tb-1ra-2SchirrenRennerLanzMalottkiMetzgerBlumenthal     
 
HEINRICH RICKERT
Der Gegenstand der Erkenntnis
(1892) - [ 1/3 ]

Vorwort
I. Der erkenntnistheoretische Zweifel
II. Gegensatz des Subjekts zum Objekt
III. Der Realismus
IV. Der Begriff des Bewußtseins
V. Der Begriff des Transzendenten
VI. Das Transzendente als Ursache
VII. Das Transzendente als Ergänzung
VIII. Das Transzendente und der Wille
IX. Bewußtsein und psychisches Sein
 
X. Erkennen als Vorstellen
XI. Vorstellen und Urteilen
XII. Erkennen als Anerkennen
XIII. Die Urteilsnotwendigkeit
XIV. Sein und Sollen
XV. Das transzendente Sollen
XVI. Der Relativismus
XVII. Das Bewußtsein überhaupt
XVIII. Schluß

"Wenn wir untersuchen, was denn die Beziehung auf einen Gegenstand unseren Vorstellungen für eine neue Beschaffenheit gebe, und welches die Dignität sei, die sie dadurch erhalten, so finden wir, daß sie nichts weiter tue, als Verbindung der Vorstellungen auf eine gewisse Art notwendig zu machen, und sie einer Regel zu unterwerfen."


Vorwort

Die Schrift ist aus Untersuchungen über das Urteil entstanden. Als ich versuchte, das in den verschiedensten Urteilen Übereinstimmende festzustellen und damit das "Wesen" alles Urteilens zu begreifen, drängte sich mir dabei die Überzeugung auf, daß hierdurch auch auch andere Gebieten der Philosophie Licht fallen müsse. Die vorliegenden Ausführungen sollen eine Probe sein, wie weit mit Hilfe der Urteilslehre erkenntnistheoretischen Problemen eine neue Seite abzugewinnen ist.

Wie überall handelte es sich vor allem darum, richtig zu  fragen,  und die Klarlegung des Problems nimmt daher einen verhältnismäßig großen Raum ein. Daß der Lösungsversuch, den ich biete, vielfach mehr Ansätze als durchgeführte Gedanken zeigt, weiß ich wohl. Doch glaube ich dies damit entschuldigen zu können, daß die vollständige Durchführung eines erkenntnistheoretischen Gedankens meist nur innerhalb eines ganzen Systems möglich ist. Hiervon auch nur eine Andeutung zu geben, konnte ich nicht beabsichtigen. Die folgenden Blätter haben ihren Zweck erfüllt, wenn es ihnen gelingt, einige nicht neue, aber fast vergessene Gedanken in einem der Gegenwart nicht allzu fremdartigen Gewande in die Diskussion einzuführen.

Schon im Frühling vorigen Jahres legte ich die Arbeit der hiesigen Universität als Habilitationsschrift vor. Eine erneute Durcharbeitung schien mir vor der Veröffentlichung wünschenswert. Doch mußte die Anordnung der Gedanken dieselbe bleiben, und das Hinzugefügte dem ursprünglichen Rahmen angepaßt werden. Ich erwähne dies, falls jemand die Berücksichtigung von einigen, erst im letzten Jahre erschienenen Schriften, z. B. BENNO ERDMANNs "Logik" vermissen sollte. Die Namen fremder Autoren habe ich auch sonst meist nur dann ausdrücklich erwähnt, wenn ich ihnen widersprechen zu müssen glaubte, und eine Auseinandersetzung mit ihnen für die Klarlegung der eigenen Ansicht förderlich schien. Um so mehr möchte ich an dieser Stelle auch auf die wesentliche Positive Förderung hinweisen, welche mir das Studium, insbesondere der Werke von BERGMANN, RIEHL, SCHUPPE, SIGWART und VOLKELT gebracht hat.

Vor allem aber ist es mir beim Abschluß dieser Arbeit Bedürfnis, in dankbarer Erinnerung des entscheidenden Einflusses zu gedenken, den einst der Unterricht und die Schriften WINDELBANDs auf den tief im Positivismus steckenden Studenten ausgeübt haben.


I. Der erkenntnistheoretische Zweifel

Zum Begriff des Erkennens gehört außer einem Subjekte, das erkennt, ein Gegenstand, der erkannt wird. Unter Gegenstand verstehen wir das, wonach das Erkennen sich zu richten hat, um wahr oder "objektiv" zu sein. Was ist der Gegenstand der Erkenntnis?

Der "naive" Mensch sieht hier kein Problem. Gegenstände der Erkenntnis sind ihm die Dinge der Außenwelt, und wollte man von ihm eine Meinung darüber hören, worin ihre Erkenntnis bestehe, so würde er sagen, daß von den Dingen Vorstellungen in uns entstehen, und daß, wer mit den Dingen übereinstimmende Vorstellungen besitzt, die Dinge erkannt hat. Auch von der Wissenschaft ist diese "naive" Erkenntnistheorie nur zum Teil verlassen. Allerdings meint man wohl, daß die Vorstellungen die Dinge nicht genau so geben, wie sie wirklich sind, sondern ihnen nur "entsprechen" oder sie "bezeichnen", aber daran hält man fest, daß Gegenstände der Erkenntnis Dinge sind, nach denen der Erkennende sich mit seinen Vorstellungen richten muß, wenn er erkennen will. Auch die Lehre des Denkers, der die letzte große Umwandlung in den Ansichten über das Erkennen hervorgebracht hat, glaubt man so deuten zu können, daß nach KANT das erkennende Bewußtsein einer Welt an sich existierender Dinge gegenüberstehe, deren "Erscheinung" es in sich aufzunehmen habe, um zur Erkenntnis der Welt zu gelangen. Der der naiven Meinung vom Erkennen zu Grunde liegende Gegensatz eines an sich vorhandenen  Seins  zu einem dieses Sein mit Hilfe der Vorstellungen erfassenden  Bewußtsein  bliebe hiernach auch durch KANT und somit überhaupt unangetastet.

Läßt eine Erkenntnistheorie, welche auf diesem Gegensatz aufgebaut ist, sich durchführen, oder ist eine Umbildung des Erkenntnisbegriffes notwendig? Dies ist die Frage, zu deren Beantwortung wir einen Beitrag liefern wollen. Wir heben zu diesem Zwecke von den Schwierigkeiten, welche sich für die herkömmliche Ansicht ergeben, zunächst die eine hervor, daß nicht nur die Erkennbarkeit, sondern auch die Existenz einer vom Bewußtsein unabhängigen Welt von Dingen in Frage gestellt werden kann. Offenbar ist dies eine Lebensfrage für jede Erkenntnistheorie, welche in einer solchen "außerhalb" des Bewußtseins existierenden Welt den Gegenstand der Erkenntnis sieht, denn falls die Existenz dieser "Außenwelt" mit Recht bestritten wird, gibt es keinen Gegenstand der Erkenntnis mehr. Die Untersuchung stößt damit auf das sogenannte  Problem der Transzendenz:  gibt es eine vom Bewußtsein unabhängige Welt?

Eine neue Behandlung dieses Problems bedarf vielleicht einiger rechtfertigender Worte. Zwar kann man nicht behaupten, daß eine allgemein anerkannte Lösung bereits gefunden, und daher eine weitere Erörterung überflüssig sei. Trotzdem scheint das Interess an der Frage zu erlahmen. Einerseits gilt der Satz, daß das Wissen nicht weiter reichen könne, als das Bewußtsein reicht, für selbstverständlich, und damit muß die Existenz von Dingen außerhalb des Bewußtseins zum mindesten problematisch bleiben. Andererseits aber sind die Konsequenzen, welche sich aus jeder sich auf den Bewußtseinsinhalt beschränkenden Theorie zu ergeben scheinen, so ungeheuerlich, daß man dadurch allein die Annahme einer absoluten Wirklichkeit für gesichert hält. Man lehnt daher nicht selten den Zweifel an dieser Wirklichkeit als einen grundlosen oder "öden" unwillig ab. Im günstigsten Fall sieht man mit SCHOPENHAUER in dem theoretischen Egoismus oder Solipsismus eine kleine Grenzfestung, die zwar unbezwinglich ist, deren Besatzung aber auch nie aus ihr heraus kann, und die man daher ohne Gefahr im Rücken liegen lassen darf. Man tröstet sich mit dem Gedanken: auch wenn es keinen Beweis dafür geben sollte, so glaubt an die selbständige Realität der Außenwelt und seiner Mitmenschen im Grunde seines Herzens jeder Mensch.

Man kann das zugeben und doch meinen, daß mit dieser Versicherung recht wenig geleistet ist. Wollte ein überzeugter Solipsist wirklich einmal den Versuch machen, als "Einziger" mit seiner Bewußtseinswelt als seinem "Eigentum" zu schalten, dann allerdings würden ihm gegenüber andere Maßregeln am Platze sein als wissenschaftliche Untersuchungen. Aber dieser Umstand gibt keine Antwort auf die Frage, ob die Welt noch etwas anderes als Bewußtseinsinhalt ist. Man muß festhalten, daß man es hier mit einem  erkenntnistheoretischen  Problem zu tun hat, mit dem man daher nur auf dem Boden der Erkenntnistheorie fertig werden kann. Gerade für die erkennt.htmlErkenntnistheorie aber gibt es keine Grenzfestungen, die man im Rücken liegen lassen darf. Und man muß ferner hervorheben, daß unter dem erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt die sogenannte Frage nach der Realität der Außenwelt den Beigeschmack von Absurdität verliert, der an ihr nur deswegen haftet, weil mit den aus der Sprache des gewöhnlichen Lebens in die philosophische Terminologie hinüber genommenen Ausdrücken gewisse nicht zur Sache gehörige Vorstellungen mit in das Bewußtsein treten. Allerdings ist zuzugeben, daß die Deutung der Welt als Bewußtseinsinhalt nicht immer aus rein erkenntnistheoretischen Gründen erfolgt ist. Mit Recht hat RIEHL (1) darauf hingewiesen, daß es oft "mißverstandene Forderungen unserer höheren geistigen Natur" sind, welche zum Idealismus führen, weil ihnen "die Erscheinungswelt niemals genügen kann", daß z. B. bei SCHOPENHAUER die pessimistische Weltanschauung als ein wesentlicher Faktor in der idealistischen Gestaltung seines Systems wirkte. Dieser Umstand darf jedoch nicht gegen die Berechtigung des erkenntnistheoretischen Idealismus verwertet werden. Er wird uns vielmehr nur dazu veranlassen, den erkenntnistheoretischen Zweifel an der absoluten Realität der Dinge von allen hedonischen, moralischen oder ästhetischen Erwägungen über Wert oder Unwert der Sinnenwelt abzusondern.

Wir erinnern zu diesem Zweck an den Denker, der zum ersten mal das Problem der Existenz der Außenwelt in seiner ganzen Bedeutung erkannt und zu einem integrierenden Bestandteil seiner Philosophie gemacht hat. DESCARTES fand das zu seiner Zeit vorhande und von ihm erlernte Wissen unzuverlässig, und hatte daher das Bedürfnis, die Wissenschaft auf eine sichere Grundlage zu stellen. Um den Punkt zu gewinnen, von dem er bei seinem Vorhaben ausgehen konnte, machte er den bekannten Versuch, einmal alles zu bezweifeln, woran er bisher geglaubt hatte, um dann zu sehen, was er als schlechthin unbezweifelbar zurückbehielt. Die Existenz der vom Bewußtsein unabhängigen Welt war dem Zweifel zugänglich, sie mußte daher von dem in Frage gestellt werden, der sich vor jedem Irrtum schützen wollte. Der Weg zur absoluten Gewißheit konnte nur durch einen radikalen Zweifel hindurchgehen.

Dieser Gedanke ist noch heute maßgebend, wenn er auch bei DESCARTES nicht ganz rein auftritt. Die wirkliche Unzufriedenheit mit dem Zustande der Wissenschaften ist nämlich kein sachlich unentbehrlicher Bestandteil, sondern war nur die psychologische Veranlassung, die das Problem zum Bewußtsein brachte. Es muß dies hervorgehoben werden, weil auch heute noch (z. B. VOLKELT) auf die Unsicherheit der Resultate in den Einzelwissenschaften hingewiesenwir, um die Notwendigkeit eines radikalen Zweifels darzutun, und dadurch der Schein entstehen kann, als beabsichtige die Erkenntnistheorie, einen Maßstab an das von den einzelnen Wissenschaften Errungene anzulegen und eventuell die wissenschaftlichen Resultate auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Einen solchen Anspruch würden die Männer der Einzelwissenschaften entschieden und mit Recht zurückweisen. Was die Wissenschaft im Laufe der Jahrhunderte geleistet hat, besitzt seine von jeder erkenntnistheoretischen Untersuchung unabhängige Bedeutung. Nicht das eine oder das andere positive Wissen, sondern die Meinung über das Wesen der Wahrheit selbst, in unserem Falle die Deutung der wissenschaftlichen Erkenntnis als Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit einer absoluten Wirklichkeit wird in Frage gestellt. Es ist nicht abzusehen, wie hierdurch einzelne wissenschaftliche Ansichten, etwa die über die Oberfläche des Mars oder die Funktionen der Großhirnrinde jemals korrigiert oder bestätigt werden könnten, und völlig verkehrt wäre es daher, den Einzelwissenschaften das skeptische Verfahren der Erkenntnistheorie zur Nachahmung zu empfehlen. Die empirischen Wissenschaften müssen "dogmatisch" sein, d. h. eine Anzahl von Voraussetzungen ungeprüft hinnehmen, denn sie würden nicht vorhanden sein, wenn sie es nicht getan hätten. WUNDT (2) hat Recht, wenn er sagt, daß die ganze Sicherheit des Erfolges, deren sich, bei allen Irrungen im Einzelnen, die Wissenschaften erfreuen, eben darauf beruth, daß sie sich der vollständigen Umkehrung jenes Grundsatzes bedienen, den die "alte" Erkenntnistheorie bei ihren Untersuchungen befolgt hat.

Trotzdem sagt dies nicht das Mindeste gegen die Berechtigung des skeptischen Verfahren auf erkenntnistheoretischem Gebiet. Nicht nur die "alte", sondern auch die "neue" Erkenntnistheorie kann, wenn sie neben der Psychologie des Erkennens überhaupt noch eine Bedeutung besitzen soll, keine andere Aufgabe haben, als das den übrigen Wissenschaften Selbstverständliche zum Problem zu machen. Deshalb muß auch die Methode ihrer Untersuchung eine eigenartige sein. Wo überhaupt gefragt werden kann, da soll sie fragen. Sie soll, wie man oft schon gesagt hat, im Gegensatz zu den auf ungeprüften Voraussetzungen ruhenden Wissenschaften, voraussetzungslos sein. Allerdings nicht absolut voraussetzungslos, weil ein Denken, das mit nichts beginnen wollte, auch niemals von der Stelle kommen könnte, aber voraussetzungslos in dem Sinne, daß sie ihre Voraussetzungen so weit wie möglich einschränkt. Sie hat, um auf den von Voraussetzungen möglichst freien Standpunkt zu kommen, nur ein Mittel. Sie versucht an allem zu zweifeln. Sie ist dabei nicht geleitet von einer Freude am Verneinen, sondern sie verfolgt nur den Zweck, durch den Zweifel zur höchsten Gewißheit vorzudringen, insofern nämlich, als der nicht ausführbare Versuch zu zweifeln die Voraussetzungen, die allem Wissen zu Grunde liegen, klar stellen muß. Wie schon DESCARTES einsah, daß die Tatsache des Zweifelns selbst unter allen Umständen unbezweifelbar bleibt, so sucht auch unsere Erkenntnistheorie zu zeigen, welche Voraussetzungen gemacht werden müssen, damit das Zweifeln überhaupt noch einen Sinn hat.

Wenn wir den erkenntnistheoretischen Zweifel so verstehen, so kann sein Wert nicht mehr in Frage gestellt werden. Er ist gerechtfertigt als das Mittel, welches zur Entdeckung der unbezweifelbaren Grundlagen unseres Wissens dienen soll. Aber kann auch  nur so  gerechtfertigt werden. Alle Betrachtungen, welche den Wert erkenntnistheoretischer Untersuchungen durch einen Hinweis auf die Unsicherheit menschlichen Wissens darzutun suchen, sind zum mindesten mißverständlich. Sie entstammen übrigens auch wohl nur selten einem wirklichen Gefühl der Unzufriedenheit, sondern wollen meist nur dem Vorwurf begegnen, daß die Erkenntnistheorie doch eigentlich aus lauter Grübeleien und Spitzfindigkeiten bestehe, die gar keinen rechten Nutzen hätten. Es scheint aber, als könne die Erkenntnistheorie gerade diesen Verdacht ruhig auf sich sitzen lassen, und zwar deshalb, weil der Verdacht, jedenfalls in Bezug auf das Transzendenzproblem, sehr begründet ist. Man sollte vielmehr die Zumutung, als müsse durch erkenntnistheoretische Untersuchungen etwas erreicht werden, das eine über ihr eigenes Gebiet hinausgehende Bedeutung hat, entschieden zurückweisen. Es kann ja sein, daß philosophische Untersuchungen im Allgemeinen größere Bedeutung für das gesamte geistige Leben besitzen als manche andere wissenschaftliche Bestrebung. Das wäre ein sehr erfreulicher Nebenerfolg. Verlangen aber darf man einen solchen Nebenerfolg, oder gar irgend einen "Nutzen" auf keinen Fall. Man gebe auch der Erkenntnistheorie das Recht, das jede andere Wissenschaft besitzt, Wahrheit allein um der Wahrheit willen zu suchen.

Gerade dadurch, daß wir den Zweifel auf das erkenntnistheoretische Gebiet einschränken und die Sicherheit der Ergebnisse empirischer Wissenschaften auf ihrem Gebiete unangetastet lassen, gewinnen wir für die Erkenntnistheorie, was man ihr sonst mit Recht bestreiten könnte, ein eigenes Gebiet. Der Zweifel geht weder den naiven Menschen mit seinem Glauben an eine ihn umgebende absolute Wirklichkeit, noch den Mann der Einzelwissenschaften, so lange er nicht zu philosophieren wünscht, irgend etwas an. Er ist lediglich für den Erkenntnistheoretiker ein methodisches Hilfsmittel, das ein rein erkenntnistheoretisches Interesse befriedigen soll. In unserem Fall legt er uns die Frage vor: gibt es eine vom Bewußtsein unabhängige Außenwelt, die Gegenstand der Erkenntnis ist?


II. Der dreifache Gegensatz des Subjekts zum Objekt

Die Frage jedoch ist nicht eindeutig. Es bedarf sowohl der Begriff des Bewußtseins, als der der Außenwelt, als endlich auch die Art, wie das Verhältnis zwischen beiden gedacht werden soll, einer Erörterung, um genau festzustellen, was eigentlich von der Erkenntnistheorie in Zweifel gezogen wird. Die philosophische Sprache bedient sich nämlich, um den Gegensatz des Bewußtseins zur Außenwelt zu bezeichnen, unter anderem auch der Ausdrücke Subjekt und Objekt, und diese beiden Wörter werden zugleich zur Bezeichnung zweier anderer Verhältnisse gebraucht, deren Verwechslung mit dem hier in Frage kommenden Gegensatz die Hauptquelle der Verwirrung ist, welche bei der Behandlung unseres Problems entstanden sind. Wir werden daher einen dreifachen Gegensatz des Subjekts zum Objekt konstatieren, um den Gegensatz, welcher dem Problem der Transzendenz zu Grunde liegt, genau von den beiden anderen Subjekt-Objekt-Verhältnissen zu trennen.

Das Wort Außenwelt enthält eine räumliche Beziehung. Es kann darunter die Welt im Raume außer mir verstanden werden, und das, wozu dann die Außenwelt in Gegensatz gebracht wir, ist mein Körper nebst meiner "Seele", die  in  dem Körper tätig gedacht wird; denn nur zu etwas Räumlichem kann die räumliche Außenwelt in Gegensatz stehen. Mein beseelter Körper ist in diesem Falle das Subjekt, die ihn umgebende Welt ist das Objekt. Wir wollen dieses Verhältnis, wenn ein Mißverständnis möglich sein sollte, stets ausdrücklich als das des körperlichen Subjekts zur räumlichen Außenwelt bezeichnen.

In die Außenwelt aber kann ich auch meinen Leib mit hineinrechnen, ich kann alles dazu rechnen, dessen Dasein ich als ein von meinem  Bewußtsein  Unabhängiges annehme, d. h. sowohl die gesamte physische Welt, als auch alles fremde geistige Leben, gleichviel ob ich dies letztere als irgendwo im Raume seiend, oder als unräumlich betrachten will. Als nicht zur Außenwelt gehörig bleibt dann übrig mein geistiges Ich mit seinen Vorstellungen, Wahrnehmungen, Gefühlen, Willensäußerungen usw. Mein Bewußtsein und sein Inhalt ist also in diesem Falle das Subjekt, und Objekti ist alles, was  nicht  mein Bewußtseinsinhalt oder mein Bewußtsein selbst ist. Wir werden diesen Gegensatz des Subjekts zum Objekt mit den Ausdrücken der  immanenten  und der  transzendenten  Welt bezeichnen, besonders das Objekt in diesem Sinne stets das transzendente Objekt nennen.

Zu diesen beiden tritt nun noch ein dritter Gegensatz hinzu. Er liegt nämlich innerhalb des Bewußtseins und entsteht, wenn man das zweite Subjekt noch einmal in Subjekti und Objekt zerlegt. Objekte sind dann meine Vorstellungen, Wahrnehmungen, Gefühle und Willensäußerungen, und ihnen steht gegenüber das, was die Wahrnehmungen wahrnimmt, die Gefühle fühlt und den Willen will. Objekt ist in diesem dritten Falle der Bewußtseinsinhalt, und Subjekti dasjenige, was sich dieses Inhalts bewußt ist. Dieser Gegensatz ist vor Verwechslungen mit den beiden anderen geschützt, wenn er mit den Worten Bewußtsein und Bewußtseinsinhalt oder immanentes Objekt bezeichnet wird.

Wir haben als für das Wort Objekt drei Bedeutungen festgestellt:
    1) die räumliche Außenwelt außerhalb meines Leibes,
    2) die gesamte an sich existierende Welt oder das transzendente Objekt,
    3) der Bewußtseinsinhalt, das immanente Objekt.
Ebenso drei Bedeutungen für das Wort Subjekt:
    1) mein Ich, bestehend aus meinem Körper und der  darin  tätigen "Seele",
    2) mein Bewußtsein  mit  seinem Inhalt,
    3) mein Bewußtsein im  Gegensatz  zu seinem Inhalt.
Wie wichtig es ist, daß man die drei angegebenen Bedeutungen nicht miteinander verwechselt, ergibt sich unter anderem auch daraus, daß, je nachdem man einen dieser Gegensätze von Subjekt und Objekt als den allein berechtigten ansieht, die Grundauffassungen theoretischer Philosophie entstehen. Wer keinu anderes Subjekt anerkennen will als das körperlich, wird zum Materialismus geführt. Wer das Objekt mit dem Bewußtseinsinhalt identifiziert, muß zum absoluten Idealismus (3) kommen, und aus der zweiten Form des Gegensatzes ergeben sich die verschiedenen Standpunkte, welche zur Vermittlung dieser beiden Extreme geführt haben.

Welcher dieser drei Gegensätze liegt nun unserem Problem zu Grunde? Der Dritte des Bewußtseins zum Bewußtseinsinhalt? Ich weiß von einem Sein meiner selbst nur, insofern ich mir einer Vorstellung bewußt bin. Daß mein Bewußtsein einen Inhalt hat, ist also das sicherste Wissen, das ich mir denken kann. Auch ist, wie WUNDT (4) sagt, gewiß jedes Vorstellungsobjekt an und für sich nicht nur Vorstellung, sondern auch Objekt. Aber es ist eben doch nur  Vorstellungsobjekt, also Bewußtseinsinhalt. Was Objekt ist, ist darum nicht "objektiv" im Sinne von unabhängig vom Subjekt. Wir unterscheiden zwischen immanenten und transzendenten Objekten, und nur das Sein der immanenten Objekte ist nicht zu bezweifeln. Unsere Frage wird also durch den Hinweis darauf, daß uns Vorstellungsobjekte unmittelbar gegeben siund, gar nicht berührt.

Liegt in unserem Problem vielleicht der erste Gegensatz von körperlichem Ich und räumlicher Außenwelt zugrunde? Auch dieser nicht. Denn auch hier gehen wir ja in Wahrheit ebenso wenig wie vorher über Tatsachen des Bewußtseins hinaus. Nur der Unterschied ist vorhanden, daß, während dort die Bewußtseinsinhalte ausdrücklich als solche aufgefaßt wurden, sie hier als selbständige Dinge gedeutet werden und ohne Schaden gedeutet werden können, weil diese Deutung an ihrem Verhältnis zu einander gar nichts ändert. Die räumliche Außenwelt existiert nicht mehr und nicht weniger gewiß, als mein körperliches Ich existiert. Auf welchem Standpunkt man auch stehen mag, niemals wird man beide in Bezug auf die Art ihres Seins in einen Gegensatz zueinander bringen können. Was über ihr Verhältnis zu sagen ist, gehört in die Naturwissenschaften und in die Psychologie.

Die "Außenwelt" also, nach deren Existenz wir fragen, kann weder die räumlich außerhalb meines Körpers gelegene, nocht die als unmittelbar gegebenes Objekt innerhalb meines Bewußtseins liegende Welt sein. Es bleibt nur nich die Welt außerhalb meines Bewußtseins übrig, gegen die sich der Zweifel richten kann. Unsere Frage können wir jetzt auch dahin formulieren, ob das erkennende Bewußtsein es nur mit immanenten oder auch mit transzendenten Objekten zu tun hat.


III. Der Realismus

Man hat behauptet, daß auch das Wissen von der vom Bewußtsein unabhängigen Außenwelt so unmittelbar gewiß sein, wie das Wissen vom Bewußtseinsinhalte, und daher gemeint, daß auch die transzendente Existenz der Dinge zu den  Voraussetzungen  der Erkenntnistheorie gehören müsse. Da wohl niemand in neuerer Zeit den "Realismus" als Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie besser vertreten hat, als RIEHL in seinem philosophischen Kritizismus", so möge eine Auseinandersetzung mit seinen Grnden zu einer Darlegung unserer Ansicht führen. Sein Gedankengang läßt sich kurz so darstellen: Es ist zwar richtig, daß jedes Ding, welches mir in der Erfahrung gegeben ist, sich zerlegen läßt in Bestandteile, die, jeder für sich betrachtet, Bewußtseinsinhalte sind. Diese zugestandene "Subjektivität" des Dinges beschränkt sich aber auf seine Erkennbarkeit und darf nicht auf sein Dasein ausgedehnt werden. Denn, wenn ich auch von dem Dinge alle Eigenschaften und die Form ihrer Verbindung abziehe, so bleibt immer noch das Sein des Dinges übrig. Man muß daher zwischen dem Sein der Objekte und ihrem Objektsein unterscheiden.

Das ist gewiß richtig. Wenn Objektsein ein immanentees Sein, das Sein der Objekte ein transzendentes Sein bedeuten soll, so muß man  begrifflich  diesen Unterschied machen. Aber darf man darum voraussetzen, daß dieser Unterschied auch eine reale Bedeutung hat? Die Gegenüberstellung von Sein der Objekte und Objektsein erscheint doch nur als eine präzise und glückliche Formulierung unseres Problems, nicht als eine Abweisung, als eine Beseitigung desselben, denn danach fragen wir ja eben, ob das Sein der Objekte noch etwas anderes, als ihr immanentes Objektsein bedeutet, und eine Antwort auf diese Frage würde die Unterscheidung zwischen Erkennbarkeit und Dasein der Dinge nur dann geben, wenn uns das Sein ddes Dinges noch nebem dem Sein der Eigenschaften besonders gegeben wäre. Dann allerdings behielten wir das Sein als ein Sein an sich übrig, nachdem wir alles andere von dem Dinge als "subjektiv" abgezogen hätten. Da wir das Sein eines Dinges aber immer nur als ein Sein seiner Eigenschaften kennen, so ist das Sein des Dinges nichts anderes, als das Sein seiner Eigenschaften. Die transzendente Existenz des Dinges ist in demselben Augenblicke zweifelhaft, in dem die immanente Existenz seiner Eigenschaften und deren Synthese gewiß ist. Die Trennung des Seins der Objekte von ihrem immanenten Objektsein ist zu einem Problem geworden. Ich muß beweisen, daß das Sein der Objekte mehr ist als immanentes Objektsein. RIEHL sagt selbst (5), daß "die Existenz das Verhältnis des Dinges zu unserem Bewußtsein" ausdrücke. Dieses Verhältnis ist doch eben das Objektsein und nicht das Sein der Objekte, und was soll von einem Verhältnis übrig bleiben, wenn ich von einem Gliede desselben, dem Bewußtsein absehe? Jedenfallsist die selbständige Existenz der Dinge nicht unmittelbar gewiß, sondern, wenn sie angenommen wird, erschlossen. Wenn sie aber erschlossen ist, so muß die Erkenntnistheorie prüfen, auf welche Gründe dieser Schluß sich stützt. Sie hat nicht das Recht, den Realismus im Sinne einer Annahme transzendenter Dinge zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen zu machen.

Wir stellen also fest, daß alle "Dinge" aus Bestandteilen zusammengesetzt sind, die man als Zustände des Bewußtseins auffassen kann, und daß ohne weiteres nichts verbürgt, daß die Dinge noch etwas anderes sind. Es ergibt sich der "Satz der Phänomenalität", wie DILTHEY (6) ihn genannt hat, wonach alles, was für mich da ist, unter der allgemeinsten Bedingung steht, Tatsache meines Bewußtseins zu sein.


IV. Der Begriff des Bewußtseins

Das Wort Bewußtsein ist aber auch jetzt noch nicht eindeutig. Was z. B. ein Satz wie: das Tier hat Bewußtsein, die Pflanze nicht, unter Bewußtsein versteht, kommt hier überhaupt nicht in Frage. Die außerhalb meines Bewußtseins gelegene Welt soll nicht etwa die "unbewußte" Welt sein, denn zu ihr zähle ich z. B. auch meine Mitmenschen, die mir durchaus als bewußt gelten. Es handelt sich nicht um das Bewußtsein als eine "Funktion des Organismus", oder um das menschliche Denken unter dem Gesichtspunkt, daß es eine "kleine Bewegung im Gehirn" ist (dessen Selbstüberhebung, die Welt auffassen zu wollen, RIEHL mit Recht zurückgewiesen hat), es handelt sich auch nicht um das Bewußtsein als ein Objekt oder als eine Eigenschaft an einem Objekte, sondern lediglich um das Subjekt im Gegensatz zu transzendenten oder immanenten Objekten, um ein Bewußtsein also, das man allerdings als ein "hirnloses Subjekt" anzusehen sich wird entschließen müssen.

Mit einem Ausdruck wie hirnloses Subjekt kann aber ein metaphysischer Begriff eingeführt zu sein scheinen, der sich schlecht zum voraussetzungslosen Ausgangspunkt für die Erkenntnistheorie eignen würde. Oder jedenfalls könnte man meinen, daß nur die Existenz transzendenter  Objekte  in Frage gestellt, dabei aber mein Bewußtsein schon in der Frage als transzendentes  Subjekt  vorausgesetzt sei. Was ist "mein Bewußtsein"? So lange wir nur darauf ausgingen, den Gegensatz der immanenten zur transzendenten Welt klarzulegen, konnten wir das Verhältnis der Bestandteile der Bewußtseinswelt zu einander in einer gewissen Unklarheit lassen. Es kam nur darauf an, zu konstatieren, daß das individuelle Denken seiner selbst als existierend absolut sicher ist und von sich mit ebenso großer Sicherheit seine Wahrnehmungswelt unterscheidet, dagegen in Bezug auf eine transzendente Welt sich problematisch verhalten muß. Ein neuer Gesichtspunkt aber begegnet uns, wenn wir, um einen genauen Begriff des Bewußtseins im  Gegensatz  zu seinem Inhalte zu gewinnen, das erste Glied des zweiten Verhältnisses noch einmal in das Bewußtsein als Subjekt und seinen Inhalt als das Objekt zerlegen, als auch unseren dritten Gegensatz von Subjekt und Objekt näher ins Auge fassen. Es ist dies notwendig, da ja nicht nach der vom Bewußtsein, vom Subjekt unabhängigen Welt gefragt wird.

Man kann sich die drei Paare von Subjekt und Objekt so in eine Reihe gebracht denken, daß der Umkreis dessen, was zum Objekt gehört, immer größer wird, während der Umkreis des zum Subjekt gehörigen sich dementsprechend verengert. Objekt ist danach zunächst nur die Welt außerhalb meines Körpers, dann wird dazu der eigene Körper hinzugefügt, und endlich ist Objekt der Bewußtseinsinhalt, d. h. die ganze Welt, während umgekehrt vom Ich zuerst mein Körper und sodann der ganze Bewußtseinsinhalt abgezogen wird. Man kann sich bei dieser Vergrößerung respektive Verminderung sogar einen allmählichen Übergang von einem Stadium zum anderen denken und versuchen, noch mehr Gegensatzpaare zu finden, als wir aufgestellt habe. So läßt sich z. B. das von RICHARD AVENARIUS (7) sogenannte "System C und unsere Umgebung" als ein Gegensatz betrachten, der sich zwischen unser erstes und zweites Subjekt-Objekt-Verhältnis einschiebt, indem hier der größte Teil des Gehirns aber noch als Subjekt angesehen wir.

Wenn wir nun die verschiedenen Subjektbegriffe unter diesem Gesichtspunkt einer fortschreitenden Verminderung ihres Inhalts betrachten, so muß offenbar an das Ende der Reihe, als Bewußtsein im Gegensatz zum Inhalt, ein Subjekt gesetzt werden, von dem man nichts weiter sagen kann, als daß es sich seines Inhalts bewußt ist. daraus aber ergibt sich, daß, indem wir das letzte Glied der Subjekt-Reihe als  mein  Bewußtsein bezeichneten, wir auf halbem Wege stehen geblieben sind. Wir haben von dem Bewußtseinsinhalte, der iun diesem dritten Falle in seinem ganzen Umfange Objekt sein sollte, noch immer einen Teil zum Subjekt gerechnet, nämlich den Bewußtseinsinhat, aus dem das individuelle Ich besteht. Wir haben damit zwischen dem zweiten und dritten Subjekte nur ein Übergangsstadium ins Auge gefaßt, ähnlich dem, welches das "System C" zwischen dem ersten und zweiten Subjekt bildet. Alles Individuelle, alles also, was das Bewußtsein zu  meinem  Bewußtsein macht, muß, wenn es sich um den Begriff des Bewußtseins im Gegensatz zu seinem Inhalte handelt, als Bewußtseinsinhalt zum Subjekt gerechnet werden, und daher kann als letztes Glied der Reihe nichts anderes, als ein namenloses, allgemeines, unpersönliches Bewußtsein übrig bleiben, das einzige, das niemals Objekt, Bewußtseinsinhalt werden kann. Wir müssen als das vorher über den dreifachen Gegensatz des Subjektes zum Objekt Gesagte dahin genauer bestimmen, daß das dritte Subjekt, das Bewußtsein im Gegensatz zu allen Objekten nicht mein Bewußtsein, sondern nur  Bewußtsein überhaupt  sein kann.

Wir sehen hieraus, daß unsere Problemstellung die Transzendenz des individuellen Subjekts nicht nur nicht voraussetzt, sondern, daß der erkenntnistheoretische Idealismus, konsequent entwickelt, zur ausdrücklichsten Ablehnung der Transzendenz des individuellen Subjekts führen muß, da genau betrachtet alles Individuelle im Subjekt immanantes Objekt ist. Und ferner sehen wir, daß weil das individuelle Ich im Gegensatz zum Bewußtsein Objekt wird, es das Bewußtsein überhaupt sein muß, als dessen Inhalt wir alle Objekte (mit Einschluß des individuellen Ich) auffassen können, und daß unsere Frage daher nur lauten darf: gibt es eine Welt, die als unabhängig vom Bewußtsein überhaupt zu denken ist?

Von einer weiteren Bestimmung des Bewußtseinsbegriffes sehen wir hier ab. Nur den Gedanken weisen wir zurück, daß jetzt noch in unserer Fragestellung irgend ein transzendentes Sein vorausgesetzt ist. Das Bewußtsein ist kein Ding, es ist auch nicht etwas, das ohne Inhalt sein könnte. Es ist vielmehr das allen immanenten Objekten Gemeinsame, das sich nicht weiter beschreiben, sondern nur unmittelbar erleben läßt. Man mag es, wenn man will, vorläufig als die Art des Seins der immanenten Objekte auffassen, im Gegensatz zu der Seinsart, welche nach realistischer Theorie den Dingen zukommt. Der Satz, daß alles unmittelbar gegebene Sein ein Sein im Bewußtsein ist, will nur die einfache Konstatierung einer unbezweifelbaren Tatsache sein. Die Frage, ob wir das Recht haben, den Bewußtseinsinhalt auf eine Welt zu beziehen, die nicht Bewußtseinsinhalt ist, kann jetzt in Bezug auf den Begriff des Bewußtseins nicht mehr mißverstanden werden. Es bleibt noch die Aufgabe, auch den Begriff der transzendenten Welt unzweideutig zu machen.


V. Der Begriff des Transzendenten

Daß die Existenz der räumlichen Außenwelt kein Problem ist, haben wir bemerkt. Die transzendente Welt kann nicht einen Teil des uns bekannten Raumes einnehmen, weil die immanente Welt diesen Raum vollständig ausfüllt. Es hat überhaupt keinen Sinn, die Existenz der Welt im Raume zum Problem zu machen. Entweder nämlich betrachtet man den Raum als transzendent, und dann ist Zweifel der transzendenten Realität der im Raum befindlichen Dinge unverständlich. Oder man erklärt den Raum für einen Bewußtseinsinhalt, und dann ist die Immanenz jedes räumlichen Seins selbstverständlich. Da wir nun nichts, also auch den Raum nicht, als transzendent voraussetzen wollen, so können wir nur fragen, ob es außer der als Bewußtseinsinhalt unmittelbar gegebenen räumlichen Welt noch eine andere Welt gibt, die nicht in dem uns bekannten Raum sein kann. Das Wort transzendentale Welt, in dem ein räumliches Element unverkennbar ist, darf demnach ebenso wie der Ausdruck: die Sinnenwelt ist immanent, d. h. "im" Bewußtsein, nur uneigentlich verstanden werden.

Es liegt die Frage nahe, ob es nicht zweckmäßig wäre, zur Bezeichnung der Begriffe Worte zu verwenden, die nicht immer gerade zu vermeidende und zu Mißverständnissen führende Vorstellungen hervorzurufen geeignet sind. Es ist dies jedoch leider nicht möglich. Weil die Sprache nicht an der Hand philosophischer Abstraktionen, sondern unter dem Einfluß sinnlicher Anschauungen entstanden ist, so würden alle anderen Ausdrücke, die wir wählen könnten, das von uns Gemeinte ebenfalls nur durch eine Analogie bezeichnen. Ja wir müssen in diesem speziellen Falle noch ganz besonders auf einen völlig adäquaten Ausdruck für die rein begriffliche Auseinandersetzung verzichten, weil nicht nur für das naive Bewußtsein Subjekt und Objekt Dinge im Raum sind, und daher die Bezeichnungen für ihr Verhältnis zu einander räumliche Elemente enthalten, sondern weil wir eine andere als räumliche  Vorstellung  des Subjekt-Objekt-Verhältnisses überhaupt nicht gewinnen können. Wer einmal den Versuch gemacht hat, den Gedanken des Solispsismus in sich lebendig werden zu lassen - was eine für den Anfänger recht nützliche Übung ist, um wenigstens einige der mit psychologischer Notwendigkeit entstandenen erkenntnistheoretischen Vorurteile loszuwerden - der wird sich vielleicht dabei überraschen, daß er sich sein Bewußtsein als eine große Hohlkugel vorstellt, in deren Mitte er sich befindet und die Welt in der Kugel als Vorstellung hat.

Die Erkenntnistheorie muß immer auf der Hut sein, daß sie nicht räumliche Gleichnisse für die Sache selbst nimmt. Je stärker daher in Folge der psychologischen Gewohnheit und der sprachlichen Bezeichnungen sich bei der Behandlung des Transzendenzproblems in unsere Gedanken der Gegensatz des körperlichen Ich zur räumlichen Außenwelt hineindrängt, um so mehr müssen wir hervorheben, daß nichts derartiges gemeint sein kann, wenn vom Bewußtsein und seinem Verhältnis zu den Objekten geredet wird. Auch noch andere Elemente müssen wir von unseren Begriffen fernhalten. Genau ebenso wie mit dem Raum verhält es sich nämlich mit der Zeit. Wir gehen davon aus, daß Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur als Tatsachen des Bewußtseins gegeben sind, und setzen daher voraus, daß allem, was irgend wie zeitlich bestimmt existiert, nur ein immanentes Sein zukommt. So selbstverständlich das ist, so wird es doch sehr häufig übersehen. Die zeitlichen Bestimmungen haften allem Geschehen so ausnahmslos an, daß man sie unwillkürlich auch auf den Begriff des Transzendenten überträgt, obwohl man das Transzendente doch offenbar nicht einmal als ein Geschehen, auch nicht als etwas, das sich verändert, betrachten darf, bevor man nicht bestimmt hat, was man unter zeitlosem Geschehen oder zeitloser Veränderung verstehen will.

Wir können diese Bemerkungen dahin verallgemeinern, daß von positiven Bestimmungen, welche der gegebenen Welt entnommen sind, für den Begriff des Transzendenten keine Rede sein darf, daß wir vielmehr von dem Transzendenten nur sagen können, was es  nicht  sein darf, wenn es nicht transzendent zu sein aufhören, und dadurch die Frage nach seiner Realität ihren Sinn verlieren soll. Allerdings bedarf dieser Satz insofern einer Einschränkung, als damit nicht gesagt sein soll, daß, wenn es ein Ding an sich gibt, dieses unräumlich, unzeitlich usw. sein muß, sondern nur, daß es nicht in der uns bekannten räumlich-zeitlichen Welt sein kann. Wenn jemand sich Dinge an sich in einem anderen Raum und in einer anderen Zeit denken will, so mag er dies tun. Ja, er mag das Transzendente für rot, warm oder sauer halten, nur darf er alles dies nicht von vornherein in seinen Begriff aufnehmen, sondern muß es erst begründen.

Von Gegnern der Transzendenz ist aber noch mehr behauptet worden. Das Transzendente könne nicht einmal gedacht werden, weil schon der Gedanke einander widersprechende Elemente enthalte. Indem man versuche ein transzendetes Sein zu denken, mach man es dadurch zum Inhalte des Bewußtseins und denke also ein Immanentes. Man hat diese von BERKELEY stammende Lehre damit zurückzuweisen versucht, daß ja nicht das Transzendente selbst, sondern nur der  Begriff  des Transzendenten gedacht werden soll, aber dies sagt wenig so lange, als man unter Denken ein  Vorstellen  und unter einem Begriff, wie herkömmlich, eine Art Vorstellung versteht. Wollte man nämlich eine Vorstellung ohne alle immanenten Bestandteile vorstellen, so würde man eine Vorstellung, in der man nichts vorstellt, also in der Tat einen Widerspruch übrig behalten. So einfach also liegt die Sache nicht. Dennoch kann man den Begriff des Transzendenten denken, sobald man unter Denken ein  Urteilen  versteht und sich klar mach, daß man einen Begriff nur wirklich denken kann, indem man ihn in Urteile auflöst (8). Dann behält man, auch wenn man von dem Begriff eines Dinges alle immanenten Bestandteile wegdenkt, d.h.  verneint,  immer noch den Gedanken dieser Verneinung übrig. Der Begriff des transzendenten Seins ist eben der Gedanke dieser Verneinung: das Transzendente ist nicht Bewußtseinsinhalt.

So verstanden ist auch der Satz, daß es kein Objekt ohne Subjekt geben  könne,  wie SIGWART (9) mit einem treffenden Vergleich gesagt hat, nur ebenso wahr, wie der Satz: ein Reiter kann nicht zu Fuß gehen. SCHUPPE (10), der das Transzendente für undenkbar hält, ist aber insofern im Recht, als ein wirkliches Vorstellen, wie es bei der Trennung des Reiters von seinem Pferde stattfinden kann, bei der Trennung des Objekts vom Subjekte niemals möglich ist, und es daher eine Vorstellung vom Transzendenten nicht gibt. Auch sobald man nur, wie das bei den meisten Begriffen, mit denen wir operieren, geschieht, eine vorstellungsmäßige  Stellvertretung  für den Begriff des Transzendenten zu bilden sucht, muß man in Widersprüche kommen. Diese Stellvertretung fehlt aber auch bei anderen Begriffen z. B. dem Begriff eines Raumes von  n  Dimensionen, wo niemand die Möglichkeit der Begriffsbildung bestreitet. So lange man also unter dem Begriff des Transzendenten nur den Begriff eines Seins denkt, von dem die Bestimmung, Bewußtseinsinhalt zu sein, verneint wird, ist dieser Begriff ohne Widerspruch. Wir können es bei der negativen Begriffsbestimmung bewenden lassen, weil es sich hier um eine zweigliedrige Disjunktion handelt, ein Fall, in dem Definition durch Negation gestattet ist. Das Sein als Bewußtsseinsinhalt kennen wir, also ist auch der Begriff eines Seins, das nicht Bewußtseinsinhalt ist, ein zwar negativer, aber doch genau bestimmter, ein wohldefinierter Begriff.


VI. Das Transzendente als Ursache

Daß das Transzendente in dem nun festgestellten Sinne von der Erkenntnistheorie nicht als Voraussetzung hingenommen werden darf, haben wir zu zeigen versucht. Es muß also, wenn es angenommen wird, erschlossen sein. Sind die Schlüsse, die zu seiner Annahme führen, gültig? Dieser Frage werden wir uns jetzt zuwenden.

Der Satz: die Welt ist Bewußtseinsinhalt, wird nicht selten für gleichbedeutend gehalten mit dem Satze: die Welt ist nur Erscheinung, und an dieses durch die KANTsche Philosophie populär gewordene Wort knüpfen sich eine Menge von Versuchen, "hinter" der Sinnenwelt einen Grund der Erscheinung anzunehmen. Damit etwas erscheinen könne, so meint man, muß doch etwas sein, was erscheint, und dieses ist eben das Transzendente. Die Argumentation klingt plausibel, aber sie wird hinfällig, sobald wir uns weigern, den Bewußtseinsinhalt Erscheinung zu  nennen,  denn sie holt ja nur aus einem Begriff ein Urteil heraus, das lediglich durch die Bezeichnung in ihn hineingelegt war. Da wir das Wort Erscheinung vermieden haben, brauchen wir die auf das Wort gestützte Argumentation nicht zu widerlegen.

Doch wird man vielleicht meinen, daß auch der Bewußtseinsinhalt wie alles eine Ursache haben müsse, und in ihr das Transzendente zu finden sei. Man weiß, wenn jemand die Empfindung einer Farbe oder eines Tones hat, so ist die Empfindung bedingt durch einen Erregungszustand der Gesichts- oder der Gehörsnerven, und für diesen Erregungszustand sucht man mit Recht eine Ursache. Man findet sie in Schwingungen des Äthers oder der Luft, welche von Außen her die Netzhaut oder das Trommelfell treffen. Die Empfindungen sind also zwar durch das Subjekt bedingt, die Schwingungen existieren aber vom Subjekt unabhängig. Dieser Gedanke findet sich in jedem Lehrbuch der Physiologie, und der Erkenntnistheoretiker hat, so lange es sich dabei um eine physiologische Behauptung handelt, weder dafür noch dagegen etwas zu sagen. Aber an diesen Gedanken knüpft sich auch eine "philosophische" Erwägung. Es scheint nach diesen physiologischen Tatsachen durchaus richtig, daß man die Dinge nicht erkennt, wie sie an sich sind, sondern nur, wie sie erscheinen. Das Ding selbst ist nicht farbig, nicht hart oder weich, es bewirkt nur, daß ich es so empfinde. Der Physiologe freut sich, hier dasselbe entdeckt zu haben, was große Philosophen ebenfalls gelehrt, oder er ist vielmeh in der angenehmen Lage, rein spekulativen, und daher doch immer unsicheren Behauptuungen, die feste Basis naturwissenschaftlicher Empirie zu verleihen. Er kann die Resultate erkenntnistheortischer Untersuchungen so weit bestätigen, daß die Dinge, wie wir sie wahrnehmen, nur Erscheinungen oder Zeichen sind. Niemals aber wird es dem Physiologen einfallen, die Existenz der Dinge selbst zu bezweifeln. Er weiß: aus nichts wird nichts, wenn also die Dinge nicht da wären, so würden auch ihre Wirkungen, die Empfindungen, nicht da sein können. Die Annahme der Dinge an sich ist also durch das Kausalitätsgesetz naturwissenschaftlich bewiesen.

Es sollte kaum nötig sein, zu zeigen, daß ein derartiger Gedankengang mit der Frage, die wir hier behandeln, auch nicht das Mindeste zu tun hat. Der Gegensatz von Subjekt und Objekt im Sinne jener Auseinandersetzung ist der Gegensatz des eigenen Körpers zu der außerhalb des Körpers gelegenen Welt. Es findet nicht eine Wirkung der Luft oder der Ätherwellen auf das Bewußtsein, sondern eine Wirkung auf den Körper statt. Auch die "objektive" Welt des Physiologen ist Bewußtseinsinhalt. Es handelt sich unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten bei jedem physiologischen Vorgang um die Wirkung zweier immanenter Objekte, zweier Teile des Bewußtseinsinhalts auf einander. Wenn die Physiologie die Schwingungen als Ursache der Empfindungen bezeichnet, so mag sie diesen bedenklichen Ausdruck gebrauchen, weil innerhalb ihres Gebietes daraus keine Mißverständnisse entstehen werden. Jede erkenntnistheoretische Folgerung daraus ist aber unzulässig, denn genau genommen kennt man nur Ursachen der Nerven- und Gehirnerregung. Subjektivität der Empfindungen im physiologischen Sinne hat mit dem, was der Erkenntnistheoretiker unter Subjektivität versteht, nichts als den Namen gemein. Was außerhalb und was innerhalb des Leibes vorgeht, beides ist "im" Bewußtsein.

Wir würden diese selbstverständlichen Dinge nicht ausdrücklich erörtert haben, wenn es sich dabei nicht um Beseitigung eines noch immer weit verbreiteten Irrtums handelte. Nicht nur in naturwissenschaftlichen Schriften, sondern auch in Werken bedeutender philosophischer Denker, z. B. LIEBMANN, lesen wir von einer "Verifikation" idealistischer Ansichten durch Physik und Physiologie. Es kann dem gegenüber gar nicht scharf genug hervorgehoben werden, daß der erkenntnistheoretische Idealismus durch keine innerhalb der empirischen Wissenschaften gefundenen Tatsachen oder Theorien bestätigt oder widerlegt werden kann. Daß alles gegebene Sein Bewußtseinsinhalt ist, ist eine unmittelbar evidente Wahrheit, von viel größerer Gewißheit, als irgend eine Theorie sie besitzt. Wollte man die Resultate der Sinnesphysiologie erkenntnistheoretisch deuten, so würde man dadurch nur auf die LOCKEsche Scheidung der "sekundären" von den "primären" Qualitäten kommen. Diese Scheidung hat in anderem Zusammenhange auch erkenntnistheoretisch ihre Bedeutung und ist für die Naturwissenschaft überall dort wertvoll, wo es sich darum handelt, Qualitäten auf Quantitäten zurückzuführen. Die Ansicht aber, daß die sekundären Qualitäten der Welt der "Erscheinungen", die primären dem Ding an sich angehören, besitzt nur noch ein historisches Interesse und sollte als definitiv überwunden gelten (11).

Durch die Physiologie ist also ein Beweis für die Existenz transzendenter Dinge nicht zu führen. Soll der Beweis durch den Kausalitätsbegriff zustande kommen, so wird es sich darum handeln, nachzuweisen, daß, damit das Bewußtsein einen Inhalt haben könne, die Wirkung des Transzendenten auf das Bewußtsein angenommen werden muß, und zwar auf das Bewußtsein im Gegensatz zu seinem Inhalt, auf das Bewußtsein überhaupt, das als Subjekt allein übrig bleibt, wenn der gesamte Bewußtseinsinhalt als Objekt angesehen wird. Hat diese Frage nach einer Ursache des Bewußtseinsinhaltes einen Sinn?

Der Begriff der Wirkung stammt aus den Veränderungen, die wir in der Sinnenwelt beobachten. Jede Veränderung wird angesehen als die Wirkung eines Dinges auf das andere. Die Frage, wie man sich diese Wirkung zu denken habe, berührt uns hier nicht. Nur die Tatsache können wir feststellen, daß es sich dabei immer um die zeitliche Aufeinanderfolge zweier Zustände handelt, die mit dem Gedanken verbunden ist, daß die Zustände auf einander folgen müssen. Und ferner können wir feststellen, daß, wie man auch über die Transzendenz der Dinge denken mag, jedenfalls die Ursache und das Bewirkte dieselbe Art des Seins haben. Für den Idealisten sind die beiden Bewußtseinsinhalte, für den Realisten sind sie beide Dinge an sich. Wollen wir nun den Begriff eines ursächlichen Verhaltens so anwenden, daß wir für den Bewußtseinsinhalt eine Ursache annehmen, die selbst nicht Inhalt des Bewußtseins ist, so stoßen wir auf große Schwierigkeiten. Ursache und Bewirktes haben nun nicht mehr dieselb Art des Seins. Die Ursache ist transzendent, das Bewirkte dagegen immanent. Es ist dann auch nicht mehr möglich, den Vorgang als ein zeitliches Geschehen zu denken, man müßte denn annehmen, daß die Ursache einer transzendenten, das Bewirkte dagegen in einer immanenten Zeit aufträte. Um vom Bewußtseinsinhalt auf eine transzendente Ursache desselben zu schließen, ist der geläufige Begriff der Ursache also nicht braubar, und er wird sich auch schwerlich dazu brauchbar machen lassen.

Jedenfalls können wir dies feststellen: wenn wir nach der Ursache eines Vorganges in der Welt fragen, so wird unser Kausalitätsbedürfnis nur befriedigt, wenn wir einen anderen Teil der Welt als Ursache angeben können, und für diesen Teil suchen wir wieder einen anderen Teil der Welt als Ursache und so fort ins Unendliche. Wir fragen überhaupt nach einer ursache immer nur bei einem  Teil  der Welt. Für das unendlich oder endlich gedachte Ganze können wir nicht mehr nach einer Ursache fragen, weil ja das Ganze dann eben doch nicht das Ganze wäre. Nun behauptet der Idealismus, daß die ganze Welt Bewußtseinsinhalt ist. Gewiß können wir nach der Ursache eines Teils des Bewußtseinsinhaltes fragen, aber diese Ursache kann auch wieder immer nur ein anderer Teil des Bewußtseinsinhaltes sein. Auf die Frage nach einer Ursache des ganzen Bewußtseinsinhaltes braucht der Idealist sich gar nicht einzulassen. Sie ist für ihn gleichbedeutend mit einer Frage nach der Ursache der Welt.

Und genau eben so wenig, wie wir die Annahme eines transzendenten Objektes als Ursache des Bewußtseinsinhaltes für berechtigt halten, ebenso entschieden weisen wir auch die Meinung zurück, es müsse nach idealistischer Ansicht das Bewußtsein als Ursache seines Inhaltes betrachtet werden. Der erkenntnistheoretische Idealismus hat mit Spiritualismus nichts zu tun. Das Bewußtsein ist keine transzendente Seele, und selbst wenn es eine wäre, so würde doch eine Wirkung, die von einem transzendenten Subjekt kommt, ebenso unbegreiflich sein, wie die von einem transzendenten Objekt ausgehende, ein Satz, den weiter auszuführen nicht nötig ist, weil er kaum bestritten werden wird.


VII. Das Transzendente als Ergänzung

Man hat am Bewußtseinsinhalt noch in anderer Hinsicht Eigenschaften gefunden, die es als undenkbar erscheinen lassen sollen, daß er das einzige Sein ist. Er stelle sich - so sagt man - einer genaueren Betrachtung dar als ein völlig regelloses, fortwährend unterbrochendes und wieder neu einsetzendes Spiel von Vorstellungen. Ein kontinuierliches Geschehen komme dabei überhaupt nicht vor, dürfe also nach idealistischer Ansicht nicht als vorhanden betrachtet werden. Nun sei aber ein ununterbrochenes Sein völlig unentbehrlich, um die vereinzelnten unregelmäßigen Bestandteile des Bewußtseinsinhaltes darauf zu beziehen und in unsere Erfahrung Ordnung und Einheit zu bringen. Wissenschaft, so wird dieser Gedanke meist gewendet, läßt sich aus bloßen Bestandteilen des Bewußtseinsinhates nicht gewinnen. Wer eine Theorie aufstellen will, ist gezwungen, Elemente aufzunehmen, die er niemals direkt erfahren hat, er muß also seinen Bewußtseinsinhalt durch nicht wahrgenommene Bestandteile ergänzen.

Gedanken dieser Art sind öfter und neuerdings von VOLKELT (12) in so erschöpfender und klarer Weise ausgeführt worden, daß wir hier nicht näher darauf einzugehen brauchen. Wir geben unbedingt zu: die wirklich wahrgenommenen Bestandteile des Bewußtseinsinhaltes sind ein fortwährend abreißendes und wieder einsetzendes "Gewühl" von Vorstellungen. Der Nachweis, daß jede Erkenntnistheorie, welche das wissenschaftliche Denken auf das Konstatieren von Tatsachen einschränken will, niemals imstande ist, das zu rechtfertigen, was wir Wissenschaft nennen, ist damit in überzeugender Weise geführt. Aber einen Beweis für die Annahme einer transzendenten Wirklichkeit können wir in dem Hinweis auf die Bedingungen einer Wissenschaft nicht erblicken. Es handelt sich für uns nur darum, ob eine Ansicht, welche alles Transzendente leugnet, überhaupt durchfürbar ist. Man muß aus den erwähnten Eigentümlichkeiten des Bewußtseinsinhaltes, ohne jede Rücksicht auf die Möglichkeit einer Wissenschaft, die Leugnung der Transzendenz als widersinnig erweisen, wenn der Beweis stichhaltig sein soll.

Man hat dies auch versucht. Ich kann, so meint man, nicht annehmen, daß ein Gegenstand, auf den ich meinen Blick gerichtet habe, ins Nichts versinkt, wenn ich die Augen schließe, und aus dem Nichts wieder emportaucht beim Öffnen meiner Augen. Die Welt war, ehe ich geboren wurde, und wird fortbestehen nach meinem Tode, also ohne daß sie iun meinem Bewußtsein ist. Meine Eltern sind doch nicht erst durch mich ins Dasein gerufen, es gibt außer mir auch noch andere Menschen usw. usw. Der Kern, der solchen Ausführungen zu Grunde liegt, ist in Kürze immer der: wenn der Idealist seine Ansicht konsequent durchführen will, so muß er behaupten, daß er allein auf der Welt sei, und daß die Dinge nur  dort  und  dann  existieren, wo und wann sie von ihm wahrgenommen werden.

Vielen Idealisten scheinen diese Einwürfe große Schwierigkeiten zu bereiten, und sie sind ängstlich bemüht, den so absurden Konsequenzen, die ihnen zugemutet werden, aus dem Wege zu gehen. Andere dagegebe, die sich vor absurden Konsequenzen nicht scheuen, lassen sich dadurch zu weitgehenden Konzessionen bringen. So finden wir bei einem Leugner der Transzendenz neben der ausdrücklichen Anerkennung des Solipsismus das Geständnis, daß er sich gegenüber der transzendenten Vorstellungsweise in der Tat zur Annahme von "Seinsunterbrechungen" bekenne (13). Sind das wirklich notwendige Konsequenzen für den, der ein Transzendentes nicht anerkennen will?

Zunächst, was heißt Seinsunterbrechung? Ich höre einen Ton, der eine Zeit lang klingt, aufhört, und nach einiger Zeit wieder zu klingen beginnt. Dann sage ich, der Ton war unterbrochen, und da das Sein des Tones in seinem Klingen besteht, so kann ich von einer Seinsunterbrechung des Tones reden. Man muß bemerken, daß das Wort nur einen Sinn hat, wenn die Unterbrechung als liegend zwischen zwei von einander getrennten Punkten der Zeit aufgefaßt werden kann. Wenden wir nun diesen Begriff im Sinne des Solipsisten auf das Sein der Welt an, so ergibt sich höchst Merkwürdiges. Der Solipsist legt sich Abends um 10 Uhr schlafen und wacht um 6 Uhr wieder auf, ohne geträumt zu haben; dann ist das Sein der Welt für 8 Stunden unterbrochen gewesen. Der Solipsist ist im Jahre so und so viel um die und die bestimmte Zeit geboren; daraus folgt, daß dieser Zeitpunkt der Anfang der Welt war. Von da an dauert die Welt mit täglichen Unterbrechungen von so und so viel Stunden, während er schläft, bis zu seinem Tode, und dann gibts keine Welt mehr. Was war vor dem Jahre seiner Geburt, und was wird nach seinem Tode sein? Es kann darauf nur eine Antwort geben: nichts! Dies Resultat scheint doch etwas bedenklich. Nicht deswegen, weil die Vorstellung einer Welt von bestimmter Dauer und bestimmten Pausen ihres Seins für die meisten Menschen eine absurde Vorstellung ist - denn was scheint den "meisten Menschen" nicht alles absurd - sondern weil der Idealist jedes  Urteil  über Vorgänge vor seiner Geburt und während seines Schlafes für  unwahr  erklären müßte, und dies nicht kann, ohne in Widersprüche zu geraten.

Doch wir brauchen diesen Gedanken nicht auszuführen, weil, wie sich leicht zeigen läßt, die Leugnung der Transzendenz nicht nur nicht zur Behauptung von Seinsunterbrechungen führt, sondern im Gegenteil die Annahme von Seinsunterbrechungen gerade das voraussetzt, was der Idealist bestreitet, nämlich: ein Transzendentes. Da eine Unterbrechung nur zwischen zwei Punkten der Zeit liegenkann, so darff man von einer Unterbrechung des Bewußtseins und einer dadurch herbeigeführten Seinsunterbrechung nur dann reden, wenn  unabhängig vom Bewußtsein die Zeit weiter läuft.  Ausdrücklich haben wir darauf hingewiesen, daß nicht nur die Sinnesqualitäten, sondern auch Raum und Zeit zur immanenten Welt gehören. Absichtlich haben wir in dem oben dargestellten Einwurf, der sich auf die Diskontinuität des Bewußtseinsinhaltes gründet, die Wörter "dort" und "dann" hervorgehoben. Auf sie kommt nämlich alles an, denn schon in dieser Fragestellung sind Raum und Zeit als transzendente Wesenheiten vorausgesetzt. Wer einen leeren transzendenten Raum und eine leere transzendente Zeit mit Dingen bevölkern wollte, die nur dort und dann existieren, wo und wann sie wahrgenommen werden, der könnte durch den Hinweis auf die Diskontinuität des Bewußtseinsinhaltes allerdings ad absurdum geführt werden. In der Hand des konsequenten Idealisten dagegen wird der Hinweis darauf, daß die Dinge doch existieren müssen, wo und wann sie nicht wahrgenommen werden, vielmehr zu einer Waffe werden, gegen all die halben Idealisten, die da meinen, sie können einen Teil der Welt für immanent halten und dem anderen Teil seine transzendente Existenz ruhig lassen. Den Physiker mag man fragen, was seine qualitätslosen Atome sind dort, wo und dann, wann sie nicht gedacht werden. Er wird auf diese Frage keine Antwort geben können, oder zugeben müssen, daß diese Atome Begriffe sind, denen ebenso wenig wie der Sinnenwelt eine transzendente Existenz zukommen kann.

Ebenso ist es mit allen Ergänzungen, welche zu dem direkt Wahrgenommenen im Bewußtseinsinhalte hinzutreten und eine kontinuierliche Sinnenwelt daraus machen. Sie werden nur dann ihren Zweck erfüllen, wenn sie räumlicher oder jedenfalls zeitlicher Natur sind, und dadurch ihren immanenten Charakter dokumentieren. Ein transzendentes Sein würde sich zur Ausfüllung der Lücken in der Wahrnehmungswelt sehr schlecht eignen. Mit welchem  Rechte  der Idealist die Lücken seines Bewußtseinsinhaltes mit Vorstellungen ausfüllt, welche nicht aus dem von ihm Wahrgenommenen stammen, das allerdings ist eine andere Frage, die aber, wie bereits bemerkt, wir hier nicht zu entscheiden haben. Wir hatten nur zu zeigen, daß mit einem Hinweis auf die Lückenhaftigkeit der Wahrnehmungswelt die Annahme eines transzendenten Seins nicht zu rechtfertigen ist. Ein konsequenter Idealist, für den Raum und Zeit ebenso wie Farbe und Ton Bewußtseinstatsachen sind, wird auf die Frage: ob die Welt schon vor seiner Geburt war und nach seinem Tode sein werde, antworten: Die räumlich-zeitliche Welt war vor meiner Geburt dieselbe, die sie jetzt ist, und die sie wahrscheinlich nach meinem Tode sein wird. Meine Geburt und mein vorausgesehener Tod sind Ereignisse in der räumlich-zeitlichen Welt und ebenso wie diese Welt selbst nichts anderes als Tatsachen des Bewußtsein. Wenn man aber den Idealisten fragen wollte, ob er die Existenz der Welt auch vor oder nach dem  Bewußtsein  annehme, so wird er sagen können, daß er diese Frage ebenso wenig verstehe, als wenn man ihn fragen wollte, ob die Welt auch vor und nach der Zeit existiere, denn das sei ja eben seine Behauptung, daß es gar keine Zeit gebe außer als Tatsache des Bewußtseins. In jedem einzelnen Augenblicke umfasse das Bewußtsein die Welt im Raum, so groß sie auch sein möge, und ebenso die Welt in der Zeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Bewußtsein aber sei kein zeitliches Ding, vor und nach dem etwas sein könne.

Und schließlich, wie steht es mit dem Solipsismus, diesem Schreckgespenst, gegen das auch von manchen zur Leugnung des Transzendenten geneigten Erkenntnistheoretikern bisweilen mehr Pathos als Gründe vorgebracht werden? Wir brauchen nur an die Ausführungen über den Begriff des Bewußtseins überhaupt zu erinnern, um zu zeigen, daß der Standpunkt des Solipsismus lediglich als eine Art von Durchgangsstadium erkenntnistheoretische Bedeutung hat. Die Welt ist nicht  mein  Bewußtseinsinhalt. Das Bewußtsein im Gegensatz zu seinem Inhalte, das Subjekt im Gegensatz zu allen Objekten ist kein individuelles Ich. Es hat daher keinen Sinn, die Welt als Inalt eines individuellen Ichs zu bezeichnen. Und da nur das individuelle Ich, nicht aber das alles Sein umfassende Bewußtsein ein Selbst ist, dem Bewußtsein auch nicht, wie einem Objekte, die Bestimmung beigelegt werden kann, daß es einzig oder allein sei, so ist das aus solus und ipse gebildete Wort nichts als - ein Wort. Allerdings muß hinzugefügt werden, daß nur mit Hilfe des Begriffs vom unpersönlichen Bewußtsein der Solipsismus zu widerlegen ist. Wer nur ein individuelles Bewußtsein und dabei kein von diesem Bewußtsein unabhängiges Sein anerkennen will, spricht damit den Solipsismus einfach aus und vermag niemals über ihn hinaus zu kommen. Es sei dies besonders für die positivistisch gefärbten Bewußtseinsidealisten bemerkt, die vielleicht im Begriffe des Bewußtseins überhaupt ein höchst bedenkliches Erbstück aus der Blütezeit deutscher Philosophie wittern mögen. Man mag meinen, von einem "eigenen Bewußtsein" reden zu können, ohne dabei eine transzendente Seele vorauszusetzen, ein "fremdes Bewußtsein" ist jedenfalls transzendent. Für uns gibt es, wenn das Wort Bewußtsein in dem festgestellten Sinne gebraucht wird, ein fremdes Bewußtsein so wenig, wie es ein eigenes Bewußtsein gibt, denn das Individuelle liegt überall im Objekt. Das Bewußtsein aber ist für die verschiedenen Ich-Objekte, für das eigene wie für die fremden, dasselbe.

Der Versuch, auf Grund des Kausalitätsgesetzes ein Transzendentes zu erschließen, beruhte auf einer Verwechslung des Bewußtseins mit dem körperlichen Subjekt. Die Behauptung, daß der Idealismus zu Seinsunterbrechungen und zum Solipsismus führe, hat an Stelle des Bewußtseins jenes immanente Objekt gesetzt, das wir individuelles Ich nennen. Das Subjekt, um welches es sich beim Problem der Transzendenz handelt, kann weder Einwirkungen von Dingen erleiden, noch kann es, wie ein Objekt unterbrochen werden und damit Unterbrechungen des Seins herbeiführen. Wenn wir an dem allein richtigen Subjektbegriffe, dem Bewußtsein im Gegensatz zu seinem Inhalte, festhalten, so gibt es keinen stichhaltigen Beweis für die Annahme eines von ihm unabhängigen d. h. transzendenten Seins.


VIII. Das Transzendente und der Wille

Es wird die Überzeugung, daß ein Beweis für die Annahme einer transzendenten Wirklichkeit nicht geführt werden kann, auch von Denkern geteilt, welche trotzdem nicht zugeben wollen, daß die Welt nur Bewußtseinsinhalt ist. Sie meinen, daß die Behandlung des Transzendenz-Problems zu falschen Konsequenzen führen müsse, weil schon die Frage falsch gestellt sei. Sie greifen die  Voraussetzungen  an, von denen wir ausgegangen sind, vor allem die Voraussetzung, daß es ein rein theoretisch erkennendes Subjekt gibt. Der erkenntnistheoretische Idealismus stütze sich auf eine Abstraktion, der keine Wirklichkeit zukomme. In der neueren Zeit hat 'DILTHEY (14) unter diesem Gesichtspunkt das Problem der Transzendenz behandelt. Daß jedes Objekt als ein Komplex von Bewußtseinstatsachen gedeutet werden kann, bestreitet er nicht; der Phänomenalismus würde sich jedoch hieraus nur dann ergeben, wenn die Bewußtseinstatsachen aufgefaßt werden könnten als zusammengesetzt aus lauter rein vorstellungsmäßigen Elementen. Eine solche "intellektualistische Umdeutung des Satzes dre Phänomenalität" ist aber unzulässig. Man muß von dem ganzen Menschen mit seinem Willen, seinen Trieben, seinem Gefühl ausgehen, denn nur in diesem Gesamtleben hat die Scheidung von Innen- und Außenwelt ihren Ursprung und ihr Recht. Wenn man die tut, so findet man als dasjenige Element auf welches sich die ganze Scheidung von Innen- und Außenwelt aufbaut, "die Beziehung zwischen dem Bewußtsein der willkürlichen Bewegung und dem des Widerstandes, auf welchen diese trifft". In meiner Vorstellung einer willkürlichen Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil die Vorstellung eines bestimmten Bewegungsimpulses, der der Bewegung eine von mir erwartete Bestimmtheit verleiht. Tritt nun diese erwartete Bewegung nicht auf, sondern an ihrer Stelle eine Druckempfindung, so erfahre ich eine Hemmung meiner Bewegung. In dieser Hemmung geht aber der Impuls nicht unter, sondern bleibt bestehen, und ich erfahre so in der Hemmung ein Bestimmtwerden meines Willens von einem davon Unabhängigen, und das ist eben die Außenwelt.

Wenn wir uns zur Beurteilung dieser Ansicht wenden, so handelt es sich für uns natürlich darum, ob DILTHEY die Entstehung des Glaubens an die in jeder Hinsicht vom Subjekte unabhängige Realität der Außenwelt richtig beschrieben hat. Wir untersuchen nur, ob das  Recht  auf einen solchen Glauben durch ihn vor jedem erkenntnistheoretischen Zweifel geschützt ist. Auch wenn es der Psychologie gelänge, nachzuweisen, daß jeder Mensch mit dem deutlichen Wissen einer von ihm völlig unabhängigen Außenwelt geboren würde, so wäre diese Tatsache in diesem Zusammenhange von keiner Bedeutung. Wissen wir doch, um an ein oft gebrauchtes Beispiel zu erinnern, daß in jedem Menschen, der weit genug entwickelt ist, um überhaupt eine solche Beobachtung zu machen, beim ersten Anblick der aufgehenden oder untergehenden Sonne die Meinung entstehen muß, daß die Sonne sich bewegt und die Erde ruht, und dennoch machen wir jedem das Recht auf diese Annahme streitig.

Wir müssen also aus dem angeführten Gedankengange das hervorheben, was das Reht auf die Annahme einer vom Subjekt unabhängigen Außenwelt begründen kann. Der Gegensatz zwischen Ich und Welt soll, richtig verstanden, der zweier Willenssphären sein. So oft ich will und gehemmt werden, erfahre ich meinen Willen und seine Hemmung, die nicht mein Wille ist, unmittelbar und zwar als gleich real. Der Zweifel an der Realität der Außenwelt ist daher ebenso unmöglich, wie ein Zweifel an der Realität meines eigenen Willens. Die Außenwelt ist, so wahr ich will, oder, weil mein Ich nicht ein nur vorstellendes Bewußtsein, sondern auch ein wollendes Ich ist: die Außenwelt ist, so wahr ich bin.

So unzweifelhaft richtig dieser Gedanken ist, so können wir dennoch darin keine Widerlegung des Satzes, daß die Welt Bewußtseinsinhalt ist, also auch keine Lösung unseres Problems erblicken. Zunächst könnte von psychologischer Seite ein Einwand dagegen erhoben werden. Daß unser Ich, so könnte man sagen, nicht nur ein vorstellendes, sondern auch ein wollendes und ein fühlendes Ich ist, ist zwar insofern richtig, als wir neben dem Vorstellen zu wollen und zu fühlen glauben. Einer genaueren psychologischen Analyse jedoch hält diese strenge Scheidung des Willens von der Vorstellung nicht Stand. Auch der Wille erweist sich bei näherer Betrachtung als ein vorstellungsmäßiger Empfindungskomplex, der nur deswegen nicht als ein Empfindungskomplex gilt, weil einige seiner Bestandteile dem ungeübten Beobachter nicht als das, was sie wirklich sind, erscheinen (15). Der auf den Willen gegründete Beweis für die Realität der Außenwelt würde hiernach mit einer psychologischen Theorie stehen und fallen, denn wenn der Wille sich als ein rein vorstellungsmäßiges Element unseres Bewußtseinsinhaltes herausstellte, so stünde er in einer Reihe mit den anderen lediglich vorgestellten Objekten und könnte niemals dazu dienen, die Existenz einer vom Subjekte unabhängigen Welt zu erweisen.

Doch auch, wenn die psychologische Theorie so allgemein anerkannt wäre, wie sie bestritten ist, so würden wir ihrer nicht bedürfen, um zu zeigen, daß der auf den Willen gegründete Beweis das nicht leistet, was wir suchen. Wir können zugeben, daß der Wille wegen seines von allen Empfindungen toto genere [auf jede Art - wp] verschiedenen, alternativen Charakters, er in den einander entgegengesetzten Zuständen des Begehrens und Verwerfens zum Ausdruck kommt, nicht als Empfindungskomplex zu begreifen ist. Wir können ferner zugebe, daß unser Ich nicht nur ein vorstellendes, sondern auch ein wollendes Ich ist, und daß wir etwas von unserem Willen Unabhängiges mit unbezweifelbarer Sicherheit erfahren. Immer bleibt doch auch das Wollen nur  ein  Bestandteil neben anderen Bestandteilen des Ich und was daher von meinem Willen unabhängig ist, braucht deshalb nicht in jeder Hinsicht vom Subjekt unabhängig zu sein. Gewiß, ein Mensch, der sich sein Leben hindurch nur erkennend verhält, ist eine Abstraktion, aber es gibt auch keinen Menschen, der immer nur will und gehemmt wird. Es gibt für jeden Menschen Stunden ruhiger Betrachtung und wenn ich in ihnen meine Willensäußerungen und den Widerstand, den ich dabei erfahren habe, als Erinnerungsbilder an mir vorüber ziehen lasse, dann haben sie ihre Überzeugungskraft für die Annahme einer in jeder Beziehung vom Subjekt unabhängigen Welt gänzlich eingebüßt. Dann sind sie immanente Objekte geworden. Der Vorgang von Impuls und Hemmung ist dann nichts anderes als Bewußtseinsinhalt und daher kann dieser Beweis für die Realität gerade das nicht leisten, worauf es uns allein ankommt, nämlich, eine vom denkenden, interesselos die Dinge betrachtenden, wissenschaftlich tätigen Subjekt unabhängige Welt von Dingen erweisen. Der Wille sichert eine vom Subjekt unabhängige Welt nur, so lange er gewollt, nicht wenn er wissenschaftlich untersucht wird.

Genau ebenso verhält es sich mit allen anderen Beweisen für die Realität der Außenwelt, welche davon ausgehen, daß das Subjekt nicht nur denke, sondern auch in anderer Weise sich betätige. RIEHL (16) hat einen "sozialen Beweis" für die Existenz der Außenwelt geführt, "die bloße Existenz altruistischer Gefühle in uns beweise die Existenz der Mitmenschen außer uns". Diese Gefühle weisen hinaus über mein Ich, und ich könnte sagen: die Mitmenschen sind, so wahr ich mich mit ihnen freue oder mit ihnen leide. DILTHEY lehnt diesen Beweis ab. Von seinem Standpunkt aus nicht mit Recht. Er ist nicht mehr, aber auch nicht weniger gültig als der auf den Willen gegründete, denn in jedem Mitgefühl wird fremdes Leid oder fremde Freude erfahren, ebenso unmittelbar wie die eigene. Allerdings zeugen auch die fremden Gefühle wieder nur so lange für ein von mir unabhängiges Sein, als ich sie eben fühle. Wenn ich ihr Erinnerungsbild gleichgültig betrachte, werden sie Inhalt des Bewußtseins, und eine vom Bewußtsein unabhängige Welt bleibt nach wie vor problematisch. Das ist keine "intellektualistische Umdeutung des Satzes der Phänomenalität", es ist vielmehr die einzige Deutung, die man diesem Satze geben darf, wenn man seinen erkenntnistheoretischen Sinn darlegen will. Man kann nicht bestreiten, daß es möglich ist, sich zeitweise nur erkennend zu verhalten und sich dann vollkommen dessen bewußt zu sein, daß  alles  Sein, also auch das eigene so gut wie das fremde wollende und fühlende Ich, ein vom theoretischen Subjekt abhängiges, immanentes Objekt ist. Wenn das zeitweise rein theoretisch erkennende Subjekt nur eine Abstraktion wäre, so würden theoretische Urteile, d. h. Behauptungen, die nichts anderes als wahr sein wollen, gar nicht möglich sein.

Trotzdem ist die vom wollenden oder fühlenden Subjekt ausgehende Behandlung des Problems insofern von wesentlichem Interesse, als sie unzweifelhaft feststellt, daß eben  nur  für den erkennenden, nicht aber für den handelnden Menschen die Frage nach einer vom Bewußtsein unabhängigen Welt eine Bedeutung hat. Wir wissen unser wollendes und fühlendes, geistig-körperliches Ich als ein Ding unter Dingen, die ihm gleich sind, und welche Art des Seins diesen Dingen zukommt, ob sie Bewußtseinsinhalte sind oder absolute Realität besitzen, ist für das praktische Leben ganz gleichgültig. Daher hat auch die Moral von einem richtig verstandenen erkenntnistheoretischen Idealismus nicht zu fürchten, denn wie sollte jemand auf den Gedanken kommen, daß er zwar gegen ein transzendent Seiendes sittliche Verpflichtungen hat, dem immanent Seienden gegenüber aber nicht? Einen Zusammenhang zwischen praktischen Fragen und der Frage nach der transzendenten Realität der Außenwelt gibt es in dieser Hinsicht nicht. Es sind also durch den Hinweis auf eine vom  wollenden  und  fühlenden  Ich völlig unabhängige Welt nur Hindernisse hinweggeräumt, welche sich dem Verzicht auf die Annahme eines  transzendenten  Seins in den Weg stellen könnten. Der erkenntnistheoretische Idealismus findet hier nicht eine Widerlegung, sondern eine Stütze. Der Schein von Paradoxie, der an ihm haftet, schwindet immer mehr.
LITERATUR - Heinrich Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis - Ein Beitrag zum Problem der philosophischen Transzendenz, Freiburg i. B. 1892
    Anmerkungen

    1) ALOYS RIEHL, Der philosophische Kritizismus II, Seite 137ff
    2) System der Philosophie, Seite 104 ff
    3) Wir verstehen unter absolutem Idealismus in der Erkenntnistheorie jede Ansicht, die den Bewußtseinsinhalt für das einzige Sein erklärt. Auch der "Korrelativismus", wie ihn LAAS ("Idealismus und Positivismus") gelehrt hat, ist nur eine Form des Idealismus. Der Positivismus unterscheidet sich von dem absoluten Idealismus nur dadurch, daß er, ohne ein Recht dazu zu haben, die Konsequenzen jeder auf den Bewußtseinsinhalt sich beschränkenden Theorie nicht zugeben will, welche zu einer wissenschaftsfeindlichen Skepsis führen.
    4) System der Philosophie, Seite 101
    5) ALOYS RIEHL, Kritizismus II, Seite 130
    6) Beiträge zur Lösung dre Frage vom Ursprunge unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt und seinem Recht (Sitzungsberichte der kgl. preuss. Akademie der Wiss. zu Berlin 1890, XXXIX, Seite 977ff
    7) Kritik der reinen Erfahrung
    8) Vergl. RICKERT, Zur Lehre von der Definition
    9) Logik I, 2. Aufl. Seite 44
    10) Erkenntnistheoretische Logik, Seite 86f
    11) Allerdings steht noch in einem der neueren Hefte der "Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie": "Der Realist meint, daß das Ding an sich eine solche eigentümliche  Oberflächenbeschaffenheit (!)  hat, daß es gerade nur diejenigen Ätherschwingungen zurückwirft, die bei mirdie bestimmte Empfindung hervorrufen. Und hierin ist doch wohl nichts ungereimtes." Das ist wirklich ein Realismus, dem man das Prädikat "naiv" nicht wird vorenthalten können.
    12) Erfahrung und Denken, Seite 83ff
    13) MARTIN KEIBEL, Werth und Ursprung der philosophischen Transcendenz, Seite 28
    14) Beiträge zur Lösung usw. Vgl. Seite 12
    15) Vgl. MÜNSTERBERG, Die Willenshandlung
    16) ALOYS RIEHL, Kritizismus II, Seite 172f