p-4von Hartmannvon HeydebreckLipps     
 
GEORG GRODDECK
Das Buch vom Es
[2/2]

"Was für ein mühseliges Geschäft ist es, über das Es zu reden. Man schlägt irgendeine Saite an, und statt eines einzigen Tons erklingen viele, tönen durcheinander und verstummen wieder oder lassen neue aufwachen, immer neue, bis ein wüstes Brausen und Heulen entsteht, in dem das Gestammel des Sprechens untergeht. Glauben Sie mir, über das Unbewußte läßt sich nicht sprechen, nur stammeln oder besser nur leise dieses oder jenes andeuten, damit die Höllenbrut der Unbewußten Welt nicht aus den Tiefen mit wüsten Mißklängen hervorbricht."

3.

ALSO BIN ICH NICHT KLAR GEWESEN, ES GEHT IN MEINEM Brief alles durcheinander, Sie wollen die Dinge hübsch geordnet haben, vor allem belehrende, wissenschaftliche, feststehende Tatsachen hören und nicht meine abstrusen Ideen, die teilweise, wie zum Beispiel die Geschichte von den dicken Leuten, die schwanger sein sollen, schon beinahe verrückt sind.

Ja, liebste Freundin, wenn Sie belehrt sein wollen, würde ich Ihnen reaten, eins von den Lehrbüchern in die Hand zu nehmen, wie sie an Universitäten üblich sind. Für meine Briefe gebe ich Ihnen hiermit den Schlüssel: was vernünftig oder nur ein wenig seltsam klingt, stammt von Professor FREUD in Wien und dessen Mitarbeitern; was ganz verrückt ist, beanspruche ich als mein geistiges Eigentum.

Meine Behauptung, die Mütter wüßten nicht mit ihren Kindern Bescheid, finden Sie gesucht. Gewiß könne sich auch das Mutterherz irren, irre sich wahrscheinlich öfter, als die Mutter selbst es ahnt, irre sich sogar zuweilen in den wichtigsten Lebensfragen, aber wenn es überhaupt ein sicheres Gefühl gäbe, so sei es die Mutterliebe, dieses tiefste aller Geheimnisse.

Wollen wir uns ein wenig von der Mutterliebe unterhalten? Ich gebe nicht vor, dieses Geheimnis, das auch ich für tief halte, lösen zu können; doch es läßt sich allerlei darüber sagen, was gewöhnlich nicht gesagt wird. Man beruft sich meist auf die Stimme der Natur, aber diese Stimme spricht oft eine seltsame Sprache. Man braucht nicht erst auf das Phänomen der Abtreibungen einzugehen, die von jeher gang und gäbe gewesen sind und die aus der Welt zu schaffen nur irgendwie gewissensgepeinigte Gehirne sich ausdenken; es genügt schon, eine Mutter vierzundzwanzig Stunden lang im Verkehrt mit ihrem Kind zu beobachten, man bekommt dann ein Gut Teil Gleichgültigkeit, Überdruß, Haß zu sehen. Es lebt eben außer der Liebe zum Kind in jeder Mutter auch die Abneigung gegen das Kind. Der Mensch steht unter einem Gesetz, das lautet: Wo Liebe ist, da ist auch Haß, wo Achtung ist, da ist Verachtung, wo Bewunderung ist, da ist Neid. Dieses Gesetz gilt unverbrüchlich und auch die Mütter machen keine Ausnahme davon.

Wußten Sie um dieses Gesetz? Daß es auch für die Mütter gilt? Wenn Sie die Mutterliebe kennen, kennen Sie auch den Mutterhaß?

Ich wiederhole meine Frage; woher kommt es, daß die Mutter so wenig von ihrem Kind weiß? Bewußt weiß? Denn das Unbewußte kennt dieses Gefühl des Hasses, und wer das Unbewußte zu deuten versteht, wird an der Allgewalt der Liebe irre; er sieht, daß der Haß ebenso große ist wie die Liebe und daß zwischen Beiden die Gleichgültigkeit als Norm steht. Und voller Erstaunen, dem nie endenden Gefühl dessen, der sich in das Leben des Es vertieft, geht er den Spuren nach, die hie und da von den begangenen Wegen abführen, um im rätselhaften Dunkel des Unbewußten zu verschwinden. Vielleicht leiten diese leicht und oft übersehenen Spuren zu der Antwort hin, warum die Mutter nichts von dem Haß gegen das Kind weiß oder nichts wissen will, vielleicht sogar, warum wir alle unsere ersten Lebensjahre vergessen.

Zunächst, liebe Freundin, muß ich Ihnen erst sagen, worin sich diese Abneigung, dieser Mutterhaß zeigt. Denn so ohne weiteres, bloß aus Freundschaft, werden Sie es nicht glauben.

Wenn im Roman, der nach den Regeln des lesenden Publikums gebaut ist, das Liebespaar nach vielen Fährlichkeiten endlich vereint ist, kommt eine Wendung, daß sie errötend ihren Kopf an seiner breiten Brust birgt und ihm ein holdes Geheimnis anvertraut. Das ist sehr hübsch; aber im Leben meldet sich die Schwangerschaft, abgesehen vom Ausbleiben der Periode, auf eine recht eklige Weise, durch Übelkeut und Erbrechen; nicht immer, um diesen Einwand gleich zu erledigen, und ich will hoffen, daß die Dichter und Dichterinnen in ihren Ehen dieses Erbrechen der Schwangeren ebensowenig erleben wie in ihren Romanen. Aber Sie werden mir zugeben, es ist recht häufig. Und die Übelkeit entsteht aus dem Widerwillen des Es gegen irgendetwas, was im Innern des Organismus ist, Übelkeit drückt den Wunsch aus, dieses Widerwärtige zu entfernen, und Erbrechen ist der Versuch, es fortzuschaffen. In diesem Fall also der Wunsch und Versuch der Abtreibung. Was sagen Sie dazu?

Ich kann Ihnen vielleicht später einmal meine Erfahrungen über das Erbrechen, wie es außerhalb der normalen Schwangerschaft vorkommt, mitteilen, es bestehen da wieder beachtenswerte symbolische Zusammenhänge, kuriose Assoziationen des Es. Hier möchte ich Sie aber darauf hinweisen, daß sich bei diesen Übelkeiten wieder der Gedanke meldet, der Keim zum Kind werde in den Mund der Frau eingeführt, und darauf deutet auch das andere Schwangerschaftszeichen, das vom Widerwillen der Frau gegen das Kind geschaffen wird, der Zahnschmerz.

Mit der Erkrankung des Zahns sagt das Es mit der leisen aber aufdringlichen Stimme des Unbewußten: Kaue nicht; nimm dich in Acht, spuck aus, was Du gern essen möchtes! Nun ist allerdings beim Zahnschmerz der Schwangeren die Vergiftung durch den Samen des Mannes schon Tatsache, aber vielleicht hofft das Unbewußte, mit dem bißchen Gift noch fertig zu werden, wenn nur kein neues dazukommt. Tatsächlich sucht es auch schon das lebendige Gift der Schwängerung zu töten, eben durch den Zahnschmerz. Denn - hier kommt wieder einmal der völlige Mangel an Logik zum Vorschein, durch den das Es sich als tief unter dem denkenden Verstand stehend erweist - das Unbewußte verwechselt Zahn und Kind. Für das Unbewußte ist der Zahn ein Kind. Ja, wenn ich es mir recht überlege, kann ich diese Idee des Unbewußten nicht einmal dumm finden; sie ist nicht alberner, als der Gedanke NEWTONs, der im fallenden Apfel das Weltall sah. Und für mich ist es noch sehr fraglich, ob nicht die Assoziation des Es Zahn-Kind viel wichtiger und wissenschaftlich fruchtbarer war und ist, als NEWTONs astronomische Folgerungen. Der Zahn ist das Kind des Mundes, der Mund ist die Gebärmutter, in der er wächst, genau so wie der Fötus im Mutterleib wächst. Sie wissen ja, wie stark diese Symbolik im Menschen wurzelt, sonst könnte er nicht auf den Ausdruck Gebärmuttermund, Schamlippen gekommen sein.

Der Zahnschmerz ist also der unbewußte Wunsch, daß der Keim des Kindes erkranken, sterben soll. Woher ich das weiß? Nun unter anderem - es gibt viele Wege zu solchem Wissen - daher, daß Erbrechen und Zahnschmerz verschwinden, wenn man der Mutter den unbewußten Wunsch nach dem Tod des Kindes zu Bewußtsein bringt. Sie sieht dann ein, wie wenig diese Mittel dem Zweck dienen, gibt sogar oft genug den von Gesetz und Sitte getadelten Zweck auf, wenn sie ihn in seiner krassen Nacktheit vor sich sieht.

Auch die seltsamen Gelüste und Abneigungen der Frauen in guter Hoffnung stammen teilweise vom Haß gegen das Kind. Jene führen auf die Idee des Unbewußten zurück, mit bestimmten Speisen den Kindeskeim zu vernichten; diese haben ihren Grund darin, daß sie durch irgendeine Assoziation an das Faktum der Schwangerschaft oder der Schwängerung erinnern. Denn so stark ist zu Zeiten die Abneigung - bei jeder Frau, was ihrer Liebe zum kommenden Kind keinen Abbruch tut - so stark ist sie, daß selbst der bloße Gedanke daran erdrückt werden soll.

So geht es ins Unendliche weiter. Wollen Sie mehr hören? Ich sprach vorhin von der Abtreibung, einem Verfahren, das der sittliche Mensch mit aller nur möglichen Verachtung verwirft - öffentlich. Aber das Vermeiden der Schwängerung ist doch, wissenschaftlich betrachtet und im Resultat, dasselbe. Und darüber brauche ich Sie wohl nicht aufzuklären, wie gebräuchlich das ist. Auch über die Weise, wie man das macht, ist Belehrung nicht nötig. Höchstens lohnt es sich, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß das Ledigbleiben auch eine Art ist, das verhaßte Kind zu vermeiden, was sich recht häufig als Grund der Ehelosigkeit und Tugend nachweisen läßt. Und wenn dann doch einmal die Ehe geschlossen ist, so kann man immer noch versuchen, den Mann von sich abzuschrecken. Es genügt dazu, immer wieder in Wort und Tat - oder vielmehr Untätigkeit - zu betonen, welches Opfer das Weib dem Mann bringt. Es gibt genug Männer, die diese Dummheit glauben und voll scheuer Ehrfurcht diese höheren Wesen anstaunen, die entsagend den Schmutz des Unterleibs dulden um der lieben Kinder und des lieben Mannes Willen. Gottes Gedanken sind für den edlen Menschen darin verständlich; aber er will, daß das Kind im Sumpf der Schweinerei gezüchtet wird, und also muß man sich fügen. Aber zeigen darf man dem Mann, wie man das alles verachtet, zeigen muß man es ihm, sonst kommt er gar dahinter, daß es manchen Ersatz für seine Liebesbezeugungen gibt, Ersatz, auf den man nicht gern verzichtet. Und hat man den Mann erst so weit, daß er den armseligen Genuß aufgibt, in der Scheide seines angetrauten Weibes Onanie zu treiben, so kann man ihm tausendfach die Schuld für jede schlechte Stimmung, und für die freudlose Kindheit der Sprößlinge, für das Unglück der Ehe zuschreiben.

Und dann weiter, wozu gibt es Krankheiten? Besonders Unterleibsleiden? Sie sind in vielen Richtungen angenehm. Da ist zunächst die Möglichkeit, das Kind zu vermeiden. Das ist weiter die Genugtuung, vom Arzt zu hören, daß man durch den Mann, durch dessen liederliches Vorleben krank geworden ist; denn man kann nie genug Waffen in der Ehe haben. Da ist vor allem - wenn ich zu intim werden, bitte ich es offen zu sagen - da ist vor allem die Möglichkeit, sich einem fremden Mann zu zeigen. Man erlebt die schönsten Sensationen auf dem Untersuchungsstuhl, Sensationen, die so mächtig sind, daß sie das Es verführen, Krankheiten in mannigfacher Form hervorzubringen.

Mir lief kürzlich ein Weiblein über den Weg, das ehrlicher Laune war. "Vor Jahren" erzählte sie mir, "sagten Sie einmal, man gehe zum Frauenarzt, weil man gern einmal eine andere Hand als die des Geliebten spüren möchte, ja, man werde zu diesem Zweck wirklich krank. Ich bin seitdem nie wieder untersucht worden und nie wieder krank gewesen." So etwas zu hören ist hübsch und lehrreich. Und weil es lehrreich ist, teile ich es Ihnen mit. Denn das Merkwürdige dabei ist, daß ich jener Frau die zynische Wahrheit nicht mit der Absicht sagte, ihr ärztlich zu helfen, sondern um sei zum Lachen zu bringen oder sie zu ärgern. Das Es des Weibleins aber machte ein Heilmittel daraus, tat damit eine Arbeit, die weder ich noch sechs andere Ärzte fertig gebracht hätten. Was soll man solchen Tatsachen gegenüber vom Helfenwollen des Arztes sagen? Man schweige beschämt und denke: alle Dinge gehen zum Besten.

Alles Wesentliche geht auch bei der Gynäkologie außerhalb des Bewußtseins vor sich; mit dem Verstand läßt sich der Arzt aussuchen, vor dem man liegen will, läßt sich das Wäschestück daraufhin prüfen, ob es hübsch genug ist, läßt sich Bidet und Seife brauchen, aber schon bei der Art, wie man sich hinlegt, versagt die Absicht und das Unbewußte regiert; und nun gar erst bei der Wahl der Erkrankung, bei dem Wunsch, krank zu werden. Das ist lediglich Sache des Es. Denn das unbewußte Es, nicht der bewußte Verstand schafft die Krankheiten. Sie kommen nicht von außen als Feinde, sondern zweckmäßige Schöpfungen unseres Mikrokosmos, unseres Es, genauso zweckmäßig wie der Aufbau der Nase und des Auges, die ja auch vom Es geschaffen werden. Oder finden Sie es unmöglich, daß ein Wesen, das aus Samenfaden und Ei einen Menschen mit Menschengehirn und Menschenherz macht, einen Krebs oder eine Lungenentzündung oder eine Gebärmuttersenkung hervorrufen kann?

Das nur nebenbei zur Erklärung, daß ich nicht etwa annehme, die Frau erfinde sich ihr Unterleibsleiden aus Bosheit oder Gier. Das ist nicht meine Meinung. Sondern das Es, das Unbewußte, zwingt ihr diese Erkrankung auf, gegen ihren bewußten Willen, weil das Es gierig ist, boshaft ist und sein Recht verlangt. Erinnern sie mich doch gelegentlich daran, daß ich ihnen etwas darüber sage, wie sich das Es sein Recht auf Genuß verschafft, im Guten wie im Bösen.

Nein, meine Meinung von der Macht des Unbewußten und der Ohnmacht des bewußten Willens ist so groß, daß ich sogar die simulierten Erkrankungen für Äußerungen des Unbewußten halte, aß mir das bewußte sich Krankstellen eine Maske ist, hinter der sich weite und unübersichtliche Gebiete der dunklen Lebensgeheimnisse verbergen. In diesem Sinne ist es für den Arzt gleichgültig, ob er belogen wird oder die Wahrheit hört, wenn er nur ruhig und sachlich die Aussage des Kranken, seiner Zunge sowohl, wie seiner Gebärde, wie seiner Symptome prüft und daran herumarbeiten, schlecht und recht, wie er es vermag.

Aber ich vergesse, daß ich Ihnen vom Haß der Mutter gegen das Kind erzählen wollte. Und da muß ich noch ein seltsames Verfahren des Unbewußten erwähnen. Denken Sie an, es kann sein - und es ist oft so -, daß eine Frau sich mit allen Neigungen ihres Herzens ein Kind wünscht und doch unfruchtbar bleibt, nicht weil der Mann oder sie selbst steril ist, sondern weil eine Strömung im Es ist, die hartnäckig dabei bleibt: es ist besser, wenn du kein Kind kriegst. Und diese Strömung wird jedesmal, wenn die Möglichkeit der Schwängerung gegeben ist, wenn der Same in der Scheide ist, so mächtig, daß sie die Befruchtung verhindert. Sie verschließt etwa den Muttermund, oder sie läßt ein Gift entstehen, das die Samentierchen umbringt, oder sie tötet das Ei, oder wie Sie sich das nun denken mögen. Das Resultat ist jedenfalls, daß keine Schwangerschaft zustande kommt, lediglich, weil das Es es nicht will. Man könnte fast sagen, weil die Gebärmutter es nicht will, so unabhängig sind diese Vorgänge vom hehren Gedanken des Menschen. Auch darüber muß ich gelegentlich ein Wort sagen. Genug, die Frau bekommt kein Kind, bis - ja, bis das Es durch irgendein Ereignis, vielleicht durch eine Behandlung, davon überzeugt wird, daß seine Abneidung gegen die Schwangerschaft irgendein Rest von kindischen Gedanken aus dem frühesten Lebensalter ist. Sie glauben gar nicht, liebste Freundin, was für seltsame Ideen bei der Erforschung solcher Verweigerungen der Mutterschaft zum Vorschein kommen. Ich kenne eine Frau, der spukt es im Kopf herum, daß sie ein doppelköpfiges Kind bekommen wird; durch eine Mischung früherer Jahrmarktserinnerungen und heißer, das Gewissen belastender Gedanken an zwei Männer gleichzeitig.

Ich nannte die Ideen unbewußt; aber das trifft nicht ganz zu; denn diese Frauen, die das Kind ersehnen und alles tun, um zum Glück der Mutter zu gelangen, die nicht wissen, und wenn man es ihnen sagt, durchaus nicht glauben wollen, daß sie selbst das Kind verweigern, diese Frauen haben ein schlechtes Gewissen; nicht etwa weil sie unfruchtbar sind und sich deshalb verachtet vorkommen; heutigen Tages wird keine Frau mehr verachtet, weil sie unfruchtbar ist. Das schlechte Gewissen verschwindet nicht mit der Schwangerschaft. Es verschwindet nur, wenn es gelingt, die verdreckten Herde tief im Innern der Seele aufzufinden und zu reinigen, die Giftherde, von denen aus das Unbewußte verdorben wird.

Was für ein mühseliges Geschäft ist es, über das Es zu reden. Man schlägt irgendeine Saite an, und statt eines einzigen Tons erklingen viele, tönen durcheinander und verstummen wieder oder lassen neue aufwachen, immer neue, bis ein wüstes Brausen und Heulen entsteht, in dem das Gestammel des Sprechens untergeht. Glauben Sie mir, über das Unbewußte läßt sich nicht sprechen, nur stammeln oder besser nur leise dieses oder jenes andeuten, damit die Höllenbrut der Unbewußten Welt nicht aus den Tiefen mit wüsten Mißklängen hervorbricht.

Muß ich es noch sagen, daß, was von der Frau gilt, auch vom Mann gegen die Schwangerschaft vorgebracht wird, daß er Junggeselle, Mönch, Keuschheitsschwärmer aus diesem Grund bleiben kann, oder daß er sich irgendwo ansteckt, mit Syphillis, mit Tripper und Hodenentzündung, um keine Kinder zu zeugen? Daß er seinen Samen unfähig macht, sein Glied nicht zur Erektion kommen läßt, und was dergleichen Dinge mehr sind. Glauben Sie nur ja nicht, daß ich den Frauen alles aufbürden will. Wenn es so aussieht, ist es nur, weil ich selbst Mann bin und deshalb der Frau Schuld aufzubürden suche, die mich selber drückt; denn auch das ist eine Eigentümlichkeit des Es, daß jede Schuld, die denkbar ist, einen Jeden drückt, daß er vom Mörder, Dieb, Heuchler und Verräter sagen muß: das bist du selber.

Im Moment spreche ich ja noch vom Haß des Weibes gegen das Kind und ich muß eilen, um den Brief nicht allzusehr zu belasten. Bisher sprach ich von der Verhütung der Empfängnis. Aber nun beachten sie Folgendes: Eine Frau, die sich ein Kind wünscht, erhält während einer Badereise den Besuch ihres Mannes. Sie verkehren miteinander und in froher Hoffnung und dumpfer Angst harrt sie der nächsten Menstruation. Sie bleibt aus und am zweiten Tag dieses Fortbleibens stolpert die Frau über eine Treppenstufe, fällt, und der jauchzende Gedanke durchzuckt sie: Jetzt bin ich das Kind wieder los. Diese Frau hat ihr Kind behalten, denn der Wunsch des Es war stärker als die Abneigung. Aber wie tausendfach tötet ein solches Fallen den kaum befruchteten Keim. Lassen Sie sich nur von Ihren Bekannten erzählen, in wenigen Tagen haben Sie eine ganze Sammlung ähnlicher Vorkommnisse, und wenn Sie, was freilich zwischen Menschen selten ist und erst erworben werden muß, das Vertrauen dieser Freundinnen haben, werden Sie hören: es war mir lieb, daß es so kam. Und wenn Sie tiefer darauf eingehen, werden Sie erfahren, daß unwabweisbare Gründe gegen die Schwangerschaft vorlagen, und daß das Fallen beabsichtigt war, nicht vom Bewußtsein, versteht sich, sondern vom Unbewußten. Und so ist es mit dem Heben, mit dem Gestoßenwerden, so ist es mit allem. Sie mögen es mir glauben oder nicht, es ist noch nie eine Fehlgeburt zustande gekommen, die nicht absichtlich aus gut erkennbaren Gründen vom Es herbeigeführt worden wäre. Noch nie. Das Es treibt in seinem Haß, wenn der die Übermacht gewinnt, das Weib dazu, zu tanzen oder zu reiten oder zu reisen oder zu Menschen zu gehen, die freundliche Nadeln oder Sonden oder Gifte gebrauchen, oder zu fallen oder sich stoßen und sich mißhandeln zu lassen oder zu erkranken. Ja, es kommen komische Sachen dabei vor, bei denen das Unbewußte selber nicht weiß, was es tut. So pflegt die edle Frau, die das höhere Leben oberhalb des Unterleibs führt, heiße Fußbäder zu brauchen, um schuldlos zu abortieren. Aber das heiße Bad ist für den Keim nur angenehm, fördert sein Wachstum. Sie sehen, ab und zu lacht das Es über sich selbst.

Ich kann zum Schluß nur schwer überbieten, was ich an verruchten und verrückten Ansichten heute geschrieben habe. Aber ich will es doch versuchen. Hören Sie: ich bin der Überzeugung, daß das Kind aus Haß geboren wird. Die Mutter hat es satt, dick zu sein und eine Last von vielen Pfunden zu tragen, und deshalb wirft sie das Kind hinaus, recht unsanft übrigens. Tritt dieser Überdruß nicht ein, so bleibt das Kind im Leib und versteinert; das kommt vor.

Um gerecht zu sein, muß ich hinzufügen, daß auch das Kind nicht mehr im dunklen Gefängnis sitzen will und seinerseits zur Entbindung mithilft. Aber das gehört in einen anderen Zusammenhang. Hier genügt die Feststellung, daß ein übereinstimmender Wunsch von Mutter und Kind zur Trennung da sein muß, damit es zu Geburt kommt.

Genug für heute. Ich bin allzeit Ihr

PATRIK TROLL.

4.

LIEBE FREUNDIN, SIE HABEN RECHT, ICH WOLLTE VON DER Mutterliebe schreiben und habe vom Mutterhaß geschrieben. Aber Liebe und Haß sind immer gleichzeitig da. Sie bedingen sich gegenseitig. Und weil von der Mutterliebe so viel geredet wird und jeder damit Bescheid zu wissen glaubt, hielt ich es für gut, einmal die Wurst am anderen Zipfel anzuschneiden. Im Übrigen bin ich nicht überzeugt, daß Sie sich schon einmal mit der Frage der Mutterliebe anders beschäftigt haben, als sie zu empfinden und einige Redensarten lyrischer oder tragischer Art anzuhören oder zu äußern.

Die Mutterliebe ist selbstverständlich, ist jeder Mutter von vornherein eingepflanzt, ist ein eingeborenes heiliges Gefühl des Weibes. Das mag ja sein, aber mich sollte es doch sehr wundern, wenn die Natur sich ohne weiteres auf das weibliche Gefühl verlassen hätte, oder gar mit Empfindungen arbeitete, die wir Menschen heilig nennen. Sieht man näher zu, so lassen sich auch einige, wenn auch gewiß nicht alle Quellen dieses Urgefühls finden. Sie haben, scheint es, mit dem so beliebten Fortpflanzungstrieb wenig zu tun. Lassen Sie einmal alles beiseite was über die Mutterliebe geredet worden ist, und sehen Sie sich an, was zwischen diesen beiden Wesen, Mutter und Kind, vor sich geht.

Da ist zunächst der Moment der Empfängnis, die bewußte oder unbewußte Erinnerung an einen seligen Augenblick. Denn ohne dieses wahrhaft himmlische Gefühl - himmlisch deshalb, weil der Glaube an Seligkeit und Himmelreich letzten Endes damit zusammenhängt - ohne dieses Gefühl kommt es zu keiner Empfängnis. Sie glauben das nicht und berufen sich auf die tausendfachen Erfahrungen des verabscheuten Ehebettes, der Vergewaltigungen, der Schwängerungen in bewußtlosem Zustand. Aber all diese Fälle beweisen nur, daß das Bewußtsein an diesem Rausch nicht teilzunehmen braucht; für das Es, das Unbewußte beweisen sie gar nichts. Um dessen Empfindungen festzustellen, müssen Sie sich an die Organe wenden, mit denen es spricht, an die Wollustorgane des Weibes. Und Sie würden erstaunt sein, wie wenig sich die Scheidenwände oder die Schamlippen, der Kitzler oder die Brustwarzen um den Abscheu des Bewußtseins kümmern. Sie antworten auf die Reibung, auf die zweckmäßige Erregung in ihrer eigenen Weise, ganz gleich, ob der Geschlechtsakt dem denkenden Menschen lieb ist oder nicht. Fragen Sie Frauenärzte oder Richter oder Verbrecher; Sie werden meine Behauptung bestätigt finden. Sie können auch von den Frauen, die ohne Lust empfangen haben, die vergewaltigt oder bewußtlos mißbraucht wurden, die richtige Antwort hören, nur müssen Sie zu fragen verstehen oder besser, Vertrauen erwecken. Erst wenn der Mensch sich überzeugt hat: der, der fragt, ist frei von verachtenden Gedanken, macht wirklich ernst mit dem Wort: "Richtet nicht", erst dann öffnet er die Pforten seiner Seele ein wenig. Oder lassen Sie sich von diesen geschlechtskalten Opfern männlicher Gier ihre Träume erzählen; der Traum ist die Sprache des Unbewußtenund in ihm läßt sich mancherlei lesen. Am einfachsten ist, Sie gehen mit sich selber zu Rate, ehrlich wie es Ihre Gewohnheit ist. Sollte es Ihnen noch nicht aufgefallen sein, daß der Mann, den Sie lieben, mitunter nicht fähig ist, eine Erektion zustande zu bringen? Wenn er an Sie denkt, steht seine Mannheit so kräftig zur Verfügung, daß es eine Lust ist, und wenn er neben Ihnen ist, sinkt alle Herrlichkeit schlaff zusammen. Das ist ein merkwürdiges Phänomen; es bedeutet, daß der Mann wohl tausendfach und unter den seltsamsten Verhältnissen liebesfähig ist, daß er aber unter gar keinen Umständen eine Erektion bekommt in Gegenwart einer Frau, die diese Erektion verhindern will. Es ist eine von den tief versteckten Waffen des Weibes, eine Waffe, die sie unbedenklich braucht, wenn sie den Mann demütigen will, oder vielmehr, das Unbewußte der Frau braucht die Waffe, so nehme ich an, weil ich nicht gern ein Weib so einer bewußten Bosheit für fähig halte, und weil es mir wahrscheinlicher ist, daß zur Verwendung dieses Fluidums, das den Mann schwächt, unbewußte Vorgänge im Organismus des Weibes stattfinden. Mag es nun  so sein oder so, jedenfalls ist es ganz unmöglich, daß ein Mann ein Weib nehmen kann, wenn sie nicht irgendwie einverstanden ist. Sie tun gut daran, die Kälte der Frau zu bezweifeln und lieber an ihre Rachsucht und unausdenkbar heimtückische Gesinnung zu glauben.

Haben Sie nie die Phantasie des Vergewaltigtwerdens gehabt? Sagen Sie nicht gleich nein, ich glaube Ihnen doch nicht. Vielleicht haben Sie keine Angst wie so viele Frauen, und gerade angeblich kalte, allein im Wald oder in dunkler Nacht zu gehen; ich sagte es Ihnen schon, Angst ist ein Wunsch; wer sich vor der Notzucht fürchtet, wünscht sie. Wahrscheinlich, so wie ich Sie kenne, schauen Sie auch nicht unter die Betten und in die Schränke; aber wie viele tun es, stets in der Angst und in dem Wunsch, den Mann zu entdecken, der gewaltig genug ist, sich nicht vor dem Gesetz zu fürchten. Sie kennen doch die Geschichte von jener Dame, die, als sie den Mann unter dem Bett sieht, in die Worte ausbricht: "Endlich, seit zwanzig Jahren warte ich darauf." Und wie bezeichnend ist es, daß dieser Mann mit einem blanken Messer phantasiert wird, mit dem Messer, das in die Scheide gesteckt werden soll. Nun, über all das sind Sie erhaben. Aber Sie waren einmal jünger, suchen Sie nur nach. Sie werden den Augenblick finden - was sage ich? den Augenblick - nein, Sie werden sich einer ganzen Reihe von Momenten erinnern, wo es Sie kalt überlief, weil Sie hinter sich einen Schritt zu hören glaubten; wo Sie plötzlich in der Nacht in irgendeinem Gasthaus erwachten mit dem Gedanken: habe ich auch die Tür verschlossen? Wo Sie frösteln unter die Decke krochen, fröstelnd, weil Sie die innere Hitze abkühlen mußten, um nicht zu verbrennen. Haben Sie nie mit Ihrem Geliebten gerungen, Notzucht gespielt? Nein? Ach, was sind Sie für eine Törin, daß Sie sich umd die Freuden der Liebe bringen, und was sind Sie für eine Törin, daß Sie annehmen, ich glauben Ihnen. Ich glaube nur an Ihr schlechtes Gedächtnis und an Ihr feiges Ausweichen vor der Selbstkenntnis. Denn, daß ein Weib diesen höchsten Liebesbeweis, diesen einzigen, kann man sagen, nicht begehren sollte, ist unmöglich. So schön sein, so verführerisch sein, daß der Mann alles andere vergiß und nur liebt, das will eine jede, und die es leugnet, irrt sich oder lügt bewußt. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, so suchen Sie diese Phantasie in sich lebendig zu machen. Es ist nicht gut, mit sich selber Versteck zu spielen. Was gilt die Wette? Schließen Sie die Augen und Träumen Sie frei, ohne Absicht und Vorurteil! In wenigen Sekunden sind Sie von den Bildern des Traums gefesselt, hingerissen, so daß Sie kaum wagen, weiter zu denken, weiter zu atmen. Das ist das Knacken der Äste, der jähe Sprung und der Griff an die Gurgel, das Niederwerfen und das blinde Zerreißen der Kleider, und die wahnsinnige Angst. Und nun fassen Sie den Menschen, der rast, ins Auge, fest und unbeirrbar. Ist er groß,klein, schwarz, blond, bärtig, glatt? Den bannenden Namen! oh ja, ich wußte, daß Sie ihn schon kennen. Sie sahen ihn gestern oder vorgestern oder vor vielen Jahren, auf der Straße oder der Eisenbahnfahrt oder auf einem Pferd dahinjagend oder beim Tanz. Und der Name, der Ihnen durch den Kopf schoß, macht Sie zittern. Denn nie hätten Sie geglaubt, daß gerade dieser Mensch Ihre tiefste Begierde weckte. Er war Ihnen gleichgültig? Sie verabscheuten ihn? Er war ekelhaft? - Hören Sie doch hin: Ihr Es kichert über Sie. - Nein, stehen Sie nicht auch, schauen Sie nicht nach Uhr und Schlüsselbund, träumen Sie, träumen Sie! Vom Märtyrertum, der Schande, dem Kind in Ihrem Schoß, vom Gericht und dem Wiedersehen mit dem Verbrecher in Gegenwart der schwarzen Richter und von der Qual zu wissen, daß Sie wünschten, was er tat und wofür er büßt. Furchtbar, unfaßbar und unentrinnbar fesselnd. - Oder ein anderes Bild, wie das Kind geboren wird, wie Sie arbeiten und die Hände mit der Nadel zerstechen, während der Kleine sorglos zu Ihren Füßen spielt und Sie nicht wissen, wie ihn ernähren. Armut, Not, Elend. Und dann kommt der Prinz, der edle, herrlich gute, der Sie liebt, den Sie lieben und dem Sie entsagen. Hören Sie nur, wie das Es kichert über die schöne Geste. - Und noch ein Bild, wie das Kind in Ihrem Leib wächst und mit ihm die Angst, wie es geboren wird und Sie es erwürgen, im Teich versenken und wie Sie selbst vor den dunklen Richtern als Mörderin stehen. Auf einmal tut sich eine Märchenwelt auf, ein Scheiterhaufen wird gehäuft, die Kindesmörderin steht darauf an den Pfahl gefesselt und die Flammen lecken an ihren Füßen. Hören Sie nur, was das Es flüstert, wie es den Pfahl deutet und das züngelnde Feuer und wie es Ihnen zuraunt, wessen Füße es sind, die Ihr tiefstes Wesen mit der Flamme verbindet. Ist es nicht Ihre Mutter? - Das Unbewußte ist rätselhaft und zwischen Wald, gewaltig und Gewalt schlummern Engel und Teufel.

Nun der bewußtlose Zustand. Wenn Sie Gelegenheit dazu haben, sehen Sie bitte irgendeinen hysterischen Krampfanfall an. Er wird Ihnen klar machen, wie viele Menschen die Bewußtlosigkeit bei sich hervorrufen, um die Wollust zu empfinden; gewiß, es ist ein dummes Verfahren, aber schließlich ist alle Heuchelei dumm. Oder gehen Sie in eine chirurgische Klinik, sehen Sie sich ein Dutzend Narkosen mit an; sie können Sie merken und hören, wie genußfähig der Mensch auch im bewußtlosen Zustand ist. Und dann nochmals, achten Sie auf Träume; die Träume des Menschen sind wunderliche Dolmetscher der Seele.

Nochmals also: ich nehme an, daß eine der Wurzeln der Mutterliebe der Genuß bei der Empfängnis ist. Ich übergehe nun, ohne dadurch ihre Wichtigkeit herabsetzen zu wollen, eine Reihe verwickelter Gefühle, wie die Neigung zum Mann, die auf das Kind übertragen wird, den Stolz auf die Leistung; - so merkwürdig es auch für unseren hochmögenden Verstand ist, daß man sich auf Dinge etwas einbildet, die wie die Schwängerung nur vom Es geleistet werden, mit dem, was wir als edles Werk anzuerkennen pflegen, also ebensowenig zu tun haben wie Schönheit oder ererbter Reichtum oder große Geistesgaben, das Weib ist eben stolz darauf, über Nacht durch so lustige Arbeit ein lebendiges Wesen geschaffen zu haben. - Ich rede nicht davon, wie die Bewunderung und der Neid der Nächsten zur Ausbildung der Mutterliebe verwendet werden oder wie das Gefühl, für ein Lebewesen ausschließlich verantwortlich zu sein - dann an die ausschließliche Verantwortung glaubt die Mutter gern, wenn es glatt geht, ungern und nur vom Schuldbewußtsein gezwungen, wenn es schief geht, - wie dieses Gefühl die Neigung zum kommenden Kind erhöht, das Gefühl großer Wichtigkeit, das aus eigenen und fremden Quellen genährt wird; oder wie der Gedanke, ein hilfloses Menschlein zu schützen, mit dem eigenen Blut zu nähren - was ja eine beliebte und gegen die Kinder später oft verwendete Redensart ist, an die das Weib zu glauben vorgibt, obwohl sie die Lüge darin fühlt - wie dieser Gedanke der Mutter eine Art Gottähnlichkeit gibt und ihr daher eine fromme Gesinnung gegen das Muttergotteskind einflößt.

Ich möchte Sie vielmehr auf etwas Einfaches und anscheinend Unbedeutendes aufmerksam machen, nämlich, daß der weibliche Körper einen hohlen leeren Raum hat, der durch die Schwangerschaft, durch das Kind ausgefüllt wird. Wenn Sie sich vorstellen, wie beunruhigend das Gefühl des Leerseins ist und wie wir beim Sattsein ein "anderer Mensch" sind, ahnen Sie ungefähr, was in dieser Richtung die Schwangerschaft für das Weib bedeutet. Ungefähr, nicht ganz. Denn es handelt sich bei den Unterleibsorganen der Frau nicht nur um ein Gefühl der Leere, es ist vor allem die von Kindheit an bestehende Empfindung des Mangels, die bald mehr bald weniger die Selbstachtung des Weibes niederdrückt. Zu irgendeiner Zeit, jedenfalls sehr früh, sei es durch Beobachtung, sei es auf anderem Weg, erfährt das kleine Mädchen, daß ihm etwas fehlt, was der Knabe, der Mann besitzt. - Nebenbei bemerkt ist es nicht verwunderlich, daß niemand weiß, wann und wie ein Kind die Geschlechtsunterschiede kennen lernt? Obwohl diese Entdeckung, man könnte sagen, das wichtigste Ereignis im Menschenleben ist. - Das kleine Ding, sage ich, bemerkt dieses Fehlen eines Bestandteiles des Menschen und faßt es als einen Fehler seines Wesens auf. Sonderbare Ideengänge knüpfen sich daran an, von denen wir uns gelegentlich unterhalten können, die alle das Gepräge der Beschämung und des Schuldgefühls tragen. Anfangs hält noch die Hoffnung, der Fehler werde sich durch Nachwachsen ausgleichen, einigermaßen dem Gefühl des Niedrigseins die Waage, aber diese Hoffnung erfüllt sich nicht, es bleibt nur das in seiner Begründung immer undeutlicher werdende Schuldgefühl und die unbestimmbare Sehnsucht, beides Erscheinungen, die wohl an Klarheit nachlassen, aber an Gefühlskraft wachsen. Das geht durch lange Jahre mit im tiefen Leben der Frau als immer brennende Qual. Und nun kommt der Moment der Empfängnis, die Herrlichkeit der Sättigung, das Verschwinden der Leere, des verzehrenden Neides und der Scham. Und dann lebt eine neue Hoffnung auf, die Hoffnung, daß in ihrem Leib ein neuer Teil ihres Wesens, eben das Kind, wächst, das diesen Fehler nicht haben, das ein Junge sein wird.

Es bedarf eigentlich keines Beweises, daß die Schwangere wünscht, einen Knaben zu gebären. Wer die Fälle, in denen der Wunsch auf ein Mädchen geht, erforscht, der wird manches Geheimnis gerade dieser einen Mutter erfahren, die allgemeine Regel aber, daß das Weib den Sohn zur Welt bringen will, wird sich ihm bestätigen. Wenn ich Ihnen trotzdem von einer persönlichen Erfahrung erzähle, so geschieht es, weil ein Nebenumstand mir charakteristisch vorkommt und Sie vielleich zum Lachen bringt, zu dem heiteren, göttlichen Lachen, mit dem man in der Komik die tiefe Wahrheit begrüßt. Ich habe eines Tages die kinderlosen Mädchen und Frauen meiner Bekanntschaft gefragt, es waren natürlich nicht sehr viele, aber doch etwa 15-20, was sie sich für ein Kind wünschten. Sie haben alle geantwortet: einen Jungen. Aber nun kam das Seltsame. Ich fragte weiter, wie alt sie sich wohl diesen Knaben vorstellten und wie sie ihn gerade in dem Moment beschäftigt dächten. Bis auf drei haben sie alle dieselbe Antwort gegeben; zwei Jahre, auf der Wickelkommode liegend und den Strahl in hohem Bogen unbekümmert in die Welt spritzend. Von den drei Abseitigen gab die eine den ersten Schritt an, die zweite das Spielen mit einem Schäfchen und die dritte: drei Jahre, stehend und pinkelnd.

Verstehen Sie wohl, verehrte Freundin? Da ist eine Gelegenheit, in die Tiefe des Menschen zu blicken, für einen kurzen Moment mitten im Lachen zu gewahren, was den Menschen bewegt. Vergessen Sie es bitte nicht. Und überlegen Sie sich, ob hier nicht eine Möglichkeit ist, weiter zu fragen und zu erkunden.

Das Entstehen des Kindes im Unterleib, sein Wachsen und Schwererwerden bemächtigt sich noch in einer anderen Richtung der weiblichen Seele, verflicht sich mit festgewurzelten Gewohnheiten und nutzt, um die Mutter an das Kind zu fesseln, Neigungen aus, die, von versteckten Schichten des Unbewußten aus, das Menschenherz und das Menschenleben beherrschen. Sie werden beobachtet haben, daß das Kind, das auf dem Töpfchen sitzt, nicht gleich willig hergibt, was der Erwachsene, dem diese Beschäftigung weniger Wonne gibt, erst zart und nach und nach immer dringender von ihm verlangt. Wenn Sie Interesse dafür haben, dieser absonderlichen Neigung zur freiwilligen Verstopfung, aus der nicht selten eine Lebensgewohnheit wird, nachzugehen, was ja allerdings ein seltsames Interesse ist, so bitte ich Sie sich daran zu erinnern, daß im Unterleib in der Gegend von Mastdarm und Blase fein und lüstern tätige Nerven verlaufen, deren Reizung artige Gefühle weckt. Sie werden dann weiter daran denken, wie oft die Kinder bei Spiel und Arbeit unruhig auf dem Stuhl rutschen, - vielleicht taten Sie es selbst in Ihrer Kindheit unschuldigen Tagen, - mit den Beinen wippeln und zappeln, bis das verhängnisvolle Wort der Mutter ertönt: "Hans oder Liesel, geh auf die Toilette." Warum wohl das? Ist es wirklich, daß der Knabe, daß das Mädchen sich verspielt haben, wie es Mama in Rücksicht auf eigene längst verworfene Neigungen nennt, oder daß sie gar zu stark von der Schularbeit gefesselt sind? Ach nein, es ist die Wollust, die solches zustande bringt, eine eigenartige Form der Selbstbefriedigung, von Kindheit auf geübt und bis zur Vollendung später ausgebildet in der Verstopfung; nur daß dann leider der Organismus nicht mehr mit der Wollust antwortet, sondern nur, im Schuldgefühl der Onanie, Kopfschmerzen oder Schwindel oder Leibweh schafft und wie die tausend Folgen der Gewohnheit, sich dauernd einen Druck auf die genitalen Nerven zu erhalten, heißen mögen. Ja, und dann fallen Ihnen noch Menschen ein, die gewohnheitsmäßig ausgehen, ohne sich vorher zu entleeren, dann auf der Straße von der Not befallen schwere Kämpfe durchmachen, bei denen sie sich nicht bewußt werden, wie süß sie sind. Nur wem die Regelmäßigkeit und der völlige Mangel an Notwendigkeit dieser Kämpfe zwischen Mensch und After auffällt, der kommt allmählich zu dem Schluß, daß hier das Unbewußte schuldlose Onanie treibt. Nun, verehrte Frau, die Schwangerschaft ist so eine schuldlose Onanie in noch viel stärkerer Weise, hier ist die Sünde heilig. Aber alle heilige Mutterschaft verhindert nicht, daß der schwangere Uterus die Nerven reizt und Wollust bringt.

Sie meinen, Wollust müsse vom Bewußtsein empfunden werden. Das ist eine falsche Meinung. Das heißt, Sie können diese Meinung haben, aber Sie müssen mir verzeihen, wenn ich ein wenig lache.

Und da wir nun einmal beim heiklen Thema der Wollust sind, der geheimen, unbewußten, nie deutlich benannten, darf ich auch gleich davon sprechen, was die Kindsbewegung für die Mutter ist. Sie ist ja auch vom Dichter mit Beschlag belegt und rosarot geputzt und zart parfümiert. In Wahrheit ist diese Empfindung, wenn man ihr den Strahlenkranz der Verklärung nimmt, eben dieselbe, die stets entsteht, wenn etwas im Leib des Weibes bewegt wird. Sie ist dieselbe, die sie vom Mann her kennt, nur jeden Sündengefühles bar, gepriesen statt verworfen.

Schämen Sie sie nicht? werden Sie sagen. Nein, ich schäme mich nicht, meine Gnädigste, so wenig schäme ich mich, daß ich die Frage zurückgebe. Regt sich in Ihnen keine Scham, werden Sie nicht überwältigt von Leid und Scham über das menschliche Wesen, das den höchsten Wert des Lebens, die Vereinigung von Mann und Frau, in den Schmutz gezogen hat? Denken Sie nur zwei Minuten darüber nach, was diese Wollust zu zweit bedeutet, wie sie Ehe, Familie, Staat geschaffen hat, Haus und Hof gegründet, die Wissenschaft, die Kunst, die Religion aus dem Nichts hervorgerufen, wie sie alles, alles, alles, was Sie verehren, gemacht hat, und wagen Sie es dann noch, den Vergleich zwischen Begattung und Kindsbewegung abscheulich zu finden.

Nein, Sie sind viel zu verständig, um den Zorn über meine von tugendprangenden Kinderwärterinnen verbotenen Worte länger zu pflegen, als bis Sie Zeit gefunden haben, sich zu besinnen. Und dann werden Sie mir willig weiter zu einer noch schärfer von Herz- und Geistesbildung verpönten Behauptung folgen, daß vor allem die Entbindung selbst ein Akt der höchsten Wollust ist, dessen Eindruck als Liebe zum Kind, als Mutterliebe weiterlebt.

Oder reicht Ihre Gutwilligkeit nicht so weit, mir auch das zu glauben? Es widerspricht ja aller Erfahrung, der Erfahrung von Jahrtausenden. Nun, einer Erfahrung, und ich halte sie für die Grundtatsache, von der man ausgehen muß, widerspricht sie nicht, das ist die, daß immer wieder neue Kinder geboren werden, daß also all die Schrecken und Leiden, von denen man seit unvordenklichen Zeiten spricht, nicht so groß sind, um nicht von der Lust, irgendeinem Lustgefühl überboten zu werden.

Haben Sie schon einmal eine Entbindung mit angesehen? Es ist eine merkwürdige Sache, die Kreißende jammert und schreit, aber ihr Gesicht glüht in fieberhafter Erregung und ihre Augen haben den seltsamen Glanz, den kein Mann vergißt, wenn er ihn einmal in eines Weibes Augen hervorgerufen hat. Das sind seltsame Augen, seltsam verschleierte Augen, die Wonne erzählen. Und was ist Wunderbares, Unglaubliches daran, daß der Schmerz Wollust sein kann, höchste Wollust? Nur die Perversions- und Unnaturschnüffler wissen nicht oder geben vor, nicht zu wissen, daß die größte Lust den Schmerz verlangt. Machen Sie sich doch frei von dem Eindruck, den der Wehlaut der Gebärenden und die blöden Erzählungen neidischer Gevatterinnen auf Sie gemacht haben. Versuchen Sie, ehrlich zu sein. Das Huhn gackert auch, wenn es ein Ei gelegt hat. Aber der Hahn kümmert sich nicht anders darum, als daß er von neuem das Weibchen tritt, deren Grauen vor dem Schmerz des Eierlegens sich sonderbar in einem verliebten Ducken vor dem Herrn des Hühnerhofs äußert.

Die Scheide des Weibes ist ein unersättlicher Moloch. Wo ist denn die weibliche Scheide, die damit zufrieden wäre, ein kleinfingerdickes Glied in sich zu haben, wenn sie eins haben kann, das stark wie ein Kinderarm ist. Die Phantasie des Weibes arbeitet mit mächtigen Instrumenten, hat es von jeher getan und wird es immer tun.

Je größer das Glied ist, umso höher ist die Wonne, das Kind aber arbeitet mit seinem dicken Schädel während der Entbindung im Scheideneingang, dem Sitz der Freude des Weibes, genau wie das Glied des Mannes, in derselben Bewegung des hin und her und auf und ab, genauso hart und gewaltig. Gewiß er schmerzt, dieser höchste und deshalb unvergeßliche und stets von neuem begehrte Geschlechtsakt, aber er ist der Gipfelpunkt aller weiblichen Freuden.

Warum aber ist, wenn die Entbindung wirklich ein Wollustakt ist, die Stunde der Wehen als Leiden unvergeßlicher Art verschrien? Ich kann die Frage nicht beantworten; fragen Sie die Frauen. Ich kann nur sagen, daß ich hie und da einer Mutter begegnet bind, die mir sagte: Die Geburt meines Kindes war trotz aller Schmerzen oder vielmehr wegen all der Schmerzen das Schönste, was ich erlebt habe. Vielleicht darf man das eine sagen, daß die Frau, von jeher zur Verstellung gezwungen, nie ganz aufrichtig über ihre Empfindungen sprechen kann, weil sie das Gebot des Abscheus vor der Sünde mit auf den Lebensweg bekommt. Woher aber diese Gleichsetzung von Geschlechtslust und Sünde kommt, das wird niemals ganz ergründet werden.

Es gibt Gedankengänge, die sich durch das Labyrinth dieser schwierigen Fragen verfolgen lassen. So erscheint es mir natürlich, daß ein Mensch, der all sein Leben lang, selbst unter Benutzung der Religion gelehrt worden ist, die Entbindung schrecklich, gefährlich, schmerzhaft, selbst daran glaubt, auch über die eigene Erfahrung hinaus. Es ist mir klar, daß eine Menge dieser Schadenerzählungen erdacht wurden, um das unverheiratete Mädchen vom unehelichen Verkehr zurückzuschrecken. Der Neid anderer, die nicht entbunden werden, vor allem der Neid der Mutter auf die eigene Tochter, der anheimfällt, was für sie selbst längst Vergangenheit ist, spricht dabei mit. Der Wunsch, den Mann einzuschüchtern, der erkennen soll, was er der Liebsten zuleide tat, welches Opfer sie bringt, wie sie Helding ist, die Erfahrung, daß er sich tatsächlich einschüchtern läßt, und aus dem mürrischen Tyrannen, zumindest für eine Zeit, ein dankbarer Vater wird, treiben in dieselbe Richtung. Und vor allem die innere Gewalt, sich selbst als groß, edel, Mutter zu erscheinen, verführt zur Übertreibung, zur Lüge. Und Lüge ist Sünde. Zuletzt aber steigt aus dem Dunkel des Unbewußten die Mutterimago empor; denn alles Begehren und jede Wollust ist durchtränkt von der Sehnsucht, wieder in den Schoß der Mutter zu gelangen, ist gezeitigt und vergiftet vom WUnsch der Geschlechtsvereinigung mit der Mutter. Der Inzest, die Blutschande. Ist es nicht genug, um sich sündig zu fühlen?

Was aber gehen diese geheimnisvollen Gründe uns beide im Augenblick an?`Ich wollte Sie überzeugen, daß die Natur sich nicht auf die edlen Gefühle der Mutter verläßt, daß sie nicht glaubt, ein jedes Weib werde, nur weil sie Mutter wird, das aufopferungsfähige, geliebte Wesen, dessen Gleichen wir nicht kennen, die uns nie ersetzt wird, und deren Namen zu nennen uns schon beglückt. Ich wollte Sie überzeugen, daß die Natur in tausendfacher Weise die Glut schürt, deren Wärme uns durch das Leben begleitet, daß sie alles und jedes benutz, - denn was ich sagte, ist nur ein winziger Teil all der Wurzeln, aus denen die Mutterliebe wächst, - benutzt, um der Mutter jede Möglichkeit zu nehmen, sich vom Kind abzuwenden.

Ist es mir gelungen? Dann würde sich von Herzen freuen
Ihr alter Freund

PATRIK TROLL.
LITERATUR - Georg Groddeck, Das Buch vom Es, Leipzig / Wien / Zürich 1923