlüsse können hier allein in Betracht kommen. Vor allem aber ist es auffällig, wie in obiger Meinung Aufgaben der Naturerkenntnis und der Ethik in unmittelbarer Weise nebeneinandergestellt und geradezu vermischt werden. Wenn wir die Handlungen des Gesetzgebers (um diesen Sprachgebrauch zu behalten), als vernünftigen Wesens, in Betracht ziehen, so frägt es sich nach einem Sollen, nach etwas, was noch nicht geschehen ist, obschon es als objektiv gültiges Richtmaß des Wollens dient; es handelt sich gar nicht um daseiende Dinge, um Gegenstände möglicher Erfahrung. Und umgekehrt - wir sind durch das oben Angeführte zu dieser elementaren Auseinandersetzung genötigt - geht die Naturerkenntnis das Sollen gar nichts an. "Das Sollen drückt eine Art von Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt. Der Verstand kann von dieser nur erkennen, was da ist, oder gewesen ist, oder sein wird. Es ist unmöglich, daß etwas darin anders sein soll, als es in allen diesen Zeitverhältnissen in der Tat ist, ja das Sollen, wenn man bloß den Lauf der Natur vor Augen hat, hat ganz und gar keine Bedeutung. Wir können gar nicht fragen: was in der Natur geschehen soll, ebensowenig, als: was für Eigenschaften ein Zirkel haben soll, sondern was darin geschieht, oder welche Eigenschaften der letztere hat." (15) So, wie mithin die Frage: ob etwas sein soll, nur in Bezug auf menschliche Handlungen, als solche vernünftiger Subjekte Sinn hat, so muß dasjenige, wonach diese Frage zu beantworten ist, außerhalb des Daseins empirisch gegebener Objekte liegen und kann nicht lediglich durch die Erforschung der letzteren eingesehen werden. Also muß auch Zielpunkt und Richtmaß für vorhandenes Recht in anderer Weise, wie durch Erkenntnis der bestehenden und gewordenen Rechtsordnung ermittelt werden. Indem man sich dieser unumgänglichen Forderung auf anderer Seite nicht verschloß und daher einen Maßstab außerhalb des bestehenden Rechts suchte, ist man freilich über die sonst festgehaltene Beschränkung der geschichtlichen Rechtstheorie auf die "Erforschung geschichtlicher Rechte" bereits in etwas hinausgegangen; aber man hat doch die empirische Forschung als auch an dieser Stelle allein berechtigte retten zu können geglaubt: nur sollte dann nicht aus der Kenntnisnahme von bestehendem Recht, sondern aufgrund geschichtlicher Erforschung anderer Tatsachen der Maßstab für jenes aufgestellt werden. Dies ist die zweite der vorhin in Aussicht gestellten Lehrmeinungen; es ist diejenige, die man so sehr als weit verbreitete ansehen muß, daß von der Anführung ausführlicher Belegt füglich abgesehen werden darf. (16) Nach ihr ist das jedem Recht vorschwebende Ideal, an dem dieses Recht gemessen würde, selber etwas Geschichtliches. Daher sei es gleichfalls in historischer Forschung festzustellen; und der beste Gehilfe auch bei der Erwägung dieser allgemein für das Recht geltenden Fragen sei der viel berufene "geschichtliche Sinn". Es ist diese Meinung, der es verdankt wird, daß die Vorstellung eines "relativen Rechtsideals" aufgebracht und der Begriff eines besonderen Maßes für jedes Zeitalter erfunden worden ist. Aber was ist ein "Zeitalter"? Beginnt denn nicht in jedem Augenblick ein neues, um im Folgenden sofort wieder durch ein anderes in das Leben tretendes verdrängt zu werden? Oder bleiben sie nebeneinander; und gibt es daher unzählig viele gleichzeitig, mit zahllosen "besonderen" Maßstäben? Möglicherweise ist man indessen mit der Vorstellung zufrieden, daß ein Zeitalter ein im Allgemeinen nicht bestimmbares Stück einer beliebig zerrissenen geschichtlichen Entwicklung ist, von denen eben jedes durch seinen besonderen Zielpunt vom andern unterscheidet. Das wäre dann eine zufällige Abteilung, da ein allgemeingültiges Gesetz für sie schwer denkbar sein würde. Und etwas unbequem wäre die notgedrungene Folge, daß dann im Übergangsaugenblick ein etwas jäher Wechsel der Ideale stattzufinden hat. - Es scheint also, daß bei den nicht seltenen Redensarten, wie "jede Zeit hat ihr besonderes Ideal", einige Unklarheit über die Persönlichkeit des Idealinhabers obwaltet. Noch bleibt übrig, daß nicht das Ideal mit dem "Zeitalter" wechselt, sondern umgekehrt. Das könnte ein Doppeltes bedeuten: entweder eine Verschiedenheit in der Erkenntnis des Ideals oder ein wirklicher Wechsel desselben als Erscheinung in der Zeit. Jenes wäre nur eine subjektive Meinungsverschiedenheit, welche die Realität eines objektiv geltenden Ideals nicht berühren würde; im Gegenteil nur dazu auffordern müßte, sich weiterhin um eine sicherere Erkenntnis und richtigere Formulierung des a priori gültigen Richtmaßes für alles Recht zu bemühen. Für die nur geschichtliche Auffassung und ausschließlich empirische Forschung kann also nur das Zweite in Betracht kommen; und dies ist wohl - dann auch hier fehlt eine zweifelsfreie ausdrückliche Klarlegung - die Vielen, wenn nicht den Meisten, heute vorschwebende Meinung. Hiernach würde der Gesetzgeber als "frei" anzunehmen sein; er hat zuzusehen, ob die bestehende Rechtsordnung dem einstmaligen relativen Rechtsideal entspricht; wenn dies nicht der Fall ist, so ist es seine Pflicht, das jeweilige Rechtsideal zu verwirklichen. Ob das, was Recht ist, auch Rechtens sein sollte, - würde dann gemessen an dem, was "wir" für vernunftgemäß hielten, obgleich wir dem gar keine objektive Realität zuschrieben, sondern wüßten, daß es nur ein außerdem unmaßgebliches subjektives Meinen unsererseits wäre. Nun möchte es sicherlich wieder recht schwer fallen, dasjenige, was sich hinter dem "wir" verbirgt, in einem klaren Begriff vorstellig zu machen; man wäre aber zu dem Verlangen, daß dies geschehen soll, wohl berechtigt, da es sich ja, nach jener Meinung, gerade um Urteile von bloß subjektivem Wert handelt und die objektive Realität, das notwendige und allgemeingültige Sein einer für das Urteil über das Recht maßgeblichen Idee, nach dem erwähnten Plan, gar nicht in einem Bewußtsein überhaupt durch wissenschaftliche Erkenntnis festzustellen wäre. Es wird aber um nichts klarer, wenn man nun für dieses Kuriosum "unserer Vernunft" Ausdrücke eingesetzt hat, wie "nationales Rechtsbewußtsein" oder "rechtliche Volksüberzeugung" oder andere solche Schlagwörter der geschichtlichen Schule; denn auch hierbei ist doch nur etwas Subjektives, nur in in einer besonderen Erfahrung Festzustellendes gemeint: "relatives Rechtsideal" wären dann die Forderungen und Wünsche derjenigen Subjekte, die man unter jenen Gemeinplätzen zusammengefaßt hätte, und da fragt es sich immer wieder, wie man dessen habhaft werden könnte? In Einstimmigkeit; oder Mehrheit; oder qualitativ abgestufter Abstimmung; und welcher Menschen eigentlich? Aber nehmen wir nun an, daß sich ein konkretes psychisches Gesamtphänomen - etwa in einem "Geist" des "Volkes" nach dem ganz besonderen Sinn PUCHTAs - klarlegen und dessen Forderungen feststellen ließen; oder daß man sonst irgendwie dartun könnte, welches der relativ gültige Maßstab ist, der dem Recht Schaffenden zur Norm dienen soll; so würde in dem Satz: daß der Gesetzgeber, weil er frei ist, immer mit den Anforderungen der "jeweiligen Rechtsüberzeugung gerade dieses Zeitalters" das Recht im Einklang zu halten verbunden ist und das "Rechtsideal gerade seiner Zeit" zu verwirklichen hat - ein unlösbarer innerer Widerspruch gelegen sein. Wie sehr man in der Tat gemeinhin in einem solchen drinnen steckt, wird sich in zwei Sätzen zeigen lassen. Wenn die "Rechtsideale" wirklich beständig wechselten, so ständen sie unter der Bedingung der Zeit und wären mithin Objekte unserer Erfahrungserkenntnis; sie wären Erscheinungen, von empirischer Realität, welche den Erfahrungsgesetzen unterlägen. Die Recht setzenden Faktoren aber, was immer sie sein mögen, sind gleichfalls in unserer Erfahrung bestimmbare Erscheinungen; denn nicht um einen übernatürlichen Gesetzgeber dreht sich die Frage, sondern um Menschen und deren in der Sinnenwelt erscheinende Handlungen. Nun soll jenes erste Erfahrungsobjekt, das sogenannte relative Rechtsideal, auf das zweite, den Gesetzgeber (egal wer es ist), bestimmend einwirken. Wenn aber zwei Gegenstände der Erfahrung in ein solches Verhältnis gesetzt werden, so kann es nur nach dem Kausalitätsgesetz geschehen. Mithin ist die Vorstellung von einem "freien" Gesetzgeber unter einem "relativen" Rechtsideal eine Selbsttäuschung. Wenn Freiheit ist, so kann sie nur sein: Bestimmung durch die (mit KANT zu reden) objektiven Gründe der Ideen; eine Idee aber ist ein notwendiger Begriff, dessen Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden kann. Sobald der bestimmende Gegenstand in der Erfahrung auftritt, gibt es für seine Einwirkung nur noch das Naturgesetz der Kausalität. Zu sagen: der Gesetzgeber ist frei und er soll sich nach den Wünschen des Nationalbewußtseins richten, oder gar, er soll letztlich die Forderungen der Volksüberzeugung verwirklichen, - ist in sich widersinnig; die Vorstellung von relativen, in der Zeit beständig wechselnden Rechtsidealen bedeutet die Behauptung der naturnotwendigen Kausalität für die Rechtsbildung. Eine empirisch vorliegende Erscheinung wirkt nach dem Naturgesetz der Kausalität oder gar nicht. Wie sollte man aus ihr und nur durch sie ein "soll rechtfertigen? Ob man aber nicht vielleicht jene genannten oder verwandte Forderungen gegen den Gesetzgeber aus dem Gesichtspunkt erheben könnte, weil sich in ihnen dasjenige darstellt, was unter der Voraussetzung des allgemeingültigen Richtmaßes, in der Aufweisung eines festen konstanten Zielpunktes, unter gegebenen empirischen Verhältnissen relativ erstrebt werden sollte, muß hier ganz unerörter bleibe. Den die geschichtliche Rechtstheorie erkennt überall kein a priori feststehendes Prinzip und Ziel allen Rechts an; sie weiß nur von relativen Rechtsidealen zu berichten. Damit aber verwickelt sie sich in unlösbare Widersprüche. Der Historismus mit seinem relativen Rechtsideal hat also nur die Wahl: entweder zwischen nur naturgesetzlicher Rechtsbildung, - dann fällt aller Zweifel, ob etwas Recht sein sollte, alle Scheidung von guten und schlechten Gesetzen, von selbst weg; und es begännen nun vor allem die Schwierigkeiten, wie man dem Menschen im Sittlichen Freiheit zuschreiben mag und vielleicht demselben, wenn er Rechtsgesetze gibt, also durch sein Wollen Andere verbindet, dieselbe absprechen kann; oder den Gesetzgeber doch wieder zu einem Wesen höherer Art zu proklamieren, für welches der letzte Bestimmungsgrund seines Handelns zwar eine in der Erfahrung gegebene Erscheinung (das nach der Volksüberzeugung und dgl. erkennbare "relative" Rechtsideal) wäre, welches aber die (übernatürliche) Kraft besäße, seine Handlung der naturnotwendigen Einwirkung ihrer letzten Ursache zu entreißen: auf daß man ihn wegen seiner Abweichung vom Kausalitätsgesetz nun - schelten darf. Denn das andere, daß der Recht Setzende durch empirische Bestimmungsgründe zwar beeinflußt, aber nicht genötigt wird, weil er durch Ideen bestimmt werden kann, - ist der geschichtlichen Rechtstheorie, die es nur mit Empirischem zu tun haben will, durch eigene Wahl verschlossen. In der Tat beginnen hier erst die Schwierigkeiten, wo die vulgäre Meinung des Historismus die Sache für abgeschlossen wähnte. Doch brechen wir für jetzt hier ab; nur das hatten wir an dieser Stelle uns vorgesetzt: den Paralogismus der besprochenen, in den heutigen juristischen Kreisen, wie man wohl sagen darf, recht häufigen Meinung deutlich darzulegen. Und dies ist demnach das Ergebnis: Ob etwas Recht sein soll, das läßt sich niemals anhand eines Maßstabs ausmachen, der nur durch empirische Forschung gefunden wäre; weder durch eine solche bezüglich vorhandenen Rechts, noch auch anderer geschichtlicher Tatsachen. Zielpunkt und Richtmaß für das Sollen, auch bezüglich der Kritik bestehenden Rechts, müssen in einer anderen Art und Weise der wissenschaftlichen Untersuchung festgestellt werden, wie auf dem Weg historischer Erkenntnis und nur empirischer Forschung. Indem die ehemals herrschende geschichtliche Rechtstheorie vermeint, jedes andere Vorgehen grundsätzlich ablehnen zu müssen; indem sie überall kein festes Ziel für alles Recht wissen will, sondern nur Relatives anzuerkennen bereit ist: hat sie sich methodisch unfähig gemacht, dem hier in das Auge gefaßten Problem überhaupt Genüge zu tun. ![]() ![]()
1) ALOIS von BRINZ, Rede über "Rechtswissenschaft und Rechtsgesetzgebung" (1877), abgedruckt in Allgemeine Zeitung, Nr. 277 B; Festrede zu Savignys hundertjährigem Geburtstag (1879). 2) LUDWIG KÜHNAST, Kritik moderner Rechtsphilosophie, 1887, Seite 6f 3) Vgl. ZITELMANN, Gewohnheitsrecht und Irrtum im "Archiv für zivilistische Praxis", Bd. 66, 1883, besonders Seite 374f. 4) FELIX DAHN, Die Vernunft im Recht, 1879, Seite 13 5) FELIX DAHN, Zur Rechtsphilosophie, Bausteine IV (1883, geschrieben 1869) Seite 146 6) HEINRICH AHRENS, Recht und Rechtswissenschaft im Allgemeinen, in HOLTZENDORFFs Rechtsenzyklopädie, 2. Auflage, 1873, Seite 21; GIERKE, Naturrecht und deutsches Recht, 1883, Seite 5f. 7) SAVIGNY, Über den Zweck dieser Zeitschrift, in "Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft", Bd. 1, 1815, Seite 4; siehe auch Seite 6: "Den mit innerer Notwendigkeit gegebenen Stoff." 8) Neuestens BEKKER, System und Sprache des Entwurfs usw., 1888, Seite 65 "Naturgesetze der Rechtsentwicklung", und gleich daneben die Forderung, daß das Recht "brauchbar sein soll für die Zwecke, die wir damit erreichen wollen." 9) SAVIGNY, Zeitschrift a. a. O., Seite 3 und 6 10) BRUNS, in HOLTZENDORFFs Rechtsenzyklopädie, 4. Auflage, 1882, Geschichte und Quellen des römischen Rechts, § 2 11) Diese Definition der Rechtsordnung findet sich in PUCHTAs Pandekten, § 10; RUDORFF begleitet sie in der von ihm besorgten 11. Ausgabe des Buches (1872) mit den Worten: "Über den hier fehlenden Begriff des Rechts vgl. TRENDELENBURG, Naturrecht, § 46." 12) In der im Kursus der Institutionen vorangestellten "Enzyklopädie" (1841). 13) Eine kurze beiläufige Beerkung, daß "die Idee der Naturnotwendigkeit nicht mißbrauch werden darf, um dadurch das Urteil über Wert und Unwert bestehender Einrichtungen und das Streben nach ihrer Beseitigung zu beschränken" - finde sich bei BRUNS, a. a. O. 14) ADOLF MERKEL, in der "Zeitschrift für öffentliches und Privatrecht, Bd. 1, 1874, Seite 418f; siehe auch denselben in "Philosophische Monatshefte", Bd. 24, 1887, Seite 82 15) KANT, Kritik der reinen Vernunft, 1781, Ausgabe KEHRBACH, Seite 438 16) Sehr prägnant hat dem obigen Gedanken besonders DAHN in wiederholten Ausführungen gegeben. So "Die Vernunft im Recht" a. a. O., Seite 14 "jede Menschengenossenschaft hat ihr eigenes relatives Rechtsideal"; Seite 36: "nicht jede Friedensordnung ist Recht, sondern nur die "vernünftige" das heißt die von den Genossen für Vernunft gemäß gehaltene ... Ein Staat mit Einrichtungen, welche wir für vernunftwidrig halten ..." Vgl. Seite 15, 28, 37. Ferner DAHN, Bausteine IV, a. a. O., Seite 195: "das Ideal ist nicht ein einheitliches, es ist bei jedem Volk in jeder Zeit ein anderes; es ist also auch nicht ein Ideal die forttreibende Kraft in der Rechtsbildung oder das Vorbild." Vgl. auch Seite 152 und 293. |