Hugo Renner - Absolute, kritische und relative Philosophie
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HUGO RENNER
Absolute, kritische und
relative Philosophie

[Einige Bemerkungen zu Rickerts
Einführung in die Transzendentalphilosophie]


"Was der empirische Realismus als objektive Wirklichkeit bezeichnet und für den Gegenstand der Erkenntnis hält, ist also vom Standpunkt des transzendentalen Idealismus eine Erkenntnisaufgabe, oder: alles an der objektiven Wirklichkeit, das über den Inhalt der einzelnen Wahrnehmungen hinausgeht, ist ein Inbegriff von Imperativen, die fordern, daß das Gegebene nach bestimmten Formen geordnet wird."

"Daß der Skeptizismus so voller innerer Widersprüche steckt, daß ein logisch denkender Mensch sich notwendig mit Abscheu von ihm wenden muß, das ist ja nicht erst seit gestern und vorgestern das graue Gespenst, mit dessen Zitierung sich der Rationalismus die Widerlegung abweichender Ansichten gar so bequem macht."

"Ich sehe eine Truppe Halt machen und höre dann den Offzier: Halt! kommandieren; offenbar spielt sich der Vorgang umgekehrt ab, und nur die langsamere Bewegung der Schallbewegungen konnte den umgekehrten Ablauf der Vorstellungen bewirken. Zwei parallele Linie, etwa die der Pappeln an einer Chausses, scheinen sich immer mehr zu nähern, objektiv behalten sie stets ihre Entfernung. Der Raum, die Zeit der Mechanik sind andere, als die der Psychologie.

Die Worte es gibt behaupten etwas als wahr. Die hinzugefügten Worte keine Wahrheit heben den Begriff der Wahrheit und damit die in den ersten Worten ausgesprochene Behauptung wieder auf. Wer sagt, ich weiß, daß wir nichts wissen und für diese Behauptung Gründe hat, der urteilt und erkennt also den Wahrheitswert an. Dieser Anerkennung sich zu entziehen, ist auch den absoluten Skeptiker unmöglich.


1. Allgemeine Charakteristik
von Rickerts Transzendentalphilosophie

HEINRICH RICKERT hat seine Monographie "Der Gegenstand der Erkenntnis" 1904 mit einigen Erweiterungen herausgegeben; die wesentlichste ist die Hinzufügung eines fünften Kapitels, in welchem er "Die Andeutung eines Systems der Erkenntnistheorie" zu geben versucht, die er in der ersten Auflage zu geben ausdrücklich abgelehnt hatte. So wie diese Untersuchungen aus RICKERTs Untersuchungen über das Urteil hervorgegangen sind, so bilden sie auch die Grundlagen zu seinen weiteren, dem gelehrten Publikum hinreichend bekannten methodologischen Forschungen. Durch die erwähnte Erweiterung unserer Monographie gewinnt RICKERT das Recht, sie eine Einführung in seine Philosophie zu nennen. Er bezeichnet sie aber als eine Einführung in die Transzendentalphilosophie. Diese Benennung muß beanstandet werden. RICKERT will mit seiner Philosophie nichts weniger als den philosophischen Realismus und die Lehren der Immanenz in einer höheren Einheit, dem tranzendentalen Idealismus auflösen, der die berechtigten Elemente jener in sich aufzunehmen weiß. Ich glaube aber RICKERT versteht darunter etwas anderes als die Neukantianer, mit denen er sich leider nicht auseinandergesetzt hat. Er glaubt zwar, wie er im Vorwort Seite V betont, durchaus im Sinne KANTs zu arbeiten. Seine Stellungnahme gegen den Psychologismus und gegen die metaphysische Behandlung erkenntnistheoretischer Probleme würde damit gut übereinstimmen. Auch dem Satz würde ein strenger Kantianer freudig beistimmen, "daß allein in der Erkenntnistheorie die Basis für eine wissenschaftliche Philosophie zu finden ist"; zu folgendem Satz würde er sich aber gewiß schon reservierter verhalten, daß ist. (Seite VI) Es würde ihm die schmerzliche Erinnerung kommen, daß gerade dieser Punkt es war, der die Transzendentalphilosophie in die Wege des absoluten Idealismus abbog.

Um es bald zu sagen, es ist der Geist FICHTEs, der über diesem Buch waltet. Die Auflösung des Erkennens in eine Tätigkeit des reinen Geistes, des überindividuellen Ich, von der aus erst die Gegenständlichkeit der Erkenntnisse gewonnen wird, ist die Quintessenz des Werkes. Man soll sich unter diesem Gedanken nichts Psychologisches vorstellen, das wird an allen Ecken und Enden betont, will man darunter aber überhaupt etwas verstehen, so dürfte es schwer sein, diesen Gedanken nicht als eine in die rationalistische Metaphysik übersetzte psychologische Behauptung anzusehen. Daß es FICHTE ist, der die Ausführungen inspiziert hat, geht nicht bloß daraus hervor, daß RICKERT sogar im Wahrnehmungsurteil die Tätigkeit eines überindividuellen Ich spürt; er unterscheidet auch bei den Wahrnehmungen Form und Materie, Wahrnehmung ist ihm "der Inhalt in der Form der Gegebenheit" (Seite 182) und er hat selbst das Bewußtsein, damit über KANT hinausgegangen zu sein, und es ist dies nicht bloß in der Erweiterung der Anwendung der transzendentalen Forschungsweise, wie er es zu glauben scheint, er ist es auch in der Auffassung dieser Methode selber. Auch bei der Erklärung der Erkenntniszusammenhänge stellt er der Philosophie Aufgaben, die sich doch wohl von den Absichten KANTs entfernen. Er betont:
    "das, was der empirische Realismus als objektive Wirklichkeit bezeichnet und für den Gegenstand der Erkenntnis hält, ist also vom Standpunkt des transzendentalen Idealismus eine Erkenntnisaufgabe, oder: alles an der objektiven Wirklichkeit, das über den Inhalt der einzelnen Wahrnehmungen hinausgeht, ist ein Inbegriff von Imperativen, die fordern, daß das Gegebene nach bestimmten Formen geordnet wird. Die Richtung, in der sich die Lösung dieser Aufgabe zu vollziehen hat, d. h. die Formen, welche die Ordnung bestimmen, sind von Normen abhängig und diese Normen bilden daher den vom erkennenden Subjekt unabhängigen Gegenstand der Wirklichkeitserkenntnis. Nach ihnen allein hat das Bejahen sich zu richten, von ihrer Anerkennung durch die Kategorien hängt allein die Gegenständlichkeit der Erkenntnisprodukte ab. Auch das Erkennen der objektiven Wirklichkeit ist, erkenntnistheoretisch betrachtet, also ein Anerkennen von Normen." (Seite 198)
Ich glaube, auch diesen Ansprüchen gegenüber wäre die öffentliche Erklärung KANTs über seinen vermeintlichen Anteil an FICHTEs "Wissenschaftslehre" am Platz; denn wenn auch dem empirischen Realismus anscheinend sein Recht gelassen wird, so sieht seine philosophische Erklärung doch offenbar so aus, als sollte auch hier Luft und Wasser - ein kleiner Rest vielleicht zugestanden - a priori deduziert werden. KANT hat in der Erkenntnis stets das Produkt der Sinnlichkeit und des Verstandes gesehen; neben der Form a priori - die nicht wie bei RICKERT eine Form des Erkennens, sondern der fertigen Erkenntnis ist - nahm er einen empirischen Faktor als Materie an, dessen Verhältnis zur ersten er zu bestimmen suchte. RICKERT sucht die Erkenntnis dem Begriff nach nur aus der Form zu gewinnen und mach selbst den "empirischen Faktor" zu einem nach Form und Materie zu scheidenden Problem. Die Normen drücken ihm die Gegenständlichkeit aus, sie geben auch die Grundlinien, nach denen sich die Erkenntnis der Zusammenhänge zu richten hat. Das Minimum an Leistungen, das hier von der Philosophie verlangt wird, steht in einem unversöhnbaren Widerspruch zum Maximum ihrer Leistungsfähigkeit. Man wird sich schwerlich von der Wahrheit von Sätzen, wie etwa des folgenden, überzeugen lassen:
    "Die vom erkennenden Subjekt unabhängige Anordnung und damit die Objektivität der so entstehenden Wirklichkeitserkenntnis ist dann lediglich von der Geltung der durch die Kategorien anerkannten Normen bedingt. Die objektive Wirklichkeit erkennen heißt in den Kategorien denken, welche die Formen der objektiven Wirklichkeit hervorbringen, es heißt den Normen gehorchen, die sich als transzendent begründen lassen."
Von solchen Sätzen wird man sich schwerlich überzeugen lassen, zumal wenn man sich erinnert, wie gefährlich ein ähnlicher Gedanke schon einmal war, wie man schon einmal die Einzelwissenschaften "philosophisch" behandelt hat, daß sie daran fast zugrunde gingen. Recht deplaziert hört es sich daneben an, wenn RICKERT der erkenntnistheoretischen Untersuchung jeder Einmischung in die Einzelwissenschaften untersagt.
    "Einen solchen Anspruch würden die Männer der Einzelwissenschaften entschieden und mit Recht zurückweisen. Was die Wissenschaft im Laufe der Jahrhunderte geleistet hat, besitzt eine von jeder erkenntnistheoretischen Untersuchung unabhängige Bedeutung. Nicht das eine oder das andere positive Wissen, sondern die Meinung über das Wesen des Erkennens selbst, in unserem Fall die Deutung der Erkenntnis als Übereinstimmung unserer Vorstellungen mit einer von diesen Vorstellungen unabhängigen Wirklichkeit wird in Frage gestellt." (Seite 7)
Ich glaube, daß man schwerlich der Erkenntnistheorie ein Lob singt, wenn man sie in dieser Weise von den Wissenschaften abrückt; und es ist ja sehr begreiflich, daß man die Erkenntnistheorie mit umso größerer Energie von diesen abrücken wird, je größer die Neigung ist, eine absolute Philosophie aufzustellen, denn dann zerrinnen die Gebilde der Wirklichkeit, und der nach innen gerichtete Blick findet nur noch Befriedigung an den Gebilden der Vernunft. Ich bestreite aber entschieden, daß man an einem solchen sterilen System der Selbstbefriedigung sich genügen lassen darf, ich behaupte, daß die Erkenntnistheorie geradezu mit den positiven Wissenschaften Hand in Hand zu arbeiten hat; wenn sie irgendetwas leisten will, daß jeder Versuch einer auf sich allein gestellten Erkenntnistheorie nur in einem Selbstbetrug endet, wenn man ihn auf absolute Voraussetzungen stellt und zu absoluten Zielen führen will. Es liegt in derselben Linie, wenn man die Notwendigkeit einer absoluten Philosophie damit begründen will, daß jede relative (empirische) notwendig zu Widersprüchen führen muß, die sie im Skeptizismus enden läßt und daß der Skeptizismus so voller innerer Widersprüche steckt, daß ein logisch denkender Mensch sich notwendig mit Abscheu von ihm wenden muß, das ist ja nicht erst seit gestern und vorgestern das graue Gespenst, mit dessen Zitierung sich der Rationalismus die Widerlegung abweichender Ansichten gar so bequem macht. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen; ich gestehe aber schon hier, so wenig ich Empirist und Relativist bin, der ödeste Empirismus ist mir doch um eine Unendlichkeit lieber als der Rationalismus, er leistet doch wenigstens noch etwas Positives, während dieser rein negativ ist.

RICKERTs Philosophie scheint mir durchaus rationalistisch zu sein. Den Anspruch, eine Einführung in die Transzendentalphilosophie zu sein, scheint mir sein Buch mit Unrecht zu erheben, wenn man den Begriff im Sinne KANTs auffaßt. Es genügt nicht, Anti-Psychologist und Anti-Metaphysiker zu sein. KANT selbst hat - so sehr auch die Kritik der metaphysischen Begriffe in seinem Hauptwerk in den Vordergrund tritt - sich doch auch eine ganz positive Aufgabe gestellt: direkt auf die Ausgestaltung der Physik einzuwirken. Er dachte an eine Ausbildung des Kritizismus in der Richtung auf die positiven Wissenschaften zu, während von FICHTE aus der umgekehrte Weg einer immer größeren Abwendung von diesen eingeschlagen wurde. Als zulässige Frage im Sinne des transzendentalen Idealismus kann ich es nur gelten lassen, wie sind die Elemente des Begriffs der Erkenntnis begründet; oder genauer, da gewisse Elemente hinreichend durch die - für RICKERT problematischen - Wahrnehmungen legitimiert sind; welchen Rechtsgrund haben diejenigen im Begriff der Erkenntnis enthaltenen Elemente, die durch Wahrnehmungen noch nicht legitimiert sind; wie z. B. das Kausalprinzip, von dem man Letzteres aufgrund von HUMEs vollständiger Induktion behaupten kann; ich leugne aber, daß die kritischen Untersuchungen, die ja durchaus nicht mit Notwendigkeit strikt in den Bahnen KANTs verlaufen müssen, - irgendetwas mit den absoluten Umdeutungen der Wirklichkeit in "Sollen" und "Werte", mit der Frage nach dem Wert der Erkenntnis, den logischen Voraussetzungen der Wirklichkeit zu tun hat; alle diese Spekulationen erweisen sich als untauglich zur positiven Mitarbeit an der Einzelforschung. RICKERT will die Metaphysik auf ein Minimum einschränken, und dabei passiert es ihm, daß seine ganze Erkenntnistheorie Metaphysik wird, freilich nicht Metaphysik der Natur, sondern - und das ist um kein Haar besser, - Metaphysik der Erkenntnis der Natur.

Da RICKERTs Buch ein wissenschaftliches sein will, erhebt es eo ipso [schlechthin - wp] auch den Anspruch, seine Lehren wissenschaftlich zu begründen. Es würde demgegeüber wenig besagen, wenn man seine Lehren nur als metaphysische charakterisieren wollte, sind sie Metaphysik, so könnten sie doch vielleicht eine notwendige Metaphysik sein. Zwei Thesen stützen vornehmlich seine Theorie, einmal die, daß jede relative Philosophie sich notwendig in solche innere Widersprüche verstrickt, daß sie schon deshalb logisch unhaltbar ist; ich werde zu zeigen haben, daß die Schlüsse aus dieser Argumentation, die uns ja shcon aus PLATONs PROTAGORAS bekannt ist, nicht bindend sind; zum zweiten stützt seine Theorie die Behauptung, daß man sich in der Erkenntnistheorie auf ein Minimum an Metaphysik beschränken muß, daß z. B. der Realismus hier zu viel behauptet, die immanente Philosophie zu wenig zugibt. Dieses Argument scheint mir durchaus verständlich, wenn man dem rationalistischen Vorurteil huldigt, ich hoffe aber zeigen zu können, daß sich vom positiv-kritischen Gesichtspunkt aus die hierauf aufgebauten Probleme als Scheinprobleme abweisen lassen. Er wird sich also fragen, ob man notwendig zu denselben Resultaten kommen muß wie RICKERT, und ob seine Ergebnisse sich an ihren Objekten verifizieren lassen.


2. Verhältnis zu Kant

Um die Ansichten dieses Forschers etwas genauer zu skizzieren, wollen wir die Differenzen zwischen ihm und KANT, - wie er sie selber ja auch betont - kurz anmerken, ohne aber damit zugeben zu wollen, sie erschöpfend aufgezählt zu haben; zu einer prinzipiellen Auseinandersetzung wird sich ja schon noch Platz finden.

Daß der Inhalt jeder wissenschaftlichen Erkenntnis aus der immanenten Sinnenwelt entnommen ist, ihre Form sich jedoch aus dieser nicht ableiten läßt, darüber ist er sich mit KANT einig. Aber schon unter dem Begriff des Inhalts versteht er etwas so völlig anderes, daß damit auch die ganze Erkenntnistheorie ein anderes Gepräge erhalten muß; während KANT einen empirischen Faktor annimmt und sein Verhältnis zu den durch die Wahrnehmungen nicht beglaubigten Elementen untersucht, ist jenem dieser Faktor selbst problematisch. Die Wahrnehmung ist ihm ein Inhalt in der Form der Gegebenheit. Es ist klar, daß sich damit die Begriffe Form und Inhalt selbst verschieben; den Begriff der Formen als "Prinzipien der Erkenntnis a priori" (Kr. d. r. V., Seite 36) kann man für diesen Standpunkt nicht mehr gelten lassen, da sich aus der Form der "Gegebenheit" Prinzipien nicht herleiten lassen.

Wichtig ist auch seine Abweichung von KANTs Begriff der Natur, in deren Definition als "Daseins der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist", RICKERT zwar "eine endgültige Wahrheit" sieht, von der er aber meint,
    "daß Kant gewissermaßen zu rasch vom Begriff des Gegebenen zum Begriff der Natur fortgeschritten ist. Es fehlt daher der Begriff dessen, was wir objektive Wirklichkeit nennen, oder Kant identifiziert die objektive Wirklichkeit mit der Natur in einer Weise, die wir nicht mitmachen können." (Seite 210)
Das soll daher kommen, daß für KANT Wissenschaft mit Naturwissenschaft identisch ist; es fehlt bei ihm, wie in der Erkenntnistheorie überhaupt, der Begriff einer wissenschaftlich noch vollkommen unbearbeiteten und doch vom Standpunkt des Realismus fertigen, zusammenhängenden Wirklichkeit, ein Begriff, der für den Aufbau des transzendentalen Systems von entscheidender Bedeutung ist. Es ist dies der bewußte Punkt, wo der Positivismus zu wenig zugibt und der Realismus zu viel behauptet. Ich halte diesen ganzen Gedanken nicht für glücklich. Denn wenn KANT den Begriff der Natur, formal betrachtet, als das Dasein der Dinge, sofern es unter Gesetzen steht, bezeichnet, so sind ihm doch diese Gesetze nicht die objektive Wirklichkeit, sondern nur Bestimmungen derselben; es fällt ihm nicht ein, den empirischen Faktor zu leugnen und im Schema der Natur das paradeigma der Natur zu sehen, es ist ihm immer nur das paradeigma der Naturwissenschaft, das Idealbild derselben, die an seiner Verwirklichung arbeiten; daneben noch den Begriff einer wissenschaftlich nicht bearbeiteten (es handelt sich doch immer nur um die zu bearbeitende) Natur in die Erkenntnistheorie einzuführen, kann nur Verwirrung erzeugen; was für die Wissenschaft nicht da ist, braucht füglich auch für die Erkenntnistheorie nicht da zu sein, die ja doch nichts anderes als die Wissenschaft von der Wissenschaft sein will. Diese Umbiegung der Begriffe ist bezeichnend für RICKERTs Metaphysik. Ich will jedoch nicht leugnen, daß RICKERT mit seinen Ausführungen einen anerkennenswerten Zweck verfolgt. Er will damit der Überschätzung der sogenannten Gesetzeswissenschaften gegenübertreten und den Wert der sogenannten idiographischen [das Eigentümliche, Einmalige, Singuläre beschreibend - wp], also etwa der historischen wahren. Ich glaube nur, daß sich dies alles auch ohne metaphysische Umbiegungen bewerkstelligen läßt, die schließlich ja auch für die Historik nicht ohne Bedenken sind, wie die Leser dieser Zeitschrift aus der Rezension über RICKERTs Buch "Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" wissen.


3. Das Grundproblem Sein und Bewußtsein

Das Grundproblem seiner Untersuchung über den Gegenstand der Erkenntnis, und damit das Grundproblem der Erkenntnistheorie überhaupt steckt für RICKERT in der Frage:
    "Läßt eine Erkenntnistheorie, welche auf diesem Gegensatz von Sein und Bewußtsein aufgebaut ist, sich durchführen, oder ist eine Umbildung des üblichen Erkenntnisbegriffs notwendig?"
Die Frage zielt auf eine Besprechung des Realismus und des Solipsismus. Das Ergebnis ist, daß der eine zuviel behauptet, der andere zu wenig zugibt. Dennoch zweifle ich, ob der Gewinn aus ihrer Widerlegung groß ist.

Daß der Ablauf unserer Vorstellungen durchaus nicht immer dem Ablauf der Dinge entspricht, dürfte kaum noch geleugnet werden. Man erinnere sich des Beispiels, das SIGWART gibt. Ich sehe eine Truppe Halt machen und höre dann den Offzier: Halt! kommandieren; offenbar spielt sich der Vorgang umgekehrt ab, und nur die langsamere Bewegung der Schallbewegungen konnte den umgekehrten Ablauf der Vorstellungen bewirken. Zwei parallele Linie, etwa die der Pappeln an einer Chausses, scheinen sich immer mehr zu nähern, objektiv behalten sie stets ihre Entfernung. Der Raum, die Zeit der Mechanik sind andere, als die der Psychologie. Offenbar sind die Wahrnehmungen und Vorstellungen, die wir haben und die Reihe und Ordnung der Dinge nicht notwendig dieselbe, wie die ihrer Bewußtwerdung.

In der Erklärung dieses Richtungsunterschiedes der Objekte der Physik und der der Psychologie erblicke ich das Grundproblem der Erkenntnistheorie. Eine Über- oder Unterbietung dieses für die Erkenntnistheorie gegebenen Unterschiedes, etwa durch einen Realismus der Dinge hinter den Dingen sucht, oder einen Idealismus, der ihn in die singuläre psychische Reihenordnung auflöst, deren Bestimmtheit das einzelne individuelle Ich bildet, kann den Begriff jener Verschiedenheit - die am deutlichsten und klarsten von KANT in den Prolegomena am Unterschied der Wahrnehmungs- und Erfahrungsurteile erklärt worden ist - nicht aufheben noch wesentlich verändern, sondern sucht sie vielmehr durch eine Metaphysik zu lösen, die eben deshalb, weil der Begriff der Erkenntnis durch jene Objekte für die Philosophie gegeben ist und eben deshalb von ihr wohl erklärt, aber nicht umgedeutet werden kann, außerhalb des Rahmens der Erkenntnistheorie fällt. Für uns ist der Gegensatz von Subjekt und Objekt nur ein abgeleiteter, relativer; wir teilen durchaus nicht den Glauben, daß eine Erkenntnistheorie notwendig realistisch oder idealistisch sein muß, wir sind vielmehr der Ansicht, daß jene metaphysischen Rückstände ausgemerzt werden müssen, damit auch sie in das positive Stadium treten kann, eben weil uns der Gegensatz von Subjekt und Objekt kein absoluter Angelpunkt ist, das dos moi pou sto (kai kino ten gae) [Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich biege die Erde. - wp] der Erkenntnistheorie ist uns der in der Erfahrung gegebene Richtungsunterschied der Physik und Psychologie, wir gehen vom Begriff der vollendeten Erkenntnis, nicht vom unbestimmten des Erkennens aus, der ja doch auch erst einen Sinn durch sein telos [Ziel - wp] erhält. Ganz so stand KANT zu seiner Aufgabe. Erst mit FICHTE fingen die unfruchtbaren Spekulationen über Subjekt und Objekt an, die bis auf den heutigen Tag nicht aufgehört haben. Auch RICKERT wandelt diese Bahnen. Dieses Verhältnis ist ihm ja geradezu das Grundproblem der Erkenntnistheorie, und es ist interessant zu verfolgen, wie er sich bei diesen Spekulationen immer mehr von den positiven Problemen entfernt.

Um den Gegensatz von Subjekt und Objekt genau zu bestimmen, scheidet er ihn nach drei Gesichtspunkten:
    1) bei der Betrachtung der räumlichen Verhältnisse ist mein Körper und meine Seele Subjekt, Objekt die meinen Körper räumlich umgebende Welt;

    2) kann auch mein Körper zum Objekt gerechnet werden, Subjekt bleibt dann nur mein geistiges Leben;

    3) kann auch mein gesamter Bewußtseinsinhalt Objekt sein, Subjekt bleibt dann das, was sich dieses Inhalts bewußt ist.
Damit sind für das Wort Objekt drei Bedeutungen festgestellt:
    1) Die räumliche Außenwelt außerhalb meines Leibes,

    2) die gesamte ansich existierende Welt oder das transzendente Objekt,

    3) der Bewußtseinsinhalt, das immanente Objekt.
Dem entsprechen drei Bedeutungen für das Wort Subjekt;
    1) mein Ich, bestehend aus meinem Körper und der darin tätigen Seele,

    2) mein Bewußtsein, mit seinem gesamten Inhalt,

    3) mein Bewußtsein im Gegensatz zu diesem Inhalt.
Man sieht, es dürfte schwer fallen, unsere Unterscheidung hierunter zu rubrizieren.

Vom zweiten Gegensatz aus bezeichnet man die Realität der Wirklichkeit, das Objekt als problematisch, ... offenbar doch nur, wenn man diesen Gegensatz als einen absoluten hinstellt. Für uns bezeichnen die Lehren der Physik ebenso sichere Realitäten wie die der Psychologie, ja, wir halten auch den kantischen Gedanken für durchaus richtig, daß wir von einem "Ich" gar nicht reden könnten, daß unser Seelenleben nur ein Gewühl von Vorstellungen wäre, wenn die Natur in ihrer Gesetzmäßigkeit nicht bestünde; ebensowenig wie von einer Erkenntnis der Natur ohne ein einheitliches "Ich" gesprochen werden kann. Die Naturwissenschaften behaupten doch über das Seiende etwas zu lehren. Wenn darüber jemand den Schleier der Maja breiten will, oder wenn jemand diese Realität einmal von einem x-beliebigen Subjektbegriff aus bezweifeln will, und will er es auch wirklich nur heuristisch tun, so können wir darin doch schwerlich etwas anderes als eine persönliche Liebhaberei sehen, nicht DESCARTES, sondern LOCKE war der Begründer der Erkenntnistheorie so lobenswert es auch für den Metaphysiker sein mag, sich über diese Fragen Klarheit zu verschaffen. Das Problem der Realität ist ja besonders vor ca. 25 Jahren sehr eingehend erörtert worden und hervorragende Philosophen wie WILHELM WUNDT und WILHELM DILTHEY etc. haben sich damit befaßt. Ich wüßte aber nicht, daß man aus allen Bemühungen um dieses Problem eine andere Einsicht gewinnen kann, daß als es - für die Erkenntnistheorie zumindest -, nur eines der vielen aus metaphysischen Denkgewohnheiten herrührenden Scheinprobleme ist. Die Physik lehrt entschieden, dieses ist, jenes ist, sie nimmt entschieden das Sein ihrer Objekte an, und der Gedanke, ob sie etwa nur Objekte irgendeines "Ich" sind, kommt für sie ebensowenig in Betracht wie die metaphysische Frage nach der philosophischen Art ihres Seins. Will man dies für die Erkenntnistheorie nicht gelten lassen, so muß diese entweder zu denselben Ergebnissen kommen, dann sind ihre Bemühungen überflüssig, oder aber sie öffnet der bis heute so beliebten Lehre von den doppelten Wahrheiten Tür und Tor. Ich würde nichts sagen, wenn irgendeine bestimmte Annahme über die Realität der Außenwelt die Methodik der Einzelwissenschaften in einem günstigen Sinn beeinflussen könnte, aber das ist es ja, was dieses ganze Problem so überflüssig macht, daß es auf diese nicht die geringste Einwirkung ausübt. Ist das Sein der Objekte - ich rede nicht von einem transzendenten, uns unbekannten Ansichsein der Dinge, sondern von dem durch das System der Naturwissenschaften bestimmten Sein - ist dies also diejenige Voraussetzung der positiven Wissenschaften, ohne die dieses nur ein leeres, wenn auch vielleicht notwendiges Spiel mit Vorstellungen sind, so ist dieses von der Erkenntnistheorie so wie es ist hinzunehmen, nicht aber als ein Nicht-Sein, oder Anders-Sein, oder zweifelhaftes Sein zu deuten; das wäre offenbar Metaphysik. Ohne diese Gegensatz der psychischen und der physischen Reihenfolge ist das Erkennen kein Problem, und eine Erkenntnistheorie wäre undenkbar. Der Gegensatz aber hört auf, wenn ich die eine in die andere auflöse, er hört auch schon auf, wenn ich die eine oder die andere als bezweifelbar hinstelle, und es trifft uns keineswegs, wenn RICKERT sagt:
    "Jedenfalls: die transzendente Existenz der Dinge ist nicht unmittelbar gewiß, sondern, wenn sie angenommen wird, erschlossen. Wenn sie aber erschlossen ist, so muß die Erkenntnistheorie prüfen, auf welche Gründe sich dieser Schluß stützt. Sie hat nicht das Recht, den erkenntnistheoretischen Realismus im Sinne einer Annahme transzendenter Dinge zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen zu machen" (Seite 19);
denn der erkenntnistheoretische Realismus, wie wir ihn vertreten, hat mit dem metaphysischen nichts gemein. Wir vertreten mit ihm nur die Ansicht, die gewiß nicht ganz neu ist, daß es wissenschaftlich ebensowenig eine metaphysisch-realistische (z. B. diejenige KIRCHMANNs) bzw. idealistische Erkenntnistheorie geben kann, wie eine theistische oder atheistische Physik. RICKERT hätte sich daher nicht mit den Widerlegungen einiger metaphysischer Lehren begnügen sollen, oder besser, er hätte sich damit erst gar nicht befassen sollen, da sich daraus keine positiven Schlüsse ergeben.

Das Erkennen der objektiven Reihe ist nur mittels der subjektiven Reihe, mit Hilfe der Wahrnehmungen möglich, da ja das Erkennen auch nichts anderes als ein Teilgebiet der Psyche ist; aber es geht in den Wahrnehmungen nicht restlos auf, diese müssen auf ein "Sein" bezogen werden. Hierin liegen die Voraussetzungen für den Begriff einer objektiven Erkenntnis, in den Formen der Beziehung von Wahrnehmungen auf ihren Gegenstand, was seit KANT hinlänglich bekannt ist. Wir brauchen daher noch etwas mehr, als RICKERT zugeben will, um überzeugt zu werden: "daß es ein Problem der Transzendenz gibt" (Seite 19) und wenn er feststellt:
    "daß alle Dinge aus Bestandteilen zusammengesetzt sind, die man als Zustände des Bewußtseins auffassen kann, und daß ohne Weiteres nichts verbürgt, daß die Dinge daher noch etwas anderes sind" (Seite 19),
so kann man dies wohl für die Metaphysik feststellen, schwerlich aber für die Erkenntnistheorie, es sei denn, man stelle ihr die Lösung des Gegensatzes zwischen metaphysischem Realismus oder Solipsismus zur Aufgabe; denn um Worte zu streiten hätte doch keinen Sinn. Soll die Erkenntnistheorie aber den Begriff der Erkenntnis, wie er in den positiven Wissenschaften realisiert wird, erklären, so kann man ihr nicht zumuten, sich mit metaphysischen Deutungen des Begriffs der Wirklichkeit zu befassen.


4. Der Zentralbegriff
"Bewußtsein überhaupt"

Es wäre irrig, in RICKERT einen Anhänger des psychologischen Idealismus zu sehen, wenn er ihm auch eine gewisse Berechtigung als vorbereitende Theorie zuerkennt. Worauf er hinaus will, ist etwas ganz anderes. Der kleine Rest von Transzendenz, den man dem Realismus zugeben muß und den der Psychologismus nicht leugnen darf, soll in ein System von "Werten" umgedeutet werden. Noch bleibt uns das dritte Gegensatzpaar; vielleicht gibt es keinen vom "Bewußtsein überhaupt" unabhängigen Gegenstand?

Damit kommen wir zu einem zentralen Begriff dieses Systems. Wenn wir uns die drei Gegensatzpaare betrachten, zwischen denen Mittelglieder noch denkbar sind, finden wir, daß die Objektreihe in dem Maß an Inhalt zunimmt, in dem die Subjektreihe abnimmt.
    "Als letztes Glied der Subjektreihe bleibt nichts anderes als ein namenloses, allgemeine, unpersönliches Bewußtsein übrig, das niemals Objekt, Bewußtseinsinhalt werden kann." (Seite 25) Es ist der Begriff des "erkenntnistheoretischen Subjekts" (Seite 25). "In diesem Subjekt steckt dann nichts mehr, was Objekt werden kann, und sein Begriff ist lediglich als ein Grenzbegriff zu verstehen (Seite 24b). Damit bilden wir einen für die Erkenntnistheorie unentbehrlichen Grenzbegriff" (Seite 25)

    "Wir erkennen, daß das Bewußtsein überhaupt keine Realität, weder eine transzendente noch eine immanente ist, sondern nur ein Begriff." (Seite 29)
VOLKELT hatte diesen Begriff "Seifenblasen" genannt, wenn er nicht ein metaphysisches Wesen bezeichnet. Mit Recht wehrt sich RICKERT dagegen: Dem erkenntnistheoretischen Ich entspricht überhaupt kein metaphysisches Wesen (Seite 153f). Die Scheidung des dritten Gegensatzpaares soll eine logische, keine reale sein, und ich würde die Möglichkeit einer realen Scheidung bestreiten, das psychologische Ich kann sich stets nur Einzelinhalte als Objekt vorstellen, niemals aber die Gesamtheit seiner Inhalte, da diese ja das Ich bilden, anders ausgedrückt, fasse ich die Gesamtheit der Inhalte als Objekt, so bleibt nichts übrig, was ich Subjekt nennen kann. Die Scheidung ist also bloß eine begrifflich leere.

Wir möchten gern etwas positivere Bestimmungen für den Begriff des "Bewußtseins überhaupt" haben.
    "Das erkennistheoretische Bewußtsein also, zumindest vorläufig, gar nichts anderes als das allen immanenten Objekten Gemeinsame, das sich nicht beschreiben läßt. Es ist gewissermaßen nur ein anderer Name für das einzige uns unmittelbar bekannte Sein und man wird es daher als den allgemeinen Begriff, oder die Form oder die Art des Seins der immanenten Objekte verstehen, im Gegensatz zu der Seinsart, die nach der realistischen Theorie den transzendenten Dingen zukommt. Man könnte auch sagen, das Bewußtsein überhaupt ist der Begriff des immanenten Seins im Gegensatz zum Begriff des transzendenten Seins." (Seite 29)
Ich muß gestehen, das alles kommt mir unlogisch vor, auch wenn wir von den verschiedenen Sorten "Sein" absehen. Das "Bewußtsein überhaupt" soll ein Begriff sein. Ein solcher muß sich exemplifizieren oder definieren lassen, er darf nicht wie die blaue Blume der Romantik unerklärbar sein, wenn es wahr ist, daß er ein für die Erkenntnistheorie unentbehrlicher Begriff ist; statt das Erkennen zu klären, würde sie damit die Unklarheit zum Prinzip machen, und wir haben es ja im deutschen Idealismus zur Genüge erfahren müssen, welche Gefahren in solchen willkürlichen Begriffen liegen, man vergißt nur allzugern ihre bloß begriffliche Natur, mit der man ja doch nichts anfangen kann. Die Exemplifikation dieses Begriffs ist ausgeschlossen, weil ihm keine Wirklichkeit entspricht, die Definition, weil er keinen Inhalt hat; wohlverstanden, das "Bewußtsein überhaupt" könnte wohl einen Inhalt haben, wie ein Gefäß einen Inhalt hat, nämlich die immanenten Objekte; es müßte dann aber, wenn auch nicht gerade ein besonderes Ding, so doch etwas Wirkliches bezeichnen; aber der Begriff des "Bewußtseins überhaupt" kann keinen Inhalt haben.

RICKERT scheint dies selber empfunden zu haben. Er führt Seite 154 aus:
    "Wir sind daher auf sehr viele, rein negative Bestimmungen und ferner auf Wortzusammenstellungen angewiesen, denen etwas Paradoxes anhaftet. So sagen wir z. B., um auch das zu erwähnen, das erkenntnistheoretische Subjekt und ebenso das urteilende Bewußtsein überhaupt sei der Begriff dessen, was niemals Objekt werden kann, und dieser Bestimmung gegenüber wird man vielleicht den Einwand erheben können, daß vom erkenntnistheoretischen Subjekt doch gar nicht geredet werden kann, wenn es nicht zumindest für den Erkenntnistheoretiker ein Objekt ist."
In der Tat, hierin steckt eine ernste und entscheidende Schwierigkeit, mit der sich RICKERT allzu billig abfindet, wenn er daselbst fortfährt:
    "Dieser Einwand ist jedoch nicht stichhaltig. Daß das erkenntnistheoretische Subjekt niemals Objekt werden kann, weil es, als Objekt gedacht, sich selbst als Subjekt stets voraussetzt, heißt nur, daß es nicht als wirkliches Objekt zu denken ist, das immanent oder transzendent existiert. Diese Behauptung aber schließt nicht aus, daß wir den Begriff eines solchen Subjekts zum Objekt einer erkenntnistheoretischen Erörterung machen, denn dadurch wird nicht das erkenntnistheoretische Subjekt selbst, sondern eben sein Begriff zum Objekt, und man wird doch nicht behaupten wollen, daß, wenn wir ein Objekt untersuchen, das ein Begriff ist, dieser Begriff notwendig der Begriff eines Objekts ist. Wir brauchen also nur daran festzuhalten, daß unsere erkenntnistheoretischen Begriffe keinen Inhalt haben, der sich auf Wirklichkeiten bezieht, und es müssen dann alle scheinbaren Paradoxien verschwinden."
In der alten Logik aber nannte man eine solche refutatio [Widerlegung - wp]: metabasis eis allo genos [unzulässiger Sprung auf eine andere logische Ebene - wp].

Zudem treffen die Behauptungen nicht einmal zu:
    1) nämlich, wie soll ich zum Begriff eines solchen Subjekts kommen, wenn ich dieses nicht zum Objekt meiner Begriffsbildung mache? Angeboren ist doch jener Begriff nicht, sonst wäre ja eine Meinungsverschiedenheit über ihn ausgeschlossen. Es ist dabei gar nicht nötig, daß das Objekt eines Begriffs immer nur ein Ding bezeichnet, wie ja auch aus der Tatsache der naturwissenschaftlichen Hilfsbegriffe hervorgeht;

    2) tatsächlich kann ich sehr wohl zum Objekt machen, was stets Subjekt ist, nämlich mein persönliches eigenes Ich, das stets Subjekt meiner Handlungen, also auch meines Erkennens ist, zumindest kann es für einen anderen Objekt werden;

    3) Rickerts Begriff eines Bewußtseins überhaupt hat keinen Inhalt, ist ein leerer. Seine ganze Lehre scheitert an ihm, obwohl er sich dessen nicht bewußt ist:

    "Will man der Erkenntnistheorie trotzdem das Recht bestreiten, Begriffe zu bilden, die nicht Begriffe von Wirklichkeiten sind, so mag man das tun. Aber man soll dann die Erkenntnistheorie überhaupt aufgeben. Diese Wissenschaft fragt nach den logischen Voraussetzungen der Wirklichkeitserkenntnis; und deshalb können ihre Begriffe, die diese Voraussetzung enthalten, nicht Begriffe von Wirklichkeiten sein, denn dann müßte ja wieder nach den logischen Voraussetzungen dieser Begriffe gefragt werden, und damit kämen wir in eine unendliche Reihe. Im Übrigen ist die Erkenntnistheorie nicht einmal die einzige Wissenschaft, die Begriffe bildet, deren Inhalt sich auf keine Wirklichkeit bezieht. Wenn der Mathematiker von einer geraden Linie, der Physiker von Atomen und Gesetzen, der Jurist von Normen spricht, so meinen sie alle, falls sie sich nur richtig verstehen, mit diesen Worten auch keine Wirklichkeiten und zwar weder immanente noch transzendente. Was aber diesen Wissenschaften erlaubt ist, das wird die Erkenntnistheorie ebenfalls tun dürfen." (Seite 154f)
Nun es besteht doch wohl ein kleiner Unterschied zwischen einem inhaltlich wohl bestimmten und einem leeren Begriff. Aber so recht bezeichnend ist diese Stelle für den Rationalismus RICKERTs. Die Behauptung, daß die Erkenntnistheorie nur nach den logischen Voraussetzungen der Wirklichkeitserkenntnis fragt und andernfalls in eine unendliche Reihe gerät, entbehrt seit SPINOZAs "Traktat über die Verbesserung des menschlichen Verstandes" der Beweiskraft. Zudem könnte man den Pfeil gegen den Schützen wenden und einmal nach den logischen Voraussetzungen der Erkenntnistheorie fragen, die doch auch logisch sein muß, und wir kämen von der Logik der Logik zur Logik der Logik von der Logik usw. ins Unendliche; mit Hilfe bloßer Begriffsoperationen läßt sich eben alles machen. Aber schon KANT hat gezeigt, daß man an etwas Tatsächliches anknüpfen muß, nur muß man seine logischen Folgen, nicht seine realen Wirkungen prüfen. Damit entgeht man dem Psychologismus wie aller Metaphysik. An irgendetwas Positives muß sich die Erkenntnistheorie halten, will sie sich nicht in leere Abstraktionen verlieren. Diese positive Grundlage, welche KANT ihr gegebene hat, ist die, daß unser Bewußtsein, unser singuläres, individuelles natürlich - denn ein anderes kennen wir nicht - ein einheitliches ist, nicht als ob damit ein einfaches Seelenwesen wäre, das wäre Metaphysik; es ist damit nur der durch die Erfahrung beglaubigte Gedanke ausgedrückt, daß unsere verschiedenen Bewußtseinsinhalte als zu einem Bewußtsein gehörig betrachtet werden können. Diese Einheit des Selbstbewußtseins ist undenkbar ohne die entsprechende Gesetzmäßigkeit der Natur, wie KANT treffend bemerkt. Würde der Zinnober bald rot, bald grün etc. sein, würde ein bestimmtes Ereignis bald diese, bald jene Wirkung haben, wenn auch die Umstände dieselben wären usw., dann könnte von einer Einheit des Selbstbewußtseins nicht die Rede sein, wir würden nur eine "Gewühl von Vorstellungen" konstatieren können, es würde keine Urteilsmöglichkeit stattfinden, ja selbst so etwas wie ein Gedächtnis fände keinen Platz; damit aber steht die Einheit des Selbstbewußtseins zur Natur in dem Verhältnis, daß sie # wenn auch nicht diese, so doch ihre Erkenntnis möglich macht, derart, daß die Formen, in denen die Einheit des Selbstbewußtseins zustande kommt - wenn wir hier vom Wollen und Fühlen absehen wollen - formale Bestimmtheiten der Erkenntnis sind. Beides sind Wechselbegriffe. Die logische Erörterung dieses Problems würde die formale Erkenntnistheorie bilden. Wir gehen soweit wohl von der Erkenntnis der Tatsache aus, suchen sie jedoch nicht wie die Psychologie oder die Metaphysik durch andere Tatsachen zu erklären, fragen auch nicht nach "ihren logischen Voraussetzungen", was wir wollen, ist nichts als Klarheit über die logische Bedeutung dieser Tatsache.


5. Wesen des Urteils

Von seinem leeren, bloß begrifflichen Bewußtsein überhaupt aus kommt RICKERT immer mehr in eine Art rationalistischer Psychologie hinein, er verliert immer mehr den Zusammenhang mit den positiven Problemen. Er muß ja doch schließlich irgendeinen Sinn für jenen Begriff zu gewinnen suchen.

Alles Erkennen ist ein Etwas Erkennen. Man will eine vom erkennenden Bewußtsein unabhängige Ordnung der Dinge kennenlernen, womit nicht gesagt sein soll, daß diese Ordnung eine Ordnung von transzendenten Dingen oder "eine transzendente Wirklichkeit" (Seite 78) sein muß. Wir erkennen die Dinge mit Hilfe von Vorstellungen, aber erst im Urteil können wir eine Erkenntnis besitzen, so daß "das Grundproblem der Erkenntnistheorie" in der Frage nach dem Gegenstand des Urteils besteht (Seite 84).

In einem Urteil ist mehr enthalten, als nur eine Synthese der Vorstellungen; nämlich eine Bejahung und Verneinung derselben. Auch für das affirmative [bejahende - wp] Urteil ist logisch - wenn auch nicht psychologisch - eine Beurteilung vonnöten, weil man dieses als die Bejahung einer Frage ansehen kann, worin ich nun freilich keinen entscheidenden Grund erblicken kann, obwohl unser Philosoph mit Recht darauf hinweist, daß in der Frage auch schon eine Synthese der Vorstellungen enthalten ist; aber hier ist sie es doch nur versuchsweise und man kann dies in einem affirmativen Urteil zum Ausdruck bringen. Wenn SIGWART dem negativen Urteil eine solche Beurteilung zugeschrieben hat, so geschah es doch nur zu dem Zweck, das negative Urteil auf das affirmative zurückzuführen und dadurch die logische Technik zu vereinfachen.

Doch fahren wir fort, so wichtig auch dieser Punkt ist.

Da es erst in den Urteilen Erkenntnisse gibt, so
    "erweist sich auch das Erkennen als ein Prozeß, der niemals nur Vorstellungen enthalten kann, sondern von dessen logischem Sinn ein Bejahen oder Verneinen unabtrennbar ist, denn erst durch Bejahen oder Verneinen wird aus den Vorstellungen etwas Wahres oder Falsches, d. h. Erkenntnis. Es zeigt sich also auch unter diesem Gesichtspunkt, daß die Vorstellungen keine selbständige Bedeutung für das Erkennen haben. ... Erkennen ist seinem Wesen nach Bejahen oder Verneinen, oder: das theoretische Subjekt muß als ein bejahendes oder verneinendes Subjekt aufgefaßt werden." (Seite 103)
Das Urteil ist damit eine Wertung:
    "Weil nun, was für das Urteil gilt, auch für das Erkennen gelten muß, da alles Erkennen sich in vollentwickelten Urteilen bewegt, so ergibt sich aus der Verwandtschaft, die das Urteilen zum Wollen und Fühlen hat, daß es sich auch beim rein theoretischen Erkennen um eine Stellungnahme zu einem Wert handelt. Es ist nicht nötig, dafür noch einen besonderen Nachweis zu führen. Nur Werten gegenüber hat das alternative Verhalten des Billigens oder Mißbilligens einen Sinn. Was ich bejahe, muß mir gefallen, was ich verneine, muß mein Mißfallen erregen. Das Erkennen ist also ein Vorgang, der bestimmt wird durch Gefühle, und Gefühle sind, psychologisch betrachtet, stets Lust oder Unlust. So fremdartig das klingen mag, daß Lust oder Unlust alles Erkennen leiten, so ist es doch nur die unbezweifelbare Konsequenz der Lehre, daß in vollentwickelten Urteilen eine Beurteilung, d. h. eine Bejahung oder eine Verneinung hinzutritt, durch welche aus den Vorstellungen überhaupt erst Erkenntnis wird." (Seite 106f, 108f)
Damit ist das Bedürfnis nach einer transzendenten Wirklichkeit im Sinne des Realismus beseitigt.
    "Das erkennende Subjekt kann ja nicht durch Vorstellungen, sondern nur durch ein Bejahen oder Verneinen das in seinen Besitz bringen, was es beim Erkennen sieht." (Seite 100)
Hierbei handelt es sich nicht um die hedonistische Beurteilung, die nur für das individuelle Ich in seiner nach Raum und Zeit gegebenen Bestimmtheit gilt, es handelt sich um das Wahrheitsgefühl der Gewißheit. (Es ist nur verwunderlich, wie man im Erkennen noch ein Problem sehen kann, wenn dieses in diesem Umfang zur Geltung kommt.)
    "Bei allen unmittelbar gewissen Urteilen sprechen wir von Evidenz, und auch die Urteile, die nicht unmittelbar evident sind, müssen sich auf Evidenz zurückführen lassen, wenn wir völlig befriedigt sein sollen."
Damit gewinnt das Urteil einen überzeitlichen Charakter, damit wird auch der im Urteil ausgesprochene "Wert" zeitlos und überindividuell, und da man nicht beliebig bejahen und verneinen kann, so gewinnt das Urteil den Charakter der Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit bildet die Grundlage aller Urteile, also auch der Erfahrungsurteile. Sie ist nicht der psychologische Zwang, der die Bejahung hervorbringt (Seite 114), sondern sie bindet uns als die Richtschnur des Urteilens,
    "insofern der Sinn jedes Urteils in der Anerkennung jedes mit ihr verbundenen Wertes besteht, und wir drücken das am Besten dadurch aus, daß wir sie als eine Notwendigkeit des Sollens bezeichnen. Sie tritt dem Urteilenden gegenüber auf als ein Imperativ, dessen Berechtigung wir gewissermaßen in unseren Willen aufnehmen. Daraus aber ergibt sich die entscheidende Einsicht: was mein Urteilen und damit mein Erkennen leitet, ist das unmittelbare Gefühl, daß ich so und nicht anders urteilen soll." (Seite 115)
Kann man sich darunter etwas anderes als eine rationalistische Übersetzung der Psychologie des Erkennens denken. Ich glaube, nicht nur mir drängt sich ier die Verwandtschaft dieser Lehre mit der Annahme der Stoiker einer phantasia kataleptike [zur Anerkennung nötigende Vorstellung - wp] auf, so sehr sich auch RICKERT bemühen dürfte, diese als allo genos [andere Gattung - wp] hinzustellen.

Die Konsequenzen dieser Lehre sind leicht zu ziehen. Wir gewinnen hier einen neuen Begriff der Wahrheit. Ein Urteil drückt nicht einen Wert aus, weil es wahr ist,
    "sondern die Wahrheit kann nur mit Hilfe des eigentümlichen Wertes definiert werden, der vom Urteil anerkannt werden soll, oder wenn es sich um die erreichte Wahrheit handelt, anerkannt worden ist" (Seite 116).
Alle Urteile, also auch die Seinsurteile, beruhen auf dem in der Bejahung anerkannten Wert.
    "Diese Urteile sind nicht deswegen wahr, weil sie aussagen, was wirklich ist, sondern vom Standpunkt des empirischen Realismus nennen wir das wirklich, was vom Urteil als wirklich anerkannt werden soll. So wird das Wirkliche unter dem Gesichtspunkt der Erkenntnistheorie zu einer besonderen Art des Wahren, und das Wahre ist wiederum nichts anderes als ein Wert, d. h. der Begriff des Wirklichen stellt sich schließlich als ein Wertbegriff dar." (Seite 117)
Das "Sollen" ist somit der Gegenstand der Erkenntnis. "Es hat keinen Sinn, hinter den Vorstellungen noch eine Wirklichkeit anzunehmen." (Seite 123) Gewiß nicht. Nur wird man neben der psychologischen Wirklichkeitsreihe auch die physikalische anerkennen müssen, und zwar so wie sie ist, ihre Umdeutung in eine psychologische Wirklichkeitsreihe, sei sie "individuell" oder "überindividuell", gehört in das Gebiet metaphysischer Spekulationen. Eine Bestätigung meiner Annahme liegt ja auch in RICKERTs Wert-Hypothese; nur sehe ich darin eine metaphysische Deutung der Wirklichkeit, nicht eine Erklärung und Begründung ihres Begriffs.


6 . Beweis für den Rationalismus

Ich habe mich bisher bemüht, zu zeigen, daß man die Probleme der Erkenntnistheorie sehr wohl positiver auffassen kann, als RICKERT es tut, und ich legte Wert darauf, nachzuweisen, wie eine solche absolute Philosophie sich immer mehr von den wirklichen Problemen der Erkenntnis verirrt, um schließlich in eine leere metaphysische Umdeutung des Erkennens und der Erkenntnisobjekte endet, die sich irgendeinen faßbaren Sinn nur aus der Psychologie holen kann, deren Hilfe sie vergeblich entbehren kann. An der Lösung des positiven Problems arbeiten nun verschiedene Richtungen, die sich in Gruppen zusammenfassen lassen; einmal die kritischen, von KANT inaugurierten Richtungen, - der ich mich persönlich im Wesentlichen anschließe, - die die begriffliche Seite des Problems durch eine metalogische Betrachtungsweise zu lösen suchen; über ihre Art habe ich hinreichend Andeutungen gegeben und ich habe auch gezeigt, warum ich RICKERT nicht hierher rechne, obwohl er darauf Anspruch erhebt; dann die genetischen Richtungen, die durch eine Analyse des Erkenntnisprozesses die Lösung des Problems herbeiführen wollen; es genügt, wenn ich zur Verdeutlichung ihre Bestrebungen ihre hauptsächlichsten Vertreter in der Gegenwart nennen: CARL STUMPF und vor allem ERNST MACH. Man wirft dieser Richtung vor, daß sie im Relativismus enden muß. Und diesen Vorwurf benützt RICKERT zur Stütze seiner Anschauungen. Ich meine nicht, daß damit viel gewonnen wird; freilich, eine Philosophie, die nicht relativistisch ist, wird einer solchen vorzuziehen sein; dies aber doch nur dann, wenn sie ihre Lehren hinreichend begründen und verifizieren kann. Man kann aber sehr wohl von der Unhaltbarkeit des Relativismus überzeugt sein und doch auch der absoluten Philosophie, dem Normativismus, wie ihn FICHTE inaugurierte, seine Zustimmung versagen, und wenn man in mir in dieser Frage eine Partei sieht, und mich deshalb als Zeugen nicht gelten lassen will, so genügt es, neben vielen anderen Denkern auf einen so bedeutenden Logiker, wie HUSSERL es ist, hinzuweisen; dieser lehnt den Relativismus, aber auch den Normativismus, den RICKERT vertritt, ab. Es ist aber interessant zu sehen, wie RICKERT aus der Widerlegung relativistischer Anschauungen Kapital zu schlagen sucht. Dabei wird es mir unmöglich sein, ein altes Vorurteil zu beseitigen, mit dem man seit PLATO den Relativismus bekämpft.

Nachdem RICKERT die Anerkennung des Sollens erörtert hat, erhebt er die Frage nach dem Sollen der Anerkennung.
    "Hat diese Anerkennung im Urteil wirklich einen absoluten Wert, der von jeder faktischen Anerkennung unabhängig gilt? Erst wenn wir diese Frage bejahen können, dürfen wir von einem transzendenten Sollen und damit von einem erkenntnistheoretisch brauchbaren Gegenstand der Erkenntnis reden, der dem Erkennen wirklich die gesuchte Objektivität verleiht." (Seite 127)
Zur Lösung dieser Frage bedient sich RICKERT des erkenntnistheoretischen Zweifels:
    "Wir müssen also unsere Frage jetzt so stellen: ist es möglich, daran zu zweifeln, daß das Sollen, welches wir im Urteil anerkennen, eine über den Bewußtseinsinhalt hinausgehende, auch vom erkennenden Subjekt unabhängige, also transzendente Bedeutung hat und notwendig anerkannt weden soll? Eine Antwort wird sich hierauf aber nur dadurch geben lassen, daß wir untersuchen, ob die Leugnung dieses Sollens sich durchführen läßt, ohne daß man in Widersprüche kommt und dadurch sich die Leugnung selbst aufhebt. Denn ein anderes Kriterium als dieses besietzen wir zur Begründung der Voraussetzung des Erkennens nicht." (?)
Diese Leugnung würde sich selbst aufheben:
    "Zweifeln heißt Fragen, Fragen aber heißt: ist dieses Urteil wahr oder ist das entgegengesetzt wahr? Muß ich ja oder muß ich nein sagen? Gleichviel ob ja oder nein, immer setzt die Frage voraus: nur eines von beiden kann, aber eines muß auch wahr sein, d. h. eines der beiden möglichen Urteile soll sein, und das andere soll nicht sein, gleichviel ob irgendein Subjekt das Sollen fühlt oder anerkennt." (Seite 129)
Jede Leugnung ist ein Urteil und erkennt, sobald es den Anspruch auf Wahrheit erhebt, implizit das transzendente Sollen an? (Seite 130). Der Skeptizismus würde somit nicht haltbar sein; weil er an einem inneren unlösbaren Widerspruch krankt. Wird damit etwas gewonnen? Mehr oder weniger ist diese Argumentation seit PLATO im Schwange, seit der Zeit des deutschen Idealismus stammt aber auch die Behauptung, daß eine empirische, relative Philosophie notwendig in einen Skeptizismus münden muß, schlägt man diesen, so trifft man auch jene. Ich habe aber bereits früher einmal (in meiner Arbeit über die Erkenntnistheorie BENEKEs, Leipzig 1902) ausgeführt, daß diese Widerlegungen zumeist den Fehler haben, an der zufälligen Formulierung dieser Theorie zu haften. Mit einer etwas veränderten Formulierung gegen diese Gegner seinen Standpunkt wahren können. Deshalb scheinen mir die Argumente, besonders der Philosophen, die sich an den deutschen Idealismus anschließen, der Beweiskraft zu ermangeln. Wenn RICKERT z. B. Seite 136 ausführt: "
    Eine Inkonsequenz haftet nämlich auch dem konsequentesten Relativismus an, ... Wer für den Relativismus die Geltung eines wissenschaftlichen Standpunktes in Anspruch nimmt ... was will der eigentlich? Warum hält er seine eigene Theorie für mehr als einen Scherz, dessen Bedeutung darin aufgeht, ihm Spaß zu machen? Wer sagt, es gibt kein wahres Urteil, erhebt damit entweder den Anspruch, ein wahres Urteil zu fällen, oder er muß einräumen, daß das Gegenteil von jedem mit demselben Recht behauptet werden kann, dem das Gegenteil wahr scheint, oder wie er sagen muß, Freude bereitetf, denn einen anderen Maßstab kann er ja nicht anerkennen"; -
wenn RICKERT also argumentiert, so macht er sich mit diesem Scherz zunächst einer Inkonsequenz schuldig, denn auch für ihn wird ja das Erkennen durch Lust- und Unlustgefühle bestimmt und wenn er sie auch als überindividuell bezeichnet, so können sie doch nirgends als bloß im erkennenden Individuu zur Geltung kommen, oder aber auch diese Lehre entbehr jeden Sinnes: - er übersieht aber auch ferner, daß nicht alle Überzeugungen auf wissenschaftlichem Weg gewonnen werden: warum soll sich nicht ein Skeptizismus aus Resignation behaupten können, der gewonnen als Niederschlag einer kulturellen Erfahrung die Vergeblichkeit der Versuche, absolute Wahrheiten zu gewinnen, zum Ausdruck brächte? Zudem handelt es sich für die Philosophie ja nicht um einen universalen Skeptizismus, sondern nur um den Zweifel an der Lösbarkeit erkenntnistheoretischer Probleme, wie ihn etwa HUME vertreten hat. Warum soll dieser in sich widerspruchsvoll sein? KANT hat dies so wenig geglaubt, daß er ihn nur für unvollendet hielt, daß er ihn aber als eine notwendige Vorarbeit in den Kritizismus aufgenommen hat.

Aber gerade in der Erkenntnistheorie soll der Relativismus sich selbst aufheben. Der Satz: es gibt keine Wahrheit, soll ein contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] bilden (RICKERT, Seite 137):
    "Die Worte es gibt behaupten etwas als wahr. Die hinzugefügten Worte keine Wahrheit heben den Begriff der Wahrheit und damit die in den ersten Worten ausgesprochene Behauptung wieder auf" ...

    "Wer sagt, ich weiß, daß wir nichts wissen und für diese Behauptung Gründe hat, der urteilt und erkennt also den Wahrheitswert an. Dieser Anerkennung sich zu entziehen, ist auch den absoluten Skeptiker unmöglich. Alles andere menschliche Wissen mag unsicher und schwankend sein, ja vielleicht ist noch kein Mensch im Besitz wahrer Urteile. Das alles ist denkbar. Nur ein Urteil kann nicht falsch sein: das Urteil, daß ein Wahrheitswert absolut gilt. es ist das gewisseste Urteil, das wir uns denken können, weil es die Bedingung jedes Urteils ist." Tant de bruit pour une omelette. [So viel Lärm um ein Omlett. - wp]
Um diesen tautologischen Satz zu gewinnen, wird der Skeptizismus mit einem solchen Aufwand an Scharfsinn widerlegt! Ist denn wirklich nicht mehr, nicht ein neues synthetisches Urteil, eine neue Einsicht daraus zu gewinnen? Wenn nicht, dann wäre diese ganze Argumentation nicht viel wert.

BOLZANO hatte seinerzeit den Versuch gemacht, hier etwas weiter zu kommen; er wollte uns beweisen, daß es der Wahrheiten unzählig viele gibt. Er betont in seiner sonst so scharfsinnig durchgeführten "Wissenschaftslehre" (Sulzbach-Rosenberg 1837, Bd. 1, Werke Bd. 7, Seite 145f):
    "Daß nämlich kein Satz Wahrheit hat, widerlegt sich selbst, weil es doch auch ein Satz ist und weil wir es also, indem wir es für wahr erklären wollten, zugleich für falsch erklären müßten. Wenn nämlich jeder Satz falsch ist, falsch. Und also ist nicht jeder Satz falsch, sondern es gibt auch wahre Sätze; es gibt auch Wahrheiten, wenigstens eine."
Es gibt aber doch noch mehrere:
    "Denn wer das Gegenteil annimmt, muß die Behauptung: » Außer der Wahrheit A ist B, gibt es sonst keine andere«, als wahr aufstellen. Diese Behauptung aber ist offenbar von der Behauptung »A ist B« selbst verschieden, denn sie besteht offenbar aus ganz verschiedenen Teilen. Sonach wäre diese Behauptung, wenn sie wahr wäre, gleich eine zweite Wahrheit. Es ist daher nicht wahr, daß es nur eine Wahrheit gibt, sondern es gibt deren wenigstens zwei. Allein auf eben diese Art läßt sich beweisen, daß auch zwei Wahrheiten noch nicht die einzigen sein können. Denn wie diese zwei auch immer lauten mögen, so ist doch offenbar, daß die Behauptung: »Nichts ist wahr als nur die zwei Sätze: A ist B und C ist ein Satz ist, der von den beiden Sätzen »A ist B« und »C ist D« durchaus verschieden ist. Wäre daher dieser Satz wahr, so würde er gleich eine neue und somit dritte Wahrheit ausmachen, und man hätte also fälschlich vorausgesetzt, daß es nur zwei Wahrheiten gibt. Man sieht von selbst, daß sich diese Schlußart immer weiter fortsetzen läßt, woraus dann folgt, daß es der Wahrheiten unendlich viele gibt, indem die Annahme jeder endlichen Menge derselben einen Widerspruch in sich schließt."
BOLZANOs Argumentation würde fehlerhaft sein, wenn er so die Existenz von Wahrheiten beweisen wollte. Also beweisen wollte, daß wir uns im Besitz von Wahrheiten befinden. Für ihne bedeutet das "es gibt" nicht die Existenz Wenn er von "Wahrheiten" spricht, meint er Wahrheiten ansich und es kommt für ihn nicht in Betracht, ob diese Wahrheiten auch von irgendeinem Menschen gedacht werden. Das wäre aber offenbar nötig, um den Skeptizismus zu widerlegen. Gibt es nur Wahrheiten ansich, aber keine für den Menschen, so besteht ohne Zweifel der Skeptizismus zu recht. Sicherlich will BOLZANO den Menschen zur Anerkennung von Wahrheiten zwingen, worauf läuft dann aber seine ganze Beweisführung hinaus, als auf eine unendliche Potenzierung des einen tautologischen Gedankens, daß die Wahrheit auch wirklich wahr ist? Mehr wird doch durch diese Argumentationen auf keinen Fall erreicht, als daß jemand zugeben muß, daß die Wahrheit wahr ist, und daß er die Wahrheit weiß, wenn er sie weiß.

Der Skeptizismus ist vielmehr eigentlich eine Frage als eine Behauptung. Nicht darauf braucht er sich festlegen zu lassen, daß er lehrt, man könne überhaupt nichts wissen, er kann es mit gutem Gewissen in den Vordergrund stellen, daß er es nur als fraglich hinstellt, ob an etwas wissen kann. Er kann es ruhig darauf ankommen lassen, daß man es ihm beweist, es gebe Wahrheiten, nicht bloß "ansich", sondern gerade auch für uns, und er kann dabei verlangen, daß der Nachweis hierfür genauso wie für alle Tatsachen nicht aus bloßen Begriffen erbracht wird, denn dabei kommt man in der Tat aus tautologischen Sätzen nicht heraus.


7. Die Beschränkung des Skeptizismus

Ich glaube, dieser Nachweis läßt sich unschwer erbringen, und deshalb halte ich den Skeptizismus in der Gegenwart für völlig gegenstandslos. Ich weise nur auf die Erfahrungen des täglichen Lebens und auf die Tatsache der positiven Wissenschaften hin. Sie sind Beweis genug für die Unhaltbartbarkeit einer skeptischen Philosophie. Man kann ja auch ihnen gegenüber einen allgemeinen Zweifel geltend machen; was kann man nicht alles! Der Skeptiker verlangt einen tatsächlichen Nachweis; wir geben ihn; er leugnet, daß das, was wir ihm nannten, für uns den Begriff der Wahrheit realisiert; er entgegnet uns, daß er unter Wahrheit etwas ganz anderers versteht, wir könnten ihm vielleicht vor Augen führen, daß sein Begriff eine leere Fiktion ist, da er ihn uns in keiner seiner Konkretionen anschaulich machen kann, aber warum sollen wir uns dann noch mit ihm streiten? Er würde uns ja das zugeben, was wir wünschen, und über seinen Begriff der Wahrheit würden wir vermutlich noch bei weitem skeptischer denken als der Skeptiker selber.

Eben dies ist die veränderte Lage der Philosophie gegenüber dem Griechentum. Wir finden als eine wohlbeschreibbare Tatsache die Existenz der positiven Wissenschaften vor. Wir stehen hierbei ganz auf dem Boden KANTs. Den Tatbestand der positiven Wissenschaften nahm er als etwas Gegebenes hin. Er fragt nicht, ist denn die Naturwissenschaft überhaupt Wissenschaft? Sie ist es, daran zweifelt er nicht, er fragt vielmehr, warum sie es ist, um durch die Lösung dieser Frage bestimmen zu können, was Nicht-Wissenschaft ist. In den positiven Wissenschaften findet die Philosophie ihre Objekte, sie findet sie und braucht sie daher nicht erst durch gewagte Konstruktionen zu erschaffen, aber ebensowenig ist ein Zweifel an ihrer Realität ihre Sache. Der Skeptizismus kann nicht Philosophie sein. Zumindest nicht in dieser Beziehung.

Die Erkenntnistheorie soll doch aber möglichst von Voraussetzungen frei sein, sie deren höchste Aufgabe es doch ist, die Voraussetzungen der positiven Wissenschaften zu erklären! Würde es jene nicht in ein schlechtes Licht stellen, wenn es diese in ihrer Gesamtheit zur Voraussetzung machen würde?

So kann nur reden, wer in transzendenten Spekulationen oder in Vorurteilen, die die Schalen ihres Ursprungs aus griechischer Denkart noch immer an sich tragen, das Heil der Philosophie erblickt. So gewöhnlich dieses Vorurteil für die Philosophie geltend gemacht wird, ebenso gewöhnlich wird seine Erfüllung von den positiven Wissenschaften nicht gefordert. Niemand verlangt vom Chemiker, Physiker etc. den Beweis dafür, daß das Objekt seiner Wissenschaft real ist. Nur der Philosophie stellt man diese atavistische [rückentwicklerische - wp] Zumutung. Man verwechselt dabei Voraussetzung- und Objekt-Sein. Ihre Objekte bilden die selbstverständliche Voraussetzung jeder Wissenschaft, ohne sie wäre sie nicht; sie hätte kein Arbeitsgebiet. Aber die Objekte bilden doch gewiß nicht Voraussetzungen, die den Erkenntniswert einer Wissenschaft in Frage stellen könnten. Wer die Objekte der Philosophie durch begriffliche Operationen schaffen will, kann es nur durch Erschleichungen und Unterschiebungen tun, dies gilt auch für die, welche ihr Ziel durch Widerlegungen des Skeptizismus fördern wollen, für CARTESIUS, wie für WINDELBAND und RICKERT (1). Daneben kann es eventunnel als Aufgabe der Philosophie bestehen bleiben, zu erklären, wie der Mensch zu jenen Objekten gekommen ist. Das ist eine ganz andere Frage, die mit der unsrigen nichts zu tun hant. Doch scheinen sich in die Lösung jener Fragen bereits zwei Wissenschaften, die Geschichte und Psychologie zu teilen.

Ebensowenig kann man der Philosophie zumuten, mit ganz besonderem, eigenartigen Skeptizismus an ihre Objekte heranzutreten. Mit kritischer Besinnung muß jede Wissenschaft verfahren, die eine mehr, die andere weniger, je nach der Kompliziertheit ihrer Objekte. Das begründet durchaus keinen besonderen philosophischen Skeptizismus, so wenig wie die Gegnerschaft gegen diesen Dogmatismus nach sich ziehen muß.

Aufgabe der Erkenntnistheorie ist es also, die positiven Wissenschaften als Wissenschaften zu erklären. Diese Aufgabe könnte der Skeptizismus als unvollziehbar erklären, und damit würde er in philosophischer Hinsicht absoluter Skeptizismus sein und es ließe sich ihm nicht der Vorwurf machen, logisch widerspruchsvoll zu sein. Er ist gegen die oben besprochenen Widerlegungen gefeit. Es ist doch tatsächlich nicht undenkbar, daß uns alle Mittel zur Lösung dieser Aufgabe fehlen könnten. Gegen diesen Gedanken kommen die verwegensten Begriffskünste nicht auf. Alle Tatsachen sind logisch wegdenkbar, also zieht es keinen Widerspruch nach sich, zu denken, wir wären nicht fähig, jene Aufgabe zu lösen; die Wissenschaft selbst wäre damit nicht geleugnet. Es gäbe freilich auch keine wissenschaftliche Philosophie mehr, denn eine Philosophie, die sich für unfähig erklärt, ihre Aufgabe zu lösen, kann keine Existenzberechtigung für sich beanspruchen. Immerhin liegt hierin noch keine Widerlegung, diese können wir nur in einer begründeten, und systematisch durchgeführten Erkenntnistheorie erblicken. Auch in der Philosophie ist der Skeptizismus nur durch diesen tatsächlichen Nachweis, nicht aber durch logische Operationen zu widerlegen. Und ich glaube, er ist auch bereits durch diese Tatsache widerlegt. Die Philosophie kennt keinen radikalen Skeptizismus mehr. Wenn man einen solchen etwa durch die Bemerkung aufrecht erhalten will, der Skeptizismus tangiere die Wissenschaften ebensowenig wie etwa der Idealismus, für die Naturwissenschaften etc., mache es nichts aus, wenn sich ein philosophischer Skeptizismus geltend macht, so kann man damit Recht haben. Aber schwerlich ist darin ein Lob zu erblicken. Man spricht damit ja nur aus, daß die Wirkungsfähigkeit dieser Philosophie auf die Wissenschaften gleich Null ist. Wenn z. B. die Sätze der Wissenschaften für diese Wahrheit bleiben, wenn sie auch durch philosophische Überlegungen als zweifelhaft hingestellt werden, was gewinnt man da mit dieser Aufwärmung der Lehre von der zweifachen Wahrheit? Zur Widerlegung dieser Ansicht glaube ich genug angeführt zu haben.

Ich betone also, der Skeptizismus wird nur dadurch widerlegt, daß man ein begründetes System der Erkenntnistheorie aufstellt. Und ich betone dies aufgrund folgender Erwägung. Aufgabe der Philosophie ist es zu erklären, warum man von Wissenschaft, von Sittlichkeit, von Schönheit reden darf. Zur Erledigung dieser Aufgabe hat man sich der verschiedensten Mittel bedient, vom Empirismus bis zum Rationalismus. Jeder der Philosophien wollte nach bestem Wissen mit den ihr zu Gebote stehenden Mitteln das Problem lösen. Eine wird freilich Recht behalten, die, die sich über ihr Problem am klarsten ist und deshalb zu ihrem Ziel auch die besten Mittel zu gebrauchen versteht. Deshalb ist es Aufgabe der Philosophen, an der Klärung der Probleme zu arbeiten. Da die Objekte gegeben sind, wird sich auch Klarheit und damit Einstimmigkeit über ihre Ziele und die Wege, auf denen man das Ziel erreicht, gewinnen lassen. Die streitenden Parteien haben fast alle Wertvolles erreicht, auch wenn sich nicht alles zur Zeit für die Erkenntnistheorie verwenden läßt. Deshalb ist auch im Streit der philosophischen Ansichten die Achtung vor dem Gegner unerläßlich. Stattdessen finden wir es häufig, daß man es gerade daran fehlen läßt. Statt auf die Anschauungen des Gegners einzugehen und mit ihm gemeinsam nach Wahrheit zu streben, liebt man es, seine Philosophie in Bausch und Bogen abzuurteilen. Besonders die Rationalisten lieben es, dem Empirismus damit den Garaus zu machen, daß sie ihn des Skeptizismus bezichtigen, und daß sie damit seine Lehren als logisch durchaus widerspruchsvoll hinstellen. Nur in den absoluten Normen soll das Heil für alle Wissenschaft zu finden sein, die Empiristen sehen in ihnen freilich nicht absolute, sondern nur relative Normen. Da nach meiner Auffassung die Philosophie der Einzelwissenschaften überhaupt keine Normen, weder absolute noch relative, geben kann, so könnte ich diesem Streit um des Kaisers Bart ruhig zusehen. Ich bin weder Empirist noch Rationalist. Die Parteien stehen sich schroff und verständnislos gegenüber und dazu mag die Generalaburteilung mit Hilfe des Vorwurfs des Skeptizismus, der gleichbedeutend ist mit dem Vorwurf, nicht logisch denken zu können, wesentlich beigetragen zu haben. Der Nachweis der Ungerechtigkeit dieses Tadels schien mir daher eine lohnende Aufgabe zu sein. Vor allem erschien mir dieser Vorwurf doppelt ungerecht gegen den Empirismus, der doch immerhin zu schönen positiven Resultaten gekommen ist, ob er nun auf dem Weg der historischen oder der psychologischen Analyse gearbeitet hat. Ich glaube zwar auch, daß er nicht alle Probleme der Erkenntnistheorie wird lösen können, aber man muß dann diese Probleme aufweisen und nachweisen, daß und warum sie nicht auf dem Weg bloßer Empirie gelöst werden können. Im Wesentlichen hat dies bereits KANT getan. Aber ich bezweifle es mit Entschiedenheit, daß er in einem leeren analytischen Formalismus sein Ziel gesehen hat, zu dem man mit Hilfe der griechischen Methode kommt, mag dieser sich auch stolz gegen alle Anfechtungen des Skeptizismus gefeit glauben. In der Vorrede zur zweiten Auflage der "Kritik der reinen Vernunft" bekennt KANT sich geradezu zur modernen Deduktion.

LITERATUR: Hugo Renner - Absolute, kritische und relative Philosophie - Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Bd. 29, Neue Folge, Bd. IV, Leipzig 1905
    Anmerkungen
    1) Das gilt ebenso für die Ethik. Auch hierbei ist die Realität der Sittlichkeit das Objekt und damit die selbstverständliche Voraussetzung, ohne die es sinnlos wäre, von philosophischer Ethik überhaupt auch nur zu reden.