tb-1Prolegomena einer jeden künftigen Metaphysik     
 
IMMANUEL KANT
Kritik der reinen Vernunft
[3/8]
    GeleitwortWidmungVorredeEinleitung
Transzendentale Elementarlehre
Teil 1:Transzendentale Ästhetik
1. Abschnitt: Vom Raum
2. Abschnitt: Von der Zeit
Teil 2: Transzendentale Logik
1. Abteilung: Transzendentale Analytik
2. Abteilung: Transzendentale Dialektik

"Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand besteht, so muß dadurch dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden; denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstand, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, obgleich sie etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte. Nun würde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstände, gültig wäre. Es ist aber klar, daß, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt ist, nach einem Merkmal der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne."

"Man kann es als eine sichere und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, jederzeit eine Logik des Scheins, d. h. dialektisch sei. Denn da sie uns gar nichts über den Inhalt der Erkenntnis lehrt, sondern nur bloß die formalen Bedingungen der Übereinstimmung mit dem Verstand, welche übrigens in Anbetracht der Gegenstände gänzlich gleichgültig sind; so muß die Zumutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um seine Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten."

I.
Transzendentale Elementarlehre

Zweiter Teil
Die transzendentale Logik

Einleitung
Idee einer transzendentalen Logik

I.
Von der Logik überhaupt

Unsere Erkenntnis entspringt aus zwei Grundquellen des Gemüts, deren die erste ist, die Vorstellungen zu empfangen, (die Rezeptivität der Eindrücke) die zweite, das Vermögen, durch diese Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen: (Spontaneität der Begriffe); durch die erstere wird uns ein Gegenstand gegeben, durch die zweite wird dieser, im Verhältnis auf jene Vorstellung (als bloße Bestimmung des Gemüts) gedacht. Anschauung und Begriffe machen also die Elemente aller unserer Erkenntnis aus, so daß weder Begriffe, ohne ihnen auf eine Art korrespondierende Anschauung, nach Anschauung, ohne Begriffe, eine Erkenntnis abgeben kann. Beide sind entweder rein, oder empirisch. Empirische, wenn Empfindung, (die die wirkliche Gegenwart des Gegenstandes voraussetzt) darin enthalten ist: rein aber, wenn der Vorstellung keine Empfindung beigemischt ist. Man kann die letztere die Materie der sinnlichen Erkenntnis nennen. Daher enthält reine Anschauung lediglich die Form, unter welcher etwas angeschaut wird, und reiner Begriff allein die Form des Denkens eines Gegenstandes überhaupt. Nur allein reine Anschauungen oder Begriffe sind  a priori  möglich, empirische nur  a posteriori. 

Wollen wir die Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu empfangen, so fern es auf irgendeine Weise affiziert wird, Sinnlichkeit nennen, so ist dagegen das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontaneität der Erkenntnisse, der Verstand. Unsere Natur bringt es so mit sich, daß die Anschauung niemals anders als sinnlich sein kann, d. h. nur die Art enthält, wie wir von Gegenständen affiziert werden. Dagegen ist das Vermögen, den Gegenstand sinnlicher Anschauung zu denken, der Verstand. Keine dieser Eigenschaften ist der anderen vorzuziehen. Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben, und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe, sind blind. Daher ist es ebenso notwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen, (d. h. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), wie seine Anschauungen sich verständlich machen, (d. h. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen, oder Fähigkeiten, können auch ihre Funktionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen, und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen. Deswegen darf man aber doch nicht ihren Anteil vermischen, sondern man hat große Ursache, jedes vom andern sorgfältig abzusondern, und zu unterscheiden. Daher unterscheiden wir die Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit überhaupt, d. h. der Ästhetik, von der Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt, d. h. der Logik.

Die Logik kann nun wiederum in zweifacher Absicht unternommen werden, entweder als Logik des allgemeinen, oder des besonderen Verstandesgebrauchs. Die erst enthält die schlechthin notwendigen Regeln des Denkens, ohne welche gar kein Gebrauch des Verstandes stattfindet, und geht also auf diesen, unangesehen der Verschiedenheit der Gegenstände, auf welche er gerichtet sein mag. Die Logik des besonderen Verstandesgebrauchs enthält die Regeln, über eine gewisse Art von Gegenständen richtig zu denken. Jene kann man die Elementarlogik nennen, diese aber das Organon dieser oder jener Wissenschaft. Die letztere wird mehrenteils in den Schulen als Propädeutik der Wissenschaften vorangeschickt, obgleich sie, nach dem Gang der menschlichen Vernunft, das späteste ist, wozu sie allererst gelangt, wenn die Wissenschaft schon lange fertig ist, und nur die letzte Hand zu ihrer Berichtigung und Vollkommenheit bedarf. Denn man muß die Gegenstände schon in ziemlich hohem Grad kennen, wenn man die Regeln angeben will, wie sich eine Wissenschaft von ihnen zustande bringen lasse.

Die allgemeine Logik ist nun entweder die reine, oder die angewandte Logik. In der ersteren abstrahieren wir von allen empirischen Bedingungen, unter denen unser Verstand ausgeübt wird, z. B. vom Einfluß der Sinne, vom Spiel der Einbildung, den Gesetzen des Gedächtnisses, der Macht der Gewohnheit, der Neigung etc., mithin auch den Quellen der Vorurteile, ja gar überhaupt von allen Ursachen, daraus uns gewisse Erkenntnisse entspringen, oder unterschoben werden mögen, weil sie bloß den Verstand unter gewissen Umständen seiner Anwendung betreffen, und, um diese zu kennen, Erfahrung erfordert wird. Eine allgemeine, aber reine Logik hat es also mit lauter Prinzipien  a priori  zu tun, und ist ein Kanon des Verstandes und der Vernunft, aber nur in Anbetracht des Formalen ihres Gebrauchs, der Inhalt mag sein, welcher er wolle, (empirisch oder transzendental). Eine allgemeine Logik heißt aber dann angewandt, wenn sie auf die Regeln des Gebrauchs des Verstandes unter den subjektiven empirischen Bedingungen, die uns die Psychologie lehrt, gerichtet ist. Sie hat also empirische Prinzipien, obgleich sie insofern allgemein ist, daß sie auf den Verstandesgebrauch ohne Unterschied der Gegenstände geht. Deswegen ist sie auch weder ein Kanon des Verstandes überhaupt, noch ein Organon besonderer Wissenschaften, sondern lediglich ein Kathartikon [Reinigungsmittel - wp] des gemeinen Verstandes.

In der allgemeinen Logik muß also der Teil, der die reine Vernunftlehre ausmachen soll, von demjenigen gänzlich abgesondert werden welcher die angewandte (obgleich noch immer allgemeine) Logik ausmacht. Der erstere ist eigentlich nur allein Wissenschaft, obgleich kurz und trocken, und wie es die schulgerechte Darstellung einer Elementarlehre des Verstandes erfordert. In dieser müssen also die Logiker jederzeit zwei Regeln vor Augen haben.
    1) Als allgemeine Logik abstrahiert sie von allem Inhalt der Verstandeserkenntnis, und der Verschiedenheit ihrer Gegenstände, und hat mit nichts, als der bloßen Form des Denkens zu tun.

    2) Als reine Logik hat sie keine empirische Prinzipien, mithin schöpft sie nichts, (wie man sich bisweilen überredet hat) aus der Psychologie, die also auf den Kanon des Verstandes gar keinen Einfluß hat. Sie ist eine demonstrierte Doktrin, und alles muß in ihr völlig  a priori  gewiß sein.
Was ich die angewandte Logik nenne, (wider die gemeine Bedeutung dieses Worts, nach der sie gewisse Exerzitien, dazu der reinen Logik die Regel gibt, enthalten soll) so ist sie eine Vorstellung des Verstandes und der Regeln seines notwendigen Gebrauchs  in concreto,  nämlich unter den zufälligen Bedingungen des Subjekts, die diesen Gebrauch hindern oder befördern können, und die insgesamt nur empirisch gegeben werden. Sie handelt von der Aufmerksamkeit, deren Hindernis und Folgen, dem Ursprung des Irrtums, dem Zustand des Zweifels, der Skrupel, der Überzeugung usw. und zu ihr verhält sich die allgemeine und reine Logik, wie die reine Moral, welche bloß die notwendigen sittlichen Gesetze eines freien Willens überhaupt enthält, zur eigentlichen Tugendlehre, welche diese Gesetze unter den Hindernissen der Gefühle, Neigungen und Leidenschaften, denen die Menschen mehr oder weniger unterworfen sind, erwägt, und welche niemals eine wahre und demonstrierte Wissenschaft abgeben kann, weil sie eben sowohl als jene angewandte Logik empirischer und psychologischer Prinzipien bedarf.


II.
Von der transzendentalen Logik

Die allgemeine Logik abstrahiert, wie wir gezeigt haben, von allem Inhalt der Erkenntnis, d. h. von aller Beziehung derselben auf das Objekt und betrachtet nur die logische Form im Verhältnis der Erkenntnisse aufeinander, d. h. die Form des Denkens überhaupt. Weil es nun aber sowohl reine, als auch empirische Anschauungen gibt, (wie die transzendentale Ästhetik dartut), so könnte auch wohl ein Unterschied zwischen reinem und empirischem Denken der Gegenstände angetroffen werden. In diesem Fall würde es eine Logik geben, in der man nicht von allem Inhalt der Erkenntnis abstrahierte; denn diejenige, welche bloß die Regeln des reinen Denkens eines Gegenstandes enthielte, würde alle diejenigen Erkenntnisse ausschließen, welche von empirischem Inhalt wären. Sie würde auch auf den Ursprung unserer Erkenntnisse von Gegenständen gehen, sofern er nicht den Gegenständen zugeschrieben werden kann; da jedoch die allgemeine Logik mit diesem Ursprung der Erkenntnis nichts zu tun hat, sondern die Vorstellungen, sie mögen uranfänglich  a priori  in uns selbst, oder nur empirisch gegeben sein, bloß nach den Gesetzen betrachtet, nach welchen der Verstand sie im Verhältnis gegeneinander braucht, wenn er denkt und also nur von der Verstandesform handelt, die den Vorstellungen verschafft werden kann, woher sie auch sonst entsprungen sein mögen.

Und hier mache ich eine Anmerkung, die ihren Einfluß auf alle nachfolgenden Betrachtungen erstreckt, und die man wohl vor Augen haben muß, nämlich: daß nicht eine jede Erkenntnis  a priori,  sondern nur die, dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich  a priori  angewandt werden, oder möglich sind, transzendental (d. h. die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben a priori) heißen müsse. Daher ist weder der Raum, noch irgendeine geometrische Bestimmung desselben  a priori  eine transzendentale Vorstellung, sondern nur die Erkenntnis, daß diese Vorstellungen gar nicht empirischen Ursprungs sind, und die Möglichkeit, wie sie sich gleichwohl  a priori  auf Gegenstände der Erfahrung beziehen könne, kann transzendental heißen. Desgleichen würde der Gebrauch des Raumes von Gegenständen überhaupt auch transzendental sein: aber ist er lediglich auf Gegenstände der Sinne eingeschränkt, so heißt er empirisch. Der Unterschied des transzendentalen und empirischen gehört also nur zur Kritik der Erkenntnisse, und betrifft nicht die Beziehung derselben auf ihren Gegenstand.

In der Erwartung also, daß es vielleicht Begriffe geben könne, die sich  a priori  auf Gegenstände beziehen mögen, nicht als reine oder sinnliche Anschauungen, sondern bloß als Handlungen des reinen Denkens, die mithin Begriffe, aber weder empirischen noch ästhetischen Ursprungs sind, so machen wir uns im Voraus die Ideen von einer Wissenschaft des reinen Verstandes und der Vernunfterkenntnisse, wodurch wir Gegenstände völlig  a priori  denken. Eine solche Wissenschaft, welche den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit solcher Erkenntnisse bestimmte, würde transzendentale Logik heißen müssen, weil sie es bloß mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zu tun hat, aber lediglich, sofern sie auf Gegenstände  a priori  bezogen wird, und nicht, wie die allgemeine Logik, auf die empirische sowohl, als auch reine Vernunfterkenntnisse ohne Unterschied.


III.
Von der Einteilung der allgemeinen Logik
in Analytik und Dialektik

Die alte und berühmte Frage, womit man die Logiker in die Enge zu treiben vermeinte, und sie dahin zu bringen suchte, daß sie sich entweder auf einer elenden Diallele [Zirkeldefinition - wp] betreffen lassen, oder Ihre Unwissenheit mithin die Eitelkeit ihrer ganzen Kunst bekennen sollten, sit diese: Was ist Wahrheit? Die Namenerklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand sei, wird hier geschenkt, und vorausgesetzt; man verlangt aber zu wissen, welches das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntnis sei.

Es ist schon ein großer und nötiger Beweis der Klugheit oder Einsicht, zu wissen, was man vernünftigerweise fragen solle. Denn wenn die Frage ansich ungereimt ist, und unnötige Antworten verlangt, so hat sie außer der Beschämung dessen, der sie aufwirft, bisweilen noch den Nachteil, den unbehutsamen Anhörer derselben zu ungereimten Antworten zu verleiten, und den belachenswerten Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt und der andere ein Sieb darunter hält.

Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung einer Erkenntnis mit ihrem Gegenstand besteht, so muß dadurch dieser Gegenstand von anderen unterschieden werden; denn eine Erkenntnis ist falsch, wenn sie mit dem Gegenstand, worauf sie bezogen wird, nicht übereinstimmt, obgleich sie etwas enthält, was wohl von anderen Gegenständen gelten könnte. Nun würde ein allgemeines Kriterium der Wahrheit dasjenige sein, welches von allen Erkenntnissen, ohne Unterschied ihrer Gegenstände, gültig wäre. Es ist aber klar, daß, da man bei demselben von allem Inhalt der Erkenntnis (Beziehung auf ihr Objekt) abstrahiert, und Wahrheit gerade diesen Inhalt angeht, es ganz unmöglich und ungereimt ist, nach einem Merkmal der Wahrheit dieses Inhalts der Erkenntnisse zu fragen, und daß also ein hinreichendes, und doch zugleich allgemeines Kennzeichen der Wahrheit unmöglich angegeben werden könne. Da wir oben schon den Inhalt einer Erkenntnis die Materie derselben genannt haben, so wird man sagen müssen: von der Wahrheit der Erkenntnis der Materie nach läßt sich kein allgemeines Kennzeichen verlangen, weil es in sich selbst widersprechend ist.

Was aber die Erkenntnis der bloßen Form nach (mit Beiseitesetzung allen Inhalts) betrifft, so ist ebenso klar: daß eine Logik, sofern sie die allgemeine und notwendigen Regeln des Verstandes vorträgt, eben in diesen Regeln Kriterien der Wahrheit darlegen müsse. Denn, was diesen widerspricht, ist falsch, weil der Verstand dabei seinen allgemeinen Regeln des Denkens, mithin sich selbst widerstreitet. Diese Kriterien aber betreffen nur die Form der Wahrheit, d. h. des Denkens überhaupt und sind sofern ganz richtig, aber nicht hinreichend. Denn obgleich eine Erkenntnis der logischen Form völlig gemäß sein möchte, d. h. sich selbst nicht widerspräche, so kann sie doch noch immer dem Gegenstand widersprechen. Also ist das bloß logische Kriterium der Wahrheit, nämlich die Übereinstimmung einer Erkenntnis mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zwar die  conditio sine qua non  [Grundvoraussetzung - wp], mithin die negative Bedingung aller Wahrheit: weiter aber kann die Logik nicht gehen, und den Irrtum, der nicht die Form, sondern den Inhalt trifft, kann die Logik durch keinen Probierstein entdecken.

Die allgemeine Logik lost nun das ganze formale Geschäft des Verstandes und der Vernunft in seine Elemente auf, und stellt sie als Prinzipien aller logischen Beurteilung unserer Erkenntnis dar. Dieser Teil der Logik kann daher Analytik heißen, und ist eben darum der, wenigstens negative Probierstein der Wahrheit, indem man zuerst alle Erkenntnis, ihrer Form nach, an diesen Regeln prüfen und schätzen muß, ehe man sie selbst ihrem Inhalt nach untersucht, um auszumachen, ob sie in Anbetracht des Gegenstandes positive Wahrheit enthalten. Weil aber die bloße Form der Erkenntnis, so sehr sie auch mit logischen Gesetzen übereinstimmen mag, noch lange nicht hinreicht, materielle (objektive Wahrheit) der Erkenntnis darum auszumachen, so kann sich niemand bloß mit der Logik wagen, über Gegenstände zu urteilen, und irgendetwas zu behaupten, ohne von ihnen vorher gegründete Erkundigung außer der Logik eingezogen zu haben, um hernach bloß die Benutzung und die Verknüpfung derselben in einem zusammenhängenden Ganzen nach logischen Gesetzen zu versuchen, noch besser aber, sie lediglich danach zu prüfen. Gleichwohl liegt so etwas verleitendes im Besitz einer so scheinbaren Kunst, allen unseren Erkenntnissen die Form des Verstandes zu geben, obgleich man in Anbetracht des Inhalts derselben noch sehr leer und arm sein mag, daß jene allgemeine Logik, die bloß ein Kanon zur Beurteilung ist, gleichsam wie ein Organon zur wirklichen Hervorbringung wenigstens dem Blendwerk von objektiven Behauptungen gebraucht, und mithin in der Tat dadurch mißbraucht wurde. Die allgemeine Logik nun als vermeintes Organon, heißt Dialektik.

So verschieden auch die Bedeutung ist, in der die Alten dieser Benennung einer Wissenschaft oder Kunst sich bedienten, so kann man doch aus dem wirklichen Gebrauch derselben sicher entnehmen, daß sie bei ihnen nichts anderes war, als die Logik des Scheins. Eine sopistische Kunst, seiner Unwissenheit, ja auch seinen vorsätzlichen Blendwerken den Anstrich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gründlichkeit, welche die Logik überhaupt vorschreibt, nachahmte, und ihre Topik [ihren Ort - wp] zur Beschönigung jedes leeren Vorgebens benutzte. Nun kann man es als eine sichere und brauchbare Warnung anmerken: daß die allgemeine Logik, als Organon betrachtet, jederzeit eine Logik des Scheins, d. h. dialektisch sei. Denn da sie uns gar nichts über den Inhalt der Erkenntnis lehrt, sondern nur bloß die formalen Bedingungen der Übereinstimmung mit dem Verstand, welche übrigens in Anbetracht der Gegenstände gänzlich gleichgültig sind; so muß die Zumutung, sich derselben als eines Werkzeugs (Organon) zu gebrauchen, um seine Kenntnisse, wenigstens dem Vorgeben nach, auszubreiten und zu erweitern, auf nichts als Geschwätzigkeit hinauslaufen, alles, was man will, mit einigem Schein zu behaupten, oder auch nach Belieben anzufechten.

Eine falsche Unterweisung ist der Würde, der Philosophie auf keine Weise gemäß. Deswegen hat man diese Benennung der Dialektik lieber, als eine Kritik des dialektischen Scheins der Logik zugerechnet, und als eine solche wollen wir sie auch hier verstanden wissen.


IV.
Von der Einteilung der transzendenten Logik
in die transzendentale Analytik und Dialektik

In einer transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand, (so wie oben in der transzendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit) und heben bloß den Teil des Denkens aus unserer Erkenntnis heraus, der lediglich seinen Ursprung im Verstand hat. Der Gebrauch dieser reinen Erkenntnis aber beruht darauf, als ihrer Bedingung: daß uns Gegenstände in der Anschauung gegeben sind, worauf jene angewandt werden können. Denn ohne Anschauung fehlt es all unserer Erkenntnis an Objekten, und sie bleibt dann völlig leer. Der Teil der transzendenten Logik also, der die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis vorträgt, und die Prinzipien, ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann, ist die transzendentale Analytik, und zugleich eine Logik der Wahrheit. Denn ihr kann keine Erkenntnis widersprechen, ohne daß sie zugleich allen Inhalt verlöre, d. h. alle Beziehung auf irgendein Objekt, mithin alle Wahrheit. Weil es aber sehr anlockend und verleitend ist, sich dieser Verstandeserkenntnisse und Grundsätze allein, und selbst über die Grenzen der Erfahrung hinaus zu bedienen, welche doch einzig und allein uns die Materie (Objekte) an die Hand geben kann, worauf jene reinen Verstandesbegriffe angewandt werden können: so gerät der Verstand in Gefahr, durch leere Vernünfteleien von den bloßen formalen Prinzipien des reinen Verstandes einen materialen Gebrauch zu machen, und über Gegenstände ohne Unterschied zu urteilen, die uns doch nicht gegeben sind, ja vielleicht auf keinerlei Weise gegeben werden können. Da sie also eigentlich nur ein Kanon der Beurteilung des empirischen Gebrauchs sein sollte, so wird sie mißbraucht, wenn man sie als das Organonn eines allgemeinen und unbeschränkten Gebrauchs gelten läßt, und sich mit dem reinen Verstand allein wagt, synthetisch über Gegenstände überhaupt zu urteilen, zu behaupten, und zu entscheiden. Also würde der Gebrauch des reinen Verstandes dann dialektisch sein. Der zweite Teil der transzendentalen Logik muß also eine Kritik dieses dialektischen Scheins sein, und heißt, transzendentale Dialektik, nicht als eine Kunst, dergleichen Schein dogmatisch zu erregen, (eine leider sehr gangbare Kunst mannigfaltiger metaphysischer Gaukelwerke) sondern als eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Anbetracht ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken, und ihre Ansprüche auf Erfindung und Erweiterung, die sie bloß durch transzendentale Grundsätze zu erreichen vermeint, zur bloßen Beurteilung und Verwahrung des reinen Verstandes gegen sophistische Blendwerke herabzusetzen.


Erste Abteilung
Die transzendentale Analytik

Diese Analytik ist die Zergliederung unserer gesamten Erkenntnis  a priori  in die Elemente der reinen Verstandeserkenntnis. Es kommt hierbei auf folgende Stücke an.
    1. Daß die Begriffe reine und nicht empirische Begriffe sind.

    2. daß sie nicht zur Anschauung und zur Sinnlichkeit, sondern zum Denken und Verstand gehören.

    3. Daß sie Elementarbegriffe sind und von den abgeleiteten, oder daraus zusammengesetzten, wohl unterschieden werden.

    4. Daß ihre Tafel vollständig sei, und sie das ganze Feld des reinen Verstandes gänzlich ausfüllen.
Nun kann diese Vollständigkeit einer Wissenschaft nicht auf den Überschlag, eines bloß durch Versuche zustande gebrachten Aggregats, mit Zuverlässigkeit angenommen werden; daher ist sie nur mittels einer Idee des Ganzen der Verstandeserkenntnis  a priori  und die daraus bestimmte Abteilung der Begriffe, welche sie ausmachen, mithin wie durch ihren Zusammenhang in einem System möglich. Der reine Verstand sondert sich nicht allein von allem empirischen, sondern sogar von aller Sinnlichkeit völlig aus. Er ist also eine für sich selbst beständige, sich selbst genügsame, und durch keine äußerlich hinzukommenden Zusätze zu vermehrende Einheit. Daher wird der Inbegriff seiner Erkenntnis ein unter einer Idee zu befassendes und zu bestimmendes System ausmachen, dessen Vollständigkeit und Artikulation zugleich ein Probierstein der Richtigkeit und Echtheit aller hineinpassenden Erkenntnisstücke abgeben kann. Es besteht aber dieser ganze Teil der transzendentalen Logik aus zwei Büchern, deren das eine die Begriffe, das andere die Grundsätze des reinen Verstandes enthält.

Erstes Buch
Die Analytik der Begriffe

Ich verstehe unter der Analytik der Begriffe nicht die Analysis derselben, oder das gewöhnliche Verfahren in philosophischen Untersuchungen, Begriffe, die sich darbieten, ihrem Inhalt nach zu zergliedern und zur Deutlichkeit zu bringen, sondern die noch wenig versuchte Zergliederung des Verstandesvermögens selbst, um die Möglichkeit der Begriffe  a priori  dadurch zu erforschen, daß wir sie im Verstand allein, als ihrem Geburtsort, aufsuchen und dessen reinen Gebrauch überhaupt analysieren; denn dieses ist das eigentümliche Geschäft einer Transzendentalphilosophie; das übrige ist die logische Behandlung der Begriffe in der Philosophie überhaupt. Wir werden also die reinen Begriffe bis zu ihren ersten Keimen und Anlagen im menschlichen Verstand verfolgen, in denen sie vorbereitet liegen, bis sie endlich bei Gelegenheit der Erfahrung entwickelt und durch eben denselben Verstand, von denen ihnen anhängenden empirischen Bedingungen befreit, in ihrer Lauterkeit dargestellt werden.


Erstes Hauptstück
Vom Leitfaden der Entdeckung
aller reinen Verstandesbegriffe

Wenn man ein Erkenntnisvermögen ins Spiel bringt, so tun sich, nach den mancherlei Anlässen, verschiedene Begriffe hervor, die dieses Vermögen kennbar machen und sich in einem mehr oder weniger ausführlichen Aufsatz sammeln lassen, nachdem die Beobachtung derselben längere Zeit, oder mit größerer Scharfsichtigkeit angestellt wurde. Wo diese Untersuchung werde vollendet sein, läßt sich, nach diesem gleichsam mechanischen Verfahren, niemals mit Sicherheit bestimmen. Auch entdecken sich die Begriffe, die man nur so bei Gelegenheit auffindet, in keiner Ordnung und systematischen Einheit, sondern werden zuletzt nur nach Ähnlichkeiten gepaart und nach der Größe ihres Inhalts, von den einfachen an, zu den mehr zusammengesetzten, in Reihen gestellt, die nichts weniger als systematisch, obgleich auf gewisse Weise methodisch zustande gebracht werden.

Diese Transzendentalphilosophie hat den Vorteil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstand, als absoluter Einheit, rein und unvermisch entspringen und daher selbst nach einem Begriff oder Idee, unter sich zusammenhängen müssen. Ein solcher Zusammenhang aber gibt eine Regel an die Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine Stelle und allen insgesamt ihre Vollständigkeit  a priori  bestimmt werden kann, welches alles sonst vom Belieben, oder dem Zufall abhängen würde.


Erster Abschnitt
Vom logischen
Verstandesgebrauch überhaupt

Der Verstand wurde oben bloß negativ erklärt: durch ein nichtsinnliches Erkenntnisvermögen. Nun können wir, unabhängig von der Sinnlichkeit, keiner Anschauung teilhaftig werden. Es gibt aber, außer der Anschauung, keine andere Art zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen Verstandes, eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv. Alle Anschauungen, als sinnlich, beruhen auf Affektionen, die Begriffe also auf Funktionen. Ich verstehe aber unter Funktion, die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen. Begriffe gründen sich also auf der Spontaneität des Denkens, wie sinnliche Anschauungen auf der Rezeptivität der Eindrücke. Von diesen Begriffe kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als daß er dadurch urteilt. Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf irgendeine andere Vorstellungen von demselben, (sei sie Anschauung oder selbst schon Begriff), bezogen. Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben. In jedem Urteil ist ein Begriff, der für viele gilt, und unter diesem Vielen auch eine gegebene Vorstellung begreift, welche letztere dann auf den Gegenstand unmittelbar bezogen wird. So bezieht sich z. B. in dem Urteil:  alle Körper sind veränderlich,  der Begriff des Teilbaren auf verschiedene andere Begriffe; unter diesen aber wird er hier besonders auf den Begriff des Körpers bezogen; dieser aber auf gewisse uns vorkommende Erscheinungen. Also werden diese Gegenstände durch den Begriff der Teilbarkeit mittelbar vorgestellt. Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen, da nämlich statt einer unmittelbaren Vorstellung eine höhere, die diese und mehrere unter sich begreift, zur Erkenntnis des Gegenstandes gebraucht, und viele mögliche Erkenntnisse dadurch in einer zusammengezogen werden. Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so daß der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden knn. Denn er ist nach dem obigen ein Vermögen zu denken. Denken ist die Erkenntnis durch Begriffe, Begriffe aber beziehen sich, als Prädikate möglicher Urteile, auf irgendeine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstand. So bedeutet der Begriff des Körpers etwas, z. B. Metall, was durch jenen Begriff erkannt werden kann. Er ist also nur dadurch Begriff, daß unter ihm andere Vorstellungen enthalten sind, mittels deren er sich auf Gegenstände beziehen kann. Er ist also das Prädikat zu einem möglichen Urteil, z. B. ein jedes Metall ist ein Körper. Die Funktionen des Verstandes können also insgesamt gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann. Daß sich dies aber ganz wohl bewerkstelligen lasse, wird der folgende Abschnitt vor Augen stellen.


Zweiter Abschnitt
Von der logischen
Verstandeserkenntnis in Urteilen

Wenn wir von allem Inhalt eines Urteils überhaupt abstrahieren, und nur auf die bloße Verstandesform darin acht geben, so finden wir, daß die Funktion des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden könne, deren jeder drei Momente unter sich enthält. Sie können füglich in folgender Tafel vorgestellt werden.

 
I.
Quantität der Urteile
Allgemeine
Besondere
Einzelne
 
II.
Qualität
Bejahende
Verneinende
Unendliche
 
III.
Relation
Kategorische
Hypothetische
Disjunktive
 
IV.
Modalität
Problematische
Assertorische [als gültig behauptete - wp]
Apodiktische
[logisch zwingende, demonstrierbare - wp]
 

Da diese Einteilung in einigen, obgleich nicht wesentlichen Stücken, von der gewohnten Technik der Logiker abzuweichen scheint, so werden folgende Verwahrungen wider den besorglichen Mißverstand nicht unnötig sein.
    1. Die Logiker sagen mit Recht, daß man beim Gebrauch der Urteile in Vernunftschlüssen die einzelnen Urteile gleich den allgemeinen behandeln köne. Denn eben darum, weil sie gar keinen Umfang haben, kann das Prädikat derselben nicht bloß auf einiges dessen, was unter dem Begriff des Subjekts enthalten ist, gezogen, von einigem aber ausgenommen werden. Es gilt also von jenem Begriff ohne Ausnahme, gleich als wenn derselbe ein gemeingültiger Begriff wäre, der einen Umfang hätte, von dessen ganzer Bedeutung das Prädikat gelte. Vergleichen wir dagegen ein einzelnes Urteil mit einem gemeingültigen, bloß als Erkenntnis, der Größe nach, so verhält sie sich zu diesem, wie Einheit zur Unendlichkeit, und ist also ansich davon wesentlich unterschieden. Also wenn ich ein einzelnes Urteil  (iudicium singulare),  nicht bloß nach seiner inneren Gültigkeit, sondern auch, als Erkenntnis überhaupt, nach der Größe, die es im Vergleich mit anderen Erkenntnissen hat, schätze, so ist es allerdings von gemeingültigen Urteilen (iudicia communia) unterschieden, und verdient in einer vollständigen Tafel der Momente des Denkens überhaupt (obgleich freilich nicht in der, bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten Logik) eine besondere Stelle.

    2. Ebenso müssen in einer transzendentalen Logik unendliche Urteile von bejahenden noch unterschieden werden, wenn sie gleich in der allgemeinen Logik jenen mit Recht beigezählt sind, und kein besonderes Glied der Einteilung ausmachen. Diese nämlich abstrahier von allem Inhalt des Prädikats (obgleich es verneinend ist) und sieht nur darauf, ob dasselbe dem Subjekt beigelegt, oder ihm entgegengesetzt wird. Jene aber betrachtet das Urteil auch nach dem Wert oder Inhalt dieser logischen Bejahung mittels eines bloß verneinenden Prädikats, und was diese in Anbetracht der gesamten Erkenntnis für einen Gewinn verschafft. Hätte ich von der Seele gesagt, sie ist nicht sterblich, so hätte ich durch ein verneinendes Urteil wenigstens einen Irrtum abgehalten. Nun habe ich durch den Satz: die Seele ist nicht sterblich, zwar der logischen Form nach wirklich bejaht, indem ich die Seele in den unbeschränkten Umfang der Nichtsterbenden Wesen setze. Weil nun vom ganzen Umfang möglicher Wesen das Sterbliche einen Teil enthält, das Nichtsterblich aber den anderen, so ist durch meinen Satz nichts anderes gesagt, als daß die Seele eine von der unendlichen Menge Dinge sei, die übrig bleiben, wenn ich das sterbliche insgesamt wegnehme. Dadurch aber wird nur die unendliche Sphäre alles Möglichen insoweit beschränkt, daß das Sterbliche davon abgetrennt, und im übrigen Raum ihres Umfangs die Seele gesetzt wird. Dieser Raum bleibt aber bei dieser Ausnahme noch immer unendlich, und können noch mehrere Teile desselben weggenommen werden, ohne daß darum der Begriff von der Seele im mindesten wächst, und bejahend bestimmt wird. Diese unendlichen Urteile also in Ansehung des logischen Umfangs sind wirklich bloß beschränkend in Anbetracht des Inhalts der Erkenntnis überhaupt, und insofern müssen sei in der transzendentalen Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen nicht übergangen werden, weil die hierbei ausgeübte Funktion des Verstandes vielleicht im Feld seiner reinen Erkenntnis  a priori  wichtig sein kann.

    3. Alle Verhältnisse des Denkens in Urteilen sind die
      a) des Prädikats zum Subjekt
      b) des Grundes zur Folge
      c) der eingeteilten Erkenntnis und der gesamten Glieder der Einteilung untereinander

    In der ersteren Art der Urteile sind nur zwei Begriffe, in der zweiten zwei Urteile, in der dritten mehrere Urteile im Verhältnis gegeneinander betrachtet. Der hypothetische Satz: wenn eine vollkommene Gerechtigkeit da ist, so wird der beharrlich böse bestraft, enthält eigentlich das Verhältnis zweier Sätze: Es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, und der beharrlich böse wird bestraft. Ob beide dieser Sätze ansich wahr sind, bleibt hier unausgemacht. Es ist nur die Konsequenz, die durch dieses Urteil gedacht wird. Endlich enthält das disjunktive [unterscheidende - wp] Urteil ein Verhältnis zweier, oder mehrerer Sätze gegeneinander, aber nicht der Abfolge, sondern der logischen Entgegensetzung, sofern die Sphäre des einen die des andern ausschließt, aber doch zugleich der Gemeinschaft, insofern sie zusammen dies Sphäre der eigentlichen Erkenntnis ausfüllen, also ein Verhältnis der Teile der Sphäre einer Erkenntnis, da die Sphäre eines jeden Teils ein Ergänzungsstück der Sphäre des andern zum ganzen Inbegriff der eingeteilten Erkenntnis ist, z. B. die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da, oder durch innere Notwendigkeit, oder durch eine äußere Ursache. Jeder dieser Sätze nimmt einen Teil der Sphäre des möglichen Erkenntnis über das Dasein eienr Welt überhaupt ein, alle zusammen die ganze Sphäre. Die Erkenntnis aus einer dieser Sphären wegnemen, heißt, sie in eine der übrigen setzen, und dagegen sie in eine Sphäre setzen, heißt, sie aus den übrigen wegnehmen. Es ist also in einem disjunktiven Urteil eine gewisse Gemeinschaft der Erkenntnisse, die darin besteht, daß sie sich wechselseitig einanander ausschließen, aber dadurch doch im Ganzen die wahre Erkenntnis bestimmen, indem sie zusammengenommen den ganzen Inhalt einer einzigen gegebenen Erkenntnis ausmachen. Und dieses ist es auch nur, was ich des folgenden wegen hierbei anzumerken nötig finde.

    4. Die Modalität der Urteile ist eine ganz besondere Funktion derselben, die das Unterscheidende an sich hat, daß sie nichts zum Inhalt des Urteils beiträgt, (denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte) sondern nur den Wert der Kopula in Bezug auf das Denken überhaupt angeht. Problematische Urteile sind solche, wo man das Bejahen oder Verneinen als bloß möglich (beliebig) annimmt. Assertorische, da es als wirklich (wahr) betrachtet wird. Apodiktische, in denen man es als notwendig ansieht (1). So sind die beiden Urteile, deren Verhältnis das hypothetische Urteil ausmacht, (antecedens und konsequens [Voraussetzung und Folge - wp]), wobei in deren Wechselwirkung das Disjunktive besteht, (Glieder der Einteilung)nur insgesamt problematisch. Im obigen Beispiel wird der Satz: es ist eine vollkommene Gerechtigkeit da, nicht assertorisch gesagt, sondern nur als ein beliebiges Urteil, wovon es möglich ist, daß jemand es annehme, gedacht, und nur die Konsequenz ist assertorisch. Daher können solche Urteile auch offenbar falsch sein, und doch, problematisch genommen, Bedingungen der Erkenntnis der Wahrheit sein. So ist das Urteil: die Welt ist durch blinden Zufall da, im disjunktiven Urteil nur von problematischer Bedeutung, nämlich, daß jemand diesen Satz etwa auf einen Augenblick annehmen möge, und dient doch, (wie die Verzeichnung des falschen Weges, unter der Zahl all derer, die man nehmen kann,) den wahren zu finden. Der problematische Satz ist also derjenige, der nur logische Möglichkeit, (die nicht objektiv ist) ausdrückt, d. h. eine freie Wahl einen solchen Satz gelten zu lassen, eine bloß willkürliche Aufnehmung desselben in den Verstand. Der assertorische sagt von logischer Wirklichkeit oder Whrheit, wie etwa in einem hypothetischen Vernunftschluß das Antezedens im Obersatz problematisch, im Untersatz assertorisch vorkommt, und zeigt an, daß der Satz mit dem Verstand nach dessen Gesetzen schon verbunden sei, der apodiktische Satz denkt sich den assertorischen durch diese Gesetze des Verstandes selbst bestimmt, und daher  a priori  behauptend, und drückt auf solche Weise eine logische Notwendigkeit aus. Weil nun hier alles sich gradweise dem Verstand einverleibt, so daß man zuvor etwas problematisch urteilt, darauf auch wohl es assertorisch als wahr annimmt, endlich als unzertrennlich mit dem Verstand verbunden, d. h. als notwendig und apodiktisch behauptet, so kann man diese drei Funktionen der Modalität auch so viel Momente des Denkens überhaupt nennen.

Dritter Abschnitt
Von den reinen Verstandesbegriffen
oder Kategorien

Die allgemeine Logik abstrahiert, wie mehrmals schon gesagt wurde, von allem Inhalt der Erkenntnis, und erwartet, daß ihr anderswo, woher es auch sei, Vorstellungen gegeben werden, um diese zuerst in Begriffe zu verwandeln, welches analytisch zugeht. Dagegen hat die transzendentale Logik ein Mannigfaltiges der Sinnlichkeit  a priori  vor sich liegen, welches die transzendentale Ästhetik ihr darbietet, um zu den reinen Verstandesbegriffen einen Stoff zu geben, ohne den sie ohne allen Inhalt, mithin völlig leer sein würde. Raum und Zeit enthalten nun ein Mannigfaltiges der reinen Anschauung  a priori,  gehören aber gleichwohl zu den Bedingungen der Rezeptivität unseres Gemüts, unter denen es allein Vorstellungen von Gegenständen empfangen kann, die mithin auch den Begriff derselben jederzeit affizieren müssen. Allein die Spontaneität unsere Denkens erfordert es, daß diese Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen, und verbunden werde, um daraus eine Erkenntnis zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis.

Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zueinander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen. Eine solche Synthesis ist rein, wenn das Mannigfaltige nicht empirische, sondern  a priori  gegeben ist (wie das im Raum und der Zeit). Vor aller Analysis unserer Vorstellungen müssen diese zuvor gegeben sein, und es können keine Begriffe dem Inhalt nach analytisch entspringen. Die Synthesis eines Mannigfaltigen aber (es sei empirisch oder  a priori  gegeben) bringt zuerst eine Erkenntnis hervor, die zwar anfänglich noch roh und verworren sein kann, und also der Analysis bedarf; allein die Synthesis ist doch dasjenige, was eigentlich die Elemente zu Erkenntnissen sammelt, und zu einem gewissen Inhalt vereinigt; sie ist also das erste, worauf wir acht zu geben haben, wenn wir über den ersten Ursprung unserer Erkenntnis urteilen wollen.

Die Synthesis überhaupt ist, wie wir künftig sehen werden, die bloße Wirkung der Einbildungskraft, einer blinden, obgleich unentbehrlichen Funktion der Seele, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten nur einmal bewußt sein. Allein, diese Synthesis auf Begriffe zu bringen, das ist ein Funktion, die dem Verstand zukommt, und wodurch er uns allererst die Erkenntnis in eigentlicher Bedeutung verschafft.

Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff. Ich verstehe aber unter dieser Synthesis diejenige, welche auf einem Grund der synthetischen Einheit  a priori  beruth: so ist unser Zählen, (vornehmlich ist es in größeren Zahlen merklicher) eine Synthesis nach Begriffen, weil sie nach einem gemeinschaftlicen Grund der Einheit geschieht (z. B. der Dekadik). Unter diesem Begriff wird also die Einheit in der Synthesis des Mannigfaltigen notwendig.

Analytisch werden verschiedene Vorstellungen unter einen Begriff gebracht, (ein Geschäft, wovon die allgemeine Logik handelt.) Aber nicht die Vorstellungen, sondern die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe zu bringen, lehrt die tranzendentale Logik. Das erste, was uns, zum Zweck der Erkenntnis aller Gegenstände  a priori  gegeben sein muß, ist das Mannigfaltige der reinen Anschauung; die Synthesis dieses Mannigfaltigen durch die Einbildungskraft ist das zweite, gibt aber noch keine Erkenntnis. Die Begriffe, welche dieser reinen Synthesis Einheit geben, und lediglich in der Vorstellung dieser notwendigen synthetischen Einheit bestehen, tun das dritte zur Erkenntnis eines vorkommenden Gegenstandes, und beruhen auf dem Verstand.

Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteil Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heitß. Derselbe Verstand also, und zwar durch eben dieselben Handlungen, wodurch er in Begriffen, mittels der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zustande brachte, bringt auch, mittels der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellungen einen transzendentalen Inhalt, weswegen sie reine Verstandesbegriffe heißen, die  a priori  auf Objekte gehen, welches die allgemeine Logik nicht leisten kann.

Auf solche Weise entspringen gerade soviel reine Verstandesbegriffe, welche  a priori  auf Gegenstände der Anschauung überhaupt gehen, als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab; denn der Verstand ist durch gedachte Funktionen völlig erschöpft, und sein Vermögen dadurch gänzlich ausgemessen. Wir wollen diese Begriffe, nach dem ARISTOTELES, Kategorien nennen, indem unsere Absicht uranfänglich mit der Seinigen zwar dasselbe ist, obgleich sie sich davon in der Ausführung gar sehr entfernt.


Tafel der Kategorien

 
1.
Der Quantität
Einheit
Vielheit
Allheit
 
2.
Der Qualität
Realität
Negation
Limitation
 
3.
Der Relation
- der Inhärenz und Subsistenz
(substantia et accidens)
- der Kausalität und Dependez
(Ursache und Wirkung)
- der Gemeinschaft
(Wechselwirkung zwischen
Handelnden und Leidenden)
 
4.
Der Modalität
Möglichkeit - Unmöglichkeit
Dasein - Nichtsein
Notwendigkeit - Zufälligkeit
 

Dieses ist nun die Verzeichnung aller ursprünglich reinen Begriffe der Synthesis, die der Verstand  a priori  in sich enthält, und um deren willen er auch nur ein reiner Verstand ist; indem er durch sie allein etwas beim Mannigfaltigen der Anschauung verstehen, d. h. ein Objekt derselben denken kann. Diese Einteilung ist systematisch aus einem gemeinschaftlichen Prinzip, nämlich dem Vermögen zu urteilen, (welches ebensoviel ist, als das Vermögen zu denken) erzeugt, und nicht rhapsodistisch, aus einer auf gut Glückk unternommenen Aufsuchung reiner Begriffe entstanden, deren Vollzähligkeit man niemals gewiß sein kann, da sie nur durch Induktion geschlossen wird, ohne zu gedenken, daß man noch auf die letztere Art niemals einsieht, warum denn gerade diese und nicht andere Begriffe, dem reinen Verstand beiwohnen. Es war ein, eines scharfsinnigen Mannes würdiger Anschlag des ARISTOTELES, diese Grundbegriffe aufzusuchen. Da er aber kein Prinzipium hatte, so faßte er sie auf, wie sie ihm aufstießen, und trieb deren zuerst zehn auf, die er Kategorien (Prädikamente) nannte. In der Folge glaubte er noch ihrer fünf weitere aufgefunden zu haben, die er unter dem Namen der Postprädikamente hinzufügte. Allein seine Tafel blieb noch immer mangelhaft. Außerdem finden sich auch einige  modi  der reinen Sinnlichkeit darunter (quando, ubi, fitus wie auch prius und simul) auch ein empirischer, (motus) die in dieses Stammregister des Verstandes gar nicht gehören, oder es sind auch die abgeleiteten Begriff mit unter die Urbegriffe gezählt, (actio, passio) und an einigen der letzteren fehlt es gänzlich.

Um der letzteren willen ist also noch zu bemerken: daß die Kategorien, als die wahren Stammbegriffe des reinen Verstandes, auch ihre ebenso reine abgeleiteten Begriffe haben, die in einem vollständigen System der Transzendentalphilosophie keineswegs übergangen werden können, mit deren bloßer Erwähnung ich aber in einem bloß kritischen Versuch zufrieden sein kann.

Es sei mir erlaubt, diese reine, aber abgeleiteten Verstandesbegriffe die Prädikabilien des reinen Verstandes (im Gegensatz der Prädikamente) zu nennen. Wenn man die ursprünglichen und primitiven Begriffe hat, so lassen sich die abgeleiteten und subalternen [untergeordneten - wp] leicht hinzufügen, und der Stammbaum des reinen Verstandes völlig ausmalen. Da es mir hier nicht um die Vollständigkeit des Systems, sondern nur der Prinzipien zu einem System zu tun ist, so erspare ich mir diese Ergänzung auf eine andere Beschäftigung. Man kann aber diese Absicht ziemlich erreichen, wenn man die ontologischen Lehrbücher zur Hand nimmt und z. B. der Kategorie der Kausalität, die Prädikabilien der Kraft, der Handlung, des Leidens, der der Gemeinschaft, die der Gegenwart, des Widerstandes, den Prädikamenten der Modalität, die des Entstehens, Vergehens, der Veränderung usw. unterordnet. Die Kategorien mit den  modis  der reinen Sinnlichkeit oder auch untereinander verbunden, geben eine große Menge abgeleiteter Begriffe  a priori,  die zu bemerken, und womöglich, bis zur Vollständigkeit zu verzeichnen, eine nützliche und nicht unangenehme, hier aber entbehrliche Bemühung sein würde.

Der Definitionen dieser Kategorien enthebe ich mich in dieser Abhandlung geflissentlich, obgleich ich im Besitz derselben sein möchte. Ich werde diese Begriffe in der Folge bis auf den Grad zergliedern, welcher in Beziehung auf die Methodenlehre, die ich bearbeite, hinreichend ist. In einem System der reinen Vernunft würde man sie mit Recht von mir fordern können: aber hier würden sie nur den Hauptpunkt der Untersuchung aus den Augen bringen, indem sie Zweifel und Angriffe erregten, die man, ohne der wesentlichen Absicht etwas zu entziehen, gar wohl auf eine andere Beschäftigung verweisen kann. Indessen leuchtet doch aus dem weingen, was ich hiervon angeführt habe, deutlich hervor, daß ein vollständiges Wörterbuch mit allen dazu erforderlichen Erklärungen nicht allein möglich, sondern auch leicht sei zustande zu bringen. Die Fächer sind einmal da; es ist nur nötig, sie auszufüllen, und eine systematische Topik, wie die gegenwärtige, läßt nicht leicht die Stelle verfehlen, dahin ein jeder Begriff eigentümlich gehört, und zugleich diejenige leicht bemerken, die noch leer ist.

LITERATUR: Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Erstausgabe, Riga 1781
    Anmerkungen
    1) Gleich, als wenn das Denken im ersten Fall eine Funktion des Verstandes, im zweiten der Urteilskraft, im dritten der Vernunft wäre. Eine Bemerkung, die erst in der Folge ihre Aufklärung erwartet.