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FRIEDRICH KUNTZE
Die kritische Lehre
von der Objektivität

[ 2/6 ]

Vorwort / Einleitung
Erstes Kapitel -
Die Objektivitätsbedingungen und die Platonismen des Ichbegriffs.
Zweites Kapitel -
Die Objektivitätselemente und die Platonismen der Seelenvermögen.
Drittes Kapitel -
Die Objektivitätsformen und die Platonismen des Normgedankens

"Jede Begriffsbildung prägt eine ursprüngliche Stellungnahme des Geistes zum vorwissenschaftlichen Erleben aus."

"Die Behandlungsart, die diese vorkantischen Lehrstücke, diese Platonismen nötig machen, ist eine polemische. Die Polemik ist eine einheitliche, denn sie bekämpft einen systematischen Grundfehler, der in den Platonismen der Bedingungen, Elemente und der Form der Objektivität nur in verschiedenen Gestalten auftritt. Die Natur dieses Fehlers ist schon früher angedeutet worden: sie besteht in der Verquickung des Logischen mit dem Existentialen."

"Wenn disparate Probleme in eins behandelt werden, so ergibt das nicht eine Problemsumme, sondern eine Problemverschmelzung. Es entsteht dann ein vollkommen neues Scheinproblem, aus dessen Lösung nicht das mindeste zu lernen ist für die Behandlung der realen Einzelprobleme, die seine Elemente bilden."

"Während wir heute gewohnt sind, das Subjektive in die Nähe des Willkürlichen zu rücken, ist umgekehrt in der mittelalterlichen Philosophie das Subjektive gerade das Überindividuelle, das Geltende."

"Johannes Duns Scotus gibt, vermutlich unter dem Einfluß Avicennas dem Ausdruck  subjectivum  einen Gegensatz im Ausdruck  objektivum.  Das Subjektive bedeutet von nun an immer das Gegenständliche, das, was sich auf das Subjekt der Urteile und die konkreten Gegenstände bezieht, während das Objektive das bezeichnet, was in bloßem  obiicere,  das heißt Vorstelligmachen, liegt und hiermit auf Rechnung des Vorstellenden fällt."

2. Die definitorische Zugehörigkeit der Objektivität
zu den zeitlosen Problemen. Universelle und generelle Regeln.

Wir beginnen damit, das Abzeichen festzustellen, aufgrund dessen ein Problem den nur gesetzbestimmten und restlos konstuierbaren Problemen zugewiesen werden kann. Restlos konstruierbare Probleme sind solche, deren Einheit nur auf dem zeitlosen wechselseitigen  Verhältnis ihrer Inhalte  beruth, und deren Fragestellung deshalb von allen Schwankungen der menschlichen Denkgewohnheiten ebenso unabhängig ist, wie vom Denken der Gattung "Mensch" überhaupt. Die rein logische Wahlverwandtschaft der Inhaltsteile muß deshalb bei den zeitlosen Problemen vorhanden sein, weil sonst die gegenseitige Ergänzung ihrer historisch oft so weit auseinanderliegenden Teillösungen zu einem einheitlichen Gebilde unvorstellbar ist. Diese Begriffsbestimmung macht sich das Ergebnis einer neuen Unterscheidung aller Probleme in anthropologisch und logisch begründete zunutze. Man kann das Wesentliche dieser Unterscheidung dahin ausdrücken, daß die logisch begründeten Probleme wesentlich zur Natur und den Bedingungen des Wissens gehören, das heißt, daß sie aus dem definitorischen Wesen des Verstandesgebrauchs überhaupt folgen. Die anthropologisch begründeten Probleme dagegen gehen nur das definitorische Wesen des Vernunftgebrauchs der Spezies  Mensch  an. Eine besondere Gattung innerhalb der anthropologisch begründeten Probleme sind schließlich die kulturhistorisch begründeten, da sie sich nur um Schwankungen innerhalb dieser Spezies drehen. Die Objektivität muß, wenn unsere Konstruktion haltbar sein soll, unter die rein sachlichen Probleme gehören. Die Zugehörigkeit der Objektivität zu dieser Gattung kann nur festgestellt werden aufgrund einer genauen Angabe dessen, was eine Frage zu einer sachlich begründeten macht. Erst dann ist es möglich, der ganzen Sache der Objektivität ihren Rang zu bestimmen.

Wir erklären zunächst die eben gegebene vorläufige Bestimmung, die sachlichen Probleme seien in der Natur des Wissens überhaupt begründet. Der bleibende Niederschlag des Wissens ist die Wissenschaft; die sachlichen Probleme werden also weiterhin die Natur und die Bedingungen der Wissenschaft betreffen. Die Wissenschaft wiederum spaltet sich in eine unübersehbare Anzahl von Einzeldisziplinen. Soll hier nicht der Faden verloren gehen, so müssen die Probleme gewisse Gemeinsamkeiten aller Wissenschaft angehen. Als Gemeinsamkeit aller Wissenschaft finden wir bei ihnen allen das Streben, die unmittelbar erlebte Wirklichkeit irgendwie auf einheitliche Ausdrücke und Formen zu bringen. Setzt man, daß einer jeden Wissenschaft ein ganz bestimmter Formentyp entspricht, so können für die einzelnen Wissenschaften die sie ersetzenden Formentypen eintreten. Da von vornherein eine Vergleichbarkeit der Formen durch keinerlei Gründe ausgeschlossen ist, so wird der Versuch, sie in ursprünglichere Bestandteile aufzulösen, die Formen entweder zusammengesetzt oder einfach finden; im ersten Fall wird man sie auf einen einfachen und damit originalen Formentyp zurückführen können, im zweiten nicht. Am Ende dieser ganzen Formenlehre müssen dann ein oder mehrere originale Formentypen stehen.

Die Ersetzung der konkreten Wissenschaften durch Typen der Begriffsbildung scheint mir, auch abgesehen von der dadurch erst ermöglichten reinen Formenlehre, aus mehreren Gründen wünschenswert zu sein.
    Erstens. Wenn die Grenzen der konkreten Wissenschaften nicht durch die spezifischen Eigentümlichkeiten ihrer Methoden bestimmt sind, sondern durch den "Zweck, den man mit ihnen zum anderweitigen Gebrauch vor Augen hat", so können in einer gegebenen Wissenschaft, zum Beispiel in der Naturwissenschaft, verschiedene Begriffsbildungen gleichmäßig vertreten sein.

    Zweitens. Umgekehrt braucht eine konkrete Wissenschaft eine bestimmte Begriffsbildung nicht entfernt in der Ausdehnung wiederzugeben, deren sie überhaupt fähig ist, eben weil der Zweck, den sie verfolgt, nur auf eine bestimmte Spezialisierung dieser Begriffsbildung hinaus will.
Wir nehmen nunmehr an, alle Arbeit sei getan und wir hätten, statt der einzelnen konkreten Wissenschaften, nur noch die Formentypen dieser Wissenschaften vor uns. Dann ist über das Formale des Resultats zu sagen, daß die hier vollzogene Tätigkeit doch nicht mehr zum Pflichtenkreis der Einzelwissenschaften gehören kann. Ist das der Fall, so muß es noch eine Wissenschaft geben, die auf die Technik aller Einzelwissenschaften reflektiert, das ist, die sich ausdrücklich mit den Kunstgriffen befaßt, die die Einzelwissenschaften anwenden, um mit der Unübersehbarkeit der Wirklichkeit fertig zu werden. Diese Wissenschaft nennt man die Erkenntnistheorie oder besser die  Erkenntniskritik.  Die Erkenntniskritik hat also zu entscheiden, ob die Objektivität ein theoretisch begründetes Problem ist oder nicht.

Um uns ungefähr darüber zu orientieren, nach welchen Richtungen die Entscheidung fallen kann, stellen wir folgende Überlegung an. Wenn die Kritik des Erkennens auf die ihr unterstellten Begriffstypen hinblickt, so sieht sie in einem jeden von ihnen das Logische gewissermaßen in einem anderen Aggregatzustand. Einer dieser Aggregatzustände muß der objektive sein. Unter den gegenwärtigen Erkenntnistheoretikern kennt RICKERT zwei typische Prozesse der Begriffsbildung, einen individualisierenden, in dem wir die Gegebenheit unter Beibehaltung ihrer Individualität umformen (1) und einen generalisierenden, in dem wir nicht das Hier und Jetzt des Dings, sondern seinen allgemeinen, permutierbaren [vertauschbaren - wp] Inhalt meinen. Beide Arten der Begriffsbildung sehen auf verschiedene Einheitsgebilde hinaus, die wir die individuellen und spezifischen Allgemeinheiten nennen wollen. (2)

Die Objektivität muß danach entweder in das Gebiet der individuellen oder in das der spezifischen Allgemeinheiten fallen. Das auszeichnende Merkmal der Objektivität sollte sein, daß sie als Frage aus der definitorischen Natur des Wissens überhaupt aufsteigt. Da die individuellen Allgemeinheiten nie ohne das gegebene Hier und Jetzt der Welt auskommen können, so haben sie die wirkliche Existenz und Erfahrbarkeit der Dinge zur unumgänglichen Voraussetzung. Die Objektivität aber ist als zeitloses Problem von allem Existenzialen unabhängig, folglich kann sie nicht in das Reich der individuellen Allgemeinheiten fallen. Die spezifischen Allgemeinheiten erheben sich zwar ebenso wie die individuellen über die einmalige Zufälligkeit der Dinge. Gleichwohl ist ihnen die Zufälligkeit nicht wesentlich, denn sie  meinen  nicht das Individuelle der Wirklichkeit, sondern die "Idee" der Wirklichkeit. Wir wissen noch nicht, inwieweit sich dieses "Meinen" über seine psychologische Grundlage erheben kann. Einstweilen steht so viel fest: entweder gibt die Tatsächlichkeit des Erfahrens dem Objektivitätsproblem überhaupt keine Resonanz oder sie gibt sie ihm in spezifisch allgemeinen Sätzen, deren  inhaltliche  Beschaffenheit keinerlei Anweisung mehr erteilt auf irgendetwas Existentiales, weder auf die äußere Wirklichkeit, noch auf die psychologische Geistesbeschaffenheit des Menschen. Ob das Objektivitätsproblem eine Erfüllung in der Wirklichkeit findet oder nicht, ist gegenwärtig gleichgültig. Uns ist vorderhand nur die Definition des Problems wichtig, die wir jetzt dahin aussprechen können: Das Objektivitätsproblem ist der Inbegriff sämtlicher Fragen, die sich auf die Natur und die Geltungsberechtigung all der generalisierenden Allgemeinheiten beziehen, deren Wahrheitsanspruch von allen physischen oder psychologischen Gegebenheiten unabhängig ist.

Die Objektivität  findet  eine Erfüllung in der Wirklichkeit. Mit dieser Feststellung biegen wir wieder in die Pfade der Geschichte ein. Gewisse Sätze der Mathematik und gewisse Gesetze der Mechanik deuten, wie KANT sagt, auf ein System von Wahrheiten hin, das nur durch Inhaltsgesetze beherrscht wird und keinerlei psychologische Reste mehr trägt von dem, der es denkt: dem Menschen. Nennen wir diese Sätze einmal theoretisch fundierte, so ist die Kritik der reinen Vernunft das System der theoretisch fundierten Wahrheiten. In der Kritik der Urteilskraft beschäftigte KANT dagegen teils der weitere Ausbau des Systems der reinen Vernunft, teils die eigentümliche Natur gewisser Erkenntnisse, die den theoretisch fundierten nahe verwandt schienen und die sich dennoch nicht in ihr System hineinschicken wollten. Diese Sätze waren, wie wir heute wissen, teils versteckt theoretisch, teils echt anthropologisch fundierte Sätze, beide mit generalisierender Begriffsbildung. Demgemäß gehört die ganze Kritik der reinen Vernunft und ein Teil der Kritik der Urteilskraft in das Objektivitätsproblem hinein.

Diese Andeutungen lassen schon die bedeutenden Schwierigkeiten erraten, die die erste Darstellung des Objektivitätsproblems umgeben. KANT hat seine Gedanken über die Objektivität nicht systematisch zusammengefaßt und dieser Umstand bewirkt es, daß man nach bloß  historischen  Fingerzeigen seine Theorie nicht darstellen kann. Man sieht sich darum genötigt, mit einem fertigen Konstruktionsplan an KANT heranzutreten und diesem gemäß das historische Material zu sichten. Einen solchen Plan zu entwerfen, versuchen wir jetzt.

Die Objektivität, so hatten wir gesehen, erscheint äußerlich in der Gestalt eines Systems. Es scheint darum geraten, beid der Betrachtung der Objektivität von der vollendeten Tatsache des Systems der objektiven Sätze auszugehen. Dies ist nicht empfehlenswert, denn, was der Sache nach das erste ist, ist hier nicht das erste für uns. Gemäß der diskursiven Beschaffenheit unseres Geistes können wir nur das begreifen, was wir haben entstehen sehen. Wir müssen also, wollen wir das Wesen der Objektivität fassen, ihre Entstehungsgeschichte schreiben.

Es würde aber eine Entstehungsgeschichte im gewöhnlichen Sinne nicht das mindeste nützen. Die würde uns nur sagen, wie, wo und wann die einzelnen zur Objektivität gehörigen Lehrstücke gefunden seien, ohne über das eigentlich Bedeutsame, ihre inhaltliche Verknüpfung etwas zu berichten. Die Objektivitätsgeschichte muß darum nach einer gewissen transzendentalen Darstellungsart geschrieben werden. Hierunter würde ich eine solche Behandlung der Objektivität verstehen, die diese zunächst als ein Faktum nimmt und dann zeigt, wodurch dieses Faktum  möglich  geworden ist. Eine solche Dekomposition erkenntnismäßiger Tatsachen kann man sich auf doppelte Weise denken. Erstens auf syllogistischem Wege. Diesen Weg betritt eine Darstellung, die zunächst die allgemeinen Prämissen der Tatsache angibt und dann auseinandersetzt, wie die Tatsache sich aus diesen Prämissen entwickelt. Man nimmt also bei dieser Art, die Dinge anzufassen, die Objektivität als eine Gegebenheit und leitet diese Gegebenheit aus ihren Bedingungen ab. Die Durchführung dieses Prinzips, die Objektivität aus ihren allgemeinen Möglichkeiten zu begreifen, würde uns aufgeben, zunächst von den syllogistischen Oberwerten, den  Bedingungen  der Objektivität, zu handeln.

Eine zweite Möglichkeit, die Objektivität auseinanderzunehmen oder vielmehr ihre Entstehungsgeschichte auf transzendentale Art zu schreiben, gibt uns die deskriptive Auflösung der Objektivität in letzte, nicht einfacher zu charakterisierende Urbestandteile. Dies ist ein Verfahren, das mit dem des Chemikers einige Ähnlichkeit hat, der einen zu untersuchenden Stoff in seine letzten Elemente zerlegt. Diese Erinnerung ist nur ein Bild, gewiß, trotzdem aber scheint mir die Charaktersierung dieser letzten deskripitiven Bestandteile als Elemente zu glücklich, als daß ich auf diesen Ausdruck verzichten möchte. So werden wir denn zweitens von  Elementen  der Objektivität reden.

Aus Bedingungen und Elementen kann man a priori noch ein Drittes ableiten, nämlich die eigentümliche und vollkommen unverwechselbare  Form,  in der die Objektivität jederzeit erscheint. Die Form ist als die apriorische Anpassung der Elemente an die Bedingungen zu bezeichnen. Diese Auffassung der Form gibt einen dritten apriorischen Gesichtspunkt für eine transzendentale Geschichtsschreibung der Objektivität.

Wir wollen uns diese Einteilungsmöglichkeiten zunutze machen und unseren Stoff nachden  Bedingungen  disponieren, den  Elementen  und der  Form  der Objektivität. Dabei vergessen wir nie, daß diese Topographie im Subjekt, nicht im Objekt liegt, daß wir in Wirklichkeit ein einiges logisches Phänomen vor uns haben, das alle die Merkmale, die unser Verstand gesondert vorstellen muß, in organischem Verbundensein einigt. Hiermit haben wir die eine Gruppe von Einteilungsprinzipien für unsere Arbeit gewonnen. Diese drei Stichworte: Bedingung, Element, Form, hat erst die spätere Untersuchung zu fest umgrenzten Begriffen zu machen; hier genügt es, wenn sie als Überschriften verständlich sind.

Unser Programm einer problemgeschichtlichen Darstellung der Objektivität gibt noch ein anderes Einteilungsprinzip an die Hand, das jenes erste kreuzt, ohne es zu stören. Das sukzessive Hervortreten der einzelnen, zum Problem gehörigen Lehrstücke legt den Gedanken nahe, das geschichtliche Werden oder Gewordensein der Objektivität in Abschnitte zu zerlegen und den dazu benutzten Einteilungsgrund derart zu einem weiteren Einteilungsgrund unseres Buches zu machen, daß wir, ihm folgend, die Bedingung, die Elemente und die Form der Objektivität in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung historisch veranschaulichen. Da KANT die entscheidende Wendung in der Geschichte unseres Problems bedeuten, so ist es gegeben, ihn zum Drehpunkt des Ganzen zu machen und drei Phasen zu unterscheiden, die zu benennen wären: Das Objektivitätsproblem vor KANT, das Objektivitätsproblem bei KANT, das Objektivitätsproblem nach KANT. Auch dieses zweite Einteilungsprinzip unseres Gegenstandes ist nicht historisch, sondern nur pseudo-historisch. Den Ausdrücken: vorkantisch, kantisch, nachkantisch geht, so seltsam das zunächst klingen mag, jede  wesentliche  Beziehung auf die Zeit ab; sie sind systematische Werte, die nur eine kurze Bezeichnung, ein "Siegel" für ganz bestimmte typische und systematische Zuordnungen der erkenntnistheoretischen Mittel vorstellen. Der Ausdruck  vorkantisch  meint deshalb nur die typische Inangriffnahme des Problems vor KANT (die ganz gut noch in der Gegenwart geübt werden kann und geübt wird.) Den Ausdruck  kantisch  mag man durch "kritisch" ersetzen. Dem Ausdruck  nachkantisch  entspricht ebenfalls kein chronologischer Wert, er geht nicht auf das, wodurch die Literatur über die kritische Objektivität seit KANT vermehrt, sondern auf das, wodurch sie bereichert ist.

In der äußeren Ökonomie unseres Buches wenden wir die Einteilung der Objektivität in eine vorkantische, eine kantische und eine nachkantische an, um drei  Hauptteile  zu schaffen. Die Einteilung in Bedingungen, Elemente und Form dagegen hat den Zweck, diese Hauptteile allerorten in  Kapitel  zu zerfällen. Will man das Verhältnis dieser beiden einander überkreuzenden Einteilungsprinzipien in ein Bild bringen, so denke man sie sich wie die Breiten- und Längengrade auf dem Globus. Die Bedingungen, Elemente und die Form durchschneiden, den Breitenkreisen vergleichbar, alle geschlossenen Lehren der Objektivität und bestimmen in dieser Eigenschaft im ersten Buch die Kapiteleinteilung der vorkantischen, im zweiten die der kantischen, im dritten die der nachkantischen Denkgebilde. Was das erste Prinzip dadurch den Breitenkreisen vergleichbar, daß es die durchgehende Einteilung in  Kapitel  bestimmte, so ist das zweite Prinzip darin den Längenkreise ähnlich, daß es eine segmentartig zusammenschließende Anordnung in  Hauptteile  ermöglicht.

Von diesen Teilen bringt der erste das Wesentliche, was  heute noch  an vorkantischen Bestandteilen in den Bedingungen, den Elementen und der Form der Objektivität erhalten hat. Die Behandlungsart, die diese vorkantischen Lehrstücke, diese Platonismen nötig machen, ist eine polemische. Die Polemik ist eine einheitliche, denn sie bekämpft einen systematischen Grundfehler, der in den Platonismen der Bedingungen, Elemente und der Form der Objektivität nur in verschiedenen Gestalten auftritt. Die Natur dieses Fehlers ist schon früher angedeutet worden: sie besteht in der Verquickung des Logischen mit dem Existentialen. Der erste Teil des Buches bringt so in historischem Gewand eine systematische Vorarbeit.

Nachdem solchermaßen ein Baugrund gewonnen ist, gibt der zweite Teil in drei Kapiteln mit den angekündigten Überschriften das, was KANT von der Objektivitätslehre ausgeführt hat. Die Technik der Darstellung dieses Teils gehört, wie wir früher sagten, unter die oben charakterisierten Geschichtsbetrachtungen vom Standpunkt des  Problems  aus. Der Verfasser hat darum aus der Fülle kantischer Entwürfe nur das heute noch Lebendige und Entwicklungsfähige herausgehoben. Ferner hat er sich erlaubt, an einzelnen Punkten auf die abhängigen oder unabhängigen Fortbildungen hinzuweisen, die die kantischen Gedankenreihen erfahren haben. An diese vereinzelten Hinweisungen des zweiten Teils knüpft der dritte Teil an. Er ist der Epilog der Arbeit, wie der erste ihr Prolog war. Wie der erste bringen mußte, was systematisch  vor  KANT liegt, so bringt der letzte, was systematisch  hinter  KANT liegt. Selbstverständlich ist die Objektivitätslehre nicht fertig gepanzert, wie ATHENE aus dem Haupt des ZEUS, aus dem Kopfe KANTs vor die Welt getreten. Sie ist vielmehr auch heute noch auf ansehnliche Strecken eine "projektierte" Wissenschaft, daher ist denn a fortiori [umso mehr - wp] die Fassung, die ihr KANT gegeben hat, korrekturbedürftig und ergänzungsbedürftig. Sie ist korrekturbedürftig, denn KANT hat seine Objektivitätslehre keineswegs so sorgfältig jenseits von Anthropologie und Psychologie gestellt, wie es das logische Gewissen der Gegenwart fordert. Noch mehr ist sie ergänzungsbedürftig. Von den Problemen, deren Wesen wir hier schon übersehen können, hat KANT das Verhältnis der theoretischen zur anthropologischen Fundierung nicht genügend erklärt.

Nach einer anderen Art, die Dinge einzuteilen, kann man sagen: Die  Fundierungsverhältnisse  und die  Umfangsverhältnisse  der kantischen Lösung sind es, die den intellektuellen Instinkt der Gegenwart beunruhigen. Bezüglich der  Fundierung  empfindet man es schmerzlich, daß KANT sich zuwenig auf die Logik gestützt und sich zu sehr an den Bau der Mathematik und Mechanik angelehnt hat. Wir müssen uns bestreben, diese, einzelnen Fachwissenschaften entnommenen Stützen allmählich durch rein logische zu ersetzen. Dies wird erst dann möglich sein, wenn die Untersuchungen, die RIEHL, COHEN, von KRIES auf der einen, HUSSERL auf der anderen Seite angebahnt haben, eine Anzahl von Begriffen, die aus der Mathematik genommen sind und deshalb in der Logik bislang nur symbolisch figurieren, mit wirklich logischem Gehalt erfüllt haben werden. Der letzte Teil unseres Buches berichtet in drei Kapiteln unter den gewohnten Überschriften: Bedingungen, Elemente und Form über die bisherigen Erfolge dieser Arbeit. Die  Umfangsverhältnisse  der kantischen Lösung sind deshalb nicht eindeutig, weil sich bei KANT zwei keineswegs sicher charakterisierte Typen objektivierender Begriffsbildung finden, die er die  universellen  und die  generellen  Regeln nennt. Historisch gehören von diesen beiden Typen die universellen Regeln der Kritik der reinen Vernunft, die generellen der Kritik der Urteilskraft zu. Systematisch aber haben wir im zweiten Teil des Buches die nötigen Mittel noch nicht, diese beiden Typen gehörig zu kennzeichnen. Da gleichwohl eine Kantdarstellung durchaus mit ihnen zu rechnen hat, so mögen hier die zwei Merkmale angegeben werden, durch die KANT sie schied.
    Erstens. Den universellen Regeln ist der Begriff der Ausnahme fremd, die generellen Regeln dagegen sind solche, "die im Durchschnitt am öftesten zutreffen, nicht aber solche, die jederzeit und notwendig gültig sein müssen." (3)

    Zweitens. Die universellen Regeln gelten für jeden möglichen Verstandesgebrauch, sie sind von der Natur der endlichen Vernunft vollkommen unabhängig: die generellen Regeln dagegen sind ausdrücklich Maximen der menschlichen Vernunft.
Da gelegentlich beiden Regelklassen die Objektivität zugesprochen wird, so ist diese scheinbare Differenzierung der Objektivität wichtig genug, um gleich im Eingang der Arbeit durch eigene Ausdrücke festgehalten zu werden. Wir lassen, trotz gewisser logischer Schwierigkeiten, die von KANT geschaffenen Ausdrücke universell und generell bestehen. Für diese Entscheidung spricht hauptsächlich der Grund, daß LOTZE in seinern Logik die beiden fraglichen Ausdrück in dem von KANT ihnen verliehenen Sinne befestigt und sie in diesem sprachüblich gemacht hat. Wir schließen die Einleitung mit einer geschichtlichen Skizze der Entstehungsgeschichte des Wortes "Objektivität" und seines Widerspriels, des Wortes "Subjektivität".

3. Antike und moderne Objektivität.
Skizze einer Geschichte der Worte 'subjektiv' und 'objektiv'.

Die Objektivität, als Inbegriff der universellen und generellen Regeln, hat sich erst nach einer langen Entwicklung aus dem allgemeinen Wahrheitsbegriff herausgeschält. Wir wollen von dieser Entwicklungsgeschichte hier eine systematische Projektion geben. Dazu ist es nötig, einen neuen Begriff einzuführen. Ich habe vorhin gesagt, die Bedeutungseinheiten träten, wenn die Zeit gekommen sei, rein hervor, seien dagegen in ihren primitiven Formen mit einer bestimmten historische Amalgamierung behaftet. Diese Amalgamierung aber braucht, wie jetzt gesagt werden muß, keineswegs eine historisch zufällige zu sein, sondern kann auch durch eine sachliche Wahlverwandtschaft ihrer Elemente verursacht werden. Da die einzelnen Problemkreise sich erst im Laufe der Geschichte gegeneinander abgrenzen, so geschieht es oft, daß eine frühere Generation da nur  einen  Kreis sieht, wo eine spätere eine ganze Anzahl ineinander übergreifender Kreise feststellt. Man sollte zunächst meinen, die jeweiligen Lösungsversuche seien wohl zu vereinen und könnten in sich einen Fortgang haben, indem die frühere Lösung der späteren ebenso voranging, wie etwa in einem Buch der allgemeine Teil der Einzelausführung vorangeht. Das ist nicht der Fall. Wenn disparate Probleme in eins behandelt werden, so ergibt das nicht eine Problemsumme, sondern eine Problemverschmelzung. Es entsteht dann ein vollkommen neues Scheinproblem, aus dessen Lösung nicht das mindeste zu lernen ist für die Behandlung der realen Einzelprobleme, die seine Elemente bilden. Dieser Fehler in der Problemauffassung läßt sich sachlich nachweisen und verdient darum den Namen des  typischen Fehlers.  Streift man diesem Gedanken seine negierende Fassung ab und richtet sein Augenmerk nur darauf, ob die Spezifizierung der Probleme vollzogen ist oder nicht, so erhält man den Begriff der "typischen Lösung". Hierunter wollen wir den sachlichen Inbegriff all der Lösungen verstehen, die, bei allem Wechsel der Zeit und der äußeren Formulierung, die gleiche logische Zuordnung der Problemkreise haben.

Die Geschichte des Objektivitätsproblems zeigt uns zwei typische Lösungen, eine spezifisch antike und eine spezifisch moderne. Das Wesentliche der antiken Lösung ist der Ideenlehre PLATOs entnommen; wir wollen sie daher kurz die platonische nennen. Die Anlage der modernen Lösung ist von KANT gegeben; sie heißt daher kurzweg die kantische. Die antike Lösung begeht den typischen Fehler, das Objektivitätsproblem mit dem  Existenzproblem  zu vermengen. Das Typische der modernen Lösung ist, daß sie die Grenzlinie des Problems genau zufolge dem Gesetz seines Inhaltes zieht. Aus einer sachlichen Vergleichung dieser historischen Typen wird auch für uns viel zu lernen sein. Ein typischer Fehler ist, aus systematischen Gründen nicht auf die Zeit beschränkt, in der er zuerst begangen wurde, er muß vielmehr, auch nachdem das Richtige gefunden ist, überall da wiederkehren, wo ein undankbares Gedächtnis einzelner Forscher oder Forschergenerationen die inzwischen erworbenen Denkmittel vergessen hat.

Als typischen Fehler der - historisch - antiken Objektivität hatten wir ihre durchgehende Abhängigkeit von Wirklichkeitsmomenten genannt. Statt einer Sammlung historischer Beweisstücke mag, sie vertretend, die Autorität PRANTLs stehen. PRANTL schreibt in seiner Geschichte der Logik im Abendland über antike und moderne Objektivität (4): "Hierin aber erkennen wir deutlich, daß die aristotelische Philosophie eben doch nur innerhalb des antiken idealen Objektivismus verweilt, welcher bei einer poetischen (PLATO) oder begrifflich verstandesmäßigen (ARISTOTELES selbst) Verklärung der Objektivität (5) sich beruhigt, wohingegen der objektive Idealismus (wohl unsere jetzige Aufgabe der Philosophie) in den Wurzeln der Subjektivität das Objekt bereits besitzen und in der Entfaltung dieses seines Eigentumes die Selbstentwicklung des menschlich möglichen Wissens erreichen würde." Der zweite Teil des Satzes ist bedenklich und ich kann seine Auffassung der modernen Objektivität nicht annehmbar finden, aber der im ersten Teil gebrauchte Ausdruck der "Verklärung" ist äußerst glücklich und mit Vorteil zu verwenden. In der Tat scheint auch mir der Fehler aller antiken Objektivitätsbegründungen darin zu liegen, daß man die gegebenen Verhältnisse, wie sie waren, ins Absolute "verklärte", anstatt aus ihnen zuvor die Teile auszumerzen, die in der Objektivität selbst gänzlich unwirksam sind.

Wir sagten, die antike Objektivität habe sich noch in einzelnen Mißverständnissen der modernen Objektivitätslehre erhalten. Der Strom der Geschichte hat gewisse Begriffskomplexe in die moderne Philosophie hineingetragen, die man unbedenklich zu verwenden pflegt, ohne sie auf ihre "Wertigkeit" zu prüfen. Die folgende Untersuchung soll zeigen, aus welchen Gründen diese Vergangenheit heute noch eine Wirklichkeit ist. Diese Arbeit wird dadurch erleichtert, daß der Einfluß der antiken Objektivität auf unsere modernen Vorstellungen sich durch genau zu bezeichnende Kanäle vollzieht oder daß der Übergang der antiken in die moderne Objektivität eine durchaus wiederfindbare Straße geht. Die Straße ist wie durch Meilensteine bezeichnet durch die verschiedenen Bedeutungen, die die Worte Subjekt und Objekt im Wandel der Zeiten angenommen haben.

Die Geschichte der Worte Subjekt und Objekt ist heute noch praktisch bedeutsam, denn sie hat den Worten  Subjekt  und  Objekt  einen gewissen, aus vielen vergessenen Einzelheiten zusammengewobenen Akzent gegeben. Der steht auf gegenwärtig als ein gefühlsmäßiges Apriori vor der Definition der Worte Subjekt und Objekt. Sprachlich offenbart sich dieser Akzent in gewissen Herkömmlichkeiten der philosophischen Fachsprache, psychologisch in gewissen "Mitbezeichnungen", die den eigentlichen definitorischen Kern von Subjekt und Objekt wie eine Aureole [Lichtkranz - wp] umschweben. Wir müssen deshalb feststellen, wie dieses Apriori geschichtlich entstanden ist und wie es sich in den Geistern hat festsetzen können.

Der Ausdruck  Subjekt  tritt nach PRANTL als  subjectum  zuerst bei BOETHIUS auf und bedeutet das logische Subjekt in den Urteilen; ihm ist erkenntnistheoretisch nicht das Objekt entgegengesetzt, sondern das Prädikat (praedicatum) (6). Das Wort  subjectum  aber ist nur ein gleichwertiger Ersatz für die bislang gebrauchte Bezeichnung  substratum  und  substratum  ist die Übersetzung des aristotelischen Ausdrucks "hypokeimenon" [das vom Erkennen unabhängige Sein - wp]. Dieser aristotelische Begriff geht weit über die Grenzen der Logik hinaus, denn er ist nicht nur das Subjekt der Prädikate im Urteil, sondern auch das, was als metaphysische Wesenheit der Dinge all ihren wirklichen Bestimmtheiten zugrunde liegt. (7) So sind in den Ausdruck "subjectum" als Übersetzung von "hypokeimenon"  metaphysische  Werte eingeschmolzen. Diese Begleitwerte erklären das Amt und den Rang, den das subjectum in der mittelalterlichen Philosophie inne hat. Während wir heute gewohnt sind, das Subjektive in die Nähe des Willkürlichen zu rücken, ist umgekehrt in der mittelalterlichen Philosophie das Subjektive gerade das Überindividuelle, das Geltende.

JOHANNES DUNS SCOTUS gibt, vermutlich unter dem Einfluß AVICENNAs dem Ausdruck  subjectivum  einen Gegensatz im Ausdruck  objektivum.  Das Subjektive bedeutet von nun an immer das Gegenständliche, das, was sich auf das Subjekt der Urteile und die konkreten Gegenstände bezieht, während das Objektive das bezeichnet, "was in bloßem  obiicere,  das heißt Vorstelligmachen, liegt und hiermit auf Rechnung des Vorstellenden fällt." (8) Der damalige Sprachgebrauch war also das genaue Gegenteil des heute üblichen. WILHELM von OCKHAM nivelliert das Subjektive zum Objektiven, da nach seiner Lehre die psychischen Vorgänge, die das Wesen des Subjektiven ausmachen, der vorgestellten Außenwelt völlig adäquat sind. Ich erwähne diese Episode aus der Geschichte des Subjektiven und Objektiven darum, weil sie ein Vorspiel mit vertauschten Namen zur großen Auflösung des Objektiven in das Subjektive ist, die später HUME vollzog. Man sieht übrigens aus diesem Beispiel wieder, wie nahe sich OCKHAM und HUME stehen.

Ihre moderne und uns geläufige Bedeutung erhalten die Ausdrücke subjektiv und objektiv nach PRANTL erst bei BAUMGARTEN. BAUMGARTEN war ein älterer Zeitgenosse KANTs, es wirkte daher die alte Bedeutung des Gegensatzes subjektiv-objektiv noch in den Denkgewohnheiten nach und mag sich aus diesem Nachwirken manche sonst rätselhafte Begriffsbestimmung KANTs, zum Beispiel die Subjektivität des Raumes, begreiflich machen.

LEIBNIZLEIBNIZ war es, vielleicht unter dem Einfluß einer gewissen Memorialformel JOHANNES von GERSONs üblich geworden, den Ausdruck Subjekt nicht nur für das  Urteilssubjekt,  sondern auch für das  urteilende  Subjekt, das ist für das einzelne Individuum, zu gebrauchen. Eine seltsame Ironie, beinahe ein Witz der Geschichte also will es, daß gerade der Begriff, den ARISTOTELES jenseits aller Beliebigkeit und Zufälligkeit stellen wollte, schließlich zur Bezeichnung des Flüchtigsten und Schwankendsten in der Natur dienen muß. Diese Neuerung ändert den Gegensatz von Subjekt und Objekt; er wird aus einem metaphysischen zu einem psychologischen. Sie ändert aber nicht das eigentümliche Wertfühlen, das als eine besondere "Mitbezeichnung" diesen Gegensatz begleitete. In der Philosophie BERKELEYs und HUMEs ist das Objekt jetzt ein Bündel von Vorstellungen, das sein Dasein allein dem erkennenden Subjekt verdankt. Das Subjektive bleibt also zwar nicht die metaphysische, wohl aber die  psychologische  Substanz des Objektiven. Die Philosophie KANTs vollzieht die große innere Umwandlung und Verselbständigung beider Begriffe. Aber auch sie hat es zunächst nicht vermocht, die Macht des ARISTOTELES völlig zu brechen. Fast alle Nachfolger KANTs haben versucht, das Subjekt, das heißt jetzt das Ich und seine "Handlungen" irgendwie zur Substanz des Objektiven zu machen und sogar HEGEL, der das Subjekt im  Ethischen  so haßt, ordnet die objektive  Logik  der subjektiven unter. Inzwischen aber hatte auch das Objekt neue Bedeutungselemente in sich aufgenommen.

Nach dem GRIMMschen Wörterbuch taucht zuerst im sechzehnten Jahrhundert das Wort  Gegenstand  auf und zwar zunächst als Wechselausdruck für Widerstand. (Auf diese alte Bedeutung hat später noch einmal FICHTE zurückgegriffen, denn er erklärte, der Gegenstand sei nichts als der Widerstand gegen das absolute Tun des Ich.) Der Gegenstand wurde allmählich wissenschaftsfähig und die deutschschreibende Philosophie übersetzte durch ihn das Wort "Objekt". Der Charakter des Widerstrebens, der dem Gegenstand durch seine sprachliche Herkunft eingeboren war, erwies sich als sehr nützlich, denn er half das Objekt zu einem selbständigen Wert festigen. Der Gegenstand  stand  dem Subjekt als eine Macht gegenüber, die jedenfalls anerkannt, vielleicht bezwungen werden mußte. GOTTSCHED machte mit der neuen Bedeutung das neue Wort zum unverlierbaren Eigentum der wissenschaftlichen Sprache. - Solche Eigentöne vibrierten im Wort Gegenstand mit, als es an das Ohr KANTs schlug. KANTs Philosophie endlich gab der Geschichte des Wortes "objektiv" ihren Abschluß, denn sie legte die Selbständigkeit, die dem Objekt bislang immer versagt geblieben war und die den Gegenstand nur gefühlsmäßig begleitete, wissenschaftlich fest: in der  Gegenstandseinheit. 

Wir gehen nun dazu über, die antiken Bestandteile in den hauptsächlichsten modernen Objektivitätstheorien nachzuweisen und beginnen mit den Platonismen in den  Bedingungen  der Objektivität.

LITERATUR - Friedrich Kuntze, Die kritische Lehre von der Objektivität - Versuch einer weiterführenden Darstellung des Zentralproblems der kantischen Erkenntniskritik, Heidelberg 1906
    Anmerkungen
    1) EDMUND HUSSERL hat in seinen Logischen Untersuchungen (Halle 1900 und 1901, Bd. II, Seite 109) eine terminologisch ähnliche Unterscheidung. Sachlich aber kommt HUSSERL zu anderen Ergebnissen als RICKERT.
    2) HEINRICH RICKERT, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1902, Seite 99f und 336f
    3) KANT, Werke V, Ausgabe HARTENSTEIN (1867-68), Seite 38
    4) CARL PRANTL, Geschichte der Logik im Abendlande, Bd. 1, 1855, Seite 119
    5) Besser Wirklichkeit.
    6) PRANTL, ebenda, Seite 696
    7) PRANTL, ebenda, Seite 211, 217f
    8) PRANTL, ebenda, Band III, Seite 208, Anmerkung 165