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HANS RAECK
Der Begriff des Wirklichen
[Eine psychologische Untersuchung]
[2/2]

"Es genügt im allgemeinen für die Sicherheit des positiven Urteilens, daß dem Bewußtsein, ich sei zu einer Vorstellungsverbindung objektiv genötigt, tatsächlich keine widersprechende Vorstellungsverbindung entgegentritt."

"Die Welt des unmittelbar Gegebenen scheidet sich für unser unmittelbares Bewußtsein hinsichtlich ihrer Beschaffenheit in zwei Welten, in die Welt der Objekte im engeren Sinn, nämlich die Inhalte der sinnlichen Empfindungen und Vorstellungen, und das Ich, nämlich die Gefühle der Lust und Unlust und die - aus beiden zusammengesetzten - Gefühle des Strebens. Die Objekte werden eingeteilt in solche, an die ein gewisses Gefühl des  Zwangs, der  Nötigung, und andere, an die ein gewisses Gefühl des  Ungebundenseins, der Freiheit in eigentümlicher Weise geknüpft ist."


V.

Am vollständigsten hat das an die Spitze gestellte Problem THEODOR LIPPS in Erwägung gezogen, einmal in seinen "Grundtatsachen des Seelenlebens" (1883) (40) bei der Besprechung des Begriffs des Urteils, sodann allgemein in seinen "Grundzügen der Logik" (1893) (41). Von der zweiten Schrift wird jetzt auszugehen sein.

Wenn LIPPS in § 5 das Vorhandensein so und so beschaffener Bewußtseinsobjekte als das absolut Gewisse und Zweifellose zum Ausgangspunkt genommen wird, so darf diese Gewißheit nicht im Sinne der HUMEschen Äußerung verstanden werden, an irgendetwas einfach denken und an etwas als an ein Existierendes denken, sei ein und dasselbe. Darauf deutet schon das Fehlen des Wortes wirklich bei der Beschreibung des Gemeinten hin, es wird bewiesen durch den Fortgang: Zunächst in § 11 heißt es, die Welt des unmittelbar Gegebenen scheide sich für unser unmittelbares Bewußtsein hinsichtlich ihrer Beschaffenheit in zwei Welten, in die Welt der Objekte im engeren Sinn, nämlich die Inhalte der sinnlichen Empfindungen und Vorstellungen, und das Ich, nämlich die Gefühle der Lust und Unlust und die - aus beiden zusammengesetzten (42) - Gefühle des Strebens. Und in § 12 werden Objekte des § 11 weiter eingeteilt in solche, an die ein gewisses Gefühl des Zwangs, der Nötigung, und andere, an die ein gewisses Gefühl des Ungebundenseins, der Freiheit in eigentümlicher Weise geknüpft ist. Wie auch das Verbundensein von Vorstellung und Gefühl hier zu denken sein mag, sicherlich schließt so eine speziellere Bestimmung des Charakters der betrachteten Empfindungs- und Vorstellungsobjekte eine Identifizierung derselben mit denen, an welche HUME in der eben erwähnten Stelle dachte, aus; ein besonderes Gefühl spielt bei diesen ja gar keine Rolle: Auch >LIPPS hat, wie die neueren englischen Philosophen, den elementarsten der Fälle, wo es sich um Wirkliches handelt, nicht als solchen berücksichtigt.

Was den tatsächlichen Sinn der angeführten LIPPS'schen Aussprüche betrifft, so zerfallen sie bezüglich des Zwangsgefühls in zwei Gruppen.

Einerseits nämlich soll sich das Zwangsgefühl an jede einzelne Empfindung (43), an gewisse einzelne Vorstellungen und an Vorstellungsverbindungen als Verbindungen (44) ketten. Ich denke zumindest, daß LIPPS so verstanden sein will. Er spricht hier nicht ausdrücklich von einem Zwangsgefühl, sondern von einem Bewußtsein der objektiven Bedeutung oder Geltung, einem Bewußtsein der Wirklichkeit - so in den "Grundtatsachen" - oder von der Anerkennung eines Vorgestellten, einem Glauben an dasselbe, einem Bewußtsein der objektiven Wirklichkeit - so in den "Grundzügen" - , und von diesem sagt er, es komme der Empfindung usw. nur "ursprünglich" zu, weil es "durch anderweitige Erfahrungen und notwendige Verknüpfungen derselben aufgehoben werden" (45) kann. Daß LIPPS aber allemal, wenn ein solches Bewußtsein vorliegt, jenes Nötigungsgefühl als vorhanden ansieht, wird am Anfang der "Grundzüge" (46) direkt ausgesprochen und geht in den "Grundtatsachen" aus dem Zusammenhang hervor, indem er bei dem von ihm an die betreffende allgemeine Aussage unmittelbar angeschlossenen Beispiel mit dem Auftreten eines solchen Gefühls rechnet.

Neben der Gruppe von Aussagen über das Zwangsgefühl steht bei LIPPS eine zweite. Bei Empfindungen sind da im Bewußtsein außer dem betreffenden Empfindungsinhalt gewisse andere Inhalte, die sich vollständig nur beschreiben lassen, indem mit Vorstellungen von einer Art gerechnet wird, wie sie LIPPS ausdrücklich überhaupt nicht behandelt hat. Er kennt ausgesprochenermaßen als Vorstellungen (im engeren Sinn) bloß Erinnerungen und Phantasievorstellungen (Dichtungen). Bei  diesen  ist nicht angenommen, daß ihr Inhalt im Ganzen schon einmal vorgestellt worden ist, während dies bei  jenen,  den Erinnerungen, mit der Maßgabe stattfindet, es sei in einem Teil der zwischen dem damaligen und dem jetzigen Zeitpunkt liegenden Zeit ihr Inhalt nicht im Bewußtsein gewesen. Daneben gibt es nun aber Vorstellungen, deren Inhalt auch schon vor dem Moment des Vorstellens bewußt gewesen ist, dazu aber in keinem Augenblick zwischen dem früheren und dem späteren Zeitpunkt nicht vorgestellt worden sein soll. Ich möchte diese Vorstellungen fortbestehende nennen; durch den Anklang an den Sprachgebrauch der HERBART'schen Schule (47) habe ich durchaus keine bestimmte theoretische Stellungnahme andeuten wollen. Es wird nicht vonnöten sein, sich, soweit das ansich möglich ist, auf eine Schilderung des Einzigartigen einzulassen, was sich hier der Selbstbeobachtung zeigt. In dem von LIPPS angeführten Beispiel ("Grundtatsachen" Seite 397 finden sich neben der Empfindung eines Tons solche fortbestehenden Vorstellungen, nach denen in einem früheren Moment diese Empfindung auch schon im Bewußtsein war, außerdem aber ein Komplex von Vorstellungen und Gefühlen, welcher kurz als Streben, jene Empfindung in diese oder jene andere übergehen zu lassen, bezeichnet werden kann. Zu der Empfindung - die selber trotz des auf ihre Umwandlung gerichteten Strebens fortbesteht - und den fortbestehenden Vorstellungen gesellt sich nun ein Zwangsgefühl, welches in diesem Fall das ist, was von LIPPS als Gegenstand des Bewußtseins der Wirklichkeit - in der Sprache seiner Logik wäre wieder spezieller: der objektiven Wirklichkeit zu sagen - geltend gemacht wird.

Mit dem oben ins Auge gefaßten Zwangsgefühl kann dieses Gefühl nicht gleichgesetzt werden; denn dort ist in der Logik von einem "einfachen Akt der Anerkennung ..." die Rede, und in den "Grundtatsachen ist die Ausdrucksweise an der zitierten Stelle ganz analog der der Logikstelle; ein so verwickeltes Bewußtseinsphänomen wie das zuletzt angegebene kann da unmöglich gemeint sein. Es bleibt also nichts übrig als anzunehmen, LIPPS rechne mit zwei verschiedenen Bewußtseinserscheinungen, zu deren Charakterisierung das Wort  wirklich  benutzt wird. Dabei zeigt die Folge der Auseinandersetzungen in den "Grundtatsachen" Seite 396 und 397, daß ihm selber diese Verschiedenheit nicht ständig bewußt gewesen ist. Hier soll ihr durch die Unterscheidung eines Zwangsgefühls erster und zweiter Art Rechnung getragen werden.

Was das sonstige Vorkommen des Zwangsgefühls weiter angeht, so läßt es sich für einzelne Vorstellungen überhaupt nicht denken. Vorstellungsinhalte lassen sich nicht nur, was für sie in ähnlicher Weise wie für Empfindungen von LIPPS hervorgehoben wird (48), "zum Verschwinden bringen ... und ... wieder ins Dasein rufen", sondern sie lassen sich im allgemeinen, anders als Empfindungsinhalte, auch in neue überführen. Was also LIPPS für das Auftreten des Zwangsgefühls der fraglichen Art voraussetzte, findet hier nicht statt. Ebensowenig kann das Nötigungsgefühl bei einzelnen Vorstellungen wie dasjenige beschaffen sein, welches sich im zweiten Fall bei Vorstellungsverbindungen einstellt. Das ist von vornherein klar, noch ehe auf diese näher eingegangen ist. Solche Verbindungen kommen ja in den betreffenden Momenten bewußterweise nicht in Betracht, also bewußterweise auch nicht eine auf sie sich beziehende Sachlage der oben charakterisierten Art. Das Bewußtsein eines gewissen Gegensatzes ist zwar auch bei einzelnen Vorstellungen, die ein Zwangsgefühl mit sich führen, möglich, nämlich das Bewußtsein, daß das besagte Gefühl unterschieden ist von einem Freiheitsgefühl, welches sich an andere gleichzeitige Bewußtseinsinhalte nach LIPPS, wie schon vorn erwähnt wurde, heftet (49). Aber da ist doch das Zwangsgefühl nicht an den vorliegenden Gegensatz geknüpft, sondern bildet für sich ein Glied desselben.

Die in den "Grundtatsachen" für Vorstellungen gegebene Erläuterung (50) berücksichtigt nur solche, die nicht allein im Bewußtsein sind, sondern mit anderen zusammen, zu deren Inhalt der ihrige in Beziehung tritt. LIPPS fragt sich da, (51) wie reproduktive Vorstellungen zu dem das Wirklichkeitsbewußtsein ursprünglich ausmachenden (52) Zwangsgefühl kommen. Schließlich spricht er jedoch nur von der zwingenden Kraft, welche die Vorstellung z. B. eines Tons unter der Voraussetzung besitzt, daß man ihn in Gedanken in gewisse zeitlich-räumliche Beziehungen zu anderen Vorstellungsinhalten einschiebt. (53) Eine solche Kraft bringt, wie sich bald herausstellen wird, nach LIPPS selber durchaus nicht immer ein Nötigungsgefühl mit sich. Aber freilich, an jene anderweitigen Ausführungen darf man hier nicht denken, will man dem Zusammenhang der Stelle gerecht werden.

Am einfachsten ist in ihr die Sachlage so zu fassen, daß dem vorgestellten Ton LIPPS' Zwangsgefühl erster Art zukommt, während er in einer bestimmten Konstellation gedacht wird. Für manche Fälle ist dann nur hinzuzufügen, daß im betreffenden Augenblick außerdem Vorstellungen vorhanden sind, nach denen jenes Gefühl bei einer in Gedanken vorgenommenen Veränderung der Umstände wegfällt. Hier ein Zwangsgefühl der zweiten Art anzunehmen, läßt die von LIPPS gewählte Ausdrucksweise nicht zu. Dabei wird nämlich doch unbedingt als selbstverständlich angesehen, daß nur einerlei Zwangsgefühl mitspielt. Wollte man hier aber eines der zweiten Art haben, so müßte man daneben eine solche der ersten Art zulassen: das Zwangsgefühl zweiter Art kann nur entstehen, wenn eine gewisse bewußt vollzogene Vorstellungsverbindung durch eine andere ersetzt gedacht wird. Das wäre hier nur bezüglich der Einordnung des Tons möglich. Dabei mußte aber die objektive Wirklichkeit der sonstigen Vorstellungsinhalte, mit denen bei dieser Beziehung als im Bewußtsein vorhanden gerechnet wird, schon vorausgesetzt werden, es müßte also diesen Inhalten schon ansich ein Zwangsgefühl zukommen, wie es allein von ihrer objektiven Wirklichkeit nach LIPPS sprechen lassen kann. (54)

Manchmal ist das tatsächlich nach ihm der Fall; wann, wird sich zeigen, wenn jetzt auf Vorstellungsverbindungen mit Zwangsgefühl zweiter Art eingegangen wird.

Was zunächst dieses Gefühl selber hier betrifft, so ergibt sich ein zweifelsfreies Verständnis von LIPPS' Meinung aus der gleichzeitigen Beachtung von "Grundzüge" § 60 und "Grundtatsachen", Kapitel 18, Seite 410f. Aus jenem Paragraphen wurde schon ein Satz angeführt. (55) Über den Inhalt desselben wird im darauf folgenden hinausgegangen. Bei einem Urteil, dessen ich möglichst sicher sein will, müssen danach zu den für das einfache positive Urteil allein erforderlichen Vorstellungen und Gefühlen Bewußtseinsinhalte treten, welche den Ausschluß widersprechender Vorstellungsverbindungen besagen. In den "Grundtatsachen" andererseits heißt es, jedes Urteil sei in gewissem Sinne eine Wechselwirkung von Urteilen, die beiden sich entgegenstehenden Vorstellungsverbindungen seien durch die Wirksamkeit von Assoziationen ins Bewußtsein geführt, und erst indem eine Vorstellungsnötigung der Wirksamkeit entgegenstehender Assoziationen standhält, kommt sie als Nötigung zu Bewußtsein. Mit jenem bewußten Ausschluß widersprechender Vorstellungsverbindungen in der Logik ist also ein Zwangsgefühl verknüpft zu denken - es ist das zweiter Art bei Vorstellungsverbindungen. Man erkennt darin das Zwangsgefühl, von dem oben die Rede war. In der Tat ist LIPPS in eben der Weise über HUME hinausgegangen (56), wie es dort im Anschluß an eine Äußerung HUMEs geschah.

Für sich allein findet sich ein solches Zwangsgefühl bei formalen Urteilen, wenn man mit LIPPS von dergleichen allemal spricht, falls das Objektivitätsbewußtsein, d. h. das charakterisierte Zwangsgefühl, lediglich auf die Beziehung zwischen Objekten oder Elementen eines Objekts, nicht auf ein Objekt oder einen Zusammenhang von Objekten als Ganzes, geht (57). Auch bei diesen sind nach LIPPS Fälle anzunehmen, in denen nur ein Nötigungsgefühl erster Art vorliegt - sie die "Grundzüge" § 60 (weiter oben) zuerst angeführte Stelle. Da aber, wo LIPPS die objektive Notwendigkeit im formalen Urteil  S  ist  P  "näher bestimmt" (58), kommt sie ihm auf die Einsicht hinaus, "daß es unmöglich ist,  P  in der Vorstellung durch ein  non-P  zu ersetzen". Man hat sich dabei wieder neben der Vorstellungsverbindung  SP  Vorstellungen, welche sich hier auf den schlechthin vergeblichen Versuch der Ersetzung von  P  durch ein  non-P  beziehen, und an das Zusammensein dieser Vorstellungen mit jener Vorstellungsverbindung ein Zwangsgefühl gebunden zu denken, welches nach der eingeführten Bezeichnung ein solches zweiter Art zu nennen ist. Faßt man übrigens den § 60 dahin auf, von eigentlichen oder fertigen (logischen) Urteilen soll nur dann die Rede sein, wenn der Ausschluß widersprechender Vorstellungsverbindungen  bewußt  erfolgt, so erklärt sich die Nichtberücksichtigung der einfacheren Sachlage in Bezug auf formale Urteile bei der genaueren Formulierung des Gemeinten dadurch, daß LIPPS hier nur von eigentlichen Urteilen habe sprechen wollen.

Den formalen Urteilen stehen bei ihm die materialen gegenüber, von denen das gilt, was vorher bei jenen ausgeschlossen wurde (59). Im Hinblick auf das begleitende Zwangsgefühl sind von diesen die Wahrnehmungen und einzelnen Erinnerungen, LIPPS' Existenzial- oder unvollständige Urteile (60), schon erledigt. Betreffs der übrigen "vollständigen" (61) Urteile könnte man an verschiedenen Stellen der LIPPS'schen Logik (62) abermals mit einem Zwangsgefühl erster Art auskommen. Das geht aber dem § 35, welcher dem eben besprochenen korrespondiert, gegenüber nicht an. Da ist, wie ausdrücklich bemerkt wird, ganz analog dem über formale Urteile Gesagten von einer Unmöglichkeit, dem  S  ein  non-P  zuzuordnen, die Rede, nur nicht mehr von einer unbedingten, sondern von einer bedingten. Da muß es sich also wieder um gewisse neben den auf  S  und  P  bezügleichen Vorstellunge bestehende weitere Vorstellungen und im Zusammenhang damit um ein Nötigungsgefühl zweiter Art handeln. Außerdem muß hier - bei materialen Urteil - der Vorstellungsinhalt  S  selber als wirklich dastehen abgesehen von seiner Beziehung zu  P,  es muß sich also für LIPPS unbedingt auch an ihn ein Zwangsgefühl ketten. Nach dem Vorherigen kann dies der ersten oder zweiten, bzw. nur der ersten Art angehören, je nachdem  S  Gegenstand einer Empfindung oder einer reproduktiven Vorstellung ist. LIPPS spricht hier noch davon, die Vorstellungsverbindung  S non-P  erscheine als ein "Akt meiner Willkür". Insofern dabei an eine neue Seite des fraglichen Bewußtseinstatbestandes gedacht sein kann, ist darauf weiter unten zurückzukommen.

Wie der einen der beiden von LIPPS unterschiedenen Arten von Bewußtseinsobjekten im engeren Sinne ein Zwangsgefühl zukommen soll, so soll der zweiten Art, wie schon kurz erwähnt wurde, ein Gefühl der Freiheit, der Tätigkeit (63) eignen. Dasselbe ist, wie das Zwangsgefühl zweiter Art (64), an das Bewußtsein von einem gewissen vorhergehenden Streben geknüpft, einem Streben, welches das Insdaseintreten, Erhaltenbleiben, Sich-Verändern oder Verschwinden von Objekten oder Beziehungen zwischen Objekten zum Gegenstand hat. Aber während dort dieses Streben sich als erfolglos darstellt, erscheint es hier erfolgreicht. Ein solches Gefühl soll das Wesen des Subjektivitätsbewußtseins (65) ausmachen - im Besonderen in den Fällen, wo das Gefühl an ein Objekt oder einen Zusammenhang von Objekten als Ganzes gebunden ist, das Wesen des Bewußtseins der subjektiven Wirklichkeit des Objekts oder des Zusammenhangs von Objekten (66).

Diese Aussage muß aber teilweise beschränkt, teilweise ergänzt und näher bestimmt werden, ebenso wie das bisher über ein Bewußtsein objektiver Wirklichkeit Angeführte. Es werden dabei wieder LIPPS' einschlägige Äußerungen zum Ausgangspunkt genommen und soweit wie nötig Zusätze dazu gemacht. LIPPS wird zu diesen weiteren Äußerungen veranlaßt, indem er in der Einleitung seiner Logik an das Kapitel über Anfang und Arten der Erkenntnis (Kap. III, § 11-17) eines über den Stufengang der materiellen Erkenntnis (Kap. IV, § 18 - 31) schließt. Erkenntnis ist dabei die Bezeichnung für das Resultat allen Vorstellens mit dem Bewußtsein der Objektivität (67). Hier wird nur in Erörterung gezogen, was an angeblichen einzelnen Bewußtseinstatsachen namhaft gemacht ist, ohne daß zu der Frage Stellung genommen werden soll, ob, bzw. wie weit LIPPS mit seinen Andeutungen den Entwicklungsgang der Erkenntnis in irgendeinem Bewußtsein allgemeingültig skizziert hat.

Allemal freilich, wo an einem Objekt das erwähnte Gefühl der Freiheit haftet, ist betreffs dieses Objekts nach LIPPS ein Bewußtsein vorhanden, welches ein Bewußtsein der subjektiven Wirklichkeit desselben zu benennen ist (68). Das Entsprechende gilt im Hinblick auf Beziehungen von Objekten. Aber es kann, wie sich bei ihm nachträglich herausstellt (69), vorkommen, daß ein solches Objekt oder eine solche Beziehung zugleich Gegenstand des Bewußtseins der objektiven Wirklichkeit ist. Andererseits können Empfindungs- und Erinnerungsinhalte nach Späterem (70) Gegenstand eines Bewußtseins nicht bloß der objektiven, sondern auch der subjektiven Wirklichkeit werden.

Es fragt sich demnach, wie die Sache bezüglich des Bewußtseins subjektiver und objektiver Wirklichkeit genauer liegt.

Oben ist zunächst nicht daran gedacht, daß sich an das betreffende Objekt etwas anderes als nur ein Freiheitsgefühl oder nur ein Zwangsgefühl knüpft.

Nur Freiheitsgefühl hat man bei Phantasievorstellungen. LIPPS spricht da von einem Bewußtsein der subjektiven Wirklichkeit erster Stufe. (71)

Daß sich nur ein Zwangsgefühl geltend macht, ist nach LIPPS bei Empfindungsinhalten eine notwendige und hinreichende Bedingung für das Bewußtsein der objektiven Wirklichkeit zweiter Stufe (72). Dabei handelt es sich stets um etwas, das zu der erst später zur Besprechung kommenden "objektiv wirklichen Außenwelt" gehört. Insofern läßt sich hier auch von einem Bewußtsein der Zugehörigkeit zur objektiv wirklichen Außenwelt reden (73). In den "Grundtatsachen" ist  wirklich  stets in diesem speziellen Sinn gemeint. Betreffs der hierhergehörigen einzelnen Vorstellungen, die stets Erinnerungen sein werden - einzelnes nicht erinnerliches Wirkliches kann man sich nur im Zusammenhang mit anderem vorstellen - ist jetzt zu beachten, daß mit dem einzigen und alleinigen Zwangsgefühl noch keine Entscheidung für eine Zugehörigkeit zur objektiv wirklichen Außenwelt oder zum Ich gegeben ist. Tatsächlich ist das Wirklichkeitsbewußtsein manchmal von so einer unbestimmten Natur (74). - Mit einem Zwangsgefühl verbundene Beziehungen zwischen Vorstellungsobjekten hatte man einmal bei sogenannten formalen Urteilen. Von einer zeitlichen Festlegung kann dabei nicht die Rede sein, also auch nicht von Erinnerung. Zugehörigkeit zur objektiv wirklichen Außenwelt kann ebensowenig in Frage kommen. Wohl aber findet auch hier das Wort  wirklich  Anwendung: Man spricht nicht bloß von wirklichen Dingen und wirklichen Ereignissen, sondern auch von wirklichen Verhältnissen (75). LIPPS hat die letzte Ausdrucksweise bei seiner Unterscheidung zwischen Objektivitätsbewußtsein und Bewußtsein der objektiven Wirklichkeit (76) - analog beim Subjektiven - nicht berücksichtigt. - Bei Vorstellungsverbindungen mit Zwangsgefühl, das sich, zweitens, an das Vorstellungsganze heftet, ist zwar wieder ein Bewußtsein objektiver Wirklichkeit vorhanden, aber nicht ohne weiteres Erinnerung; es kann sich auch um ein objektiv Ergänztes handeln, dessen Besprechung hier noch ausgesetzt werden muß n. LIPPS setzt das Vorkommen von beiderlei nebeneinander bei seinen ferneren Erörterungen voraus, aber auf den psychologischen Charakter des einen im Vergleich mit dem andern läßt er sich nicht ein. Ausdrücklich behandelt er auch hier nur Erinnerungen, und zwar solche, die entweder Elemente der objektiv wirklichen Außenwelt oder subjektiv Wirkliches betreffen. Daneben wird man wieder Augenblicke anzuerkennen haben, die durch eine Erinnerung ausgefüllt sind, ohne daß sie eine derartige Bestimmtheit zeigte.

LIPPS' Darstellung wäre etwa folgendermaßen zu vervollständigen:

In jenen besonderen Fällen liegt die Sache noch wieder anders. Es kommen nämlich für den Begriff des Wirklichen weiter Bewußtseinszustände in Frage, bei denen Gefühle von der erläuterten Beschaffenheit irgendwie zusammen oder in anderer Weise, als bisher besprochen, mehrfach am selben Objekt oder an derselben Beziehung zwischen Objekten auftreten.

Die eine neue Art hat man, wenn sich reproduktive Gefühle zu bisher Betrachtetem hinzugesellen. Dieselben kommen hauptsächlich bei Vorstellungsverbindungen in Betracht, und zwar bei solchen, die Gegenstände vollständiger materialer, nicht formaler, Urteile sind. Es handelt sich da eben um die vorher zurückgestellten Erscheinungen, wo eine Erinnerung die besondere Beziehung auf Glieder der objektiv wirklichen Außenwelt oder auf subjektiv Wirkliches zeigt. Im ersten Fall war nach der vorliegenden Erinnerung - was das heißt, wird von LIPPS ebensowenig wie von HUME gesagt; es wurde darüber schon bei HUME das Nötige bemerkt - in einem vergangenen Zeitpunkt ein Empfindungsinhalt in derselben Weise gegenwärtig, wie es von einem solchen als Bestandteil der objektiv wirklichen Außenwelt auseinandergesetzt wurde. LIPPS nennt solche Erinnerungen kurz objektive (77). Für jenen Zeitpunkt gilt dann ein gewisses Zwangsgefühl als im Bewußtsein vorhanden. Damit ist aber für den Erinnerungsmoment eine Art Zwangsgefühl gegeben, welches sich zu dem an eine Empfindung sich kettenden ebenso verhält, wie eine reproduktive Vorstellung zu einer Empfindung. Man spricht daher auch bei jenem Gefühl von einem reproduktiven Zwangsgefühl. Ausdrücklich ist davon zwar nicht an jener Stelle der LIPPS'schen Logik, aber in seinen Grundtatsachen die Rede. (78) Freilich auch da nur hypothetisch. In der Bedeutung, die es nach der Logik beanspruchen muß, kommt es auch dort nicht zur Geltung. Weil ein solches Gefühl nicht genügt, um das Wesen des Wirklichkeitsbewußtesins auszumachen, wird davon schließlich ganz abgesehen und allein mit dem oben besprochenen Tatbestand gerechnet. Daß aber umgekehrt das, wobei stehen geblieben wird, nicht ausreicht, um in einem besonderen Bewußtsein der Zugehörigkeit zur objektiv wirklichen Außenwelt im Gegensatz zum Bewußtsein der Zugehörigkeit zum Ich zu liefern, wird nicht beachtet. Es tritt dabei der schon früher in Bezug auf die Grundtatsachen hervorgehobene Mangel an genauer Unterscheidung zwischen den verschiedenen Gattungen des Wirklichkeitsbewußtseins in mißlicher Weise zutage. - Dem Bewußtsein der objektiven Wirklichkeit schreibt LIPPS bei objektiven Erinnerungen dieselbe zweite Stufe zu (79), wie bei Empfindungen, die nur von einem Zwangsgefühl begleitet sind. - Im zweiten Fall besteht eine Erinnerung, laut deren in einem vergangenen Zeitpunkt eine Phantasievorstellung bewußt, also subjektiv Wirkliches erster Stufe vorhanden war (80). Analog dem ersten Fall läßt sich hier von einem reproduktiven Freiheitsgefühl reden. Dieser Ausdruck kommt bei LIPPS gar nicht vor. - Das Bewußtsein der subjektiven Wirklichkeit heißt ihm hier ebenfalls zweiter Stufe, zugleich aber Bewußtsein der objektiven Wirklichkeit (erster Stufe). - Um ein reproduktives Freiheitsgefühl muß es sich, was dabei etwa mitsprechende weitere Bewußtseinstatsachen angeht, auch bei der vorher aus "Grundzüge" § 35 angeführten Äußerung handeln, wonach mir das Bewußtsein entsteht, eine gewisse Vorstellungsverbindung sei in Akt meiner Willkür: Das dem fraglichen positiven Urteil parallel laufende negative Urteil wird damit als subjektiv wirklich hingestellt. Es ist dies dem Gedankengang des Paragraphen gemäß.

Zum letzten Abschnitt ist noch zu bemerken, daß dasselbe, wie von Erinnerungen, von fortbestehenden Vorstellungen und Ergänzungen auszusagen wäre.

Die Eigentümlichkeit der zweiten weiteren Art von Bewußtseinszuständen, die beim Begriff des Wirklichen in Betracht kommen, besteht in Folgendem. Es wurde schon erwähnt, daß nach LIPPS Empfindungs- und Erinnerungsinhalt auch den Charakter von subjektiv Wirklichem zeigen können. Es können nämlich (81) zu ihnen fortbestehende Vorstellungen treten, dahingehend, es sei ein bewußtes Streben vorhanden gewesen, das Empfindungsobjekt zum Verschwinden zu bringen, der Zweck dieses Strebens sei erreicht worden, es sei danach ein zweites bewußtes Streben darauf gegangen, das Objekt wieder ins Dasein treten zu lassen, und auch dies sei in Erfüllung gegangen. Im Hinblick auf das Freiheitsgefühl, welches sich an solche fortbestehende Vorstellungen heftet, dreht es sich dann jedesmal um subjektiv Wirkliches. Auf diese Weise kann sich aber überall, wo sich im Vorhergehenden ein Bewußtsein objektiver Wirklichkeit ergab, stattdessen ein Bewußtsein subjektiver Wirklichkeit einstellen. Und zwar wird das Bewußtsein in LIPPscher Sprechweise stets als solches erster Stufe heißen müssen. Denn bei subjektiv Wirklichem zweit und - siehe weiter unten - dritter Stufe hat man nach ihm an ein reproduktives Freiheitsgefühl zu denken, hier dagegen an ein produktives, wie man in einer Analogie zu der bei Empfindungen und Vorstellungen gebräuchlichen Namensgebung sagen kann. Es erscheint hier alles auf die Gegenwart bezogen, und es trifft jetzt der Ausdruck  Vorstellung  statt des sonst angemesseneren "Vorstellungsinhalt" oder "Vorstellungsobjekt" zu, im Besonderen der Ausdruck "reproduktive Vorstellung" dann, wenn vorher, ohne das produktive Freiheitsgefühl, eine Erinnerung ohne oder mit Entscheid zwischen subjektiv Wirklichem und objektiv Wirklichem zweiter Stufe für den vergangenen Moment in Frage kam.

Es können sich aber auch in der Erinnerung den besprochenen gleichartige fortbestehende Vorstellungen mit sich anschließendem Freiheitsgefühl im Zusammenhang mit dem, worauf die Erinnerung in der Hauptsache geht, zeigen. Dann ist im Erinnerungsmoment das hinzutretende Freiheitsgefühl reproduktiv, und es tritt subjektiv Wirkliches zweiter Stufe auf. Außer den Erinnerungen an Phantasievorstellungen, für die sich hier nichts Neues ergibt, kommt genau genommen erst solchen Bewußtseinszuständen der Name  Erinnerung  an frühere Bewußtseinszustände zu.

Für Erinnerungen an Erinnerungen, wobei die letzterwähnte Erinnerung entweder auf Empfindungen oder auf Vorstellungen gehen kann für die sich im zweiten Fall unter Umständen ergebenden Erinnerungen an Erinnerungen an Erinnerungen usw. folgt die psychologische Sachlage unzweideutig aus dem Gesagten.

Aber es verdient hier noch ein Unterschied die Aufmerksamkeit. Die fortbestehenden Vorstellungen mit begleitendem Freiheitsgefühl, welche sich gegebenenfalls bei einer objektiven Erinnerung zeigen, haben entweder selber Erinnerungscharakter oder auch nicht. Wenn sie ihn nicht haben, gelten sie als ergänzt. LIPPS sagt von der zweifachen Weise, in welcher der Inhalt einer objektiven Erinnerung infolge des Hinzutritts gewisser Bewußtseinsinhalte sich als subjektiv wirklich darstellen kann, nichts; er erwähnt nur die eine, wo das angefügte Freiheitsgefühl produktiv ist. (82) Damit ist auch eine Hervorhebung des jetzt in Rede stehenden Unterschieds, welcher sich auf die zweite Weise bezieht, ausgeschlossen. Doch rechnet LIPPS mit jenem Umstand. Eine Empfindung, an die sich das Bewußtsein der objektiven Wirklichkeit zweiter Stufe heftet, als Wahrnehmung bezeichnend, (83) spricht er nämlich bei der weiteren Schilderung des Stufengangs der materialen Erkenntnis so, als ob bei jeder Wahrnehmung einerseits ein Bewußtsein subjektiver Wirklichkeit vorläge. Im Moment der Wahrnehmung trifft das nach ihm selber, wie aus dem Früheren hervorgeht, durchaus nicht immer - "ursprünglich" nicht (84) - zu. Es ist daher anzunehmen, LIPPS habe bei jenen Äußerungen an Momente gedacht, wo im Hinblick auf die früheren Wahrnehmungen das Gemeinte gilt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch erscheint das auch zulässig. Dann ist aber das fragliche Freiheitsgefühl reproduktiv und hat, wie die reproduktiven fortbestehenden Vorstellungen, welche es begleitet, nicht den Erinnerungszug.

Derartige Augenblicke kommen in der Tat vor. (85) In ihnen tritt der Vorstellungsinhalt von allem in Betracht gezogenen objektiv Wirklichen zweiter Stufe auch unter dem als subjektiv wirklich Dastehenden auf. Das Umgekehrte findet dagegen zu keiner Zeit in vollem Umfang statt. Die Gefühle der Lust und Unlust und deren Komplikationen gliedern sich als solche nie zugleich in das objektiv Wirkliche zweiter Stufe ein. Die Inhalte von Phantasievorstellungen und von Erinnerungen an solche stellen sich für den naiven Standpunkt unter Umständen, namentlich wenn sie den Charakter von "Zwangsvorstellungen" annehmen, die Inhalte von Halluzinationen und Träumen während des Halluzinierens oder Träumens wohl stets als Elemente der objektiv wirklichen Außenwelt dar. Für den geistig entwickelten gesunden Menschen jedoch, mit dem hier allein gerechnet wird, treten die Phantasievorstellungen und die Erinnerungen an solche nur noch unter dem subjektiv Wirklichen auf; von Träumen und Halluzinationen gilt das dann zumindest im allgemeinen für die Zeit nach dem Erwachen aus dem Schlaf, welcher den Traum brachte, bzw. nach dem Aufhören des abnormen Gemütszustandes. Über die Phantasievorstellungen findet sich in dieser Beziehung bei LIPPS nichts, über die Träume und die Halluzinationen je eine Bemerkung (86), aber in einem anderen Zusammenhang. Bei der Behandlung des Verhältnisses zwischen objektiv Wirklichem zweiter Stufe und subjektiv Wirklichem behauptet er unter Benutzung der üblichen Ausdsrücke Physisches und Psychisches für die beiden Arten von Wirklichem, es sei "der Gegensatz des Physischen und Psychischen kein Gegensatz der Objekte der Erfahrung, sondern ein Gegensatz der  Betrachtungsweisen."  (87) Dabei sind die angeführten Fälle von Bewußtseinszuständen, deren Inhalte nicht unter dem objektiv Wirklichen zweiter Stufe vorkommen, vergessen. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich weiterhin für ihn daraus ein Widerspruch ergab. Man stößt darauf im Verlauf der folgenden Betrachtungen über die Zusammenhänge, die im Bewußtsein zwischen den einzelnen Elementen von beiderlei Wirklichem zu konstatieren sind.

Einmal gibt es solche von größerem oder kleinerem Umfang einerseits zwischen Elementen des objektiv Wirklichen zweiter Stufe, andererseits zwischen diesem und jenem subjektiv Wirklichen insoweit, als dahin gehende Vorstellungsverbindungen bewußt werden. Ferner findet häufig ein Zusammenschluß von objektiv wirklich erscheinenden Empfindungsinhalten mit Vorstellungsinhalten aus Zusammenhängen der ersten der beiden genannten Arten und von "subjektiv wirklichen" Empfindungen mit Vorstellungen aus Zusammenhängen der zweiten jener Arten statt, nämlich dann, wenn außer der Gegenwart die unmittelbare und dazu mehr oder weniger weitere erlebte Vergangenheit in der einen oder anderen Weise "vor der Seele steht." LIPPS weist mit besonderen Worten nur auf Zusammenhänge der zweiten jener ersten beiden Arten hin (88). Betreffs derer zwischen Gliedern des objektiv Wirklichen zweiter Stufe ist hervorzuheben, daß in ihnen Gesichts- und Tastempfindungsinhalte eine Hauptrolle spielen. Im subjektiv Wirklichen kommen dieselben unter Umständen ja auch alle vor, aber neben viel mehr Anderem als im objektiv Wirklichen zweiter Stufe, so daß sie da nicht ebenso in den Vordergrund treten. Zu einem ordnenden Moment der Gleichzeitigkeit oder zeitlichen Aufeinanderfolge gesellt sich bei ihnen für das verschiedene gleichzeitig Erscheinende das des räumlichen Verhältnisses. LIPPS spricht in "Grundzüge" § 11 davon ohne die nötige Beschränkung auf die erwähnten Inhalte, in "Grundzüge", Kap. IV nur zuletzt.

Diese Zusammenhänge zwischen verschiedenem objektiv Wirklichen zweiter Stufe werden nach dem Vorhergehenden durchgängig, unter Hinzutritt der besprochenen fortbestehenden Vorstellungen mit angeschlossenem Freiheitsgefühl, sich auch als Zusammenhänge zwischen verschiedenem subjektiv Wirklichen darstellen können. Dagegen werden sich nicht alle Zusammenhänge der letzten Art jemals als solche der ersten zeigen. Vielmehr begibt es sich, daß in einer zeitlichen Aufeinanderfolge von subjektiv Wirklichem bis zu einem gewissen Punkt eine Umsetzung in objektiv Wirkliches zweiter Stufe angängig, darüber hinaus aber nicht mehr angängig, oder umgekehrt im ersten Teil nicht ausführbar, im zweiten ausführbar ist (89). Der erste Fall liegt vor, wenn einer Wahrnehmungsfolge, die dahin geht, es treffe ein Stoß oder dergleichen einen gewissen Körper, ein Schmerzgefühl folgt. Hier ist die Umsetzung bis zu dem Gefühl möglich, in Bezug auf dieses selber aber nicht mehr. Als umgekehrter Fall läßt sich kurz ein solcher nennen, wo sich an das Streben nach einer bestimmten Empfindung diese Empfindung anschließt. Das subjektiv wirkliche Streben findet unter dem objektiv Wirklichen zweiter Stufe keinen Platz, wohl aber der Inhalt der Empfindung. - Bei der erstrebtem Empfindung spielt derselbe Körper wie vorher eine wesentliche Rolle, sei es, daß sie ihn selbst in der Stellung seiner Teile zueinander oder zu anderen Körpern zum Inhalt hat, oder daß ihr Empfindungen, von denen es gilt, im Anschluß an das Streben voraufgehen (90). Der durch jene auf diese Erfahrungen charakterisierte Körper heißt der eigene. LIPPS nimmt ihn bei der Besprechung der hier fraglichen Tatsachen zum Ausgangspunkt. (91) Er sieht sich gezwungen festzustellen, daß die - vorher bei ihm als vollständig durchführbar angesehene - Scheidung der Außenwelt und des Ich an diesem Punkt nicht gelingt. Übrigens führt er die von mir zuletzt angegebenen Charakteristika mit dem Zusatz "einzig und allein" an. Das muß ich für unberechtigt halten; das andere, von LIPPS nachträglich nur im Zusammenhang mit weiterem gestreift (92), liegt dem naiven Menschen sicher ebenso nahe.

Was ferner die Ergänzungen, von denen noch die Rede sein sollte, betrifft, so rechnet LIPPS, nach dem Gedankengang in dem hierhergehörigen Kapitel seiner Logik zu schließen (93), mit Momenten, in denen beim subjektiv Wirklichen die Phantasievorstellungen nebst den Erinnerungen an solche für sich allein zu einem Ganzen ergänzt erscheinen, bei welchem mit Gleichem nur Gleiches zusammenbesteht und auf Gleiches nur Gleiches zeitlich folgt. Das Ganze entspricht dann, wie LIPPS sagt, einem allgemeinen Denkgesetz (94). Er nennt dieses Ganze  transzendentes Ich.  Es kann hier dahingestellt bleiben, wie weit solche Augenblicke vorkommen. Jedenfalls zeigen sich gewöhnlich, sofern dabei überhaupt bloß subjektiv Wirkliches in Frage steht, jene Bewußtseinszustände nur zusammen mit Empfindungen und objektiven Erinnerungen derartig ergänzt. Welches psychologische Ansehen das so Ergänzte hat, erörtert LIPPS nicht näher; er spricht nur im allgemeinen von einem einheitlichen Zusammenhang von Bedingungen. Gegenwärtig soll die Frage auch nach Möglichkeit nicht beantwortet werden. Wesentlich ist für den Begriff des Wirklichen nur, daß alles dem Denkgesetz gemäß Ergänzte ebenso als wirklich gilt, wie das, zu dem es ergänzt ist.

Der so geschaffene Zusammenhang ist im naiven Bewußtsein nie ein vollständiger. Die Beschreibung, wie die Sache genauer steht, verlangt zunächst ein Einghen auf die Ergänzungen zum objektiv Wirklichen zweiter Stufe. Da handelt es sich in erster Linie um Momente, in welchen als Gegenstand einer Wahrnehmung oder einer objektiven Erinnerung Gegebenes durch Inhalte von Phantasievorstellungen unter dem Gesichtspunkt ergänzt erscheint, daß wieder mit Gleichem nur Gleiches zusammenbesteht und auf Gleiches nur Gleiches folgt. Bei LIPPS heißt das so entstehende Ganze transzendente Außenwelt oder ähnlich (95) In ihm kommen die Gesichts- und Tastvorstellungsinhalte im Vergleich mit dem transzendenten Ich noch mehr zur Geltung, als sie es beim nicht ergänzten objektiv Wirklichen zweiter Stufe gegenüber dem subjektiv Wirklichen schon taten: Wie die betreffenden Empfindungs- und Erinnerungsinhalte einen Vorrang vor den übrigen hatten, so haben ihn auch die gleichartigen Ergänzungen vor anderen. Es geht das bis dahin, daß man unter einem transzendenten Weltzusammenhang fast nur die Gesamtheit von zeitlich und räumlich geordneten Inhalten jener Art - die Farbe ist dabei eingeschlossen - unter Absehung von den Inhalten der übrigen Empfindungsmodalitäten versteht. Speziell die Ergänzung von Gleichzeitigem zu Gesichts- und Tastempfindungsinhalten führt erst zur Vollendung von Dingen, und zwar sie allein auch nur zur Vorstellung von Dingen in einem gewissen Augenblick, erst die dazu tretende Ergänzung von zeitlich Voraufgehendem und Folgendem zur Vorstellung von Dingen, die im Laufe der Zeit gewisse Wandlungen erfahren (96). Das Nähere gehört nicht hierher; immerhin mußte der Punkt mit Rücksicht auf den weiteren Gebrauch des Wortes  Ding  berührt werden.

Inwiefern Inhalte anderer Art in einen Zusammenhang mit den genannten eingegliedert werden können, wird bei dem Nachweis deutlich, wie ein voller Zusammenhang für das naive Bewußtsein überhaupt nur bei einem Zusammentreten von subjektiv Wirklichem und objektiv Wirklichem zweiter Stufe vorliegt. Dazu ist an die vorher erwähnten Fälle zu denken, wo die Umsetzung von später einmal als subjektiv wirklich sich Darstellendem in objektiv Wirkliches zweiter Stufe nur auf eine gewisse zeitliche Erstreckung hin, nicht auf die ganze dabei vorgestellte zeitliche Erstreckung, angängig ist. In solchen Fällen findet ursprünglich abgesehen von Ergänzungen ein Zusammenhang zwischen objektiv Wirklichem zweiter Stufe und subjektiv Wirklichem oder umgekehrt statt, nicht ein solcher zwischen Wirklichem von nur einer Art, und auch wenn Ergänzungen hinzutreten, ist da für den naiven Menschen ein umfassender Zusammenhang nur derart vorhanden, daß ein solcher Übergang aus der transzendenten Welt ins Ich oder umgekehrt mit in Betracht gezogen wird, nur bei einer Zusammennahme von beidem. An der Übergangsstelle steht im objektiv Wirklichen zweiter Stufe allemal der eigene Körper. Im besonderen gibt es Augenblicke, wo im allgemeinen jede Empfindung an einen Vorgang im objektiv Wirklichen zweiter Stufe ähnlich angeschlossen erscheint, wie in der ersten Gruppe jener Fälle ein Gefühl, ähnlich namentlich insofern, als der betreffende Vorgang allemal mindestens in seinem letzten Teil sich auf dem Gebiet des eigenen Körpers abspielt. Bei Gesichts- und Tastempfindungen liegt dann ein Anschluß an Begebenheiten in der transzendenten Außenwelt vor, welche vom eigenen Körper bis zu den entsprechenden Dingen dieser Welt zurückverfolgbar sind - wenn entsprechend Dinge heißen, die nach Abzug der Ergänzungen und bei Hinzutritt der vielberegten fortbestehenden Vorstellungen mit einem angeknüpften Freiheitsgefühl den Inhalt eben jener Gesichts- und Tastvorstellungen bilden. Die übrigen Empfindungen zeigen sich eben dann an Vorgänge in der transzendenten Außenwelt angeschlossen, welche im eigenen Körper zu bestimmten Teilen desselben oder von ihm zu bestimmten Dingen führen, bezüglich deren gilt: Sie stellen sich in Momenten, wo nur einzelnes objektiv Wirkliches zweiter Stufe im Bewußtsein ist, mit dem jenen Empfindungen entsprechenden (97) objektiv Wirklichen zweiter Stufe verbunden dar.

LIPPS hat über die Gestaltung des Zusammenhangs zwischen der transzendenten Außenwelt und dem transzendenten Ich nur die in Anmerkung 92 unten angeführte allgemeine Bemerkung.

Auch darüber findet sich bei ihm an dieser Stelle nichts, daß Augenblicke vorkommen, in denen an die Vorstellung des eigenen wie auch gewißer anderer, dem eigenen ähnlicher, Körper das Bewußtsein von Bewußtseinszuständen gekettet ist, die sich an bestimmte Zustände des betreffenden Körpers ebenso schließen, wie erlebte Bewußtseinszustände an Zustände des eigenen Körpers. Es sind das ergänzte eigene bzw. fremde Empfindungen, Vorstellungen oder Gefühle, die keinen Erinnerungscharakter tragen und die auch nicht vom subjektiv Wirklichen allein aus ergänzt sind, sondern von den aufgewiesenen Wechselbeziehungen zwischen beiderlei Wirklichem aus. Es ist dieser für die Ausgestaltung des fraglichen Zusammenhangs doch auch wichtige Punkt von LIPPS erst später gelegentlich (98) gestreift.

Ehe LIPPS überhaupt auf "den Körper" (99), soll heißen den eigenen Körper, und "die eine Welt" (100), d. h. die Gesamtheit des objektiv Wirklichen zweiter Stufe und des subjektiv Wirklichen, zu sprechen kommt, geht er schon darauf ein (101), wie sich mit zunehmender Erfahrung beim objektiv Wirklichen zweiter Stufe mehr und mehr Ergänzungen einstellen, welche mit dem einzelnen Erlebten nur in Einklang zu bringen sind, indem an seine Stelle gewisse Phantasieersetzungen als wahrhaft Wirkliches treten. Die Welt des Naturforschers, welche so die des naiven Realisten verdrängt, gestaltet sich je nach dem Stand der Wissenschaft einigermaßen wieder verschieden. Es kann dahin kommen, daß alles, was noch außerhalb des subjektiv Wirklichen als Bestandteil der wirklichen Welt vorgestellt wird, nur als Symbol für sonstiges Wirkliches gemeint ist. LIPPS nimmt einen solchen Standpunkt ein, indem er sich dahin äußert, auch zum Glauben an die objektive Wirklichkeit der Raumbestimmungen fehle weiterhin jeder Grund. Das ist wohl in dem Sinne zu verstehen, es gebiete schließlich die Vorsicht, keine der ursprünglichen Eigenschaften des objektiv Wirklichen zweiter Stufe als solche festzuhalten.

Die eben erwähnte von LIPPS getroffene Anordnung des Stoffs führte ihn dazu, bei seinen Bemerkungen über den Zusammenhang zwischen der transzendenten Außenwelt und dem transzendenten Ich die Denkweise des naturwissenschaftlich gebildeten Menschen zugrunde zu legen. Ein solcher Zusammenhang stellt sich aber doch auch schon auf einem ganz naiven Standpunkt ein - LIPPS führt die beabsichtigte Schilderung der gewöhnlichen Entwicklung der materialen Erkenntnis nicht ganz durch, sondern springt im Verlauf derselben von der Betrachtung eines niedrigeren Standpunktes zu der eines höheren über.

Nun erst kann der gebräuchlichste Sinn des Wortes wirklich in LIPPS'scher Ausdrucksweise angegeben werden. Insofern man sich bewußt ist, daß ein vorliegender Bewußtseinszustand oder Bewußtseinsinhalt in einem gekennzeichneten Zusammenhang von subjektiv Wirklichem und objektiv Wirklichem zweiter Stufe auftritt, hat das Bewußtsein von der subjektiven oder objektiven Wirklichkeit schon wieder einen besonderen Charakter. LIPPS nennt "die Zugehörigkeit" zum transzendenten Ich die subjektive (102) Wirklichkeit dritter (und letzter) Stufe. Das Bewußtsein davon hat danach ein solches der subjektiven Wirklichkeit dritter Stufe zu heißen. Analog spricht sich LIPPS darüber, wann "die höchste Stufe der objektiven Wirklichkeit" erreicht sei, dahin aus, daß wir dann den Objekten, die im Bewußtsein als ein dem Ich Fremdes erscheinen, davon verschiedene (und vom vorstellenden Subjekt in unserem Denken geschiedene Objekte zugrundelegen. (103) Er richtet bei diesen Worten sein Augenmerk offenbar auf Momente, wo man sich bewußt ist, daß als objektiv wirklich zweiter Stufe vorliegende Bewußtseinsinhalte im Zusammenhang der transzendenten Außenwelt vertreten sind. Je nach der Gestalt, welche die transzendente Welt für das betreffende Bewußtsein hat, sind natürlich auch die Vorstellungsinhalte, die bei diesem Bewußtsein von objektiver Wirklichkeit dritter Stufe vorliegen, teilweise andere.

Nun sind aber bei LIPPS die Elemente der transzendenten Außenwelt selber ebenso wie die eben erwähnten Bewußtseinsinhalte Gegenstand des Bewußtseins der objektiven Wirklichkeit zweiter Stufe, die des transzendenten Ich wie die entsprechenden Bewußtseinszustände Gegenstand des Bewußtseins der subjektiven Wirklichkeit, und für ein derartiges Bewußtsein sind nach ihm die oben behandelten Gefühle des Zwangs und der Freiheit charakteristisch. Da bei einem Wirklichkeitsbewußtsein dritter Stufe vom fraglichen Bewußtseinszustand oder -inhalt auf eine jener Welten hinübergeschaut wird, so ist es also als LIPPS' Meinung anzusehen, daß auch für dieses Bewußtsein Zwangs- oder Freiheitsgefühle wesentlich sind. Des Näheren wird dabei stets an reproduktive Gefühle der einen oder anderen Gattung zu denken sein, weil die transzendente Außenwelt wie das transzendente Ich sich als Ganzes nur dem inneren Rückblick darstellen.

Nach den oben zur Sprache gebrachten Feststellungen von BERKELEY, HUME und namentlich FICHTE ist es jedoch, wie schon oben bemerkt, nicht zweifelhaft, daß LIPPS bei seiner Heranziehung von Nötigungs- und Freiheitsgefühlen zur Charakterisierung des objektiv Wirklichen und subjektiv Wirklichen Fälle übersehen hat, in denen eines von beiden für das Bewußtsein vorliegt, ohne daß solche Gefühle mitspielen. Im Besonderen braucht ein derartiges Mitspielen auch bei "objektiv Wirklichem zweiter Stufe" nicht stattzufinden. Dabei handelt es sich ja, wie gesagt, stets um etwas zur "objektiv wirklichen Außenwelt" Gehöriges. Ein solches aber hat man in jedem Fall, wo man sich in einen Empfindungsinhalt verliert, und da kommen besondere Gefühle gar nicht in Betracht. Besondere Gefühle brauchen also auch in das LIPPS'sche Bewußtsein von objektiv und subjektiv Wirklichem dritter Stufe nicht einzugehen.

Darüber, in welchen speziellen Fällen man ein eigenartiges Gefühl beim Wirklichkeitsbewußtsein hat, ist Folgendes auszumachen.

Auf LIPPS' Zwangsgefühl zweiter Art führte, wie nachträglich konstatiert wurde, schon eine Äußerung HUMEs. Bezüglich des Falls aber, welcher von HUME ins Auge gefaßt war, wurde betont, daß der vergebliche Versuch, die im Bewußtsein vorliegenden Beziehungen zwischen Vorstellungsinhalten in Gedanken zu ändern, bei dem das Zwangsgefühl auftreten sollte, nicht allemal tatsächlich unternommen wird, wann seine Ausführung jenes Gefühl entstehen lassen würde. Daraus folgt allgemein für die Fälle, in denen der Charakter des Bewußtseins von objektiver Wirklichkeit durch ein Zwangsgefühl zweiter Art näher bestimmt ist, daß in ihnen ein solcher Versuch wie der erwähnte vorangegangen sein muß.

Für das Entstehen des Freiheitsgefühls, welches nach LIPPS den Charakter des Bewußtseins subjektiver Wirklichkeit konstituiert, ist ein entsprechender Versuch Voraussetzung, nur mit einem anderer Resultat als vorher - mit günstigem, statt mit ungünstigem. Als Fälle, in denen beim Bewußtsein subjektiver Wirklichkeit das Freiheitsgefühl eine Rolle spielt, ergeben sich daher die besonderen, wo jener Versuch mit Erfolg unternommen wird.

Beim Zwangsgefühl erster Art hat, meine ich, LIPPS zur Beschreibung des seiner Selbstbeobachtung vorliegenden Bewußtseinstatbestandes keine angemessenen Ausdrücke gebraucht. Anmerkungen, die er in siner Ausgabe von HUMEs Traktat gemacht hat, zeigen nämlich, daß er beim Zwangsgefühl erster Art nichts anderes im Auge hatte, als was nach HUME den psychologischen Charakter des Glaubens ausmacht: Einerseits sagt er in Anmerkung 144 (104):
    "... Den Glauben dürfen wir, im Sinne, obgleich nicht mit den Worten  Humes,  als Notwendigkeitsbewußtsein bezeichnen, nämlich als  Bewußtsein des Genötigtseins  durch Erfahrung ..."
und Anmerkung 156 (105):
    "... Was  Hume  bei der Erörterung des Glaubens als Lebhaftigkeit der Vorstellungen bezeichnet, ... ist, kurz gesagt, der Charakter der "Objektivität", die Art gewisser Bewußtseinsobjekte, sich als etwas von uns Unabhängiges zu gebärden, nicht sich unserer Willkür zu fügen, sondern uns in unserem Vorstellen zu  nötigen,  so daß wir ihnen gegenüber ein unmittelbares Bewußtsein unserer eigenen Passivität haben ..."
Andererseits betont er in Anmerkung 331 (106) zu einer Stelle im Anfang des Anhangs über den Glauben:
    "... Glaube ist keine besondere Vorstellung, sondern  ein Vorstellungen begleitendes Gefühl,  eine Art, wie ich mich von Vorstellungen oder beim Vollzug von Vorstellungen angemutet fühle ..."
LIPPS meint also in dem, was HUME über das Wesen des Glaubens an die Wirklichkeit von etwas sagt, die Beschreibung eines Gefühls der Nötigung vor sich zu haben. Für sein Zwangsgefühl zweiter Art fehlt hier die letztbesprochene Bedingung des Versuchs, Vorstellungsbeziehungen in Gedanken zu ändern, zumindest im allgemeinen. Somit ergibt sich, daß es sein Zwangsgefühl erster Art ist, mit dem LIPPS die Bewußtseinstatsachen charakterisieren zu müssen meinte, welche HUME beim Glauben im Auge hatte. HUME selber hat in diesem Zusammenhang so bestimmt von einem Nötigungsgefühl, überhaupt von einem Gefühl im Sinne der modernen Psychologie, nicht gesprochen. Darauf wurde schon mit Bezug auf HANS CORNELIUS' Kritik HUMEs hingewiesen; gerade daß HUME hier manchmal  sentiment  neben (107), ja statt (108),  feeling (109), Innewerden, gebraucht, beweist meines Erachtens, daß er den Umfang des Begriffs  sentiment  nicht streng auf Gefühle der Lust und Unlust einschränken wollte. In manchen Fällen werden da, wo von Glaube die Rede ist, die Voraussetzungen für LIPPS' Zwangsgefühl zweiter Art gegeben, und es wird dann in diesem das Wesen des Glaubens zu finden sein. Für die übrigen Fälle jedoch erscheint mir bei einer Selbstbeobachtung durch HUMEs Ausspruch, beim Glauben handelt es sich um etwas Einzigartiges, für das eben nur das besondere Wort  Glaube  der ganz angemessene Ausdruck ist, die psychologische Sachlage allein richtig gekennzeichnet, und nicht in der Weise, wie es LIPPS unternimmt mit der Heranziehung eines Zwangsgefühls, für welches die Bedingungen des Zwangsgefühls zweiter Art nicht stattfinden. LIPPS ist hier wohl durch das Streben nach einer einheitlichen Charakterisierung des Wirklichkeitsbewußtseins zur Verkennung der wahren Sachlage geführt worden. Er hat ja selber nicht zwischen zwei Arten von Zwangsgefühl durchgängig unterschieden; eine Beschreibung, die nur für gewisse Fälle von Wirklichkeitsbewußtsein zutrifft, hat er auf alle ausgedehnt. Wo im Vorhergehenden von einem Zwangsgefühl erster Art die Rede war, ist also das, was nach HUME für den Glauben charakteristisch ist, an die Stelle zu setzen. Bezüglich dessen wurde aber schon HUME gegenüber auseinandergesetzt, wie unter gewissen Umständen ein Wirklichkeitsbewußtsein möglich ist, ohne daß die betreffenden Vorstellungsinhalte für sich genommen besondere Eigentümlichkeiten zu haben brauchten; nur wenn Bewußtsein von Wirklichem im Gegensatz zu Vorgestelltem bestehen soll, während die in Betracht gezogenen Vorstellungsinhalte nur einfache, nicht doppelt, im Bewußtsein sein, muß danach das von HUME hervorgehobene auszeichnende  feeling or sentiment  vorhanden sein, d. h. das, was LIPPS mit dem Zwangsgefühl erster Art unzutreffend beschrieben hat.

HUME gegenüber wurde noch bemerkt, daß nicht in allen Fällen, wo ein Wirklichkeitsbewußtsein vorliegt, von Glauben gesprochen wird - nicht bei Urteilen der Zusammenfassung oder Sonderung und der Vergleichung. Bei LIPPS sind diese Urteile schon insofern berücksichtigt, als er sich nicht ausdrücklich auf Fälle beschränkt, in denen es sich um Glauben handelt. Er get aber auch noch besonders auf dieselben als die "subjektiven Urteile" (110) ein. Bei ihnen betreffe das Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit eine Ordnung, die erst durch eine auf die vorgestellten Objekte gerichtete ordnende Tätigkeit des Subjekts zustande komme (im Gegensatz zu den objektiven Urteilen, bei denen das Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit auf eine Ordnung geht, in die Objekte selbst sich einfügen, ohne daß es zum Zustandekommen derselben irgendwelcher besonderen auf die Objekte gerichtete Tätigkeit des Subjekts - außer dem Vorstellen selber - bedürfte)(111). Das Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit einer gewissen Ordnung wird aber auch hier ohne ein Zwangsgefühl bestehen können, indem darauf hingeblickt wird, wie die fragliche Ordnung durch die Beschaffenheit derjenigen Bewußtseinsinhalte bedingt ist, welche von einer Welt der Dinge reden lassen. Nur wenn der Versuch gemacht wird, die einmal vorliegenden Beziehungen in Gedanken zu ändern, wird sich, wie sonst, auch hier ein Nötigungsgefühl einstellen, welches wieder ein solches zweiter Art nennen ist, wenn die Bezeichnung mit der oben eingeführten in Übereinstimmung stehen soll.
LITERATUR Hans Raeck, Der Begriff des Wirklichen, Breslau 1893
    Anmerkungen
    40) im Folgenden mit "Grundtatsachen" zitiert
    41) im Folgenden mit "Grundzügen" zitiert
    42) So nach LIPPS' Aufsatz "Bemerkungen zur Theorie der Gefühle" in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, 1889
    43) Grundtatsachen, Seite 396, Grundzüge § 99, vgl. § 19.
    44) Grundzüge § 60: "Es genügt im allgemeinen für die Sicherheit des positiven Urteilens, daß dem Bewußtsein, ich sei zu einer Vorstellungsverbindung objektiv genötigt, tatsächlich keine widersprechende Vorstellungsverbindung entgegentritt."
    45) Grundzüge § 99
    46) Grundzüge, § 12 und § 14.
    47) siehe VOLKMANN, Lehrbuch der Psychologie, Bd. I, vierte Auflage, Seite 177.
    48) Grundzüge, § 25
    49) siehe Grundzüge, § 19 und § 100.
    50) Grundtatsachen, Seite 398
    51) Grundtatsachen, Seite 397
    52) siehe Anmerkung 68
    53) Allgemeiner hat man bei dieser Kraft nach Grundtatsachen Seite 401f auch mit Assoziationen der Ähnlichkeit zu rechnen.
    54) siehe wieder Anmerkung 68
    55) siehe Anmerkung 37
    56) siehe LIPPS' Anmerkung 282 (Seite 264) in seiner deutschen Ausgabe von HUMEs  Traktat. 
    57) Grundzüge, § 33, § 15, § 14
    58) Grundzüge, § 34.
    59) Grundzüge § 33, § 16, § 14
    60) Grundzüge § 99f
    61) Grundzüge § 101: Sie schließen Existenzialurteile und formale Urteile zur Einheit eines Urteils zusammen.
    62) Grundzüge § 16, Seite 296
    63) Grundzüge § 12
    64) Speziell bei Empfindungen ganz analog.
    65) Grundzüge § 12
    66) Grundzüge § 14
    67) Grundzüge § 32, § 15f (§ 7, § 2).
    68) Daß LIPPS Bewußtsein der subjektiven und objektiven Wirklichkeit nichts anderes als besondere Namen für bestimmte Bewußtseinszustände oder -inhalte sind, muß nach "Grundzüge" § 11 und § 14 angenommen werden, da in "Grundzüge" § 14 das materiale Objektivitäts- und Subjektivitätsbewußtsein für  gleichbedeutend  mit dem unmittelbaren Bewußtsein der objektiven, bzw. subjektiven Wirklichkeit eines Gegenstandes erklärt wird, mit dem Subjektivitäts- und Objektivitätsbewußtsein aber nach § 12 "ohne jeden Anspruch der Erklärung oder Deutung nur das für jedermann in jedem Augenblick unmittelbar Erlebbare  bezeichnet  sein soll." - - - Inwiefern damit weitere Äußerungen von LIPPS nicht in Einklang gebracht werden können, wird im zweiten Teil zur Sprache kommen.
    69) siehe Grundzüge § 21f
    70) Grundzüge § 25
    71) Das ist aus Grundzüge § 18, verglichen mit § 21 zu schließen.
    72) Grundzüge § 23, § 25
    73) Grundzüge § 23
    74) vgl. Grundzüge § 19
    75) Vgl. LOTZE, Metaphysik, zweite Auflage (die ersten Worte der Einleitung)
    76) Grundzüge § 14 (§ 12).
    77) Grundzüge § 23
    78) Grundtatsachen, Seite 397
    79) Grundzüge § 23
    80) Grundzüge § 21
    81) Grundzüge § 25
    82) Grundzüge § 25
    83) vgl. Grundtatsachen Seite 398
    84) siehe besonders Grundzüge § 14: "Alle Gegenstände unseres Bewußtseins sind als solche subjektiv wirklich, aber nicht alle stellen sich uns ursprünglich als solche dar."
    85) vgl. die letzte Anmerkung
    86) Grundzüge § 28, bzw. Grundtatsachen, Seite 397
    87) Grundzüge § 27; das letzte Wort ist gesperrt gedruckt.
    88) Grundzüge § 21 Schluß; vgl. § 23.
    89) Soweit dabei etwas in Betracht kommt, was zu einer Zeit Empfindungscharakter getragen haben soll, wird unter Benutzung der oben berührten Ausdrucksweise von Wahrnehmungen zu sprechen sein. Wenn sich bei den Worten, die zur Beschreibung dieser Wahrnehmungen gebraucht werden, z. B. bei "Körper", Vorstellungen aufdrängen, welche nichts zum fraglichen Wahrnehmungsinhalt beitragen, so sind dieselben so zu nehmen, als ob sie nicht da wären.
    90) Es handelt sich darum, daß, wie man sagt, jede Veränderung, die in der objektiv wirklichen Außenwelt aufgrund eines bewußten Strebens erfolgt, entweder, soweit sie gewollt ist, nur den Körper des Strebenden zum Schauplatz hat, oder doch von diesem Körper ihren Anfang nimmt. Beim Letzten ist zunächst nur an solche Fälle gedacht, wo die entsprechende Wahrnehmungsfolge derartig verläuft (vgl. die letzte Anmerkung).
    91) Grundzüge § 29
    92) a. a. O. "Andererseits zeigt die Erkenntnis, daß das subjektiv Wirkliche als solches in seinem Dasein und seiner Beschaffenheit an den Körper oder Teile desselben gebunden ist ..."
    93) Grundzüge § 25 ("Doppeltes Dasein der Welt") steht hinter § 22 ("Das transzendente Ich").
    94) Grundzüge § 22, § 10, § 301, § 288
    95) Grundzüge § 24; vgl. § 25.
    96) vgl. Anmerkung 89 oben
    97) Der Ausdruck entsprechend ist in dem Sinne wie unmittelbar vorher zu nehmen.
    98) Grundzüge § 38, § 150; vgl. Grundtatsachen Seite 446-448.
    99) Grundzüge § 29
    100) Grundzüge § 30
    101) Grundzüge § 28
    102) Grundzüge § 22;  objektiv  ist ein Druckfehler statt  subjektiv. 
    103) Grundzüge § 25; vgl. schon § 24.
    104) a. a. O., Seite 126
    105) a. a. O., Seite 132
    106) a. a. O., Seite 354
    107) HUME, Traktat I, Seite 555 zweimal
    108) ebd. vorletztes Wort.
    109) ebd. zweimal allein
    110) Grundzüge § 185
    111) Grundzüge § 142