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(1880-1927) [mit NS-Vergangenheit] Die Sinne und das Denken
Nun aber ist die folgerichtige Logik kein Beweis für die Wahrheit einer Behauptung; nun müssen wir endlich erkennen lernen, daß nur der eine Wahrheit erjagt, der ihr allein und auf eigene Fast zu Leibe rückt, und nun sollten wir doch auch einsehen lernen, daß das Ausspielen einer Auffassung gegen eine andere ein müßiges Beginnen ist, und daß die Autorität von klingenden Namen nirgends weniger Sinn und Wert haben kann, als gerade in der Philosophie, der unmittelbarsten aller Geistesrichtungen! Die Unmittelbarkeit des eigenen Denken aber geht mehr und mehr verloren. Und ehe ich mich dem eigentlichen Thema zuwende, möchte ich mit wenigen Worten zeigen, wie zwei Geistesrichtungen, die namentlich in Deutschland durch drei Jahrhunderte das Denken beherrscht haben und noch beherrschen, trotz scheinbarer Gegensätzlichkeit doch im Grunde in eben der angedeuteten fehlenden Unmittelbarkeit gemeinsam wurzeln. Denn der deutsche Idealismus, der nach einer kurzen materialistischen Regentschaft vom Positivismus unserer Tage abgelöst wurde, führt durch die angedeutete Gemeinsamkeit zum Genannten hinüber! Wenn sich der Idealismus mit KANT von der Außenwelt mit dem Satz: "Der Inhalt des Denkens ist uns durch die Sinne gegeben" abwendet, und dann Aufmerksamkeit und systematisierende Arbeit der formenden Kraft des Denkens, dem Apriori, den Kategorien, zuwendet, so ist - trotz scheinbar tiefster Gegensätzlichkeit - der Positivismus, der die Empfindung als einzig nachweisbar Gegebenes hinstellt, und von da aus mit eiserner logischer Konsequez und unerbittlicher mathematischer Abstraktion weiterschreitet, eigentlich der direkte Sprößling des vergeblich geleugneten Vaters (Idealismus) zu nennen! Denn sowohl diesem Vater wie dem Sohn, der sich als ein Selfmademan aufspielt, ist die Lebensart unverkennbarer Familienähnlichkeit zu eigen. Beide wenden sich mit der flüchtigen Konstatierung ihrer Gültigkeit von der Außenwelt ab, beide packen die Idee, respektive die Empfindung, in dem Moment, wo sie intrazerebral geworden ist, und beide machen sich nun mit genau der gleichen Hochachtung vor unbeirrbar fortschreitender Syllogistik über das Vorgefundene her, der Vater mehr dem begrifflich-abstrahierenden Grübeln, der Sohn mehr exakt-mathematisch-physikalischem Denken gehorchend. Und mag sich auch der Positivismus in seiner berechtigten Abkehr von KANT (PETZOLDT) für wesentlich verschieden vom verhaßten Idealismus halten, die innige - durch die Wesenheit germanischen "sekundären" (1) Denkes bedingte - Blutsverwandtschaft ist unleugbar und läßt sich am lebenswarmen Beispiel eines deutschen Denkers erweisen, der, nachdem er ein Menschenleben lang Idealist reinster Observanz gewesen ist, zuguterletzt dem Positivismus zuzusteuern vermochte. (2) Wenn die Philosophie also dem gleichen, aus gleicher "sekundärer" Veranlagung erwachsenen Übel entrinnen will, so heißt es vor allem, klar das Gemeinsame dieser Art aufzudecken, ehe wir uns darüber hinauszusetzen vermögen. Die Vermengung von Logik und Erkenntnis hier näher auszuführen, würde über den engen Rahmen dieses Vortrages hinausgehen. Neben diesem Grundirrtum aller sekundären Denkarten aber ist auf erkenntniskritischem, also grundlegendem Gebiet vor allem das Gemeinsame von "Idee" und "Empfindung" klarzustellen. Beider Begriffe Denkarten haben die gleiche Gebärde der Abkehr von der Außenwelt; denn mag auch der Positivist meinen, mit diesem Grundgegebenen und Allerersten des Innenlebens recht ab ovo [vom Ei weg - wp] zu beginnen und dem abstrakten sinnenverachtenden Idealismus überlegen zu sein: beide packen doch das Urproblem aller Philosophie dort an, wo das Lebendige tot und erstarrt ist, wo die Bezugnahme zur Außenwelt intrazerebral geworden ist! Was nützt aber das konsequenteste Weiterdenken, wenn das Urphänomen des Lebens nicht da erfaßt wurde, wo es in einem ewig-lebendigen Wechsel zu fassen wäre, also bei dem, was wir das "Empfindungerlebnis" nennen wollen! und der Denker, der seine Beobachtungs- und Zergliederungstätigkeit erst beim Intrazerebralen beginnt, ist wie der Naturforscher, der da meinte, das Wesen eines Käfers zu erforschen, wenn er ihn, behaglich in seiner Studierstube dasitzend, sauber auf die Nadel gespießt vor sich liegen hat, um recht gründlich und mikroskopich genau die Bestandteile seines Leibes zu zerlegen und zu "verstehen"! Aber wie der Käfer läuft und fliegt, wie seine Augen, seine Fühlhörner, seine Verdauungswerkzeug in seiner Umwelt lebendig walten, das kann nicht in der Studierstube und durch das Mikroskop, das kann nur durch eine genaue und treue Beobachtung am unbehinderten Leben des Insekts erwiesen werden! Und so kann das tiefste Wesen von Empfindung und Denken nur am Empfindungserlebnis in Wahrheit erfaßt werden; nicht aber an der folgerichtigen "Behandlung" der im Hirn "vorgefundenen" erstarrten Tatsache der Empfindung! Es muß mir also gelingen, Ihnen allen, wie Sie da vor mir sitzen, dasjenige als bewußten Besitz zuzuführen, was sie tagaus, tagein in jeder Stunde, jeder Sekunde als selbstverständlichen Besitz in sich beherbergen, das "Empfindungserlebnis". Dies ist nicht schwer, nur müssen Sie es wagen, die richtigen Folgerungen aus dem scheinbar Geringfügigen zu ziehen. Zu diesem Zweck werde ich plötzlich und unvermittelt meinen Vortrag unterbrechen mit der Aufforderung: Schauen Sie auf alles um Sie herum, auf mich, auf diese Tafel, kurz auf verschiedene Einzelheiten des Sie umgebenden Raumes ... - (längere Pause) Wenn Sie wirklich völlig dem Gedankengang hingegeben waren, den ich vor Ihnen zu entwickeln versucht habe, dann werden Sie es alle jetzt erlebt haben, wie mit einem Mal die Sie umgebende Außenwelt, die während des Vortrages völlig (oder beinahe völlig: denn Sie werden etwa mich, mein Gesicht, den Ausdruck und die Gebärden beim Zuhören mit aufgenommen haben) verschwunden ist, plötzlich für Sie war! Was ist es nun mit diesem Wiederauftauchen? Die deutsche - und jede - Sprache hat da ein Schlagwort dafür, mit welchem das tiefere Erkennen des Vorgangs - wie von den meisten Schlagwörtern - totgeschlagen wird: die Aufmerksamkeit! und stracks wird man mir sagen: meine Aufmerksamkeit war anderweitig in Anspruch genommen! Wie es aber seit alters her der größte Fluch der Philosophie gewesen ist, daß wir, im Besitz verschiedener nuancierender Worte, meinen, mit solchen Worten eine wahrhafte Denkrealität, eine essentielle Wesenheit in uns zu besitzen, so auch hier! Denn "Aufmerksamkeit" sagt gar nichts anderes aus, als daß unser Denken nach der einen oder der anderen Richtung eingestellt ist, daß der Strahlenkegel der Geistestätigkeit fixierend nach einer bestimmten Richtung ausstrahlt, als daß folglich andere, unbestrahlte Gebiete im Dunkel verbleiben, oder, wie der Physiologe sagt: nicht über die Bewußtseinsschwelle gelangen! Man sieht also, daß dieses verhängnisvolle Wort - verhängnisvoll, weil scheinbar Aufschluß gebend, mehr ein Negatives aussagt und vom tieferen Erkennen ebensosehr ablenkt, wie das soeben genannte Schlagwort von der "Schwelle des Bewußtseins"! Mit diesem Ausdruck ist nämlich die Aktivität des Prozesses ganz dem Außen zugesprochen (denn wer über eine Schwelle tritt, der tut - das "Betretene" erledeidet!), währen hier zwei Möglichkeiten zu unterscheiden sind: Die eine, daß das Außen durch die Veränderung oder aber das Intensiver-, oder gar bloß Anders- (auch Negativ-) werden seines Zustandes (ein Blitzschein, ein lauteres Rauschen des Windes, die stehenbleibende Wanduhr) wirklich über die Schwelle eindringt, der zweite und weit häufigere Fall, daß wir über die Schwelle hinaustreten, das heißt mit unserer Gehirntätigkeit durch eine Ablenkung des anderweitig nicht mehr Bestrahlung Fordernden auf ein neues Gebiet aktiv hingewiesen werden! Das aber ist das "Empfindungserlebnis", das ich Sie alle soeben miterleben ließ! Denn nichts anderes hat sich, sowohl in Ihrer Beziehung zu mir als zu der anderen Umwelt des vorhandenen Raumes verändert, als eben dies: daß ich nicht weiter gesprochen habe und daß ihre Denkkraft hierdurch frei geworden, sich einmal wieder - noch dazu durch meine hinweisenden Worte ermuntert - der Außenwelt zuwenden konnte! Folglich ist es wohl für jedermann, der richtig und gradlinig zu denken vermag, sonnenklar erwiesen, daß es nur Ihr mit meinen Worten beschäftigtes Denken war, das Sie während meines Vortrags verhinderte, die Außenwelt zu erfassen: denn physiologisch ist nicht das Geringste vorgefallen; Ihre Augen waren offen, nach wie vor, und die sogenannten (3) Bilder der Außenwelt konnten unverändert und ungehindert auf die Netzhaut fallen! Doch aber sahen Sie nichts. Dies aber geschieht hunderte, ja tausend Male täglich und stündlich! Und jedesmal, wenn Sie sich - befreit von sekundären Denkprozessen - der Außenwelt wieder zuwenden können, dann sehen Sie mit einem Mal wieder! Menschen, welche viel geistig arbeiten und so daran gewöhnt sind, ihre Fixationskraft der Außenwelt konstant zu entfremden, kennen den negativen Zustand gar genau. Mit Unrecht spricht man da von "Zerstreutheit", wo mit weit größerem Recht "Gesammeltheit" zu betonen wäre! Derjenige freilich, der zwischen einem primären (Außen-)Leben und dem sekundären kein gesundes Gleichgewicht herzustellen weiß, der ist wahrhaft "zerstreut" zu nennen, dieweil er auch dann, wenn er nicht sekundären Denkprozessen zugewendet ist, "ins Blaue schaut" oder - wie es in Norddeutschland heißt, "döst"! Aber wir alle schauen, riechen, hören, fühlen und schmecken in einem fort "ins Blaue", d. h. gar nicht, wenn wir gedanklich, oder durch einen der genannten Sinne namentlich absorbiert sind! Und wenn wir dann bei bewußter Hinwendung der nunmehr entlarvten "Aufmerksamkeit" plötzlich sukzessive all dieser Sinne wieder mächtig werden, so ist ganz unwiderlegbar klar erwiesen: Nichts als die Denkkraft, die in ihrer gemeinsamen Tätigkeit nach "innen" und nach "außen" am einleuchtendsten unter dem vereinenden Namen Fixationskraft festgehalten werden soll, nichts als diese Fixationskraft des Geistes ist es, die das Außen erst im Augenblick der Belichtung dem Menschen in seine Welt verwandelt. Oder: die Sinne - die ja, um das schöne Wort LEONARDO da VINCIs "Occhio finestra dell'anima" [Die Augen sind der Spiegel der Seele. - wp] zu veralgemeinern - nichts als die Einlaßpforten verschiedenartiger Außenmöglichkeiten für den tierischen Organismus sind, diese Sinne sind leere und tote Fenster des Geistes, und Sehen, Hören usw. ist ohne Denken einfach nicht da. Kurz: Sehen usw. = Denken. Und die gleiche, eine, ewige Fixationskraft es Geistes ist an der Arbeit sowohl beim Konturieren und Fixieren der Welt der Außendinge als beim Erfassen und Aneinenderreihen der abstraktesten Gedanken! Mit dieser so einfachen und dem Laien selbstverständlich scheinenden Erkenntnis ist aber mit einem Schlag die Philosophie von Jahrhunderten in Trümmer gegangen. NIETZSCHE wollte stets mit dem Hammer philosophieren. Ein heroisches Herumfuchteln ist es geblieben, eine Gebärde, der es freilich nicht an edler Größe gefehlt hat! Wir aber wollen mit dem Philosophenhammer zuschlagen, nicht einmal zu wild; aber was morsch und bröckelig war, muß wohl zu Trümmern zerfallen! Und - ich bitte nicht zu erschrecken! - aber mit diesen paar Sätzen sind die Fundamente des kantischen Denkens - welche eben bei Licht besehen gar nicht vorhanden waren! - in Nichts zusammengestürzt. Denn wenn ich weiß: Sehen ist Denken; - und daß dieses "ist" kein Gleichnis, kein vages "A-peux-prés" [ungefähr - wp], kein "Als-ob" der philosophischen Denkweise darstellt, sondern eherne unumstößliche Wahrheit -: dann ist es auch ebenso wahr, daß das Außen, das für Sie und keinen Menschen vor der fixierenden Kraft zu Dingen umgedeutet und gewandelt werden konnte, erst durch eben das fixierende Denken in eine Welt der Dinge umgeformt worden ist. Folglich: daß das Ding ein Denkergebnis ist; und folglich klar und unwiderleglich: daß sich das "Ding-ansich" - als contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] als Hirngespinst, als sekundäre, logischem Grübeln verdankte Gelehrtenschrulle, als nichtiges und törichtes Phantom und unsinniges Gespenst entpuppt. Hier haben wir endlich die Achillesferse dieses zählebigen Begriffs, und nun wird ihn auch kein Gerede, kein Versuch, ihn durch das Hintertürchen einer Gedanken-Grenzverwischung wieder einzuschmuggeln, jemals zu einem anderen als einem papiernen Druckerschwärze-Leben erwecken können! Ich höre sofort als entrüstete Abwehr ergrimmte Kantianer: Das ist nur ein Wortstreit, man muß "Ding-ansich" cum grano salis [nicht ganz so ernst - wp] verstehen. Es ist eben ein Grenzbegriff! Aber gleich hier muß ich mit aller Gewalt einen zweiten zertrümmernden Schlag führen, so daß auch dieser gebrechliche Schild das sieche Geschöpf nicht mehr zu schirmen vermag, und krachend zersplittert: In der Philosophie gibt es keine "Grenzbegriffe". Denn die Philosophie will das Wesen und den Kern der Dinge finden, nicht aber nach Muster der höheren Mathematik - den Positivisten seis zur Verwarnung gepredigt - Definitionen derart erweitern, daß ein syllogistisch einwandfreies Weiterdenken aufgrund solcher Erweiterungen zu neuen, logisch und mathematisch haltbaren Ergebnissen führt. Das aber tun die Grenzbegriffe. Denn: jeder Grenzbegriff ist bei Licht besehen ein "Über-die-Grenz-Begriff"! Und wie die Eisenbahnbrücke des JULES VERNE verwendbar sein soll für die rasende Fahrt der mit Volldampf geheizten Lokomotive, von einem Ufer zum andern zu sausen, mag sie auch hinterher zusammenstürzen, so genügen auch in der höheren Mathematik Funktionen, Formeln und (irreale) Größen als "Grenzbegriffe", um vom Ufer der, ich möchte "primären" Mathematik taufen, auf das Jenseits der höheren Mathematik hinüberzuführen. Aber: Schuster bleib bei deinen Leisten; und um die von den Händen verschiedenartigster Professionisten (Naturwissenschaftlern, Mathematikern usw.) arg verunzierten Hallen der Philosophie von all dem inadäquaten Schnickschnack zu säubern, muß es heißen: Gerade die Philosophie duldet, als die sehnsüchtige Sucherin des tiefsten Wesens aller Dinge, keinen Über-die-Grenz-Begriff! Und wie wir es verwehren, daß einer die einstige Amme bereits im zarten und jungfräulichen Zustand so bezeichnet, weil eben mit "Amme" das Weib erst in jenem Zustand genannt wird, wo es konzipierte, gebar und milchhaltige Drüsen besitzt, und der frühe Zustand mit anderen Worten (Mädchen, Jungfrau) bezeichnet werden kann, so müssen wir uns mit gleicher Entschiedenheit im Namen der Philosophie, der klar erfaßten Wesenheiten, dagegen verwahren, daß man ein Außen vor der Bezugnahme des organischen Zentrums als "Ding-ansich" bezeichnet. Denn ebenso wie die Amme erst da ist, wenn diverse allen bekannte Wandlungen an "ihr" vorgenommen wurden und in "ihr" vor sich gingen, ebenso ist es erst da statthaft, das höchst klare und eindeutige Wort "Ding" auszusprechen, wenn die Berührung der Außenwelt durch ein organisches Zentrum stattgefunden hat! Daß wir für den Zustand vor (oder ohne) solcher Berührung nicht wie im genannten Beispiel andere Worte zur Verfügung haben, die das Entstehen dieser Unsinnigkeit hätten verhindern können, geht aus dem mit der gleichen Erkenntnis klar gewordenen tiefsten Wesen der Worte überhaupt hervor! Denn: wie das Ding ein Denkergebnis ist, so auch alle Worte, mit denen ein Außen bezeichnet wird! Denn im Augenblick der Nennung (des Gedachtwerdens) ist ja mit dem gleichen Vorgang die vom berührenden organischen Zentrum gewandelte Außenwelt stillschweigend, - und bislang unbedacht - vorweggenommen, so daß es nunmehr heißt: die Sprache ist die unbewußte und bis zu diesem Tag kaum durchschaute Prolepsis [Vorwegnahme - wp] der Außenwelt als einer "gegebenen". Und der menschliche Geist ist wie König MIDAS, dem alles , was er berührte, sich mit einem Mal in Gold verwandelte! MIDAS kann dies durchschauen: denn vor der Berührung war ja das Brot noch kein Gold! Der Mensch aber, der nur eine durch seinen Geist gewandelte und geformte Welt berühren kann, denn dieses Berühren (Ansehen) selbst ist ja eben mit der Wandlung identisch, wird sich erst spät seiner gestaltenden Kraft klar bewußt. Daß mit diesen Grunderkenntnissen alles philosophische Denken umgestaltet werden muß, daß von dem reichen Schatz von Schlagwörtern des philosophischen Denkens kaum eines zurecht bestehen bleiben kann, ist leicht zu begreifen! Es ist auch nicht in der kurzen Zeit, die mir vergönnt ist, zu Ihnen zu reden, möglich, mehr zu tun, als ganz flüchtig das ungeheure Material anzudeuten, das nun nach Neugestaltung verlangt! Nur soviel will ich kurz erwähnen. Während alles Philosophieren vorher lediglich den müßigen, kontemplativen, nicht an die Notdurft des täglichen Lebens gefesselten Menschen zum Ausgangspunkt genommen hat, und folglich dorthin nie eingedrungen ist, wo das menschliche Denken seit Anbeginn der Menschheit wahrhaftig wurzelt und zu Hause ist, - während es im spezifisch Philosophischen lediglich in Ruhepausen als Gast verweilt, - so ist mit dem lapidaren Grundsatz von: Sinnes"tätigkeit" ist gleich Denken, dem Forschen ein klarer und neuer Weg vorgezeichnet. Denn nunmehr muß die verdenklichte und folglich verdinglichte Außenwelt als der allererste Tummelplatz des Geistes anerkannt und erst dieser erforscht und bedacht werden, ehe das fertig vorgefundene Gebäude der menschlichen Welt geprüft und behandelt wird. Dieses ist aber der nunmehr einzig statthafte, psychogenetisch fortschreitende Weg, der durch den Urwald des noch wenig gelichteten und begangenen primären Denkbesitzes hindurch führt! Es ist einleuchtend, daß wir den ersten und bedeutsamsten Wandlungen und Formungen der Außenwelt ein besonderes Augenmerk schenken werden. Und die geniale Schöpferkraft des Geistes wird sich uns dort bereits waltend erweisen, wo wir bisher den nur allzu selbstverständlich und als "gegeben" überkommenen Gemeinbesitz erblickt haben! Daß folglich jede erkannte Form und schon gar jede neue durch Arbeit gewandelte Gestalt der Außenwelt unser Beobachtungsmaterial sein wird, ist natürlich. Und ein oberster Grundsatz für die Gabe der Gestaltung und Veränderung der Materie durch den Menschen lautet: Jede neue Formung, die durch die Tätigkeit der Hände erzeugt wird, ist das Ergebnis des produktiven, genial gesteigerten schöpferischen Geistes! Und alles Tun ist Ergebnis der vorauseilenden Fixationskraft des Geistes. Namentlich diese Grundtatsache, daß alles menschliche Tun, das man gemeiniglich der Willenskraft unterzuordnen pflegte, ohne es je in den Bereich erkenntniskritischer Spekulation einzubeziehen, daß dieses Tun erst möglich ist, durch die jeder, auch der allerkleinsten Tat vorauseilende Fixation des als getan im Geist Vorausgeschauten, diese Tatsache ist von der tiefgreifendsten Wichtigkeit für alles künftige Philosophieren der Menschen. Als Musterbeispiel hierfür, zugleich als Beispiel für die geniale Schöpferkraft, die einem allerersten Tun an der Materie innewohnt, soll Folgendes dienen: Beigefügte Zeichnung weist uns das von Tausenden gedankeklose (weil zwecklos und nicht von der Not erregt!) betrachtete Tannen- oder Fichtenbäumchen. Der erste Mensch nun, der an diesem kaum verwendbaren Außending ![]() Wer aber das Beispiel anschaulich erfaßt hat, der wird begreifen lernen, daß alles formende und vorhandene Außenmaterial wandelnde Tun der Menschheit - mit diesem aber beginnt wahrhaftiglich menschliches Denken, und nicht mit müßiger Betrachtung - erst möglich ist und sich ereignen kann, wenn die Fixation dem Tun durch das Erfassen der nächsten Formung vorauseilt, dem Tun, das die selbstverständliche und uns unbewußt immanente Folge eines solchen inneren Gedankens ist! Sie alle, wie Sie hier sitzen, können keinen Schritt tun, keine Hand regen, keinen Entschluß verwirklichen, ohne daß die Fixation des zu erreichenden Ziels (der Einfall) der Entschluß (das stillschweigend als erreicht betrachtete Neue der Form oder des Zustandes oder der Handlung) dieses erst ermöglichte und ins Leben ruft! Mit einem Schlag aber ist durch diese Grunderkenntnis die Brücke geschlagen über den tiefen Abgrund, der bislang zwischen dem geistigen Leben und dem sogenannten ungeistigen bloß "körperlichen", bloß "tätigen", bloß alltäglichen Leben der ungeheuren gewaltigen Majorität der Menschheit klafft! Was für eine Überhebung, ja erkenntniskritische Blindheit in diesem "bloß" seit jeher gesteckt ist, wie sehr es dazu führte, daß die Alltäglichen, Lebendigen, Tätigen verrohten, da man sie aus der Gemeinschaft der Geistigen ausgeschlossen hat, daß die Geistigen unwirklich, sekundär, unsich und haltlos verlogen dem Leben gegenüber geworden sind, das werden Sie begreifen lernen, wenn Sie erst alle Konsequenzen mit durchdenken können, die aus unseren Grundeinsichten beinahe von selbst erwachsen. GOETHE schrieb einmal an SCHILLER die herrliche Wahrheit, es wolle ihm immer scheinen, als ob die Idealisten gar nicht zur Materie kämen, die Materialisten aber gar nicht zum Geist. In diesen einfachen Worten ist eine tiefere Wahrheit enthalten als in vielen dicken Bänden philosophischer Grübeleien! Und in der Tat sind hier die zwei Repräsentanten der ewig streitenden Anschauungen, die in der psychischen Veranlagung ihrer Urheber am besten als "sekundäre" und "primäre" Denkweise charakterisiert werden, glänzend dargelegt! Und obgleich GOETHE niemals Erkenntniskritik getrieben hat, mit diesem und vielen ähnlichen Aussprüchen hat er mehr für die Wahrheit getan als die meisten spekulativen Philosopheme! Freilich pflegte er im Disput mit SCHILLER, der, an KANTs zersetzender Kraft geschult, ihm dialektisch wohl überlegen war, scheinbar zu unterliegen; wenn aber einmal die letzte Weisheit und die philosophischen Grundwahrheiten, die - ihm selber unbewußt - hinter allem Denken GOETHEs verborgen lagen, offenbar sein werden, dann wird in der Proportion: SCHILLER zu GOETHE, wie KANT zu X, dieses X offenkundig werden; mit diesem hinter GOETHEs Unbewußtem ruhenden Erkenntnismaterial wird sich zeigen, daß trotz der Dialektik der Kantianer die ewige unerschütterliche Wahrheit auf Seiten der Denkweise GOETHEs zu suchen ist; und daß der schier ewige Zwiespalt zwischen "Erfahrung" und "Idee", "Natur" und "Geist", "Ding" und "Gesetz" versöhnend überwunden wird durch die nunmehr unerschütterliche Erkenntnis, daß diese scheinbaren Gegensätze durch ein unwiderlegliches und einleuchtend wahres Gleichheitszeichen zu verbinden sind. Diese Aufgabe zu leisten soll aber die Lebensarbeit des Vortragenden sein, und dieser Vortrag der Blitz, der dieses tiefe Dunkel zum ersten Mal erhellen wird. ![]() |