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Logische Fragen [Ein Versuch der Verständigung] [ 2 / 2 ]
Erster Artikel [Fortsetzung] 5. WUNDT läßt das problematische Urteil aus demjenigen hervorgehen, das er das "negativ alternierende" nennt, und das nach gewöhnlichem Sprachgebrauch ein zweigliedriges disjunktives ist. Das Urteil: S ist entweder P oder nicht P kann, sagt Seite 197, durch ein vollständig positives Urteil ersetzt werden, wenn nur dem Prädikat eine limitierende Bestimmung beigegeben wird, welche andeutet, daß es keine ausschließliche Geltung hat. Dem Urteil: S ist entweder P oder nicht P kann das positive Urteil äquivalent sein: S ist vielleicht oder wahrscheinlich P. Ich hatte die Sache so aufgefaßt, daß, ehe zwei Sätze durch entweder - oder in Beziehung gesetzt werden können, sie schon gedacht sein müssen; daß also die Gedanken: S kann P sein, S kann nicht P sein, dem disjunktiven Urteil vorangehen, das nun behauptet, die eine der Möglichkeiten müsse stattfinden. Ich will aber diese Differenz nur andeuten, um dem Einwand zu begegnen den mir WUNDT Seite 197f macht. Er betrifft meine Behauptung, das sogenannte problematische Urteil "A ist vielleicht B" könne nicht als eine Art des Urteils bezeichnet werden, sobald man in den Begriff des Urteils die Behauptung der Wahrheit einer Aussage aufnimmt, und lehrt, daß ein Urteil entweder wahr oder falsch sein muß. Denn dann könne eine Aussage über A, die nichts behauptet, die frei läßt, daß das Gegenteil wahr ist, nicht ein Urteil über A genannt werden, in demselben Sinn, in welchem "A ist B" und "A ist nicht B" Urteile über A sind; wenn jedes Urteil entweder die Bejahung oder Verneinung einer Frage ist, kann ein Satz, der eine Frage weder bejaht noch verneint, kein Urteil sein. Der Satz A ist vielleicht B enthält also kein Urteil über A, sondern nur eine Behauptung über mein Verhältnis zu der Hypothese A ist B, den Ausdruck meiner Ungewißheit ob sie wahr oder falsch ist. Ich gestehe, daß ich diese Sätze für unanfechtbar halte, obgleich ich mir aus der Aufstellung einer so selbstverständlichen Konsequenz aus meiner Definition des Urteils kein Verdienst mache. WUNDT sagt nun aber (Seite 197), ich habe die logische Berechtigung des problematischen Urteils bestritten, indem ich gesagt habe, daß es nicht sowohl selbst ein Urteil ist, als, ähnlich der Frage, ein solches vorbereitet.
Was ist aber mit meiner Verwerfung des Terminus "problematisches Urteil" zuletzt bezweckte, war nichts anderes als was WUNDT verlangt: daß die logische Form richtig gestellt wird, "in welcher das mehr oder weniger Wahrscheinliche sich vom Gewissen unterscheidet." Darum habe ich das Urteil als die mit dem Bewußtsein der Gültigkeit ausgesprochene Aussage von der Frage und der Hypothese geschieden. Nur dann, wenn man für überflüssig hält in der Definition des Urteils eine klare Entscheidung darüber zu geben, ob zum Urteilen gehört, daß es mit dem Bewußtsein seiner Gültigkeit vollzogen wird, mag man immerhin eine Aussage, die nur die Ungewißheit konstatiert, ein Urteil nennen; ich kann darin nur eine Ungenauigkeit sehen. Umso mehr freue ich mich, daß WUNDT dem zustimmt, was ich über das Verhältnis des assertorischen [behauptenden - wp] und apodiktischen [gewissen - wp] Urteils sage. 6. Hinsichtlich der Differenz, welche zwischen WUNDT und mir in Bezug auf die Auffassung des Schlusses besteht, kann ich mich kurz fassen. Es entspricht der Aufnahme des problematischen Urteils unter die Urteile, daß WUNDT die Beschränkung des Terminus "Schluß" auf die Folgerungen, bei denen aus gegebenen Urteilen ein neues mit Notwendigkeit hervorgeht, aufheben und den Begriff des Schließens so erweitern will, daß auch die Folgerungen, die zu einem bloß wahrscheinlichen Ergebnis führen darunter fallen. Ich bestreite nicht, daß die Logik auch mit diesen sich zu beschäftigen hat, und z. B. die sogenannten "Wahrscheinlichkeitsrechnung" ein wichtiger Teil der Logik ist; aber ich halte die Ansicht fest, daß es in der Logik, gerade wenn sie eine wissenschaftliche Methodenlehre sein will, keinen wichtigeren Unterschied gibt, als den des Gewissen vom Ungewissen, weil ihr letzter Endzweck das Wissen und nicht das Meinen ist; und daß sie darum wohl tut, beim Vorgehen des ARISTOTELES zu bleiben und die Folgerungen, die als Resultat ein wirkliches Urteil, nicht bloß eine Wahrscheinlichkeit geben, durch einen besonderen Terminus auszuzeichnen, und die Wahrscheinlichkeitslehre gesondert zu behandeln. WUNDT bespricht nun Seite 276f das Verhältnis des kategorischen und hypothetischen Schlusses und erkennt an, daß sich dem kategorischen Schluß auch, wie ich getan habe, eine hypothetische Form geben läßt. Gerade beim Schluß erscheint die letztere bedeutungsvoll, weil der ganze (kategoriscche) Schluß sich immer in der Gestalt eines zusammengesetzten hypothetischen Urteils darstellen läßt. Doch sei es zumindest einseitig, wenn hierbei der hypothetischen Form vor den anderen Formen der Begründungsurteile (7) ein Vorzug eingeräumt wird. Gerade wo wir einen kategorischen Schluß in ein zusammengesetztes Urteil verwandeln, erweist sich das kausal begründende "Weil" zutreffender als das bedingende "Wenn" ... Die gleichförmige Umwandlung in den Bedingungsschluß würde nur dann einen Zweck haben, wenn damit irgendein Vorteil für die logische Analyse verbunden wäre. Hiervon ist aber das gerade Gegenteil der Fall. Ich habe Seite 49f meiner "Logik" den hypothetischen Schluß als die allgemeinste Formel des Schließens überhaupt hingestellt, und gezeigt, daß sich auf diese Formel auch die kategorischen Schlüsse darum reduzieren lassen, weil, wo ein wirkliches Schließen in ihnen stattfindet, eine der Prämissen einen notwendigen Zusammenhang aussagt, also dem Sinn nach ein hypothetisches Urteil ist; der notwendige Zusammenhang ist jetzt in den Begriffsverhältnissen begründet. Diese Auffassung wird zunächst von den Bemerkungen WUNDTs gar nicht berührt, durch die er die Bevorzugung der hypothetischen Form als "zumindest einseitig" hinstellt. Die selbstverständliche Wahrheit, daß ich jeden kategorischen Schluß, "A ist B, B ist C, also A ist C" in einem Urteil darstellen kann: Weil AB und BC ist, darum ist AC, hat mit der Frage, ob alles Schließen ein dem Sinn nach hypothetisches Urteil als Prämisse voraussetzt, gar nichts zu tun; ich habe also darin keinen Einwand vor mir, den ich zu widerlegen hätte, sondern höchstens Gelegenheit zu der beiläufigen Bemerkung, daß in dem angeführten Beispiel das "Weil" eine ebenso rein logische Bedeutung hat, wie das "Wenn" im hypothetischen Urteil; es fügt dem letzteren nur die Behauptung der Gültigkeit des Vordersatzes hinzu, aber der Sinn der Begründung ist absolut derselbe, - von Kausalität ist dabei gar nicht direkt die Rede; und es könnte also auch keine Einseitigkeit dabei sein, die hypothetische Form als diejenige zu bezeichnen, die das Verhältnis der Prämissen zum Schlußsatz ausdrückt; umso weniger, da WUNDT Seite 182 ausdrücklich die kausale Begründung als eine spezielle Form der im hypothetischen Urteil ausgedrückten anerkennt. Lag soweit kein Einwand vor, der mich treffen kann, so geht mich das Folgende allerdings sehr nahe an. WUNDT leugnet nicht nur, daß die von mir bevorzugte Reduktion auf den Bedingungsschluß einen Vorteil für die logische Analyse gewährt, sondern es sei gerade das Gegenteil der Fall. Ich kann das zwar nicht leicht mit seiner Äußerung auf Seite 315 reimen, wo er den Schluß ganz allgemein eine von der Bedingung zur Folge fortschreitende Gedankenform nennt, wonach man also erwarten sollte, daß, wer ihn auch äußerlich so darstellt, die logische Analyse nicht erschweren kann; allein ich will, statt weitläufig allgemeine Gründe anzuführen, an einem Beispiel zeigen, daß die Reduktion auf die hypothetische Form allerdings Vorteile für die Analyse bringt und insbesondere dazu dient, echte kategorische Schlüsse, die ich im Übrigen nicht als besondere Form beseitigen will, von bloß scheinbaren zu unterscheiden. Wenn WUNDT Seite 297 den Schluß:
- Dreiecke, deren Seiten paarweise parallel sind, haben gleiche Winkel, - also sind Dreiecke, deren Seiten paarweise einander parallel sind, einander ähnlich
- Reguläre Figuren können einem Kreis eingeschrieben werden usw. Aber dieser Gesichtspunkt der Subsumtion läßt sich auf das Beispiel WUNDTs nicht anwenden. "Ähnlich" ist kein Prädikat, unter das Dreiecke subsumiert werden könnten; auf ein einzelnes Dreieck angewendet hat es gar keinen Sinn, ebensowenig kann im Sinne des ersten Beispiels unter das Prädikat "gleiche Winkel haben" subsumiert werden. Dreiecke, die so beschaffen sind, daß die Winkel des einen je den Winkeln des andern gleich sind, (das meint ja dort "gleiche Winkel haben") können nicht als ein allgemeiner Begriff, etwa als ein Artbegriff des Dreiecks aufgestellt werden, dem sich ein einzelnes Dreieck oder eine Klasse von Dreiecken subsumieren läßt; es handelt sich immer um einzelne Dreiecke, zwischen denen eine bestimmte, für jedes derselben zufällige Relation besteht, eine Relation, die zwischen einzelnen Dreiecken jeder Art bestehen kann. Das Subjekt, von dem die Rede ist, ist "zwei oder mehrere einzelne Dreiecke"; die Prädikate betreffen nicht Eigenschaften derselben, es ist ungenau, in einem solchen Fall, wie WUNDT Seite 297 tut, von einer Eigenschaft der Gleichheit der Winkel zu reden; die Prädikate betreffen nur die Relationen, die wir finden, wenn wir sie vergleichen. Und nicht einmal in Bezug auf die Relationen findet eine Subsumtion statt; ich kann nicht die Relation der Gleichheit der Winkel der Relation der Ähnlichkeit subsumieren, denn an und für sich ist jene der weitere, diese der engere Verhältnisbegriff, da dieser durch die Bestimmungen der Gleichheit der Winkel und der Proportionalität (nicht des Parallelismus, wie sich WUNDT verschreibt) der Seiten konstituiert wird; nur in Bezug auf (zwei oder mehrere) Dreiecke schließt eine Gleichheit der Winkel schon die Ähnlichkeit ein, da aus jener für Dreiecke die Proportionalität der Seiten folgt. Darum habe ich gesagt, jener erste Schluß, korrekt ausgedrückt, lautet:
Wenn zwei oder mehrere Dreiecke paarweise parallele Seiten haben, sind ihre Winkel gleich (Folge aus den Sätzen über Parallelen) also wenn zwei oder mehrere Dreiecke paarweise parallele Seiten haben, sind sie ähnlich. (8) Auch in anderer Hinsicht noch scheint mir die Reduktion der kategorischen Schlüsse auf hypothetische Form für die logische Analyse von Vorteil zu sein. Sie läßt einmal erkennen, daß die Betrachtung des kategorischen Schlusses als einer bloßen Vergleichung von Begriffsumfängen eine ungenügende ist; und sie scheidet ganz leicht und sicher diejenigen Schlußformen, in denen ein ganz bestimmtes Resultat gewonnen werden kann (die erste und zweite Figur) von anderen, in denen der Gewinn bloß darin besteht, daß erkannt wird, daß sich zwei Begriffe nicht ausschließen oder notwendig zusammengehören, wie bei der dritten Figur. Das habe ich Seite 400 gezeigt. Von demselben Gesichtspunkt aus würde die Reduktion auf eine hypothetische Form erkennen lasen, welcher Natur die Schlüsse sind, die WUNDT Seite 324 als Vergleichungsschlüsse aufführt:
B hat das Merkmal M
A und B haben das Merkmal M, Also stimmen sie in einem Merkmal überein. Ist also vielleicht doch für die logische Analyse zuweilen ein Vorteil aus der Reduktion auf die hypothetische Form zu gewinnen, und meine Theorie nicht so einseitig als WUNDT meint, so fürchte ich umgekehrt, daß WUNDT seinerseits in eine Einseitigkeit verfällt, wenn er Seite 283 behauptet, daß die erzählenden Urteile (nach seiner Definition solche, die einen einzelnen Vorgang oder Zustand berichten) sich der Schlußbildung entziehen - was im Zusammenhang nur soviel heißen kann, daß sie unfähig sind, als Prämissen (oder auch als Schlußsatz?) zu fungieren. Die Probe darauf, fährt WUNDT fort, ob ein gegebenes Urteil an einem Schluß teilnehmen kann, besteht immer darin, daß es ohne wesentliche Beeinträchtigung seines Sinnes die Umwandlung in eine Relationsform (Identitätsurteil, Subsumtionsurteil, koordinierendes Urteil, Urteil der Abhängigkeit) zuläßt. Wenn ich die Schlüsse ansehe, welche der Historiker oder der Richter zu vollziehen hat, so will mir scheinen, als ob darin überall das einfach erzählende Urteil unbeanstandet als Prämisse figuriert, ohne besondere Zubereitung, die ihm "eine über die unmittelbar gegebenen zeitlichen Bedingungen hinausreichende Bedeutung" beilegt. Wenn vom Angeklagten A bezeugt wird, daß er am Sonntag Abend um 10 Uhr über den Marktplatz in Leipzig ging, so ist das gewiß ein rein erzählendes Urteil und bedarf gar keiner weiteren Zubereitung, noch der Beilegung einer über die unmittelbar gegebenen zeitlichen Bedingungen hinausreichenden Bedeutung, um als Prämisse den Schluß mit zu begründen, daß er nicht ein Verbrechen begangen haben kann, das an demselben Sonntag Abend um 10 Uhr in Dresden verübt wurde. Worin die allgemeingültigere Bedeutung liegen soll, die der Konstatierung einer Tatsache gegeben werden muß, damit sie sich an einem Schluß beteiligen kann, vermag ich nicht einzusehen. Der Schluß selbst allerdings legt ihr eine solche Bedeutung bei aber mittels des Obersatzes, der Folgen aus ihr abzuleiten gestattet; im gegebenen Beispiel des Satzes, daß ein Mensch nicht zugleich an zwei verschiedenen Orten sein kann; aber als Prämisse des Schlusses hat sie diese Bedeutung noch nicht, sondern sagt die nackte Tatsache aus. Der Auseinandersetzung dagegen Seite 283f über den Wert des logischen Schlusses kann ich zustimmen. 7. Der letzte Punkt, in dem WUNDT meine Auffassungen bestreitet, ist das Identitätsgesetz und die damit zusammenhängenden Fragen. Auch hier beruth die Differenz zum Teil auf Mißverständnissen, zum Teil ist sie wirklich vorhanden. Ich hatte mich Seite 81f gegen den schwankenden und vieldeutigen Gebrauch des Ausdrucks "Identität" erklärt. Ich hatte ferner zwei Bedeutungen des sogenannten "Prinzips der Identität" unterschieden; nach der einen fordert es die Konstanz der Begriffe, die in ein Urteil eingehen, weil zwischen fortwährend Schwankendem und Zerfließendem sich keine Synthese vollziehen läßt, betrifft also eine notwendige Voraussetzung des Urteils; nach der anderen betrifft es das Urteil selbst. In dieser Hinsicht habe ich bestritten, daß das Verhältnis von Subjekt und Prädikat allgemein als das der Identität bezeichnet werden kann; aber der Forderung der Konstanz der Begriffe entspricht hier die Eindeutigkeit des Urteilsakts; in jedem Urteil wird etwas Bestimmtes behauptet, wie bei jedem Begriff und seiner Wortzbezeichnung etwas Bestimmtes gedacht werden muß; diese Eindeutigkeit des Urteilsaktes soll die positive Kehrseite zum Satz des Widerspruchs sein, der verbietet dasselbe zu bejahen und zu verneinen. Das glaube ich Seite 81f und Seite 146f deutlich ausgesprochen zu haben. Es ist also unrichtig, wenn WUNDT Seite 506 sagt, nach meiner Ansicht sei das Identitätsgesetz nur der Satz des Widerspruchs in einer anderen Form; ich sehe "die Bedeutung des Identitätsgesetzes in der Eindeutigkeit des Urteilsaktes;" mit diesem Begriff der Eindeutigkeit sei aber der Sinn des Identitätsgesetzes nicht zutreffend bezeichnet, da der Satz A = A nicht auf das Verhältnis des Urteils zu anderen Urteilen, sondern sich zunächst nur auf die Stetigkeit der Begriffe im einzelnen Urteil bezieht. Ich nehme den letzteren Satz zu Protokoll: aber wie soll ich es deuten, daß WUNDT übersieht, daß ich auf der zitierten Seite 147 von einem Identitätsgesetz nur rede, sofern es die positive Kehrseite zum aristotelischen Satz des Widerspruchs sein soll, nicht von anderen Bedeutungen des Identitätsprinzips, wie es verstehen, daß er mich auf die Stetigkeit der Begriffe hinweist, da auf der Seite die er zitiert die Eindeutigkeit des Urteilsaktes als Ergänzung zur Konstanz der Vorstellungen bezeichnet, Seite 82 das Prinzip der Konstanz ausdrücklich aufgeführt, Seite 332 noch einmal das Identitätsprinzip im Sinne eines Prinzips der Konstanz der Vorstellungen erwähnt ist? Ist es nicht peinlich, sich immer wieder gegen eine ungenaue Berichterstattung verwahren zu müssen? Soweit ruhen die Einwände WUNDTs auf einem Mißverständnis. Dagegen befinde ich mich in einer wirklichen Differenz mit ihm darüber, daß der Satz der Identität (der sich eben zunächst nur auf die Stetigkeit der Begriffe im einzelnen Urteil bezogen hat) nun, als ob diese Stetigkeit nicht für das verneinende Urteil ebenso wichtig wäre, nach Seite 505 das Grundgesetz der positiven Urteile sein soll. Ich behaupte, daß diese Tradition unhaltbar ist, wenn man den Terminus "Identität" in seinem eigentlichen Sinn nimmt und ihm eine feste Bedeutung wahren will; und daß die gewöhnliche Verwendung dieses Terminus, der auch WUNDT folgt, Verwirrung stiftet. Außerhalb des Kapitels der Logik, das vom Satz der Identität und seinen Anwendungen handelt, bezeichnet Identität überall, daß, was wir uns zu verschiedenen Zeiten, oder unter verschiedenen Namen, oder in verschiedenen Zusammenhängen vorstellen, also zweimal vorstellen, doch nicht zweierlei, sondern ein und dasselbe ist. Das meint auch, im gewohnten Sinn verstanden, die Formel A ist A, "A gleich A"; das erste A soll schlechterdings dasselbe A sein, wie das zweite A. Diese Identität, habe ich Seite 83 ausgeführt, wird genommen im Sinne einer realen Identität, wo zwei Vorstellung oder Bezeichnungen eines einzelnen Dings auf ein und dasselbe Ding bezogen werden. In diesem Sinn sind zwei verschiedene Ansichten Ansichten desselben Gegenstandes; in diesem Sinn stellt die Polizei die Identität eines Menschen fest, der unter falschem Namen reist, oder die Geschichtsforschung die Identität einer Person von der in verschiedenen Quellen unter demselben Namen Verschiedenes berichtet wird; ebenso können wir von der Identität eines Vorganges reden; die Sonnenfinsternis des THALES ist dieselbe, welche nach einer astronomischen Berechnung am 25. Mai 585 v. Chr. stattgefunden hat. Wo es sich aber nicht um die Beziehung unserer Vorstellungen auf einzelne Dinge oder Vorgänge in Raum und Zeit handelt, muß die Identität den Inhalt des Vorgestellten als solchen betreffen; und hier findet teilweise dasselbe statt, daß eine Aussage über Identität nur meint, daß unter verschiedenen Wörtern oder Wortausdrücken derselben Begriff gedacht wird, ihre Bedeutung dieselbe ist - in diesem Sinne sagt eine Definition, daß der durch ein Wort und der durch den definierenden Ausdruck bezeichnete Begriff derselbe ist, teils ist der Sinn, daß was zu verschiedenen Zeiten oder in verschiedenen Reihen gedacht wird, dasselbe Denkobjekt ist. In der Mathematik nennen wir eine identische Gleichung diejenige, welche eine Linie mit sich selbst, eine Summe von Linien mit sich selbst, zwei algebraische Ausdrücke von derselben Konstitution, die dieselbe Zahl in gleicher Weise ausdrücken, gleich setzt. Bestimme ich aus der Gleichung x - a = b den Wert von x = b + a, und setze ihn ein, so muß die Gleichung identisch werden, ich erhalte b + a - a = b, also b = b. In diesem Gebrauch wird die Linie und die Zahl zweimal gedacht, einmal als Glied einer, das andere mal als Glied einer anderen Verbindung; aber es ist dieselbe Linie, dieselbe Zahl, die unter derselben Bezeichnung zweimal vorkommt. Die Zahl erscheint hier dem Begriff gleichartig, der als derselbe gilt, wenn sein Inhalt derselbe ist, und keinen Ort im Raum, keine Stelle in der Zeit hat; während die Linie wegen ihrer Beziehung zum Raum dem einzelnen Ding entspricht, ein und dieselbe Gerade diejenige ist, welche zwischen denselben im Raum festgedachten Endpunkten liegt, oder die sich ohne sich zu ändern kontinuierlich bewegt, wie dasselbe Ding im Raum sich bewegt. Sowohl in dem einen, realen, wie in dem andern, logischen Sinn der Identität gilt dann auch, daß ein Ganzes identisch ist mit der Summe aller seiner Teile, sofern diese als zum Ganzen zusammengefügt vorgestellt werden; ein Jahr ist identisch mit den kontinuierlich aneinandergereihten 365 Tagen, die dasselbe bilden; es wird beidemal derselbe Zeitraum vorgestellt, entweder begrifflich und allgemein, oder in Beziehung auf ein bestimmtes einzelnes Jahr. Soweit reicht das Gebiet, in welchem wir von Identität reden, wenn wir dem Wort seinen ursprünglichen Sinn lassen und genau reden wollen (9). Es ergibt sich daraus zunächst, daß Identität und Gleichheit verschiedene Begriffe sind. Gleichheit setzt in seinem ursprünglichen Sinn immer wenigstens zwei Objekte voraus, die jedes getrennt vom anderen gedacht und festgehalten und darum verglichen werden können; zwei gleiche Münzen sind nicht dieselbe Münze, zwei gleiche Linien nicht dieselbe Linie zwei gleiche Zahlausdrücke wie (a + b) c und ac + bc nicht derselbe Zahlausdruck, sofern im ersten eine andere Operation als im zweiten vorgeschrieben ist; erst das Resultat beider, ihr Wert ist derselbe; wie man dort sagen kann, die Länge zweier Linien sei dieselbe, in dem jetzt Länge in einer begrifflichen Abstraktion von den einzelnen Objekten gedacht ist. In einem erweiterten Sinn sagen wir dann freilich, jede Linie ist sich selbst gleich usw.; der Begriff der Gleichheit läßt sich auch anwenden, wenn wir etwas mit sich selbst vergleichen; das Motiv dazu in der Mathematik ist, daß dieselbe Linie Bestandteil zweier verschiedener Linien oder Figuren sein kann, also in der Tat zweimal vorgestellt wird (wenn AB = CD, so ist AB + BC = BC + CD); das Motiv in der realen Welt von der Gleichheit eines Dings mit sich selbst zu reden ist, daß ein und dasselbe Ding in der Zeit veränderlich, also auch mit sich selbst ungleich werden kann. Wenn Gleichheit also auch auf Identisches angewandt werden kann, so ist es doch ein von Identität verschiedener, auf mathematischem Gebiet ein viel weiterer Begriff. Es kann also nur Verwirrung steiften, wenn alle Gleichungen so aufgefaßt werden, als behaupteten sie eine Identität. WUNDT selbst gibt Seite 172, wo er diesen Satz aufstellt, die Widerlegung dazu;
Damit stoßen wir auf den oft gebrauchten Ausdruck relative und partielle Identität. Der Ausdruck "partielle Identität" kann einen zulässigen Sinn haben, wo er sagen will, daß ein Teil von A und ein Teil von B, oder A mit einem Teil von B identisch ist; so besteht etwa eine partielle Identität der Mitglieder des Reichstages und des preussischen Landtages, eine partielle Identität des Stromgebiets des Rheins und des deutschen Reichsgebietes; aber die Identität, die hier gemeint ist, ist in Bezug auf die Teile selbst eine absolute Identität, die Ganzen sind aber ebendarum nicht identisch, weil sie neben den identischen Teilen auf differente haben. Sollte aber partielle Identität eine Art von Identität bezeichnen; sollten zwei Ganze darum identisch genannt werden dürfen, weil derselbe Teil verschiedenen Ganzen angehört: so ist partielle Identität eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp], so gut wie eine relative Identität. Wenn A und B nur zum Teil identisch, nur in gewisser Hinsicht identisch sein sollen, so sind A und B eben nicht identisch, sondern verschieden; nicht ein und dasselbe, sondern zwei; der Terminus "Identität" ist in gar keinem denkbaren und mit der Wortbedeutung vereinbaren Sinn auf die Ganzen anwendbar. Das deutsche Gebiet ist nicht identisch mit dem Stromgebiet des Rheins; das Quadrat der Hypotenus ist mit den Quadraten der Katheten nicht identisch, obgleich ihr Flächengehalt derselbe ist; ein Quadrat kann nur identisch mit sich selbst sein, nicht mit zwei andern. Wohin würde es kommen, wenn wir WUNDTs Sprachgebrauch folgend sagen wollten, die Kohlensäure sei mit der Schwefelsäure partiell identisch, denn sie enthalten dasselbe Element Sauerstoff, die Schwefelsäure mit dem Zinnober, der Zinnober mit Quecksilbersublimat usw.? Wären wir nicht da bei dem omou ta panta [wie alles - wp], beim Chaos? Die Identität hat niemals Grade; sie ist immer absolut; entweder ist sie ganz da, oder gar nicht; man kann nur unterscheiden welche Einheit als dasselbe erklärt wird, ein Begriff oder ein reales Ding; danach richtet sich die Anwendung des Terminus. Und nun zur Anwendung des Identitätsprinzips auf das Urteil. Ich habe bestritten, daß das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im positiven Urteil allgemein durch den Begriff der Identät ausgedrückt werden kann. Die wirklich identischen Urteile nach der Formel A = A sind wertlos und höchstens geeignet die Konstanz der Begriffe zu Bewußtsein zu bringen; alle Urteile über das unter dem Subjektwort Gedachte, die Sinn und Wert haben, setzen Subjekt und Prädikat in eine andere Beziehung, als die dieser Identität. Der Zinnober ist nicht identisch mit seiner Röte, das Pferd nicht identisch mit seinem Laufen. Den Urteilen: der Zinnober ist rot, das Pferd läuft, liegt die in den Kategorien des Dings, der Eigenschaft, der Tätigkeit gedachte Einheit zugrunde, die eine Einheit von Verschiedenem ist; das Verhältnis aber, wodurch die Farbe des Zinnobers als Röte, die Bewegung des Pferdes als Laufen bezeichnet wird, habe ich, um den so viel mißbrauchten Terminus der Identität, der hier noch zur Not gerechtfertigt werden könnte, ganz zu vermeiden, als Übereinstimmung bezeichnet; denn auch hier findet in der Regel keine strenge Identität der anschaulich gegebenen und der allgemeinen Vorstellung, sondern nur die Übereinstimmung eines bestimmteren mit einem Unbestimmteren und Allgemeineren statt, eine Übereinstimmung bei der also neben der Identität in einem strengen Sinn noch eine Differenz ist, die aber allerdings häufig nicht zu Bewußtsein kommt. Und gibt mit denn nicht WUNDT selbst Recht, wenn er Seite 505 sagt, daß es sich in allen realen Anwendungen des Identitätsprinzips in der Tat nicht um eine Gleichsetzung des absolut Identischen handelt, wenn er sagt A = A bedeutet keineswegs, es soll einem Begriff A ein anderer ihm gleicher auch wirklich identisch gesetzt werden? Lautet das nicht wie wenn ich sage: das Gesetz: der Mörder soll mit dem Tod bestraft werden, bedeutet keineswegs, der Mörder soll auch wirklich hingerichtet werden? Ist ein Gesetz, das nicht bedeutet, es solle wirklich gestraft werden, ein Strafgesetz? Verurteilt damit nicht WUNDT selbst in aller Form die Gültigkeit des Identitätsgesetzes in seinem hergebrachten Sinn? WUNDT aber fährt fort: der Satz A = A bringe die in jedem Urteil vorhandene Begriffseinheit zum Ausdruck. Er sagt:
Aber weiter kann ich nicht gehen. Daß nun nicht in dem, wovon das Prädikat ausgesagt wird, sondern im Prädikat als solchem, in dem was gesagt wird, derselbe Begriff wie im Subjekt festgehalten wird, daß Subjekt- und Prädikatsbegriff im positiven Urteil in irgendeinem Sinn identisch sein müssen, bestreite ich; bestreite also auch, daß die im Urteil vollzogene Synthesis unter den Begriff der Identität gestellt werden kann. Weder partielle Identität oder Gleichsetzung, noch relative Identität oder Gleichsetzung, noch die Beziehung die zwischen einem Ding und seiner Eigenschaft oder Tätigkeit stattfindet, sind eine wirkliche Identität. Es ist also falsch, daß ein Gesetz, das sich in der Formel A ist A aussprechen ließe, das Grundgesetz aller positiven Urteile ist, das die Beilegung des Prädikats an das Subjekt beherrscht; falsch, daß alle im Urteil ausgedrückten Begriffsverhältnisse auf Identität zurückgeführt werden können. In der Tat wäre dann auch völlig unbegreiflich wie Identitätsurteile eine besondere Spezies der Urteile sein könnten, wie doch WUNDT Seite 170f ausführt. Ist Identität das Grundgesetz alles positiven Urteilens, dann müssen auch alle positiven Urteile in gleicher Weise Identitätsurteile sein; und es kann nicht neben den Identitätsurteilen andere geben, die es nicht wären, sondern erst durch eine Umformung auf Identitätsurteile zurückgeführt werden müßten. Gerade an dieser Einteilung zeigt sich klar, daß der doppelte Identitätsbegriff, mit dem operiert wird, selbst zu allererst das Gesetz der Identität, d. h. der Stetigkeit des Denkens übertritt. Sehen wir uns aber genauer an, was nun WUNDT als Identitätsurteile aufführt, so vollzieht sich in seiner eigenen Darlegung unerbittlich die Konsequenz der unhaltbaren Voraussetzung; denn er zeigt vollkommen überzeugend, daß es Urteile, in denen der Begriff der Identität zugrunde liegt, nur da gibt, wo entweder bloß die Konstanz der Vorstellung betont werden soll, oder wo verschiedene Zeichen für denselben Begriff, oder verschiedene Ausdrücke für denselben Gegenstand vorliegen, alle andern aber keine Identität aussprechen. Er unterscheidet nämlich Seite 170 formal identische Urteile, in denen Subjekt und Prädikat durch dasselbe Wort ausgedrückt sind, die also der Formel A ist A entsprechen, wie der "Mensch ist Mensch", "Ärzte sind Ärzte" usw. und real identische Urteile, bei denen der Ausdruck beider Begriffe ein verschiedener ist, während sie wegen ihres übereinstimmenden Inhalts identisch gesetzt werden. In Bezug auf die ersten führt er aus, daß Subjekt und Prädikat in der Regel in verschiedener Bedeutung gebraucht werden, Subjekt und Prädikat real verschieden sind. Dann sind sie aber doch nur scheinbar identisch. Die real identischen Urteile seien einmal diejenigen, in denen synonyme Ausdrücke für dasselbe Subjekt gleichgesetzt werden. Ferner die Definitionen. Ich bin natürlich einverstanden, daß in diesen Subjekt und Prädikat ein und denselben Begriff bezeichnen; ich möchte sogar die Identität noch strenger festhalten als WUNDT. Denn wenn er sagt, in der Definition des Kreises sei das Subjekt ein Begriff, das Prädikat eine Begriffsverbindung, so scheint er mir schon die Identität zu zerstören; ein Begriff kann nur dann mit einer Begriffsverbindung identisch sein, wenn er eben diese Begriffsverbindung ist; in demselben Sinn, in dem "Kreis" ein Begriff ist, ist auch "die Linie welche usw." ein Begriff; in demselben Sinne, in dem dies eine Begriffsverbindung ist, ist auch, was unter Kreis gedacht wird, eine Begriffsverbindung. Die Definition muß sich in jeder Hinsicht umkehren lassen; eine Formel in der nicht Subjekt und Prädikat genau denselben Begriff bezeichneten, wäre keine Definition. Der Unterschied liegt darin, daß derselbe Begriff das einemal mit einem Wort, das anderemal mit einem zusammengesetzten Ausdruck bezeichnet ist. Würde "Kreis" nicht als Zeichen eines Begriffs, sondern als Zeichen des anschaulichen Bildes genommen, dann wäre die Formel eine erklärende Angabe seiner Eigenschaften, aber keine Definition. Ein Identitätsurteil soll ferner der Satz sein: der Wasserstoff ist das Element vom kleinsten Atomgewicht, obgleich in Wirklichkeit Subjekt und Prädikat nicht identisch sind, denn der Wasserstoff besitzt noch viele andere Eigenschaften als das kleinste Atomgewicht zu haben. Auch hier muß ich die wirkliche Identität - zumindest für den Stand unserer Kenntnisse - in Schutz nehmen; sie hängt freilich nicht an der Identität des Begriffsinhalts, sondern daran, "daß das kleinste Atomgewicht haben" ein Relationsprädikat ist, das seiner Natur nach, wie jeder echte Superlativ (oder wie die verwandten Prädikate der erste, der letzte usw.) nur einem Subjekt zugesprochen werden kann; was also durch dieses Relationsprädikat bezeichnet wird, oder worauf es anwendbar ist, ist vollkommen identisch mit dem, was das Subjekt bezeichnet. Es ist das nur ein besonderer Fall davon, daß der Umfang zweier Begriffe identisch ist, verschiedene Begriffe auf dieselben Gegenstände Anwendung finden; und damit sind solche Urteile eben denjenigen verwandt, welche verschiedene Namen desselben Dings gleichsetzen. (10) Soweit erkenne ich an, daß in den Urteilen, die WUNDT als Identitätsurteile aufführt, eine wirkliche Identität, sei es der Begriffe, sei es der Dinge auf welches Subjekts- oder Prädikatswort eine Anwendung finden, zugrunde liegt. Nun sollen aber auch alle mathematischen Gleichungen reale Identitätsurteile sein. Aber Gleichheit ist nicht Identität; und so geht WUNDT ganz konsequent zu dem Satz fort: es wäre irrig, wenn man bei den real identischen Urteilen die Identität von Subjekt und Prädikat als eine absolute ansehen wollte; bei den real identischen Urteilen sei die formale Verschiedenheit beider immer zugleich ein Zeichen, daß zwischen den Begriffen noch eine reale Verschiedenheit existiert. Reale Identität soll also ausgedrückt werden zwischen dem was real verschieden ist. Wo bleibt ein faßbarer Begriff der Identität? Der nächste Satz kommt uns zu Hilfe: die Gleichsetzung bedeutet, daß wir von dieser Verschiedenheit absehen, und für unseren Zweck nur diejenige Seite der "Begriffe" im Augen behalten wollen, vermöge deren sie identisch sind; so setzen wir im pythagoreischen Satz a² und b² + c² nur in Beziehung auf die Flächengröße identisch. Warum nicht auch, wenn wir von der Verschiedenheit absehen dürfen, einen Menschen und einen Zaunpfahl, wenn sie hinsichtlich der Länge, einen Hund und einen Stein, wenn sie hinsichtlich des Gewichts "identisch" sind? Ich weiß wohl, daß WUNDT keine besondere Schuld an der Vieldeutigkeit des Wortes "Identität" hat; aber gerade seine eingehenden Ausführungen können zeigen, daß, solange die hergebrachte Lehre vom Satz der Identität als Prinzip der positiven Urteile nicht verlassen wird, keine gesunde und ungekünstelte Auffassung des Urteils zustande kommen kann. Ich hoffe für den Weiterbau der Logik gerade dadurch etwas getan zu habennnnnn, daß ich das Verhältnis von Subjekt und Prädikat auf einen anderen Boden als den der Identität zustellen versuchte, vor allem durch die Unterscheidung des verschiedenen Sinnes der Einheit, welche die Verknüpfung von Subjekt und Prädikat ausdrückt (§ 9-13 meiner "Logik"); und es scheint mir, als sei WUNDT im Grunde auf demselben Weg wie ich, wenn er (Seite 505) dem Satz der Identität die Bedeutung beilegt, daß er die in jedem Urteil vorhandene Begriffseinheit zum Ausdruck bringt, womit vollkommen zusammenbestehen kann, daß das Prädikat eine andere Seite als das Subjekt an diesem Begriff hervorhebt. Dann handelt es sich also um eine Einheit von Subjekt und Prädikat, welche beide, für sich betrachtet, einen verschiedenen Inhalt haben. Nichts anderes habe ich behauptet, und nur daraus die Folgerung gezogen, daß also Subjekt und Prädikat nicht identisch sind, und das Urteil "Gold ist gelb" nicht durch die Formel "A ist A" ausgedrückt werden kann, sondern die Einheit (nicht Identität) der Substanz mit ihrer Eigenschaft ausdrückt. Auch über den Satz des Widerspruchs muß ich noch einen Einwand abwehren. Ich habe die ursprüngliche Formel des ARISTOTELES: Es ist unmöglich, daß A zugleich B und nicht B ist, hergestellt, und die spätere Formel, "A ist nicht non-A", wegen der Unbestimmtheit des non A verworfen, da sie zu dem Zweck, dem sie dienen soll, ein widersprechendes Urteil für falsch zu erklären, untauglich ist; denn es frägt sich ja immer erst, was denn einem Begriff A widerspricht, da in der nackten Form: "Gold ist nicht Gold", der Widerspruch nicht aufzutreten pflegt. Dieser Einwand, sagt WUNDT, geht von der nicht zutreffenden Voraussetzung aus, daß der Satz des Widerspruchs die Regel ist, nach welcher der Widerspruch in Urteilen vermieden, nach welcher also erkannt werden kann, in welchen Fällen ein Prädikat in negativer und nicht in positiver Form mit einem Subjekt verbunden werden muß; oder wie es auch ausgedrückt werden kann, nach welcher die Falschheit eines Urteils erkannt werden kann, das dem Subjekt ein ihm widersprechendes Prädikat beilegt, die Wahrheit eines Urteils, das ein solches Prädikat verneint. Diese Voraussetzung, sagt WUNDT, ist nicht zutreffend. Auf wen nicht zutreffend? Auf die bisherige Logik nicht, von der ich allein gesprochen habe? Ich fragte mich, ob es mir auch begegnet ist, daß ich, was ich gelesen, mißverstanden habe und schlage meinen LEIBNIZ auf. Dort steht "Princ. philos." § 31 (ERDMANN-Ausgabe, Seite 101):
Was aber ist nun seine Auffassung? Der Satz des Widerspruchs, sagte er eben, ist keine Regel, nach welcher erkannt werden kann, in welchen Fällen ein Prädikat in negativer und nicht in positiver Form mit einem Subjekt verbunden werden muß. Sechs Zeilen weiter steht:
7) Begründungsurteile sind nach Wundt Seite 182 teils die gewöhnlich sogenannten hypothetischen, welche das Verhältnis von Grund und Folge ausdrücken, teils die kausalen, die eine Kausalitätsbeziehung enthalten. 8) Wollte man, um die Subsumtion zu retten, den Ausdruck wählen: Paare von Dreiecken, deren Winkel gleich sind, sind ähnliche Dreieckspaare usw. so ließe sich zuletzt etwas wie eine Subsumtion, bzw. Identifikation herausbringen, aber auch hier erhellt sich, daß der Beisatz "deren Winkel gleich sind" die Bedingung des Prädikats enthält und deren wahre Sinn des Satzes immer am klarsten in der hypothetischen Form heraustritt. 9) Ich bestreite nicht, daß im gewöhnlichen Leben zuweilen der Ausdruck in einem weiteren Sinn gebraucht wird. 10) Wundt hat auch sonst die beiden Fälle von Identität des Subjekts und Prädikats, die sich auf eine Identität des Begriffsinhalts und der Identität des Begriffsumfangs gründen, nicht deutlich und konsequent geschieden; Seite 170 nennt er real identische Urteile diejenigen, in welchen der Ausdruck beider Begriffe ein verschiedener ist, die aber wegen ihres übereinstimmenden Inhalts identisch gesetzt werden; bei der Zurückführung der Urteilsformen auf Identitätsurteile aber (Seite 206) handelt es sich darum, daß Subjekt und Prädikat den gleichen Umfang haben, denn wenn das disjunktive Urteil "S ist entweder P oder P¹ durch die Gleichung S = P + P¹ auf ein Identitätsurteil zurückgeführt werden soll, so kann doch nur gemeint sein, daß der Umfang von S derselbe ist wie die Summe der Umfänge von P und P¹; ebenso ist beim Subsumtionsurteil der Umfang des Subjekts gleich einem Teil des Umfangs des Prädikats. Auf derselben Verwechslung beruth es, wenn Seite 291 der Satz: "der Wasserstoff ist das Element vom kleinsten Atomgewicht", eine Definition genannt wird. |