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ERNST von ASTER
Prinzipien der Erkenntnislehre
[5/5]

"Ich rede von einem Ding, aber ich kann nie das Etwas, das ich so nenne, mit mittelbar oder unmittelbar zur Gegebenheit bringen; was ich direkt erfasse, sind immer nur die mannigfaltigen und wechselnden Erscheinungen des Dings. Wie aber kann das Wort »dieses Ding hier« für mich einen bestimmten Sinn haben, wenn doch dieser Sinn nie zur Gegebenheit gebracht, dem bloßen Namen der genannte Gegenstand nicht zugeordnet werden kann?"

"So sind rot, grün, blau, kurz alle Gegenstände, die wir unter den Allgemein- begriff Farbe fassen, nicht gleich, sondern ähnlich. ... Es gibt nicht für unser Bewußtsein in demselben Sinn ein abstraktes Teilmoment Farbe oder Ton, an allen Farben oder Tönen, wie es ein abstraktes Moment Tonhöhe oder Farbqualität (im Gegensatz zur Ausdehnung) gibt, auf das wir für sich achten können. Aber diese Ähnlichkeit, die uns Anlaß gibt, den Begriff »der« Farbe oder »des« Tones zu bilden ist eine Ähnlichkeit bestimmter Art."


Zweites Kapitel
Das Wesen des Urteils
[Fortsetzung]
6. Urteilen und Erwarten.
Die Erwartungseinstellung.

Jedermann kennt die häufigen Fälle des "Vergreifens", Versehens, mechanischen Verwechselns. Ich will den Federhalter in die Hand nehmen und ergreife anstatt dessen das daneben liegende Messer; ich will in mein Zimmer gehen und öffne stattdessen die Tür des daran anstoßenden. Es ist uns in solchen Fällen durchaus geläufig, von einem "Irrtum" zu sprechen: ich entschuldige mich etwa dem Fremden gegenüber, zu dem ich aus Versehen ins Zimmer trete, mit den Worten: ich hätte mich in der Tür "geirrt". Nun können wir doch aber von Irrtum wie von Wahrheit nur da sprechen, wo ein Urteil vorliegt, und in dem bezeichneten Fall - zumindest hatte ich solche Fälle im Auge - habe ich gar nicht geurteilt, sondern einfach mechanisch eine Handlung vollzogen. Die Handlung muß also, wenn sie auch selbst kein "Urteil" ist, doch irgendwie ein solches vertreten oder involvieren.

Nun ist es nicht schwer zu sehen, wie die Sache zusammenhäng. Ich habe, indem ich die Handlung vollziehe, einen bestimmten Zweck; die Handlung ist das Mittel zu seiner Erreichung. Nun ergreifen wir Mittel, die einem oft realisierten und gewohnten Zweck entsprechen, rein mechanisch nach den bekannten Gesetzen der psychischen Übung und Mechanisierung - wir brauchen uns als erwachsene Menschen, die schreiben "können", nicht mehr die einzelnen komplizierten Schreibbewegungen, die nötig sind, um ein bestimmtes Wort aufs Papier zu bringen, nacheinander vorzustellen, sondern diese Bewegungen stellen sich von selbst in der entsprechenden Reihenfolge ein. Alles "Können" setzt eine solche Mechanisierung voraus. Was ich "kann", muß ich freilich ursprünglich einmal erlernt haben, d. h. ich muß mir früher einmal die Mittel, die zu einem gewünschten Zweck führen, vergegenwärtig, ich muß sie als Mittel kennen gelernt, bewußt beurteilt haben, ehe ich sie mechanisch anwenden kann.

"Vergreife" oder irre ich mich in der Wahl meines Mittels, wie in den angeführten Beispielen, so ist hier "falsch" oder "irrtümlich" offenbar eigentlich das Urteil, daß die ausgeführte Handlung zu dem gewünschten Ziel führen wird, wie wir dafür gleich sagen könenn: die Erwartung, daß das gedachte Ziel als Folge der Handlung sich einstellen wird (1). Diese Erwartung aber wird nicht wirklich erlebt, da an die Stelle des bewußten Vorstellens und Beurteilens der zu wählenden Mittel ja das mechanische Ergreifen und Handhaben dieser Mittel getreten ist, ein mechanisches Handeln, in dem die ursprüngliche Erwartung nur noch als unbewußte Erwartungseinstellung steckt. Diese Erwartungseinstellung aber verrät sich am deutlichsten in dem sich sofort einstellenden Bewußtsein der Überraschung und Enttäuschung, das den Eintritt des nicht erwarteten Erfolges der falschen Handlung, des Vergreifens usw. begleitet.

Fälle dieser Art also zeigen uns, daß erstens im psychischen Leben an die Stelle einer Erwartung im eigentlichen Sinn sehr oft ein unbewußte Erwartungseinstellung treten kann, die sich im mechanischen Handeln äußert und sich nur gelegentlich, etwa beim Nichteintritt des Erwarteten in einem Gefühl der Enttäuschung, dem Bewußtsein verrät, und daß wir zweitens eine solche Einstellung bzw. Handlung genauso behandeln, wie eine wirkliche Erwartung, d. h. sie als "richtig" oder "falsch" bezeichnen.

Es ergibt sich nun die Frage: Wirft dieser Sachverhalt nicht auch ein Licht auf das Urteilen, soweit es sich im Sprechen und Verstehen von sprachlichen Sätzen vollzieht? Sind nicht die Erwartungen, in denen uns die Betrachtung des vorigen Paragraphen den Sinn solcher Sätze suchen ließ, psychisch dennoch im Sprechenden und Hörenden vorhanden, nur in Form unbewußter Erwartungseinstellungen?

Ich will, auf einem Waldspaziergang begriffen, achtlos über einen schwarzen Streifen am Erdboden wegtreten, als mein Begleiter mir sagt, daß jener Streifen eine Kreuzotter ist. Diese Mitteilung übt eine bestimmte Wirkung auf mich, sie erzeugt und zwar ganz unmittelbar, ein Gefühl des Schrecks, des Ekels, ein unwillkürliches Zurücktreten. Diese Handlung und diese Gefühle haben ihren Grund in einem Unangenehmen und Gefährlichen der Begegnung, aber sie treten auf oder können zumindest auftreten, ehe ich mir bewußt die unangenehme Empfindung des Tretens auf einen weichen, lebenden Schlangenkörper oder gar die Gefahren eines Schlangenbisses vorstellen könnte. Sie sind der Ausdruck bestimmter Erwartungen, treten aber ebenso mechanisch-unmittelbar ein, wie die Handlungen in den vorher besprochenen Fällen. Voraussetzung ist dabei freilich, daß ich die Bedeutung des Wortes "Kreuzotter" kenne, daß ich sie früher einmal erlernt habe und daß mir diese Bedeutung geläufig ist (genauso wie ich die Handlungen, die zu einem bestimmten Ziel führen, erstens kennen und zweitens auch geübt haben muß, damit sie sich mechanisch, ohne Überlegen und bewußtes Vorstellen im richtigen Moment einstellen). Ist das Letztere nicht der Fall, so werde ich mich erst bewußt erinnern müssen, wessen ich mich von einer "Kreuzotter" zu versehen habe, ehe ich mich auf jene Mitteilung hin entsprechend verhalten.

An die Stelle dieses Beispiels lassen sich beliebige andere setzen. Ich sehe ein Glas mit farbloser Flüssigkeit auf dem Tisch stehen, und man sagt mir, es sei Schwefelsäure; diese Mitteilung hat zur Folge, daß ich mich unmittelbar und automatisch dem Glas und Inhalt gegenüber anders verhalte, als wenn man mir von einem Glas Wasser gesprochen hätte. Dieses Verhalten ist wieder der Ausdruck von Erwartungen, die doch keineswegs als bewußte Erwartungen da zu sein brauchen.

Vielleicht wendet man ein: dieses Verhalten tritt doch nur ein, wenn ich die gemachte Mitteilung verstehe, es ist die bloße Folge dieses Verständnisses, nicht etwas, das zum Verstehen oder Urteilen selbst gehört. Dieser Einwand ist halb richtig, halb falsch. Gewiß ist das automatische Handeln kein "Verstehen", sondern die Folge des Verstehens, es fragt sich nur, ob das Verstehen selbst und nicht vielmehr bloß seine automatische Folge ins Bewußtsein tritt. Es fragt sich, ob nicht der Sinn des Satzes in einer Reihe von Erwartungen besteht, das Verstehen dieses Sinns also in einem Hegen oder Erleben dieser Erwartungen, an dessen Stelle aber eine unbewußte Erwartungseinstellung treten kann, so daß nur noch diese Handlungen ins Bewußtsein treten, die wir als Folgen jener Erwartungen kennen. [Freilich wurde schon früher darauf hingewiesen, daß sich das Verstehen eines sprachlichen Gebildes für unser Bewußtsein auch in einem besonderen Erlebnischarakter äußert, der das betreffende Vorbild umkleidet: das Wort erscheint uns vertraut (nicht bloß "bekannt"), und ich habe den Vertrautheitscharakter mit dem Charakter, den ein bekanntes und vertrautes Instrument für uns hat, verglichen. Die folgenden Ausführungen werden noch deutlicher machen, inwiefern das Wort in der Tat ein solches Instrument ist.]

Dieselben Beispiele hätten wir offenbar auch vom Standpunkt des Sprechenden aus behandeln können. Der Begleiter, der mich auf die Kreuzotter aufmerksam macht, will mir damit offenbar eine bestimmte Erwartungseinstellung geben, sie ist das, was er mir eigentlich mitteilen will. Er selbst befindet sich in der gleichen Einstellung, und sie ist es, die sich in den gesprochenen Worten kundgibt. Dabei aber braucht er wiederum die betreffenden Erwartungen nicht bewußt zu hegen, sondern genau so, wie der Wunsch, ein bestimmtes Buch einzusehen, mich automatisch eine Reihe von Handlungen vollführen läßt: aufstehen, zur Tür gehen, die Klinke niederdrücke, sich zum Bücherschrank begeben usw., so führt hier der Wunsch, den andern vor einer Gefahr zu schützen, beim Anblick des sich windenden Schlangenleibes unmittelbar zu dem zweckmäßigen Mittel des betreffenden Ausrufs.

Dabei ist nun noch eins zu berücksichtigen: wir können nicht gleichzeitig eine große Zahl verschiedener Erwartungen erleben, wir können aber wohl gleichzeitig auf verschiedene Dinge erwartend eingestellt sein (2). Daraus ergibt sich von selbst die Bedeutung des Gebrauchs von Worten: Ein Wort dient zur Kundgabe und Mitteilung einer ganzen Reihe von Erwartungen, die für sich kundzugeben oder mitzuteilen sehr viel Zeit und Mühe erfordern würde. Durch das eine Wort "Schwefelsäure" bin ich darauf vorbereitet, wie sich der Stoff in dem Glas vor mir in verschiedenen Richtungen verhalten wird und ist die Art, wie ich mit ihm umzugehen habe, ebenfalls als selbstverständlich bestimmt.

Natürlich sind die Erwartungseinstellungen, die mir das einzelne Wort gibt, durch die Bedeutung bestimmt, die ich mit dem betreffenden Wort zu verbinden gelernt habe, und diese Bedeutung kann mannigfach abweichen von der, die ein anderer mit ihm verbindet. Der Chemiker versteht unter "Schwefelsäure" etwas anderes als der Laie. Aber ebenso gewiß ist der Unterschied kein prinzipieller, er besteht nur darin, daß im einen Fall mehr und exaktere Erwartungen vorhanden sind als im andern.

7. Die Lösung des nominalistischen Problems.
Ding und Gattungsnamen als Mittel zur sprachlichen
Zusammenfassung von Urteilen.

Der Sinn all unserer Urteile besteht in bestimmten Erwartungen (zu denen wir gemäß dem oben Ausgeführten Erinnerungen und Einfühlungen hinzuzählen). Diese Behauptung verliert das Paradoxe, das ihr zunächst anhaftet, wenn wir berücksichtigen, daß wir diese Erwartungen nicht als solche im Bewußtsein des Urteilenden oder Hörenden zu suchen brauchen, daß sie vielmehr - die Bekanntschaft mit den gebrauchten Worten vorausgesetzt - durch unbewußte Erwartungseinstellungen ersetzt zu sein pflegen. Wer freilich meint, daß das sinnvolle Gebrauchen von irgendwelchen Worten oder Sätzen stets das bewußte Hinblicken, das (wenn auch irgendwie unanschauliche) Gegebensein des Sinnes voraussetzt, dem muß die aufgestellte Behauptung paradox bleiben. Aber es zeigt sich meiner Meinung nach nirgends deutlicher wie hier, daß diese Meinung dem Wesen des sprachlichen Symbols nicht gerecht wird, indem sie eine wichtige Funktion desselben verkennt: die Funktion, die darin besteht, uns das bewußte Vergegenwärtigen eines umfänglichen Sinnes zu ersparen, wie das am Schluß des vorigen Paragraphen ausgeführt wurde, oder was dasselbe besagt - der Ausdruck wurde schon früher gebraucht - den Sinn zu vertreten. Darauf beruth zugleich die Wichtigkeit des sprachlichen Symbols für das einsame Denken:
    das Wort hält sozusagen die mannigfachen Erwartungseinstellungen zusammen, die sonst (ohne einen solchen assoziativen Mittelpunkt, an die sie alle gemeinsam gebunden sind) zerflattern würden.
Kennt man nur die mitteilende, nicht diese vertretende Funktion des Wortes, so ist es, scheint mir, unverständlich, warum wir nicht nur in der Mitteilung, sondern auch im einsamen Vollzug unserer Gedanken so weitgehend an Wortvorstellungen gebunden sind.

Hier sind wir nun zugleich bei dem Punkt angelangt, durch den sich die Probleme lösen, mit deren Formulierung ich das erste Kapitel geschlossen und das zweite begonnen hatte: die Probleme des "Dings" und des Begriffs oder der realen und idealen Gegenstände. Ich rede von einem Ding, aber ich kann nie das Etwas, das ich so nenne, mit mittelbar oder unmittelbar zur Gegebenheit bringen; was ich direkt erfasse, sind immer nur die mannigfaltigen und wechselnden Erscheinungen des Dings. Wie aber kann das Wort "dieses Ding hier" für mich einen bestimmten Sinn haben, wenn doch dieser Sinn nie zur Gegebenheit gebracht, dem bloßen Namen der genannte Gegenstand nicht zugeordnet werden kann? Wir können jetzt darauf antworten: Das Ding selbst können wir uns zwar freilich niemals zur Gegebenheit bringen, wohl aber den Sinn des Satzes: Dies ist ein Ding (oder besser: die Erscheinung eines Dings). Denn dieser Satz, ausgesagt von einem als "dies" bezeichneten gegebenen Tatbestand, ist die sprachliche Zusammenfassung einer Reihe von Erwartungen, die wir uns einzeln zur Gegebenheit bringen können. Welcher Art, d. h. welchen Inhalts diese Erwartungen sind, das hängt natürlich vom speziellen Begriff eines realen Gegenstandes ab, den wir verwenden, aber die Form der Erwartungen selbst ist überall die gleiche: es handelt sich stets um allgemeine Voraussagen der Wahrnehmungsinhalte, die sich unter bestimmten, uns bekannten Bedingungen an den hier gegebenen Inhalt anschließen werden. Und ebenso, nur in etwas komplizierterer Weise, läßt sich der Sinn aller Sätze, in denen der betreffene "Dingbegriff" als Subjekt oder Prädikat vorkommt, in solchen Erwartungen restlos zur Gegebenheit bringen. Das Wort dagegen, das ein Ding oder einen realen Gegenstand (3) "bezeichnet", hat für sich genommen gar keinen "Sinn" in derselben Bedeutung dieses Wortes, sein "Sinnhaben" besteht vielmehr nur - wie bei den synkategorematischen Ausdrücken [Wörter, die nicht selbständig, sondern in Verbindung mit Eigennamen auftreten - wp] - darin, als Teil sinnvoller Ganzer zu fungieren.

Ein "Ding" kennen lernen kann nichts anderes heißen als: die verschiedenen zu erwartenden Erscheinungen kennen lernen, in denen sich "dasselbe Ding konstituriert". Dieses "Konstituieren" aber besteht aus einem Aneinandergebundensein der betreffenden Erscheinungen nach allgemeinen Erwartungsgesetzen, denn: wenn wir von einem gegebenen Etwas aussagen, es sei die Erscheinung dieses oder jenes bestimmten Dings, so heißt das nichts anderes als: es sind im Anschluß daran diese und jene ganz bestimmten anderen gegebenen Tatbestände unter un bekannten Bedingungen zu erwarten. Man beachte dabei: das Vorhandensein, die Existenz des Dings ist nicht gleichbedeutend mit der Existenz, dem psychischen Vorhandensein der Erwartungen, sondern mit der Geltung, der Wahrheit dieser Erwartungsgesetze. Ich hege diese Erwartungen (bewußt oder unbewußt) heißt dasselbe wie: ich halte dieses Ding für existierend oder halte das mir Gegebene für die Erscheinung eines solchen Dings; das Ding existiert wirklich, heißt dasselbe wie: meine Erwartung (oder die betreffende Erwartung, gleichgültig, ob ich sie hege oder nicht) ist wahr oder gilt.

Daraus erklärt sich nun zugleich, inwiefern wir von "demselben" Ding sprechen können, dem eine Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit von Erscheinungen entspricht. Das Ding existiert als "dasselbe", während seine Erscheinungen wechseln, weil ja dieselben Erwartungen nach wie vor gelten oder wahr sind. Ich sehe eine bestimmt gefärbte Form, die ich als Vorderseite eines Glaswürfels sofort erkenne und bezeichne. Zum Sinn dieses Urteils gehören eine Reihe von Erwartungen, die sich auf das Auftreten von anderen Gesichts-, ferner aber auch von Tast-, Schwere- usw. Wahrnehmungen beziehen, die ich haben werde, wenn ich "um den Würfel herumgehe", ihn "in die Hand nehme" usw., kurz mir bekannte und vorstellbare Bedingungen erfülle. Alle diese Erwartungen bleiben wahr, gleichgültig, ob ich wiklich z. B. "um den Würfel herumgehe", d. h. die betreffenden Bedingungen erfülle oder nicht, sie bleiben in ihrer Gesamtheit auch gültig, wenn ich eine der Bedingungen erfülle, also z. B. den Würfel jetzt von der Rückseite her ansehe und dadurch die anderen gewissermaßen gegenstandslos mache. Auch wenn ich den Würfel umdrehe und mir dadurch den Anblick seiner Vorderseite entziehe, gilt noch der Satz, daß, wenn ich seine Vorderseite berührt hätte, ich eine bestimmte Tastwahrnehmung bekommen hätte.

Es ist ferner klar, daß "dasselbe Ding" von verschiedenen Individuen wahrgenommen werden kann, insofern die gesetzmäßig verknüpften Erscheinungen sich eben auf das Bewußtsein mehrerer Individuen verteilen können: Ich sehe einen bestimmten Gegenstand in meinem Gesichtsfeld und erwarte, daß ein anderer unter bestimmten Bedingungen ein Entsprechendes wahrnehmen wird. Speziell meine Behauptung, das von mir Wahrgenommene sei kein "bloßes Traumbild", keine "Halluzination", sondern im Gegensatz dazu ein "wirkliches Ding" bezieht sich vor allem auf die Geltung solcher, Einfühlungen mit umschließender Erwartungen.

Endlich können wir demselben Ding auch eine über eine gewisse Zeit sich erstreckende Dauerexistenz zusprechen, nämlich dann, wenn die erwarteten Inhalte sich über diese Zeit hin erstrecken. Wenn ich behaupte, daß sich an einer bestimmten Stelle Deutschlands ein Berg befindet, so liegt darin ja nicht nur die Erwartung, daß ich jezt, sondern auch, daß ich in einem Jahr unter den zugehörigen Bedingungen (die ich zusammenfassend als Reise dorthin bezeichne) die entsprechende Wahrnehmung machen werde. (Doch gilt das nicht nur für "Dinge" im prägnanten Sinn, sondern auch z. B. für reale Vorgänge: Wenn ich ein Stück Zink in Schwefelsäure auflöse und diese Auflösung dauert einige Zeit, so kann ich doch von "demselben Vorgang" reden, der sich hier in dieser ganzen Zeit abspielt. Dinge im eigentlichen Sinn haben nur das Eigentümliche, daß die zeitlich sich verteilenden gesetzmäßig verbundenen Erscheinungen einander qualitativ gleich bleiben. Es wird auf diesen Unterschied an späterer Stelle zurückzukommen sein.)

Noch ein Wort zu den mehrfach erwähnten "Bedingungen". Man könnte den Einwand erheben, daß die gegebene Formulierung dieser Bedingungen (wenn ich um das Ding herumgehe, die Hand ausstrecke usw.), doch bereits das Ding oder wenigstens den Dingbegriff überhaupt voraussetzt. Das betrifft aber offenbar nur die Formulierung. Ich kann aus naheliegenden Gründen jene Bedingungen nicht in Worten bezeichnen, ohne Dingbegriffe zu verwenden (wie wir ja überall zuerst Dinge benennen lernen, weil nur Dingen und nicht Gegebenheiten gegenüber die vertretende wie auch eine mitteilende Funktion des Wortes in Frage kommt); ich kann auch einem anderen nur mitteilen, was auch in seinem Bewußtsein irgendwie Widerhall findet; deshalb bezeichnen unsere Worte durchgehend nicht einzelne Gegebenheiten, sondern "Dinge" und "Gattungen", und wir können einzelne Gegebenheiten sprachlich nur auf dem Umweg über Dinge und Gattungen kennzeichnen. Wir verstehen also unter den Bedingungen reine Gegebenheiten, unter einem "Herumgehen" z. B. die entsprechenden Bewegungsempfindungen. Daß wir uns diese Empfindungen oft spontan nicht einzeln vorzustellen vermögen, ist kein Einwand, denn das ist überall da der Fall, wo wir dieser Vorstellung seit langem nicht bedürfen, weil wir die betreffenden Bedingungen, wo es nötig ist, unmittelbar verwirklichen können. (Man vergleiche im Gegenteil dazu Fälle wie die, in denen wir einen der eigenen Sprache fremden Laut allmählich auszusprechen lernen. Hier können und müssen wir uns die betreffenden Zungen- und Gaumenbewegungen usw. bewußt vorstellen, ehe wir den Laut wirklich formen, übrigens ohne daß wir hier im Allgemeinen imstande wären, die betreffenden Bewegungen naturwissenschaftlich, also mit Hilfe der entsprechenden Dingbegriffe zu bezeichnen (zumindest, sofern wir nicht Phonetik studiert haben). Je mehr solche Bewegungen eingeübt werden, also sich unmittelbar und instinktiv verwirklichen können, desto mehr kehrt sich das Verhältnis gerade um: wir verlernen das bewußte Vorstellen der betreffenden Empfindungen und lernen es dafür, sie "exakt", d. h. mit Hilfe allgemeinverständlicher Begriffe zu bezeichnen, wobei diese Bezeichnungen dann die Vorstellung zu ersetzen vermögen: die bloße in Worten gegebene Aufforderung, die Hand auszustrecken, führt die Bewegung herbei (das entsprechende "Wollen" vorausgesetzt), ohne daß ich die betreffenden gemeinten Bewegungen mir noch vorzustellen brauche). Ein Mißverständnis ware es natürlich, wenn man den Einwand machen wollte, solche Bewegungsempfindungen seien doch nicht realiter Bedingungen der das Ding betreffenden Wahrnehmungsänderung. Natürlich nicht, aber von "realen" Bedingungen ("Ursachen") ist ja hier auch gar nicht die Rede gewesen, sondern wir nennen den gegebenen Inhalt A eine "Bedingung" des B, wenn wir allgemein im Anschluß an A ein B erwarten dürfen.

Endlich sei das Ergebnis unserer Betrachtungen noch durch ein Schema illustriert. Wenn wir einen gegebenen Wahrnehmungsbestand als Erscheinung eines Dings bezeichnen (dies "ist" ein Ding dieser oder jener Art), so ist diese Bezeichnung der zusammenfassende sprachliche Ausdruck einer Reihe allgemeiner Erwartungen. Sie ist psychologisch betrachtet die Kundgabe dieser vorhandenen Erwartungseinstellungen beim Sprechenden und weckt dieselben Erwartungseinstellungen beim Hörenden (vorausgesetzt, daß er den Sinn der Worte "kennen gelernt" hat); sie ist logisch betrachtet ein sprachliches Symbol, das die betreffenden Erwartungen (nicht Erwartungserlebnisse) nennt oder meint. Diese Erwartungen haben die Form: im Anschluß an das jetzt gegebene A wird unter den Bedingungen B ein C auftreten: A -> β -> B. (Beispiel: was ich hier sehe, ist ein Körper, besagt: wenn ich bestimmte Bewegungen ausführe, wird sich mein optischer Wahrnehmungsinhalt so und so verändern, wenn ich die Hand ausstrecke, werde ich Härte und Widerstand wahrnehmen usw.; es ist ein Körper bestimmter Art, z. B. Kreide besagt weiter: wenn ich Säuren in Anwendung bringe, werde ich diese oder jene Erfahrungen machen usw. Dazu beziehen sich die Erfahrungen zugleich auf vergangene und von anderen angestellte Versuche der Art, komplizieren sich m. a. W. mit Erinnerungen und Einfühlungen). Haben wir nun eine Reihe von Erwartungen: A -> β -> B, A -> β¹ -> C usw., dazu aber auch B -> β² -> C usw., so werden für uns A, B, C usw. Erscheinungen "desselben" realen Gegenstandes. Fasse ich nur die Erwartungen zusammen, die im Anschluß an A das B, C, D usw. erwarten, so erhalte ich zusammenfassend das Urteil "A ist X", A' gehört außerdem durch die gesetzmäßig zusammenhängenden Erscheinungen B, D, D charakterisierten Realen X an. Denke ich mir dagegen alle Erwartungen, die die Erscheinungen eines bestimmten Realen ausmachen, zusammengestellt und in einem sprachlichen Urteilsausdruck zusammengefaßt:
    A -> β -> B        B -> β₁ -> A            C -> β¹₂ -> A
    A -> β¹ -> C       B -> β¹₁-> C            A -> β²₂ -> B
so kann dieser Urteilsausdruck nur ein eingliedriger sein, auf der linken Seite steht weder A noch B, noch C, sondern das durch Zusammenfassung der A, B, C ... entstehende X, auf der rechten Seite aber steht dasselbe, also: X -> X. Und in der Tat ist das sprachliche Urteil, das hier resultiert, ein eingliedriges, nämlich das "Existentialurteil": der reale Gegenstand X "existiert". Er existiert, d. h. es werden unter den zugehörigen Bedingungen alle seine Erscheinungen auftreten.

Noch einne Frage entsteht hier. Es ist verständlich gemacht worden, daß wenn wir das gegebene Erfahrungsmaterial in Urteile fassen, diese Urteile die Form von Erwartungen annehmen müssen, es ist ebenfalls leicht verständlich, daß wenn wir eine Reihe von Erwartungen vor uns haben, die in der oben bezeichneten Form zusammenhängen, wir die Neigung haben, sie in einen sprachlichen Ausdruck zusammenzufassen. Aber warum nehmen unsere Erwartungen gerade die Form: A -> β -> B - auf A folgt unter den Bedingungen β ein B - an, diese Form, in die sich, wie wir gesehen haben, die Elementarurteile fassen lassen, die in unseren sprahlich formulierten Urteilen enthalten sind? Warum diese kompliziertere anstatt der doch scheinbar einfacheren Form: A -> B - auf A folgt B? Wir werden genauer auf diese Frage später zurückkommen, im Augenblick sei nur auf eins hingewiesen: Es ist leicht verständlich, daß wir bei jedem neu auftretenden Erfahrungsinhalt aus praktischen Gründen, zum Zweck der "Orientierung", vor allem zu wissen verlangen, in welchen verschiedenen Richtungen er uns als Anzeichen für künftige Inhalte (als warnendes und verheißendes Vorzeichen) dienen kann. Diesem Ziel genügt offenbar am Besten die Reihe von Erwartungen, die uns sagt, was unter den Bedingungen β, β₁, β₂ usw. im Anschluß an dieselbe A zu erwarten ist, also eben die Reihe von Erwartungen, die in dem Satz "A ist Erscheinung des Realen Z" ausgedrückt sind.

Auf ganz ähnliche Weise, wie der Begriff des Dings, allgemeiner des realen Gegenstandes, läßt sih der der Gattung, des ideellen Gegenstandes, verständlich machen. Wir setzen an die Stelle der Erwartungen A -> β -> B, A ->β₁ -> C, B -> β¹ -> C usw. (also: auf den Wahrnehmungsinhalt A folgt unterden Bedingungen β der Wahrnehmungsinhalt B) eine Summe von elementaren Gleichheitsurteilen: A = B, A = C, B = C usw. (Auch diese Gleichheitsurteile sind, sofern wir sie nicht als bloße Konstatierungen eines Gleichheitsbewußtseins, sondern als Urteile auffassen, die von den gegebenen Inhalten A und B aussagen, sie seien gleich, es bestehe zwischen ihnen objektive Gleichheit, wie aus dem früher Gesagten von selbst hervorgeht, Erwartungen, nämlich Erwartungen, die den Gedanken enthalten, daß wo und wann ich "dasselbe" A und B (denselben Inhalt, nicht etwa einen ebenso benannten realen Gegenstand) wieder vergleiche, sich wieder dasselbe Gleichheitsurteil einstellen wird.) Werden diese Gleichheitsurteile in einen Urteilsausdruck zusammengefaßt, so entsteht der "Begriff" der Gattung, der gemeinsamen Gattung, unter die A, B, C ... zu befassen sind, d. h. es entsteht ein neues Wort G, das für sich genommen keinen faßbaren Gegenstand bezeichnet, das aber insofern eine bestimmte Bedeutung hat, als der Satz "A ist G" (dies "ist" rot, d. h. fällt unter den Gattungsbegriff rot) eine Reihe vorstellbarer Gleichheitsbeziehungen bezeichnet.

Ich betone ausdrücklich: es sind zunächst gleiche Gegenstände - nicht ähnliche - die als solche derselben Gattung, demselben Begriff angehören. Vom einzelnen abstrakten Farbmoment einer gefärbten Fläche, das ich als gleich dem Farbmoment anderer Flächen wiedererkenne, sage ich, es "ist" himmelblaub, d. h. es gehört zu dieser bestimmten Gattung, vom abstrakten Höhenmoment eines Tones, es sei die Höhe des zweigestrichenen C. Freilich kann ich auch von der gefärbten Fläche im Ganzen sagen, sie "ist" blau, von dem Ton, er ist ein Ton von dieser bestimmten Höhe. Aber ein solches Urteil enthält streng genommen: erstens sagt es aus, diese Fläche "hat" eine Farbe (der Ton eine Höhe), d. h. an sie ist ein Farbmoment in der Weise eines abstrakten Teilmoments gebunden, und zweitens dieses Teilmoment "ist" blau, fällt unter den Begriff blau.

Endlich kann ichh auch den Begriff einer blauen Fläche oder eines "Tones von der Höhe A" bilden, unter den alle Gegenstände zu befassen sind, die insofern gleich sind, als ihnen gegenüber die gleichlautenden Urteile gefällt werden, sie "hätten" erstens ein abstraktes Teilmoment, das zweitens blau bzw. die Tonhöhe A "sei". Die Gegenstände, die unter diesen Begriff fallen, können dann in anderer "Hinsicht", d. h. in Bezug auf ein anderes Teilmoment, ungleich sein - die zwei blaugefärbten Flächen können verschiedene Form haben - ein Moment, von dem wir "absehen" müssen, wenn wir diese Subsumierung unter denselben Begriff vornehmen. So gibt es Begriffe, unter die wir abstrakte Teilmomente befassen (Begriff "blau"), solche, unter die wir Gegenstände im Hinblick auf ein Teilmoment und unter Abstraktion von anderen befassen (Begriff eines blau gefärbten Gegenstandes), endlich natürlich auch solche, unter die wir ganze Gegenstände einschließlich all ihrer Teilmomente subsumieren.

Nun kann aber auch an die Stelle der Gleichheits- eine bestimmte Ähnlichkeitserkenntnis treten, auch ähnliche Gegenstände können als solche demselben Begriff angehören. So sind rot, grün, blau, kurz alle Gegenstände, die wir unter den Allgemeinbegriff "Farbe" fassen, nicht gleich, sondern ähnlich, und es erscheint mir gezwungen, diese Ähnlichkeit auf die Gleichheit eines abstrakten Teilmoments aller Farben, das dem Begriff Farbe seinen Sinn gäbe, zurückzuführen. Es gibt nicht für unser Bewußtsein in demselben Sinn ein abstraktes Teilmoment Farbe oder Ton, an allen Farben oder Tönen, wie es ein abstraktes Moment "Tonhöhe" oder "Farbqualitä" (im Gegensatz zur Ausdehnung) gibt, auf das wir für sich achten können. Aber diese Ähnlichkeit, die uns Anlaß gibt, den Begriff "der" Farbe oder "des" Tones zu bilden ist eine Ähnlichkeit bestimmter Art. Man denke sich die verschiedenen Farben nebeneinander gestellt, man denke sich ihnen gegenüber eine Reihe von Tönen etwa, so verschwindet gewissermaßen die Verschiedenheit der Farben, sobald wir auf Farben und Töne vergleichend achten, ohne einzelne Teilmomente an beiden herauszuheben. (Tun wir letzteres, so wird der Effekt, von dem ich hier spreche, unter Umständen zerstört, so etwa, wenn uns das charakteristisch Ähnliche dunkler Farben und tiefer Töne auffällig wird.) Die Farben untereinander werden zu relativ gleichen Gebilden für unser Bewußtsein, ihre Ähnlichkeit erscheint uns als relative Gleichheit, ihre "qualitative Einheitlichkeit" (vgl. Abschnitt 9 des 1. Kapitels) wird zur relativen Einheit. Da nun, wo in dieser Weise Ähnlichkeit zur relativen Gleichheit werden oder eine Gruppe von im Ganzen (nicht nach Teilmomenten) betrachtet relativ gleichen Gebilden anderen solchen Gruppen gegenüber abgrenzen kann, übt Ähnlichkeit wie eigentliche, d. h. absolute Gleichheit, eine begriffsbildende Funktion, d. h. wir sagen von Gegenständen, sie "seien" Gegenstände bestimmter Art und meinen damit, daß sie sich in eine solche Ähnlichkeitsgruppe oder -reihe einordnen lassen. Handelt es sich dabei um Gegenstände, deren Unterschiede gering sind (z. B. verschiedene Nuancen innerhalb derselben Farbe), so kann, wenn wir eine solche Gruppe ähnlicher Gegenstände zusammen- und anderen, stärker unterschiedenen Gegenständen gegenüberstellen, der Eindruck der Ähnlichkeit direkt in den der Gleichheit, genauer in den der Ununterscheidbarkeit übergehen, der "Kontrast" läßt für unser Bewußtsein für die geringen "objektiv bestehenden Unterschiede" verschwinden, "unbemerkbar" werden. Der Eindruck der "relativen Gleichheit" entspricht dem der Ununterscheidbarkeit, durch dieselbe Art der Vergleichung, der Zusammen- und Gegenüberstellung, durch die aus wenig unterschiedenen ununterschiedene, werden aus stärker verschiedenen "relativ gleiche" Gegenstände. Auch hieraus wird verständlich, daß wir die relativ gleichen Gegenstände wie gleiche behandeln, d. h. eine identischen "Begriff" unterstellen. So entsteht also eine dritte Form von Begriffen, Begriffe, die nicht mehr nur gleiche oder solche Gegenstände, von deren Verschiedenheit (von deren verschiedenen Teilmomenten) wir abstrahieren, sondern die relativ verschiedene Gegenstände umfassen. Endlich können Gegenstände uns zuerst als ähnlich erscheinen und diese Ähnlichkeit später, wenn an die Stelle der unterschiedslosen Einheitsauffassung die zerlegende Auffassung der Teilmomente tritt, sich in die Gleichheit bestimmter Teilmomente auflösen. Daher können Begriffe zuerst psychologisch-genetisch aus der Zusammenfassung zu Ähnlichkeitsgruppen entstehen und später zu Begriffen werden, unter die wir Gegenstände mit bestimmten gleichen Eigenschaften oder Teilmomenten befassen. (4) Genauer vollzieht sich die allmähliche Umbildung unserer Begriffsbildung auf dreifachem Weg: Zunächst ununterscheidbare Inhalte werden unterschieden; unterschiedene werden wieder zu Gruppen relativ gleicher Inhalte zusammengeordnet; aus bloß im Ganzen ähnlichen werden zum Teil Gegenstände mit verschiedenen und gleichen Teilinhalten. Das Wort "blau" dient Kindern zuerst zur gemeinsamen Benennung blauer Gegenstände, also aller Gegenstände, die eine bestimmte Ähnlichkeitsgruppe bilden. Erst allmählich stellt sich die Unterscheidung des Farb- und Formmomentes ein, wodurch das Wort blau zur Benennung speziell der Farbe blauer Gegenstände wird, und werden die einzelnen Blau-Nuancen unterschieden, wodurch der Begriff "blau" nun auf die relative Gleichheit dieser Farbnuancen basiert erscheint. -

Der Satz, der einen Inhalt unter einen "Allgemeinbegriff" subsumiert, ist - seinem Sinn nach betrachtet - der zusammenfassende Ausdruck einer Reihe von Gleichheitsurteilen. Sofern diese Gleichheit objektiv besteht, ist das Subsumtionsurteil wahr oder richtig. Daß wir eine Reihe solcher Urteile: A = B, A = C, B = C usw. in einem sprachlichen Ausdruck zusammenfassen streben, ist ebenso leicht verständlich, wie bei den vorher besprochenen Urteilen A -> B, A -> C, B -> C usw., die in die Urteile über "reale Gegenstände" eingehen. Überhaupt können wir den Gattungsbegriff oder den Begriff des idealen Gegenstandes in jeder Beziehung dem des realen Gegenstandes analog behandeln, bis auf den einen Punkt, daß die "Erscheinungen" eines realen Gegenstandes durch ihren zeitlichen Zusammenhang (auf A folgt unter den Bedingungen β B), die "Erscheinungen" eines idealen Gegenstandes dagegen durch ihren Gleichheits- oder Ähnlichkeitszusammenhang zu solchen Erscheinungen desselben Gegenstandes werden. Daraus ergibt sich weiter, daß realen Gegenständen selbst eine Existenz in der Zeit zugeschrieben werden kann, die für die ideellen Gebilde als solche keinen Sinn hätte. Vergleichen kann ich zeitlich sich nahestehende Gebilde ebensogut wie solche, die Jahrhunderte auseinanderliegen. Dagegen teilen Dinge und Gattungen die Eigenschaft, überindividuell zu sein, insofern "dieselbe" Gattung ihre Erscheinung im einen und im anderen individuellen Bewußtsein haben kann, wenn wir nämlich Inhalte in verschiedenen Bewußtseinen als gleich annehmen. -

Das Ergebnis unserer Untersuchung können wir nun kurz so zusammenfassen: die von uns gebrauchten einfachen oder zusammengesetzten sprachlichen Ausdrücke nennen zum Teil phänomenale, zum Teil reale und ideale Gegenstände. Reale und ideale Gegenstände sind als solche nicht phänomenal, d. h. sie können nicht zur Gegebenheit gebracht werden. Verstehen wir daher unter dem "Sinn" eines Wortes ein durch das Wort benanntes Etwas, das wir uns für sich zur Gegebenheit bringen können, so haben die ideale und reale Gegenstände bezeichnenden Worte für sich genommen gar keinen Sinn oder die durch sie benannten Gegenstände erweisen sich als fingierte Gegenstände, die Worte im Sinn des Nominalismus als bloße, d. h. sinnlose Namen. Diese Namen aber gebrauchen wir, weil wir mit ihrer Hilfe die Erwartungsurteile, in denen wir die gegebenen Inhalte verknüpfen, in sprachliche Ausdrücke fassen. Die "Existenz" jener fingierten Gegenstände ist die Geltung des betreffenden Urteils.


Was hier über die Funktion der Dinge und Gattungen bezeichnenden Nomina ausgeführt wurde, ergibt sich im Grunde auch, was zumindest andeutungsweise hinzugefügt sein mag, wenn man die allgemeinen Bedingungen ins Auge faßt, von denen die Entstehung und Entwicklung der Sprache abhängt.

Die erste Vorstufe der Sprache ist, wie wohl allgemein zugestanden werden wird, in der unabsichtlichen Verlautbarung von Erlebnissen gegeben, wie wir sie in unserem entwickelten Sprachleben noch in den Interjektionen [Empfindungsausruf "ach", "oh", "pfui" - wp] kennen. Die zweite Vorstufe besteht darin, daß sich seitens eines Hörenden an diese Interjektionen ein "Verständnis" anschließt, eine Vorstellung, die in den Urheber der Laute das entsprechende Erlebnis "einfühlt". Die dritte Stufe wird erreicht, wenn jene Laute zum Zweck des Verstandenwerdens absichtlich hervorgebracht werden. Hier beginnen die Laute insofern den eigentlichen Gebilden der Sprache sich zu nähern, als sie eine mitteilende Funktion üben. Sehen wir nun zu, was auf diesen primitiven Stufen mitgeteilt wird, so sind es stets gefühlsbetonte Erwartungen - Erwartungen, die ein Moment der Furcht oder des Wunsches enthalten, wie es denn auch Furcht und Begierde sind, die sich zunächst unmittelbar in lebhaften Interjektionslauten äußern und in solche verstehend vom Hörenden eingefühlt werden. Ich brauche als Beispiel nur an die Lock- und Warnrufe der Tiere zu erinnern, die doch wohl die ersten derartigen absichtlichen Mitteilungen darstellen.

Die Entwicklung zur wirklichen Sprache nun vollzieht sich offenbar dadurch, daß zunächst die Zahl der Erwartungen steigt, deren Mitteilung notwendig bzw. erwünscht scheint, die in dem Moment natürlich außerordentlich wachsen muß, in dem sich Wesen zu gemeinschaftlicher Arbeit nach umfassenderen Zwecken vereinigen. Dieses Wachstum der mitzuteilenden Erwartungen führt zunächst zur Ausbildung bestimmter Laute, die eben nur diesem Zweck der Mitteilung dienen und deren jeder auch einer bestimmten Mitteilung als Mittel zugeordnet ist: Die Laute werden zu einer Summe künstlicher Symbole, deren Bedeutung erlernt werden muß. Der Anfang dazu ist ebenfalls schon im Tierreich gemacht, wenn, wie es bei manchen Herdentieren der Fall ist, verschiedene Warnrufe etwa als Ankündigung verschiedener Gefahren benutzt werden.

Man denke sich nun schließlich die Aufgabe gestellt, für eine beliebig oder unbestimmt große Anzahl verschiedener Erwartungen Lautsymbole zu schaffen, die eine Mitteilung der Erwartungen an einen Hörenden ermöglichen. Die eigentliche Schwierigkeit dieser Aufgabe liegt offenbar darin, daß die Zahl dieser Symbole notwendig beschränkt ist. Nun sieht man leicht, daß wir, um dieser Schwierigkeit zu begegnen, zwei Mittel zur Anwendung bringen werden. Erstens werden wir Erwartungen, die stets aneinander gebunden sind, von denen die eine nicht ohne die andere auftritt, auch mit demselben Symbol bezeichnen - ich erinnere an die Eigenschaft unserer sprachlich fixierten Urteile, jeweils eine Summe von Erwartungen zu enthalten. Und zweitens werden wir unsere Symbole so gestalten müssen, daß durch dieselben immer wiederkehrenden Zeichen eine unbeschränkte Zahl von Lautsymbolen bestimmten und aus den Zeichen selbst entnehmbaren Sinnes geschaffen werden kann. Das geschieht nun, wie es in solchen Fällen immer geschieht. Man denke an das Alphabeth oder an die Zahlzeichen. Die Zahl der Buchstaben ist sehr beschränkt, die der Wörter im Verhältnis sehr groß, verschiedene Zahlzeichen gibt es nur zehn, die Anzahl der Zahlen ist unendlich. Die Möglichkeit, viele Gebilde durch wenige Zeichen darzustellen, ist hier dadurch gegeben, daß wir diese Zeichen kombinieren und den einzelnen darzustellenden Gegenstand durch eine bestimmte Kombination bestimmter Zeichen zum Ausdruck bringen. Ebenso hier. Wir drücken die einzelne Erwartungssumme durch eine Kombination von Symbolen aus, die wiederum in anderen Kombinationen wiederkehren können und hier zum Aufbau eines Symbols dienen, das eine andere Erwartungssumme bezeichnet. Natürlich entwickelt sich ein solches Symbolsystem nur allmählich; wie es sich entwickelt, dazu kann die Sprachentwicklung beim Kinde einen Fingerzeig geben: das Kind spricht zunächst in einzelnen Worten, aber diese Worte meinen etwas, das der Erwachsene in der Form eines Satzes aussprechen würde, sie haben damit auch einen bestimmten, angebbaren Sinn. Dieselben Worte werden dann weiter notgedrungen in einem verschiedenen Sinn gebraucht, bis durch die Hinzufügung neuer verschiedener Lautsymbole dem verschiedenen Sinn auch ein wechselnder Ausdruck zugefügt wird. Ist das aber geschehen, so sind aus den Worten, die ursprünglich einen bestimmten Sinn hatten, bloße Bausteine für verschiedenartige, mit bestimmtem Sinn erfüllte sprachliche Symbole geworden.

Nun müssen freilich diese einzelnen Worte auch in gewissem Sinn eine erlernbare Bedeutung haben. Aber sie erhalten dieselbe nicht für sich, sondern nur auf dem Umweg über die verschiedenen sprachlichen Ganzen, in die sie als Teile eingehen. Genauer gesprochen: Wir können die verschiedenen Erwartungssummen nur deshalb durch eine verhältnismäßig geringe Zahl von Symbolen ausdrücken, weil immer wieder gleichartige Gegebenheiten in gleichartigen Zusammenhängen in ihnen eine Rolle spielen.
    Das einzelne Wort aber bezeichnet nicht einfach eine solche bestimmte Gegebenheit, sondern es ist ein sprachliches Mittel, dessen gleichartiges Vokormmen in sprachlichen Symbolen verschiedenen Sinnes darauf hinweist, daß zu den Konstituentien dieses Sinnes die gleiche Gegebenheit gehört.
Die Sprache ist kein Resultat logischer Überlegung, sondern ein Erzeugnis der Praxis, das sich die Praxis des Lebens zu einem bestimmten Zweck geschaffen hat. Dieser Zweck ist letztenendes der, von einem Menschen auf den anderen eine gleichartige Einstellung auf die Zukunft zu übertragen und damit eine gemeinsame Arbeit an bestimmten Zwecken zu ermöglichen. Und diesem Zweck scheint mir die Sprache in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit in erster Linie zu entsprechen.
LITERATUR - Ernst von Aster, Prinzipien der Erkenntnislehre [Versuch einer Neubegründung des Nominalismus] Leipzig 1913
    Anmerkungen
    1) Das Urteil A sei "Mittel" für die Erreichung von B besagt offenbar dasselbe wie: A ist die "Bedingung" für B, also wie die allgemeine Erwartung, im Anschluß an ein A wird sich ein B einstellen.
    2) In einer Untersuchung, die eigentlich psychologische Zwecke verfolgt, wäre hier selbstverständlich noch Verschiedenes genauer zu unterscheiden. Es gibt psychologisch betrachtet verschiedene Arten des Eingestelltseins. Es gibt ein gespanntes Gerichtetsein auf bestimmte Dinge - man denke als Beispiel etwa an das Verhalten der Versuchsperson in einem psychologischen Reaktionsversuch -, und auch dieses Gerichtetsein kann (und wird in den meisten Fällen) nicht die Form einer bewußten Erwartung und Vorstellung des Erwarteten, sondern die einer ansich unbewußten Erwartungseinstellung annehmen, die sich im Bewußtsein nur durch ein intensives Spannungsgefühl und gelegentlich aufblitzende Vorstellungsrudimente verrät. Es gibt auf der anderen Seite das gewohnheitsmäßige Eingestelltsein auf alle möglichen Dinge, das in jedem Moment unseres psychischen Lebens vorhanden ist und das sich im Bewußtsein gar nicht anders, als durch mechanisch ausgeführte Handlungen bemerkbar macht. Der erstgenannte Fall ist zugleich dadurch ausgezeichnet, daß wir mit einer größeren Ausschließlichkeit auf bestimmte Dinge eingestellt sind, wodurch zugleich die gewohnheitsmäßige Einstellung auf anderes leidet (das Phänomen der Zerstreutheit des Gelehrten und stark Beschäftigten), und daß wir jederzeit "wissen", d. h. in jedem Moment angeben und bewußt vorstellen können, worauf wir gerichtet sind, beides Dinge, die im zweiten Fall nicht vorhanden sind. Zwischen beiden Formen aber gibt es auch allmähliche Übergänge, die eine kann zur andern werden.
    3) Daß wir außer den Dingen noch andere reale Gegenstände unterschieden halten, für die dasselbe gilt, brauche ich hier nur noch einmal anzumerken.
    4) Ich habe im Vorstehenden versucht, den Begriff der Ähnlichkeitsreihen, wie ihn Cornelius einführt, etwas zu modifizieren. In doppelter Hinsicht. Cornelius will auch jede Beurteilung eines gegebenen Inhalts im Hinblick auf einen abstrakten Teilinhalt mit der Einordnung des gesamten Inhalts in eine Ähnlichkeitsreihe identifizieren: der vor mir stehende blaue Kreis ist blau, heißt: er ist charakteristisch ähnlich einer Reihe anderer Gebilde, die wir als blaue Quadrate, Rechtecke, kurz als Gebilde "gleicher Farbe" und "verschiedener Form" sprachlich zu benennen pflegen. Er ist kreisförmig, heißt umgekehrt: er ist "ähnlich" roten, gelben, weißen usw. Kreisen. Ebenso in Bezug auf Tonhöhe, Klangfarbe usw. Gegen diesen Gedanken habe ich einen dreifachen Einwand: Erstens scheint er mit dem Gegebenen nicht zu entsprechen. Eine gefärbte und geformte Fläche ist schon für unsere unmittelbare Auffassung keine absolute Einheit, sondern enthält jene Teile in der eigentümlichen und unmittelbar erlebten Weise der "abstrakten" Teile. Zweitens wird die Theorie dem Unterschied nicht gerecht, der zwischen Begriffen wie "Farbe" und "Ton" auf der einen, "karminrot", "ockergelb" auf der anderen Seite besteht. Endlich drittens entsteht der schon von verschiedenen Ähnlichkeitsgruppen, denen derselbe Inhalt angehören soll? Der bloße Umstand, daß ein A einem B und C, außerdem das B dem C sich als ähnlich erweist, kann zur Definition einer Ähnlichkeitsgruppe A-B-C nicht genügen, wie ein einfaches Beispiel zeigt: A sei ein hellroter Kreis, B ein hellgrünes Rechteck, C ein dunkelrotes Rechteck - die obigen Ähnlichkeitsbedingungen sind erfüllt und doch durch sie keine Ähnlichkeitsgruppe umschrieben. Spricht man von verschiedenen "Hinsichten", in denen hellgrün und hellrot einerseits, hell- und dunkelrot, rotes und grünes Rechteck andererseits ähnlich sind und läßt die "Gruppe" durch die Ähnlichkeit in "derselben Hinsicht" ihre Einheit erhalten, so hat man, was erklärt werden sollte, wieder eingeführt, denn entweder sind die verschiedenen "Hinsichten" verschiedene Gegenstände, die verglichen und ähnlich gefunden werden, also verschiedene abstrakte Teilmomente - dann ist der Zirkel sofort offenbar, oder es handelt sich um Verschiedenheiten der Ähnlichkeit, dann hat man, so scheint es, die Qualitäten der Gegenstände auf Qualitäten der Ähnlichkeit zurückgeführt, die doch selbst ebenso erklärt werden müßten. Um diesen Einwänden zu entgehen, habe ich zunächst begriffliche Zusammenfassungen ähnlicher Gegenstände (Ton, Farbe) von denen gleicher Teilinhalte unterschieden und ferner den Begriff der relativen Gleichheit eingeführt, der auf eine bestimmte Tatsache hinweisen soll: nicht wechselseitige Ähnlichkeit schlechthin führt zu begrifflicher Zusammenfassung, sondern nur dann, wenn sie uns als relative Gleichheit der ähnlichen Gegenstände anderen gegenüber (mit denen sie doch zugleich auch ähnlich sein können) erscheint. Nicht unwichtig ist dabei, daß das Bewußtsein der Ähnlichkeit zu dem der relativen Gleichheit erst durch die Gegenüberstellung anderer wird, der betreffenden Ähnlichkeitsreihe nicht angehöriger Inhalte oder daß, was dasselbe besagt, das Bewußtsein der relativen Gleichheit nicht allein Ähnlichkeits-, sondern zugleich Verschiedenheitsbewußtsein voraussetzt. Weil ein hellroter Kreis, ein hellgrünes Rechteck und ein dunkelgrüner Kreis durch keine Gegenüberstellung eines weiteren Inhalts trotz ihrer Ähnlichkeit zu relativ gleichen Inhalten werden, kann ihre Ähnlichkeit nicht zur Definition eines Allgemeinbegriffs dienen.