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Der Hypnotismus [1/2]
V o r w o r t Wie alles, was dem Publikum neu zu Bewußtsein kommt, wird auch der Hypnotismus zum Teil stark angefeindet, zum Teil mit Hohn und Unglauben begrüßt, zum Teil mit übertriebenem Sanguinismus beurteilt oder mit allerlei sonstigen Übertreibungen geschmückt. Es wird uns freuen, wenn wir hier etwas dazu beitragen können, diese verschiedenartigen Auswüchse unbesonnener menschlicher Gemütsaufregungen auszumerzen und die Tatsachen auf ihr wirkliches Maß und ihre wirkliche Bedeutung zu reduzieren, was wir nach einer zweijährigen, ziemlich reichlichen Erfahrung imstande zu sein glauben. Den Spöttern und Ungläubigen rufen wir einfach zu: "Prüfe nach, bevor du urteilst!" Um über den Hypnotismus urteilen zu können muß man selbst eine zeitlang hypnotisiert haben. I. Allgemeine Bemerkungen Tatsachen, Theorien, Begriffe und Terminologie werden leider auf dem Gebiet des Hypnotismus wie in allem, was der Psychologie gehört, furchtbar verworren durcheinander geworfen. Tatsachen. - Die Haupttatsache des Hypnotismus ist der veränderte Seelenzustand (bzw. Gehirnzustand von der physiologischen, d. h. objektiven Seite her betrachtet) eines Menschen. Zur Unterscheidung vom gewöhnlichen Schlaf, mit welchem dieser Zustand große Verwandtschaft hat, kann man ihn Hypnose nennen. Eine zweite Tatsachenreihe besteht in der Art der Erzeugung (bzw. Wiederbeseitigung) dieses Zustandes. Hier haben aber gerade faslsche Interpretationen die irrigsten Begriffe hervorgerufen. Scheinbar kann die Hypnose auf drei Wegen hervorgerufen werden:
b) Durch direkte Einwirkung lebendiger oder lebloser Gegenstände oder auch eines mysteriösen Agens auf das Nervensystem, wobei der Ermüdung durch lange Konzentration eines Sinnes auf einen Punkt eine große Rolle zugeschrieben wurde; aber auch durch spezifische Einwirkung von Magneten, der menschlichen Hand, von in Flaschen eingeschlossenen Medikamenten und dgl. mehr. c) Durch Rückwirkung der Seele auf sich selbst (Autohypnotismus). Eine dritte Reihe von Tatsachen ist diejenige der Leistungen des Hypnotisierten. Feststehend ist, daß in diesem Zustand, mittels Eingebungen, die ausgedehntesten Rückwirkungen auf fast sämtliche Funktioinen des Nervensystems (einige Spinalreflexe und Ganglienfunktionen ausgenommen) möglich sind - eingeschlossen solche körperliche Verrichtungen, wie die Verdauung, die Defäkation [Stuhlgang - wp], die Menstruation, der Puls, Rötung der Haut usw., deren Abhängigkeit vom Großhirn landläufig vergessen oder unterschätzt wird. Zweifellos ist ferner die mehr oder weniger vollständige Abhängigkeit der ganzen Seelentätigkeit des Hypnotisierten von den Eingebungen des Hypnotiseurs. Endlich und von höchster Bedeutung ist die sichergestellte Tatsache, daß die in der Hypnose geübten Einwirkungen sich posthypnotisch auf den Normalzustand der Seele in allen Seelengebieten ausdehnen können und dies sogar auf lange Zeit hinaus, mit Einschluß des Einflusses des Hypnotiseurs auf den Hypnotisierten. Zweifelhaft dagegen, wenigstens weder wissenschaftlich genügend erhärtet noch erklärt, sind angebliche übersinnliche Tatsachen, wie das sogenannte Hellsehen, die Einwirkung von Medikamenten durch geschlossene Gläser, die sogenannte direkte Gedankenübertragung und dgl. mehr. Bei den ausnehmend seltenen Somnambulen, bei welchen solche Experimente gelingen sollen, scheint eine streng wissenschaftliche, jede Möglichkeit unbewußter Eingebung ausschließende Kontrolle meistens gefehlt zu haben und da, wo sie stattfand, ein vollständiges Fiasko der Experimente die gewöhnliche Folge gewesen zu sein. Immerhin muß diese Frage als eine offene und als einer sorgfältigen Nachprüfung wert betrachtet werden, da eine Reihe Angaben glaubwürdiger und nicht urteilsloser Personen dieselbe bejahen. Theorien und Begriffe. - Die Begriffe, die man sich vom "Hypnotismus" macht, hängen von den theoretischen Anschauungen, die hierüber herrschen, ab. Wenn wir den Ballast unverdauten oder abergläubischen Unsinns, der über die in Frage stehenden Erscheinungen zutage gefördert wurde, möglichst ausmerzen, bleiben im Großen und Ganzen drei prinzipiell verschiedene Theorien oder Erklärungen der oben summarisch erwähnten Tatsachen übrig. I. Ein äußeres, unsichtbares Agens (ein Fluidum, wie man sich früher äußerte und wie Laien es heute noch nennen; eine noch unbekannte Naturkraft, wie es etwa in moderner Sprache heißen würde) dringt in den Körper, speziell in das Nervensystem hinein, beeinflußt den Organismus und bringt ihm etwas Fremdes bei - eventuell auch Erkenntnisse über die leblose Natur, über andere lebende Wesen. Oder die Gedanken, die Seelenvorgänge eines Menschen gelangen durch ein solches Agens zur Erkenntnis der Seele eines anderen Menschen ohne Vermittlung einer Laut-, Schrift- oder Zeichensprache des ersten Menschen und der Sinnesorgane des zweiten. Diese Theorie ist diejenige von MESMER. MESMER nannte das supponierte Agens Magnetismus und speziell animalen Magnetismus, wenn er aus dem menschlichen Organismus selbst (aus demjenigen des Magnetiseurs) zu stammen schien. Diese Theorie, welche heute noch in gewissen Kreisen begeisterte, ja fanatische Anhänger hat, stützt sich jetzt auf die oben unter b) und unter "zweifelhafte, übersinnliche Tatsachen" bezeichnete Erscheinungen. Es ist klar, daß dieselbe, wenn sie wahr wäre, unsere bisherige konsequente Ignorierung dieses unbekannten Etwas, dieser unbekannten Kraft, von seiten der Wissenschaft, gleich einer vergessenen wichtigen Komponente notwendig Fehler in unseren bisherigen Ergebnissen bedingt haben müßte. Da jedoch die Wissenschaft durch ihre kolossalen praktischen Erfolge täglich mehr den Beweis ihrer inneren Wahrheit gibt, hat man allen Grund, der MESMERschen Theorie zu mißtrauen und von ihr unzweideutige, unerschütterliche Beweise zu verlangen. Sehen wir nun kur, was vorliegt: MESMER und seine Schule wurden vor allem für alle die oben zuerst und als unzweifelhaft erwähnten Tatsachen durch BRAID und LIÉBEAULT so gründlich widerlegt (siehe unten), daß es müßig wäre, ein Wort mehr darüber zu verlieren. Die Fluidumtheorie verschanzt sich heute zunächst hinter den angeblichen Tatsachen, welche von den Spiritisten verfochten werden und welche je nach den Kreisen, wo sie produziert werden, so sehr von blindem Fanatismus, von geistiger Störung (Halluzinationen), von mißverstandener Suggestion, von Schwindel und von Aberglauben durchflochten sind, daß zur Zeit eine wissenschaftliche Prüfung derselben noch sehr schwierig ist. Die Geister und die vierte Dimension der Spiritisten sind Vorstellungen, welche diesem unbekannten Agens enstprechen würden. Eine Reihe scheinbar übernatürlicher Erscheinungen werden, wie schon gesagt, auf der anderen Seite immer wieder von aufrichtigen, glaubwürdigen Personen vorgebracht, welche für die MESMERsche Theorie oder für verwandte Theorien sprechen würden. Ich nenne: die sogeannte Gedankenübertragung, schlechtweg suggestion mentale genannt, das Hellsehen, das Sehen oder Erraten von Vorgängen an einem entfernten Ort, die sogenannten Ahnungen und Zukunftsweissagungen usw. Ein in genannter Hinsicht merkwürdiges Buch ist "Phantasms of the living" von GURNEY, MYERS und PODMORE, London 1887. Nichtweniger als 600 Beobachtungen über Visionen, Träume, Ahnungen und dgl., die in Erfüllung gegangen sind, werden hier zusammengestellt. Über die Zuverlässigkeit der Quellen dieser Angaben wurden genaue Erkundigungen eingezogen und nur klare Angaben glaubwürdiger Personen wurden aufgenommen. Ein Referat über das genannte Buch findet sich in der "Revue des deux Mondes" vom 1. Mai 1888. Jeder Mensch kann übrigens im Kreis seiner Bekannten auf mehrere derartige Beobachtungen stoßen und zwar bei durchaus glaubwürdigen Leuten. Siehe auch LIÉBEAULT, "Le sommeil provoqué, 1889, Seite 295. Interessant sind ferner die Experimente von CHARLES RICHET (Revue philosophique 1884), der den Einfluß des Denkens eines Individuums auf das Denken eines anderen in bestimmter Richtung, ohne äußere Erscheinungen, die sinnlich wahrnehmbar wären, zu beweisen sucht. Die Beweise sind aber, wie uns scheint, sehr unvollkommen und die abgewandte Wahrscheinlichkeitsrechnung wenig überzeugend. Positiver scheinen die Resultate der "Society for psychical researches" in England zu sein. Äußerst schwierig ist es aber, in all diesen Experimenten, vom Zufall und Schwindel abgesehen, die Selbsttäuschung des Hypnotisierten, bzw. des Subjekts (eventuell auch des Hypnotiseurs), vor allem jede unbewußte Suggestion und Autosuggestion mit Gewißheit auszuschließen, weshalb alle diese Resultate mit größter Vorsicht aufgenommen werden müssen. II. Der erstgenannten Theorie diametral entgegenarbeitend ist der von BRAID zuerst formulierte, von LIÉBEAULT in Nancy aber (Du sommeil et des états analogues, 1866) erst in seiner ganzen Bedeutung und in seinen praktischen Folgen erfaßte Begriff der Suggestion (Eingebung). Derselbe kann etwa folgendermaßen formuliert werden: Erzeugung sämtlicher Erscheinungen der Hypnose durch Erweckung entsprechender Vorstellungen, besonders Phantasievorstellungen. Hierzu ist zu bemerken, daß der Zweck am leichtesten und sichersten dadurch erreicht wird, daß der Hypnotiseur mittels der Sprache mit Bestimmtheit erklärt, daß der zu erzeugende Zustand im selben Augenblick, wo er es erklöärt, daß der zu erzeugende Zustand im selben Augenblick, wo er es erklärt, vorhanden sei oder sogleich sich einstellen werde (Verbalsuggestion oder Einreden). Redet sich ein Mensch selbst etwas ein, so spricht man mit BERNHEIM von Autosuggestion. BRAID hat aber selbst die Tragweite der Suggestion nicht genügend erkannt und darüf der fortgesetzten Reizung der Sinne (Fixation usw.) eine ihr nicht zukommende Wichtigkeit beigelegt. Durch Suggestion wird meistens zunächst Schlaf erzeugt und da der Schlafzustand des Gehirns seine Suggestibilität (d. h. seine Empfänglichkeit für die Beeinflußung durch Suggestion) bedeutend steigert, gewinnt man im Augenblick die erwünschte Macht. Aber Suggestionen werden nicht nur durch die Sprache, durch das Einreden zustande gebracht, sondern durch alles, was Vorstellungen bewirken kann, vor allem durch alles, was kräftige Phantasiebilder bewirken kann, vor allem durch alles, was kräftige Phantasiebilder erzeugt. Aber noch mehr, eine Suggestion kann unbewußt geschehen oder es kann die entsprechende Vorstellung so schwach oder so kurz im Bewußtsein erscheinen, daß sie sofort wieder aus demselben für immer schwindet, indem das bewußte Gedächtnis sie nie mehr zurückrufen kann und dennoch wirkt diese Suggestion mächtig. Überhaupt läßt sich in solchen Fällen infolge der vollständigen Amnesie nicht nachweisen, daß die betreffende Vorstellung je bewußt gewesen ist. Doch war sie sicher vorhanden; nähere Prüfung zeigt es. Darin liegt der Angelpunkt zum Verständnis einer Unzahl von Selbsttäuschungen und angeblichen MESMERschen Wirkungen. Einem zum erstenmal hypnotisierten Bauernmädchen, das von Physik und Prismen keine Ahnung hat, legt man in der Hypnose ein Prisma vor das Auge, nachdem man es durch Suggestion eine nicht vorhandene Kerze in der Luft hatte betrachten lassen. Man fragt es dann, was es sehe und es antwortet "zwei Kerzen". Dies ist, wie BERNHEIM nachgewiesen hat, eine (unbewußte) Suggestion. Das Mädchen sah durch das Prisma die wirklichen umgebenden Gegenstände des Zimmers doppelt und dadurch unbewußt suggeriert, verdoppelte es die suggerierte Kerze. Macht man das Experiment in einem völlig dunklen Zimmer bei einer noch nie vorher hypnotisierten und auch noch nicht mit den betreffenden Tatsachen theoretisch bekannten Person, so wird das suggerierte Bild nie durch das Prisma verdoppelt (BERNHEIM). Es ist kaum anzunehmen, daß das Mädchen sich in der Hypnose dessen bewußt war, die Kerze darum doppelt gesehen zu haben, weil sie auf einmal die anderen Gegenstände doppelt sah. Diese Verdoppelung geschah instinktiv, automatisch, unterhalb der Schwelle des Bewußtseins; die anderen Gegenstände waren ja nicht von ihr fixiert (sondern nur die fiktive Kerze); ihre Verdoppelung wurde nichtsdestoweniger (höchst wahrscheinlich unbewußt) wahrgenommen und verwertet. Stets unbewußt bleibt aber der Mechanismus der Suggestion, d. h. die Art, wie das gehörte und verstandene Wort des Hypnotiseurs (bzw. wie die Wahrnehmung desselben) den tatsächlichen Erfolg bewirkt. Die LIÉBEAULTsche Suggestionstheorie der Hypnose hat durch ihre praktische Erfolge, besonders in der ärztlichen Therapie, aber auch in der Erziehung und noch in vielen Gebieten so schlagende Beweise ihrer Wahrheit gegeben, daß ihr Sieg jetzt als vollständig gesichert erachtet werden muß. Während andere Theorien mit ihren entsprechenden Methoden nur bei einigen hysterischen oder nervösen Personen, ausnahmsweise auch bei einigen hysterischen oder nervösen Personen, ausnahmsweise auch bei einigen Gesunden mit mehr oder weniger Mühe einen Teil der Erscheinungen der Hypnose hervorzubringen imstande waren und dabei, immer wieder vor Rätseln und Widersprüchen stehend, zu den wunderbarsten dunkelsten Erklärungsversuchen ihre Zuflucht nehmen mußten, gelingt die Suggestion mit Leichtigkeit fast bei jedem Gesunden und erklärt dieselbe alles von einem einheitlichen Gesichtspunkt aus, mit Ausnahme der oben als zweifelhaft bezeichneten Tatsachen. Die Zahl der in Nancy von LIÉBEAULT und BERNHEIM allein hypnotisierten geistig gesunden verschiedenen Personen beläuft sich auf mehrere Tausende. Im Lauf des Jahres 1887 hat Dr. WETTERSTRAND in Stockholm 718 Personen der Suggestion unterworfen, wovon nur 19 unbeeinflußt blieben. Dr. van RENTERGHEM in Amsterdam hat in drei Monaten von 178 Personen 162 mit Erfolg durch Suggestion hypnotisiert und dabei 91 Genesungen diverser Krankheiten erzielt. FONTAN und SÉGARD in Marseille hatten bei ungefähr 100 Personen nur ganz wenige Mißerfolge. Ich selbst konnte, infolge intensiver Inanspruchnahme durch andere Pflichten, seit etwas über einem Jahr erst 205 Personen, worunter eine Anzahl Geisteskranker, der Suggestion unterwerfen. Davon wurden 171 beeinflußt und 34 nicht. Von den zuletzt Hypnotisierten 105 Personen blieben jedoch nur 11 unbeeinflußt. Drei Personen, die ich früher nicht hatte beeinflussen können, wurden neuerdings mit Leichtigkeit hypnotisiert. Ein praktischer Arzt im Kanton Waadt, Herr Dr. RINGIER, der bei mir letzten Sommer die Suggestionsmethode lernte, versuchte in ziemlich kurzer Zeit die Suggestion bei über 60 Personen und darunter nur bei 3 oder 4 erfolglos. Unter allen diesen Hypnotisierten befindet sich eine große Zahl perfekter Somnambulen mit posthypnotischen Erscheinungen usw. (1) Wie eigentümlich nehmen sich nun neben diesen Zahlen die wenigen Hysterischen der Salpetriére in Paris aus, nicht viel mehr als ein Dutzend, welche seit Jahren (immer dieselben) aller Welt demonstriert werden, den CHARCOTschen Theorien zur Grundlage dienen und offenbar bis zum vollständigsten Automatismus der unbewußten Suggestion verfallen sind. Fassen wir das Gesagte ins Auge, so liegt es nahe, anzunehmen, daß der bisher so verschwommene Begriff des Hypnotismus in den Begriff der Suggestion aufzugehen hat. Darin liegt sicher der Schlüssel des allergrößten Teils, wenn nicht vielleicht aller der hier ins Auge gefaßten Erscheinungen. III. Als sogenannte somatische Theorien der Hypnose können wir Theorien zusammenfassen, welche sozusagen die Mitte zwischen den beiden genannten halten. Es werden zwar kein "Fluidum", keine Geister heraufbeschworen; aber es wird versucht, einen Teil, wenn nicht alle Erscheinungen der Hypnose auf bekannte elementare Kräfte ohne Vermittlung der psychischen Tätigkeit zurückzuführen. Insbesondere wird der Einwirkung peripherer Reize (von außen her) auf die Nervenenden eine Hauptrolle zugewiesen, wodurch wieder zum Teil die Notwendigkeit eines äußeren Agens in den Vordergrund tritt. Vor allem ist die Schule CHARCOTs oder der Salpetriére in Paris zu nennen, welche an eine direkte hypnogene Einwirkung der Metalle und der Magnete auf das Nervensystem (ohne Vermittlung von Vorstellungen), an einen Transfer (Überspringen einer Lähmung, Katalepsie, Hemianästhesie [Gliederstarre, halbseitige Lähmung - wp]usw. von einer Körperseite auf die andere durch Magnetwirkung), an eine direkte Reizung der lokalisierten motorischen Hirnrindenzentren durch Streichungen der Kopfhaut usw. glaubt. Dieselbe Schule glaubt durch verschiedene periphere mechanische Reizungen (1. Fixation des Blickes, 2. Hebung der Lider, 3. Streichungen der Stirn) typisch verschiedene Stadien oder Arten der Hypnose: Lethargie, Katalepsie und Somnambulismus hervorzurufen, mit spezifischen, eigenen Reaktionen der Muskeln und der Sensibilität. Wichtig ist, hervorzuheben, daß CHARCOTs Schule glaubt, in der sogenannten Lethargie seien die Hypnotisierten völlig bewußtlos und könnten nicht durch Suggestionen, die man ihnen mittels der Sinnesorgane durch Vorstellungen beibringt, beeinflußt werden. Diese Schule glaubt ferner, daß fast nur Hysterische der Hypnose zugänglich sind und rechnet die Hypnose zu den Neurosen. Aufs schlagendste hat BERNHEIM in Nancy nachgewiesen, welche Begriffsverwirrungen durch diese Theorie entstanden sind. Alle Tatsachen, welche seit Jahren an den wenigen präparierten Hysterischen in der Salpetriére demonstriert werden, lassen sich mit Leichtigkeit durch alte eingeübte zum Teil unbewußte Suggestionen erklären, indem z. B. die angeblich Lethargischen zweifellos alles hören und psychisch verwerten, was in ihrer Gegenwart gesagt und getan wird. Die BRAIDsche Fixierung eines glänzenden Gegenstandes, der man in Paris und in Deutschland so viel Gewicht beigelegt hat, erzeugt an sich keine Hypnose. - Wenn jemand bei dieser unzweckmäßigen Methode hypnotisiert wird, so wird er es durch die Vorstellung, daß diese Prozedur ihn einschläfern muß, nicht durch die Prozedur selbst, die an sich meist nur eine nervöse Aufregung (bei Hysterischen ab und zu auch hysterische Anfälle) hervorruft. Höchstens dürfte in einzelnen Fällen die Ermüdung und dadurch das Fallen der Lider unbewußt suggestiv wirken. Es war früher allgemeiner Usus, Hypnotisierte durch Blasen auf das Gesicht zu wecken. Ich habe es seit langer Zeit nie mehr getan und dafür das Blasen oft mit der Suggestion des Verschwindens von Kopfweh und dgl. verbunden. Daher kann ich meinen Hypnotisierten so viel aufs Gesicht blasen, wie ich will, keiner wird dadurch geweckt. Dieses ist auch ein Argument gegen die angebliche Wirkung solcher mechanischer Reize von Seiten der "somatischen" Schule, welche das Blasen als spezifischen Erweckungsreiz betrachtet. LIEBÉAULT selbst publizierte 45 Fälle, wo er kleinen Kindern durch Auflegen beider Hände auf die kranke Stelle wunderbar günstige Resultate erhalten haben will. In 32 dieser Fälle handelt es sich um Kinder unter 3 Jahren, woraus LIEBÉAULT selbst die Suggestion ausschließen zu können glaubt. Mehrere Fälle von Keuchhusten befinden sich darunter mit geradezu verblüffenden Heilerfolgen. Unbewußte Suggestion scheint doch wohl, bei dem ungeheuer suggestiblen Wesen der Kindert, nicht völlig ausgeschlossen zu sein. Trotzdem aber bleiben diese Beobachtungen höchst wunderbar und wären einer gründlichen Nachprüfung wert. CHAZARAIN und DÉCLE glauben eine Polarität des menschlichen Körpers entdeckt zu haben und leiten sowohl die hypnotischen Erscheinungen, als auch die Erfolge der sogenannten Metallotherapie von derselben ab. Noch viel weniger als bei LIEBÉAULTs Kindern sind hier die Suggestion und die Autosuggestion auszuschließen, am allerwenigsten, wenn man die oberflächlichen Beobachtungen der Autoren liest, die mir fast alle Suggestionen von Hysterikern zu sein scheinen. Endlich wäre noch die angebliche Wirkung der Arzneimittel à distance [aus der Distanz - wp] oder durch Anlegung des hermetisch verschlossenen Glases, worin sie sich befinden, auf dem Nacken usw. zu erwähnen. Jedoch haben diese großartig von LUYS angekündigten Resultate vor der Kommission, die sie prüfen sollte, bei Verhütung jeder unbewußten Suggestion ein klägliches Fiasko ergeben; sie haben gezeigt, wie kritiklos vorher verahren worden war und wie vor allem nichts geschehen war, um die Möglichkeit der Suggestion auszuschließen, die alles erklärt. Auf Wunsch meines Freundes, Professor SEGUIN aus New York, habe ich kürzlich mit seiner Hilfe die LUYSschen Experimente mit den geschlossenen Medizinflaschen an vier meiner besten Somnambulen nachgemacht. Prof. SEGUIN hatte selbst LUYS' Experimente gesehen. Der Erfolg war absolut negativ, wie ich es bestimmt erwartete. Interessant war nur Folgendes: Eine Hypnotisierte, welche die Alkoholflasche am Hals hatte und bisher angegeben hatte, gar nichts zu verspüren, frug ich, ob sie nicht Kopfweh verspürte, was sie bejahte, dann, ob es ihr nicht taumelig wie betrunken sei, was sie dann ebenso rasch bejahte und worauf sie Trunkenheitssymptome zu zeigen begann. Man sieht daraus, wie eine einzige insinuierende [unterstellende - wp] Frage suggestiv bewirken kann. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß ich alle Symptome der betreffenden Medikamente (auch Erbrechen) sofort durch Suggestion bei falschen oder leeren Gläsern (als Kontroll-Experiment) hervorrief. Fassen wir die III. Gruppe von Theorien zusammen, die somatisch und rationell sein will, so finden wir, daß dieselbe die unglücklichste von allen ist, die ärgsten Konfusionen hervorgerufen hat und daß sämtliche Tatsachen, die sie anruft, sich durch Suggestionen erklären lassen. Höchstens LIEBÉAULTs Resultate bei Kindern machen vielleicht eine beachtenswerte Ausnahme hiervon. Ein Hauptfehler dieser Theorien ist, daß sie ihre Ergebnisse meistens auf Beobachtungen bei Hysterischen stützen. Die Hysterischen sind aber erstens die unzuverlässigsten aller Menschen, die feinsten, weil unbewußtesten Simulanten und Komödienspieler und zugleich diejenigen Menschen, welche oft am feinsten sinnlich apperzipieren, dabei meistens eine bedeutende plastische Phantasie besitzen, die sie sehr suggestibel macht, besonders autosuggestibel (und zwar meist unbewußt oder doch nur halbbewußt). Es wird ferner dabei vergessen, daß die psychischen Vorgänge auch "somatisch" sind. Wir haben somit nur eine Theorie, nämlich die Suggestionstheorie der Nancy'schen Schule, welche mit den wissenschaftlich feststehenden Tatsachen des Hypnotismus in Einklang steht und dieselben befriedigend erklärt. Alles andere ist noch unreif, zweifelhaft oder beruth auf Mißverständnisse - gewisse noch dunkle Erscheinungen harren einer strengen methodischen Nachprüfung. Wir haben uns also hier nur mit dem Begriff der Suggestion und des suggestiven Schlafes, als gleichbedeutend mit demjenigen des Hypnotismus zu befassen. Terminologie. - Die Ausdrücke animaler Magnetismus und Mesmerismus müssen der Fluidum-Theorie überlassen werden. Als Hypnotismus (BRAID) kann man die Gesamtheit der mit der bewußten und unbewußten Suggestion zusammenhängenden Erscheinungen bezeichnen. - Hypnose bezeichnet am besten den veränderten Seelenzustand des Hypnotisierten, spezieller, des suggestiven Schlafes. Hypnotiseur kann man denjenigen Menschen nennen, der bei einem anderen den Zustand der Hypnose hervorruft. Als Suggestion (Eingebung) bezeichnet man nach der Nancy'schen Schule die Erzeugung einer dynamischen Veränderung im Nervensystem eines Menschen (oder in solchen Funktionen, die vom Nervensystem abhängen) durch einen anderen Menschen mittels Beibringung der (bewußten oder unbewußten) Überzeugung, daß jene Veränderung stattfindet oder bereits stattgefunden hat oder stattfinden wird. Verbalsuggestion oder Einreden ist die Suggestion durch die Lautsprache. Suggestibilität ist die individuelle Empfänglichkeit für Suggestionen. - Es gibt sehr viele Menschen, die im Wachzustand suggestibel sind (Suggestivzustand im Wachen). Bei denselben ist der Begriff der Hypnose kaum zu begrenzen, da ihr Normalzustand im Wachen durch unmerkliche Abstufungen in den Zustand der Hypnose übergeht. Autosuggestion (BERNHEIM) ist die Suggestion, die ein Mensch bewußt oder (meist) unbewußt bei sich selbst erzeugt. Der Begriff "Suggestion" und besonders "Autosuggestion" kann leicht durch eine zu starke Erweiterung mit den Begriffen Instinkt, Gewohnheit, Reflexe, Automatismen zusammengeworfen werden. In der Tat wird die Unterscheidung schwer werden. Der Begriff der Suggestion kann noch dadurch, daß der aktiv eingreifende, suggerierende Hypnotiseur (die Verbindung eines Menschen mit dem anderen) dazu gehört, besser begrenzt werden. Doch wenn der Hypnotiseur unbewußt handelt (wenn ein anderer durch mein Gähnen z. B. suggeriert wird), - oder wenn man durch Gegenstände suggeriert wird, geht der Begriff bereits in denjenigen der Autosuggestion über. Letzterer läuft nun bedeutend Gefahr, eine zu Mißverständnissen und einer Verkennung früherer Wahrheiten und Forschungen führende Erweiterung zu erleiden. Ich begnüge mich mit dieser Andeutung. Als Erscheinungen und Potenzen sind die Suggestion und die Hypnose so alt, wie der Mensch in der Welt, wahrscheinlich sogar phylogenetisch viel älter. Neu, aber ganz neu, sind nur zwei hinzugekommene Faktoren:
2. Die erstaunliche Leichtigkeit, mit welcher die Hypnose fast bei jedem Menschen durch LIEBÉAULTs Methode erzeugt werden kann.
1) Seither haben sich alle diese Zahlen stark vermehrt und haben die Herren Dr. MOLL in Berlin, Dr. BAIERLACHER in Nürnberg, Dr. BRUNNER in Winterthur, Dr. CHRISTOPH MÜLLER in Augsburg, Dr. von VOIGT in Hochweitzchen, Dr. von SCHENCK-NOTZING in München und viele andere ähnliche Resultate erreicht. Diese ärztlichen Erfolge sind, nebenbei gesagt, die beste Antwort auf den bereits früher (Münchener medizinische Wochenschrift, Nr. 5, 1888) von mir widerlegten Angriff des Herrn Professor EWALD gegen den Ausdruck "ärtzliche Behandlung" für den Hypnotismus, weil angeblich in Paris jeder Schäferknecht, Schuster und Schneider hypnotisieren könne ( wie, sagt er freilich nicht). Wenn sich nur diese Schäferknechtstherapie bewährt, das ist die Hauptsache! |