![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
|||||
Studien zur Erkenntnistheorie [Rickerts Lehre über die logische Struktur der Naturwissenschaft und Geschichte.] [ 1 / 8 ]
Einleitung
Jeder, der sich in RICKERTs Werk vertieft hat, weiß, daß er die umfassendsten philosophischen Probleme zu lösen sucht. Wenn er auch von speziellen philosophischen Fragen ausgeht, so geschieht es, um sich der synthetischen Methode zu bedienen. In unserer Kritik und Darstellung der RICKERTschen Gedanken werden wir im Gegensatz zu unserem Autor analytisch vorgehen. Wir bedienen uns dieses Weges in der Hoffnung, auf demselben zu einer größeren Klarheit unserer Darlegung zu gelangen. Wir werden vorerst RICKERTs allgemeine philosophische Weltanschauung darstellen, um dann überzugehen zur Darlegung, in welchem Zusammenhang seine historischen und naturwissenschaftlichen Anschauungen mit seinen philosophischen stehen. ÜBERWEG-HEINZE machten einmal die Bemerkung in Bezug auf RICKERTs Hauptwerk, daß die letzterwähnte Schrift größtenteils eine gute Ausführung von WINDELBANDs Rede über "Geschichte und Naturwissenschaft" ist (3). Mit dieser Ansicht kann man sich keineswegs einverstanden erklären. Wohl gehört RICKERT der Schule WINDELBANDs an; und er ergreift gern die Gelegenheit diesem seine Anerkennung für die geistige Anregung auszusprechen, die er von ihm empfing. Er selbst weist auf WINDELBANDs Rektoratsrede als auf ein Werk hin, welches einige seiner Hauptgedanken enthält (4). Trotz der geistigen Verwandtschaft mit WINDELBAND geht RICKERT doch seine eigensten Wege. Man kann seine Ansichten bekämpfen, ebenso wie die von WINDELBAND und ihrem gemeinsamen Stammvater FICHTE, oder sich mit ihnen nicht einverstanden erklären. Aber es heißt über die Grenzen des Berechtigten hinausgreifen, wenn man die philosophische Begabung des Autors in Abrede stellt. Mit vollem Recht erkennt VOLKELT in RICKERT einen Denker an, "der mit erfreulicher Strenge und Konsequenz im Kampf gegen den Relativismus und Positivismus feste, objektive Erkenntnisbedingungen sich zu erarbeiten bemüht ist". (5) Diese Worte gewinnen besonders an Bedeutung, wenn wir uns erinnern, daß RICKERT in seiner Jugend nach seinem eigenen Bekenntnis ein strenger Positivist war. Wenn es ihm trotzdem, wenn auch unter dem Einfluß WINDELBANDs, gelungen ist, sich von den Vorurteilen einer einfachen und klaren positiven Philosophie loszumachen, so kennzeichnet schon dies allein einen tiefen gewissenhaften Forschergeist. RICKERT selbst nennt sich einen Kantianer: "Wenn ich nicht ausdrücklich an Kant anknüpfe", sagt er, "so geschieht das nur, weil ich die ohnehin schwierigen Fragen nicht durch Kants Interpretation noch mehr verwickeln möchte." (6) Wie alle Neukantianer nimmt er die kantische Philosophie doch nicht in ihrem ganzen Umfang an. Er glaubt nur im Prinzip auf kantischem Boden zu stehen. Es ist interessant, hier zu verfolgen, an welcher Stelle und aus welchem Grund ein moderner Gelehrter den vom berühmten Königsberger Philosophen vorgezeichneten Weg verläßt. Wie schon oben erwähnt, ist RICKERT gleich WINDELBAND zweifellos Fichteaner. Er selbst weist auf diese Verwandtschaft allerdings nur in seiner Abhandlung über "Fichtes Atheismusstreit und die kantische Philosophie" hin (7) und zieht es vor, in KANT und WINDELBAND (8) seine Vorläufer zu sehen, obwohl sein ganzes System den Stempel von FICHTEs Idealismus trägt. Wie bei FICHTE und WINDELBAND, so liegt auch bei RICKERT der "letzte Grund aller Wirklichkeit im Sollen". Es ist bekannt, daß der kantische Dualismus, d. h. die Unabhängigkeit der theoretischen Vernunft von der praktischen schon REINHOLD nicht befriedigt hat. Dieser Denker strebte die Vereinigung dieser beiden Prinzipien an. Aber es gelang erst FICHTE sie durchzuführen, d. h. alle seine Grundsätze aus einem einzigen Prinzip systematisch abzuleiten. Ein solches absolutes Einheitsprinzip, welches alle Vernunfttätigkeit bestimmt, ist bei FICHTE der Zweckbegriff. Durch ihn werden die Anschauungen von Zeit und Raum, die Vernunft mit ihren Kategorien, der Verstand mit dem kategorischen Imperativ, die Postulate "Gott", "Unsterblichkeit" und "Freiheit des Willens" nicht als selbstständige, voneinander unabhängige Funktionen betrachtet, sondern sie werden koordiniert als Momente einer einzigen zweckmäßigen Tätigkeit. Um diese Einheit zu erreichen, mußte FICHTE die Grundanschauungen des naiven Denkens auf den Kopf stellen. Vor FICHTE und auch heutzutage glauben alle, die sein kühnes System nicht kennen, daß jedes Funktionieren die Tätigkeit eines Wesens ist. Das gewöhnliche Denken glaubt, daß die Dinge zuerst existieren und dann erst funktionieren, so daß das Sein dem Tun vorausgeht. Im Gegensatz zu dieser Ansicht behauptet FICHTE, daß "alles Sein Produkt eines ursprünglichen Tuns ist", und dies ist der Ausgangspunkt seiner Metaphysik. So überwindet FICHTE den kantischen Dualismus der Gegensätzlichkeit der Erscheinungen und der Dinge ansich. Bald nach der Veröffentlichung der "Kritik der reinen Vernunft" wurde auf das Widersprechende in der Lehre vom Ding-ansich hingewiesen. KANT konnte auf diesen Begriff nicht verzichten, weil er sonst den Idealismus BERKELEYs hätte anerkennen müssen, und dies wäre seiner Hauptaufgabe zuwidergelaufen. KANT sympathisierte nicht mit dem Jllusionismus des englischen Philosophen. In den Ergänzungen der 2. Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" hat KANT den Antagonismus seiner Anschauungen mit denen BERKELEYs scharf hervorgehoben. (9) Zwar gab es Philosophen, unter ihnen auch SCHOPENHAUER, die der Meinung waren, daß die Ergänzungen und Veränderungen der 2. Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" KANTs Grundideen nur verunstalteten. Man kann nicht leugnen, daß diese Behauptungen teilweise berechtigt sind. Wenn in der ersten Ausgabe die Darstellung der Lehre vom Ding-ansich schon widerspruchsreich und verworren war, so nahm sie in der 2. Auflage noch an Unklarheit zu. Gewiß sträubt sich der gesunde Menschenverstand gegen den Jllusionismus BERKELEYs, wie beredtsam SCHOPENHAUER ihn auch verteidigen mag; ebenso sicher ist, daß der Begriff des Dings-ansich dem Wesen der kritischen Philosophie widerspricht. Dieser Begriff entsteht durch die unberechtigte Anwendung der Kategorie der Kausalität auf Gegenstände außerhalb unserer Erfahrung, während der Sinn der kantischen Lehre gerade darin besteht, daß sowohl die Vernunftkategorien als auch die Anschauungsformen der Zeit und des Raumes ausschließlich auf die Erscheinungswelt angewendet werden dürfen. (10) Und sie sind deshalb auf die Erscheinungswelt anwendbar, weil die letztere kein Abbild der von uns abhängig existierenden Wirklichkeit ist, wie der dogmatische naive Realismus annimmt, sondern von der menschlichen Vernunft geschaffen wird. Die menschliche Vernunft ist nicht passiv, sie wirkt aktiv und nimmt Anteil an der Bildung der Natur. Dies ist die größte Entdeckung KANTs, seine kopernikanische Tat. Wenn wir mittels unserer Verstandeskategorien und Anschauungsformen aus dem uns gegebenen Stoff der sinnlichen Wahrnehmungen die Welt der Erscheinungen bilden, so ist damit alles, was sich jenseits der Welt der Erscheinungen befindet, unerkennbar. Sowohl alle Schlüsse, die wir aufgrund des Kausalitätsprinzips bilden, also auch alle Urteile über Raum und Zeit können sich nur auf die Erscheinungswelt beziehen. Der Begriff vom Ding-ansich setzt aber voraus, daß wir kraft des Kausalitätsgesetzes die Dinge, die sich jenseits unserer Erfahrung befinden, erkennen können. Zwar ist das Sein das einzige Merkmal des Dings-ansich; die kantische Lehre weist keine anderen Eigenschaften desselben nach, aber auch dieses einzige Prädikat ist ihm ohne Recht zugeschrieben. So entsteht die Alternative: entweder den Jllusionismus BERKELEYs anzunehmen oder sich mit dem logisch unhaltbaren Begriff des Dings-ansich zufrieden zu geben. Bekanntlich wählte KANT den zweiten Weg. Er hat damit gewisse Unklarheiten und Widersprüche in sein philosophisches System hineingetragen. Bis heute sind KANTs Kommentatoren darüber uneinig, was eigentlich das Ding-ansich in der Lehre KANTs bedeutet. Manche suchen diesen Begriff dadurch zu erklären und zu rechtfertigen, daß sie ihn einen Grenzbegriff nennen. Diese Deutung mag die annehmbarste sein, aber sie befriedigt doch nicht alle Denker. FRIEDRICH PAULSEN z. B. meint, daß KANTs Äußerungen über das Ding ansich, diese "crux interpretum", ungemein mannigfach, vieldeutig und widersprechend sind (11). Nicht weniger wird auch über die kantische Lehre von synthetischen Urteilen a prior im Zusammenhang mit seiner Lehre vom Ding-ansich diskutiert. Wie sind diese Urteile möglich und welchen Ursprung haben sie? Wie bekannt, wurde dieses Problem, wenn auch nich in solch allgemeiner Form, zuerst von HUME aufgeworfen. KANT wurde dadurch aus seinem "dogmatischen Schlummer" geweckt. HUME beschränkt sich auf einen einzigen Fall solcher Urteile, nämlich auf das Gesetz der Kausalität. Er fragt sich, wie aus der Existenz des A die Notwendigkeit der Existenz eines B folgen kann. Der Rationalismus, der bis HUME keinen Unterschied zwischen Grund und Folge einerseits und Ursache und Wirkung andererseits machte, vermochte keine Antwort auf diese Frage zu geben. Mit der Berufung auf die Erfahrung kam man ihrer Lösung nicht näher, denn wenn B auch unzählige Male auf A folgt, so erklärt diese Tatsache dem Verstand nicht im mindesten die Notwendigkeit ihres Zusammenhangs. Wenn B niemals auf A gefolgt wäre, so müßte doch der Verstand mit derselben Gewißheit, mit welcher er vorhin das Gegenteil behauptete, zugeben, daß A in keinem Zusammenhang mit B steht. Aus dieser Kritik des Kausalbegriffs schloß HUME, daß die Ansprüche der Vernunft auf die allgemeinen und notwendigen Urteile unberechtigte sind. Dadurch bahnte er dem Skeptizismus den Weg. Der Rationalismus wußte nicht, was er HUME zur Antwort geben sollte. Die Berufung auf die angeborenen Ideen oder auf LEIBNIZ's prästabilierte Harmonie sprach den suchenden Geistern der neuen Zeit nicht zu: die metaphysischen Erklärungen hatten ihren Kredit verloren. Durch Spott, Beredtsamkeit und Verweisung auf den gesunden Menschenverstand suchte man sich von HUME und BERKELEY loszumachen. Wie sonderbar es auch erscheinen mag, war KANT, der bedeutendste Gegner und zukünftige Besieger HUMEs, der erste, der die Tiefe, und was noch wichtiger ist, den wissenschaftlichen Wert des HUMEschen Skeptizismus zu schätzen verstand. In der Einleitung zu den Prolegomena sagt KANT:
Hierin liegt zweifellos ein Widerspruch, der ja bei KANTs Kritikern scharfe und oft auch ungerechte Vorwürfe hervorgerufen hat. So sagt z. B. PAULSEN:
Auch FICHTEs Worten: "was für eine Philosophie man wählt, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist" kann ich nicht beipflichten. Wären sie berechtigt, so müßte die Philosophie auf immer darauf verzichten, eine selbständige, auf allgemeingültigen festen Prinzipien aufgebaute Wissenschaft zu sein. Es kann niemand behaupten, daß wir irgendeine chemische oder physische Theorie unserer sittlichen Beschaffenheit gemäß wählen. Die wissenschaftliche Forschung wird einzig von rein objektiven Prinzipien geleitet. SPINOZA hatte recht, wenn er die Forderung aufstellte: "non ridere, non lugere neque detestare, sed intelligere" [weder belächeln, noch beweinen, noch verabscheuen, sondern verstehen (war mein Bestreben) - wp]. Vor dem Forum der Logik hat sich die philosophische Konzeption auszuweisen; nur wenn sie vor ihrem Richterstuhl besteht, kann sie Ansprüche darauf erheben, eine Wissenschaft zu heißen. Diese kleine Abschweifung von unserem eigentlichen Thema wurde hier nicht zufällig, sondern mit voller Absicht unternommen, weil sie den leitenden Gedanken unserer eigenen Arbeit enthält. Man mag damit einverstanden sein, daß das kantische System tatsächlich gewisse Mängel enthält, daß es ihm nicht gelungen ist, die Mannigfaltigkeit der Vernunfttätigkeiten zu vereinheitlichen, den Dualismus des Dings-ansich und der Erscheinungen klar herauszuarbeiten sowie den Ursprung der synthetischen Urteile a priori zu erklären usw. Aber man sollte doch versuchen, das Gute, was hinter diesen Widersprüchen sowie der Unabgeschlossenheit seines Systems steht, zu erkennen. Wenn KANT auch nicht die Erklärung für all das gefunden hat, was er zu erklären sich vorgesetzt hatte, so hat er doch andererseits auch nicht in blinder Liebe zu seiner Theorie die Wirklichkeit verändert und entstellt. Mit einer nur dem Genie eigenen Kühnheit hat er diese Widersprüche offen gelassen. Er hat nicht seine Ideen in das Prokrustesbett der Urteile a priori hineingezwängt, er hat nicht auf das Ding-ansich verzichtet und nicht versucht, alle Arten der Vernunfttätigkeiten quand même [alles dasselbe - wp] zu vereinheitlichen. Trotzdem läßt sich in der neueren Zeit kaum ein Philosoph aufweisen, dessen Tätigkeit reifere Früchte gezeigt hätte als diejenige KANTs. Aber seine Lehre befriedigte seine Epigonen und Anhänger doch nicht. Sie schickten sich an, seine Philosophie zu verbessern und zu vervollkommnen, indem sie dieselbe im Sinne der Ideale deuteten, die ihnen selbst als die wichtigsten und bedeutsamsten erschienen. Auf diesem Boden entstand noch zu Lebzeiten KANTs sein Konflikt mit FICHTE. Man weiß, daß der erste Eindruck, den KANTs Werke auf FICHTE ausübten, ein gewaltiger war. Am 5. September 1790 schrieb FICHTE an seinen Bruder:
Für FICHTE und seine Anhänger ist all das sehr charakteristisch. FICHTE ist eine leidenschaftliche, schwärmerische und ungeduldige Natur, der es an Ausdauer zur Überwindung von Hindernissen gebricht. Bei solchen Naturen wird der Einbildungskraft zuviel Raum gelassen. Sie wollen nicht schließen, wo sie, um mit NIETZSCHE zu sprechen, erraten können. Wie sonderbar es klingen mag, in der Philosophie FICHTEs spielt das eudämonistische Prinzip eine viel bedeutendere Rolle, als es für einen Philosophen erlaubt ist. Der Philosoph muß in erster Linie objektiv und uninteressiert sein. FICHTE bekennt, daß ihn KANT zu einem der glücklichsten Menschen der Welt gemacht hat. Aber ist es denn die Bestimmung der Philosophie, Menschen glücklich zu machen? Darf man das kantische System dem spinozistischen nur aus dem Grund vorziehen, weil das erstere mehr dem menschlichen Streben nach Glück entspricht? Die Versuchung, die darin liegt, birgt ihre besonderen Gefahren, denen auch FICHTE unterlag. Und dies ist offenbar auch der Boden, in dem der Konflikt zwischen dem Begründer des ethischen Idealismus und dem Königsberger Philosophen wurzelt. KANT hat das Primat der praktischen Vernunft anerkannt. Dies genügte FICHTE nicht; die strenge Einteilung KANTs stillte sein Verlangen nach Glück keineswegs. Ohne dafür einen objektiven Grund zu haben, wollte er die praktische Vernunft zur einzigen Quelle des gesamten Lebens machen. Er selbst war so überzeugt, daß er die Widersprüche des kantischen Systems auf diese Weise beseitigen würde, daß er sich nicht als Gegner, sondern als Schüler und Anhänger KANTs fühlte. KANT aber, bei dem FICHTEs Werk "Versuch der Kritik aller Offenbarung" vollen Anklang gefunden hatte, beurteilte in höchst rigoroser Weise die weitere Tätigkeit seines eifrigen Schülers. Den 7. August 1788 erschien im "Intelligenzblatt" einer Erklärung von KANT:
Am Schluß seiner "Kritik der reinen Vernunft" äußert KANT die feste und unerschütterliche Überzeugung, daß der Glaube an einen Gott und eine andere Welt so innig mit seiner moralischen Gesinnung verwoben ist, daß er ebensowenig Gefahr laufen kann, die letztere einzubüßen, als es möglich ist, die erstere ihm zu entreißen (Kr. d. r. V. Seite 563, zweite Auflage Seite 857) (17). Aus dieser Überzeugung ist KANTs Philosophie herausgewachsen, sein ganzes System ist von ihr getragen. KANT hat einerseits die Möglichkeit der Wissenschaft dargelegt und begründet, in dem er sie vor den Angriffen des Skeptizismus sicherte, andererseits hat er den unberechtigten Anmaßungen der Metaphysik eine Grenze gesetzt. Es ist nicht genug zu sagen, daß seine Philosophie dem gesunden Menschenverstand nicht widerspricht, Tatsache ist, daß sie denselben sogar sanktioniert.
Die Einheit seiner philosophischen Konzeption wird durch salti mortali erkauft, wie sich LUDWIG STEIN in seinem Werk über "Die soziale Frage im Licht der Philosophie" ausdrückt. (18) Zwar hat FICHTE am Ende seiner philosophischen Tätigkeit unter dem Einfluß SCHLEIERMACHERs, SCHILLERs und JACOBIs die scharfe Formulierung seiner Weltanschauung etwas gemildert. Unter der Beeinflussung dieser Männer kam er dazu, nicht nur das Tun, sondern auch das Sein anzuerkennen. Trotzdem ist sein ursprünglicher Gedanke von der Autonomie der menschlichen Vernunft und sein Streben, die früher erwähnten Widersprüche der kantischen Philosophie auszugleichen, von eminenter Bedeutung für die Geschichte der Philosophie. Sie übte auf RICKERT und seinen Lehrer WINDELBAND einen besonderen Einfluß aus. Ihre Interpretation der kantischen Philosophie trägt deutlich das Gepräge von FICHTEs ethischem Idealismus. Wie ich in meinen späteren Ausführungen zeigen werde, geht das Bestreben beider darauf aus, die Widersprüche des kantischen Systems zu beseitigen und dabei doch Kantianer zu bleiben. Die Konsequenzen aber, die sie aus ihren Theorien gezogen haben, sind den Ergebnissen der kantischen vollkommen entgegen. KANTs Bestrebung ging dahin, der Wissenschaft eine feste, unerschütterliche Basis zu verleihen und die Metaphysik in ihre Grenzen zurückzuweisen. RICKERT dagegen gelangte zu ganz anderen Resultaten, wie wir später sehen werden. Er diskreditiert die Wissenschaft und deswegen sieht er sich gezwungen, die Metaphysik wieder in ihre Rechte einzusetzen. ![]()
1) vgl. Grenzen, Seite 15 2) ebd. Seite 123 3) Überweg-Heinze, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. 4, 1906, Seite 268. 4) vgl. Grenzen, Seite 302. 5) Deutsche Literaturzeitung 1893, Nr. 11, Seite 682 6) vgl. Grenzen, Seite 668: "Doch ist natürlich unser Gedankengang mit jeder beliebigen Kantinterpretaion vereinbar." 7) Fichtes Atheismusstreit und die kantische Philosophie, Seite 9 8) Windelband in seinen "Präludien" ("Kritische oder genetische Methode", dritte Auflage, Seite 345) weist direkt auf seinen Zusammenhang mit Fichte hin: "Darin besteht die unvergängliche Größe und zugleich die historische Wirkung Fichtes, daß er diesen teleologischen charakter der kritischen Methode klar erkannte und die Aufgabe der Philosophie dahin bestimmte, das System der (in einem teleologischen Sinn) notwendigen Vernunfthandlungen aufzustellen. 9) Vgl. die "Kritik der reinen Vernunft", Vorrede zur zweiten Auflage, Seite 38, Anm: "Der Idealismus mag im Ansehen der wesentlichen Zwecke der Metaphysik für noch so unschuldig gehalten werden (das er in der Tat nicht ist), so bleibt es immer ein Skandal der Philosophie und allgemeinen Menschenvernunft, das Dasein der Dinge außerhalb von uns (von denen wir doch den ganzen Stoff zu Erkenntnissen selbst für unseren inneren Sinn her haben), bl0ß auf Glauben annehmen zu müssen, und, wenn es Jemand einfällt es zu bezweifeln, ihm keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können." Dasselbe findet sich auch in den "Prolegomena", § 13, Anm. 2: "Demnach gestehe ich allerdings, daß es außerhalb von uns Körper gibt, d. h. Dinge, die, obgleich nach dem, was sie ansich selbst sein mögen, uns gänzlich unbekannt, wir durch die Vorstellung kennen, welche ihr Einfluß auf unsere Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Körpers geben, welches Wort also bloß die Erscheinung jenes uns unbekannten, aber nichtsdestoweniger wirklichen Gegenstandes bedeutet. Kann man dieses wohl Idealismus nennen? Es ist ja gerade das Gegenteil davon." (von mir gesperrt.) 10) "Kritik der reinen Vernunft", Seite 135 der Erdmann-Ausgabe oder Seite 166 der zweiten Auflage: "Wir können uns keinen Gegenstand denken, ohne durch Kategorien; wir können keinen gedachten Gegenstand erkennen, ohne durch Anschauungen, die jenen Begriffen entsprechen. Nun sind alle unsere Anschauungen sinnlich, und diese Erkenntnis, sofern der Gegenstand der selben gegeben ist, ist empirisch. Empirische Erkenntnis aber ist Erfahrung. Folglich ist uns keine Erkenntnis a priori möglich, als lediglich von Gegenständen möglicher Erfahrung." 11) Friedrich Paulsen, Immanuel Kant, fünfte Auflage. 12) Vgl. die interessanten und besonders lehrreichen Stellen in der "Kritik der reinen Vernunft" über Hume und seine Gegner. Die letzteren suchten die Schwäche ihrer Argumentation hinter dem sittlichen Wert ihrer Ansichten zu verbergen. Kant nimmt Hume und die ihm verwandten Denker in Schutz, obwohl siei ihm im ersten Augenblick gefährlich erschienen: "Laßt diese Leute nur machen; wenn sie Talent, wenn sie tiefe und neue Nachforschung, mit einem Wort, wenn sie nur Vernunft zeigen, so gewinnt jederzeit die Vernunft. Wenn ihr andere Mittel ergreift, als die einer zwanglosen Vernunft, wenn ihr über Hochverrat schreit, das gemeine Wesen, das sich auf so subtile Bearbeitungen gar nicht versteht, gleichsam zum Feuerlöschen zusammenruft, so macht ihr euch lächerlich." (Seite 512 der Erdmann-Ausgabe oder Seite 774 der zweiten Auflage. 13) Kritik der reinen Vernunft, Seite 135 (zweite Auflage Seite 165). 14) Die Frage, ob die synthetischen Urteile a posteriori mit dem System der kantischen Philosophie vereinbar sind, wurde vielfach in der russischen Literatur ventiliert. Sowohl Karinsky - in seiner Abhandlung "Über die evidenten Wahrheiten" - als auch Lossky - in seinem Werk "Die intuitive Erkenntnis" - unterwarfen dieses Probel einer eingehenden Analyse und kamen zu der Überzeugung, daß die Annahme der synthetischen Urteile a posteriori den Grundsätzen der kantischen Philosophie widerspricht. 15) Überweg-Heinze, a. a. O. Bd. 4, Seite 10. 16) Überweg-Heinze, a. a. O. Bd. 4, Seite 9. 17) Vgl. auch die berühmte Stelle aus der Kritik der praktischen Vernunft (erste Ausgabe, Seite 289): "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir." 18) Ludwig Stein vergleicht den Schopenhauerschen Willen mit dem Fichteschen Ich und sagt: "Alle Grundvoraussetzungen des Schopenhauerschen metaphysischen Pessimismus haben sich jedoch bei kritischer Prüfung als haltlos ergeben. Abgesehen davon, daß es noch höchst fraglich ist, ob es bei Einzelindividuen, von welchen ja Schopenhauer seinen Ausgangspunkt nimmt, einen Willen als eigenes Vermögen gibt, ob nicht vielmehr, wie Spinoza gelehrt hat, Wille und Intellekt zusammenfallen, ist es doch eine ganz unzulässige Verallgemeinerung, vom hypostasierten [vergegenständlichten - wp] Einzelwillen einen ebensolchen Todessprung zum Weltwillen zu machen, wie ihn der von Schopenhauer so hart mitgenommene Fichte vom Einzel-Ich zum All-Ich gewagt hat." (erste Auflage, Seite 760) |