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Wesen und Wirkungsweise von Hypnose und Suggestion
LIEBÉAULT gab dann 1864 seine Praxis in Pont-Saint-Vincent ganz auf, um - in den bescheidensten Verhältnissen zu Nancy lebend - erst literarisch tätig zu sein und dann, nach Vollendung seines ersten Werkes ("Über den Schlaf und ähnliche Zustände, Betrachtungen über die Wirkungen des Geistes auf den Körper") (1) 1866 eine Poliklinik zu eröffnen und geeignete Fälle ausschließlich nach seiner neuen Methode zu behandeln. - Eine große Zahl von Patienten gab ihm reichliche Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln und seine Methode zu vervollkommnen. Wenn wir der Schilderung von van RENTERGHEM (2) folgen, die derselbe von LIEBÉAULTs Wirken in der Poliklinik zu Nancy gibt, so können wir uns eines Vergleichs mit PESTALOZZI, dem Begründer des modernen Schulwesens nicht erwehren: Hier in Nancy, wie dort in Stanz und Neuburg, finden wir die höchste Begeisterung und selbstloseste Hingabe im Dienst der Menschenliebe und epochemachender fruchtbarer Gedanken. - Seine in Nancy praktizierenden Kollegen ließen LIEBÉAULT zunächst links liegen und man hatte, da er sich nicht verbittern ließ, sondern nur bat, die Resultate seines Wirkens einer vorurteilsfreien Prüfung zu unterziehen, lediglich ein Kopfschütteln und Achselzucken für ihn. - Erst im Jahre 1880 - also nach 14 Jahren - brachte ihm der Zufall den Besuch eines alten Studienfreundes, Dr. LORRAIN, der seinerseits außerordentlich erstaunt war, bei LIEBÉAULT eine Behandlungsmtehode kennen zu lernen, welche augenscheinlich unerwartet günstige Resultate ergab. Durch Dr. LORRAIN wurden die Professoren der Fakultät zu Nancy auf das neue Verfahren aufmerksam gemacht, erst DUMONT (chef des travaux physiques), dann durch Vermittlung von SIZARET, den Oberarzt der psychiatrischen Klinik: Professor BERNHEIM. BERNHEIM, der anfangs zweifelnd und ungläubig dem Verfahren LIEBÉAULTs gegenüberstand und in der ersten Sitzung, welcher er beiwohnte, kaum ein mitleidiges Lächeln unterdrücken konnte, wurde bei weiterer Beobachtung außerordentlich interessiert für die neue Art der Therapie und von tiefer Bewunderung durchdrungen für den schlichten Arzt, der jahrelang ohne ein Wort der Bitterkeit die verständnislos Beurteilung seiner Kollegen ertragen hatte. - BERNHEIMs Werk: "Die Suggestion und ihre Heilwirkung" (3), welches 1884 erschien, war bahnbrechend für die wissenschaftliche Anerkennung der hypnotischen Behandlung. Es folgten Werke von JULES LIÉGOIS, Professor der Rechte und von BEAUNIS, Professor der Physiologie zu Nancy, (Le somnambulisme provoqué, études physiologiques et psychologiques) und bald taten zahlreiche Ärzte des In- und Auslandes um die Erlaubnis, von LIEBÉAULT und BERNHEIM in die Eigenart des neuen Verfahrens eingeweiht zu werden. Unter den Ersten, welche die neue Behandlungsweise erprobten und mit Veröffentlichungen hervortraten, sind zu nennen: der Berliner Nervenarzt Dr. ALBERT MOLL, der Amsterdamer Arzt Dr. A. W. van RENTERGHEM, der Stockholmer Arzt Dr. O. G. WETTERSTRAND (4), der Professor der Psychiatrie an der Universität Zürich Dr. AUGUSTE FOREL und der Münchner Nervenarzt Dr. Freiherr von SCHRENCK-NOTZING. FOREL trat mit Schärfe gegen die Pariser Schule auf, welche immer noch in der Hypnose ein nur bei Hysterischen vorkommendes Phänomen erblicken wollte. Sein Lehrbuch "Der Hypnotismus, seine psychophysiologische, medizinische, strafrechtliche Bedeutung und seine Handhabung" (5), welches 1889 erschien, trug außerordentlich viel zur Verbreitung der Lehre LIEBÉAULTs und BERNHEIMs, namentlich in Deutschland, bei. In gleicher Weise wirkte die ebenfalls 1889 erschienene Monographie von Dr. A. MOLL "Der Hypnotismus" (6), dessen Verfasser schon früher (im Jahre 1887) in der Berliner Ärztewelt den Standpunkt der Schule von Nancy mit Entschiedenheit vertreten hatte. Besonders waren die Veröffentlichungen dieser und anderer bedeutender Neurologen und Psychologen auch entscheidend für die weitere wissenschaftliche Entwicklung der Suggestivtherapie sowie der Psychotherapie überhaupt. Es häuften sich die Veröffentlichungen über Heilerfolge bei Erkrankungen, die anderen Heilverfahren getrotzt hatten, ja, welche erst durch die hypnotische Behandlung sich als heilbare funktionelle Leiden erwiesen. - Charakteristisch für diese Beobachtungen scheint uns namentlich ein Fall zu sein, welchen der Breslauer Neurologe Professor HIRT auf dem XI. Kongreß für innere Medizin zu Rom in seinem Vortrag: "Über die Bedeutung der Verbalsuggestion für die Neurotherapie" mitteilte. - Professor HIRT sagt: "Der folgende Fall ist in dreifacher Beziehung interessant, er beweist nämlich
2. daß die Heilung durch eine einzige Suggestion herbeigeführt, und 3. daß die Suggestion differentiell-diagnostisch verwertet werden kann.
"Der Knabe wurde eines Vormittags in Gegenwart seines Vaters durch Streichen und Zureden in einen leichten Ermüdungszustand versetzt und während desselben suggerierte ich ihm, daß sein Kehlkopf und seine Lunge ganz gesund, sein Husten verschwunden und er selbst geheilt sei; er werde die nächste Nacht im Bett zubringen und vortrefflich schlafen. Der Erfolg war geradezu verblüffend. - Patient schlief ausgezeichnet, hustete gar nicht mehr und ist bis heute (nach mehr als viereinhalb Jahren) gesund geblieben - ich habe ihn nur ein einziges Mal, nachher ärztlich nie mehr, sondern nur als gesunden Menschen im Theater wiedergesehen. Geheimer Rat KLOPSCH autorisierte mich noch kurz vor seinem unerwartet eingetretenen Tod, den Fall seines Sohnes wo und wie ich nur immer wollte, mit voller Namensnennung zu publizieren. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, daß nach der Heilung des Knaben die Diagnose einer anatomischen Erkrankung fallen gelassen werden mußte; es handelte sich um eine Neurose des Vagus [größter Nerv des Parasympathicus - wp]. Seitdem habe ich viele ähnliche Fälle mit demselben, wenn auch nicht so plötzlich eintretenden Erfolg behandelt." Von besonderer Wichtigkeit waren auch die Aufsätze von P. J. MÖBIUS. (8) Schon im Jahre 1888 (Berlin) konnte MAX DESSOIR über eine umfangreiche Literatur in der "Bibliographie des modernen Hypnotismus" berichten. LIEBÉAULT war praktisch tätig bis zum Jahr 1891. Als er seine Praxis niederlegte, fand in Nancy zu seinen Ehren eine Festlichkeit am 25. Mai 1891 statt. Aus allen Ländern Europas waren die Ärzte herbeigeeilt, die dem Gründer der Schule von Nancy ihre Huldigung darbrachten. Es wurde dem Gefeierten ein hübsches, wertvolles Geschenk, die Bronzestatue von MERCIÉ, David und Goliath darstellend, überreicht, daran schloß sich eine Feier im engeren Kreis, die dem Hang des Gefeierten nach Einfachheit und Bescheidenheit Rechnung trug, aber zugleich dem alternden Vorkämpfer einen Beweis gab für die Verehrung, die ihm seine zahlreichen Schüler zollen. LIEBÉAULT fuhr fort, literarisch tätig zu sein, wir finden seine Beiträge in der 1887 von DUMONTPALLIER gegründeten und von BÉRILLON redigierten "Revue de l'hypnotisme et de la psychologie physiologique" und in den ersten Bänden der 1892 von FOREL gegründeten und von GROSSMANN redigierten "Zeitschrift für Hypnotismus, Suggestionstherapie, Suggestionslehre und verwandte psychologische Forschungen." Doch setzten die Beschwerden des Alters seinem Schaffen bald eine Grenze und er war schließlich in seinem Verkehr auf den Kreis seiner Familie und weniger Freunde beschränkt, bis er im 81. Lebensjahr am 17. Februar 1904 zur ewigen Ruhe einging. In Deutschland übernahm die Redaktion der "Zeitschrift für Hypnotismus" ein Schüler von FOREL: der spätere Begründer und Leiter des neurobiologischen Instituts der Universität Berlin, Dr. OSKAR VOGT. OSKAR VOGT, der schon 1895 das FORELsche Lehrbuch mit wertvollen Adnotationen bereicherte, veröffentlichte neben ausgedehnten praktischen Resultaten seine psychologischen Studien, bei welchen er zeigte, wie die Hypnose zur Aufklärung über psychologische Grundfragen zu benutzen sei. (9) Er benutzte dabei das nach ihm benannte "fraktionierte" Verfahren (10), eine besondere Modifikation der LIEBÉAULTschen Methode, die weiter unten zu erwähnen sein wird. Ganz besonders unterwarf OSKAR VOGT die theoretische Auffassung der Suggestion und der Hypnose einer strengen Kritik. - Umso wertvoller ist danach, daß auch diese Untersuchungen und kritischen Studien das Resultat ergaben, daß die Hypnose in ihrem Wesen ein Schlafzustand ist, wie das schon LIEBÉAULT bekannt war. Die Forschungen von O. VOGT finden sich niedergelegt in seinen Adnotationen zum Lehrbuch von FOREL sowie in seinen Aufsätzen der "Zeitschrift für Hypnose": "Zur Kenntnis des Wesens und der psychologischen Bedeutung des Hypnotismus" (11), "Die direkte psychologische Experimentalmethode", "Die Zielvorstellung der Suggestion", "Spontane Somnambulie in der Hypnose", "Über die Natur der suggerierten Anästhesie", "Zur Methodik der ätiologischen Erforschung der Hysterie", "Normalpsychologische Einleitung in die Psychopathologie der Hysterie", "Die möglichen Formen seelischer Einwirkung in ihrer ärztlichen Bedeutung", ferner im Aufsatz von Dr. C. BRODMANN, "Zur Methodik der hypnotischen Behandlung". Ich gehe von dem Punkt aus, dem LIEBÉAULTs erste Veröffentlichung galt: Wie kann man die Hypnose als einen Schlafzustand bezeichnen? Von den Theorien, welche über das Wesen des Schlafes aufgestellt worden sind, nennen wir die PFLÜGERsche Schlaftheorie. E. W. F. PFLÜGER hat schon im Jahre 1875 (12) aufgrund seiner Lehre von der physiologischen Verbrennung im tierischen Organismus eine Theorie des Schlafs aufgestellt, welche der hohen Bedeutung des Schlafes für die Chemie des Organismus gerecht wird. PFLÜGER geht davon aus, daß ohne die Möglichkeit der Kohlensäurebildung auch keine Möglichkeit des Lebens vorhanden ist. Die Kohlensäurebildung findet in den mit Sauerstoff geladenen Organen des Körpers statt und nimmt in dem Maße ab, als der notwendige Sauerstoff verbraucht wird. Im Wachzustand wird nun im Zentralnervensystem fortwährend Sauerstoff verbraucht, wie der Organismus imstande ist, dem Organsystem im Wachzustand zuzuführen. Das Zentralnervensystem wird also ähnlich wie eine elektrische Akkumulatorenbatterie entladen. Im Schlafzustand findet dagegen eine Ladung mit neuem, verwendbaren Sauerstoff statt, das Organsystem nimmt mehr Sauerstof auf, als es verbraucht, es findet eine Aufspeicherung von verfügbarer Kraft statt. So außerordentlich wertvoll diese und ähnliche Untersuchungen und Betrachtungen über die körperlichen Vorgänge im Schlafzustand sind, so ungemein falsch würde es sein, wenn wir eine andere Seite des Schlafzustandes darüber aus dem Auge lassen würden, nämlich das Verhalten des Geisteslebens während des Schlafes. Es wäre offenbar ein Fehler, wenn man so einseitig verfahren würde, aber es scheint leider, als wenn ein solcher Fehler nicht zu allen Zeiten vermieden worden wäre. Die für das Verhalten des Geistes wichtigsten Eigenschaften des Schlafzustandes erkennen wir bei der Betrachtung der Träume, ferner bei der Betrachtung derjenigen Schlafzustände, welche zwischen Schlafen und Wachen liegen (Halbschlaf, bzw. Teilschlaf) und schließlich bei der Betrachtung der Art und Weise, wie der Schlaf zustande kommt - des Einschlafens. (13) Betrachten wir zunächst die Träume. Der träumende Mensch befindet sich in einem ganz eigenartigen Geisteszustand, der seit den Zeiten des grauen Altertums die Menschheit beschäftigt hat. Es läßt sich bei vielen Träumen ein Zusammenhang mit der Außenwelt nachweisen, der Träumende nimmt einen Sinneseindruck wahr und verarbeitet denselben in einer eigentümlichen phantasiereichen Weise. Wir schlafen und es ertönt eine Klingel. Wir hören diese Klingel und in unserem Traum taucht gleichzeitig eine ganze Situation auf, etwa wir glauben in einem Geschäftslokal zu sein, wo wir, um zu kaufen, eine Klingel ertönen lassen. Ein Freund von mir, ein Theologe, hatte einen quälenden Traum, daß er gekreuzigt werden müsse und als er gemartert und geängstigt erwachte, fand er, daß sich das spitze Ende einer Bettfeder in seinen Fuß gespießt hatte. Ein bekannter Mediziner wurde wach, als er nach einem ihn beißenden Tier greifen wollte und fand, daß er die harte Kante der Wärmflasche, auf welche er sich im Schlaf gelegt hatte, ergriff. (14) Wir sehen hier, wie der äußere Reiz Phantasiebilder auslöst. Es scheint hier wohl der Ort, darauf einzugehen, wie Phantasiebilder zustande kommen, welches das Wesen des Phantasiebildes ist. - Ein Knabe hat eine Militärmusik gehört, Trommler und Pfeifer. Die Pfeife hat es ihm angetan - nun hält er, wenn er ungestört seinen Spielen nachgehen kann, einen Stock vor den Mund - das ist seine Pfeife, er selbst ist natürlich der Pfeifer -, was am Pfeifer fehlt, ergänzt er aus der Erinnerung. Vielleicht nach kurzer Zeit sieht er die Feuerwehr in Aktion. Der Strahlführer ist sein Mann - wie der den kräftigen Wasserstrahl in das Feuer lenkt! Nun kann derselbe Stock in des Knaben Hand zum Schlauchmundstück werden, er selbst ist Strahlführer - was daran fehlt, ersetzt der Knabe aus der Erinnerung. Im Wesen mit diesen Phantasiebildern verwandt sind die Phantasien unserer Dichtungen. Freilich erkennen wir in den Phantasiebildern unserer Märchen z. B. nicht solche einfachen Erinnerungsbilder, wie wir sie dem spielenden Kind vorschweben sehen. Hier sind die Phantasiebilder komponiert, mosaikartig sind Erinnerungsbilder zusammengestellt, hier vergrößert, dort verkleinert, unbekümmert darum, ob die Zusammenstellung auch der Wirklichkeit entsprechen kann oder nicht. So sind der Drache entstanden von der Gestalt einer großen Eidechse und mit den Flügeln einer Fledermaus, der Zwerg von der Größe eines Kindes jedoch mit dem Bart eines Greises, das Land Utopia oder Schlaraffia mit Bäumen nach der Art unserer Obstbäume und Waldbäume, die aber als Früchte Würste und dgl. tragen. Wenn wir unserer Phantasie ohne Hemmung freien Spielraum lassen, so lassen wir die Gegenvorstellungen außer Tätigkeit. Die Gegenvorstellungen, die Kritik würde uns sagen, daß es ein solches Tier mit Flügeln, aus dessen Rachen Feuer kommt, wie aus einer Schmiedeesse, einfach nicht gibt, daß Kinder keine langen Bärte tragen un daß auf Obstbäumen keine Würste wachsen. Wenn der Dichter dem am Grab seiner Mutter betenden Kind die Mutter erscheinen läßt, welche das weinende Kind tröstet und ihm hilft, so wissen wir, daß eine solche Phantasie voll poetischen Wertes ist und einen wirklich wohltuenden Einfluß auf die Tätigkeit des Geisteslebens ausüben kann, aber wir sind uns im Wachzustand bewußt, daß wir es mit einem Phantasiebild zu tun haben, wir haben die Gegenvorstellungen bereit, wir "bedenken", wir "besinnen" uns und geben das Phantasiebild nach Belieben auf. Im Traum kann es zwar auch vorkommen, daß wir an der Wirklichkeit des Vorgestellten zweifeln, aber es gibt Träume, wo wir absolut keinen Zweifel an der Wirklichkeit des Vorgestellten hegen. - Der Verunglückte, welchem z. B. durch Operation ein Bein entfernt wurde, sieht sich in seinen Träumen noch nach Jahren wirklich mit diesem Bein einhergehen. - Wenn wir von einem lieben verstorbenen Angehörigen träumen, der uns in irgendeiner Verlegenheit wohl helfen könnte, so sehen wir denselben wirklich, wie er uns hilft, und wenn wir dagegen von einem unheimlichen Gesellen träumen, der uns angreift, so wehren wir uns mit aller Energie gegen die Phantasiegestalt, mit solcher Energie, daß wir uns Verletzungen zuziehen können, indem wir wütend und verzweifelt um uns schlagen - das Bewußtsein der wirklichen, gegenwärtigen Verhältnisse kommt dem so Träumenden nicht - die Vorstellungen, welche sich auf die Gegenwart beziehen, sind gehemmt, die Kritik ist ausgestaltet. Diese, besonders von OSKAR VOGT (15) betonte Tatsache der Hemmung und ihrer Wirkung können wir uns durch folgendes Gleichnis veranschaulichen: Wir können den wachenden Menschen vergleichen mit dem Besucher eines Panoram-Rundgemäldes. Ganz in seiner Näher sind die Gegenstände der Gegenwart dargestellt, weiter entfernt die Gegenstände, welche der Vergangenheit angehören. Eine gleichmäßige Beleuchtung erhellt den Raum und es ist für den Beobachter nicht schwierig, die Entfernungen zu schätzen und zu unterscheiden, was der Gegenwart angehört und was der Vergangenheit. (16) Bei Nacht, beim schlafenden Menschen ist die Beleuchtung - wenn wir bei unserem Vergleiche bleiben dürfen - eine ganz andere. Nicht alle Gegenstände sind gleichmäßig beleuchtet, sondern eine konzentrierte Beleuchtung, wie von elektrischen Scheinwerfern läßt einzelne Komplex hell erstrahlen. Nicht das Nächstliegende, das Wirkliche, das der Gegenwart Angehörende erscheint immer am deutlichsten, sondern es kann vorkommen, daß die Gegenstände der Gegenwart ohne jede Beleuchtung daliegen, während weiter Entferntes greifbar näher gerückt erscheint: es ist schwierig oder unmöglich, die Entfernungen zu schätzen, das Vergangene erscheint gegenwärtig - die Erinnerung, das Erinnerungsbild, das Phantasiebild tritt in die Rechte der Wirklichkeit. Wollten wir noch näher auf die Betrachtung der Träume eingehen, so würde uns auch diese Betrachtung Gelegenheit genug bieten, jene Mischung von Schlaf- und Wachzustand zu zeigen, welche wir als zweite wunderbare Eigenschaft des Schlafes genannt haben. Es sei uns jedoch gestattet, diese Eigenart des Schlafes für sich zu betrachten und gehen wir dabei zunächst vom Alltäglichsten aus. Jede Mutter kennt die Methode, wie man ein Kind dahin erzieht, auch im Schlaf reinlich zu sein. So sind wir alle erzogen worden, wir haben lernen müssen, auch im Schlaf ein etwaiges Urinbedürfnis aufzuschieben oder von demselben wach zu werden - ebenso wie wir haben lernen müssen und gelernt haben, des Nachts im Schlaf nicht aus dem Bett zu fallen - unser Geist, der in einer bestimmten Weise tätig ist, bewahrt uns hiervor, während z. B. das kleine Kind noch durch hohe Seitenwände, welche das Bett nach außen umgeben, vor dem Herausfallen beschützt werden muß. So ist unser Geist auch für höhere Aufgaben wie für diese im Schlafe noch wachsam und geneigt seine Pflicht zu erfüllen und den Schlaf aufzugeben, wenn eine solche Aufgabe an ihn herantritt. Eine sorgsame Mutter (17), welche in ihrer Schlafstube ihr schlafendes Kind weiß, wird sofort wach, wenn das Kind auch nur das geringste Geräusch von sich gibt, welches darauf hindeutet, daß das Kind seine Mutter nötig hat, während sie andere Geräusche, etwaige Geräusche auf der Straße, das Schnarchen ihres Gatten oder das späte Zubettgehen desselben usw. einfach überhört. Ein in meiner Behandlung befindlicher früherer Angestellter der Feuerwehr teilte mir folgendes mit: Als Führer des Löschzugs habe er stets sofort, wenn eine Feuermeldung eingelaufen sei, die nötigen Anordnungen zu treffen gehabt und daher auch Nachts auf dem Hauptfeuerwehrdepot entweder in dem Zimmer, wo sich der Telegraphenapparat befindet oder in nächster Nähe dieses Zimmers seine Schlafstelle gehabt. Der Telegraphenapparat, zu dessen Bedienung noch besondere Telegraphisten angestellt sind, gibt bei Feuermeldung ein in Absätzen ertönendes Glockensignal ab. Von diesem Feuermeldesignal ist der Angestellte stets sofort erwacht. In jeder Nacht werden durch den Telegraphen aber auch andere Meldungen wie die Feuermeldung vermittelt, sogenannte Betriebsdepeschen, z. B. das erfolgte Ablösen der Wachtposten, ein Unglücksfall usw. Diese Meldungen, die den Führer des Löschzugs ja keineswegs interessierten, waren nicht imstande, denselben zu wecken, er schlief ruhig weiter und erfuhr erst am anderen Morgen aus dem von den Telegraphisten geführten Protokollbuch, daß und welche Meldungen über Wacheablösen usw. in der Nacht eingelaufen waren. Er bemerkt hierzu, daß beide Arten von Signalen stets durch ein und dieselbe Glocke abgegeben werden und daß Feuermeldesignale stets viel weniger laut, wie er sagt nur halb so laut ertönen, wie die übrigen gleichgültigeren Signale. So werden manche Beamte zu einer bestimmten Stunde in der Nacht wach, der Bahnwärter z. B. erwacht zur rechten Zeit vor dem Herannahen des Nachtschnellzugs. So erzählte mir auch ein mir befreundeter Pastor, ein älterer Herr, daß er nie in seinem Leben die Sonntagsfrühpredigt verschlafen habe, daß er Sonntas stets zur frühen Stunde, wie es nötig war, ohne geweckt zu werden, erwacht sei, während er Alltags ruhig bis zu seiner gewohnten späteren Aufstehezeit durchschlafe. Manche Personen kennen als probates Mittel, den Geist in dieser bestimmten Weise wacker zu erhalten, die Methode, so oft abends mit den Füßen an den Bettpfosten zu schlagen, als sie Stunden schlafen wollen, andere haben dies nicht nötig und es genügt ihnen der feste Vorsatz, um auch zur ungewohntesten Zeit zu erwachen, nicht später, aber auch nicht früher, wie sie sich vorgenommen haben. Es wird niemand schwer fallen, solche und ähnliche Beispiele im Kreis seiner Familie und Freunde zu sammeln. Es kann dann vorkommen, daß jemand des Nachts geweckt wird oder von selbst wach wird, daß er aufsteht, irgendeine gewohnte Handleistung verrichtet, sich wieder zu Bett legt, weiter schläft und am anderen Morgen nur undeutlich oder sich gar nicht an den Vorfall erinnert, oder sich erst dann des Vorfalls erinnert, wenn er durch äußere Umstände darauf gebracht wird. Ein sehr markantes Beispiel hierfür bietet die Erfahrung eines bekannten Chirurgen, der mit mitteilte, daß er oftmals zur Zeit der Diphterie-Epedemie zur Operation der stenotischen [Verengung der Hauptschlagader - wp] Kinder des Nachts geweckt worden sei, im Operationssaal, wie schon hundert Mal vorher, den Luftröhrenschnitt ausgeführt, sich wieder zum Schlafen hingelegt habe und am anderen Morgen sich zunächst des Vorfalls nicht erinnern konnte und sich erst vollkommen erinnerte, als die Sprache auf das Vorkommnis kam. (Es sei zum Überfluß ausdrücklich hinzugefügt, daß hier eine Einwirkung etwa genossenen Alkohols gänzlich auszuschließen ist). - Der damals 12-jährige Pflegebruder einer mir bekannten Dame wurde, als im Jahre 1881 der Komet sichtbar war, auf sein Verlangen Nachts geweckt, um den Kometen am Himmel zu sehen. Am anderen Morgen behauptete er, nicht geweckt worden zu sein. Nunmehr weckte man ihn in der nächsten Nacht und sagte ihm dabei: "Jetzt wirst Du Dich aber doch sicher morgen erinnern, da Du geweckt bist!" "Ja, ganz bestimmt, jetzt weiß ich es, daß ich geweckt worden bin und den Komet gesehen habe." Aber auch am Morgen nach dieser zweiten Nacht fragte er wieder: "Warum habt Ihr mich wieder nicht geweckt?" und schenkte der Versicherung, daß man ihn doch geweckt habe, keinen Glauben. Wir haben es also hier mit einem Zustand des Wachseins zu tun, der in seiner Natur nur durch den Zusammenhang mit dem voraufgegangenen und dem nachfolgenden Schlaf zu verstehen ist. Wollen wir dem Zustand einen Namen geben, so können wir hier nicht von Halbschlaf reden, sondern es ist korrekter, von Teilschlaf zu sprechen, und wir finden bei näherer Betrachtung, daß der Teilschlaf eine keineswegs seltene Erscheinung ist, mag er sich nun in dem einen Fall mehr dem Schlafzustand oder im anderen Fall mehr dem Wachzustand in seiner Erscheinung nähern. Ja, wir können schließlich nur beim wirklichen gänzlich traumlosen Schlaf, wenn es einen solchen gibt, von Vollschlaf und dem Vollwachen liegt, zeigt alle Grade der Abstufung zwischen diesen beiden Grenzen. Es wird sich dann oft fragen, ob der jeweilige Geisteszustand, der sich unserer Beobachtung darstellt, mehr dem Wachzustand oder mehr dem Schlafzustand angehört. Ähnlicher Beispiele, wie die oben angeführten, gibt es noch viele, z. B. die folgende Selbstbeobachtung von Prof. FOREL. Prof. FOREL teilt mit: (18) "Ich selbst bin als Student bei langweiligen Vorlesungen eingeschlafen und habe dabei weiter geschrieben, sogar Bruchstücke von Träumen zu schreiben begonnen." - FRITHJOF NANSEN schreibt von seiner Schlittenreise ("In Nacht und Eis" II, Seite 42). "Manchmal waren wir abends so schläfrig, daß uns die Augen zufielen und wir im Weitergehen einschliefen. Der Kopf sank mir herab, ich schlief, doch plötzlich wachte ich auch, wenn ich auf den Schneeschuhen vornüber stolperte". - Dasselbe beobachtet man bei Soldaten auf dem Marsch. Sie schlafen im Gehen und werden erst wach, wenn die Kolonne stillsteht. Dabei fallen sie, wie uns ein Beobachter erzählt, vornüber und werden dann wach. - Ein alter Herr, der Freund und Reisegefährte eines Kollegen hatte sogar die Angewohnheit auf diese Weise seine Mittagsruhe zu erledigen. Er pflegte, wenn er kurz nach dem Mittagsmahl den Marsch wieder antreten mußte, seinen Freund, unseren Berichterstatter, zu bitten, doch vor ihm vorauszugehen und ihn darauf aufmerksam zu machen, wenn auf der Chaussee, auf der sie gingen, Steine im Weg lägen - er müsse erst Siesta abhalten. Nach einiger Zeit schlug dann der Herr die Augen wieder auf und nahm, neu gestärkt, wie er versicherte, das gewohnte schärfere Marschtempo wieder auf. - In innigem Zusammenhang mit diesen Beobachtungen stehen die Beobachtungen, daß derjenige, der sich in einem solchen Zustand des Teilschlafs befindet, auch zu den Personen seiner Umgebung in einem gewissen "Rapport" steht. (19), daß er auch hört, was zu ihm gesprochen wird und daß er das Gehörte auch verarbeitet. Eine mir bekannte Dame hatte im Beginn ihrer Tätigkeit als Lehrerin öfter den Traum, zu unterrichten. Sie sprach dann laut und stellte Fragen an die in ihrem Traum vorgestellten Kinder und eine im Schlafzimmer befindliche Verwandte antwortete ihr, ohne daß sie dadurch erwachte und ohne daß sie sich am andern Morgen an dieses Vorkommnis erinnerte. So kann man auch durch einige Übung die Fertigkeit erlangen, bei einem schlafenden Menschen den tieferen Schlaf in einen oberflächlicheren Teilschlaf zu überführen, wie ich selbst ein Beispiel davon aus meiner Praxis erzählen kann. Ich wurde zu einem Kind gerufen, dessen Eltern fürchteten, es leide an einem Anfall von Diphterie. Ich fand das Kind schlafend, ließ es im Bett sich hinknien, den Mund öffnen, ich besichtigte den Rachen und ließ schließlich das Kind sich wieder hinlegen. Es schlief dann weiter und wußte sich nachher nicht zu erinnern, daß ich bei ihm gewesen war. Einer meiner Jugendfreunde erzählt mir folgendes: Er hatte als Kind Anfälle von Pseudokrupp. Der Arzt riet den Eltern, um dieselben zu beruhigen, sie möchten doch, ehe sie zu Bett gingen, das Kind noch einmal wecken und husten lassen, um sich zu überzeugen, ob der Husten normal oder kruppös klänge, damit im letzteren Fall sogleich geeignete Maßnahmen getroffen werden könnten. Die Eltern folgten dem Rat, es kam aber bald dahin, daß sie das Kind nicht mehr völlig zu wecken brauchten, sondern daß dasselbe auf das Kommando: "Willy, huste einmal!" im Schlaf vorschriftsmäßig hustete, dann ruhig weiter schlief und morgens ohne Erinnerung an das Vorgefallene war. Dr. van RENTERGHEM (20) teilt folgendes mit: Als er nachts seinen Sohn, der im Nebenzimmer schlief, laut sprechen hörte, ging er auf das Kind zu und es gelang ihm durch sanftes Zureden den Schläfer zu beruhigen, ohne ihn zu wecken. Zur Probe gab er dem Kind noch auf, am anderen Morgen eine bestimmt genannte Tierfabel zu erzählen. Der Junge bat am anderen Morgen beim Frühstück den Vater, ihm doch eine Fabel und zwar jene genannte abzuhören. Eine Erinnerung an das Vorkommnis in der Nacht hatte er nicht. Etwas Ähnliches berichtet Prof. BUDDE, Physiker in der Direktion von SIEMENS & HALSKE in einem Artikel der "Kölnischen Zeitung", sowie in einem an mich gerichteten Privatschreiben. Das Kind von Prof. BUDDE, ein Mädchen, war seinen Eltern auffällig durch ein eigentümliches Zähneknirschen, welches es fast allnächtlich im Schlaf ertönen ließ. Alle Ermahnungen, welche an das Kind vor dem Einschlafen gerichtet wurden, hatten keinen Erfolg, - interessant war dabei auch die Tatsache, daß das Kind nicht imstande war, im Wachzustand dieses eigenartige Geräusch von sich zu geben. Der Vater entschloß sich daher zu folgendem: Er setzte sich. als das Kind schlief, an dessen Bett, redete es in ruhigem Tonfall so an, daß es nicht wach wurde und als Worte allein nicht genügten, faßte er das Kind am Unterkiefer an, hielt den Unterkiefer sanft fest und sagte: "Mäuschen, laß das!" Das Kind ließ in der Tat von seiner Unart ab und zwar nicht nur in jener Nacht, sondern auch in den folgenden Nächten. Für jeden Kenner der Hypnose ist es zweifellos, daß diese eben beschriebenen Schlafzustände sich in nichts von der Hypnose unterscheiden, wie denn auch die psychologische Definition der Hypnose die ist: Die Hypnose ist ein Schlafzustand, welcher sich durch den "Rapport" auszeichnet, d. h. ein Schlafzustand, in welchem ein Gedankenaustausch, z. B. zwischen Arzt und Patient, möglich ist. ![]()
1) Deutsche Ausgabe von Dr. O. DORNBLÜTH, 1892. 2) LIEBÉAULT et son école, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. IV, Seite 333f 3) Deutsche Ausgabe von Dr. SIGMUND FREUD, 1888. 4) OTTO GEORG WETTERSTRAND, Der Hypnotismus und seine Anwendung in der praktischen Medizin, Wien 1891 5) AUGUST FOREL, a. a. O., Stuttgart 1889 6) ALBERT MOLL, a. a. O., Berlin 1889 7) Eine genauere Wiedergabe der Ärzte (namentlich auch der ausländischen), welche bahnbrechend gewirkt haben, findet sich bei A. MOLL, "Der Hypnotismus". 8) MÖBIUS, Neurologische Beiträge, Leipzig, 1. Heft 9) Die direkte psychologische Experimentalmethode in hypnotischen Bewußtseinszuständen, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 5, Seite 7f 10) ebenda, Bd. 6, Seite 1 und 193; Bd. 7, Seite 1, 228, 266; Bd. 10, Seite 314 11) Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 3, Seite 277; Bd. 4, Seite 32, 122, 229. 12) PFLÜGERs Archiv Bd. X, Seite 468f 13) Siehe SPITTA, Die Schlaf- und Traumzustände der menschlichen Seele. OSKAR VOGT, Zur Kenntnis des Wesens und der psychologischen Bedeutung des Hypnotismus, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 3 und 4. K. BRODMANN, Zur Methodik der hypnotischen Behandlung, Zeitschrift für Hypnotismus, Bd. 6, Seite 193f, ferner die oben bezeichneten Lehrbücher. 14) Prof. Dr. J. MOURLY VOLD in Christiana hat bei seinen experimentellen Studien (Revue de l'Hypnotisme et de la psychologie, Januar 1896) ähnliche Resultate erhalten. Bei seinen Versuchspersonen blieben bestimmte Gliedmaßen die Nacht hindurch bekleidet oder umwickelt oder wurden in eine bestimmte mehr oder weniger charakteristische Stellung gebracht. 15) OSKAR VOGT, Zur Kenntnis des Wesens usw., Zeitschrift für Hypnose, Bd. 3, Seite 315 16) Eine nähere Betrachtung über das Gedächtnis und das Verhältnis von Sinnesreiz und Wahrnehmung einerseits zu Erinnerungsbild und Vorstellung andererseits mußte einem ferneren Teil der Arbeit vorbehalten bleiben, auf den in Bezug auf das hier Gesagte verwiesen sei. Selbstverständlich haften dem hier der Kürze halber angeführten Vergleiche alle Schwächen eines solchen an, während er allerdings die Tatsache berührt, daß auch im Wachzustand eine mathematisch scharfe Trennung von Wahrnehmung und Erinnerung für unser Gefühl nicht immer möglich ist. 17) OSKAR VOGT, Zur Kenntnis des Wesens usw., Zeitschrift für Hypnose, Bd. 3, Seite 340 18) AUGUSTE FOREL, Der Hypnotisus usw. 4. Auflage, Seite 124 19) Über den "Rapport in der Hypnose" handelt das gleichnamige Werk von Dr. A. MOLL, Leipzig 1892 20) Dr. A. W. van RENTERGHEM, Liebéault et son école, Zeitschrift für Hypnose, Bd. 6, Seite 23 |