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OTTO SCHLUNKE
Die Lehre vom Bewußtsein
bei Heinrich Rickert

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"Freilich, das muß hinzugefügt werden, daß nur mit Hilfe des Begriffs vom unpersönlichen Bewußtsein und erkenntnistheoretischen Subjekt der Solipsismus zu widerlegen ist. Wer nur ein individuelles Bewußtsein und dabei kein von diesem Bewußtsein unabhängiges Sein anerkennen will, spricht damit den Solipsismus einfach aus und vermag niemals über ihn hinauszukommen."


III. Die Welt als Inhalt eines vom menschlichen
unterschiedenen Bewußtseins.


1. Die Notwendigkeit der Annahme eines vom
menschlichen Bewußtsein unterschiedenen
Bewußtseins
    "Freilich, das muß hinzugefügt werden, daß nur mit Hilfe des Begriffs vom unpersönlichen Bewußtsein und erkenntnistheoretischen Subjekt der Solipsismus zu widerlegen ist. Wer nur ein individuelles Bewußtsein und dabei kein von diesem Bewußtsein unabhängiges Sein anerkennen will, spricht damit den Solipsismus einfach aus und vermag niemals über ihn hinaus zu kommen." (1)
Ich finde in diesem Satz die ganze Verlegenheit ausgedrückt, in die die Erkenntnistheorie durch ihr Vorurteil: "Der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein", geraten muß: der Solipsismus droht, wie in der "alten" so auch in der "neuen" Erkenntnistheorie, aller erkenntnistheoretischen Arbeit Einhalt zu gebieten, denn wo von einem "Bewußtsein" die Rede ist, meint man mit diesem Wort zunächst immer ein menschliches Bewußtsein. (2)

Ist nun aber mein Bewußtsein das Bewußtsein, zu dem der Inhalt gehört, mein Bewußtsein das Bewußtsein, das dem Inhalt die Form verleiht, mein Bewußtsein das Bewußtsein, das sich den Inhalt schafft, mit einem Wort: mein Bewußtsein das Bewußtsein, von dem der Inhalt "abhängt", so bedeutet das nicht mehr und nicht weniger, als daß der Bewußtseinsinhalt nur aufgrund dieses meines menschlichen Bewußtseins möglich ist, daß dieses mein menschliches Bewußtsein mit seinem Inhalt als "Einziges" die Welt ausmacht, da ja der "Inhalt" zum Bewußtsein gehört, nicht mehr und nicht weniger, als die Verkündung des Solipsismus, nicht mehr und nicht weniger als das Ende der Erkenntnistheorie überhaupt, denn die "alte" und die "neue" Erkenntnistheorie treffen sich in der Behauptung, daß der Bewußtseinsinhalt abhängig ist vom Bewußtsein.

Hält man am Bewußtsein, mit dem die Erkenntnistheorie zu tun hat, und von dem der Bewußtseinsinhalt abhängen soll, als einem menschlichen Bewußtsein fest, so bleibt nur eine Möglichkeit, dem Solipsismus zu begegnen: die Setzung einer vom menschlichen Bewußtsein unterschiedenen Welt, deren Unterschiedenheit von der "Bewußtseinswelt" vor allem darin wurzelt, daß diese Welt unabhängig vom menschlichen Bewußtsein oder, um den Ausdruck RICKERTs zu gebrauchen, als "transzendente Welt" existiert: man versucht den Bannkreis des Solipsismus durch eine Spaltung der Welt in "Welt als Bewußtseinsinhalt" und "Welt ansich" zu sprengen. Es ist das der Weg, den die "alte" Erkenntnistheorie, der "erkenntnistheoretische Realismus", eingeschlagen hat. (3)

Nun aber endet der "Realismus", wie RICKERT nachgewiesen zu haben glaubt, bei einem "widerspruchsvollen Begriff", bei einer unhaltbaren Behauptung; und wieder pocht der Solipsismus an die Tür, wieder handelt es sich für die Erkenntnistheorie um Sein oder Nichtsein.

Der Rettungsversuch der "neuen" Erkenntnistheorie bedeutet in der Tat etwas "Neues" (4): der "Idealismus" RICKERTs sucht das Übel an der Wurzel zu fassen. Immer ist man in der "alten" Erkenntnistheorie von einem menschlichen Bewußtsein ausgegangen, immer hat deshalb für diese Erkenntnistheorie die Gefahr bestanden, früher oder später dem Solipsismus zu verfallen. Um auf die Dauer vor dem Solipsismus geschützt zu sein, gibt es, meint RICKERT, nur ein Mittel, nachdem der Rettungsversuch auf "realistischer" Grundlage gescheitert ist: die Verwerfung des menschlichen Bewußtseins als des Ausgangspunktes für die Wissenschaftslehre, als des Bewußtseins also, von dem der "Bewußtseinsinhalt" abhängig ist: das Neue, was die Erkenntnistheorie RICKERTs in der Gebiet der Erkenntnistheorie einführt, ist die Erklärung, die Erkenntnistheorie habe nicht von einem menschlichen Bewußtsein auszugehen, sondern, da sie nun einmal von einem Bewußtsein oder einem Subjekt ausgehen muß, im Gegensatz zu den Spezialwissenschaften, die sich nur um "Objekte" kümmern (5), von einem "Bewußtsein" oder einem "Subjekt", das ein vom menschlichen Bewußtsein oder Subjekt schlechthin unterschiedenes Bewußtsein ist. (6)

Die Notwendigkeit der Annahme eines solchen vom menschlichen Bewußtsein unterschiedenen Bewußtseins als des Ausgangspunktes von RICKERTs Erkenntnistheorie ist also vor allem begründet in dem "grundlegenden Vorurteil" der Erkenntnistheorie überhaupt: "Der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein"; ist begründet aber auch in der Ablehnung der "transzendenten Welt" des erkenntnistheoretischen Realismus als des Versuches, dem Solipsismus durch die Setzung einer von der Bewußtseins unterschiedenen Welt zu begegnen.

Unverkennbar sind die Vorteile, die der RICKERTsche Versuch, den Solipsismus zu widerlegen, wenn er gelingt, dem erkenntnistheoretischen Realismus gegenüber aufzuweisen hat: da die Spaltung der Welt in eine "transzendente" Welt und eine "Bewußtseinswelt" abgelehnt wird und "alles Sein" als ein "Sein im Bewußtsein", nämlich in einem "neuen" Bewußtsein, von dem die Erkenntnistheorie RICKERTs ausgeht, angesehen wird, überwindet die "neue" Erkenntnistheorie alle Schwierigkeiten, die den Realismus gezwungen haben, die Bewußtseinswelt zu einer "Erscheinung" oder gar zu einem "Schein" herabzusetzen. Die Erkenntnistheorie RICKERTs würde mit dem Gelingen des Versuches auf einem gesichteten Boden gestellt, um den sie nicht dauernd mit dem Solipsismus zu kämpfen hätte. Sie wäre als besondere Wissenschaft, gekennzeichnet vor den anderen Wissenschaften durch ihren Ausgangspunkt (dem "Bewußtsein oder Subjekt"), gerechtfertigt, wenn sie den Widerspruch, der durch die Vieldeutigkeit des Satzes: "Der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein", heraufbeschworen ist, überwinden könnte, eine Aufgabe, die zunächst durchaus als lösbar angesehen werden muß.

Gleichzeitig aber will es uns scheinen, als sei der Versuch RICKERTs, dem Solipsismus erfolgreich zu begegnen, der noch einzig mögliche, nachdem der Versuch des Realismus gescheitert ist, solange an dem Satz festgehalten wird, daß der Bewußtseinsinhalt abhängig ist vom Bewußtsein. Das bedeutet aber gleichzeitig, daß der Versuch RICKERTs, die Erkenntnistheorie auf ein vom menschlichen Bewußtsein unterschiedenes Bewußtsein zu gründen, als der einzig mögliche ausgeprochen werden muß, die Erkenntnistheorie als besondere Wissenschaft überhaupt zu rechtfertigen; denn die Erkenntnistheorie ist nur möglich durch das Urteil: der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein, ihre Unmöglichkeit ist bewiesen, wenn sie gezwungen ist, dieses Urteil überhaupt fallen zu lassen, oder wenn sie im Solipsismus endet.


2. Die an das vom menschlichen Bewußtsein
unterschiedene Bewußtsein zu stellenden
Forderungen.

Die Existenzberechtigung des Idealismus hängt also letzten Endes davon ab, ob RICKERT durch den "neuen" Ausgangspunkt seiner Wissenschaftslehre, das vom menschlichen Bewußtsein unterschiedene Bewußtsein, an seinem Urteil: der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein, festhalten kann, ohne den Solipsismus oder den Realismus als der Erkenntnistheorie letzten Schluß anerkennen zu müssen.

Es erheben sich hier zwei Fragen. Die erste Frage lautet:
    "Welche Forderungen sind an das vom menschlichen Bewußtsein unterschiedene Bewußtsein zu stellen, damit die Aufgabe, die Widerlegung des Solipsismus und Realismus, als gelöst betrachtet werden kann?"
Die zweite Frage ist diese:
    "Mit welchem Recht setzt Rickert ein vom menschlichen Bewußtsein unterschiedenes Bewußtsein als den Ausgangspunkt seiner Erkenntnistheorie?"
Ich beginne mit der ersten Frage.

a) das aufzuzeigende Bewußtsein als
unendliches Bewußtsein

Da die nächste und wichtigste Aufgabe für das "neue" Bewußtsein, das "Bewußtsein überhaupt" (7), in der Überwindung des Solipsismus und Realismus (8) besteht, muß durch die Setzung dieses "Bewußtseins überhaupt" die vom "Realismus" eingeführte Spaltung der Welt in "Bewußtseinswelt" und die von dieser unterschiedene "Welt ansich" beseitigt werden und zwar dadurch, daß auch nach Aufrechterhaltung des Satzes: der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein, die "transzendente Realität ansich seiender Dinge" des "Realismus" gestrichen werden kann, ohne daß der Solipsismus das Ergebnis der Ablehnung dieser "Welt ansich" bildet, d. h. es muß sich auch nach dem Verzicht auf die "transzendente Realität" doch ein vom menschlichen Bewußtsein unabhängige Welt (mein Bewußtsein und sein Inhalt soll ja eben nicht die Welt ausmachen!) durch die Setzung eines "Bewußtseins überhaupt" nachweisen lassen.

Der "Realismus" und RICKERTs "Idealismus" treffen also in der Ansicht zusammen, daß auch außerhalb des menschlichen Bewußtseins eine Welt liegt, die von diesem menschlichen Bewußtsein unabhängig ist (9); dadurch jedoch sind sie voneinander verschieden, daß der "Realismus" die Welt außerhalb des menschlichen Bewußtseins als eine transzendente, d. h. überhaupt vom Bewußtsein unabhängige Welt anspricht, während der "Idealismus" RICKERTs diese außerhalb des menschlichen Bewußtseins liegende Welt durchaus gleich der Welt im menschlichen Bewußtsein als eine Welt im Bewußtsein, d. h. als eine vom Bewußtsein abhängige Welt angesehen wissen will.

Von dem aufzuzeigenden Bewußtsein muß also zunächst verlangt werden, daß es einen reicheren Inhalt hat als das menschliche Bewußtsein, weil es ja auch die außerhalb des menschlichen Bewußtseins liegende Welt "umfassen" soll. Da aber jede transzendente Realität vom "Idealismus" abgelehnt wird, da also nach RICKERT nichts außerhalb des Bewußtseins existiert, wird es für den Idealismus darauf ankommen, nachzuweisen, daß die gesamte Welt im Bewußtsein liegt, daß also das "Bewußtsein überhaupt" die gesamte Welt "umfaßt" (10).

Der Sinn von RICKERTs Wort: "Das Bewußtsein überhaupt umfaßt die ganze Welt" oder "Die ganze Welt ist Bewußtseinsinhalt" kann aber nur darin gesucht werden, daß die ganze Welt ein Gewußtes ist (11). Das Bewußtsein überhaupt darf somit nicht die Enge des menschlichen Bewußtseins aufweisen, d. h. es darf keinen Teil der Welt als augenblicklich Gewußtes haben, dessen es sich im nächsten Augenblick nicht mehr bewußt ist. Denn in dem Augenblick, in dem der betreffende Teil kein Gewußtes mehr wäre, wäre er auch nicht mehr "Bewußtseinsinhalt"; das bedeutet aber, daß er überhaupt nicht mehr wäre. ("Bewußtseinsinhalt sein" und "Sein" ist nach RICKERT dasselbe.) (12) Wäre also das "Bewußtsein überhaupt" gleich dem menschlichen Bewußtsein mit der "Bewußtseinsenge" behaftet, d. h. könnte es sich in jedem Augenblick nur eines Teils der Welt bewußt sein, so müßte angenommen werden, daß die Welt, die ja darin "aufgeht, Bewußtseinsinhalt zu sein", in jedem Augenblick nur aus diesem Bewußtsein besteht, wenn man nicht zur Behauptung von einer "außerhalb des Bewußtseins existierenden Realität" hinwieder seine Zuflucht nehmen will, wenn man also mit dem Realismus nicht annehmen will, daß das nicht Gewußte als Nichtbewußtseinsinhalt "außerhalb des Bewußtseins" weiter existiert.

Es muß also von einem "Bewußtsein überhaupt", als dem Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie Rickerts gefordert werden, daß es in jedem Augenblick die ganze Welt "umfaßt", d. h. weiß.

Von der Welt nehmen wir ferner an, daß sie zeitlich ohne Anfang und ohne Ende ist. Da nun nach RICKERT die "Welt darin aufgeht, Bewußtseinsinhalt zu sein", so muß sich das "Bewußtsein überhaupt" ebenso wie sein Inhalt, die Welt, fassen lassen als ein ewiges Bewußtsein, nach dessen zeitlichem Anfang oder Ende zu fragen keinen Sinn hat, denn die ewige Welt kann nicht vor oder nach dem Bewußtsein existieren, weil sie in diesen Fällen als "Nichtbewußtseinsinhalt" also als "transzendente Realität" unabhängig vom Bewußtsein existieren würde.

Nennen wir ein solches Bewußtsein ein unendliches Bewußtsein, so muß sich also das "Bewußtsein überhaupt", der Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie Rickerts, als ein unendliches Bewußtsein begreifen lassen, sowohl seinem Inhalt (da es die ganze Welt "umfaßt"), als auch der Zeit nach. (13)

Die Forderung der "Unendlichkeit des Bewußtseins überhaupt" ergibt sich also aus dem ersten Vorurteil des erkenntnistheoretischen Idealismus RICKERTs: der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein, ergibt sich ferner daraus, daß das "Bewußtsein überhaupt" nach RICKERT als Mittel dient, den Realismus und den Solipsismus zu widerlegen.


b) Das Bewußtsein überhaupt nicht
Geist oder Körper.

Zwei weitere Forderungen betreffs des Bewußtseins überhaupt erwachsen gleich der ersten aus Vorurteilen, denn der Methode und der verkündeten Vorurteilslosigkeit zum Trotz bleibt jenes nicht allein: zwei andere gesellen sich zu ihm, als deren erstes wir dieses anführen: "Das Subjekt ist unterschieden vom Objekt", oder: "Der Bewußtseinsinhalt ist etwas anderes als das Bewußtsein." (14)

Aus diesem Vorurteil ergibt sich nun, daß das "Bewußtsein überhaupt" weder Geist noch Körper sein kann. Denn da die Welt aus "geistigen und körperlichen Vorgängen" besteht, muß also, was als Geist oder Körper begriffen wrid, zur Welt, d. h. zum Bewußtseinsinhalt gerechnet werden. Weil nun aber das Bewußtsein nach RICKERT im "Gegensatz" steht zum Bewußtseinsinhalt, also als etwas vom Bewußtseinsinhalt Unterschiedenes begriffen werden soll, darf es weder als etwas Geistiges noch als etwas Körperliches bestimmt werden.

Zu demselben Ergebnis gelangen wir aufgrund des zweiten Vorurteils. Nach RICKERT muß der Bewußtseinsinhalt eines psychischen Subjekts gleichfalls als etwas Psychisches angesprochen werden (15).

Da die Welt nun aus "körperlichen und geistigen oder psychischen Vorgängen besteht" (16), kann die Welt als Bewußtseinsinhalt nicht der Bewußtseinsinhalt eines psychischen Bewußtseins sein, weil der Inhalt des "Bewußtseins überhaupt", wäre dieses Bewußtsein etwas Psychisches, selbst als Psychisches bestimmt werden müßte; "die Behauptung aber, alles ist Seele", ist nach RICKERT ebenso unberechtigt wie die Behauptung, alles ist Körper. (17)

Ob sich der Satz: der Inhalt des psychischen Bewußtseins ist selbst auch etwas Psychisches, halten läßt, ist Gegenstand späterer Erörterungen. Hingewiesen sei hier nur darauf, wie durch diese Behauptung jenes Urteil hindurchblickt: der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein, und zwar in der besonderen Fassung, die den Inhalt als Zustand des Bewußtseins behandelt. Setzt sich mein Bewußtseinsinhalt aus Zuständen meines Bewußtseins zusammen, so ist allerdings nicht einzusehen, wie der zusammengesetzte Inhalt mehr sein soll als die Einheit dieser Zustände. Ist mein Bewußtsein Geist, so ist auch die Summe der Zustände meines "geistigen" Bewußtseins, d. h. der Inhalt des "individuellen Ich" als etwas Geistiges oder Psychisches aufzufassen.

Muß nun aber doch auch das Physische, die Körperwelt, nach RICKERT als Inhalt des Bewußtseins aufgefaßt werden, so kann dieses Bewußtsein, wie kein menschliches, so auch kein "psychisches Bewußtsein" sein.

Das "Bewußtsein überhaupt" als der Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie Rickerts muß sich also als "Bewußtsein" fassen lassen, trotzdem es unterschieden sein muß von jedem Bewußtseinsinhalt, trotzdem es weder als Körperliches, noch als Geistiges (Psychisches) begriffen werden soll. (18)


c) Das aufzuzeigende Bewußtsein
ein Wissendes.

Die "Welt in ihrer Zweiteilung (die Welt besteht aus physischen und psychischen Vorgängen) ist nach RICKERT Bewußtseinsinhalt und zwar Bewußtseinsinhalt des Bewußtseins überhaupt als des Ausgangspunktes seiner Erkenntnistheorie. Es ist somit festzustellen, welcher Sinn den Worten "Bewußtseinsinhalt" und "Bewußtsein" nach RICKERT zugeschrieben werden kann und unter welcher Bedingung also die Bezeichnung der "Welt" als "Bewußtseinsinhalt" berechtigt ist.

Ich habe schon weiter oben darauf hingewiesen, daß für RICKERT die Worte "Subjekt" und "Bewußtsein dasselbe besagen, ebenso wie die Worte "Objekt" und "Bewußtseinsinhalt". Ich halte diese Gleichsetzung von "Bewußtsein" und "Subjekt" für verfehlt, da das Wort "Subjekt" tatsächlich etwas anders zum Ausdruck bringt als das Wort "Bewußtsein", ich halte sie bei RICKERT für umso weniger berechtigt, als das Wort "Subjekt" bei ihm, entsprechend den verschiedenen Bedeutungen, die den Worten "Subjekt" und "Bewußtsein" zukommen, nunmehr in doppelter Bedeutung auftritt. Denn einmal wird bei RICKERT durch die Bestimmung "Subjekt" ein Besonders als solches gekennzeichnet, und sodann gebraucht er das Wort, um eine Beziehung eines Besonderen auf ein anderes zum Ausdruck zu bringen.

Die letzte Bedeutung des Wortes "Subjekt" scheint mir allein als haltbar und zwar aus folgendem Grund: Suchen wir im Gegebenen, in dem, was immer Gegenstand der Erkenntnis sein kann, nach einem solchen Besonderen, das, für sich der Betrachtung unterzogen, "Subjekt" genannt werden könnte, so müssen wir gestehen, ein solches Gegebenes nicht vorfinden zu können. Denkt etwa jemand an die menschliche Seele und behauptet, diese Seele sei als "Subjekt" zu bestimmen, so können wir diese Bestimmung für die Seele, solange sie als Gegebenes für sich der Betrachtung unterzogen wird, nie und nimmer verstehen. Denn zergliedern wir das Gegebene "Seele", so finden wir ein wissendes Einzelwesen mit besonderen Bestimmtheiten, wir finden Seelenleben, d. h. Veränderungen dieses Einzelwesens "Seele", finden uns, diese Seele, als Wille, finden Vorstellungen, Gefühle; nirgends aber bietet sich im ganzen Bereich des Seelischen etwas, das mit dem Wort "Subjekt" belegt werden könnte. Daran ändert auch die Leugnung der Seele als eines besonderen Einzelwesens nicht das Geringste; im Gegenteil, wird die Seele, wie bei RICKERT (19), als besonderes Einzelwesen gestrichen, und die Behauptung aufgestellt, es sei die "Seele" nichts anderes als eine "Summe von psychischen Vorgängen", so finden wir auch in dieser "Seele" keinen Anhaltspunkt für die Bestimmung dieser "Summe von psychischen Vorgängen" als eines "Subjektes". Denn nach der Behauptung, die "Seele" sei eine "Summe psychscher Vorgänge" und nach der Annahme, daß das Wort "Subjekt" ein Gegebenes als solches kennzeichnet, müßte entweder die "Summe psychischer Vorgänge" ein "Subjekt" sein, oder es müßte jeder einzelne "Vorgang" als "Subjekt" angesprochen werden, so daß sich die Seele als eine "Summe von Subjekten" darstellt. Daß beide Gleichsetzungen, sowohl: "Summe von psychischen Vorgängen" = "Subjekt", als auch: "psychischer Vorgang" = "Subjekt" unhaltbar sind, scheint mir des Nachweises nicht zu bedürfen.

Muß somit abgelehnt werden, daß durch "Subjekt" ein Gegebenes, das als solches für sich der Betrachtung unterzogen wird, bestimmt werden kann, darf aber trotzdem nicht behauptet werden, daß das Wort "Subjekt" nichts bedeutet, so bleibt nur die Möglichkeit, daß die Bestimmung "Subjekt", die einem Gegebenen beigelegt wird, dieses Gegebene in Beziehung zu einem anderen Gegebenen kennzeichnet, daß also das Wort "Subjekt" der Ausdruck eines Beziehungsbegriffes ist.

Daß durch das Wort "Subjekt" eine besondere, d. h. von anderen Beziehungen unterschiedene Beziehung zum Ausdruck gebracht wird, bedarf keines Nachweises. Diese besondere Beziehung eines Besonderen auf ein anderes, die durch das Wort "Subjekt" ausgedrückt wird, ist die Beziehung eines Besonderen als Wissenden (Bewußtseins) auf ein Besonderes als sein Gewußtes. Als "Subjekt" ist also ein Bewußtsein zu bestimmen, insofern es in Beziehung zu seinem Gewußten gesetzt wird; und nur diesem seinem Gewußten gegenüber ist ein Bewußtsein "Subjekt".

Entsprechend dem Wort "Subjekt" muß auch das Wort "Objekt" meines Erachtens als der Ausdruck einer Beziehung eines Besonderen auf ein anderes angesehen werden. Wir vermögen auch dem Wort "Objekt" keinen Sinn beizulegen, solange wir ein Gegebenes für sich einer Betrachtung unterziehen. Man nehme das Gegebene "Ding" - Dinge pflegen ja immer in der philosophischen Sprache unter dem Namen "Objekte" zu gehen, - so findet man, daß dieses Besondere "Ding" sich darstellt als eine Einheit der besonderen Bestimmtheiten Größe, Gestalt und Ort; man findet, daß dieses Besondere "Ding" veränderlich ist, findet, daß es in einem Wirkzusammenhang mit anderen Dingen steht usw. Niemals aber wird es gelingen, aus diesem Gegebenen, solange es für sich der zergliedernden Betrachtung unterzogen wird, etwas herauzuholen, aufgrund dessen wir ihm die Bestimmung "Objekt" beilegen könnten. Und trotzdem kommt diesem Besonderen "Ding" auch die Bestimmung "Objekt" zu; ich bin weit entfernt, das zu bestreiten. Nur das bestreite ich, daß diesem Besonderen "Ding", solange es für sich betrachtet wird, diese besondere Bestimmung zugelegt werden darf: ich sehe das Wort "Objekt" ebenso wie das Wort "Subjekt" als den Ausdruck einer Beziehung eines Besonderen auf ein anderes an. Wie durch das Wort "Subjekt" ein Besonderes als Wissendes (Bewußtsein) einem Besonderen als seinem Gewußten gegenüber gekennzeichnet wird, so drückt das Wort "Objekt" aus, daß ein Besonderes Gewußtes (Wissensgegenstand) eines Wissenden, das dann Subjekt genannt wird, ist.

"Subjekt" und "Objekt" sind also Ausdrücke von Beziehungsbegriffen, Subjekt heißt ein Besonderes, insofern es dieses "andere" als Wissensgegenstand hat, Objekt heißt ein Besonderes einem "Wissenden" (Bewußtsein) gegenüber, insofern es von diesem Bewußtsein gewußt wird.

Für diese meine Ansicht (daß Subjekt und Objekt Ausdrücke von Beziehungsbegriffen sind) finden wir bei RICKERT eine doppelte Bestätigung.

So spricht RICKERT davon, daß der Begriff eines Subjekts oder eines Bewußtseins nicht "gebildet" werden kann, ohne daß auch der dazu gehörige Begriff eines Bewußtseinsinhaltes "gebildet" wird (20). Würde ein Gegebene, als dieses Besondere für sich betrachtet, RICKERT für ein Subjekt gelten, so wäre nicht einzusehen, weshalb etwas anderes zur "Begriffsbildung von Subjekt" notwendig ist. Ob überhaupt Begriffe "gebildet" weren, ist hier nicht zu entscheiden. Angenommen immerhin, Begriffe würden "gebildet", so unterschiede sich die Bildung des Begriffs "Bewußtsein" oder "Subjekt" von einer anderen Begriffsbildung, z. B. der "Bildung des Begriffs" "Stein" erheblich dadurch, daß der Begriff "Stein" gebildet werden könnte, ohne daß gleichzeitig ein anderer Begriff, z. B. der Begriff "Pflanze", gebildet werden müßte. "Zieht" der Begriff "Subjekt" oder "Bewußtsein" nach RICKERT notwendigerweise den Begriff von etwas anderem (dem "Bewußtseinsinhalt" oder "Objekt") "nach sich", während, wie ersichtlich, der Begriff "Stein" einen anderen Begriff nicht "nach sich zieht", so kann der Grund für die Unterschiedenheit beider "Begriffsbildungen" nur darin gesucht werden, daß einmal (Bei der "Begriffsbildung des Begriffs Stein") der Begriff eines Besonderen als solchen "gebildet" worden ist, während das andere Mal (Bei der "Begriffsbildung des Begriffs Subjekt") es sich um die "Begriffsbildung" eines Besonderen gehandelt hat, insofern dieses Besondere im Bezug zu etwas anderem Steht: der Begriff eines Subjektes oder Bewußtseins "zieht" bei RICKERT den Begriff eines Objekts oder eines Bewußtseinsinhaltes "nach sich", weil nach dieser seiner Auffassung ein "Subjekt" nur möglich ist aufgrund eines "Objekts", will sagen: weil das Wort "Subjekt" der Ausdruck eines Beziehungsbegriffs ist, so daß auch der "Begriff" dieses "Subjekts" nur möglich wird aufgrund des "Begriffs" eines "Objekts".

Eine weitere Bestätigung dafür, daß die Worte "Subjekt" und "Objekt" für RICKERT Ausdrücke bestimmter Beziehungen sind, finden wir darin, daß RICKERT verschiedene Subjekte mit verschiedenem Inhalt kennt. Er spricht z. B. vom individuellen Bewußtsein und seinem Inhalt (21). Ist das Wort "seinem" hier sinnvoll gebraucht, so bringt es eine Unterschiedenheit von anderem zum Ausdruck, und zwar von anderem, das zwar Bewußtseinsinhalt, aber nicht Bewußtseinsinhalt dieses individuellen Bewußtseins ist. Und nur im Bezug auf seinen Inhalt ist das individuelle Bewußtsein Subjekt, es ist nicht Subjekt in Beziehung auf den von seinem Inhalt unterschiedenen Inhalt. Ja, dieses "individuelle Bewußtseins", das seinem Inhalt gegenüber als Subjekt anzusprechen ist, wird von RICKERT "Objekt" genannt (22), sobald es zu einem anderen Bewußtseins, dem "Bewußtsein überhaupt", in Beziehung gesetzt wird. Der Grund dafür, daß RICKERT das individuelle Bewußtsein einmal als Subjekt und ein andermal als Objekt bestimmt, kann auch hier nur wieder darin gefunden werden, daß ihm "Subjekt" und "Objekt" Ausdrücke von Beziehungen sind: Subjekt ist das individuelle Bewußtsein seinem "Inhalt" gegenüber, weil es diesen Inhalt als sein Gewußtes hat, weil es das diesen seinen Inhalt Wissende ist; als Objekt ist das individuelle Bewußtsein zu bestimmen, wenn es als Gewußtes des "Bewußtseins überhaupt" angesehen wird. Würde durch "Subjekt" oder "Objekt" ein Besonderes als solches ohne Bezug auf ein anderes bestimmt, so wäre nicht zu begreifen, daß dieses Besondere "individuelle Ich" "Subjekt" und "Objekt", die ja einander ausschließende Begriffe sind, zugleich sein könnte.

Neben dieser Auffassung RICKERTs, nach der "Subjekt" und "Objekt" besondere Beziehungen zum Ausdruck bringen, läuft nun aber eine andere her, die "Subjekt" und "Objekt" (23) Bestimmungen von Besonderem für sich betrachtet sein läßt. So spricht RICKERT vom "erkennenden Subjekt" (24) schlechthin ohne Beziehung auf ein "Objekt". Als "Subjekt" gilt also RICKERT ein Besonderes, das erkennt, d. h. das ein erkennendes Bewußtsein ist. Das Wort "Subjekt" sagt ihm also hier dasselbe wie das Wort Bewußtsein.

Soll das Wort "Subjekt" die Stelle des Wortes "Bewußtsein" vertreten, so ist allerdings die Ansicht berechtigt, daß durch die Bestimmung "Subjekt" ein Besonderes als solches ohne Beziehung auf ein anderes sich bestimmt zeigt; denn das Wort "Bewußtsein" bringt zum Ausdruck, daß das Besondere, das als "Bewußtsein" bestimmt ist, ein Wissendes ist, daher dann auch das als "Bewußtsein" Bestimmte "Bewußtsein" (Wissendes) bleibt, ob es in Beziehung zu etwas anderem gesetzt wird oder nicht. Muß auch das "individuelle Ich" einmal (mit Rücksicht auf seinen Inhalt) als "Subjekt" und ein andermal (mit Rücksicht auf das "Bewußtsein überhaupt") als "Objekt" bestimmt werden, so bleibt ihm doch trotz der wechselnden Bestimmung "Subjekt" und "Objekt" die Bestimmung: "Bewußtsein" (Wissendes), eben weil durch "Bewußtsein" das "individuelle Ich", für sich betrachtet, bestimmt ist.

Die Gleichsetzung der Bedeutungen der Worte "Subjekt" und "Bewußtsein" ist, wie aus dem erwähnten Beispiel hervorgeht, unberechtigt. Tritt bei RICKERT dennoch diese Gleichsetzung ein, so kann der Grund für die Gleichsetzung nur darin gesucht werden, daß sich trotz der Unterschiedenheit der Bedeutung beider Worte ein beiden Gemeinsames findet, das die Verwechslung verständlich macht.

Diesen beiden Bedeutungen Gemeinsame finden wir darin, daß ein Besonderes als "Subjekt" nur zu verstehen ist, insofern ihm auch die Bestimmung "Bewußtsein" (Wissendes) beigelegt werden kann, eben weil durch die Bestimmung "Subjekt" ein Besonderes als "Wissendes" seinem "Objekt" als seinem Gewußten gegenüber gekennzeichnet wird: der Begriff "Subjekt" schließt also den Begriff "Bewußtsein" in sich. Ein Besonderes, das nicht selbst Bewußtsein ist, kann nie und nimmer als "Subjekt" begriffen werden.

Soll nunmehr nach RICKERT die Welt als "Bewußtseinsinhalt" oder "Objekt" gefaßt werden, und hat die Erkenntnistheorie von einem "Bewußtsein oder Subjekt" auszugehen, so muß sich das "überindividuelle Subjekt" oder "Bewußtsein überhaupt" als der Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie begreifen lassen als ein Wissendes (Bewußtsein), widrigenfalls der Satz: "Die Welt ist Bewußtseinsinhalt oder Objekt" jeglichen Sinn verliert. Diese Forderung ist aufzustellen, gleichgültig, ob RICKERT die Bestimmung "Subjekt oder Bewußtsein" als Bestimmung eines Besonderen, das für sich der Betrachtung unterzogen wird, gelten läßt, oder ob er durch das Wort "Subjekt" ein Besonderes in Bezug auf ein anderes gekennzeichnet wird. (25)


d) Das aufzuzeigende Bewußtsein nicht
"Inhalt" des "individuellen Ich".

Da das "Bewußtsein überhaupt", von dem nach RICKERT die Welt abhängig ist, etwas anderes sein muß als die Welt, d. h. der Bewußtseinsinhalt, kann dieses "Bewußtsein überhaupt" als der Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie RICKERTs, wie überhaupt nicht Bewußtseinsinhalt, so auch im Besonderen nicht "Inhalt des individuellen Ich" sein. Denn das "individuelle Ich" mit seinen "Objekten" gehört nach RICKERT durchaus zur "immanenten Wirklichkeit", d. h. zum "Bewußtseinsinhalt". Mithin müßte das "Bewußtsein überhaupt", wäre es gleich anderen Objekten Objekt des "individuellen Ich" als eines "kleinen Teils der Welt", auch der Welt d. h. dem Bewußtseinsinhalt ebenso wie jeder sonstige "Inhalt des individuellen Ich" zugerechnet werden. Das würde aber gleichzeitig bedeuten, daß das "Bewußtsein überhaupt" als Inhalt meines "individuellen Bewußtseins" als Psychisches bestimmt werden müßte, da nach RICKERT mein Bewußtsein und sein Inhalt etwas Psychisches sind. Ergeben sich also die beiden Sätze: "Das Bewußtsein überhaupt ist ein Teil der Welt", und "das Bewußtsein überhaupt" ist etwas "Psychisches unmittelbar und notwendig aus dem Satz: "Das Bewußtsein überhaupt ist Objekt eines individuellen Bewußtseins", müssen aber gerade diese beiden Sätze von der Erkenntnistheorie RICKERTs ferngehalten werden, so kann das nur dadurch geschehen, daß das "Bewußtsein überhaupt" als "Objekt", d. h. als Wissensgegenstand des Erkenntnistheoretikers gestrichen wird. Oder, um mit RICKERT zu reden, das "Bewußtsein überhaupt" darf für den Erkenntnistheoretiker nicht da sein, weil alles, was für ihn da ist, als Tatsache seines Bewußtseins angesehen werden muß (26), folglich der "immanenten Objektwelt" zuzurechnen ist.


e) Das "Bewußtsein überhaupt" und das
"individuelle Bewußtsein" als "Subjekte"
derselben "Objekte".

Da nun aber auch mit Hilfe des "Begriffs vom unpersönlichen Bewußtsein und erkenntnistheoretischen Subjekt" das "individuelle Bewußtsein mit seinem Inhalt" als "Subjekt" nicht wegzudisputieren ist, ergibt sich aus der Aufstellung dieser beiden unterschiedenen "Subjekte" eine eigentümliche Forderung: weil das "Bewußtsein überhaupt" ein Mittel ist, dem "Realismus zu begegnen, jeder "Realismus" aber in der Annahme einer von der "Bewußtseinswelt" des menschlichen Bewußtseins unterschiedenen Welt wurzelt, muß verlangt werden, daß das menschliche Bewußtsein die Möglichkeit hat, "Subjekt" denselben Objekten gegenüber zu sein, wie das "Bewußtsein überhaupt"; will sagen: dem menschlichen Bewußtsein muß die Möglichkeit gegeben sein, dieselbe Welt als Wissensgegenstand zu haben, wie das "Bewußtsein überhaupt", oder: Die Welt als Bewußtseinsinhalt des "Bewußtseins überhaupt" muß "Bewußtseinsinhalt des menschlichen Bewußtseins" werden können, ohne selbst eine Veränderung durchzumachen. Denn da RICKERT zugibt, "daß alles, was mich da ist, Tatsache meines Bewußtseins ist", da also das Wissen eines "individuellen Ich" nicht "weiter reicht" als sein Bewußtseins, darf er keine von der "Bewußtseinswelt" des menschlichen Bewußtseins unterschiedene Welt setzen, weil die Behauptung von einer Welt, die von der "Bewußtseinswelt" des menschlichen Bewußtseins unterschieden ist, eine "dogmatische" Behauptung wäre, die sich von der Annahme der "transzendenten Welt" des "Realismus" in nichts unterscheiden würde. Denn gleich dem "Realismus", gegen den er kämpft, könnte auch RICKERT niemals einen Nachweis für die von der "Bewußtseinswelt" des menschlichen Bewußtseins unterschiedene Welt erbringen. Sähe sich RICKERT, dank dieses oder jenes von mir aufgezeigten "Vorurteils", doch zu der Annahme einer von der "Bewußtseinswelt" des menschlichen Bewußtseins unterschiedenen Welt gezwungen, so bedeutete das für ihn die Erklärung, daß sich auch "mit Hilfe des Begriffs vom unpersönlichen Bewußtsein" nach Aufrechterhaltung des Urteils: "Der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtseins" der "Realismus" nicht überwinden läßt. Darin allerdings wäre der "Idealismus" RICKERTs dem "Realismus" überlegen, daß er die "dogmatischen" Behauptungen des Realismus noch um eine Behauptung vermehrt, um die nämlich, daß die von der "Bewußtseinswelt" des menschlichen Bewußtseins, welche allein dessen Wissensgegenstand ist, unterschiedene Welt eine "Bewußtseinswelt" ist, nämlich Bewußtseinswelt eines "überindividuellen Subjekts", das selbst nicht Wissensgegenstand des individuellen Bewußtseins sein darf.

Ich schließe mit dieser Forderung die Reihe der Ansprüche, die an das "Bewußtsein überhaupt" als das Mittel, den Realismus und Solipsismus zu widerlegen, zu stellen sind.

Die von mir gestellte Frage aber: "Welche Forderungen sind an das vom menschlichen Bewußtsein unterschiedene Bewußtsein zu stellen, damit die Aufgabe, die Widerlegung des Solipsismus und Realismus als gelöst betrachtet werden kann? ist also dahin zu beantworten: Das "Bewußtsein überhaupt" muß sich begreifen lassen als ein "unendliches" Bewußtsein, muß sich begreifen lassen als ein "Wissendes", ohne Geist zu sein, muß sich begreifen lassen als "Subjekt" denselben "Objekten" gegenüber, die für das "individuelle Subjekt" Objekte sind, ohne selbst "Wissensgegenstand" (Objekt) je werden zu können.
LITERATUR - Otto Schlunke, Die Lehre vom Bewußtsein bei Heinrich Rickert [Inaugural-Dissertation] Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) Geg. 57
    2) "... denn auch das Bewußtsein als Subjekt tritt in der erkenntnistheoretischen Untersuchung zuerst als mein Bewußtsein auf." (Geg 67)
    3) In der Setzung einer von der Bewußtseinswelt unterschiedenen Welt treffen in der Tat die beiden Hauptrichtungen der "alten" Erkenntnistheor, der Rationalismus und Empirismus zusammen; unterschieden sind sie allerdings durchaus durch die Art, wie zu einer außerhalb des Bewußtseins liegenden Welt gekommen sind. (Vgl. Rehmke, Philosophie als Grundwissenschaft, Seite 440-553)
    4) Es soll hiermit allerdings nicht gesagt sein, daß Rickert den ersten Versuch gemacht hat, auf diese Weise dem Solipsismus zu begegnen, wo sich die ersten Ansätze dieses Versuchs finden, kommt hier nicht in Frage.
    5) "Die Aufgabe gerade der Erkenntnistheorie wird es sein, vom Subjekt auszugehen ... im Gegensatz zu den Einzelwissenschaften, welche ... nur die Objekte berücksichtigen." (Geg 83)
    6) "Das individuelle Ich ist es nicht, von dem die Welt abhängig gemacht wird, es heißt Ich-Objekt und behält als solches die Stellung, die es immer hatte. Es ist ein kleiner Teil der Welt, der mit dem weltumfassenden Bewußtsein nichts zu tun hat." (Geg 74) - "Das individuelle Subjekt verschwindet aus der erkenntnistheoretischen Problemstellung." (vgl. Geg 26)
    7) "Das Bewußtseins im Gegensatz zum Bewußtseinsinhalt darf nicht mein Bewußtsein, sondern nur Bewußtsein überhaupt genannt werden." (Geg 26)
    8) "Freilich, das muß hinzugefügt werden, daß nur mit Hilfe des Begriffs vom unpersönlichen Bewußtsein und erkenntnistheoretischen Subjekt der Solipsismus zu widerlegen ist. Wer nur ein individuelles Bewußtsein und dabei kein von diesem Bewußtsein unabhängiges Sein anerkennen will, spricht damit den Solipsismus einfach aus und vermag niemals über ihn hinauszukommen." (Geg 57) - "Wird der Begriff des Bewußtseins so gefaßt, wie er in der Transzendentalphilosophie allein gefaßt werden darf, so gibt es keinen Grund, der uns zur Annahme einer transzendenten Wirklichkeit zwingen könnte." (Geg 36)
    9) "Das individuelle Ich ist es nicht, von dem die Welt abhängig gemacht wird ... Es ist ein kleiner Teil der Welt ..." (Geg 74)
    10) Geg 56
    11) Der Beweis für die Berechtigung der Gleichung: Bewußtseinsinhalt = Gewußtes wird weiter unten geführt.
    12) "Das Sein jeder Wirklichkeit muß als ein Sein im Bewußtsein angesehen werden." (Geg 74) - "Der Inhalt allein ist es, dem Wirklichkeit zukommt ..." (Geg 29)
    13) Vgl. zu den letzten Ausführungen folgende Aussprüche Rickerts: "Wenn man aber den Idealisten fragen wollte, ob er die Existenz der Welt vor oder nach dem Bewußtsein annimmt, so wird er sagen können, daß er diese Frage ebensowenig versteht, wie wenn man ihn fragen wollte, ob die Welt vor oder nach der Zeit existiert, denn das sei ja eben seine Behauptung, daß es gar keine Zeit gibt außer als Tatsache des Bewußtseins. In jedem Augenblick umfaßt das Bewußtsein die Welt im Raum, so groß sie auch sein mag und ebenso die Welt in der Zeit: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Bewußtsein aber sei kein zeitliches Ding, vor und nach dem etwas sein könnte ..." (Geg 56) - "Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umfassende erkenntnistheoretische Subjekt ... kann so wenig, wie das Sein selbst, entstehen oder vergehen." (Geg 67)
    14) "Es handelt sich bei der Fragestellung der Transzendentalphilosophie ... um das Subjekt im Gegensatz zu allen transzendenten und immanenten Objekten ..." (Geg 22) - "Ein ganz neuer Gesichtspunkt aber begegnet uns, wenn wir, um den Begriff des Subjekts im Gegensatz zu seinem Inhalt oder den Begriff des Subjekts im Gegensatz zum Begriff des Objekts überhaupt zu bestimmen ..." (Geg 23) - "Alles Individuelle, also alles, was das Bewußtseins zu meinem Bewußtsein macht, muß, wenn es sich um den Begriff des Bewußtseins im Gegensatz zu seinem Inhalt handelt, als Bewußtseinsinhalt zum Objekt gerechnet werden." (Geg 25 usw.)
    15) "Nur mein Bewußtsein und sein Inhalt wäre etwas Psychisches ..." (Geg 68) - "Wer also das immanente Objekt, genannt individuelles Ich, das im Gegensatz zu anderen immanenten Objekten, genannt Körper, als etwas Psychisches bezeichnet werden muß, vom Subjekt unterscheidet, das ..." (Geg 72) Bestandteile meines individuellen Ich - psychische Vorgänge (vgl. Geg 67).
    16) "Ja, die Scheidung der Welt in physische und psychische Vorgänge gewinnt eine Bedeutung erst, wenn die Welt lediglich als Objekt betrachtet wird, und das geschieht in den Einzelwissenschaften ... Nur daran müssen wir festhalten, daß der erkenntnistheoretische Idealismus sie niemals in dem Sinn unmöglich machen kann, daß er die Existenz des Physischen überhaupt in Frage stellt oder die Körper zu etwas Geistigem machen will. Das Körperliche ist ihm so real wie das Seelische ..." (Geg 71-72) . "Die Welt besteht aus geistigen und körperlichen Vorgängen." (Geg 75)
    17) Geg 71
    18) Vgl. hierzu folgende Aussprüche Rickerts: "... das als Bewußtsein überhaupt ... nichts Psychisches sein kann." (Geg 72) - "Wir wollen ja das erkenntnistheoretische Subjekt weder zu einer individuellen Seele noch zu einem allgemeinen Weltgeist metaphysisch hypostasieren [vergegenständlichen - wp] ... Das Bewußtsein überhaupt ... kann niemals unter dem Gesichtspunkt gestellt weren, daß es etwas Psychisches oder Physisches ist." (Geg 68) - "Die Welt ist kein psychischer Vorgang, auch wenn sie ein Bewußtseinsinhalt ist." (Geg 71) - "Als letztes Glied der Subjektreihe bleibt nichts anderes als ein namenloses, allgemeines, unpersönliches Bewußtsein übrig, das einzige, das niemals Objekt, Bewußtseinsinhalt werden kann." (Geg 25)
    19) Gr 159.
    20) "Wir konnten den Begriff eines immanenten Objekts nicht bilden ohne den dazugehörigen Begriff des Bewußtseins oder des Subjekts, und umgekehrt fordert der Begriff des Subjekts den Begriff des immanenten Objekts oder des Bewußtseinsinhaltes. Auch der Begriff des Bewußtseins überhaupt zieht also notwendig den Begriff eines Bewußtseinsinhaltes überhaupt nach sich." (Geg 147) - "Der entscheidende Punkt liegt wieder darin, daß wir niemals den Begriff eines Bewußtseins ohne Inhalt bilden können ..." (Geg 149)
    21) Zum Beispiel: "Nur mein Bewußtsein und sein Inhalt wäre etwas Psychisches." (Geg 68)
    22) zum Beispiel: "Das individuelle Ich ... heißt Ich-Objekt ..." (Geg 74)
    23) so Geg 73.
    24) so Geg 1, 3, 5, 27, 75, 83.
    25) Vgl. hierzu folgende Aussprüche Rickerts: "... so muß offenbar an das Ende der Reihe, als Bewußtsein im Gegensatz zu allem Inhalt, ein Subjekt gesetzt werden, von dem man nichts weiter sagen kann, als daß es sich seines Inhaltes bewußt ist." (Geg 24) - "... so erhalten wir als Endglied und Grenzbegriff der psychologischen Subjektreihe den Begriff eines percipiens [Wahrnehmendes - wp], für das alles Sein perceptum [Wahrgenommenens - wp] ist ... Dieses percipiens bezeichnen wir als der erkenntnistheoretische Subjekt." (Gr 172)
    26) "Es ergibt sich der Satz der Phänomenalität, wie Dilthey ihn genannt hat, oder der Satz der Immanenz, wie man ihn am Besten nennen wird, wonach alles, was für mich da ist, unter der allgemeinsten Bedingung steht, Tatsache meines Bewußtseins zu sein ..." (Geg 20)