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Die kritische Lehre von der Objektivität [ 1/6 ]
Vorwort Ich bin auf das Objektivitätsproblem im Verlauf von Studien gestoßen, die nur den persönlichen Zweck hatten, meine an KANT gebildeten erkenntniskritischen Überzeugungen zur Erkenntnistheorie unserer Tage, die mich umgab und auf mich einwirkte, in ein Verhältnis zu setzen. Diese Erkenntnistheorie trat mir in zwei herrschenden Gestaltungen entgegen: als Psychologie und als Metaphysik des Erkennens. Keine dieser beiden Gestaltungen indessen wollte sich der Kontinuität kantischer Gedanken einfügen und ich mußte bald erkennen, das einzige Verhältnis, das zwischen diesen zeitgenössischen Bemühungen und dem kantischen Denken bestehe, sei das der Gegensätzlichkeit. Über den toten Punkt, auf den ich so gekommen war, half mir die neuere Kantkritik hinweg, die die gesamte theoretische Philosophie KANTs als Philosophe der Wissenschaft NEWTONs auffaßte. Hierdurch waren meine Probleme mit einem Mal in einen ganz neuen Zusammenhang verwiesen: in den Zusammenhang naturphilosophischer Fragen. Nachdem Metaphysik und Psychologie aus den Entwicklungsmöglichkeiten des Kritizismus ausgeschlossen waren, blieb der Philosophie nur noch eine Möglichkeit, die Probleme der Naturwissenschaft allgemeiner und in einer anderen Projektion aufzufassen, als diese sie selbst auffaßt. Die Naturwissenschaft ist, als Wissenschaft von der Natur, eine Umformung der Natur. Wenn nun das wissenschaftliche Forschen nicht mehr darauf gehen soll, in dieser Umformung den Plan und die Handgriffe der formenden Seele zu studieren, noch darauf, diese Umformung als die erste Station auf dem Weg zu begreifen, der schließlich in das Land der Metaphysik führt, so bleibt das einzig berechtigte Interesse das an der Umformung selbst. Man wird die naturwissenschaftliche Umformung der Wirklichkeit als eine Möglichkeit der Umformung zu begreifen haben, neben der sich andere denken lassen, man wird die Bedingungen studieren, unter denen eine naturwissenschaftliche Umformung statthaben kann, man wird durch Analyse die Elemente bloßlegen, die ihre immer wiederkehrenden letzten Bestandteile bilden, man wird die definitive Form beschreiben, die schließlich als letztes Ergebnis der Formung resultiert. Da die in Rede stehende Formung eine intellektuelle ist, so können wir sie durch den Ausdruck Begriffsbildung terminologisch festlegen. Das kantische Problem stellt sich uns demnach als ein Problem der Begriffsbildung heraus und das Interesse, das wir an ihm nehmen, läßt sich so formulieren: Wie kann man die Begriffsbildung der Wissenschaft NEWTONs, die KANT behandelt, in den Kreis möglicher Begriffsbildungen überhaupt einstellen? Erst durch diese Fragestellung war mir die Möglichkeit gegeben, die erkenntnistheoretischen Probleme, die KANT beschäftigten, mit Problemen zu vermitteln, die die Erkenntniskritik unserer Tage beschäftigen. Den "Kreis möglicher Begriffsbildungen" konnte ich zunächst als die weiteste Formulierung der Frage bezeichnen, deren Beantwortung die Philosophie RICKERTs unternimmt. RICKERT teil die möglichen Begriffsbildungen überhaupt in individualisierende und generalisierend ein. Die Begründung dieser Einteilung liegt darin, daß jede Begriffsbildung eine ursprüngliche Stellungnahme des Geistes zum vorwissenschaftlichen Erleben ausprägt. Die generalisierende Begriffsbildung geht auf die extensive und intensive Überwindung der Mannigfaltigkeit des unmittelbaren Erlebens und seiner Form, der Individualität aus, wohingegen die individualisierende Begriffsbildung diese Form des primären Erlebens nicht verletzt, sondern nach gänzlich anderen Prinzipien unter ihren zahllosen Verwirklichungen auswählt. Eine Anwendung dieser Gedanken auf KANT zeigte diesen zunächst als den Theoretiker der generalisierenden Begriffsbildung. Gleichzeitig fiel mir hiermit aber ein merkwürdiger Umstand auf. Ich bemerkte, daß die großen kantischen Kritiken, von der Kritik der reinen Vernunft bis zur Kritik der Urteilskraft, immer stärker auf eine individualisierende Begriffsbildung konvergieren [hinauslaufen - wp]. Hiermit verband sich die Erinnerung an die RICKERTsche Konstruktion einer Stufenfolge der generalisierenden Wissenschaften, die immer mehr Individuelles ausschalten, um schließlich in einer höchsten generalisierenden Wissenschaft, der "Letzten Naturwissenschaft", nur noch allgemeine Beziehungen und Beziehungsgesetze zu bewahren. Es war mir nicht zweifelhaft, in dieser letzten Naturwissenschaft die Wissenschaft vor mir zu haben, deren Theorie KANT in der Kritik der reinen Vernunft hatte geben wollen, als er den Gegenstand in lauter Beziehungen auflöste. Dagegen wollte eine weitere Übertragung der RICKERTschen Wissenschaftsfolge, die kontinuierlich mehr und mehr Individualität anzieht, auf die ähnliche Konvergenz der kantischen Kritiken desh nie recht stimmen, weil diese mir eine sprungweise zu sein schien. Der theoretische Teil der Kritik der Urteilskraft schien mir besonders der Kritik der reinen Vernunft gegenüber nicht nur eine Ergänzung, sondern auch eine Neuerung zu sein. Das kritische Postulat, den Gegenstand der Erfahrung in allen Hinsichten zu objektivieren, gab wohl eine Erklärung für das Konkreterwerden der Kritik der Urteilskraft, aber keine für gewisse fundamentale Neuerungen in ihr. Ich hatte immer ein dunkles Gefühl, als ob der schwierige § 76 der Kritik der Urteilskraft den rechnerischen Schlüssel des fraglichen Sprunges von der rein generalisierenden Begriffsbildung der Kritik der reinen Vernunft zur anders generalisierenden Begriffsbildung der Kritik der Urteilskraft enthalte. - In diesem Gefühl wendete ich besonders eine Stelle hin und her, ohne sie mir doch recht nutzbar machen zu können. Sie heißt: "Der Begriff der Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Produkten wird ein für die menschliche Urteilskraft in Ansehung der Natur notwendiger, aber nicht die Bestimmung der Objekte selbst angehender Begriff sein, also ein subjektives Prinzip der Vernunft für die Urteilskraft, welches als regulativ (nicht konstitutiv) für unsere menschliche Urteilskraft ebenso notwendig gilt, als ob es ein objektives Prinzip wäre." Über die Paradoxie dieser Stelle, daß ein Prinzip notwendig für die Urteilskraft gelten solle, ohne doch ein Objekt zu bestimmen und daß mithin umgekehrt die Bestimmung des Objekts nicht von allen Denknotwendigkeiten der menschlichen Vernunft abhänge, kam ich nicht hinweg, bis mir HUSSERLs "Logische Untersuchungen" in die Hände fielen. Hier fand ich eine Einteilung der Wissenschaften in solche, die eine wesentliche und solche, die eine außerordentliche Einheit haben. Die ersten nennt HUSSERL die theoretischen oder nomologischen Wissenschaften; sie gelten nur aufgrund ihrer inhaltlichen Zusammenhänge und sind deshalb vollkommen unabhängig vom Denken der Gattung Mensch. Den zweiten, den ontologischen Wissenschaften, ist umgekehrt gerade die Beziehung auf menschliches Denken wesentlich. Die theoretische Wissenschaftsgruppe schien mir zunächst mit RICKERTs letzter Naturwissenschaft und weiterhin mit der auf alle Zeiten vollendbaren Wissenschaft identisch zu sein, deren Theorie die Kritik der reinen Vernunft gibt. Von der anthropologischen Wissenschaftsgruppe waren zunächst zu scheiden die Anwendungen der theoretischen Wissenschaften auf spezifisch menschliche Verhältnisse -, so daß als ihr eigentlicher Bestand die anthropologisch geeinten Wissenschaften blieben. Das Thema der Kritik der Urteilskraft waren offenbar die nur anthropologisch geeinten Wissenschaften. Während also die Kontinuität der RICKERTschen Wissenschaftsfolge keinen Unterschied von normativen und anthropologischen Wissenschaften mehr zuließ, gelang es durch dieses neue Mittel der Charakteristik, die beiden erkenntniskritischen Hauptwerke KANTs rein systematisch einander gegenüber zu stellen. Nachdem ich solchermaßen systematisch ins Reine gekommen war, fand ich auch bald die geschichtliche Bestätigung dafür, daß ich mit dieser Gegenüberstellung KANTs eigenste Absichten getroffen hatte. Ich entdeckte bei KANT Stellen, die den mühsam gefundenen Unterschied der beiden Kritiken mit dürren Worten bereits aussprechen und dabei das System der reinen Vernunft als ein System "universeller Regeln" gegenüberstellen. Systematisch hatte ich also zwei Paar einander überkreuzender Einteilungsprinzipien gewonnen: theoretisch fundierte Wissenschaften mit generalisierender oder individualisierender Begriffsbildung und anthropologisch fundierte Wissenschaften mit generalisierender oder individualisierender Begriffsbildung. Hierdurch war das kantische System der universellen Regeln zu einem allseitig begrenzten Problem geworden. Erstens mußte das System der universellen Regeln der generalisierenden Begriffsbildung zugehören und konnte sich nur spezifizieren, nie individualisieren. Zweitens mußte das System der universellen Regeln theoretisch fundiert sein und konnte nie durch das allmähliche Konkreterwerden seiner Regeln in anthropologisch fundierte Wissenschaften übergehen. Das System der universellen Regeln füllte also das Cadre: theoretisch fundierte Wissenschaften mit generalisierender Begriffsbildung aus. Hierdurch war die letzte Naturwissenschaft als eine Art allem anderen gegenüber bestimmt. Das Problem der letzten Naturwissenschaft war das Problem der Kritik der reinen Vernunft gewesen. Als es sich deshalb darum handelte, für das nunmehr vollkommen zeitlos begründete Problem einen Namen zu finden, lehnte ich mich, wie billig, an KANT an und nannte es das Problem der Objektivität. Derart haben mich meine erkenntniskritischen Studien, die nur der Selbstbelehrung galten, vor die Aufgabe geführt, die systematisierende Monographie des Objektivitätsproblems zu schreiben. Das Problem war erkenntniskritisch begründet und benannt. Ich sah mich jetzt nach gewissen deskriptiven oder technischen Kennzeichen um, die die äußere Erscheinungsweise objektiver Sätze auszeichnen. Ich fand, daß den nicht objektiven, den anthropologischen Sätzen also, gleichgültig dagegen, ob die Urteile, die sie konstituieren, individualisierende oder generalisierende Tendenz haben, das wirkliche Vorhandensein ihrer Gegenstände wesentlich ist, wohingegen sie den objektiven, den theoretischen Sätzen, unwesentlich ist. Zu diesem Ergebnis führte mich eine einfache Betrachtung der Existenzbedingungen der verschiedenen Wissenschaften. Die Zoologie konnte nur von Geschöpfen handeln, die wirklich sind oder waren, die Geschichte konnte nur eine Vergangenheit betreffen, die einmal wirkliche Gegenwart gewesen war; aber die Sätze der allgemeinen Arithmetik galten ganz unabhängig davon, ob sie jemals als wirkliche Denkakte realisiert worden waren oder nicht. Wo sich dennoch existentiale Momente in den theoretischen Wissenschaften vorfanden, lagen diese nicht auf Seiten der Theorie, sondern auf Seiten der Menschen, die diese Theorie als Denkerlebnis in sich trugen. Es handelte sich hier um die schon erwähnten normativen Wissenschaften. So fand ich als äußeres Kennzeichen der Objektivität ihre vollkommene Unabhängigkeit von allem Existentialen und besonders von allem Anthropologischen. Wenn ich aber von diesen Überlegungen auf die Wirklichkeit der Philosophiegeschichte hinblicke, so bemerke ich umgekehrt ein sehr starkes Bestreben, die Objektivität auf existentiale Momente aufzubauen. Aus dem Wunsch, mit mit diesen Bestrebungen auseinanderzusetzen, ist der erste Teil dieses Buches entstanden. Er führt den Titel: "Das Proble der Objektivität vor Kant." Wenn sich der Leser daran stößt, daß er, statt historischer Darstellung zeitlich vorkantischer Philosophen, systematische Kritiken zeitlich nachkantischer Philosophen findet, so möge er für den gewählten Titel setzen: "Die existentialen Begründungen der Objektivität." Ich habe am gewählten Titel festgehalten; erstens deshalb, weil er die Abhängigkeit des ganzen Buches von KANT besser ausdrückt, als jeder andere, zweitens deshalb, weil ich das historische Werturteil nicht missen möchte, das er einschließt. Außerdem können ja auch die Worte vor und nach ebensogut systematische, wie zeitliche Werte ausdrücken. Der zweite Teil des Buches, betitelt: "Das Problem der Objektivität bei Kant", sucht die kritische Objektivitätstheorie systematisch aus den vorhandenen historischen Dokumenten bei KANT zu entwickeln. Da das Problem KANTs sich im erkenntniskritischen Kreis der Wissenschaft NEWTONs hält, so kann dieser Teil zwar die volle Tiefe der Begründung geben, aber nicht ihre ganze Ausdehnung. Diese Ergänzungsbedürftigkeit der kantischen Lösung macht einen dritten Teil notwendig, der zwar nicht der Tiefe, wohl aber der Breite nach über den zweiten Teil hinausgeht. Er ist überschrieben: "Das Problem der Objektivität nach Kant". - Ich schließe dieses Vorwort mit zwei persönlichen Bemerkungen.
Zweitens. Ich habe schon gesagt, was ich für die systematische Erkenntnis des hier verhandelten Problems der Philosophie RICKERTs und der HUSSERLs verdanke. Ich zitiere KANT nach der zweiten HARTENSTEINschen Ausgabe seiner Werke (1867 - 1868), die Kritik der reinen Vernunft jedoch habe ich allerorten nach den Seitenzahlen der ersten und zweiten Originalausgabe als A und B angeführt. Für einige Briefe, die bei HARTENSTEIN nicht abgedruckt sind, habe ich die neue Akademie-Ausgabe herangezogen; für KANTs handschriftlichen Nachlaß "Kants Reflexionen zur kritischen Philosophie" (herausgegeben von BENNO ERDMANN, Band I - 1882, Bd. II - 1885) und "Lose Blätter aus Kants Nachlaß" (mitgeteilt von RUDOLF REICKE, Band I - 1889, Band II - 1895). Die problemgeschichtliche Darstellungsmethode, die Definition und die Einteilung der Objektivität 1. Programm einer systematischen Geschichtsschreibung der zeitlosen philosophischen Probleme Begriff und Probleme der Philosophie der Gegenwart haben sich nicht, wie etwa die der Mathematik oder Mechanik, aus wenigen Grundgedanken in sachlicher Folge zum jetzigen Reichtum entfaltet, ihr Anfang ist mit ihrem Ende nicht durch jene eigentümliche Zielstrebigkeit verbunden, die man bei Aufgaben und Erfolgen der Naturwissenschaft sieht; sie sind vielmehr ohne Plan entstanden und ohne Absicht gewachsen, denn ihr Entstehen, wie ihr Wachsen, hing oft und allzoft, nicht von einer inneren Notwendigkeit, sondern davon ab, ob die Zeit an ihre Fragestellung eine Furcht oder eine Hoffnung knüpfte. Dieses Zerfallen in unzusammenhängende Abteilungen, die als Einheit auch nur die Einheit einer Persönlichkeit haben, diese eigentümliche Tatsache, daß nicht der Prozeß die Personen, sondern die Personen den Prozeß in der Geschichte der Philosophie tragen, stellt diese zunächst auf eine Linie mit der Geschichte der Kunst oder der Staaten und, wie man die Weltgeschichte eingeteilt hat, nach der wechselnden Herrschaft von Königen und Königsgeschlechtern, so kann man die Geschichte der Philosophie einteilen nach der wechselnden Regierungszeit von Philosophen und Philosophenschulen über bestimmte Perioden. Die Philosophen regierten nicht als ganze Persönlichkeiten, sondern nur soweit sie Gedanken waren und auch von ihren Gedanken wirkte nur gleichsam ein Auszug weiter, die dies vermochte durch ein gewisses spezifisches Gewicht, durch eine zusammengedrängte Fülle der Fragen und Antworten, die in ihm beschlossen lagen. Dieser Auszug gewann nach und nach ein selbständiges Leben über den hinaus, dessen Teil er gewesen war, um später als sein Erbe die Herrschaft zu übernehmen. Ebensogut wie die Herrschaft der einzelnen Philosophen kann man die Herrschaft dieser Individuen zweiter Ordnung, dieser Gedankenpersönlichkeiten, zu einem Einteilungsgrund der Geschichte der Philosophie nehmen, ja besser, denn sie herrschten über größere Gebiete und längere Zeit. Diese atomistische Ansicht, die die Geschichte der Philosophie auf den ersten Blick gewährt, ist wohl dadurch hervorgebracht, daß die einzelnen Ergebnisse, zu denen dieser oder jener Forscher gelangt war, fast ie als gesicherte Mittel in den Dienst weiteren Forschens gestellt werden konnten. Während in der Mathematik und Mechanik jedes vollendete Werk nur als Werkzeug weiterer Arbeit Bedeutung hatte, vererbten sich in der Geschichte der Philosophie die fertigen Systeme meist als logisch tote Güter, die allenfalls sprachlich zu größerer Gelenkigkeit verschärfen konnten. Sachlich aber wollte jeder einzelne Philosoph das System der Philosophie wieder ganz von unten aufbauen. Darum hat der Fortschritt, der der Geschichte der Philosophie trotz alledem innewohnt, eine wesentlich andere Form, als er sie in den Wissenschaften hat, in denen die Erfolge des späteren Gelehrten die Arbeit des früheren Gelehrten voraussetzen und bestätigen. Wir bemühen uns, über das Wesen des philosophischen Fortschritts Klarheit zu schaffen. Eine systematische Vergleichung der vorhin erwähnten Einheitsgebilde lehrt ohne Mühe, daß ihre individuelle Form einen auch allgemein zu behandelnden Gehalt umschließt. Bei ihnen allen sieht man von Fall zu Fall wechselnde Bedeutungseinheiten, die sich aus allen historischen Amalgamierungen [Verschmelzungen - wp] immer und immer wieder ausfällen lassen. Die Bedeutungseinheiten wiederum erweisen sich als vergleichbare Größen, woraus die Möglichkeit erwächst, sie unter eine Anzahl sachlich sich identisch erhaltender Probleme aufzuteilen. Die Problemeinheit macht sogar letztlich die Individuen zweiter Ordnung zu dem, was der Name Individuen sagt. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, die historisch gegebenen: Zusammenhänge systematisch umzuordnen. Man setzt alsdann die einzelnen Probleme gewissermaßen als leere Cadres vor die zu schreibende Geschichte und zeigt, was die philosophische Arbeit nach und nach von diesen einzelnen Cadres ausgefüllt und was sie noch leer gelassen hat. Gibt man den Cadres das Bild von Kreisen, so sind die einzelnen historischen Gegebenheiten Segmente, "Schneidgebiete", die den Inhalt dieser Kreise mehr oder weniger ausfüllen. Dabei können die Kreise ihre Füllstücke aus den zeitlich entlegendsten Gebieten der Philosophie herausnehmen, denn die Anordnung ist jetzt nicht mehr durch die Zufälligkeit einer zeitlichen Kontiguität oder eines Schulzusammenhangs bestimmt, sondern durch die logische Verwandtschaft der einzelnen Stücke. Diese Möglichkeit, die Philosophiegeschichte zu betrachten, zeigt wiederum zwei Abarten. Eine erste Wendung ist die, alle historisch gegebenen Systeme auf ihr sachliche "Meinung" zu untersuchen und sie dann nach ihrer Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Problem katalogartig nebeneinander zu stellen. Eine zweite Wendung besteht darin, zu prüfen, was diese System erreicht haben. Dann kommt es darauf an, ein wie großes Segment des jeweiligen idealen Kreises das gegebene System in sich schließt und welches die geometrische Lage dieses Segmentes ist. Das erste Moment bestimmt, bei vorausgesetzter Originalität des Systemschöpfers, seine personale Wertung, denn man bildet sich aus der Größe des Segments eine Meinung über die Energie und Präzision seines Denkens. Das zweite Moment, die geometrische Lage des Segmentes, entscheidet darüber, ob man den Schöpfer dieses Gebietes in eine Geschichte des Problems aufnehmen darf oder nicht. Haben nämlich zwei Segmente die gleiche ideale Lage, so zeigt das an, daß sie einen gleichen Abschnitt des Problems behandeln. Dann muß die Betrachtung des historisch später gefundenen Segmentes wegfallen, da man sonst die Darstellung durch unnötige Verdoppelungen entstellen würde. Haben aber zwei Segmente eine verschiedene Lage, sind sie einander ausschließende Bestandteile des Kreises, die nach und nach durch Disjunktion [Ausschluß - wp] seinen ganzen Inhalt erschöpfen, so gehören sie beide in die Darstellung hinein. So wird die ursprüngliche Zugehörigkeit zu einem idealen Problemkreis das historische Auswahlgesetz für die Geschichte der Probleme und das Maß der jeweilig erreichten Ausfüllung des Kreises das Prinzip des Fortschritts. Etwas anders gewendet: Man kann die Geschichte eines Problems vom Standpunkt der Individuen aus, die an ihm gearbeitet haben und von Standpunkt der Resultate aus, die gefördert worden sind. Schreibt man sie vom Standpunkt der Individuen aus, so gehört ein jeder unabhängige Denker in sie hinein, der auf eigenem Weg eine wertvolle Ansicht des Problems gefunden hat. Ob die Ansicht - objektiv - bereits bekann oder noch unbekannt war, gilt gleich; sie darf nur ihm nicht bekannt gewesen sein. Schreibt man sie aber vom Standpunkt der Probleme aus, so verschärfen sich die Auswahlkriterien. Dann fallen alle Segmente fort, die identische Kreisstücke überdecken, das ist, es fallen alle Beiträge fort, die im objektiven Sinn Duplikate sind und es bleiben nur die, die wirkliche Trenngebiete darstellen und durch Disjunktion den Kreisinhalt ausmessen. Die zuletzt beschriebene Art, die Dinge anzusehen, ist die, nach der das vorliegende Buch die kritische Lehre von der Objektivität behandeln will. Es stellt nach dem gegebenen Programm fest, was die kantische Lehre im Problemkreis der Objektivitätslehre ausfüllt, es weist auf die Lücken hin, die KANT gelassen hat, es zieht die neuen Autoren an, die diese Lücken geschlossen haben. Die Ausführbarkeit dieses Vorhabens steht und fällt mit der Möglichkeit, diesen Problemkreis wirklich zu ziehen. An diese Aufgabe treten wir heran, wenn wir uns jetzt vergegenwärtigen, was das Objektivitätsproblem meint. ![]() |