p-4ra-3K. HaslbrunnerH. KohnH. DohrnD. BraunschweigerG. Noth    
 
ERNST DÜRR
Die Lehre von der Aufmerksamkeit
[ 6 / 7 ]

"Auch der Versuch, die These von der Bestimmtheit der Willenshandlung durch  relative Lust  durch den Hinweis auf die Tatsachen des Wählens zu begründen, muß als gescheitert betrachtet werden."

3. Die Bedingungen der Aufmerksamkeit
[ Fortsetzung 3 ]

Die nächste uns im Anschluß an die Behandlung der Aufmerksamkeitsmotive beschäftigende Frage lautet:
 d) Wie verhält sich die Aufmerksamkeit
als Willenserscheinung zu dem durch
Motivwirksamkeit bedingten Aufmerksamkeitserlebnis?
(1)

Es wurde schon erwähnt, daß es Psychologen gibt, welche die Aufmerksamkeit schlechthin mit dem Willen identifizieren. Diese meinen mit dem Wort Aufmerksamkeit nicht die Klarheit und Deutlichkeit, Lebhaftigkeit und Eindringlichkeit von Bewußtseinsinhalten, sondern ein psychisches Phänomen, welches einem Bewußtseinsinhalt eine solch besondere Höhe des Bewußtseinsgrades  verschafft.  Wir haben nun als psychische Tatsachen, die zu einer derartigen Leistung imstande sind, die Aufmerksamkeits motive  kennen gelernt. Es erhebt sich also die Frage: gibt es außer den bisher behandelten Beachtungsmotiven und außer den im einzelnen besprochenen Umständen, durch welche die Wirksamkeit der Beachtungsmotive gesteigert wird, noch andere im Bewußtseinsleben zu suchende Faktoren, durch welche die Aufmerksamkeit (in unserem Sinn) stets oder in gewissen Fällen erregt wird? Ist der sogenannte Wille immer oder doch zuweilen eine motiversetzende bzw. motivergänzende Bedingung des Aufmerkens?

Eine bejahende oder verneinende Antwort auf diese Frage zu geben, hat nun natürlich keinen Sinn, solange man nicht sagt, was man eigentlich unter dem Willen versteht. Der Versuch, das Problem vom Verhältnis des Willens zur Klarheit und Deutlichkeit der Vorstellungen und Gedanken dadurch zu lösen, daß man die Ursache dieser Klarheit und Deutlichkeit eben Wille nennt, scheint freilich sehr einfach und einwandfrei. Aber dann darf man mit dem Wort "Wille" nicht gleichzeitig die Bedeutung verbinden, die uns vom gewöhnlichen Sprachgebrauch her geläufig ist. Dann bedeutet dieser Begriff nicht irgendwelche Gefühlszustände, ein eigenartiges Strebungsbewußtsein, ein Bewußtsein der Stellungnahme des Ich und Ähnliches. Dann darf man aber auch nicht an die Willenshandlung denken, die uns aus den Erfahrungen des praktischen Lebens so bekannt ist, an die besonderen Erlebnisse der Überlegung, des Entschlusses usw,; denn niemand wird behaupten wollen, daß  jedem  zu höheren Bewußtseinsgraden aufsteigenden Bewußtseinsinhalt derartige Erscheinungen vorausgehen. Die Identifizierung des Willens mit der Ursache der Klarheit und Deutlichkeit von Vorstellungen und Gedanken beruht also auf einer ganz willkürlichen und eben deshalb unzweckmäßigen Definition des Willens. (2)

Hingegen unterscheiden wir doch schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwischen willkürlicher und unwillkürlicher Aufmerksamkeit. Es scheint also, als müsse man bei der  ersteren  eine Wirksamkeit des Willens annehmen können, ohne mit der herkömmlichen Bedeutung des Wortes  Wille  in Konflikt zu kommen. Auf den ersten Blick sieht man in der Tat nicht ein, was dagegen eingewendet werden soll, wenn ein Psychologe etwa annimmt, daß beim Erlebnis willkürlichen Aufmerksamkeit bestimmte Gefühlszustände, ein eigenartiges Strebungs- oder Aktivitätsbewußtsein, ein Bewußtsein der Stellungnahme des Ich die Beachtung bedingen. Aber diese Betrachtungsweise ist doch falsch.

Wir müssen nämlich schon für den Sprachgebrauch der Vulgärpsychologie zwei Wurzeln des Willensbegriffs konstatieren, die einerseits  in der beschreibenden,  andererseits in der  erklärenden  Betrachtung der Erlebnisse zu suchen sind. (3) Was die erstere anlangt, so greift sie an einem komplizierten Tatbestand, wie es der des Wollens ist, eine besonders charakteristische Seite heraus und benützt sie zur Charakterisierung des betreffenden Tatbestandes. In diesem Sinn ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn etwa bestimmte Spannungszustände, ein Aktivitäts- oder Ich-Bewußtsein in der Beschreibung von Willenserlebnissen eine Rolle spielen. Nun kommt die zweite, erklärende Auffassung und sieht im Willen die  Ursache  bestimmter Geschehnisse. Auch dagegen läßt sich nichts sagen, solange der Erklärungsbegriff "Wille" nur eine zusammenfassende Bezeichnung für die einstweilen noch unbestimmt gelassenen kausalen Momente im Zusammenhang der Willenshandlung ist.

Aber die Mehrdeutigkeit der Begriffe führt nur zu leicht zu Trugschlüssen. Über kurz oder lang wird die erstere Bedeutung des Wortes "Wille" der letzteren substituiert und wir haben die Annahme, wonach bestimmte Gefühlszustände, ein Aktivitäts-, ein Strebungs-, ein Ich-Bewußtsein unsere Willenshandlungen kausal bedingen. Diesem ungeprüften eingewurzelten Vorurteil gegenüber erwächst der wissenschaftlichen Psychologie die Aufgabe, festzustellen, welche Momente bei der kausalen Konstitution unserer Willenshandlungen in Frage kommen. (4) Aufgrund dieser Feststellung ergibt sich dann auch eine Entscheidung der Frage nach dem Verhältnis von Wille und Motivwirksamkeit beim Aufmerksamkeitserlebnis.

Es sei deshalb hier gestattet, zunächst auf die erstere Frage anhand einer Reihe von Versuchen etwas näher einzugehen, die von mir zu dem Zweck angestellt wurden, die kausale Kondition der Willenshandlung kennen zu lernen. Diese Versuche bestanden darin, daß einer Anzahl von Beobachtern Reizworte geboten wurden, die teils Imperative, teils Fragen, teils Behauptungen darstellten, teilweise auch als isolierte oder unverbunden nebeneinander gestellte Wörter zur Verwendung kamen.

Die Instruktion war eine verschiedene. Die Versuchsperson hatte einmal den Imperativ zu befolgen oder die Frage zu beantworten. Ein andermal wurde vor dem Versuch eine bestimmte Aufgabe gestellt, die durch das Auftreten der Reizwerte bloß noch determiniert wurde. Ein drittes Mal bedeutete das Auftreten der Reizworte nicht viel mehr als ein Signal zur Erfüllung der Aufgabe, zu deren Bestimmung die Reizworte nur wenig beitrugen. In einem vierten Fall hatte die Versuchsperson die Wahl, ob sie die Aufgabe erfüllen wollte oder nicht und endlich hatte sie auch zuweilen zwischen der Erfüllung  verschiedener  Aufgaben zu wählen. Die Aufgaben bezogen sich auf alle möglichen Formen körperlicher und geistiger Tätigkeit und waren teils leicht, teils schwer, teils angenehm, teils unangenehm, teils indifferent. Nachdem die Versuchsperson die Aufgabe ausgeführt, bzw. sich zur Nichtausführung entschlossen hatte, mußte sie in einer Reihe von Versuchen, bei welchen keine Zeitmessung stattfand und die Reizworte mittels eines Projektionsapparates dargeboten wurden, ohne weiteres mit der Beschreibung ihrer Erlebnisse beginnen. Eine zweite Versuchsreihe wurde nach Art der Reaktionsversuche mit dem ACHschen Kartenwechler und dem CATELLschen Schalltrichter durchgeführt. Das heißt in einem elektrischen Stromkreis waren leitend verbunden eine elektrische Uhr, das sogenannte HIPPsche Chronoskop, deren Zeiger bei Stromschluß in Bewegung gesetzt, bei Stromöffnung arretiert wurden, ferner ein Apparat, in welchem durch Emporschnellen einer Klappe gedruckte Karten (die Reizworte enthaltend) sichtbar gemacht werden konnten, während die emporschnellende Klappe gleichzeitig Stromschluß bewirkte, endlich ein trichterförmiges, mit einer Metallmembran verschlossenes Instrument, welches so eingerichtet war, daß durch einen die Metallmembran berührenden eisernen Stift Stromschluß bedingt wurde, solange nicht Schallwellen eine Entfernung der Membran vom Kontaktstift herbeiführten. Durch Hineinsprechen in das offene Ende des Trichters wurde also Stromöffnung herbeigeführt. Die Zeiger der elektrischen Uhr setzten sich daher in Bewegung, sobald die Reizworte sichtbar wurden und sie blieben sofort stehen, wenn in den Schalltrichter hineingesprochen wurde. Die Zeit vom Erscheinen des Reizes bis zu der im Aussprechen eines Wortes bestehenden Reaktion der VP (Versuchsperson) kann bei derartigen Versuchen, wie man sieht, direkt abgelesen werden und zwar wird diese Zeit vom HIPPschen Chronoskop in Tausendteilen einer Sekunde angegeben.

Bei der in Rede stehenden zweiten Versuchsreihe, die mit einer solchen Zeitmessung durchgeführt wurde, hatte die VP ein vorher verabredetes Reaktionswort sogleich nach Erledigung der Aufgabe in den Schalltrichter zu rufen. Dann erst erfolgte die Protokollabgabe.

Einige Beispiele sollen noch etwas genauer zeigen, um was für Aufgaben es sich handelt. In einem Fall lautete die Instruktion: Erfüllen Sie die Aufgabe, die Ihnen gestellt wird! Als Reizwort erschien dann etwa der Imperativ: Setzen Sie sich auf den Boden! Ein andermal wurde vor dem Versuch die Instruktion erteilt: Sie können die Aufgabe, die Ihnen gestellt wird, erfüllen oder nicht. Aber es liegt im Interesse der Versuch, daß Sie möglichst viele Aufgaben erfüllen. Als Reizwort kam dann unter anderem der Satz: Reißen Sie sich ein Haar aus dem Schnurrbart! Eine bestimmtere Instruktion bestand beispielsweise darin, daß der VP gesagt wurde: Bilden Sie einen geistreichen Satz aus den Reizworten, die Ihnen gezeigt werden. Gezeigt wurden dann vielleicht die Wörter: "Aufschub - Feigheit". Weder in der Instruktion noch in den Reizwörtern eine bestimmte Richtung der Betätigung verlangend, kam ferner der Fall vor, daß der VP gesagt wurde: "Führen Sie irgendeine selbständige Handlung aus, wenn das Reizwort erscheint!" Gelegenheit dazu bot dann der Satz: "Metaphysik ist Unsinn." War in diesem Fall das Reizwort so gewählt, daß es die VP zum Widerspruch anregen und dadurch immerhin noch eine bestimmte Art des Verhaltens herbeiführen mußte, so kamen bei derselben Instruktion doch auch ganz indifferente Reizworte zur Verwendung. Endlich wurde gelegentlich auch die Instruktion gegeben: "Sie werden zwei Aufgaben erhalten. Wählen Sie, wenn Sie beide Aufgaben gelesen und verstanden haben, welche Sie ausführen wollen!" Als Reizworte erschienen dann etwa die Imperative: "Singen Sie!" Pfeifen Sie!" Die Erfüllung einzelner Aufgaben wurde durch äußere Hemmungen erschwert. Auch wurden gelegentlich recht ungewohnte Tätigkeiten verlangt, wie z. B. Wörter in Spiegelschrift oder mit auf dem Kopf stehenden Buchstaben zu schreiben, um das Gegenteil von automatischem Verhalten zu erreichen.

All die Aufgaben, die wir eben in einzelnen Typen kennen gelernt haben, verlangen, wie man sieht, Betätigungen, die man im gewöhnlichen Leben wohl als Willenshandlungen bezeichnen würde. In den Protokollen aber werden die Erlebnisse meist als bloße Reproduktionsverläuft geschildert. In Form von Reproduktionen stellen sich auch die Bewegungen ein, wenn eine körperliche Leistung ausgeführt wird. Die VP erklärt nämlich in der Regel, das Reizwort habe als Reproduktionsmotiv gewirkt. Wie bei zwei assoziativ verbundenen Wortbildern das Auftreten des einen, als Reproduktionsmotiv fungierenden genügt, um auch das andere wieder auftreten zu lassen, ohne daß von einer Absicht oder einem Entschluß des Subjekts etwas zu bemerken wäre, wie in einem solchen Fall die immanente Reproduktionstendenz des Reproduktionsmotivs ohne Unterstützung durch den Willen des Subjekts imstande ist, eine vorhandene Reproduktionsgrundlage zu aktualisieren, d. h. den früher schon einmal vorhandenen, mit dem Reproduktionsmotiv assoziierten Bewußtseinsinhalt wieder hervorzurufen, so bewirkt nach den Angaben der Versuchsperson ein durch das Reizwort erweckter Gedanke an eine Handlung häufig die Ausführung der betreffenden Handlung, ohne daß der Handelnde sich anders denn als Zuschauer dabei fühlte. Wir dürfen also zunächst einmal, diesen Tatbestand ganz vorsichtig ausdrückend, behaupten, daß die Willenshandlungen vielfach Ähnlichkeit haben mit psychischen Geschehnissen, die wir als Reproduktionsverläufe oder als  Motive mit Reproduktionserfolg  bezeichnen wollen.

Aber um eine Reproduktion handelt es sich offenbar nicht, wenn beispielsweise die VP zu Protokoll gibt: "Ich habe das Bewußtsein gehabt, daß mit einer Erinnerung , die sich einstellte, die Aufgabe nicht erfüllt ist - oder daß ein Satz, den die Reizworte darstellten, ans Absurde grenzt, daß er wahr oder falsch ist usw. Wenigsten von einer assoziativ bedingten Reproduktion kann hier keine Rede sein. Es muß nicht etwa das Bewußtsein des Satzes (a) und das Bewußtsein der Falschheit (b) früher schon einmal zusammen dagewesen sein, damit das Wiederauftreten von  a  oder eines ihm ähnlichen  α  auch  b  wieder auslösen kann. Wir wollen nun jedes Herbeiführen von Bewußtseinsinhalten durch andere Bewußtseinsinhalte, die mit jenen nicht assoziativ, d. h. durch frühere Vereinigung im Bewußtsein, verbunden sind, eine  Produktion  nennen und eine zweite Gruppe von psychischen Geschehnissen, mit denen die Willenshandlungen möglicherweise in Ähnlichkeitsbeziehung stehen, als  Motive  mit Produktionserfolg bezeichnen.

Endlich kommt weder eine Reproduktion noch eine Produktion in Frage, wenn die VP ihre Aufmerksamkeit einem Teil des dargebotenen Reizkomplexes oder der vor dem Auftreten der Reizworte ihr erteilten Instruktion zuwendet. Wie schon der Name der willkürlichen Aufmerksamkeit andeutet, kann auch dieser Vorgang - vorsichtig ausgedrückt - mit Willenshandlungen Ähnlichkeit besitzen. Statt des Begriffs der willkürlichen Aufmerksamkeitswanderung wollen wir übrigens an dieser Stelle den Namen  Motive mit Verdeutlichungs- oder mit Beachtungserfolg  einführen.

Es wird nun von vornherein kaum jemand geneigt sein, alle Reproduktionen, Produktionen und - wenn wir von den Aufmerksamkeit und Wille identifizierenden Psychologen hier absehen - alle Aufmerksamkeitsbewegungen, die durch Reproduktions-, Produktions- und Beachtungsmotive ausgelöst werden, als Willensleistungen zu betrachten. Es gilt daher, zu bestimmen, woduch die Motive, die man gewöhnlich als Willensmotive bezeichnet, von den sonstigen Reproduktions-, Produktions- und Verdeutlichungsmotiven sich unterscheiden bzw. ob überhaupt in der  kausalen  Konstitution der Willenshandlung sich etwas entdecken läßt, was sie als eine ganz besondere Form psychischer Kausalität charakterisiert.

Unter allen Umständen - das wird wohl allgemein zugegeben werden - bauen sich die Willenshandlungen auf gewöhnlichen Reproduktionen, Produktionen und Aufmerksamkeitsbewegungen in der Weise auf, daß eine höhere Form psychischer Leistung entsteht. Wenn die Wirksamkeit der verschiedenen Motive nicht bestände, dann könnte offenbar keine Willensanstrengung Erfolge hervorbringen. Aber worin besteht das Plus, das die Willenshandlung gegenüber der einfachen Wirksamkeit der Motive auszeichnet?

Vielleicht darin, daß bei der Willenshandlung Gefühle der Lust und Unlust durch erregende oder hemmende Funktionen die Motivwirksamkeit modifizieren? Diese Annahme scheint in der Tat sehr nahe zu liegen. Man denke nur an die Opposition gegen den Intellektualismus, an die Lehre, daß man das Willensleben eines Menschen nur durch Eingriffe in sein Gefühlsleben beeinflussen könne und an die ethischen Theorien, die es fast als etwas Selbstverständliches betrachten, daß die menschlichen Handlungen durch die Rücksicht auf ihren Lust- oder Glückserfolg bestimmt würden. Es gibt auch nicht wenige Psychologen, die dieser Grundanschauung eine präzise Fassung zu geben versuchen, indem sie etwa behaupten, angenehme, lustbetonte Motive bewirkten die Ausführung, unangenehme, unlustbetonte die Unterlassung von Willenshandlungen.

Aber eins solche Theorie stellt sich zunächst gegenüber den Ergebnissen der diesen Betrachtungen zugrunde gelegten Versuche als eine recht unwahrscheinliche Annahme dar. Es tritt nämlich nirgends in den Protokollen hervor, daß die Unannehmlichkeit einer Aufgabe ihre Erfüllung irgendwie gehemmt hat, obwohl für unangenehme Aufgaben reichlich Sorge getragen war und obwohl die VP nicht selten ausdrücklich zu Protokoll gegeben hat, daß ihr eine Aufgabe unangenehm sei.

Auf der anderen Seite fehlt auch bei den Protokollen, die sich auf Leistungen beziehen, die von der VP ausdrüclich als Willensleistungen bezeichnet werden, fast stets eine Angabe über lustvolle Veränderungen des Gefühlszustandes und diese Tatsache wiegt umso schwerer, da in solchen Fällen jedesmal ausdrücklich gefragt wurde, ob von Lustgefühlen oder von relativ lustvollen Zuständen nichts zu bemerken gewesen sei.

Soweit also eine experimentelle Widerlegung der in Rede stehenden Theorie möglich ist, sist sie sicherlich durch diese Versuchsresultate gegeben. Im übrigen muß freilich zugegeben werden, daß das Nichtbemerktwerden eines psychischen Vorgangs auch durch längere Versuchsreihen hindurch noch kein Beweis für das Nichtvorhandensein ist. Aber es scheint, daß die Frage des Zusammenhangs der Willenshandlungen mit Lust- und Unlustwirkungen in anderer Weise endgültig entschieden werden kann.

Gehen wir von der allgemeinen Tatsache der Erregungen und Hemmungen aus, die von Bewußtseinszuständen, bzw. von solchen korrespondierenden Vorgängen des Zentralorgans, bewirkt werden - dann könnte ja zunächst bezüglich der Hemmungen überhaupt die These aufgestellt werden, ein Bewußtseinszustand rufe nur dann Hemmungen hervor, wenn sich eine gewisse Unlust mit ihm verbinde. Damit wäre natürlich nicht gesagt, daß  jeder  unlustvolle Zustand auch wirklich hemmend wirke. Man könnte auf die alte Regierungspraxis hinweisen, welche Menschen dadurch von gewissen Handlungen abhält, daß sie unlustvolle Zustände mit diesen Handlungen verknüpft. Aber wenn man dieses Argument näher betrachtet, dann sieht man leicht, daß man eigentlich etwas ganz anderes bewiesen hat, als man beweisen wollte. Nicht die Unlust wirkt ja im erwähnten Fall hemmend, sondern die Furcht. Nun gibt es freilich immer noch Leute, welche die Furcht als unlustvolle Vorstellung zukünftiger Dinge definieren. Aber das ist eben eine jedes Tatsachensinnes ermangelnde Konstruktion. Jeder in der psychologischen Beobachtung einigermaßen Geübte sieht leicht, wie unrichtig es ist, beispielsweise zu sagen, feige sei der, der bei der Vorstellung gefährlicher Handlungen Unlust empfinde, während für den Tapferen dieselbe Vorstellung etwa lustvoll sein soll. Viel richtiger erscheint demgegenüber der Versuch, Feigheit und Tapferkeit direkt durch den Hinweis auf die Hemmungen zu bestimmen, die im ersteren Fall von der Vorstellung gefährlicher Handlungen ausgelöst werden, im letzteren nicht.

Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, daß die Hemmungen, die bei der Furcht, insbesondere bei der Furcht vor Strafe eine Rolle spielen, zu Unlustgefühlen doch einer gewissen Beziehung stehen. Aber diese Beziehung ist nicht ein Kausalverhältnis zwischen der Unterlassung der gefährlichen Willenshandlung und einer aktuellen Unlust, die beim Gedanken an die Handlung erlebt wird. Nicht mit dem Reproduktions motiv  (sofern die betreffende Handlung einen Reproduktionsverlauf darstellen würde) verbindet sich ein die Reproduktion hemmendes Unlustgefühl, sondern von der Reproduktions grundlage  gehen die Hemmungen aus. Sofern die Reproduktionsgrundlage das Residuum eines unlustvollen Erlebnisses ist, können wir daher ein rein  funktionelles Abhängigkeitsverhältnis  zwischen Unlustgefühlen und Hemmungen konstatieren. In diesem Sinn haben wir schon früher von einer  Stauung  des psychischen Geschehens gesprochen, die dann eintritt, wenn durch den Ablauf der Bewußtseinsvorgänge eine bedeutende  Verschlechterung  unseres Gefühlszustandes herbeigeführt würde. In ähnlicher Weise haben wir auch eine Funktionsbeziehung festgestellt zwischen einer  Steigerung  der (erregenden)  Motivwirksamkeit  und der  Verbesserung  der Gemütslage, die eben durch den Effekt des Motivs erst herbeigeführt wird. Auf die Erklärung, die wir für diesen Tatbestand (und damit natürlich auch für den Zusammenhang zwischen Unlust und Hemmung) ebenfalls schon an anderer Stelle zu geben versucht haben, wollen wir hier nicht nochmals zurückkommen.

Auf jeden Fall muß also hier die Annahme aufgegeben werden, daß die Gefühle der Lust oder Unlust, zu denen man die Willenshandlungen in Beziehung bringen möchte, stets mit den Willens motiven  verbunden seien. Aber auch die  Disposition,  auf welche das Motiv einwirkt, die "Grundage", die  aktualisiert  werden soll, muß nicht  stets  das Residuum eines lustvollen Erlebnisses sein, wenn eine Willenshandlung ausgeführt werden soll und braucht ebensowenig  immer  durch einen unangenehmen Eindruck geschaffen zu sein, um die Unterlassung der Willenshandlung zu bedingen. Wir unterlassen ja oft etwas Unangenehmes oder Indifferentes und tun etwas, was uns schwer fällt oder peinlich ist.

Nun behauptet man vielleicht, die Lehre von der  relativen Lustbetontheit der Willensziele  besage gar nicht, daß  nur  positive Annehmlichkeit eines zu verwirklichenden Zustandes oder eines Motivs zur Willenshandlung führe. Vielleicht glaubt man, die Position halten zu können, wonach lediglich beim Wettstreit der Motive dasjenige siegt, welches von allen am meisten durch seine Beziehung zu Gefühlen begünstigt ist, selbst wenn diese Begünstigung nur im Vorzug bestände, den ein kleineres Übel vor einem größeren hat. Was diese Auffassung anlangt, so müssen wir innerhalb derselben zwei verschiedene Gedankengänge unterscheiden. Der eine begnügt sich nämlich damit, für diejenigen Willenshandlungen, bei denen zwischen verschiedenen, durch gleichzeitig wirksame Motive nahegelegten Betätigungen  gewählt  wird, eine solche Wirksamkeit der Gefühle zu behaupten. Dabei wird also bezüglich derjenigen Willenshandlungen, die nicht Wahlhandlungen sind, gar kein Zusammenhang mit Lustgefühlen behauptet. Dagegen versucht der andere der angedeuteten Gedankengänge  alle  Willenshandlungen nach dem Schema von Wahlhandlungen aufzufassen, was rein logisch insofern möglich ist, als die Ausführung jeder vorgestellten oder gedachten Handlung ihrer Nichtausführung gegenübersteht.

Was nun die erstere Ansicht anlangt, wonach nur die Wahlhandlungen dem Gesetz von der relativen Lustbetontheit der Willensziele sich fügen sollen, so braucht sie uns hier nicht weiter zu beschäftigen. Denn selbst wenn sie richtig wäre -was tatsächlich nicht der Fall ist - würde sie für eine  allgemeine  Charakteristik der Willenshandlungen bedeutungslos sein. Man hätte kein Recht, die Abhängigkeit von Gefühlen als ein Merkmal und als ein wichtiges Moment in der kausalen Konstitution  aller  Willenshandlungen zu betrachten, selbst wenn alle Wahlhandlungen durch die Rücksicht auf größtmögliche Besserung des Gefühlszustandes oder - sofern es nicht anders geht - auf eine möglichst geringe Verschlechterung derselben determiniert würden.

Bezüglich der zweiten Auffassung, die  alle  Willenshandlungen als Wahlhandlungen interpretiert, ist zuzugeben, daß sie zu einer Anerkennung allgemein zwischen Gefühlen und Willensleistungen bestehender Beziehungen Veranlassung geben könnte, wenn sie richtig wäre und wenn alle Wahlhandlungen durch das Gesetz von der relativen Lustbetontheit der Willensziele bestimmt würden. Aber schon die erste Bedingung ist nicht erfüllt. Es ist - psychologisch betrachtet - eine reine Konstruktion, wenn angenommen wird, daß die Vorstellung oder der Gedanke des Unterlassens jedesmal mit dem auf eine bestimmte Betätigung gerichteten Motiv gleichzeitig als Gegenmotiv vorhanden sei und daß die Wahl zwischen den beiden Möglichkeiten durch die relative Annehmlichkeit des einen der beiden Motive bedingt werde. Und daß der Zustand, der durch eine Handlung herbeigeführt wird, stets angenehmer oder weniger unangenehm sei als derjenige, der bei Unterlassung der betreffenden Handlung eingetreten wäre, das wird im Ernst erst recht niemand behaupten wollen. Kurz, auch der Versuch, die These von der Bestimmtheit der Willenshandlung durch  relative Lust  durch den Hinweis auf die Tatsachen des Wählens zu begründen, muß als gescheitert betrachtet werden.

Nun könnte man höchstens noch versuchen, die Behauptung vom Zusammenhang zwischen Wollen und Lustgefühl durch eine willkürliche Definition zu retten. Man könnte nämlich aus der Zahl aller möglichen psychischen Geschehnisse diejenigen herausgreifen, bei denen der Zusammenhang zwischen Motiv und Effekt eine Beziehung zu Lustgefühlen erkennen läßt und könnte dekretieren: Nur diese Vorgänge sollen Willenshandlungen heißen. Aber die Unzweckmäßigkeit eines solchen Verfahrens leuchtet ohne weiteres ein, wenn man bedenkt, daß hier dieselbe Leistung, die ein von Gefühlswirkungen unabhängiger psychischer Verlauf darstellt, auf umständlicherem Weg erreicht wird. Wir nehmen doch im allgemeinen an, daß der Mensch in seinen Willenshandlungen weniger gebunden ist, als in den unwillkürlichen psychischen Geschehnissen. Diejenigen Bewußtseinsprozesse aber, die außer von gewöhnlichen Motiven auch noch von besonderen Gefühlswirkungen abhängig sind, müssen offenbar als weniger frei betrachtet werden gegenüber denen, die ohne Gefühlseinflüsse ablaufen. Man würde also bei der in Rede stehenden willkürlichen Definition jeden Anschluß an den Sprachgebrauch verlieren.

Damit dürfte das Recht erwiesen sein, bei Angabe der kausalen Konstitution der Willenshandlung von Lust und Unlust überhaupt abzusehen. Weder die durch Lust und Unlust überhaupt abzusehen. Weder die durch Lust und Unlust unterstützten Motive, noch auch solche Motive, denen eine mit Lust- und Unlustgefühlen in Zusammenhang stehende besondere Beschaffenheit der zugehörigen Disposition entgegenkommt, fallen zusammen mit den Willensmotiven. Besitzen diese also vielleicht gar kein besonderes auszeichnendes Merkmal? Das wird man so schnell nicht zugeben. Man wird es vielleicht ganz begreiflich finden, daß die Wirksamkeit der Motive, die nicht als Willensmotive betrachtet werden, hinreicht,  einfachere  Effekt hervorzurufen. Aber bei schwierigeren körperlichen und geistigen Leistungen, meint man, müsse doch der  Wille  dem Motiv eine besondere Stärke verleihen. Daß z. B. die Wahrnehmung einer einfachen Bewegung eine Nachahmung dieser Bewegung auslöst, das - könnte man annehmen - mag sich durch die Voraussetzung einer Assoziation zwischen Bewegungsvorstellung und motorischer Innervation [Nervenimpulse - wp]) und durch den Hinweis auf die Reproduktionstendenz der Bewegungswahrnehmung zur Genüge erklären lassen. Um aber eine schwierigere turnerische Leistung zustande zu bringen, dazu müßte im Sinn dieser Auffassung außer Assoziationen und Reproduktionsmotiven noch der Wille wirksam werden. Das klingt zunächst nicht unwahrscheinlich. Das Schlimme ist nur, daß wir mit dem Begriff "der Wille" vorläufig keinen klaren Sinn verbinden können. Soll etwa gemeint sein, daß außer Assoziationen und Reproduktionsmotiven noch eine Verstärkung der letzteren durch  Strebungszustände  nötig sei, um schwierigere Leistungen zu ermöglichen? Eine Antwort hierauf suchten die diesen Betrachtungen zugrunde liegenden Experimente in folgender Weise herbeizuführen: Es wurden gewisse psychische Betätigungen ausgewählt, die als nicht ganz leichte Willensleistungen wohl allgemein betrachtet werden dürften, wie das Suchen eines übergeordneten Begriffs zu einem gegebenen Begriff, das Suchen eines ähnlichen Gegenstandes zu einem durch ein Wort bezeichneten Gegenstand, das Suchen des Ganzen zu einem durch ein Wort bezeichneten Bestandteil usw. Diese Leistungen mußte die Versuchsperson in einem Fall in der gewöhnlichen Weise ausführen. Es wurde ihr also beispielsweise die Instruktion erteilt: Suchen Sie den übergeordneten Begriff zu dem Begriff, der in Ihnen durch das Reizwort angeregt wird. Es erschien dann das Reizwort im ACHschen Kartenwechsler und der Beobachter hatte das Wort, das den übergeordneten Begriff bezeichnete, in den Schalltrichter zu rufen. Dann erfolgte die Beschreibung der Erlebnisse.

In einem zweiten Fall wurden die Strebungszustände, die bei diesem Verfahren in der Regel auftraten, ausgeschaltet. Es wurde etwa die Instruktion erteilt: Denken Sie, wenn das Reizwort erscheint und bevor Sie dasselbe gelesen haben, was es heißt "den übergeordneten Begriff suchen" oder - in einem anderen Fall - was die Wortverbindung "übergeordneter Begriff zu einem gegebenen Begriff" bedeutet. Lesen Sie dann das Reizwort und halten Sie den Begriff, den das letztere anregt und den früheren Gedanken im Bewußtsein fest. Das Wort, das Ihnen dann einfällt, rufen Sie in den Schalltrichter!

Da sich bei diesen Versuchen eine gewisse Schwierigkeit ergab, den Gedanken an den vom Reizwort bezeichneten Begriff und den Gedanken "übergeordneten Begriff suchen" oder "übergeordneter Begriff" gleichzeitig unverbunden im Bewußtsein festzuhalten, so wurde auch eine Reihe von Versuchen durchgeführt, bei denen die Versuchsperson die "Produktion", die in der Vereinigung der beiden Gedanken, z. B. im Vollzug der Synthese "übergeordneter Begriff zum Begriff Haus" liegt, ausführen durfte. Ausdrücklich wurde dabei verlangt, daß die VP den übergeordneten Begriff zum gegebenen Begriff nicht  suchen  sollte. Nicht eine auf Zukünftiges gerichtete Tendenz, sondern ein Stehenbleiben beim erwähnten Gedanken wurde gefordert und die Protokolle zeigen, daß die VP in der Tat Zustände ohne Strebungsbewußtsein erlebte. Die Erfolge aber waren durchweg die gleichen, wie bei den Aufgaben, wo die Instruktion auf "Suchen" lautete und wo die VP ein starkes Aktivitätsbewußtsein konstatierte. Auch bei den Versuchen, wo der Vollzug der Synthese zwischen dem Gedanken "übergeordneter Begriff" und dem Begriff, den das Reizwort anregte, unterbleiben sollte, erfolgte die Reaktion in der Mehrzahl der Fälle in demselben Sinn als wenn "Suchen des übergeordneten Begriffs" verlangt worden wäre. Daraus scheint aber hervorzugehen, daß das  Strebungsbewußtsein  auf die Qualität der Leistungen, die durch bestimmte Motive angeregt werden,  ganz ohne Einfluß  bleibt.

Aber bestimmte Gefühle der Lust oder Unlust, die nach Ansicht der einen, ein Aktivitätsbewußtsein, das nach der Meinung der anderen zum Wesen des Wollens gehört, sind ja nur Modifikationen des  Ichbewußtseins.  Vielleicht treffen wir das richtige, wenn wir ganz allgemein eine Mitwirkung des "Ich" beim Zustandekommen jeder Willenshandlung annehmen? Diese Annahme leidet freilich zunächst an großer Unbestimmtheit, solange nicht gesagt wird, ob unter dem "Ich" ein besonderer  Bewußtseinsinhalt  oder die Summe von  (unbewußten) Dispositionen  verstanden werden soll, die das Subjekt darstellen, welches in der Wechselwirkung mit der Außenwelt Bewußtseinsinhalte hervorbringt. Dieses Subjekt ist natürlich als Teilbedingung aller psychischen Geschehnisse auch wirksam bei den Willenshandlungen. Aber darin liegt offenbar kein auszeichnendes Merkmal der letzteren. Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit dem Ich-Bewußtsein als einem besonderen Bewußtseinsinhalt? Dasselbe wird vielfach identifiziert mit einer Summe besonders konstanter  Empfindungen,  die unsere körperliche Existenz uns zu Bewußtsein bringen. In ihnen kann aber, wie man leicht sieht, das Auszeichnende der Willenshandlungen ebenfalls nicht gefunden werden, weil sie eben konstante Begleiterscheinungen unseres gesamten Bewußtseinslebens sind. Somit scheint nur dasjenige Ich-Bewußtsein als ein für die kausale Konstitutioin der Willenshandlungen wesentliches Moment in Frage zu kommen, welches von manchen Psychologen mit der  Gefühlsseite  unseres Seelenlebens in besonders enge Beziehung gebracht wird.

Wenn die Versuchspersonen bei den gegenwärtig zur Diskussion stehenden Experimenten öfters die Erklärung abgegeben haben: "Dieses oder jenes Erlebnis erscheint uns als besonders ausgeprägte Willenshandlung; denn wir fühlten uns mit unserer ganzen Persönlichkeit dabei engagiert" - so könnte man darin vielleicht ohne weiteres eine Bestätigung dieser Vermutung erblicken. Aber das wäre übereilt. Denn zunächst läßt eine solche Protokollangabe offenbar eine doppelte Interpretation zu. Entweder soll nämlich nur auf das Persönlichkeitsbewußtsein als auf eine bei Willenshandlungen gelegentlich besonders lebhaft hervortretende Begleiterscheinung hingewiesen werden oder man glaubt eine Kausalbeziehung zwischen Ich-Bewußtsein und Willenshandlung statuieren zu können. Lediglich die letztere Annahme würde einen Abschluß für unsere Untersuchung des kausalen Wesens der Wollungen bedeuten. Sie muß infolgedessen vor allem auf ihre Berechtigung hin geprüft werden.

Zu diesem Zweck tut man gut, zunächst einmal festzustellen, in welchen Fällen das fragliche Ich-Bewußtsein besonders stark hervortritt. Aus den Protokollen der hier in Betracht kommenden Versuche ergibt sich, da ß alle diese Fälle sich unter drei Gesichtspunkte ordnen lassen. Es handelt sich nämlich entweder um das  Abbrechen einer Veränderungsreihe,  z. B. eines Gedankenganges, wobei das Ich sich als spontan in den Gang der Dinge eingreifend fühlt oder um eine  Stellungnahme,  bei der ein starkes Persönlichkeitsbewußtsein hervortritt oder um Fälle  willkürlicher Aufmerksamkeit,  bei denen das Ich die Ursache zu sein glaubt für eine bestimmte Aufmerksamkeitsrichtung.

Sehen wir nun zu, ob in irgendeinem von diesen Fällen das Ich-Bewußtsein wirklich als Ursache psychischer Geschehnisse in Frage kommt, ob nicht vielmehr stets auch hier die Ursache der Willenshandlung ausschließlich in bestimmten Reproduktions-, Produktions- und Beachtungsmotiven zu suchen ist, während das stets gleichartige Ich-Bewußtsein sich als ein Nebeneffekt erklärt.

Was vor allem das Abbrechen einer Veränderungsreihe anlangt, so liegt ein solches beispielsweise in folgendem Fall vor: Die VP hat die Instruktion erhalten, nach dem Erscheinen des Reizwortes eine selbständige Handlung vorzunehmen. Es erscheinen dann die Reizwörter "Roß - Troß". Der VP kommt zu Bewußtsein: "Das reimt sich." Dann stellt sich das Bewußtsein ein, daß mit diesem Einfall die Aufgabe noch nicht erfüllt sei. Infolgedessen wird die Gedankenreihe "Roß - Troß - Reim" abgebrochen und die VP entschließt sich, etwas mit den Reizwörtern anzufangen, z. B. ein Gedicht daraus zu machen.

Es ist klar, daß ein solcher Fall durch den Hinweis auf Assoziationen und Reproduktionsmotive nicht genügend erklärt werden kann. Die mehrfach wiederholte Angabe der VP, daß der zunächst angeregte Reproduktionsverlauf weitergegangen wäre, wenn sie nicht eingegriffen hätte, bildet ein unüberwindliches Hindernis für die Erklärung der Assoziationspsychologen. Aber damit ist noch lange nicht gesagt, daß die Angabe der VP,  sie  habe den zunächst angeregten Gedankengang unterbrochen, nun auch wirklich die Behauptung rechtfertigt, das Ich-Bewußtsein sei die Ursache der betreffenen Änderung. Tatsache ist nur, daß die VP ein starkes Ich-Bewußtsein erlebt, indem sie weiß, daß sie die Aufgabe durch die vom Reizwort unmittelbar hervorgerufenen Reproduktionen nicht gelöst hat, daß ferner bei fortdauerndem lebhaften Ich-Bewußtsein eine Änderung der Aufmerksamkeitsrichtung stattfindet, daß die Aufgabe zu Bewußtsein kommt und ihrerseits Motiv wird für weitere Vorgänge. Was nun zunächst die Erkenntnis von der nicht richtig gelösten Aufgabe anlangt, so ist sie sicherlich nicht als eine Wirkung des Ich-Bewußtseins anzusehen, schon deshalb nicht, weil das letztere höchstens gleichzeitig, in der Regel später als jene Erkenntnis auftritt. Zum Wissen, daß man eine Instruktion nicht erfüllt hat, gehören offenbar zwei Bedingungen, nämlich einerseits ein bestimmter Bewußtseinstatbestan, welcher der Instruktion nicht entspricht, andererseits etwas, was von der Instruktion selbst noch im psychischen Leben wirksam ist. Diese Bedingungen sind notwendig, erscheinen aber auch als zureichend, um die Erkenntnis des nicht instruktionsgemäßen Verhaltens herbeizuführen. Was das Ichbewußtsein als Ergänzung dieser Bedingungen bedeuten sollte, ist nicht einzusehen. Dagegen läßt sich vielleicht der Satz aufstellen, daß überall da, wo von früher her eingewurzelte Gedanken und Vorstellungen mit aktuellen Bewußtseinszuständen zusammen eine Produktionsleistung wie die Erkenntnis der Unrichtigkeit eines Verhaltens hervorbringen, ein starkes Ichbewußtsein sich als Nebenerfolg ergibt. Damit wäre das Auftreten des Ichbewußtseins in dem in Rede stehenden Fall erklärt. Doch wie dem auch sein mag, jedenfalls ist daran festzuhalten, daß sich das Ichbewußtsein  erst im Anschluß  an die Erkenntnis der nicht erfüllten Aufgabe ergibt. Es fragt sich nun weiter, ob jenes oder dieses Motiv für die Erinnerung an die Aufgabe und für die Steigerung des Bewußtseinsgrades und der Reproduktionstendenzen dieser Erinnerung ist. Die Antwort hierauf fällt uns leicht, wenn wir berücksichtigen, daß die Erkenntnis des nicht instruktionsgemäßen Verhaltens stets das Bewußtsein dessen, was man tun sollte, mit sich führt, auch wenn das Ich-Bewußtsein dabei nicht zur Geltung kommt. Man darf daher wohl annehmen, daß die hemmende Wirkung, welche das Bewußtsein der Unrichtigkeit auf den zunächst angeregten Produktionsverlauf ausübt und die Reproduktionstendenz des Wissens um die verfehlte Instruktion zur Erklärung des ganzen Phänomens vollkommen genügen und daß ein gelegentlich auftretendes Ich-Bewußtsein wiederum als Nebeneffekt und nicht als Mitursache zu betrachten ist.

Bei der zweiten Gruppe von Fällen, wo in den Protokollen starkes Ich-Bewußtsein konstatiert wird, bei der "Stellungnahme", liegt die Sache noch einfacher. Wenn beispielsweise eine VP gegenüber dem Reizwort "Metaphysik ist Unsinn" eine starke Ablehnung, die Tendenz "nein" zu sagen, ein Bewußtsein der Überlegenheit und darin ein starkes Persönlichkeitsbewußtsein erlebt, so scheint die Sache eben wiederum so zu liegen, daß der durch das Reizwort zunächst angeregte Bewußtseinsinhalt mit eingewurzelten Gedanken und Überzeugungen zusammen einen Produktionseffekt hat und daß das Ichbewußtsein höchstens gleichzeitig damit, sicherlich nicht als Ursache desselben auftritt.

Bei der willkürlichen Änderung der Aufmerksamkeitsrichtung endlich sind immer Motive gegeben, die besonders dann wenig beachtet werden, wenn nicht sie, sondern andere Inhalte, an denen sie eine Steigerung des Bewußtheitsgrades hervorrufen, in den Mittelpunkt der Beachtung gerückt werden. Und wie überall da, wo keine zentrale Ursache für eine Lebensäußerung erkannt wird, das Subjekt zunächst  sich selbst  für die Ursache hält, so auch hier. Übrigens muß man immer berücksichtigen, daß nie ein Motiv an und für sich die zureichende Ursache eines psychischen Geschehens sein kann. Stets muß dem Motiv wenigstens  eine  Disposition gegenüberstehen, welche die Grundlage bildet für die von jenem angeregte Leistung. Es kann aber auch eine ganze  Summe  von Reproduktionsgrundlagen und anderen hier in Betracht kommenden Dispositionen mit dem Motiv in Wechselwirkung treten, so daß der psychische Endeffekt weit weniger durch das letztere als durch die Beschaffenheit und Konstellation der ersteren bedingt wird. Je mehr das der Fall ist, desto mehr ist man tatsächlich berechtigt, das Ich  (im Sinn des Inbegriffs aller oder der wichtigsten und stärksten Dispositionen)  für die Ursache der betreffenden Lebensäußerung zu erklären. Vielleicht tritt gerade dann auch das  Ichbewußtsein  besonders stark hervor als ein Nebeneffekt des die Tiefen der Persönlichkeit aufwühlenden Geschehens. Aber von einer Kausalbeziehung zwischen diesem Ichbewußtsein und der Willenshandlung kann nach alledem keine Rede sein.

Damit haben wir die verschiedenen von der Willensphänomenologie in den Vordergrund gestellten Merkmale auf ihre Bedeutung für die kausale Konstitution der Willenshandlung untersucht und dürfen nun behaupten: Weder Lust-Unlust-Gefühle noch besondere Strebungszustände (Aktivitäts- oder Spontaneitätserlebnisse) noch auch ein irgendwie hervortretendes Ich-Bewußtsein gehören zu den konstanten Bedingungen jeder Willensleistung. Haben wir somit überhaupt das Recht, die Willenshandlung als eine eigenartige Modifikation psychischer Kausalität zu betrachten?

Vielleicht ist man geneigt, dieser Frage gegenüber ganz allgemein auf die Tatsache der Hemmungen hinzuweisen? Wenn wir an den pathologischen Zustand der Ideenflucht denken, so stellt sich die Annahme als nicht ganz unwahrscheinlich dar, daß das willensbegabte, seiner selbst mächtige Individuum vor einem psychischen Automaten darin einen Vorzug besitzt, daß in ihm nicht nur erregende, sondern auch hemmende Wirkungen von gewissen Bewußtseinsinhalten und psychischen Dispositionen, bzw. von ihnen korrespondierenden Prozessen und Zuständen im Zentralorgan ausgehen. Aber sollen wir deshalb etwa  nur  die Hemmungen als Willensleistungen ansprechen? Das wäre sicherlich sehr unzweckmäßig und würde weder den Bedürfnisse des Sprachgebrauchs noch den Forderungen wissenschaftlicher Systematik entsprechen. Für das naive Bewußtsein gibt es jedenfalls Hemmungen, die ebenso unwillkürlich einzutreten scheinen wie gewisse Erregungen und Erregungen, die ebenso als willkürlich betrachtet werden wie gewisse Hemmungen. Von dieser Tatsache muß auch die wissenschaftliche Psychologie zunächst Kenntnis nehmen und die im Anschluß daran sich ergebende Frage nach dem Kriterium der Willkürlichkeit von Hemmungen ist um nichts leichter zu beantworten, als die nach dem Merkmal der Willkürlichkeit von Lebensäußerungen überhaupt.

Wenn wir nun die Hoffnung noch nicht aufgeben wollen, diese Fragen durch eine das Wesentliche in der kausalen Konstitution der Willenshandlung hervorhebende Definition beantworten zu können, so dürfte es sich empfehlen, die oben schon berührte Auffassung von einer besonderen Wirksamkeit des Subjekts beim Wollen nochmals auf die Bedeutung hin zu untersuchen, die sie gewinnt, wenn man unter dem Subjekt nicht die Summe aller, sondern einen Komplex gewisser Dispositionen versteht, die dem, was man im gewöhnlichen Leben Persönlichkeit nennt, das Gepräge zu geben scheinen. Wir denken ja kaum, wenn wir vom Charakter und der individuellen Eigenart eines Menschen sprechen, an Besonderheiten in der Organisation seiner Sinnesorgane und an ähnliche periphere Dispositionen. Unter den Differenzen der Persönlichkeiten verstehen wir auch nicht die Verschiedenheiten der jeweils vorhandenen Wahrnehmungsinhalte, sondern dasjenige, was das  Innenleben  des einzelnen sich so ganz anders gestalten läßt als das der übrigen. Dahin gehört nicht nur die verschiedene Verknüpfung der gleichen Reproduktionsmotive mit verschiedenen Reproduktionsgrundlagen oder der Besitz besonderer Reproduktionsmotive, die zu besonderen Reproduktionsgrundlagen in Beziehung stehen, also nicht nur der Umstand, daß in jedem Individuum anderes mit anderem assoziativ verknüpft ist. Ein Hauptunterschied der Persönlichkeiten besteht vor allem in der verschiedenen  Stärke  der Assoziationen und in der Förderung oder Hemmung, die von den Reproduktionsgrundlagen oder von Zuständen, die mit diesen wieder assoziiert sind, den Reproduktionstendenzen entgegengebracht wird. Außer in diesen Assoziationsunterschieden hat man die persönlichen Differenzen zu suchen in Verschiedenheiten der Produktionsfähigkeit, wozu nach unserer Terminologie nicht nur die Fähigkeit zum Erfassen von Beziehungen (damit insbesondere auch zu Denkleistungen und Phantasieproduktionen), sondern auch die  Gefühlserregbarkeit  gehört. Endlich unterscheiden die Persönlichkeiten sich nicht unwesentlich durch die verschiedene Disposition zu Aufmerksamkeitsleistungen.

All diese persönlichen Eigentümlichkeiten sollen nun nach der landläufigen Ansicht im Wollen eines Menschen besonders hervortreten. Wenn das richtig ist, so muß doch das Wollen seiner kausalen Konstitution noch irgendwie Besonderheit haben, wodurch es sich von anderen psychischen Geschehnissen unterscheidet, in denen Reproduktions-, Produktions- und Verdeutlichungsmotive wirksam werden. Die Psychologie des Alltagslebens glaubt diese Besonderheit auch bestimmen zu können, indem sie auf die Tatsachen der "Überlegung", des klar bewußten "Entschlusses" und auf Ähnliches hinweist, was die "Verantwortlichkeit" eines Menschen für seine Handlungen begründet.

Darin scheint nun in der Tat der springende Punkt in einer psychologisch freilich noch nicht ganz befriedigenden Weise erfaßt zu sein. Vor allem darf man sich in der psychologischen Ausbeutung dieser vorwissenschaftlichen Erkenntnis nicht dazu verleiten lassen, den Umkreis der Willenshandlungen auf den der Wahlhandlungen einzuschränken. Nicht die  Wahl  zwischen  mehreren  Motiven ist charakteristisch für die Überlegung, sondern, wenn wir vorläufig einmal diesen unbestimmten Ausdruck gebrauchen dürfen, die  Möglichkeit der Wahl.  Diese ist da ausgeschlossen, wo der Zusammenhang zwischen dem Motiv und der Disposition, auf die dasselbe einwirkt, ein über jede Konkurrenz anders gerichteter Tendenzen erhaben ist. Sie besteht aber auch da nicht, wo außer dem Wirksamwerden des Motivs sich überhaupt kein Geschehen abspielt, durch welches die Wechselwirkung zwischen Motiv und zugehöriger Disposition beeinflußt werden könnte. Dagegen können wir von der Möglichkeit einer Wahl da sprechen, wo die auf eine bestimmte Lebensäußerung gerichtete Tendenz eines Motivs durch konkurrierende anders gerichtete Tendenzen desselben oder anderer Motive eine zeitlang wenigstens unwirksam gemacht wird. Dabei scheint sich regelmäßig ein gewisses  Richtungsbewußtsein  einzustellen. Man weiß (wenigstens ungefähr), wohin die Wirksamkeit eines Willensmotives tendiert und dieses Wissen wirkt seinerseits wieder als Reiz auf eine Reihe von Dispositionen, von denen infolgedessen erregende oder hemmende Wirkungen ausgehen können. Dabei braucht im  Bewußtsein  außer dem Anstoß gebenden Motiv und dem Wissen um dessen Richtung nichts enthalten zu sein, was uns den Eindruck des Wählens erwecken könnte.

Mit diesen Überlegungen trifft nun völlig das zusammen, was aus den Protokollen der zur Bestimmung des kausalen Wesens der Willenshandlung angestellten Versuche sich als positives Resultat entwickeln läßt. Es zeigt sich nämlich, daß zwischen Willenshandlungen, die von den Versuchspersonen ausdrücklich als solche bezeichnet wurden und anderen psychischen Geschehnissen aufgrund dieser Protokolle nur  die eine konstante Unterscheidung  durchgeführt werden kan, daß bei den Willensleistungen das Wissen um die mehr oder weniger bestimmte Richtung der Motivwirksamkeit als ein zwischen das eigentliche Motiv und den von diesem intendierten Effekt eingeschaltetes sekundäres Motiv zu Bewußtsein kommt, das Zeit genug hat, um unter Umständen Hemmungen auszulösen, die zur Unterlassung der betreffenden Handlung führen können. Die Konstatierung einer inhaltvollen, doch meist nicht durch einzelne faßbare Bewußtseinsinhalte ausgefüllten  Pause  vor dem Auftreten der als Willensleistung charakterisierten Lebensäußerung tritt charakteristisch bei allen Versuchspersonen hervor.

Ist das nun richtig, treten bei jeder Willenshandlung stets zumindest mehrere  Dispositionen  (wenn auch nicht notwendig mehrere  Motive,  wie bei der Wahlhandlung) in Wirksamkeit, durch deren vorübergehende Kompensation die erwähnte Pause im Bewußtseinsleben geschaffen wird, dann erklärt es sich auch, warum das Wollen mit Recht in besonderem Maß als Ausdruck der Persönlichkeit betrachtet wird und umgekehrt dürfte die landläufige Ansicht vom Zusammenhang zwischen Charakter und Willenshandlung ein gewisses Argument für die Richtigkeit unserer Auffassung vom Wesen des Wollens bilden.

Wir definieren also die Willenshandlung zusammenfassend als eine durch Bewußtseinserlebnisse oder solchen korrespondierende Prozesse im Zentralorgan bedingte Lebensäußerung, bei welcher sich mit dem anregenden Motiv ein Richtungsbewußtsein verbindet, das in Wechselwirkung mit verschiedenen psychischen Dispositionen tretend, eine Stauung im Abfluß des psychophysischen Geschehens bewirkt und dadurch den stärksten zu der betreffenden Handlung in Beziehung stehenden "Tendenzen" Gelegenheit gibt, ermunternd oder hemmend sich geltend zu machen. Dabei verstehen wir unter "Tendenzen" nicht nur die Reproduktionstendenzen oder allgemeiner die  Motivwirksamkeit,  d. h. die Funktion von Reproduktions-, Produktions- und Beachtungsmotiven, sondern auch das, was diesen von der zugehörigen Disposition aus  entgegenkommt,  also die Perseverationstendenzen und ähnliches. Ganz kurz können wir vielleicht sagen, Willenshandlung sei jede zentral bedingte, eine bestimmte  Erwartung  erfüllende Lebensäußerung, wenn wir bedenken, daß die Erwartung eines zentral bedingten Effektes eben nur infolge der erwähnten "psychischen Stauung" möglich ist, indem da, wo die Motivwirksamkeit unmittelbar die zugehörige Grundlage aktualisiert, weder Zeit noch Veranlassung zur Einschaltung eines anderen Bewußtseinserlebnisses besteht, als welches die Erwartung wohl angesehen werden muß.

Aufgrund dieser Auffassung vom Wesen des Wollens ergibt sich nun ohne weiteres unsere Stellungnahme zu der Frage nach dem Zusammenhang von Wille und Aufmerksamkeit. Der Wille kann demnach selbstverständlich auch bei der willkürlichen Aufmerksamkeit nichts sein, was die Aufmerksamkeitsmotive ersetzt oder als ergänzende Teilbedingung zu ihnen hinzutritt, sondern wir nennen ein motiviertes Aufmerksamkeitserlebnis dann ein willkürliches, wenn es zentral bedingt ist und eine mehr oder weniger bestimmte Erwartung erfüllt. Daß sich dabei das Ich als die eigentliche Ursache der betreffenden Richtungsänderung der Aufmerksamkeit betrachtet, werden wir nach dem oben Gesagten verstehen und richtig würdigen können.

Für die Pädagogik scheinen sich aus alldem wichtige Konsequenzen zu ergeben. Noch entschiedener, als das in der pädagogischen Theorie und Praxis bisher schon - glücklicherweise - geschehen ist, muß auch die willkürliche Aufmerksamkeit des Schülers als ein Effekt betrachtet werden, der durch Ausbildung von Motiven und Dispositionen vom Lehrer planmäßig herbeigeführt, nicht als Leistung eines freien Willens herbeikommandiert werden soll. Die Aufmerksamkeit wird von demjenigen, der unserer Auffassung beipflichtet, viel weniger als Voraussetzung und viel mehr als Ziel pädagogischer Bemühungen betrachtet werden. Sie wird, wenn sie auch in ihrer willkürlichen Form beim  entwickelten Individuum  zu den Lebensäußerungen gehört, die dem Subjekt zuzurechnen sind, bei der Ausbildung von Persönlichkeiten viel mehr als Leistung des Bildners als des Zöglings erscheinen.
LITERATUR - Ernst Dürr, Die Lehre von der Aufmerksamkeit, Leipzig 1907