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Friedrich Nietzsche und das Erkenntnisproblem [1/4]
Vorbemerkungen NIETZSCHEs Einfluß und Bedeutung liegt nicht auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie. Aber jeder, der im Philosophenmantel vor seine Zeit hintritt, hat sich zweifellos auch vor diesem Forum zu verantworten, ja der Wahrspruch dieser Stätte ist für die Rangordnung der Geister fast entscheidend. LUDWIG STEIN in seinem Essay "Friedrich Nietzsches Weltanschauung und ihre Gefahren" und ALOIS RIEHL in der neuesten Auflage seiner vortrefflichen Schrift "Friedrich Nietzsche, der Künstler und Denker" haben beide einen Abschnitt über NIETZSCHEs Erkenntnistheorie ihrer Darstellung eingefügt. Dazu ist im vergangenen Jahr eine Monographie von RUDOLF EISLER erschienen: "Nietzsches Erkenntnistheorie und Metaphysik". Doch haben sich die beiden ersten Darsteller im engen Rahmen allzusehr beschränken müssen, und EISLERs Schrift, so viel Treffliches sie enthält, scheint uns der Entwicklung NIETZSCHEs nicht genug gerecht zu werden, Hauptwerke und Nachlaßbände zu wenig auseinanderzuhalten und zu viel Eigenes einzumischen, so daß sie noch einer Ergänzung bedarf. Es sei deshalb mit dieser Arbeit ein weiterer Beitrag zur Würdigung des Erkenntnistheoretikers NIETZSCHE vorgelegt. - Die Mannigfaltigkeit der Ideen NIETZSCHEs, insbesondere die chaotische Fülle der Nachlaßbände, bringt es mit sich, daß die Auswahl der Gedanken, nach Inhalt und Form in besonders weitgehendem Maß Urteilssache, ja Geschmackssache sein muß. Um der hierdurch unvermeidlich werdenden Willkür nach Kräften entgegenzuarbeiten, und dem Leser einen selbständigen Einblick in die Tatsachen zu ermöglichen, haben wir NIETZSCHE in ausgiebigster Weise selbst das Wort ergreifen lassen. - Leider mußte nach verschiedenen Auflagen zitiert werden. Die nötigen Angaben darüber finden sich bei Beginn jeder Periode in den Anmerkungen. ![]() I. Die erkenntnistheoretischen Gedanken Nietzsches Erste Periode(1) Im Erstlingswerk NIETZSCHEs "Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik", erschienen 1871, findet sich begreiflicherweise von eigentlich erkenntnistheoretischen Erörterungen keine Spur. Dagegen ist es sehr wohl möglich und zu dem Zweck, einen klaren Überblick über die Entwicklung NIETZSCHEs zu gewinnen, auch nötig, aus diesem an überraschenden Ansichten und eigenartigen Gedanken reichen Buch die Anschauungen zusammenzustellen, die NIETZSCHE zu Beginn seiner philosophischen Laufbahn über die Erkenntnis hatte. Wir geben die Gedanken NIETZSCHEs in logisch geordneter Folge wieder, ohne sie jedoch aus dem Zusammenhang seiner metaphysische und geschichtsphilosophischen Hauptideen loszulösen. Der philosophische Kern der Schrift ist die ausdrücklich mit Seitenzahl zitierte Stelle aus SCHOPENHAUERs Hauptwerk, wo SCHOPENHAUER die Musik im Gegensatz zu den anderen Künsten als das unmittelbare Abbild des Willens selbst, als das Metaphysische zu allem Physischen, als das Ding-ansich zu aller Erscheinung bezeichnet hat [87]. Von der Erscheinung, sagt uns NIETZSCHE, gibt es "keine Brücke, die in die wahre Realität, in das Herz der Welt führte. Aus diesem Herzen heraus aber redet die Musik" [126]. Wir fragen, was uns die Musik denn für einen Aufschluß über das Wesen der Dinge zu geben habe, und erfahren wieder in einem drei Seiten langen Zitat aus SCHOPENHAUER, daß die Musik die allgemeine Sprache des Willens ist, die uns alle möglichen Bestrebungen, Erregungen und Äußerungen des Willens in der Allgemeinheit bloßer Form zur Darstellung bringt. Daß "das Leben im Grund der Dinge, trotz allem Wechsel der Erscheinungen unzerstörbar mächtig und lustvoll sei" [34], daß sogar, wie es symbolisch dargestellt ist in der Disharmonie oder im tragischen Helden, am Schmerz die "Urlust perzipiert" wird, indem "selbst das Häßliche und Disharmonische ein künstlerisches Spiel ist, welches der Wille, in der ewigen Fülle seiner Lust, mit sich selbst spielt" [140], das ist der "metaphysische Trost", den die Musik und die aus ihr geborene tragische Kunst der Menschheit zu bringen hat, der Einblick in das Ansich der Dinge, den sie dem Sterblichen gewährt. In ähnlicher Weise wird uns vom Lyriker mitgeteilt, daß seine Ichheit "die einzige überhaupt wahrhaft seiende und ewige, im Grunde der Dinge ruhende Ichheit" ist, "durch deren Abbilder der lyrische Genius bis auf jenen Grund der Dinge hindurchsieht" [22f]. Doch hat es zu allen Zeiten ein Streben nach Erkenntnis der Wahrheit mit den Kräften des Denkens gegeben: was hält NIETZSCHE davon? Er sagt uns, daß der "theoretische Mensch" [80], als dessen Typus SOKRATES erscheint, so wenig je zur Wahrheit kommt, wie einer, der ein Loch durch die Erde zu graben sich vornimmt, wobei sein heißestes Bemühen ihn nicht weit führen kann und noch dazu vor seinen Augen durch die Arbeit des Nächsten wieder zunichte gemacht wird [81]. Freilich ruht über dem Erkenntnisstreben der Menschheit "eine tiefsinnige Wahnvorstellung", "jener unerschüttliche Glaube, daß das Denken am Leitfaden der Kausalität bis in die tiefsten Abgründe des Seins reicht, und daß das Denken das Sein nicht nur zu erkennen, sondern sogar zu korrigieren imstande sei". "Dieser erhabene metaphysische Wahn ist als Instinkt der Wissenschaft beigegeben und führt sie immer und immer wieder zu ihren Grenzen, an denen sie in Kunst umschlagen muß: auf welche es eigentlich bei diesem Mechanismus abgesehen ist" [81f]. Nur LESSING, der "ehrlichste theoretische Mensch", hat in einem "Exzeß der Ehrlichkeit, wenn nicht des Übermuts" diesen Wahnmechanismus durchschaut. Allermeist aber herrscht "der Glaube an die Ergründlichkeit der Natur und an die Universalheilkraft des Wissens" [95] als ein "im Wesen der Logik verborgener Optimismus" [84]. Ist die Wissenschaft durch diesen Optimismus bis an ihre Grenzen getrieben, so sieht sie zu ihrem Schrecken, "wie die Logik sich an diesen Grenzen um sich selbst ringelt und endlich sich in den Schwanz beißt" [84]. Es ist das "Urleiden der modernen Kultur" [104], daß der theoretische Mensch vor seinen Konsequenzen erschrickt, nichts mehr haben will "auch mit all der natürlichen Grausamkeit der Dinge" [104]. "Die wahre Erkenntnis, der Einblick in die grauenhafte Wahrheit" würde allerdings auch den Menschen, wie Hamlet, in seiner Tatkraft lähmen und mit Ekel erfüllen,, während die Kunst allein jene Ekelgedanken "in Vorstellungen umbiegt, mit denen sich leben läßt [35f]. Nachdem schon jene Traumerscheinung des SOKRATES im Gefängnis, die ihn immer wieder aufforderte: "Sokrates, treibe Musik!" eine "Bedenklichkeit über die Grenzen der logischen Kultur" verraten hatte [79], ist der "ungeheuren Tapferkeit und Weisheit KANTs und SCHOPENHAUERs der schwerste Sieg gelungen, der ein Sieg über den im Wesen der Logik verborgen ruhenden Optimismus, der wiederum der Untergrund unserer Kultur ist" [102]. Die sokratische Kultur vermag "das Szepter ihrer Unfehlbarkeit nur noch mit zitternden Händen zu halten" [103]. Sieg und Zukunft gehört einer tragischen Kultur, "deren wichtigstes Merkmal ist, daß an die Stelle der Wissenschaft als höchstes Ziel die Weisheit gerückt wird, die sich, ungetäuscht durch die verführerischen Ablenkungen der Wissenschaften, mit unbewegtem Blick dem Gesamtbild der Welt zuwendet und in diesem das ewige Leiden mit sympathischer Liebesempfindung als das eigene Leiden zu ergreifen sucht" [103]. Die aus den Tiefen des deutschen Geistes geborene neue Kultu kann man "geradezu als die in Begriffe gefaßte dionysische Weisheit" bezeichnen [113]. - Wir wollen an diesen Gedankengängen des jugendlichen NIETZSCHE nicht umständlich Einzelkritik üben. Es ist trotz aller Pracht eine schwüle Stimmung in der Schrift, und um den Horizont spielt ein eigentümliches Wetterleuchten von skeptischer Lust und Schaffenszuversicht. Uns interessiert vor allem, zur Charakteristik des Denkers NIETZSCHE, die geringe Wertschätzung, die er von Anfang an der Erkenntnis entgegenbringt. Vor dem Verlangen, daß die Erkenntnis an der Burg einer unfehlbaren Metaphysik die Waffen strecken soll, hätte ihn allerdings ebensowohl geschichtlicher Sinne wie kritische Einsicht bewahren sollen. - Gehen wir von hier zu den "Unzeitgemäßen Betrachtungen" weiter, die in den Jahren 1873-1876 erschienen sind, so dürfen wir von den durchaus zeitgeschichtlich gestimmten Aufsätzen noch weniger eigentlich erkenntnistheoretische Untersuchungen erwarten. Blicken wir jedoch durch diese in einem reichen und prächtigen Strom anregender Gedanken dahinflutenden Abhandlungen hindurch auf die Unterströmungen von NIETZSCHEs Denken, so nehmen wir wahr, wie sich manches zu ändern beginnt. Von den metaphysischen Hauptgedanken SCHOPENHAUERs hören wir so gut wie nichts mehr, obwohl dazu, namentlich in "Schopenhauer als Erzieher", Veranlassung genug gewesen wäre. Gelegentlich spricht NIETZSCHE von der Gerechtigkeit als "einem edlen, ja bereits metaphysisch zu verstehenden Trieb" [II, 76], erwägt auch den Glauben an eine "metaphysische Bedeutung der Kultur", der "am Ende gar nicht so erschreckend" sei [II, 78]. Ein verächtlicher Seitenblick streift die "Grenzwächter und Aufpasser der Wissenschaften", die aus der kantischen Lehre "einen müßigen Skeptizismus zu machen beflissen sind" [II, 100]. Dagegen ist es beachtenswert, wie für das ehemalige Schlagwort des Schopenhauerjüngers "Wille" sich das Wort "Natur" leise einschiebt; so [II, 61], wenn er von der "unbewußten Zweckmäßigkeit der Natur" redet und dem gegenüber ein bewußtes Wollen der Menschheitsziele proklamiert; oder [II, 82], wenn er uns sagt, daß die Natur "immer gemeinnützig" sein will, aber es nicht verstehe "zu diesem Zweck die besten und geschicktesten Mittel und Handhaben zu finden". "Das ist ihr großes Leiden, deshalb ist sie melancholisch". Haben wir in solchen mythologisierenden Äußerungen deutlich die Reste der SCHOPENHAUERschen Metaphysik, so kündigt sich eine Wendung zu positivistischer Stimmung doch schon in zarten Denkbewegungen an. Es ist zum Beispiel von einem Genius die Rede, "welcher rein und mit Liebe, dem Dichter ähnlich, auf die Dinge blick und sich nicht tief genug in sie hineinlegen kann" [II, 97]. Damit stimmt es überein, wenn NIETZSCHE jetzt ein positiveres Verhältnis zur Erkenntnis zu gewinnen scheint. Schon die Äußerung über die Kunst, daß in ihr "die in Liebe verwandelte Natur" ertönt [II, 143], überrascht gegenüber den oben mitgeteilten Äußerungen von der Musik, die allein aus dem Herzen der Welt redet, durch ihre größere Zurückhaltung. Am meisten jedoch verdient unser Interesse der Satz [II, 130]:
2. Die Gedanken und Entwürfe zum 9. Abschnitt der "Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik", eine Metaphysik der Kunst enthalten, vom Jahr 1870. Wäre NIETZSCHE in erster Linie Denker, nicht Künstler und Mensch gewesen, so hätte wohl schon diese Kritik eine neue Epoche seines Denkens einleiten müssen. Wir finden aber, daß noch fünf Jahre lang die Hauptgedanken der SCHOPENHAUER'schen Metaphysik, namentlich die Lehren vom unreinen Willen als dem Ding-ansich und vom Scheincharakter der Vorstellungswelt die Angeln sind, in denen sich seine Gedankenwelt bewegt. Er steht zu diesen Lehren, wie ein Scholastiker zu den Dogmen seiner Kirche, sie im Einzelnen kritisch durcharbeitend, aber dem Kern nach als gültig voraussetzend. Um eine möglichst vielseitige Beleuchtung zu erzielen, wollen wir versuchen, NIETZSCHEs Anschauungen hier nach erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten zu gruppieren. Auf unsere Frage: Wie steht es um die Außenwelt"? - erhalten wir die Antwort: "Die ganze Welt ist Erscheinung, durch und durch, Atom an Atom, ohne Zwischenraum" [165]. "Unser Leben ist ein vorgestelltes Leben. Wir kommen keinen Schritt weiter. Freiheit des Willens, jede Aktivität ist nur Vorstellung" [172] Zwar erregt die Schmerzempfindung Bedenken; aber konsequent wird entschieden: wir leiden nur als "vorgestellte Leidende" [169]. Fragen wir: Welche Bedeutung hat das Denken, das begriffliche Verarbeiten der Erscheinungswelt nach den Gesetzen des Erkennens? - so hören wir, daß das Denken gerade so weit reicht, um die Vorstellungswelt als einen Trugmechanismus zu entlarven.
Unsere nächste Frage lautet: Was steht hinter der Erscheinungswelt als eigentliche Wahrheit? Hier finden wir unseren Denker, vermutlich unter Nachwirkung seiner eigenen früheren Kritik, auf merkwürdigen Seitenwegen, die von der SCHOPENHAUERschen Hauptstraße abzweigen. Er teilt uns mit: "Unser Intellekt führt uns nie weiter als bis zum bewußten Erkennen, insofern wir aber noch intellektueller Instinkt sind, können wir noch etwas über den Urintellekt zu sagen wagen. Über diesen trägt kein Pfeil hinaus" [66]. Was nötigt zur Annahme eines solchen Urintellekts? Da erfahren wir dann, daß die ungeheure Weisheit in der Bildung der Erkenntnisorgane bei Menschen, Tieren und Pflanzen "bereits die Tätigkeit eines Intellekts" ist. "Die individuatio ist nun jedenfalls nicht das Werk des bewußten Erkennens, sondern jenes Urintellekts. Dies haben die kantisch-schopenhauerischen Idealisten nicht erkannt." [66] Dieser Urintellekt ist "wesentlich Zweckvorstellung" [68]. - Gegen diese Weiterbildung seiner Lehre würde sich der Meister energisch verwahrt haben. In der Tat würde die Annahme eines Urintellekts die SCHOPENHAUERsche Metaphysik auf dem kürzesten Weg zum Theismus zurückführen. NIETZSCHE selbst scheint den Gedanken bald wieder aufzugeben.
Hinter dem Urintellekt steht nach NIETZSCHE jedenfalls noch der Wille als das eigentliche Ding ansich. "Der Wille ist und lebt allein" [170]. Was wissen wir nun von diesem "Willen"? - "Im Menschen schaut das Ureine durch die Erscheinung auf sich selbst zurück" [165]. Also "je tiefer unsere Erkenntnis in das Ureine geht - das wir sind - umsomehr erzeugt sich auch das reine Anschauen des Ureinen in uns" [173]. Aber "wir erkennen den Urwillen nur durch die Erscheinung, das heißt, unsere Erkenntnis selbst ist eine vorgestellte,' gleichsam ein Spiegel des Spiegels" [173]. Eigentlich läßt sich also über das Ding-ansich gar nichts aussagen. Zwar entschlüpft NIETZSCHE einmal die Äußerung: "Der Wille und sein Symbol, die Harmonie, beide im letzten Grund die reine Logik!" [58]. Sonst aber hören wir: "Die Logik ist genau nur auf die Welt der Erscheinung angepaßt" [164] "Es gibt keinen Weg zum Ureinen für den Menschen" [166]. "Der Wille ist wie in einer Tarnkappe durch die Erscheinung geschützt" [170]. "Ein ewiges Sein wird erst durch die Vorstellung zum Werden, zum Willen, das heißt das Werden, der Wille selbst als Wirkender ist ein Schein" [69]. "Wir dürfen wohl sagen, daß selbst der Wille Schopenhauers nichts als die allgemeinste Erscheinungsform eines uns übrigens gänzlich Unentzifferbaren ist" [130]. Denn "auch das gesamte Triebleben, das Spiel der Gefühle, Empfindungen, Affekte, Willensakte, ist uns - wie ich hier gegen SCHOPENHAUER einschalten muß - bei genauester Selbstprüfung nur als Vorstellung, nicht seinem Wesen nach, bekannt" [130]. Darum: "Wille, wenn damit eine Vorstellung verbunden sein muß, ist auch kein Ausdruck für den Kern der Natur." [71] Doch entscheidet sich NIETZSCHE schließlich wieder so: Die Lust- und Unlustempfindungen sind die "allgemeinste Erscheinungsform, aus der und unter der wir alles Werden und Wollen einzig verstehen, und für die wir den Namen Wille festhalten wollen" [131]. - Ähnlich hatte schon SCHOPENHAUER in den Ergänzungen zu seinem Hauptwerk "Wille" und "Ding ansich" unterschieden. Aber SCHOPENHAUER gibt nur zu, daß uns "Wille" bloß in Form der zeitlichen Anschauung gegeben ist; NIETZSCHE sieht noch etwas schärfer und bemerkt am "Willen" auch andere Elemente aus der Erscheinungswelt. So hat die Bearbeitung des SCHOPENHAUERschen Willensdogmas zu einer Auflösung desselben geführt, und wir stehen wieder ratlos vor dem Ding-ansich, als einem uns gänzlich unzugänglichen X. Aber wir haben wenigstens mit angesehen, was für energische Bohrversuche NIETZSCHE macht in die Tiefe der SCHOPENHAUER'schen Metaphysik hinein, - und damit haben wir erkannt, daß seiner Trennung vom Meister vor allem wohl erkenntnistheoretische Motiv zugrunde lagen. Wir stellen nun an NIETZSCHE weiter die Frage: Wie verhält sich das Ding-ansich zu unserer Vorstellungswelt? Welcher notwendige oder willkürliche Zusammenhang besteht zwischen ihnen? - SCHOPENHAUER hatte sich hier mit der Antwort begnügt, daß die Welt in ihrer Totalität, wie in ihren einzelnen Teilen das Wesen des Urwillens darstellt und weitere Fragen als "transzendent" abgelehnt. Ähnlich erklärt uns NIETZSCHE: "Die Visionen des Ureinen können ja nur adäquate Spiegelungen des Seins sein" [171]. "Woher die Vorstellung? Dies ist das Rätsel. Natürlich ebenfalls von Anbeginn, sie kann ja niemals entstanden sein" [69]. "Der eine Weltwille ist zugleich Selbstanschauung, und er schaut sich als Welt: als Erscheinung" [165]. Durch diesen Gedanken kommt NIETZSCHE, weil doch der Wille immer dasselbe sehen muß, also der Schein unverändert sein muß wie das Sein, vorübergehend auf die Idee, daß es unendliche Willen gibt, von denen sich jeder in jedem Moment projiziert und sich ewig gleich bleibt, und daß es also für jeden Willen eine verschieden Zeit gibt" [165]. Doch für die Regel genügt ihm die Annahme, daß der Schein als das Nichtreale auch der Nicht-Eine, der Nicht-Seiende, sondern Werdende ist [165]. Schon in dieser ersten Periode sehen wir also das "Werden" eine bedeutsame Rolle spielen. - Wie der "Schein" eine adäquate Spiegelung des Seins und gleichzeitig der Gegensatz des Seins sein kann, hätte uns NIETZSCHE wohl nicht sagen können. - Beim Nachforschen über die "Selbstanschauung" des Willens tut sich unserem Philosophen noch eine neue Gedankenbahn auf. "Unser Denken ist nur ein Bild des Urintellekts, ein Denken, durch die Anschauung des einen Willens entstanden, der sich seine Visionsgestalt denkend denkt" [170]. "Es scheint aber, daß unsere Anschauung nur die Abbildung der einen Anschauung ist, das heißt nichts als eine in jedem Moment erzeugte Vision der einen Vorstellung. Die Einheit zwischen dem Intellekt und der empirischen Welt ist die prästabilierte [vorgefertigte - wp] Harmonie, in jedem Moment geboren und sich völlig im kleinsten Atom deckend. Es gibt nichts Innerliches, dem kein Äußerliches entspräche. Somit entspricht jedem Atom seine Seele, das heißt: alles Vorhandene ist in doppelter Weise Vorstellung, einmal als Bild, dann als Bild des Bildes" [170] - Diese Gedankenfolge ist ein charakteristisches Beispiel dafür, wie kühn NIETZSCHE vorwärts und vorwärts dringt, auch wenn die Stege fast sichtbar unter seinen Füßen zusammenbrechen. - Fragen wir zum Schluß, was sich NIETZSCHE über die Formen, in denen sich unser Vorstellen vollzieht, Raum, Zeit, Kausalität, gedacht hat, so scheint es für gewöhnlich, daß er sie dem menschlichen Vorstellungsmechanismus zuschreibt: "Der Wille kommt nur als Projektion zum Gefühl seiner Willensnatur, das heißt in den Banden von Raum, Zeit, Kausalität" [167]. Wäre die Zeit wirklich, so gäbe es keine Folge. Wäre der Raum wirklich, so keine Folge" [165]. Freilich findet sich auch die Äußerung:
Ein Jahr nach diesem erkenntnistheoretischen Versuch, im Frühjahr 1873, finden wir NIETZSCHE wieder mit dem Erkenntnisproblem beschäftigt. Der 10. Band der Werke enthält nämlich auch das interessante Fragment einer zusammenhängenden Arbeit "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn", das als Einleitung zu dem geplanten Werk "Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen" gedacht war; ferner Gedanken und Entwürfe zu dieser Abhandlung und Entwürfe zu zwei weiteren Arbeiten "Der Philosoph. Betrachtungen über den Kampf von Kunst und Erkenntnis" (Frühjahr 1873), und "Die Philosophie in Bedrängnis" (Herbst 1873). Hier finden wir NIETZSCHE noch mehr auf freien und selbständigen philosophischen Pfaden. Sein Wunsch ist, die Frage nach dem Wert der Erkenntnis zu behandeln "wie ein kalter Engel, der die ganze Lumperei durchschaut" [180]. - Wir versuchen, die getrennten Gedanken zu einem methodischen Gedankengang zu verbinden. Man erfährt einen Nervenreiz. "Von diesem Nervenreiz aber weiterzuschließen auf eine Ursache außerhalb von uns ist bereits das Resultat einer falshen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grunde." [165] "Das Verhältnis des Nervenreizes zum hervorgebrachten Bild ist ansich kein notwendiges", nur durch die millionenfache Gewöhnung und tausendjährige Vererbung erscheint es als ein strenges Kausalitätsverhältnis. [172] Das Wort ist "die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten" [165]. "Ein Nervenreiz, zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andere und neue" [166]. Das "Ding ansich" "ist de Sprachbildern ganz unfaßlich und ganz und gar nicht erstrebenswert. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdruck die kühnsten Metaphern zu Hilfe" [166]. Also: "Das ganze Material, worin und womit später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph arbeitet und baut, stammt, wenn nicht auch Wolkenkuckucksheim, so doch jedenfalls nicht aus dem Wesen der Dinge." [166] Ähnlich wie die Entstehung der Worte, verhält es sich mit der Entstehung der Begriffe. Ein Wort wird dadurch zum Begriff, "daß es eben nicht für das einmalige, ganz und gar individualisierte Urerlebnis ... sondern zugleich für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, das heißt streng genommen für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, das heißt streng genommen niemals gleiche, also lauter ungleiche Fälle passen muß" [167]. Mit anderen Worten: "Das Übersehen des Individuellen und Wirklichen gibt uns den Begriff" [167]. Der Begriff ist: "Das Residuum der Metapher" [169], die "Begräbnisstätte" einer Anschauung [150]. Die Jllusion ist "wenn nicht die Mutter, so doch die Großmutter eines jeden Begriffs" [169]. Demnach ist die gesamte Begriffswelt nichts anderes als "gleichsam auf fließendem Wasser das Auftürmen eines unendlich komplizierten Begriffsdomes." [170]
Da es also keinen Weg zum Wesen der Dinge gibt, muß sich der Mensch damit begnügen, "gleichsam ein tastendes Spiel auf dem Rücken der Dinge zu spielen" [163]. Er sitzt in seinem Bewußtseinszimmer und vermag nicht einmal auf die Welt seines eigenen Körpers hinabzublicken. Die Natur "warf den Schlüssel weg" [163]. Aber es ist auch gar nicht die Aufgabe des Intellekts, das Wesen der Dinge zu erfassen. Er ist "gerade nur als Hilfsmittel den unglücklichsten, delikatesten, vergänglichsten Wesen beigegeben, um sie eine Minute im Dasein festzuhalten" [162]. Es gibt für den Intellekt "keine weitere Mission, die über das Scheinleben hinausführte" [161]. Er "entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung" [162]. "Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben." [161] NIETZSCHE bringt selbst gegen seine Skepsis etliche Einwände vor. Er findet "fast nichts unbegreiflicher, als wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen kann" [163]. "Wahrheit" ist doch nur so entstanden, daß, um das allergröbste bellum omnia contra omnes [Krieg aller gegen alle - wp] aus der Welt zu schaffen, "fixiert" wurde, "was von nun an Wahrheit sein soll" [164]. Wahrhaftig sein heißt nichts anderes, als "die usuellen Metaphern brauchen", "herdenweise in einem für alle verbindlichen Stil zu lügen" [168]. Nur vergißt dies der Mensch durch die hundertjährige Gewöhnung und kommt dadurch zum Gefühl der Wahrheit [168]. "Die Wahrheit erscheint als soziales Bedürfnis" [185], darum ist die Wahrhaftigkeit "eine eudämonistische [nach Glück strebende - wp] Forderung" [180]. Nun aber sind die Begriffe Persönlichkeit, ja der moralischen Freiheit, auf die sich die Wahrhaftigkeit als ein "moralisches Phänomen" [185] gründet, "notwendige Jllusionen, so daß selbst unsere Wahrheitstriebe auf dem Fundament der Lüge ruhen" [185]. Wie jedoch die Wahrhaftigkeit sich auf Jllusionen gründet, so ist auch das aus der "Wahrhaftigkeit" geborene [185] eine angebliche Wahrheit - haben "im Grund immer nur ein Glaube, die Wahrheit zu haben", ein "Wahn" [185], der aber dieselben Dienste tut, wie die wirkliche Wahrheit [184, 196]. Denn dieser Glaube setzt "eine unbedingte Erkenntniskraft" beim Individuum voraus [182]. Da nun selbst die Skepsis noch einen Glauben enthält, den Glauben an die Logik, im "Äußersten" aber, dem Preisgeben der Logik "niemand leben kann", so ist erwiesen, "daß der Glaube an die Logik und überhaupt der Glaube zum Leben praktisch notwendig ist, daß also der Bereich des Denkens eudämonistisch ist. Dann tritt aber die Forderung der Lüge hervor: wenn nämlich Leben und Eudämonie ein Argument ist" [183]. - Hier blicken wir hinab in die unterirdische Werkstätte, in der sich NIETZSCHE die Waffen zu seinen späteren Feldzügen gegen die "Wahrheit" schmiedet. Allerdings wird er unseres Erachtens damit Recht behalten, daß gerade im reinsten Wahrheitsstreben am meisten ein Glaube nachweisbar ist, der Glaube nämlich, daß die Wahrheit vor dem Irrtum den Vorzug verdient - woraus sich aber ganz andere Schlüsse ziehen lassen, als NIETZSCHE sie gezogen hat. Doch NIETZSCHE soll uns noch die Entstehung der Logik erklären. Die "wunderbare Erfindung der Logik" [187] ist so zu denken, daß im Kampf der Wahrheiten, das heißt natürlich der "für Wahrheiten gehaltenen Unwahrheiten" [186] die Menschen die "Allianzen der Reflexion" suchten [186]. "Alles wirkliche Wahrheitsstreben ist in die Welt gekommen durch den Kampf um eine heilige Überzeugung, durch das Pathos des Kämpfens" [187]. - Gewiß wird die Höherentwicklung der logischen Methoden ähnlich zu denken sein; aber eben damit, daß die Menschen gerade die Logik zu Hilfe riefen, ist bewiesen, daß sie in ihr eine selbständige Macht, eine wertvolle Bundesgenossin, ja sogar eine unparteiische Schiedsrichterin erblickten. Eine einzige Tatsache, wie die, daß sich die Jahrtausende lang in den verschiedenartigsten Erdteilen getrennt voneinander aufwachsenden Völker sofort bei ihrem Zusammentreffen nicht nur über die Gegenstände der Vorstellungswelt, sondern auch über die Gesetze der Logik verständigen können, muß die ganze Erkenntnisgenese NIETZSCHEs höchst verdächtig machen. NIETZSCHE selbst sagt nebenbei einmal, daß der Mensch die Wahrheit höchstens "in der Form der Tautologie haben könne" [164]; damit gibt er eigentlich einen anderen Ursprung der Logik und der Wahrheitserkenntnis überhaupt zu, die Erfahrung von Identität und Widerspruch. Er hätte in seiner Sprache ebensogut sagen können: Also ist die Tautologie "wenn nicht die Mutter, so doch die Großmutter" der Wahrheit. - NIETZSCHE selbst findet noch ein Gegenargument gegen seine Skepsis in einem Eindruck, den die ewige Konsequenz, Allgegenwart und Unfehlbarkeit der Naturgesetze" auf den Menschen mache [173]. Aber, sagt er, "hätten wir noch, jeder für sich, eine verschiedenartige Sinnesempfindung ... so würde niemand von einer solchen Gesetzmäßigkeit der Natur reden" [173]. Ferner ist uns ein Naturgesetz ja nicht ansich bekannt, sondern nur "in seinen Relationen zu anderen Naturgesetzen, die uns wieder nur als Summen von Relationen bekannt sind. [173] Wir kennen nur das wirklich, was wir selbst hinzubringen: "Zeit, Raum, Sukzessionsverhältnisse und Zahlen". Diese aber produzieren wir in uns und aus uns "mit jener Notwendigkeit, mit der die Spinne spinnt." [174] Es stellt sich heraus, daß selbst "jene künstlerische Metaphernbildung, mit der in uns jede Empfindung beginnt", diese Formen voraussetzt. Der ganze Bau der Begriffe ist somit nichts anderes, als "eine Nachahmung der Zeit-, Raum- und Zahlenverhältnisse auf dem Boden der Metaphern [174]. - Damit wäre den "Raum- und Zeitverhältnissen" ein gewisses a priori zugestanden - eine Auffassung, die zur Auseinandersetzung mit den oben dargelegten Äußerungen über die Entstehung von Wahrheit und Logik hindrängte (siehe 2. Periode). Aus diesem hier ausführlich wiedergegebenen Gedankengang entwickelt sich in den Nachträgen zu "Wahrheit und Lüge" noch ein anderer Gedankengang. "Alles Erkennen ist ein Widerspiegeln in ganz bestimmten Formen, die von vornherein nicht existieren" [189]. "Was die Dinge sind, ist nur zu beweisen durch ein danebengestelltes messendes Subjekt" [189]. "Ihre Eigenschaften ansich gehen uns nichts an, aber insofern sie auf uns wirken" [190]. "Absolute und unbedingte Erkenntnis ist Erkennenwollen ohne Erkenntnis" [189]. Es kann verschiedene messende Wesen geben, unsere Auffassung der Welt gilt uns jedoch "als richtiger, das heißt der Wahrheit entsprechender" [190]. Mensch und Erkenntnis entwickelns sich langsam: "also das Weltbild wird immer wahrer und vollständiger" - natürlich nur als Widerspiegelung, aber "der Spiegel selbst ist nichts ganz fremdes, dem Wesen der Dinge Ungehöriges, sondern selbst langsam entstanden als Messer der Dinge" [190]. "Den natürlichen Prozeß setzt die Wissenschaft fort." [190] In einer kühnen Wendung schließt sich an diesen Gedankengang noch ein neuer an. "Wir kennen nur eine Realität - die der Gedanken. Wie? Wenn das das Wesen der Dinge wäre!" [190] Der Gedanke ist "aus Empfindung und Gedächtnis zusammengesetzt" [191]. "Daß sich ein Stoff, bei der Berührung mit einem anderen, gerade so entscheidet, ist Gedächtnis und Empfindungssache. Irgendwann hat er es gelernt, das heißt: die Tätigkeiten der Stoffe sind gewordene Gesetze. Dann aber muß die Entscheidung gegeben sein durch Lust und Unlust" [192]. "Dann reicht die Erkenntnis des Menschen viel tiefer ins Wesen der Dinge. Die ganze Logik in der Natur löst sich dann auf in ein Lust- und Unlust system" [192].
Mit Interesse sehen wir, wie hier alle möglichen zukünftigen Gedanken NIETZSCHEs durcheinander gären. Da hier auch der Kausalität ein gewisses Apriori eingeräumt ist, so kann man es vielleicht als eine Vereinigung der verschiedenen zuletzt entwickelten Gedankenreihen bezeichnen, wenn es zum Schluß heißt: "Die Formen des Intellekts sind aus der Materie entstanden, sehr allmählich. Es ist ansich wahrscheinlich, daß sie streng der Wahrheit adäquat sind. Woher sollte so ein Apparat, der etwas Neues erfindet, gekommen sein?" [198]. Wir hätten also hier einen, wenn auch unmethodischen und unvollständigen, aber immerhin interessanten Versuch vor uns, durch die Anwenung evolutionistischer Gedanken auf die Entstehung des Intellekts eine Annäherung zwischen Subjekt und Objekt herzustellen und einen Zugang zum Problem der Realität zu eröffnen. Freilich wäre auch dieser Versuch wohl nicht von der Kritik ausgeschlossen, die NIETZSCHE selbst in seinem Kollegienheft bei einer Besprechung des DEMOKRIT dem Materialismus zuteil werden läßt: indem er aus dem Materiellen, das wir nur "hindurchgegangen durch die Maschinerie des Gehirns" kennen, das "einzig unmittelbar Gegebene, die Vorstellung" ableiten wolle, begehe er eine ungeheure petitio principii" [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] [114]. - Es läßt sich erklären, daß durch das Auftauchen dieser neuen Gedankenreihen die Vollendung von "Wahrheit und Lüge" verhindert wurde. Nach allem, was wir gehört haben, kann es uns nicht mehr Wunder nehmen, wenn wir bei NIETZSCHE bereits die Abkehr von der Metaphysik vollzogen finden, lange ehe er in öffentlicher Schwenkung unter die Positivisten ging. Im Fragment "Der Philosoph" trägt sogar ein ganzer Abschnitt die Überschrift "Das Ende der Metaphysik". Hier heißt es: "Ihr sollt euch nicht in eine Metaphysik flüchten, sondern euch der werdenden Kultur tätig opfern. Deshalb bin ich streng gegen den Traumidealismus" [211]. "Was für eine metaphysische Welt es geben soll, ist gar nicht abzusehen" [210]. Noch mehr! Da die Erkenntnis zu stehen hat "im Dienste des besten Lebens" [204]; da "die rastlose Erkenntnis" "ins Öde und Häßliche geht" [219]; "unsere Naturwissenschaft geht auf den Untergang, im Ziel der Erkenntnis hin, unsere historische Bildung auf den Tod jeder Kultur". [207] - so hat die "beherrschende Philosophie" "auch das Problem zu bedenken, bis zu welchem Grad die Wissenschaft wachsen darf" [204]. Haben wir in den Hauptwerken gleichsam von außen her gesehen, wie NIETZSCHEs Stellung sich allmählich ändert, so sehen wir jetzt von innen her die einzelnen Verschiebungen und die Motive zu denselben. Wir können uns freilich nicht versagen, hier dem Antimetaphysiker NIETZSCHE ein Geschichtchen zu erzählen, das er selbst einmal in dieser Periode noch den Positivisten erzählt: "Der Kaiser Augustus gebot, als ganz kleiner Knabe, den Fröschen auf einem Landhaus Schweigen, die ihm durch ihr Quaken lästig fielen: sie sollen von da an geschwiegen haben, wie Sueton sagt." [238] ![]()
1) "Die Geburt der Tragödie", Neue Ausgabe mit dem Versuch einer Selbstkritik, Leipzig 1886; "Unzeitgemäße Betrachtungen", zweite Auflage, 2 Bände, Leipzig 1893; "Friedrich Nietzsche, Werke", Bd. IX und Band X, Leipzig 1896. - [Die in eckigen Klammern beigefügten Zahlen beziehen sich hier auf die Seiten der Bände.] |